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Die elterliche Sorge für das Kind B, geboren am 00.00.0000 wird der Kindesmutter Frau E übertragen.
Die Gerichtskosten tragen die Parteien je zur Hälfte.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
2Die Parteien sind seit März 2001 miteinander verheiratet und seit Mai 2001 getrenntlebend. Sie haben einen Sohn, B, geboren am 00.00.0000, der in der Obhut der Kindesmutter lebt. Die Parteien haben wegen Angelegenheiten des Kindes vor dem hiesigen Amtsgericht bereits eine Vielzahl von Verfahren geführt.
3Die Parteien beantragen unter Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts jeweils die Übertragung der elterlichen Sorge für ihr Kind auf sich.
4Der Kindesvater behauptet hierzu, die Kindesmutter sei erziehungsunfähig; das Kindeswohl sei in ihrem Haushalt gefährdet. Sie sei unfähig zur Kooperation mit dem Kindesvater in Angelegenheiten des Kindes. Weiterhin verweigere sie ihm jegliche Besuchskontakte.
5Die Kindesmutter behauptet, sie kümmere sich ordnungsgemäß um das Kind. Der Kindesvater belästige sie und spioniere hinter ihr hier. Er begehre das Sorgerecht, um sich anderweitigen Pflichten wie zum Beispiel Unterhaltspflichten oder einer Berufstätigkeit zu entziehen. Es gehe ihm letztlich nicht um das Wohl des Kindes.
6Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Parteien, die Verfahrenspflegerin sowie das Jugendamt sind persönlich angehört worden.
7Die getroffene Entscheidung entspricht dem Wohl des Kindes am besten, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
8Zunächst entspricht die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl am besten. Die Parteien sind in der Vergangenheit nicht der Lage gewesen, sich in Angelegenheiten des Kindes zu verständigen und gemeinsam Lösungen bzw. Regelungen zu treffen. Im Gegenteil bestehen zwischen ihnen heftige Auseinandersetzungen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich dies auch in Zukunft kurz- bzw. mittelfristig nicht ändern wird. Es hat vor dem hiesigen Gericht wegen Angelegenheiten des erst 10 Monate alten Kindes bereits eine Vielzahl von Verfahren gegeben, die sowohl wesentliche als auch unwesentliche Belange des gemeinsamen Sohnes zum Gegenstand hatten und haben. Beispielhaft seien erwähnt: Der Streit um eine Umgangsregelung, um den Vornamen des Kindes, um seine Konfession, um die Durchführung von Impfungen, um einen vom Kindesvater befürchteten Umzug der Kindesmutter ins Ausland, um den Wegzug der Kindesmutter aus Z, um die Regelung der elterlichen Erziehungsgewalt und um die Anlegung eines Sparbuches. Schließlich beabsichtigt die Kindesmutter in Kürze aus Z wegzuziehen, womit sich der Kindesvater ausdrücklich nicht einverstanden erklärt hat. Auch aus den zahlreichen richterlichen Anhörungen in Anwesenheit beider Parteien hat das Gericht den Eindruck gewonnen, dass die Eheleute für absehbare Zeit nicht in der Lage seien werden, die Kindesinteressen kooperativ wahrzunehmen.
9Die elterliche Sorge war der Kindesmutter zu übertragen.
10Hiergegen spricht nicht die Absicht der Kindesmutter, in Kürze aus Z wegzuziehen. Hierdurch wird dem Kindesvater zwar unter Umständen die praktische Ausübung des Umgangsrechtes erschwert. Diesem aus der Sicht des Kindesvater verständlichen Gesichtspunktes hat das Gericht jedoch kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 06.12.1989 (FamRZ 1990, Seite 392) zu Recht ausgeführt, dass es bei einer an dem Kindeswohl orientierten Sorgerechtsregelung von untergeordneter Bedeutung sei, welcher Elternteil in der praktischen Ausübung seines Umgangsrechts mehr oder weniger Mühen auf sich nehmen muß. Beide Ehegatten können grundsätzlich ihren Wohnort unabhängig voneinander frei wählen. Es besteht kein Grund, diese Freizügigkeit indirekt dadurch zu beschränken, dass die Übertragung des Sorgerechts für gemeinschaftliche Kinder davon abhängig gemacht wird, wer von beiden Elternteilen sich weiterhin am oder jedenfalls in größtmöglicher Nähe zum früheren ehegemeinschaftlichen Wohnort aufhalte. Das nur im Rahmen der tatsächlichen Wohnsitzverhältnisse praktisch ausübbare Umgangsrecht müsse als das schwächere Recht dem stärkeren Sorgerecht weichen.
11Schließlich vermag auch das Kriterium der Bindungstoleranz keine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Unter Bindungstoleranz versteht man die Fähigkeit der Eltern, den spannungsfreien Kontakt zum anderen Elternteil zuzulassen. Vorliegend ist dem Gericht aus dem in der 2. Instanz anhängigen Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts bekannt, dass es Schwierigkeiten bei der Regelung der Umgangskontakte gibt und die Kindesmutter bisher nur in eingeschränktem Umfang Umgangskontakte zwischen dem Kindesvater und dem Kind zugelassen hat. Zwar ist zwischen den Parteien im einzelnen streitig, worauf diese Schwierigkeiten beruhen; jedoch muß die Kindesmutter sich hierzu den Vorwurf gefallen lassen, dass auch aus ihren schriftlichen und persönlichen Erklärungen nichts dafür entnommen werden kann, welche Anstrengungen sie unternommen hat, um einen geregelten Umgang des Kindes mit dem Vater zu gewährleisten und zu fördern. Andererseits hält das Gericht den Umgang mit dem Vater grundsätzlich für förderlich, der nach Auffassung des Gerichts den Kontakt aus innerer Anteilnahme und echter Zuneigung sucht. Aufgrund ihrer bisher eingeschränkten Bereitschaft, Kontakte zwischen dem Kindesvater und dem Kind zu fördern und zuzulassen, mögen Defizite in ihrer Bindungstoleranz bestehen.
12Bei Abwägung aller Umstände ist die Übertragung des Sorgerechtes auf die Kindesmutter jedoch mit dem Kindeswohl am besten zu vereinbaren.
13Für die getroffene Entscheidung spricht der Grundsatz der Kontinuität und die Bindungen des Kindes. Diese stellen bei sonst ordnungsgemäßer Betreuung und Versorgung die primären Kriterien bei einem 10 Monate alten Kind dar, das vorrangig eine stabile Bezugsperson als Geborgenheitsrahmen benötigt.
14Beim Kontinuitätsgrundsatz kommt es auf die Frage an, welcher Elternteil in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile innegehabt hat. Er beruht auf der Erfahrung, dass die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des Kindes ist. Deshalb empfiehlt sich eine Sorgerechtsübertragung auf denjenigen Elternteil, der die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse und seiner äußeren Umstände gewährleisten kann (OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, Seite 1511 ff.; Ölkas, im Handbuch des Fachanwaltes für Familienrecht 3. Auflage 2001, Seite 296 ff.). Ein Wechsel der Bezugs- und Betreuungsperson insbesondere bei jüngeren Kinder gilt als schädlich (Bundesverfassungsgericht FamRZ 1982, Seite 1179). Unstreitig hat die Kindesmutter bisher die größeren Erziehungsanteile gehabt. Sie betreut und versorgt den gemeinsamen Sohn, der erst nach der Trennung der Parteien geboren wurde, seit seiner Geburt allein. Ferner sprechen die stärkeren Bindungen des Kindes an seine Mutter für den Verbleib bei ihr. Das Kind, das zu seinem Vater bislang nur wenige Stunden Kontakt hatte, kennt diesen praktisch nicht. Der Vater ist ihm völlig fremd. Es ist daher allein die Kindesmutter, welche die Fortführung der gewachsenen Beziehungs- und Lebensverhältnisse des Kindes zur Zeit erbringen und insoweit die Kontinuität in den gesamten Lebensverhältnissen gewährleisten kann.
15Ein Wechsel in den Haushalt des Kindesvaters ist im Gegenteil mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren, weil das Kind hierdurch den Gefahren ausgesetzt wird, die mit dem Verlust der maßgeblichen Bezugsperson verbunden sind. Eine Trennung von seiner Bindungsperson kann für ein Kind, insbesondere im Kleinkind-alter, sowohl akute psychische Folgen als auch langfristige Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeitsentwicklung, zum Beispiel im Bindungsverhalten zur Folge haben.
16Nach den Ermittlungen des Gerichtes betreut und versorgt die Kindesmutter das Kind in jeder Hinsicht ordnungsgemäß. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluß vom 13. Mai 2002 verwiesen. Nach Auffassung des Gerichtes ist es unschädlich, wenn die Mutter der Kindesmutter in die Erziehung und Betreuung des Kindes miteinbezogen wird. Dies ist insbesondere in ländlichen Gebieten und wenn Eltern, Großeltern und Kinder zusammen wohnen, üblich.
17Aus den dargestellten Gründen war die elterliche Sorge der Kindesmutter zu übertragen. Es kommt daher auf die Frage der Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters nicht an.
18Das Gericht weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den bisherigen Ermittlungen, Bedenken gegen die uneingeschränkte Erziehungseignung des Kindesvaters bestehen. Nach den ausführlichen Darlegungen der Sachverständigen Dipl.-Psychologin Q vom 04.11.1998 aus dem Verfahren vor dem Amtsgericht Kassel, Az.: 530 F 570/98 zur Regelung der Umgangskontakte zwischen dem Kindesvater und seinen beiden Kindern aus erster Ehe, leidet der Kindesvater unter Depressionen und Verfolgungswahn (vgl. S. 22,29,37,41,48 des Gutachtens). Zudem hat er Schwierigkeiten seinen Tagesablauf zu strukturieren und ist in seiner Konfliktfähigkeit deutlich eingeschränkt (vgl. S. 41 des Gutachtens). Insbesondere aus diesen Gründen hat die Sachverständige seinerzeit von der Ausweitung der Umgangskontakte mit seinen Kindern aus erster Ehe abgeraten. Sie hat dem Kindesvater dringend die Durchführung einer Therapie angeraten (vgl. S. 48 des Gutachtens). Wie er selbst in der Anhörung einräumt, hat er eine solche bisher nicht durchgeführt.
19Eine Sorgerechtsübertragung auf den Kindesvater wäre unter diesen Voraussetzungen nur in Betracht gekommen, nachdem ein Sachverständiger die bestehenden Bedenken hätte ausräumen können. Hierauf kommt es indes, wie bereits dargelegt, nicht an.
20Sowohl der Vertreter des Jugendamtes als auch die Verfahrenspflegerin haben sich für eine Sorgerechtsübertragung auf die Kindesmutter ausgesprochen.
21Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 30, 94 Kostenordnung, 13 a FGG.
22Der Verfahrenswert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.