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1. Ein Unterschriftsmangel führt nicht zur Unwirksamkeit eines Beschlusses. Die Bestimmung des § 275 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf Urteile. Auf Beschlüsse ist sie nicht, auch nicht analog anwendbar. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften.
2. Das von einer Angeschuldigten mittels eines Smartphones aufgezeichnete Gespräch zwischen ihr und einer anderen Person (hier: Streitgespräch mit einer Schulleiterin) ist dann nicht als „nichtöffentlich“ i.S. des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen, wenn das Gespräch in einer „faktischen Öffentlichkeit“ erfolgt (Anschluss an LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19; entgegen LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17).
3. Es liegt ein wirksamer Strafantrag gemäß § 194 Abs. 1 StGB vor, wenn der Strafantrag zwar wegen „Bedrohung“ gestellt worden ist, jedoch der Wille erkennbar ist, dass der Beschuldigte wegen der hinreichend geschilderten Tat nach allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden soll (BGH, Urt. v. 16.01.1951 – 3 StR 45/50).
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 09.10.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 05.10.2020 aufgehoben.
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXX vom 29.05.2020 (Az.: 199 Js 702/19) wird mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass statt einer Verurteilung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes eine Verurteilung der Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB in Betracht kommt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Hauptverfahren gegen die Angeschuldigte vor dem Amtsgericht XXX – Strafrichter – eröffnet.
G r ü n d e
2I.
3Mit Anklageschrift vom 29.05.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX gegen die Angeschuldigte Anklage wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu dem Amtsgericht XXX – Strafrichter – erhoben. Der Anklage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Am 03.09.2019 soll es in der Städtischen Grundschule XXX in XXX im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung zwischen der Angeschuldigten und der damaligen Schulleiterin, der Zeugin XXX, gekommen sein. In dem Gespräch soll die Angeschuldigte der Zeugin XXX vorgeworfen haben, sie sei unprofessionell und unfähig. Die Zeugin XXX soll hierauf erwidert haben, wobei sich ihre Äußerungen ausschließlich an die Angeschuldigte gerichtet haben soll. Dabei soll die Angeschuldigte Teile des von der Zeugin XXX gesprochenen Worts mit ihrem Smartphone aufgezeichnet haben, ohne dazu befugt gewesen zu sein, und soll dieses auf ihrem Smartphone gespeichert haben. Am 03.09.2019 sowie am 09.09.2019 soll die Angeschuldigte gegenüber der Zeugin XXX angekündigt haben, dass sie das gedrehte Video Dritten zugänglich machen werde, indem sie es dem Jugendamt, RTL oder dem Schulministerium zukommen lasse, um „über die Missstände an der Schule zu informieren“.
5Hintergrund der vorgenannten Auseinandersetzung soll gewesen sein, dass die Angeschuldigte eine Tochter mit einer Behinderung hat und sie diese bis zur Schulklasse gebracht haben soll, was immer wieder zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zwischen der Angeschuldigten und dem Lehrpersonal bzw. den Schülern geführt haben soll.
6Am 10.09.2019 hat die Zeugin XXX bei der Kreispolizeibehörde XXX Strafanzeige erstattet und hierbei die Vorfälle vom 03.09. und vom 09.09.2019 geschildert. Ferner gab die Zeugin an, dass die Beschuldigte am 10.09.2019 der Zeugin mitgeteilt habe, „sie werde schon sehen, was sie davon hat“. Die Zeugin XXX hat am 10.09.2019 gegenüber der Polizei XXX einen von ihr unterzeichneten Strafantrag wegen „Bedrohung“ gestellt.
7Am 26.09.2019 ist die Zeugin XXX von dem Zeugen KHK XXX vernommen worden. Im Rahmen ihrer Vernehmung gab die Zeugin an, die Angeschuldigte habe ihr gegenüber gesagt, sie sei unfähig und unprofessionell und müsse als Rektorin weg von der Schule. Weiter habe die Angeschuldigte gesagt, dass ihr die Kinder der Zeugin leid täten, weiter habe sie geäußert, die Zeugin und ihre Familie zu verfluchen, sie wünsche ihr, dass ihre Kinder auch im Rollstuhl sitzen. Weiter hat die Zeugin angegeben, dass sie die Äußerung der Angeschuldigten, sie werde schon sehen, was passiere, als Bedrohung empfinde und dies auch anzeigen wolle, daher habe sie Strafantrag gestellt, auch wenn ihr gesagt worden sei, dass dies möglicherweise nicht den Straftatbestand des § 241 StGB verwirkliche.
8Am 26.09.2019 ist ferner die Zeugin XXX zu dem Vorfall vernommen. Sowohl bei der Vernehmung der Zeugin XXX als auch derjenigen der Zeugin XXX ist unklar geblieben, ob die Auseinandersetzung zwischen der Angeschuldigten und der Zeugin XXX von Dritten mitgehört worden ist, ebenso ist unklar geblieben, wo genau und unter welchen äußeren Gegebenheiten das Gespräch geführt wurde.
9Mit Verfügung vom 09.10.2019 hat die Staatsanwaltschaft XXX das Verhalten der Angeschuldigten als Straftat nach §§ 201, 201a StGB gewertet und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Ferner hat die Staatsanwaltschaft bei dem Amtsgericht XXX – Ermittlungsrichter – den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragt. Mit Verfügung vom 08.11.2019 hat die Staatsanwaltschaft den vorgenannten Antrag wegen einer möglichen Strafbarkeit gemäß § 201a StGB auf eine Zwischenverfügung der Ermittlungsrichterin zurückgenommen, jedoch den Antrag im Übrigen aufrechterhalten.
10Mit Beschluss vom 15.11.2019 hat das Amtsgericht XXX – Ermittlungsrichterin – den Durchsuchungsbeschluss antragsgemäß erlassen. Im Rahmen der am 28.11.2019 durchgeführten Durchsuchung der Wohnung der Angeschuldigten wurde das Mobiltelefon der Angeschuldigten der Marke XXX beschlagnahmt.
11Die neue Schulleiterin, die Frau XXX, teilte auf Nachfrage des Zeugen XXX am 28.11.2019 mit, dass wegen möglichen Verstößen der Angeschuldigten gegen das von der Schulleitung ausgesprochene Hausverbot kein Strafantrag gestellt werde.
12Die Angeschuldigte hat im Rahmen ihrer Beschuldigtenvernehmung am 10.12.2019 u.a. angegeben, dass „einige andere Eltern“ bei der verbalen Auseinandersetzung mit der Zeugin XXX dabei gewesen seien.
13Mit Verfügung vom 08.06.2020 hat das Amtsgericht XXX – Strafrichter – die Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft XXX mit dem Bemerken zugeleitet, dass darum gebeten werde, zu versuchen, die von der Angeschuldigten im Rahmen ihrer Vernehmung benannten Zeugen („andere Eltern“) zu ermitteln.
14In der Folgezeit ermittelte der Zeuge KHK XXX die Zeugin XXX sowie den Zeugen XXX. Die Zeugin XXX wurde sodann am 26.06.2020 vernommen. Sie hat angegeben, dass sie die Auseinandersetzung nicht von Anfang an mitbekommen, jedoch gehört habe, wie die Angeschuldigte geschimpft und ein Handy aus der Tasche gezogen und dieses in Richtung der Zeugin XXX gehalten habe. Der Zeuge XXX gab im Rahmen eines am 25.06.2020 geführten Telefonats mit dem Zeugen KHK XXX an, am Tattag nicht in der Schule gewesen zu sein.
15Mit Verfügung vom 03.07.2020 hat das Amtsgericht XXX – Strafrichter – die Anklageschrift der Angeschuldigten und ihrem Verteidiger mit der Frist zur Stellungnahme binnen einer Woche übersandt.
16Mit Schriftsatz vom 31.08.2020 hat der Verteidiger der Angeschuldigten u.a. beantragt, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, weil der Tatbestand des § 201 StGB nicht gegeben sei.
17Mit Verfügung vom 01.09.2020 hat das Amtsgericht XXX – Strafrichter – die Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft XXX zur Stellungnahme zu dem vorgenannten Antrag des Verteidigers der Angeschuldigten übersandt. Die Staatsanwaltschaft XXX hat mit Verfügung vom 08.09.2020 mitgeteilt, dass an der Anklageschrift festgehalten werde.
18Mit Beschluss vom 05.10.2020 hat das Amtsgericht XXX – Strafrichter – die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, dass sich das Gespräch zwischen der Angeschuldigten und der Zeugin XXX nach dem Akteninhalt nicht als „nichtöffentlich“ im Sinne des § 201 StGB darstelle. Sofern eine Mithörmöglichkeit anderer bestehe, könne das Gespräch im Sinne einer „faktischen Öffentlichkeit“ seinen privaten Charakter einbüßen. Die Zeugin XXX habe Äußerungen in einem Umfeld und in einer Tonlage getätigt, bei derer sie mit der Kenntnisnahme durch Dritte habe rechnen müssen (unter Hinweis auf LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019- 2 Qs 111/19).
19Der vorgenannte Beschluss ist der Staatsanwaltschaft XXX am 08.10.2020 zugestellt worden. Mit Verfügung vom 09.10.2020, bei dem Amtsgericht XXX per Fax am 12.10.2020 eingegangen, hat die Staatsanwaltschaft XXX sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt und beantragt,
20den Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 05.10.2010 aufzuheben und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Strafrichter – XXX zu eröffnen.
21Zur Begründung hat die Staatsanwaltschaft XXX u.a. ausgeführt, dass das Gespräch vor Schulbeginn im Schulflur unmittelbar vor einem Klassenraum geführt worden sei, wobei sich auch andere Eltern und Lehrerkollegen im Raum selbst befunden hätten. Es sei fraglich, ob die Tatsache, dass das zwischen der Angeschuldigten und der Zeugin XXX geführte Gespräch aufgrund der Lautstärke oder der Verhaltensweise einer der Beteiligten für Umstehende wahrnehmbar gewesen sei, dieses zu einem öffentlichen Wort mache, weil der Schutzzweck des § 201 StGB unterlaufen werde. Beide Beteiligte hätten die wechselseitigen Aussagen nicht an die Öffentlichkeit gerichtet. Sie hätten „den Raum der Schule“ nicht verlassen.
22Mit Verfügung vom 29.10.2020 hat die Kammer den Verfahrensbeteiligten das Ergebnis der Zwischenberatung mitgeteilt. Ferner ist dem Verteidiger der Beschuldigten die Beschwerdeschrift der Staatsanwaltschaft vom 09.10.2020 übersandt worden.
23Mit Verfügung vom 04.11.2020 hat das Gericht der Polizei XXX die Verfahrensakte übersandt zur ergänzenden Vernehmung der Zeuginnen XXX und XXX zu den genauen Umständen des Gesprächs vom 03.09.2019.
24Die Zeugin XXX hat im Rahmen ihrer Vernehmung am 17.11.2020 angegeben, dass sich das Gespräch zwischen der Angeschuldigten und der Zeugin XXX vor dem Klassenraum zugetragen habe. Sie selbst sei zu der Zeugin XXX gegangen, sie habe das ganze Gespräch mithören können. Zudem habe der Hausmeister neben oder hinter ihr gestanden. Auch die Zeugin XXX hat im Rahmen ihrer Vernehmung am 02.12.2020 angegeben, dass der Hausmeister alles mitbekommen habe. Zudem sei neben der Zeugin XXX noch eine weitere Mutter dabei gewesen.
25Mit Verfügung vom 04.12.2020 sind den Verfahrensbeteiligten die Protokolle der Vernehmungen der Zeuginnen XXX und XXX mit der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche übersandt worden.
26II.
271. Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX ist form- und fristgerecht erhoben worden (vgl. § 311 Abs. 2 StPO). Sie hat darüber hinaus im Ergebnis Erfolg.
28a) Der angegriffene Beschluss ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil dieser nicht ordnungsgemäß erlassen worden ist.
29Der Beschluss ist allerdings nicht wirksam unterzeichnet worden. Zu einer wirksamen Unterzeichnung ist ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug erforderlich, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert (s. hierzu BGH, Urt. v. 07.01.1959 – 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317 = NJW 1959, 734, juris Rn. 10; BGH, Beschl. v. 25.01.2017 – XII ZB 504/15, NJW-RR 2017, 386, juris Rn. 13; BGH, Beschl. v. 20.03.2019 – 3 StR 452/18, juris Rn. 2; BeckOK-StPO/Peglau, Stand: 01.07.2020, § 275 Rn. 25 m.w.Nachw.; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2016, § 275 Rn. 25). Diesen Anforderungen genügt die Unterschrift unter dem angegriffenen Beschluss nicht. Diese besteht augenscheinlich lediglich aus einem Buchstaben, der starke Ähnlichkeit mit dem Buchstaben „S“ hat. Charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen weist sie nicht auf. Das Erscheinungsbild macht nicht deutlich, dass eine volle Unterschriftsleistung und nicht nur ein Namenskürzel (Paraphe) gewollt war, insbesondere weil es an einem hierfür typischen „auslaufenden“ Schriftzug fehlt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10.07.1997 – IX ZR 24/97, NJW 1997, 3380, juris Rn. 11; BGH, Beschl. v. 08.10.1991 – XI ZB 6/91, NJW 1992, 243, juris Rn. 12; BayObLG, Beschl. v. 28.05.2003 – 1 ObOWi 177/03, NStZ-RR 2003, 305, juris Rn. 10 f.).
30Der dargelegte Unterschriftsmangel führt indes nicht dazu, dass der Beschluss nicht wirksam erlassen worden ist. Die Bestimmung des § 275 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf Urteile. Auf Beschlüsse ist sie nicht, auch nicht analog anwendbar. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften (vgl. RG, Urt. v. 03.02.1910 – III 1038/09, RGSt 43, 217, 218; BGH, Urt. v. 14.02.1985 – 4 StR 731/84, StV 1985, 355, juris Rn. 11; BayObLG, Beschl. v. 27.06.1989 – RReg. 4 St 34/89, NStZ 1989, 489 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.1983 – 1 Ws 668/83, MDR 1984, 164; Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 275 Rn. 43; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2014, § 33 Rn. 21; Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl. 2016, § 33 Rn. 13; BeckOK-StPO/Larcher, Stand: 01.07.2020, § 33 Rn. 4; KK-StPO/Maul, 8. Aul. 2019, § 33 Rn. 4). Dass es sich bei dem angegriffenen Beschluss nicht um einen bloßen Entwurf handelt und dieser von dem zur Entscheidung berufenen Richter stammt, also eine ordnungsgemäße Beschlussfassung erfolgt ist (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 29.09.2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225; BayObLG, Beschl. v. 27.06.1989 – RReg. 4 St 34/89, NStZ 1989, 489, 490), unterliegt nach Aktenlage keinem Zweifel.
31b) Der angegriffene Beschluss ist jedoch deshalb aufzuheben, weil das Amtsgericht zu Unrecht einen hinreichenden Tatverdacht wegen einer Straftat verneint hat.
32(1) Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist. Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert. Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind. Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz „in dubio pro reo“ ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zwar grundsätzlich noch kein Raum, jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird (vgl. zum Ganzen KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 203 Rn. 3 ff.).
33(2) Unter Zugrundelegung dessen kann nach dem derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens ein hinreichender Tatverdacht i.S. des § 203 StPO nicht verneint werden.
34(a) Soweit die Staatsanwaltschaft XXX in der zugrunde liegenden Anklageschrift davon ausgeht, dass sich die Angeschuldigte einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht habe, ist das Amtsgericht allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass ein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit der Angeschuldigten zu verneinen ist. Jedenfalls nach dem Ergebnis der von der Kammer veranlassten Nachermittlungen ist davon auszugehen, dass die von der Angeschuldigten (mutmaßlich) angefertigten Aufnahme des von der Zeugin XXX gesprochenen Wortes nicht als „nichtöffentlich“ im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB angesehen werden kann. Allerdings ist umstritten, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist.
35Das Landgericht München I hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens die auch von der Staatsanwaltschaft XXX geteilte Auffassung vertreten, dass von einer Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes bereits dann ausgegangen werden kann, wenn die von dem Äußernden gesprochenen Worte ausschließlich an eine einzelne Person gerichtet gewesen sind und nicht an die Allgemeinheit (vgl. LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, juris Rn. 22 zu Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen eines Einsatzes). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte die Angeschuldigte zweifelsohne den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Sowohl nach der Einlassung der Angeschuldigten als auch den Angaben der Zeugin XXX waren die aufgezeichneten Worte ausschließlich an die Angeschuldigte gerichtet.
36Demgegenüber hat das Landgericht Kassel im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, dem die Beschlagnahme eines Mobiltelefons zugrunde gelegen hatte, die auch vom Amtsgericht in der zugrundeliegenden Entscheidung geteilte Auffassung vertreten, dass die bei einer Unterredung im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle gesprochenen Worte zwar grundsätzlich nicht an die Allgemeinheit gerichtet, also nicht für einen über einen durch persönliche und sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinausgehenden Hörerkreis bestimmt sind, was der gängigen Definition des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entspreche. Allerdings könne das Vorhandensein einer „faktischen Öffentlichkeit“ der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen; dies sei namentlich dann der Fall, wenn die Äußerung unter Umständen erfolge, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden müsse. Denn entscheidend seien die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Abzustellen sei dabei auf solche Umstände, die für diejenigen Personen, deren Kommunikation betroffen sei, auch offen zu erkennen seien (vgl. LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 7-10; ebenso Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3109 f.). Demgegenüber dürfte es entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdeschrift nicht darauf ankommen, ob die Äußerungen den "Raum der Schule" verlassen haben.
37Die Kammer teilt die Auffassung des Landgerichts Kassel, weil sie nicht nur dem Willen des Gesetzgebers entspricht, sondern – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft – auch dem Schutzzweck der Norm Rechnung trägt. Mit der Regelung will der Gesetzgeber die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes schützen. Sie ist Teil der Persönlichkeitssphäre des Menschen, des Bereichs privater Lebensgestaltung des einzelnen, die in ihrem Kern durch Art. 1 und 2 Abs. 1 GG absolut geschützt sind. Private Gespräche müssen geführt werden können frei von Argwohn und frei von der Befürchtung, dass deren heimliche Aufnahme ohne die Einwilligung des Sprechenden oder gar gegen dessen erklärten Willen verwertet wird (vgl. LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 201 Rn. 2). Bei der Auslegung des Merkmals „nichtöffentlich“ ist von diesem Schutzzweck der Vorschrift auszugehen. Der einzelne soll in der Unbefangenheit seines Wortes dann besonders geschützt werden, wenn er keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren. Maßgebend sind demnach grundsätzlich die Vorstellungen des Sprechenden. Äußert sich der Sprechende in einem Bereich, in dem er damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der „Öffentlichkeit“ gelangen, macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich lediglich an eine bestimmte Person wendet (vgl. zutreffend LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 201 Rn. 7). Demgegenüber will § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht jedes gesprochene Wort schützen, weshalb die entgegenstehende Auffassung des LG München I deutlich über den Schutzzweck der Vorschrift hinausgeht und für eine derart extensive Auslegung des Begriffs „nichtöffentlich“ auch kein Bedürfnis besteht.
38Unter Zugrundelegung dieser Auffassung hat das von der Angeschuldigten (vermeintlich) aufgezeichnete Gespräch zwischen ihr und der Angeschuldigten in einer "faktischen Öffentlichkeit" stattgefunden. Von einer solchen kann allerdings nicht schon dann ausgegangen werden, wenn die Äußerungen in einem öffentlich zugänglichen Raum (hier: Flur in einem Schulgebäude) und im „Beisein“ anderer Personen (hier: „anderer Eltern“) erfolgen. So fehlt es an einer „faktischen Öffentlichkeit“, wenn die Äußerung zwar in einem öffentlichen Raum, aber außer Hörweite anderer Beteiligter erfolgt (vgl. Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3110 in Fn. 18). Dass sich unbeteiligte Dritte in Sichtweite des Geschehens aufgehalten haben, begründet noch keine „faktische Öffentlichkeit“, da es für die Beurteilung der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes auf die akustische, nicht dagegen allein auf die visuelle Wahrnehmbarkeit ankommt (anders wohl Ullenboom, a.a.O.). Jedenfalls nach dem Ergebnis der von der Kammer veranlassten Nachvernehmung der Zeuginnen XXX und XXX ist aber davon auszugehen, dass das Gespräch für die Zeugin XXX erkennbar in Anwesenheit mehrerer Personen, namentlich der Zeugin XXX, des Hausmeisters sowie einer Mutter – mutmaßlich der Zeugin XXX – stattgefunden hat. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Zeugin XXX nach den objektiv gegebenen Umständen ersichtlich nicht sicherstellen konnte, dass ihre Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer wahrgenommen wird. Insbesondere war für sie ohne Weiteres erkennbar, dass sie sich in einem solchen Rahmen nicht völlig unbefangen und vertraulich äußern kann (vgl. Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3110; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 201 Rn. 4; MünchKomm-StGB/Graf, 3. Aufl. 2017, § 201 Rn. 18; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl. 2019, § 201 Rn. 9; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 201 Rn. 7; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Bosch, StGB, 4. Aufl. 2018, § 201 Rn. 3; ähnlich SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 201 Rn. 11).
39(b) Gleichwohl besteht insoweit ein hinreichender Tatverdacht, als die Angeschuldigte sich anderweitig strafbar gemacht haben könnte. Zwar greift § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht, weil weder ein „nichtöffentlich“ gesprochenes Wort aufgezeichnet worden ist, noch Anhaltpunkte dafür bestehen, dass die Angeschuldigte ihre Ankündigung wahrgemacht und die Aufzeichnung gebraucht oder einem Dritten zugänglich gemacht hat. Auch liegen die Voraussetzungen des § 201a StGB nicht vor, worauf bereits die Ermittlungsrichterin bei dem Amtsgericht XXX in ihrer Verfügung vom 11.10.2019 hingewiesen hat.
40Jedoch liegt ein hinreichender Tatverdacht bezogen auf eine von der Angeschuldigten gegenüber der Zeugin XXX verwirklichte Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB vor, da die Angeschuldigte gegenüber der Zeugin - wie in der Anklageschrift vom 29.05.2020 aufgeführt - geäußert haben soll, die Zeugin XXX sei „unprofessionell“ und „unfähig“. Darüber hinaus könnten auch die weitergehenden, von der Angeschuldigten vermeintlich gegenüber der Zeugin XXX getätigten Aussagen, diese müsse als Rektorin weg von der Schule sowie die Äußerungen über deren Familie (Bl. 7 GA) als Beleidigung zu verstehen sein. Soweit diese Äußerungen nicht in der Anklageschrift bezeichnet sind, ist dies unerheblich, da alle Äußerungen während des angeklagten Tatgeschehens (§ 264 Abs. 1 StPO) getätigt worden sein sollen. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft in der Abschlussverfügung vom 29.05.2020 keine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 1 StPO vorgenommen. Auch ist unerheblich, ob die Staatsanwaltschaft insoweit einen entsprechenden Verfolgungswillen hatte (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 264 Rn. 36).
41Darüber hinaus liegt nach Auffassung der Kammer ein wirksamer Strafantrag i.S. des § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB vor. Die Zeugin XXX hat einen solchen im Rahmen ihrer Anzeigeerstattung am 10.09.2029 form- und fristgerecht gestellt. Dass der Strafantrag wegen „Bedrohung“ gestellt worden ist, hindert die Wirksamkeit der Antragstellung nicht (vgl. zum Folgenden BGH, Urt. v. 16.01.1951 – 3 StR 45/50, NJW 1951, 368). Es ist nicht erforderlich, dass in dem Strafantrag die Tat als Beleidigung bezeichnet ist, wenn nur der Wille erkennbar ist, dass der Beschuldigte wegen der hinreichend geschilderten Tat nach allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werde. Dies ist, worauf auch die Staatsanwaltschaft XXX in ihrer Verfügung vom 29.05.2020 (Bl. 66 GA) zutreffend ausgegangen ist, der Fall. Die Zeugin XXX hat die Anzeige ersichtlich erstattet, um das von ihr zuvor umfassend geschilderte (vermeintliche) Verhalten der Angeschuldigten strafrechtlich würdigen zu lassen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aufgrund der Angaben der Zeugin XXX im Rahmen ihrer Vernehmung vom 26.09.2019 (Bl. 9 GA). Dort hat die Zeugin ihren bereits bei der Anzeigeerstattung vorhandenen Willen einer strafrechtlichen Verfolgung der Angeschuldigten in der Weise bekräftigt, dass sie den Strafantrag weiter verfolgt wissen wolle, obwohl ihr mitgeteilt worden war, dass die Äußerungen der Angeschuldigten den Straftatbestand des § 241 StGB nicht verwirklichen. Dass die Angeschuldigte und auch der die Anzeige aufnehmende Polizeibeamte PHK XXX das von der Zeugin geschilderte Tatgeschehen rechtlich (offensichtlich) unzutreffend als Bedrohung angesehen haben, ändert nach dem Gesagten an dem bestehenden Verfolgungswillen der Zeugin XXX nichts.
42Ob die (vermeintlichen) Äußerungen der Angeschuldigten im Lichte der Meinungsfreiheit als Beleidigung zu verstehen bzw. – so der objektive Tatbestand des § 185 Alt. 1 StGB verwirklicht sein sollte – als Wahrnehmung berechtigter Interessen i.S. des § 193 StGB anzusehen sein könnten (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 23.09.1993 – 1 BvR 584/93, NZV 1994, 486; BVerfG, Beschl. v. 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272, 283 f. = NJW 1991, 95; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris Rn. 10 m.w.Nachw.; OLG München, Beschl. v. 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18; KG, Urt. v. 12.08.2005 – 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872), ist im Rahmen der Hauptverhandlung zu klären und steht der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts nicht entgegen.
43c) Nach dem Gesagten war der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts XXX aufzuheben und mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zuzulassen, dass statt einer Verurteilung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes eine Verurteilung der Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB in Betracht kommt (vgl. § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO). Anlass gemäß § 210 Abs. 3 Satz 1 StPO zu bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einer anderen Abteilung des Amtsgerichts (vgl. Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 210 Rn. 33) stattzufinden hat, besteht nach Auffassung der Kammer nicht.
442. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten ist nicht veranlasst. Die Kosten- und Auslagentragung im Beschwerdeverfahren folgt vielmehr jener in der Hauptsache.
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