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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand:
2Der Kläger beansprucht von dem beklagten Bistum insbesondere Schmerzensgeld wegen jahrelangen schwersten sexuellen Missbrauchs durch zwei Pfarrer. Er wurde am 00.00.1964 geboren und lebte während seiner Jugend in D.-S.. Die dortige Pfarrei Sankt H. wurde zunächst von Pfarrer U. I. und später von Pfarrer N. X. geführt. Die Namen beider Pfarrer sind auf einer von dem beklagten Bistum veröffentlichten Liste aufgeführt, die nach Angaben des beklagten Bistums die Namen von 53 Personen enthält, die nachweislich oder mutmaßlich sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen und Schutzbefohlenen begangen haben. Der Kläger wandte sich vorgerichtlich an die sogenannte „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen“ (nachfolgend: Kommission). Dabei handelt es sich um ein auf Beschluss der deutschen Bischöfe eingerichtetes Gremium, an das sich Betroffene sexuellen Missbrauchs wenden können. Die „Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids“, auf deren Grundlage die Kommission arbeitet, enthält in ihrer Präambel die folgenden Ausführungen:
3„Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen. Sexueller Missbrauch an Minderjährigen sowie an schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen — gerade wenn Kleriker, Ordensleute oder Beschäftigte im kirchlichen Dienst solche Taten begehen —, erschüttert nicht selten bei den Betroffenen und ihren Angehörigen sowie Nahestehenden und Hinterbliebenen das Grundvertrauen in die Menschen und in Gott. In jedem Fall besteht die Gefahr schwerer physischer und psychischer Schädigungen. Erlittenes Leid kann nicht ungeschehen gemacht werden.
4Im Bewusstsein dessen, in Umsetzung der Erkenntnisse der MHG-Studie und in Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids ergeht deshalb diese Ordnung für das Verfahren Anerkennung des Leids, die die bisher geltenden Regelungen zum Verfahren zu Leistungen in Anerkennung zugefügten Leids ablösen.
5Durch die materiellen Leistungen soll gegenüber den Betroffenen zum Ausdruck gebracht werden, dass die deutschen Bistümer Verantwortung für erlittenes Unrecht und Leid übernehmen. Die primäre Verantwortung zur Erbringung von Leistungen liegt beim Täter. Überdies gibt es auch eine Verantwortung der kirchlichen Institutionen über den einzelnen Täter hinaus. Die Leistungen in Anerkennung des Leids werden durch die Diözesen in Deutschland als freiwillige Leistungen und unabhängig von Rechtsansprüchen erbracht. Dies geschieht als Zeichen der institutionellen Mitverantwortung und zur Sicherstellung von Leistungen an Betroffene ohne eine gerichtliche Geltendmachung und insbesondere, wenn nach staatlichem Recht vorgesehene Ansprüche gegenüber dem Beschuldigten wegen Verjährung oder Tod nicht mehr geltend gemacht werden können.“
6Von der Kommission erhielt der Kläger auf seinen Antrag hin eine Zahlung in Höhe von 80.000,00 EUR.
7Der Kläger behauptet, er sei damals Messdiener in der Pfarrei Sankt H. gewesen und von den Pfarrern I. und X. sexuell missbraucht, genötigt und vergewaltigt worden. Außerdem habe er an sogenannten schwarzen Messen sowie an ritualmotivierten Kindestötungen teilnehmen müssen. Die Taten hätten begonnen, als er etwa acht Jahre alt gewesen sei und nach seinem heutigen Erinnerungsstand mindestens sechs, möglicherweise sogar acht Jahre gedauert, bis zu seinem fünfzehnten oder sechzehnten Lebensjahr. Ihm sei als Kind immer wieder "eingebläut" worden, dass er nach katholischem Kirchenrecht dazu verpflichtet sei, stets die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren und in christlichem Gehorsam die Bestimmung der Priester als geistliche Hirten zu befolgen. Die Taten hätten durch Pfarrer I. begonnen, kurz nachdem er Messdiener geworden sei, und seien später durch dessen Nachfolger Pfarrer X. fortgesetzt worden. Pfarrer I. habe ihm, wenn er nicht nach dessen Willen funktioniert habe, Kot ins Gesicht geschmiert und ihn gezwungen, Weihwasser zu trinken. Dabei habe Pfarrer I. geäußert, dass er ein böses Kind sei und ihm den Teufel ausgetrieben werden müsse. Als ca. neuneinhalb- bis zehnjähriges Kind sei er von einem älteren Ministranten und der Haushälterin des Pfarrer I. gefesselt worden. Pfarrer I. habe ihn geohrfeigt, ihn dann oral vergewaltigt und ihm anschließend das Aschenkreuz auf der Stirn angebracht. Ab diesem Ereignis habe sich über einen Zeitraum von sechs bis acht Jahren wöchentlich mindestens einmal, teilweise auch zweimal, der sexuelle Missbrauch fortgesetzt, auch in Form von Vergewaltigungen. Insgesamt sei er von Pfarrer I. und später von Pfarrer X. ca. 350-400 Mal oral und anal vergewaltigt worden. Sämtliche Übergriffe seien unter Androhung von Schlägen erfolgt bzw. von Schlägen ins Gesicht und auf den Körper begleitet worden. Sowohl bei den oralen als auch bei den analen Vergewaltigungen hätten die Pfarrer in ihn ejakuliert. Danach habe er stets das Aschenkreuz erhalten.
8Neben den körperlichen und sexuellen Übergriffen sei er auch zur Teilnahme an Ritualen gezwungen worden. Er sei mit anderen Messdienern meist gegen zwei bis drei Uhr morgens in die Kirche bzw. eine Kapelle einbestellt worden. Weigerungshaltungen sei mit Gewalt und sexuellen Handlungen sowie mit der Drohung begegnet worden, dass in die Hölle komme, wer nicht teilnehme. Neben Pfarrer I. seien auch weitere Personen zugegen gewesen. Auf dem Altar in der Kirche oder auf aufgebauten Altären habe eine Wanne gestanden, in der ein Baby gelegen habe. Er – der Kläger – habe dabei zusehen müssen, wie Pfarrer I. und die anderen Personen mit einem Messer auf das Baby eingestochen hätten, wobei nach seinem Erinnerungsstand die Babys diese Gewalttaten nicht überlebt hätten. Dann seien er – der Kläger – und andere Messdiener nach vorne gerufen und aufgefordert worden, ebenfalls mit dem Messer in das Baby zu stechen. Er habe selbst einmal mit einem Messer in ein Baby gestochen, wobei er nach heutiger Erinnerung davon ausgehe, dass das Baby bereits tot gewesen sei. Parallel zur Tötung des Babys hätten die anwesenden Personen sexuelle Handlungen untereinander durchgeführt. Zudem sei oft vom Satan gesprochen bzw. gesungen worden. Mit dem Blut des Babys sei dann dem Kläger und den anderen Messdienern ein Kreuz auf die Stirn gemalt worden.
9Er leide als Folge des sexuellen Missbrauchs, der Gewalttaten und der erzwungenen Teilnahme an den rituellen Tötungen heute unter zahlreichen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen. Nach Ende seiner Messdienerzeit hätten sich bei ihm Schlafstörungen und Flashbacks eingestellt, weshalb er mit dem Cannabiskonsum begonnen habe und süchtig geworden sei. Zudem habe er Suizidgedanken entwickelt und unter Essstörungen gelitten. Um nach außen hin nicht als Versager und Spinner zu gelten, habe er versucht, beruflich Fuß zu fassen und sich stetig weitergebildet. Zu Hause habe er sich jedoch hochdepressiv eingeschlossen. Mitte des Jahres 1990 seien die Beeinträchtigungen so schlimm geworden, dass er sich psychologisch habe behandeln lassen müssen. 1994 habe er dann erstmals mehrere Monate in einer psychosomatischen Klinik verbringen müssen. Weitere Klinikaufenthalte hätten sich angeschlossen. Trotz intensiver psychologischer und psychiatrischer Behandlungen sei er aber die Gedanken an das, was sich während seiner Messdienerzeit ereignet hatte, nicht mehr losgeworden. Im Jahr 2012 sei er zusammengebrochen. Extreme Schlafstörungen – er habe teilweise drei bis vier Tage am Stück nicht schlafen können –, Bulimie, Suizidgedanken, Alpträume, Flashbacks, Angst, Schweißausbrüche und dergleichen hätten sich eingestellt bzw. seien zurückgekehrt. Kurze Zeit später habe er eine Aphonie entwickelt, die sich dann in eine psychogene Dysphonie umgewandelt habe, unter der er noch heute leide. Aufgrund der körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen habe er seinen Beruf nicht mehr ausüben können und sei seit dem Jahr 2004 Erwerbsminderungsrentner. Er habe nie eine langfristige Beziehung zu einer Frau aufbauen können, leide unter erheblichen Störungen im Sexualleben und habe keine Familie gründen und insbesondere auch keine Kinder zeugen können. Konkret diagnostiziert worden seien bei ihm eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Störungen und rezidivierende depressiven Störungen mit hohem Schweregrad.
10Der Kläger beantragt,
111. das beklagte Bistum zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 680.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich vorgerichtlich gezahlter 80.000,00 EUR, so dass 600.000,00 EUR verbleiben.
122. das beklagte Bistum zu verurteilen, ihm Schadenersatz für vorgerichtlich gezahlte Tätigkeit des anwaltlichen Beistandes und jetzigen Prozessbevollmächtigtem in Höhe von 6.519,65 EUR zu zahlen.
133. festzustellen, dass das beklagte Bistum verpflichtet ist, ihm allen materiellen und jeden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Schadenereignis, dem sexuellen Missbrauch in den Jahren von 1972-1980, entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
14Das beklagte Bistum beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Es hat zunächst „sämtliche mit der Klageschrift erhobenen Vorwürfe und Vorgänge“ mit Nichtwissen bestritten und insoweit ausgeführt, die seitens des Klägers beschriebenen Missbrauchstaten, „schwarzen Messen“ und ritualmotivierten Kindestötungen seien ihr unbekannt. Im Schriftsatz vom 10. Juni 2024 hat das beklagte Bistum zudem behauptet, bei ihm habe sich zwischenzeitlich die Schwester des Klägers gemeldet und mitgeteilt, dass die seitens des Klägers erhobenen Vorwürfe nicht zutreffen könnten; der Vortrag des Klägers könne schon deshalb nicht richtig sein, weil er zu keinem Zeitpunkt Messdiener gewesen sei. Das beklagte Bistum gehe daher davon aus, dass die Missbrauchsvorwürfe objektiv unzutreffend seien.
17In rechtlicher Hinsicht ist das beklagte Bistum der Ansicht, dass den klägerseits geltend gemachten Ansprüchen ohnehin die Einrede der Verjährung entgegenstehe. Die Einrede der Verjährung hat das Bistum schriftsätzlich und nochmals im Zuge der mündlichen Verhandlung erhoben.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2024 (Bl. 139 f. GA) Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Klage ist unbegründet.
21Sollten die klägerseits geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld (Klageantrag zu 1) bzw. auf Feststellung, dass das beklagte Bistum für künftige materielle und immaterielle Schäden wegen der Missbrauchstaten einzustehen hat (Klageantrag zu 3) bestehen, so sind sie nicht durchsetzbar, weil ihnen die Einrede der Verjährung entgegensteht. Aus diesem Grund bleibt auch der auf Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten gerichtete Antrag (Klageantrag zu 2) erfolglos.
221. a)
23Angesichts der durchgreifenden Verjährungseinrede hatte die Kammer nicht aufzuklären, ob und ggf. in welchem Umfang die seitens des Klägers beschriebenen Tatvorwürfe zutreffen. Vor diesem Hintergrund gab insbesondere auch der Vortrag des beklagten Bistums in dessen Schriftsatz vom 10. Juni 2024, wonach der Kläger nie Messdiener gewesen sei und die Tatvorwürfe daher objektiv unzutreffend sein müssten, keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und ggf. eine Beweisaufnahme durchzuführen. Vielmehr kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass die von ihm beschriebenen Taten sich wie dargelegt ereignet haben und der Kläger infolgedessen unter den beschriebenen gravierenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen leidet.
24b)
25In rechtlicher Hinsicht kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob das beklagte Bistum für die Tatvorwürfe – unterstellt, sie treffen zu – nach Amtshaftungsgrundsätzen haftet. Es muss nicht entschieden werden, ob § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG im hiesigen Fall überhaupt (analog) anwendbar sind. Dies wird von Rechtsprechung und Literatur mit teils divergierenden Begründungen bejaht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Dezember 1956 - III ZR 89/55 -, juris; BGH, Urteil v. 30. 1. 1961 - III ZR 227/59 -, juris; BGH, Urteil vom 4. April 1989 - VI ZR 270/87 -, juris; BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – III ZR 224/01 –, juris; LG Köln, Urteil vom 13. Juni 2023 - 5 O 197/22 -, Rn. 49 ff. juris, juris; Sprau, in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2023, § 823, Rn. 125; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2020, § 839, Rn. 751; Wiss. Dienst des Bundestags, Gutachten 144/10, S. 5 f.), insbesondere in jüngerer Zeit aber auch in Zweifel gezogen (Eicholt, NJOZ 2022, 993 [993], ders, NJOZ 2010, 1859 [1862]; Janssen, NJW 2023, 2459 Rn. 1, beck-online; Ogorek, JZ 2024, 271 (272 ff.). Ebenso wenig hat die Kammer darüber zu befinden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG vorliegen. Aus diesem Grund ist auch nicht zu entscheiden, ob das beklagte Bistum – alternativ – auf anderer rechtlicher Grundlage, etwa nach §§ 823, 31, 89 BGB haftet (so Eicholt, NJOZ 2022, 993 [994]).
26c)
27Wie bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, geht die Kammer davon aus, dass die hier beschriebenen Taten – wenn sie als zutreffend unterstellt werden – einen hohen Schmerzensgeldanspruch nach sich ziehen. Es handelt sich um besonders brutale, grausame und menschenverachtende Taten, die über einen langen Zeitraum angedauert haben und – den Vortrag des Klägers wiederum als zutreffend unterstellt – schwerste physische und psychischen Beeinträchtigungen verursacht haben (zu den Bemessungsgrundsätzen bei Schmerzensgeld nur Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2023, § 253, Rn. 15 m.w.N.). Angesichts der durchgreifenden Verjährungseinrede hatte die Kammer über die Höhe eines etwaigen Schmerzensgeldanspruchs jedoch nicht zu urteilen.
282.
29Die Kammer hält die Klageansprüche zu 1) und 3) für verjährt.
30Die Kammer ist sich bewusst, dass ihre Annahme, die Ansprüche seien verjährt, sowohl seitens des Klägers – seinen Vortrag als zutreffend unterstellt – als auch von anderen Betroffenen, die von kirchlichen Amtsträgern missbraucht worden sind und die erwägen, ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, möglicherweise als ungerecht und verletzend empfunden werden wird. Die an Recht und Gesetz gebundene Kammer hält die Rechtslage allerdings für eindeutig und hatte der erhobenen Verjährungseinrede daher Wirkung zu verschaffen. Der Kammer steht vor Augen, dass es für diejenigen, die von kirchlichen Amtsträgern missbraucht worden sind, in besonderem Maße herausfordernd und belastend war und ist, sich zu öffnen, über die Taten zu sprechen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, insbesondere, aber nicht nur im Rahmen der (Gerichts-)Öffentlichkeit. Sie geht davon aus, dass insbesondere der Zuspruch eines Schmerzensgelds jedenfalls eine gewisse genugtuende Wirkung entfalten könnte, auch wenn das erlittene Leid dadurch nicht einmal im Ansatz kompensiert werden können würde. Die Kammer kann nachvollziehen, wenn bei Betroffenen, denen unter Verweis auf die Verjährung kein Schmerzensgeld zugesprochen wird, der Eindruck entsteht, ihr Leid werde rechtlich nicht anerkannt. Das ist indes nicht der Fall und mit dem Ausspruch, die Taten seien verjährt, nicht verbunden, was die Kammer in Anbetracht der Umstände ausdrücklich betonen möchte: Die – unterstellt bestehenden – Ansprüche des Klägers gegen das beklagte Bistum wegen des Missbrauchs sind auch infolge der Verjährungseinrede keineswegs erloschen, sondern bestehen fort. Sie sind allerdings gegenüber dem beklagten Bistum – obschon sie als solche fortbestehen – nicht mehr durchsetzbar.
31Im Einzelnen:
32a)
33Die Verjährung hat vor allem den Zweck, dem fälschlicherweise in Anspruch genommenen Schuldner die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern, dient als dem Schutz des Nicht-Schuldners. Soweit sie begründete Forderungen betrifft, ist sie durch den Gedanken des Schuldnerschutzes sowie des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit grundsätzlich gerechtfertigt: Im Laufe der Zeit kann sich die Beweisposition des Schuldners verschlechtern; der Zeitablauf kann ihn zudem um Regressmöglichkeiten bringen. Zudem kann der Schuldner nicht unbegrenzt Rücklagen für Risiken aus früheren Geschäften bilden. Die Verjährung entfaltet hiernach einen Individualschutz doppelter Art: Sie konkretisiert die Maximen von Treu und Glauben in Gestalt der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht und erspart zugleich Beweiserhebungen. Überdies und insbesondere dient die Verjährung auch öffentlichen Interessen. Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb vor einer Verdunkelung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Tatsächliche Zustände, die längere Zeit hindurch unangefochten bestanden haben, werden aus diesem Grund als zu Recht bestehend anerkannt und die am Rechtsverkehr Beteiligten mittelbar angehalten, ihre Rechtspositionen in absehbarer Zeit geltend zu machen (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 82. Auflage 2023, Überblick v. § 194, Rn. 7 ff.; Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 194 Rn. 6 f., jew. m.w.N.).
34Weil Forderungen jedoch jedenfalls Eigentumsqualität im Sinne des Art. 14 GG genießen und die Verjährung, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich, in erfüllungs- oder erlassähnlicher Weise auf die betroffene Forderung einwirkt, ist der Gesetzgeber gehalten, auch den Belangen des Gläubigers in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Das bedeutet, dass dem Gläubiger eine faire Chance eröffnet werden muss, seinen Anspruch geltend zu machen. Er muss Gelegenheit bekommen, die Existenz seiner Forderung zu erkennen, ihre Berechtigung zu prüfen, Beweismittel zu sammeln und die gerichtliche Durchsetzung vorzubereiten. Dem kann auf unterschiedliche Weise entsprochen werden: Einerseits dadurch, dass Kenntnis oder Erkennbarkeit der Forderung den Beginn der Verjährungsfrist oder eine Ablaufhemmung beeinflussen, andererseits dadurch, dass ausreichend lange objektive Verjährungsfristen geschaffen werden (Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 194 Rn. 9 m.w.N.).
35Bei der Verjährung von Ansprüchen wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist nach Auffassung der Kammer neben Art. 14 GG auf Seiten des Gläubigers insbesondere auch dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG in den Blick zu nehmen. Es ist für Betroffene sexueller Übergriffe in besonderem Maße herausfordernd und belastend, ihre Ansprüche zu offenbaren und gerichtlich geltend zu machen, weil ihre Intimsphäre betroffen ist. Die Geltendmachung der Ansprüche ist oft mit Scham und Ängsten verbunden und wird von Betroffenen mitunter wie ein erneutes Erleben der Verletzungserfahrung empfunden. Hinzu tritt, dass die Kausalität der Missbrauchstat zu festgestellten physischen und psychischen Beeinträchtigungen auch für den Betroffenen selbst oft nicht leicht nachzuvollziehen ist und ggf. ärztlich bzw. psychotherapeutisch aufzuklären ist. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG erfordert daher Verjährungsfristen, innerhalb derer Betroffene ausreichend Gelegenheit haben, sich ihre Ansprüche zu vergegenwärtigen, und räumlichen und zeitlichen Abstand zu den Taten und den Tätern zu gewinnen, um sich persönlich stabilisieren zu können, sich beraten und ggf. medizinisch und psychologisch behandeln lassen zu können und sich dadurch (auch) auf die Strapazen einer gerichtlichen Geltendmachung vorzubereiten.
36b)
37Dies zugrunde gelegt, waren die anzuwendenden Verjährungsfristen für die zivilrechtlichen Ansprüche des Klägers – insbesondere aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG analog bzw. §§ 823, 31, 89 BGB – abgelaufen, als der Kläger im Dezember 2023 seinen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hat.
38aa)
39Nach Angaben des Klägers hat der Missbrauch stattgefunden, bis er 14 oder 15 Jahre alt war. Ausgehend von dem Geburtsdatum des Klägers, dem 00.00.1964, haben die Taten daher längstens bis zum Jahr 1980 stattgefunden – am 00.00.1980 ist der Kläger 16 Jahre alt geworden. Im Zeitpunkt der klägerseits beschriebenen Taten war die Verjährung deliktischer sowie auf amtshaftungsrechtlicher Ansprüche in § 852 Abs. 1 BGB a.F. geregelt (Papier/Shirvani, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 422). Nach § 852 BGB a. F. Vorschrift verjährte der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangte, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung an.
40Zur Kenntniserlangung reichte es – speziell bezogen auf amtshaftungsrechtliche Sachverhalte – aus, dass der Verletzte tatsächliche Umstände kannte, aus denen sich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung wenigstens in ihren Grundzügen ergab und er insoweit in der Lage war, einen auf die Amtshaftungsvorschriften gestützten Schadensersatzanspruch oder zumindest ein Feststellungsbegehren im Prozesswege geltend zu machen. Ein gewisses Risiko wurde dem Verletzten insoweit durchaus zugemutet: Es wurde insbesondere nicht vorausgesetzt, dass der Verletzte alle Einzelheiten des Schadens überblickte (Papier/Shirvani, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 422).
41Dies zugrunde gelegt, dürfte die kenntnisbedingte dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. bereits kurz nach den Taten in Lauf gesetzt worden sein. Grundsätzlich beweispflichtig für die Kenntniserlangung ist die Anspruchsschuldner, wobei den Anspruchsgläubiger eine Mitwirkungspflicht trifft (Henrich, in: BeckOK BGB/, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 194 Rn. 10). Hier hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er bereits Anfang der 80er-Jahre unter Flashbacks und Schlafstörungen gelitten habe. Das spricht dafür, dass ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bewusst, dass die Taten gesundheitliche Belastungen bei ihm ausgelöst hatten.
42bb)
43Ein anderes Ergebnis ergäbe sich im Übrigen auch dann nicht, wenn statt der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist die kenntnisunabhängige 30jährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. zugrunde gelegt würde. Auch in diesem Fall wären die Forderungen verjährt, sodass es keiner Entscheidung bedarf, ob hierdurch die Rechte des beklagten Bistums in unzulässiger Weise beschneiden würden.
44Die Vorschrift des § 852 BGB wurde mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1. Januar 2002 aufgehoben; Regelungen zur Verjährung deliktischer Ansprüche finden sich nunmehr in §§ 195 ff. BGB. Die kenntnisunabhängige 30-jährige Verjährungsfrist ab Tathandlung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. wäre am 1. Januar 2002 noch nicht abgelaufen gewesen mit der Folge, dass anstelle der Regelung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. die neuen verjährungsrechtlichen Regelungen anzuwenden gewesen wären. Denn nach Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB – der Überleitungsvorschrift zum Verjährungsrecht nach dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 – finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verjährung in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung auf die an diesem Tag bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung (S. 1). Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich jedoch für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung (S. 2).
45Die Anwendung dieser neuen Regelungen zöge indes keine Friständerung, insbesondere keine Verlängerung der Verjährungsfrist, nach sich: Einschlägig gewesen wäre in diesem Fall – auch für Amtshaftungsansprüche – grundsätzlich die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB, deren Beginn § 199 Abs. 1 BGB regelt. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Fehlte es an einer entsprechenden Kenntnis des Gläubigers und basierte die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit, wären die Verjährungs(höchst)fristen des § 199 Abs. 2 und 3 maßgeblich: Nach § 199 Abs. 2 BGB verjähren Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an (für eine Anwendbarkeit des § 199 Abs. 2 bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung: Henrich, in: BeckOK BGB, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 199 Rn. 53). Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren nach § 199 Abs. 3 BGB entweder ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an (Nr. 1) oder ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an (§ 199 Abs. 3 BGB), wobei die früher endende Frist maßgeblich ist (zur Verjährbarkeit von Amtshaftungsansprüchen nach den §§ 195 ff. BGB: Papier/Shirvani, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 424). Selbst die die 30jährige Verjährungsfrist aus § 199 Abs. 2 bzw. 3 Nr. 2 BGB wäre allerdings – ausgehend von einem Tatende im Jahr 1980 und insoweit anknüpfend an die letzte Missbrauchstat als Tathandlung – spätestens Ende des Jahres 2010 abgelaufen.
46Der heute geltende § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB, der generell eine 30jährige Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung vorsieht, ist erst im Jahre 2013 und damit zu einem Zeitpunkt in Kraft getreten, als die klägerischen Forderungen bereits verjährt waren. Nach Art. 229 § 31 EGBGB ist er lediglich auf Ansprüche anzuwenden, die vor dem 30.6.2013 entstanden, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren. Die klägerischen Ansprüche waren zu diesem Zeitpunkt aber selbst bei günstigster Anwendung der relevanten Vorschriften bereits verjährt, vgl. zuvor. Ein Unterschied ergäbe sich im Übrigen bei Anwendung des § 197 Abs. Nr. 1 BGB nicht, da bei der obigen Berechnung eine 30jährige Verjährungsfrist zugrunde gelegt wurde.
47cc)
48An diesem Ergebnis ändert sich auch unter Berücksichtigung verjährungshemmender Regelungen nichts.
49Dass die Parteien in unverjährter Zeit Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB bzw. wohl insbesondere § 852 Abs. 2 BGB a.F. geführt hätten, die den Lauf der Verjährungsfrist hätten hemmen können, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Das Verfahren vor der UKA hat der Kläger – ungeachtet der Frage, ob es verjährungshemmende Wirkung entfalten würde – erst in verjährter Zeit eingeleitet.
50Auch wenn die Hemmungsvorschrift des § 208 BGB angewandt würde, wäre die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt, als der Kläger sein Prozesskostenhilfegesuch einreichte, bereits abgelaufen gewesen. Gegen eine Anwendung des § 208 BGB spricht in der Sache bereits die Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 BGB. Danach richten sich der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. § 208 BGB wurde indes erst mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eingeführt, galt also vor dem 1. Januar 2022 noch nicht. Ohnehin und insbesondere wären die klägerischen Forderungen aber auch dann verjährt, wenn die Verjährungsfrist zwischenzeitlich gemäß § 208 BGB gehemmt gewesen wäre.
51§ 208 BGB sieht eine besondere Verjährungshemmung vor und schützt die Entschließungsfreiheit des Gläubigers, der ohne fremde Einflussnahme darüber entscheiden können soll, ob er seinen Anspruch durchsetzt oder nicht (Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 208 Rn. 1). Danach beginnt die Verjährung für Ansprüche wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung erst ab dem 21. Lebensjahr des Opfers (S. 1) oder, wenn eine häusliche Gemeinschaft zwischen Gläubiger und Schuldner besteht, bei Beendigung der häuslichen Gemeinschaft (S. 2). Selbst wenn im hiesigen Fall die Verjährung aber bis zur Vollendung des 21. Lebensjahr des Klägers, also bis zum 00.00.1985, gehemmt gewesen sein sollte, wäre die Verjährungsfrist (bereits) im Jahr 2015 abgelaufen. Eine „häusliche Gemeinschaft“ im Sinne der Vorschrift zwischen dem Kläger und dem beklagten Bistum bzw. ihm zugehöriger Personen hat nicht bestanden. Die Kammer geht nicht davon aus, dass etwa die Mitgliedschaft in der Kirche generell bzw. die (beispielsweise wohnortbedingte) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde ein Äquivalent zur „häuslichen Gemeinschaft“ i.S.d. § 208 BGB darstellen würde, sodass weiter festzustellen gewesen wäre, ob und ggf. wann diese Mitgliedschaften geendet hätten. Abgesehen davon, dass sich der Rechtsanwender bei der Auslegung der Verjährungsregeln grundsätzlich eng am Wortlaut orientieren hat, was Analogiebildungen zwar nicht schlechthin ausschließt, sie aber an besonders strenge Anforderungen knüpft (Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 194 Rn. 7), hält die Kammer die Konstellationen für strukturell nicht vergleichbar, sodass die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorliegen. Das gilt auch dann, wenn die Kirche bzw. die Gemeinde für den Kläger eine lebensprägende Bedeutung gehabt haben sollte, etwa weil sie der Ort gewesen wäre, wo der Kläger als verpflichtend empfundene Glaubenssätze erlernt hätte und von den beschuldigten Pfarrern eine Drohkulisse aufgebaut worden wäre, die das Denken und Handeln des Klägers generell geprägt hätte. Die Einfluss- und Prägungsmöglichkeiten, wie sie einer häuslichen Gemeinschaft eigen sind, bestanden nicht in einem Maße, das es rechtfertigen würde, die Hemmungsvorschrift entsprechend anzuwenden.
52dd)
53Es bedarf hier auch keiner Entscheidung, ob § 852 Abs. 1 BGB a.F., soweit er eine lediglich dreijährige Verjährungsfrist ab Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis verlangte, verfassungsgemäß ist. Im Hinblick auf das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot dürfte es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, die vorgesehene Verjährungsfrist etwa durch verfassungskonforme Auslegung zu verlängern. Allerdings führte selbst eine solche verfassungskonforme Auslegung nicht dazu, dass die Verjährungseinrede letztlich durchgriffe: Die Kammer hat jedenfalls keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der heute gültigen Verjährungsvorschriften – konkret § 197 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 208 BGB, die eine (generelle, das heißt kenntnisunabhängige) Verjährung des entsprechenden Anspruchs 30 Jahre nach der Handlung bei Hemmung der Ansprüche bis zum 21. Lebensjahr bzw. der Beendigung der häuslichen Gemeinschaft vorsehen. Würden die dortigen Fristen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zugrunde gelegt, wäre auch in diesem Fall bereits Verjährung eingetreten, vgl. die vorstehenden Ausführungen.
54Die betroffenen Interessen der Anspruchsgläubiger werden durch die heute geltenden Verjährungsfristen in einen verhältnismäßigen Ausgleich mit den Interessen des Schuldners – hier dem beklagten Bistum – und dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gebracht. In der Abwägung wäre neben den – oben näher beschriebenen – gewichtigen Gläubigerinteressen zu berücksichtigen, dass die Verjährung von Ansprüchen ebenfalls bedeutsamen Belangen dient, nämlich dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit sowie dem Schutz des Schuldners vor Beweisschwierigkeiten und vor Einschränkungen seiner Dispositionsfreiheit. § 202 Abs. 2 BGB greift diesen Gedanken auf: Danach kann die Verjährung nicht einmal durch Rechtsgeschäft, also durch privatautonome Vereinbarung, über eine Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden. Eine kenntnisunabhängige Frist von 30 Jahren, die frühestens ab dem 21. Lebensjahr des Betroffenen zu laufen beginnt, erscheint insgesamt als angemessener Interessenausgleich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine derartige Frist es dem Gläubiger ermöglicht, mit der Geltendmachung seiner Ansprüche bis (weit) ins Erwachsenenalter hinein zuzuwarten. Ein zunehmendes Lebensalter und die damit oft einhergehende steigende Selbstständigkeit und (finanzielle) Unabhängigkeit sowie der entstehende zeitliche Abstand zu den Taten lassen es gemeinhin (ein Stück weit) leichter werden, sich mit dem Geschehenen – ggf. mit professioneller Hilfe – auseinanderzusetzen und die aus den Taten resultierenden Ansprüche geltend zu machen. Eine noch längere Verjährungsfrist bzw. eine Unverjährbarkeit der Ansprüche brächte dem Gläubiger regelmäßig auch keine Vorteile. Dass es, nachdem 30 Jahre vergangen sind, allein ein weiterer Zeitablauf dem Gläubiger noch wesentlich erleichtern würde, seine Ansprüche geltend zu machen, ist nicht erkennbar. Die Schwierigkeiten, vor denen die Betroffenen sexuellen Missbrauchs stehen, wenn sie ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen wollen, werden durch eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf unbestimmte Zeit nicht zugunsten der Betroffenen beseitigt.
55b)
56Die Erhebung der Verjährungseinrede durch das beklagte Bistum ist letztlich auch nicht treuwidrig im Sinne des § 242 BGB.
57aa)
58Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet generell eine Abwägung zwischen den Interessen aller am Rechtsverhältnis beteiligten Personen. Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung aller an dem Rechtsverhältnis Beteiligten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 7. Mai 1997 - IV ZR 179/96 -, Rn. 15, juris; Schubert, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 134; Sutschet, in: BeckOK BGB, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 18; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019§ 242, Rn. 144).
59Im Zuge der Interessenabwägung sind unter anderem die gesetzliche und vertragliche Risikozuweisung sowie subjektive Elemente wie Verschulden oder die Erkennbarkeit einer Störung zu beachten. Die Anforderungen aus Treu und Glauben hängen außerdem von Dauer und Intensität der Rechtsbeziehung zwischen den Parteien ab. Bei Rechtsverhältnissen, die durch eine besondere Vertrauensbeziehung oder sogar soziale Abhängigkeit geprägt sind, haben die Parteien in stärkerem Maße die Interessen des anderen zu respektieren bzw. sind für sie verantwortlich. Deshalb kann ihnen die Wahrnehmung bestimmter Rechten verwehrt sein. Ferner muss die Interessenabwägung insbesondere die verfassungsrechtlichen Wertungen, vor allem die Grundrechte, berücksichtigen. Das Grundgesetz, vor allem der Grundrechtskatalog, verkörpert grundlegende objektive Wertentscheidungen, die auch auf die Ausgestaltung des Privatrechts Einfluss nehmen. Neben der verfassungskonformen Auslegung von Privatrechtsnormen sind gerade die Generalklauseln Einfallstore für grundrechtliche Wertungen (Schubert, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 126 ff.; Peter Krebs, in: NK-BGB/Peter Krebs, 4. Aufl. 2021, BGB § 242 Rn. 15 f.; Sutschet, in: BeckOK BGB, 70. Ed. 1.5.2024, BGB § 242 Rn. 18 ff.; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019§ 242, Rn. 144 ff.).
60Das Verjährungsrecht ist in besonderem Maße dem Prinzip von Treu und Glauben unterworfen. Das Spannungsfeld zwischen dem Interesse des Gläubigers an der Durchsetzbarkeit seiner Forderung einerseits und dem Interesse des Schuldners an einem Schutz vor der Inanspruchnahme andererseits verlangt nach einem angemessenen Ausgleich. Diesem Verlangen ist der Gesetzgeber bereits selbst durch eine differenzierte Gestaltung von Hemmungs- und Unterbrechungstatbeständen nachgekommen. Besonders durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sind wichtige Lösungsansätze, die früher aus § 242 BGB abgeleitet wurden, als konkrete gesetzliche Regelungen in das BGB aufgenommen worden. Gleichwohl besteht nach wie vor ein Bedürfnis für die Anwendung des § 242 BGB. Im Vordergrund steht die Überlegung, dass die schuldnerschützende Wirkung der Verjährung im Einzelfall aufgrund eines treuwidrigen Verhaltens des Schuldners oder aufgrund der besonderen Umstände des Lebenssachverhalts ungerechtfertigt erscheinen kann (Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019, § 242, Rn. 532 f.). Der Zweck der Verjährungsregelung gebietet es jedoch, hierbei strenge Maßstäbe anzulegen und diesen Einwand nur gegenüber einem groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen. Das ist etwa der Fall, wenn der Schuldner den Gläubiger veranlasst hat, von der rechtzeitigen Durchsetzung des Anspruchs abzusehen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1987 - IX ZR 202/86 –, Rn. 16, juris; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1992 - X ZR 123/90 -, Rn. 34, juris; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, 2019, § 242, Rn. 533).
61bb)
62Dies zugrunde gelegt, verstößt die Verjährungseinrede des beklagten Bistums letztlich nicht gegen Treu und Glauben.
63(1)
64Die Treuwidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Sonderstellung des beklagten Bistums als Kirche bzw. einem damit einhergehenden besonderen Nähe- bzw. Vertrauens- und ggf. Abhängigkeitsverhältnis des von Missbrauch Betroffenen und der Kirche bzw. deren Amtsträgen (so aber wohl Ogorek, JZ 2024, 271 [277], vgl. auch Gerecke/Roßmüller, in: NJW 2022, 1911 Rn. 24). Dabei geht die Kammer durchaus davon aus, dass im Hinblick auf den Kläger ein entsprechendes Nähe-/Vertrauens- bzw. Abhängigkeitsverhältnis bestanden hat bzw. noch besteht. Daraus folgt aber für sich genommen noch nicht, dass die Erhebung der Verjährungseinrede treuwidrig wäre. Vielmehr müssten darüber hinaus weitere Umstände hinzutreten, um die Verjährungseinrede treuwidrig erscheinen zu lassen (dazu nachgehend I. 2 c bb (2) f.).
65(a)
66Das besondere Nähe-/Vertrauens- bzw. Abhängigkeitsverhältnis dürfte einerseits durch die gesellschaftliche Autoritäts- und Vertrauensstellung begründet worden sein, die die katholische Kirche jedenfalls zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Taten innehatte. Hinzu tritt insbesondere, dass die Verbundenheit mit der Kirche jedenfalls bei gläubigen Menschen auf Glaubenssätzen basiert bzw. basieren kann, die als persönlich verpflichtend erfahren werden. In diesem Fall erfährt es der Betroffene als intensive, ggf. unbedingte Verpflichtung, der kirchlichen Lehre zu folgen. Da das Kirchenrecht von den Gläubigen Folgsamkeit gegenüber den Lehren der Kirche verlangt (vgl. Ogorek, JZ 2024, 271[277] m.N. zu den entsprechenden Vorschriften des Codex Iuris Canonici), kann der von Missbrauch Betroffene in eine starke Druck- und Angstsituation geraten, wenn er befürchtet, sich mit der Offenbarung des Missbrauchs nicht folgsam, also nicht entsprechend der kirchlichen Lehre zu verhalten (insbesondere, wenn ihm das etwa durch den oder die Täter suggeriert wird). Verstärkt wird die Empfindung möglicherweise zusätzlich durch die Gewissheit, dass nach kirchlichem Recht die Taufe als Sakrament ein unauslöschliches Prägemal begründet, der einmal Getaufte seine dadurch entstandene Verbindung zur Kirche also nicht wieder lösen könne (vgl. Germann, in: BeckOK GG, 57. Ed. 15.1.2024, GG Art. 4 Rn. 78, beck-online). Insofern lässt sich das Verhältnis zwischen dem Gläubigen und der Kirche durchaus etwa mit einer familiären Beziehung vergleichen, die oftmals ebenfalls durch eine als sehr stark empfundene emotionale Verbundenheit sowie durch Abhängigkeit geprägt wird.
67(b)
68Auch ein bestehendes derart enge Nähe-/Vertrauens- bzw. Abhängigkeitsverhältnis lässt die Verjährungseinrede als solche indes nicht treuwidrig erscheinen.
69Davon geht der Gesetzgeber bereits selbst aus. Er hat die besonderen Schwierigkeiten gesehen, mit denen Betroffene konfrontiert sind, die Ansprüche gegen Familienmitglieder bzw. ihnen nahestehende Personen geltend machen wollen: Im Hinblick auf Ansprüche zwischen Eltern und Kinder hat er deshalb etwa in § 204 BGB a.F. – nunmehr § 207 BGB – eine Verjährungshemmung bis zum 21. Lebensjahr angeordnet. Ansprüche wegen sexuellen Missbrauchs im familiären Umfeld bzw. im Rahmen von Näheverhältnissen, die mit räumlichen Gemeinschaften regelmäßig einhergehen, standen ihm insbesondere vor Augen, als er die Vorschrift des § 208 BGB schuf (vgl. BT-Drs. 14/6040, 119; Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 208 Rn. 3), und sich gegen die – im Zuge der Einführung des § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB erwogene –Streichung der Norm entschied (vgl. die Darstellung bei Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, BGB § 208 Rn. 1 m. entspr. N.). Der Gesetzgeber ist insofern gerade nicht der Auffassung, dass eine Verjährung in solchen Näheverhältnissen nicht zum Tragen kommen könnte, weil die Erhebung der Einrede treuwidrig wäre. Ansonsten hätte es entsprechender Hemmungsvorschriften gerade nicht bedurft. Selbiges muss daher im Hinblick auf das Nähe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kirche und Gläubigen gelten.
70Die im Zuge des § 242 BGB vorzunehmende Interessenabwägung ergibt nichts anders. Zwar sind auf Seiten der Anspruchsgläubiger die ohne jeden Zweifel zumeist sehr tiefgehenden Verletzungen zu berücksichtigen, die sexueller Missbrauch verursacht. Solcher Verletzungen können die Anspruchsgläubiger ihr gesamtes weiteres Leben belasten. Es darf aber ebenso nicht außer Acht gelassen werden, dass der Verjährung auch eine Schutzfunktion für den Schuldner zukommt. Die Verjährung soll insbesondere auch den Nicht-Schuldner schützen, dessen Beweisposition sich im Laufe der Zeit verschlechtern kann. Sie darf insofern nicht nur aus der Perspektive des anspruchsberechtigten Gläubigers gedacht werden. Darüber hinaus stellt insbesondere die Rechtssicherheit, die mit der Verjährung herbeigeführt wird, einen gewichtigen Verfassungsbelang im Rechtstaat dar (vgl. BVerfG, NJW 2023, 3698 Rn. 76 ff. zum Verhältnis von Rechtssicherheit und dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit). Angesichts dessen erschiene es nicht gerechtfertigt, dem Schuldner die Verjährungseinrede in den Fällen generell zu versagen, in denen ein Nähe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis zum Gläubiger besteht. Solange die geltenden Verjährungsregelungen den besonderen Schwierigkeiten hinreichend Rechnung tragen, mit denen die Anspruchsgläubiger konfrontiert sind, wenn sie derartige Ansprüche geltend machen, was auf das derzeitige System – das hier hilfsweise zugrunde gelegt wurde – zutrifft, bedarf es eines Rückgriffs auf § 242 BGB nicht nur nicht. Vielmehr darf das geltende Verjährungssystem nicht über § 242 BGB derart ausgehebelt werden, dass letztlich doch längere Verjährungsfristen geschaffen werden. Das gilt selbstverständlich nur, soweit sich die (vermeintliche) Treuwidrigkeit aus Umständen ergibt, die in den geltenden Verjährungsregelungen bereits berücksichtigt worden sind (hierzu sogleich).
71(2)
72Es ist auch nicht erkennbar, dass das beklagte Bistum den Kläger durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten hätte.
73Auch wenn unterstellt wird, dass der Vortrag des Klägers zutrifft und ihm während des Missbrauchs gedroht worden ist, er komme in die Hölle, wenn er den Missbrauch nicht ertrage bzw. ihn offenbare, genügt allein dies nicht für die Annahme, dass der Kläger in einer die Treuwidrigkeit begründenden Art und Weise von dem beklagten Bistum von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten worden wäre. Dabei will die Kammer keinesfalls in Abrede stellen, dass entsprechende Drohungen – unterstellt, sie haben stattgefunden – gerade den damals noch kindlichen bzw. jugendlichen Kläger stark geängstigt und eingeschüchtert haben können. Es ist aber nicht erkennbar, dass entsprechende Drohungen, die nach Angaben des Klägers mit dem Ende des Missbrauchs aufhörten, hiernach in einer Art und Weise fortgewirkt hätten, die den Kläger auch im Erwachsenenalter von einer Klageerhebung hätten abhalten können. Hierfür müsste den Drohungen nach Auffassung der Kammer eine handlungshemmende Eigenwirkung zugekommen sei, die über die Schwierigkeiten hinausreichte, vor denen Betroffene gemeinhin – bedauerlicherweise – stehen, wenn sie erwägen, Ansprüche wegen Missbrauchs geltend zu machen, insbesondere der Missbrauch im Rahmen eines emotionalen Nähe- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses stattgefunden hat.
74Dass dies der Fall gewesen wäre, ist nicht feststellbar. Dass der Kläger auch im Erwachsenenalter geglaubt hätte, die Drohungen von der Hölle – ein sicherlich spezifisches Druckmittel kirchlicher Würdenträger – bewahrheiteten sich, wenn er die Geschehnisse offenbare, ist nicht erkennbar. Vielmehr ist gemeinhin bekannt und dürfte auch dem Kläger – der nach seinem Vortrag die Kraft gefunden hat, die Vorgänge therapeutisch aufzuarbeiten – bewusst gewesen bzw. geworden sein, dass Missbrauch von Kinder und Jugendlichen (auch schon zum Zeitpunkt der Taten) strafbar war und es nach wie vor ist, und dass insofern allein das Verhalten der Pfarrer verwerflich bzw. verabscheuungswürdig war, nicht hingegen sein eigenes Verhalten. Der Kläger hat sein Zuwarten selbst „lediglich“ damit begründet, dass er wegen des hohen Ansehens der Kirche nicht gewagt habe, die Geschehnisse zu offenbaren, sowie aus Eigenscham und weil man den Opfern vorgeworfen habe, selbst Täter zu sein. Zudem sei der Missbrauch von Minderjährigen durch die Kirche jahrelang verschwiegen worden. Insoweit beschreibt der Kläger letztlich die „typischen“ Schwierigkeiten, mit denen die Betroffenen sexuellen Missbrauchs konfrontiert sind, wenn sie ihre Ansprüche offenbaren und (gerichtlich) geltend machen wollen, beispielsweise die Angst vor fehlender Ernstnahme der Vorwürfe, vor Ächtung und vor negativen Konsequenzen für die eigene weitere Lebensführung. Dabei ist es der Kammer wichtig, zu betonen, dass derartige Belastungen keinesfalls bagatellisiert werden dürfen. Der Gesetzgeber ist – wie ausgeführt – von Verfassungs wegen gehalten, den Betroffenen durch entsprechend angepasste (längere) Verjährungsvorschriften bzw. Hemmungsregelungen hinreichend Gelegenheit zu verschaffen, ihre Ansprüche geltend zu machen. Geschieht dies nicht, kann eine entsprechende Verjährungseinrede sich durchaus als treuwidrig erweisen. Der Gesetzgeber hat allerdings ein verfassungsgemäßes System der Verjährungsregelungen geschaffen, das nicht über § 242 BGB ausgehebelt werden darf, vgl. oben.
75(3)
76Über die Frage, ob das beklagten Bistum in moralischer Hinsicht gehalten war, die Verjährungseinrede nicht zu erheben, durfte die Kammer nur insoweit entscheiden, als sich aus moralischen Standpunkten rechtlich relevante Bindungen ergeben konnten. Eine Treuwidrigkeit lässt sich aber auch insoweit nicht feststellen. Dass das beklagte Bistum durch seine moralischen Standpunkte konkretes Vertrauen dahingehend hervorgerufen hätte, sie werde die Verjährungseinrede nicht erheben, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Hierfür reichte es nach Auffassung der Kammer nicht aus, dass das beklagte Bistum durch das Wirken seiner Amtsträger das beschriebene Nähe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis zu den Betroffenen geschaffen hat. Das gilt auch, wenn die Amtsträger des beklagten Bistums in diesem Rahmen verschiedenste (Verhaltens-)Erwartungen an die Betroffenen gerichtet haben und ihnen für deren Erfüllung Schutz und Beistand versprochen haben sollten, auf den die Betroffenen dann ggf. vertraut haben. In diesem Zusammenhang lässt sich wiederum eine Parallele zur familiären Situation ziehen: Auch Familienmitglieder schulden einander nach einer breiten gesellschaftlichen Auffassung sowie auch von Rechts wegen in gewissem Umfang Schutz und Beistand (vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG im Hinblick auf das Verhältnis von Eltern und Kindern). Ein im Rahmen des § 242 BGB zu schützendes Vertrauen auf ein bestimmtes Verhalten – hier den Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede – kann sich vor dem Hintergrund der ausdifferenzierten Verjährungsregelungen nach Auffassung der Kammer aber nicht allein aus einer generellen bzw. abstrakten Schutz- bzw. Beistandserwartung heraus ergeben – auch wenn die Erwartung also solche nachvollziehbar ist. Vielmehr wäre zusätzlich erforderlich, dass das beklagte Bistum konkret im Hinblick auf die Frage, ob sie die Verjährungseinrede erheben würde, Vertrauen geschaffen hätte, hier beispielsweise durch Versprechungen an den Kläger, von der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen. Dass dies geschehen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
77d)
78Die Kammer geht ferner nicht davon aus, dass die im Zuge des Anerkennungsverfahrens vor der Kommission an den Kläger geleisteten Zahlungen ein Anerkenntnis bzw. eine Schuldübernahme darstellten, in deren Folge die Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen hätte bzw. eine neue Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden wäre. Bei der Kommission handelt es sich nach unwidersprochenem Vortrag des beklagten Bistums um ein unabhängiges und weisungsfreies Gremium. Insofern ist schon nicht erkennbar, dass die Kommission – auch aus Sicht des Klägers – für das beklagte Bistum rechtsverbindliche Erklärungen wie ein Anerkenntnis oder eine Schuldübernahme hätte abgeben können.
79Im Übrigen ergibt sich auch aus der Präambel der von der Deutschen Bischofskonferenz beschlossenen „Ordnung für das Verfahren zur Anerkennung des Leids“, die die Tätigkeit der Kommission regelt, ausdrücklich, dass die Leistungen der Kommission durch die Diözesen in Deutschland als freiwillige Leistungen und unabhängig von Rechtsansprüchen erbracht werden. Ein Rechtsbindungswille – insbesondere hinsichtlich eines Anerkenntnisses oder einer Schuldübernahme – lässt sich dem nicht entnehmen.
803.
81Der auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klageantrag zu 2) ist angesichts der fehlenden Durchsetzbarkeit der Klageansprüche zu 1) und 3) ebenfalls unbegründet.
82Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S. 2 ZPO.
83Streitwert: Klageantrag zu 1): 600.000,00 EUR
84Klageantrag zu 2): –
85Klageantrag zu 3): 10.000,00 EUR
86Insgesamt: 610.000,00 EUR.