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Die elektronische Zustellung durch den Gerichtsvollzieher ist kostenrechtlich als persönliche Zustellung imSinne von Nr. 100 KV GvKostG zu qualifizieren.
Die Beschwerde der Bezirksrevisorin vom 08.11.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 30.10.2023 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Bezirksrevisorin wendet sich gegen den Ansatz einer Gebühr nach Nr. 100 KV GvKostG durch den Gerichtsvollzieher für die elektronische Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Drittschuldnerin.
4Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 17.04.2023. Am 23.08.2023 beantragte sie bei dem Amtsgericht Aachen den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und zugleich die Vermittlung der Zustellung gemäß § 840 ZPO. Das Amtsgericht Aachen erließ antragsgemäß den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 30.08.2023 (Az. 902 M 1672/23) und leitete diesen an den Gerichtsvollzieher zur Zustellung weiter. Dieser beauftragte die Post mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Schuldnerin (§ 194 ZPO). An die Drittschuldnerin stellte er den Beschluss elektronisch zu. In der Kostenrechnung vom 07.09.2023 setzte der Gerichtsvollzieher u.a. die Gebühr gemäß Nr. 100 KV GvKostG in Höhe von 11,00 Euro für die elektronische Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Drittschuldnerin an.
5Hiergegen legte die Bezirksrevisorin unter dem 20.09.2023 Erinnerung ein und trug zur Begründung im Wesentlichen vor, dass es sich bei der elektronischen Zustellung um eine sonstige Zustellung im Sinne der Nr. 101 KV GvKostG handele, für die lediglich eine Gebühr in Höhe von 3,30 Euro in Ansatz gebracht werden dürfe. Der Gerichtsvollzieher hat der Erinnerung nicht abgeholfen und diese dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
6Das Amtsgericht Aachen wies mit Beschluss vom 30.10.2023 die Erinnerung der Bezirksrevisorin zurück und ließ die Beschwerde zu. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die elektronische Zustellung durch den Gerichtsvollzieher falle unter Nr. 100 KV GvKostG.
7Hiergegen wendet sich die Bezirksrevisorin mit ihrer Beschwerde vom 08.11.2023. Sie führt nunmehr weiter aus, dass im Kostenrecht das Analogieverbot gelte. Zudem werde die persönliche Übergabe höher vergütet, da die Möglichkeit einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Schuldner bestehe und der Aufwand des Aufsuchens noch hinzukomme. Auch sei die Zustellung in das elektronische Postfach des Schuldners nur unter Zuhilfenahme eines Dienstleisters für Datenübertragung möglich.
8Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese mit Beschluss vom 10.11.2023 der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
9In dem Beschwerdeverfahren hat die Bezirksrevisorin weiter zur Begründung ihrer Beschwerde ausgeführt, die historische Auslegung spreche dafür, dass das „persönliche“ der persönlichen Zustellung an den mit dem persönlichen Kontakt zum Schuldner erhöhten Zeitaufwand anknüpfe. Der bis in das Jahr 2000 für Zustellungsgebühren maßgebliche § 16 GvKostG habe in seinem Absatz 4 für die Erhöhung der Zustellgebühr bei einer persönlichen Zustellung vorgesehen, dass sich der Gerichtsvollzieher „an Ort und Stelle“ begeben müsse.
10Die Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 04.02.2024 das Verfahren der Kammer zur Entscheidung übertragen.
11II.
12Die gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 GvKostG i.V.m. § 66 Abs. 2 S. 2 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Bezirksrevisorin erweist sich in der Sache als unbegründet.
131. Zu Recht hat das Amtsgericht die Erinnerung der Bezirksrevisorin zurückgewiesen. Der Gerichtsvollzieher hat für die elektronische Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Drittschuldnerin zutreffend die Gebühr nach Nr. 100 KV GvKostG erhoben. Denn die elektronische Zustellung ist kostenrechtlich als persönliche Zustellung im Sinne des vorgenannten Gebührentatbestandes zu qualifizieren.
14a. Die Kammer ist der Auffassung, dass für die kostenrechtliche Einordnung, ob die Gebühr gemäß Nr. 100 KV GvKostG anfällt, maßgeblich ist, dass der Gerichtsvollzieher die Zustellung in eigener Person bewirkt und nicht wie im Falle der Nr. 101 KV GvKostG eine dritte Person hiermit beauftragt (so auch OLG Celle, Beschluss vom 14.12.2023 – 2 W 159/23 – BeckRS 2023, 39106, beck-online; LG Bückeburg, Beschluss vom 10.10.2023 – 4 T 44/23 – DGVZ 2023, 249, beck-online; AG Dortmund, Beschluss vom 11.12.2023 – 242 M 792/23, BeckRS 2023, 36139, beck-online; AG Ahaus, Beschluss vom 31.10.2023 – 6 M 1629/23, BeckRS 2023, 30342, beck-online; AG Wesel, Beschluss vom 21.09.2023 – 24 M 2066/23 – DGVZ 2023, 254, beck-online; AG Bückeburg, Beschluss vom 06.09.2023 – 41 M 199/23 – DGVZ 2023, 252, beck-online; AG Emmerich, Beschluss vom 25.08.2023 – 60 M 202/23 – DGVZ 2023, 229, beck-online; AG Duisburg-Hamborn, Beschluss vom 10.08.2023 – 20 M 1778/23 – DGVZ 2023, 223, beck-online; AG Kempen, Beschluss vom 28.06.2023 – 16 M 232/23 – DGVZ 2023, 230, beck-online; a.A. LG Krefeld, Beschluss vom 11.09.2023 – 7 T 110/23 – DGVZ 2023, 250, beck-online; AG Hannover, Beschluss vom 05.10.2023 – 760 M 107586/23 – DGVZ 2023, 254, beck-online; AG Krefeld, Beschluss vom 28.07.2023 – 111 M 659/23 – DGVZ 2023, 225, beck-online; AG Lüneburg, Beschluss vom 30.05.2022 – 24 M 1458/22 – DGVZ 2022, 202, beck-online).
15Sowohl bei der elektronischen Zustellung in das Postfach eines Zustellungsempfängers als auch bei der papiernen Zustellung in den Briefkasten eines Zustellungsempfängers bewirkt der Gerichtsvollzieher persönlich, dass das zuzustellende Schriftstück in den Machtbereich des Empfängers gelangt und übernimmt hierfür auch persönlich die Verantwortung. Der Gerichtsvollzieher stellt bei der elektronischen Zustellung die zuzustellenden Dokumente in elektronischer Form zunächst zusammen. Er prüft die Möglichkeit und Zulässigkeit der elektronischen Zustellung an den Empfänger. Er wählt das Postfach des Empfängers, in das zugestellt werden soll. Er nimmt dann die eigentliche Zustellung durch Absenden aus dem eigenen und Übersenden in das Postfach des Empfängers vor und übernimmt schließlich auch die Gewähr durch Überprüfen der Eingangsbestätigung dafür, dass die Zustellung erfolgreich war (u.a. AG Dortmund, a.a.O., Rn. 13; AG Emmerich, a.a.O., Rn. 16 f.; Goergen: Die elektronische Parteizustellung durch Gerichtsvollzieher in DGVZ 2023, 45).
16Hierbei bedient sich der Gerichtsvollzieher bei keinem dieser Schritte der Mitwirkung eines Dritten (AG Dortmund, a.a.O., Rn. 14). Soweit die Bezirksrevisorin unter Bezugnahme auf die vorzitierte Entscheidung des Landgerichts Krefeld die Auffassung vertritt, die Zustellung in das elektronische Postfach des Empfängers sei nur unter Inanspruchnahme eines Dienstleisters für die Datenübertragung möglich und deshalb eher vergleichbar mit der Zustellung durch die Post im Auftrag des Gerichtsvollziehers, ist darauf hinzuweisen, dass der Postdienstleister eigene hoheitliche Aufgaben (§ 33 Abs. 1 Satz 2 PostG) ausübt. Bei der Zustellung nach § 194 ZPO durch Beauftragung der Post beschränkt sich die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers dementsprechend auf die Erteilung des Zustellungsauftrags. Die tatsächliche Ausführung übernimmt im Rahmen des § 194 ZPO der beliehene Postdienstleister (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 33 Abs. 1 PostG) gemäß den §§ 177-182 ZPO in eigener Verantwortlichkeit, während der Telekommunikationsdienstleister bei der Durchführung der elektronischen Zustellung nach § 193a ZPO lediglich das Vorhandensein der notwendigen digitalen Infrastruktur gewährleistet. Anders als der Postdienstleister hat der Telekommunikationsdienstleister keinerlei Einfluss auf den Zustellvorgang an sich. Die Verantwortung für das ordnungsgemäße Vorliegen der erforderlichen Schritte der Zustellung trägt allein der Gerichtsvollzieher (so auch OLG Celle, a.a.O.; LG Bückeburg, a.a.O.). Insbesondere wird der Zustellnachweis – anders als bei einer Zustellung durch den Postdienstleister – durch den Gerichtsvollzieher generiert und überprüft.
17Soweit demgegenüber unter Anschluss an die Argumentation des Landgerichts Krefeld die Auffassung vertreten wird, die persönliche Übergabe werde deshalb höher vergütet, da in diesen Fällen die Möglichkeit einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem (Dritt-)Schuldner bestehe und der Aufwand des Aufsuchens des (Dritt-)Schuldners hinzukomme, überzeugt dies die Kammer nicht. Zunächst wird der Aufwand des Aufsuchens des Schuldners durch das gesondert zu erhebende Wegegeld (Nr. 711 KV GvKostG) abgegolten, so dass ein solcher Aufwand nicht maßgeblich für die Erhöhung des Gebührentatbestandes einer persönlichen gegenüber einer sonstigen Zustellung sein kann (AG Wesel, a.a.O.; AG Emmerich, a.a.O., Rn. 17). Dass eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Drittschuldner ebenfalls nicht Voraussetzung für die kostenrechtliche Annahme einer persönlichen Zustellung sein kann, zeigt sich an dem Umstand, dass auch im Falle einer Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten gem. § 180 ZPO unstreitig der erhöhte Gebührentatbestand der Nr. 100 KV GvKostG ausgelöst wird (AG Kempen, a.a.O., Rn. 10; Goergen, a.a.O.). Das in diesem Zusammenhang vorgetragene Erfordernis einer historischen Auslegung, wonach der bis in das Jahr 2000 für Zustellungsgebühren maßgebliche § 16 GvKostG in seinem Absatz 4 für die Erhöhung der Zustellgebühr bei einer persönlichen Zustellung vorsah, dass sich der Gerichtsvollzieher „an Ort und Stelle“ begeben müsse, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Norm zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften am 01.01.2022, mit dem die Möglichkeit der Zustellung elektronischer Dokumente durch den Gerichtsvollzieher gem. § 193 a ZPO eröffnet wurde, seit mehr als 20 Jahren nicht mehr in Kraft war und sich damit naturgemäß nur sehr bedingt für die Einordnung einer solchen Zustellung in die nunmehr geltenden Gebührentatbestände des Kostenrechts eignet. Überdies steht außer Frage, dass auch die Übergabe des zuzustellenden Dokumentes in den Räumlichkeiten des Gerichtsvollziehers kostenrechtlich als „persönliche Zustellung“ im Sinne der Nr. 100 KV GvKostG zu qualifizieren ist. Die Norm fordert damit gerade kein Begeben des Gerichtsvollziehers an „Ort und Stelle“ bzw. einen Ortswechsel (vgl. Goergen, a.a.O.). Diese Erwägungen gelten ungeachtet des Umstandes, dass in der Praxis die Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in den Räumen des Gerichtsvollziehers an den Drittschuldner einen Ausnahmefall bilden und dies regelmäßig Zustellungen an den Schuldner, etwa anlässlich der Abgabe einer Vermögensauskunft, betreffen dürfte. Denn der hier auszulegende Gebührentatbestand nach Nr. 100 KV GvKostG gilt gleichermaßen für Zustellungen an den Drittschuldner und an den Schuldner.
18b. Demgegenüber rechtfertigt auch die systematische Auslegung der betreffenden Gebührentatbestände die hier getroffene Einordnung der elektronischen Zustellung als persönliche Zustellung im Sinne des Kostenrechts. Beantragt der Gläubiger – wie hier – zusammen mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auch die Abgabe einer Drittschuldnerauskunft im Sinne des § 840 ZPO, so ist eine Zustellung mit der Post nach § 15 Abs. 4 Nr. 1 GVGA (Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher, AV d. JM NW vom 09.08.2013 (2344 -Z.124.1) - JMBl. NRW S. 210 - in der Fassung vom 14.12.2022 - JMBl. NRW S. 4) ausgeschlossen. § 121 Abs. 2 GVGA sieht vielmehr vor, dass in diesen Fällen eine persönliche Zustellung zu erfolgen hat. Gleichzeitig eröffnet § 840 Abs. 2 ZPO ausdrücklich die Möglichkeit einer elektronischen Zustellung nach § 193a ZPO. Eine solche Regelung setzt dementsprechend im Zusammenspiel mit den vorzitierten Normen der GVGA voraus, dass die elektronische Zustellung als persönliche Zustellung zu qualifizieren ist.
19Hierzu tritt auch noch folgendes teleologisches Argument: Der mit dem Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften am 01.01.2022 in Kraft getretene § 193a ZPO, der eine Zustellung elektronischer Dokumente durch den Gerichtsvollzieher ermöglicht, verfolgt ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich das Ziel, einen weiten Anwendungsbereich für die elektronische Zustellung elektronischer Dokumente zu ermöglichen (BTDrs. 19/31119, S. 5, Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 193a Rn. 2). Gleichzeitig hat der Gerichtsvollzieher nach § 15 Abs. 1 S. 1 GVGA grundsätzlich die nach pflichtgemäßen Ermessen auszuübende Wahl zwischen einer persönlichen Zustellung und der Zustellung durch die Post, sofern dieses nicht im Einzelfall eingeschränkt ist (s.o.). Soweit die Wahl der Zustellungsart in das Ermessen des Gerichtsvollziehers gestellt wird, kann dieses indes nicht im Hinblick auf die Kosten eingeschränkt werden. Dies verlangt, insbesondere mit Blick auf den Gesetzeszweck des § 193a ZPO, dass der Gerichtsvollzieher losgelöst von kostenrechtlichen Erwägungen frei entscheiden kann, ob er ein Dokument elektronisch zustellt oder nicht (so auch OLG Celle, a.a.O., Rn. 3).
20c. Zuletzt führt auch das durch die Bezirksrevisorin vorgetragene Analogieverbot im Kostenrecht zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn nach den vorstehenden Erwägungen ist die elektronische Zustellung durch den Gerichtsvollzieher im Sinne des § 193a ZPO kostenrechtlich als persönliche Zustellung im Sinne der Nr. 100 KV GvKostG zu erfassen, so dass es des Rückgriffs auf eine analoge Anwendung der vorbezeichneten Norm gerade nicht bedarf (ebenso AG Dortmund, a.a.O. Rn. 15; AG Ahaus, a.a.O., Rn. 18; AG Bückeburg, a.a.O.; AG Kempen, a.a.O., Rn. 11).
212. Die Kostenentscheidung folgt aus § 5 Abs. 2 S. 1 GvKostG i. V. m § 66 Abs. 8 GKG.
223. Die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht war nach § 5 Abs. 2 S. 2 GvKostG i.V.m. § 66 Abs. 4 GKG zuzulassen. Der zur Entscheidung stehenden Frage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, da sich der zutreffende Kostenansatz für elektronische Zustellungen in einer Vielzahl von Fällen stellt und deswegen das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 – IV ZR 150/20 –, Rn. 14, juris). Für die Gerichtsvollzieherschaft hat ihre Beantwortung erhebliches Gewicht (vgl. BGH 18.9.2003 - V ZB 9/03). Die Rechtsfrage wird von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt (vgl. nur LG Krefeld a.a.O.) und ist trotz der nunmehr ersten vorliegenden Entscheidung eines Oberlandesgerichts (vgl. OLG Celle a.a.O.) obergerichtlich noch nicht ausreichend geklärt.