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Kein Schadensersatz für verfallene Flugtickets, wenn der Passagier bei der Fahrt mit einem Mietwagen zum Flughafen durch einen Verkehrsunfall aufgehalten wird und - mangels eingeplantem Zeitpolster - zu spät eintrifft, so dass er sein Flugzeug nicht mehr bekommt.
Die Klage wird abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin zu 1) 46 % und der Kläger zu 2) 54 %; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Gegen-seite Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugunsten der Klägerin zu 1) gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen.
Tatbestand:
2Die Kläger machen Schadensersatzansprüche auf der Grundlage eines Verkehrsunfalles geltend, der sich am 26.08.2004 um 8.15 Uhr in Menden ereignet hat.
3Die Kläger wollten an diesem Tag zusammen mit einem anderen Paar, den Zeugen L und T, zum Frankfurter Flughafen fahren, um von dort aus mit einem gebuchten und bezahlten Flug der Gulf-Air nach Dubai in Urlaub zu fliegen. Der Abflug der gebuchten Maschine erfolgte um 11.30 Uhr an diesem Tag.
4Um von Menden zum Flughafen Frankfurt zu gelangen, hatte der Kläger zu 2) bei der Firma T einen Pkw VW-Golf gemietet (sogenannter One-Way-Mietvertrag). Der Mietwagen sollten dann am Frankfurter Flughafen abgegeben werden. Auf den zu den Akten gereichten Mietvertrag wird Bezug genommen.
5Zur Unfallzeit um 8.15 Uhr befanden sich lediglich der Zeuge T als Fahrer und die Zeugin L als Beifahrerin in dem Mietfahrzeug. Beide mussten die Kläger zunächst noch zu Hause abholen, um dann nach Frankfurt weiterzufahren. Auf der Straße An der Fingerhutsmühle kam es sodann zu einem leichten Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug. Dabei sind an den Fahrzeugen allenfalls unwesentliche Schäden entstanden. Jedenfalls sind bisher Schadensersatzansprüche der Autovermietungsfirma T gegen den Unfallgegner nicht spezifiziert worden.
6Der Zeuge T sah sich gleichwohl veranlasst, die Polizei hinzuzurufen, um eine Unfallmitteilung aufnehmen zu lassen. Dies hat nach dem - bestrittenen -Vortrag der Kläger 45 Minuten gedauert. Sodann haben die Zeugen die Kläger abgeholt und gemeinsam fuhr man zum Flughafen Frankfurt, wo die Rückgabe des Mietfahrzeuges aufgrund des zu schildernden Unfallgeschehens weitere 30 Minuten in Anspruch genommen hat. Gleichwohl sind die Kläger nach ihrem Vortrag gegen 11.00 Uhr am Notschalter der Fluggesellschaft gewesen, wurden aber, da es sich um einen außereuropäischen Flug handelte, nicht mehr in das Flugzeug gelassen, welches dann um 11.30 Uhr ohne sie abflog.
7Die Kläger wie auch die genannten Zeugen haben daraufhin -nach ihrem Vortrag- einen anderen Flug buchen und bezahlen müssen und sind dann etwas später mit einem anderen Flugzeug in den Urlaub geflogen.
8Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger den Kaufpreis für die Hin- und Rückflugtickets der Gulf-Air sowie jeweils eine Auslagenpauschale geltend, wozu sie behaupten, aufgrund des zu späten Eintreffens seien die Flugtickets sowohl für den Hin- wie auch für den Rückflug verfallen. Weiter macht der Kläger zu 2) Tankkosten geltend, welche von der Mietwagenfirma T in Rechnung gestellt worden sind. Wegen der Schadensbezifferung im Einzelnen wird auf Bl. 33 d. A. Bezug genommen.
9Die Kläger beantragen,
10die Beklagte zu verurteilen,
11punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2004 zu
13zahlen;
14punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.09.2004 zu
16zahlen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte ist der Ansicht, eine Schadensersatzanspruch könne den Klägern nicht zustehen, weil lediglich ein mittelbarer Vermögensschaden geltend gemacht werde, welcher vom Normzweck der durch das Unfallgeschehen verletzten Vorschriften nicht umfasst sei. Darüber hinaus müssten sich die Kläger ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden anrechnen lassen, weil sie viel zu spät losgefahren seien.
20Hilfsweise bestreitet die Beklagte den geltend gemachten Schaden.
21Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist unbegründet.
24Den Klägern steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von
25543,00 bzw. 633,13 nebst Zinsen nicht zu.
26Das Gericht ist der Ansicht, dass bei der vorliegenden Fallgestaltung bereits dem Grunde nach Schadensersatzansprüche aus §§ 823 BGB, 7, 17 StVG, 3 Nr. 1 PflichtVersG gegen die Beklagte nicht bestehen.
27Vorliegend ist lediglich ein psychisch vermittelter, mittelbarer Vermögensschaden auf Klägerseite entstanden, welcher vom Normzweck der bei dem Unfall verletzten Normen nicht mehr umfasst sein kann, so dass eine Rechtsgutverletzung ausscheidet. Nach Ansicht des Gerichtes hat sich vorliegend ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, für welches der Unfallgegner und damit die Beklagte nicht einzustehen hat.
28Durch den streitgegenständlichen Unfall ist bei den Klägern weder Körper, Gesundheit noch Eigentum i.S.d. § 823 BGB verletzt worden, denn die Flugscheine blieben unbeschädigt und die Kläger selbst unverletzt.
29Darüberhinaus ist Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung die Differenzhypothese. Danach war der Verkehrsunfall für den geltend gemachten Schadenseintritt nicht ursächlich, denn die Aufwendungen für den Kauf der Flugtickets waren von den Klägern bereits zuvor gemacht worden.
30Allerdings bedarf das anhand der Differenzhypothese gewonnene Ergebnis noch einer wertenden Überprüfung auf Grund allgemeiner schadensrechtlicher Grundsätze. Vorliegend geht es um den Ersatz von durch das Schadensereignis vergeblich gewordenen ("frustrierten") Aufwendungen. Einen solchen Ersatz hat der BGH in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur grundsätzlich abgelehnt. Die von der Rechtsprechung zu diesem Grundsatz angeführten Ausnahmen betreffend die Kommerzialisierung des Gebrauchswertes einer Sache sieht das Gericht vorliegend als nicht gegeben an: So unterscheidet sich der von den Parteien angeführte und in der Rechtsprechung diskutierte "Theaterkartenfall" vom vorliegenden dadurch, dass in jenem Fall der Inhaber einer Theaterkarte auf dem Weg zur Theatervorstellung verletzt wird und deswegen die Vorstellung nicht besuchen kann, während im vorliegenden Fall die Kläger unverletzt zu Hause saßen und auf das Eintreffen der Zeugen L und T warteten. Die Kläger hätten in dieser Situation ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt, auf andere Art und Weise zum Flughafen Frankfurt zu gelangen und somit noch rechtzeitig den gebuchten Flug in Anspruch zu nehmen.
31Auch die angeführten Fälle des OLG Hamm (NJW 1998, 2292) und des OLG München (NJW-RR 1986, 963) unterscheiden sich vom Vorliegenden dadurch, dass in jenen Fällen der Anspruchsteller jeweils selbst körperlich verletzt worden ist und verletzungsbedingt nicht an einem geplanten Autorennen bzw. an einer geplanten Kreuzfahrt teilnehmen konnte.
32Zu berücksichtigen ist weiter, dass bei den Klägern, die selbst nicht verletzt worden sind, als einzig denkbare Rechtsgutverletzung nur der berechtigte Besitz an dem Mietfahrzeug in Betracht kommt, und zwar in Form einer Besitzstörung durch Nichtbenutzenkönnen während des Wartens auf die Polizei, der Unfallaufnahme und dergleichen. Im Unfallzeitpunkt waren die Kläger jedoch nicht im Besitz des Mietfahrzeuges. Das Mietfahrzeug wurde zu jenem Zeitpunkt allein von den Zeugen L und T benutzt, so dass die Voraussetzungen des § 854 Abs. 1 BGB nicht gegeben waren. Für eine Besitzdienerschaft des Zeugen T gegenüber dem Kläger zu 2) i. S. d. § 855 BGB fehlt es an der erforderlichen Weisungsabhängigkeit. Ebenso hat das Gericht Zweifel daran, dass in diesem Verhältnis ein mittelbarer Besitz i. S. d. § 868 BGB vorgelegen hat, da für das Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses Anhaltspunkte nicht vorgetragen sind, ebensowenig für einen Besitzmittlungswillen des Zeugen T und einen Besitzbegründungswillen des Klägers zu 2).
33Nach allem fehlt es hier bereits an einer Rechtsgutverletzung auf Seiten der Kläger.
34Darüber hinaus ist das Gericht der Ansicht, dass der geltend gemachte Schaden nicht mehr vom Schutzzweck der verletzten Normen (insbesondere der StVO) umfasst ist, sondern dieser bloß psychisch vermittelte, mittelbare Vermögensschaden dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt. In diesem Zusammenhang kann auf das Beispiel eines Verkehrsstaus infolge eines Verkehrsunfalles auf der Autobahn verwiesen werden. Auch hier haben die im Stau stehenden Verkehrsteilnehmer gegen den Unfallverursacher, der - wie hier - kein eigenes Rechtsgut des Geschädigten verletzt hat, keinen Anspruch auf die infolge der Wartezeit bei anderen Verkehrsteilnehmern entstehenden Schäden. Es hieße den Kreis der ersatzpflichtigen Schäden zu weit zu ziehen und damit unkalkulierbar zu machen, wollte man auch solche Vermögensschäden in den Schutzzweck der Straßenverkehrsnormen einbeziehen.
35Selbst wenn man den vorstehenden Ausführungen nicht folgt und der Ansicht ist, den Klägern stünde grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch aufgrund einer Besitzstörung zu, so wäre ein solcher Anspruch nach Ansicht des Gerichtes jedenfalls infolge eines ganz überwiegenden Mitverschuldens der Kläger i. S. d. § 254 BGB ausgeschlossen:
36Das Unfallereignis hat sich nach dem eigenen Vortrag der Kläger um 8.15 Uhr an der Fingerhutsmühle ereignet (die polizeiliche Unfallmitteilung vermerkt sogar eine Unfallzeit um 8.25 Uhr). Weiter tragen die Kläger vor, der Abflug ihrer Maschine der Gulf-Air vom Frankfurter Flughafen sei um 11.30 Uhr erfolgt. Hieraus lässt sich ohne Weiteres ableiten, dass der Zeuge Michael T viel zu spät losgefahren ist. Es ist gerichtsbekannt (und durch Anrufe des Gerichts im Informationszentrum des Frankfurter Flughafens sowie beim Schalter der Fluggesellschaft Gulf-Air auch ausdrücklich bestätigt), dass bei außereuropäischen Flügen Passagiere 2 Stunden vor der geplanten Abflugzeit sich am Schalter der Fluggesellschaft einzuchecken haben. Die Kläger und die Zeugen Lund T hätten daher spätestens um 9.30 Uhr am Flugschalter sein müssen. Zuvor war noch der Mietwagen bei der Firma T abzugeben. Dies mag in die 2 Stunden mit einberechnet werden. Für die Fahrtzeit von Menden zum Frankfurter Flughafen, welche gerichtsbekannt rund 230 km beträgt, waren am 26.08.2004, einem Donnerstag, mindestens 2 ½ Stunden Fahrtzeit anzusetzen, so dass die Kläger und die Zeugen von Menden um 7.00 Uhr hätten losfahren müssen. Berücksichtigt man schließlich, dass der Zeuge T die Kläger erst noch zu Hause abholen musste, so hätte der Zeuge schon vor 7.00 Uhr, etwa 6.45 Uhr, unterwegs sein müssen und nicht erst um 8.15 Uhr. Eine solche Zeitkalkulation war von dem Zeugen T und den Klägern gerade auch deswegen vorzunehmen, weil sie mit einem Mietwagen fuhren, dessen technische Zuverlässigkeit sie nicht kannten und bei dem, im Falle eines Unfallgeschehens, mit einer zeitaufwändigeren Abwicklung - selbst bei Bagatellschäden - zu rechnen war. Wäre danach der Zeuge T rechtzeitig gegen 6.45 Uhr losgefahren, so wären die Kläger und die Zeugen trotz des im allgemeinen Lebensrisiko liegenden Unfallgeschehens und den damit in Zusammenhang stehenden Zeitverzögerungen noch so rechtzeitig am Flughafen gewesen, dass sie zu dem Flug noch zugelassen worden wären. Wird aber ohne jedes Zeitpolster erst so spät losgefahren, dass auch vorhersehbare und einzukalkulierende Risiken im täglichen Straßenverkehr (z. B. auch ein Stau) keine Berücksichtigung finden, übernimmt dies der später Geschädigte in sein eigenes allgemeines Lebensrisiko und ist ihm dies als ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden anzurechnen.
37Unter Berücksichtigung aller Umstände war danach die Klage mit den Nebenentscheidungen aus §§ 91, 100, 708 Nr. 11, 711 ZPO abzuweisen.
38Das Gericht hat gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 ZPO zugunsten der Klägerin zu 1) die Berufung zugelassen. (Hinsichtlich des Klägers zu 2) ist die Berufung bereits gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig). Nach Ansicht des Gerichtes hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung und kann der Fortbildung des Rechts dienen. Zudem dient die Zulassung der Berufung einer möglicherweise divergierenden Entscheidung zwischen den beiden Klägern.