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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der am 01.07.1969 geborene Kläger nimmt die Beklagten aufgrund behauptet fehlerhafter Behandlung nach einem Sturz in Anspruch.
3In der Nacht vom 02.06.2013 auf den 03.06.2013 behandelte die bei der Beklagten zu 1) angestellte Ärztin C2 den Kläger als Kassenpatienten nach einem Sturz im häuslichen Bereich (wahrscheinlich von einer Leiter, die Erinnerung fehlt dem Kläger) im Krankenhaus der Beklagten zu 1), deren Unfallchirurgie von dem Beklagten zu 2) geleitet wird. Dabei war der Kläger – wie schon bei seiner Einlieferung – durchgängig auf einem Spineboard zum Schutz der Wirbelsäule fixiert. Bei einer radiologischen Untersuchung der Wirbelsäule des Klägers konnte mit Ausnahme der Halswirbel die zweite (seitliche) Ebene nicht dargestellt werden. Eine CT-Untersuchung des Schädels ergab die Diagnosen „Felsenbeinfraktur rechts, subdurale Blutung rechts, Subarachnoidalblutung beidseits rechts mehr als links, occipitale Kalottenfraktur links mit möglicher Hirnkontusion“. Es folgte die unmittelbare Überweisung des Klägers in die Klinik für Neurochirurgie der Beklagten zu 3), deren Chefarzt der Beklagte zu 4 ist), zwecks operativer Entlastung des vorhandenen Hämatoms. Die Verlegung wurde telefonisch angekündigt, wobei der genaue Gegenstand des Telefonats umstritten ist. In der Wartezeit bis zur Abfahrt des Rettungsfahrzeuges veranlasste die Ärztin C2 eine groborientierende Abdomensonografie und eine Laborkontrolle.
4Die unmittelbare Ausräumung des Hämatoms sowie die weitere Behandlung bei der Beklagten zu 3) erfolgten durch den Beklagten zu 5) bei komplikationslosem postoperativem Verlauf. Am 11.06.2013 folgte die Rückverlegung in das Krankenhaus der Beklagten zu 1), wo der Kläger bis zum 18.06.2013 weiterbehandelt wurde. Vom 18.06.2013 bis zum 17.07.2013 fand im Hause der Beklagten zu 6) unter Verantwortung der Beklagten zu 7) eine Rehabilitationsbehandlung statt.
5Im Anschluss an die Reha-Behandlung suchte der Kläger das Orthoteam in G auf, wo im Juli 2013 Frakturen LWK1 und LKW2 diagnostiziert wurden.
6Im weiteren Verlauf veranlasste der Kläger die Erstattung von Gutachten der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer F sowie vorprozessual und prozessbegleitend privat eingeholter Gutachten bzw. Ergänzungen: betreffend der Behandlung bei der Beklagten zu 1) und 3) - das Gutachten Prof. Dr. E vom 30.01.2016 für die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer F (Anlage K1), das Gutachten der Gutachterkommission vom 25.01.2017 (Prof. Dr. med. P und Vorsitzender Richter am Landessozialgericht a.D. B, Anlage K2) und - betreffend der Beklagten zu 6) und 7) das Gutachten von Prof. Dr. L2 für die Gutachterkommission vom 26.05.2014 (Anlage K3, siehe auch Anlage K4a: Gutachterkommissionsbescheid vom 06.01.2015 und Anlage K4b: Gutachterkommissionsbescheid vom 12.10.2015) sowie das Gutachten für den MDK von Dr. L, Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie (Erstgutachten vom 18.03.2015, Anlage K5; Zweitgutachten vom 23.02.2016, Anlage K6) und die vorprozessual eingeholten Privatgutachten der Gutachter Prof. Dr. O, Facharzt für Visceral- und Unfallchirurgie, Orthopädie und spezielle Unfallchirurgie (Erstgutachten vom 28.02.2016, Anlage K7; Zweitgutachten vom 30.04.2016, Anlage K8; Drittgutachten vom 21.04.2017, Anlage K9), Prof. Dr. X, ehemaliger Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik J (Gutachten vom 10.08.2017, Anlage K10) und ferner prozessbegleitend das Gutachten von Prof. Dr. X (vom 03.09.2019, Blatt 595 ff. der Akte) und Prof. Dr. N (Gutachten vom 23.08.2019, Blatt 606 ff. der Akte).
7Mit Schreiben vom 07.11.2014 forderte der Kläger den Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 6) mit Fristsetzung zum 25.11.2014 (Anlage K14) und mit Schreiben vom 09.12.2014 die Beklagten zu 1) und 3) mit Fristsetzung zum 30.12.2014 (Anlage K15) erfolglos zur Zahlung eine Schmerzensgeldes in Höhe von 40.000,00 EUR sowie zur Leistung von Schadensersatz auf. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.976,79 EUR beglich die XXX als Rechtschutzversicherer des Klägers.
8Am 01.01.2020 eröffnete das Amtsgericht Z unter dem Aktenzeichen XXX über das Vermögen der Beklagten zu 6) das Insolvenzverfahren (siehe öffentliche Bekanntmachung, in Kopie als Anlage zum Schriftsatz der Prozessbevollmächtigen der Beklagten zu 6) und 7) vom 12.03.2020 (Blatt 799 ff. der Akte).
9Der Kläger behauptet, die Behandler der Beklagten zu 1), 3) und 6) hätten behandlungsfehlerhaft die Frakturen der LWK1 und LWK2 übersehen. Trotz eindeutiger Symptome sei die erforderliche Befunderhebung, insbesondere in Form brauchbarer Röntgendiagnostik bei vollständiger Darstellung der Wirbelsäule nicht durchgeführt worden. Bei der Beklagten zu 6) habe eine Physiotherapeutin ausdrücklich den Verdacht auf Wirbelsäulenbruch geäußert. Eine E-Mail der Physiotherapeutin Frau S an die Beklagte zu 7) vom 27.06.2013 habe ausdrücklich auf die Beschwerden in der Wirbelsäule hingewiesen (Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 04.12.2018, Blatt 227 der Akte). Dies sei ebenso behandlungsfehlerhaft ignoriert worden, wie die von ihm in allen Häusern mitgeteilten Rückenschmerzen. Die bei der Beklagten zu 6) erfolgte Mobilisation sei vor diesem Hintergrund kontraindiziert gewesen.
10Er meint, es lägen "eindeutige" Befunderhebungsfehler, mithin "schwere Behandlungsfehler" vor, mit der Folge der Beweislastumkehr.
11Die Fehldiagnostik habe zu einer Keilwirbelbildung und Höhenminderung bis 30%, zum Achsenknick nach ventral und dazu geführt, dass seine Rückenmuskulatur die biomechanische Mehrbelastung nicht habe kompensieren können. Stattdessen seien die dorsal liegenden Facettengelenke überlastet worden. Bedingt durch die in Fehlstellung verheilte LWK1- und LWK2-Kompressionsfraktur mit ventralen Sinterungen habe er, so der Kläger weiter, einen erheblichen dauerhaften Schaden davongetragen. Es bestehe eine Funktionsblockade im Segment L1 und L2 in Achsenfehlstellung mit Zerstörung des Bandscheibenlagers. Die obere LWS sei in der Beweglichkeit endgradig schmerzhaft eingeschränkt bei Keilwirbelbildung mit reaktiver Muskelweichteilminderung der Musculus erector spinae-Gruppe. Er werde bis heute behandlungsfehlerbedingt konservativ behandelt und leide unter permanenten Schmerzen, die mit Schmerzmitteln behandelt werden müssten. Es sei zu einer Wesensveränderung gekommen. Die Lebensfreude sei ihm verloren gegangen. Das zwischenmenschliche und sexuelle Leben hätten stark gelitten. Die psychische Belastung sei groß. Er könne keine schweren Lasten tragen und sei im Berufsleben stets auf die Hilfe von Kollegen angewiesen. Sportliche Aktivitäten sowie Garten- und Hausarbeiten seien nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Urlaube und Reisen könne er nicht mehr wahrnehmen. Eine Verschlechterung des Zustandes sei nicht auszuschließen. Es sei ein Verdienstausfall in Höhe von 6.670,00 EUR zzgl. Steuern sowie ein dauerhafter monatlicher Haushaltsführungsschaden von 520,00 EUR angefallen.
12Bei rechtzeitiger Befunderhebung, so der Kläger weiter, hätte mit Hilfe eines neurochirurgischen Konsils die Frage nach operativen Maßnahmen und nach geeigneten konservativen Maßnahmen mit dem Ziel der Entgegenwirkung der Keilwirbelbildung eingeholt werden müssen. Wären die Röntgenbilder vom 03.06.2013 rechtzeitig und angemessen fachtraumatologisch mit weiterer Befunderhebung und Bildgebung ergänzt worden, hätte sich daraus mit höchster Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiger Befund ergeben, der wiederum zu einer Therapie geführt hätte, mit der die Keilwirbelbildung hätte verhindert oder in ihrem Ausmaß zumindest eingeschränkt werden können. Im günstigsten Fall, so der Kläger weiter, wäre er heute schmerzfrei und könnte sich normal bewegen.
13Insbesondere unter Berufung auf die Angaben des Privatgutachters Prof. Dr. N behauptet der Kläger ferner, dass bei ordnungsgemäßer Behandlung die Folgeerscheinungen vermieden oder zumindest verbessert worden wären. Insoweit ständen nicht die röntgenologischen Folgen im Vordergrund, sondern die Schmerzen, das chronische Schmerzsyndrom. Bei der Möglichkeit von 33 konservativen Behandlungsmöglichkeiten nach den DGU-Leitlinien (S. 19 - 21, Anlage zum Gutachten Prof. Dr. N, Blatt 663 ff der Akte) spreche es gegen jegliche medizinische Erfahrung, dass eine "Nicht-Therapie", wie sie bei dem Kläger erfolgt sei, das gleiche klinische Endergebnis habe, wie eine Therapieauswahl. Nach klinischer Erfahrung sei es unwahrscheinlich, dass das klinische Ergebnis gleich geblieben wäre. Insoweit beantragt der Kläger die Einholung eines neurologischen und eines schmerzspezifischen Gutachtens. Er ist der Ansicht, Zweifel im Bereich der Kausalität gingen zu Lasten der Beklagten (vergleiche zum Ganzen insbesondere Schriftsatz vom 20.01.2020, Blatt 765 ff. der Akte).
14Er hält vor diesem Hintergrund ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000,00 EUR für angemessen.
15Der Kläger ist schließlich der Auffassung, wenn, wie vorliegend, im Laufe des Verfahrens ein Klinikträger insolvent werde, werde das Verfahren nicht unterbrochen, sondern gegen den Insolvenzverwalter fortgeführt. Insoweit hat der Kläger zunächst mit Schriftsatz vom 26.03.2020 (Blatt 804 der Akte) den Zahlungsantrag hinsichtlich der Beklagten zu 6) auf die Höhe der Versicherungssumme beschränkt (Schadens-Nr.: XXX). Mit Schriftsatz vom 08.06.2020 (Blatt 834 f. der Akte) hat er dann beantragt, dass Passivrubrum betreffend der Beklagten zu 6) dahingehend zu berichtigen, dass zum Insolvenzverwalter Herr Rechtsanwalt Dr. C, L-Straße, XXXXX R berufen ist.
16Der Kläger beantragt - nunmehr hinsichtlich des Beklagten zu 8) mit der Maßgabe, dass eine Verurteilung beschränkt auf die Höhe der Versicherungssumme begehrt wird -,
171. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn aus der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 40.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz, und zwar hinsichtlich der Beklagten zu 6) und 7) seit dem 26.11.2014, hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 5) seit dem 31.12.2014;
182. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr zu zahlen, und zwar in Höhe von 2.976,79 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
193. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab Juni 2013 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
20Die Beklagten beantragen,
21die Klage abzuweisen.
22Die Beklagten zu 1) und 2) behaupten, den Schädel-CT-Befund und sämtliche Röntgenbilder per Teleradiologie an die Neurochirurgie der Beklagten zu 3) übermittelt zu haben. Die dortigen Ärzte seien von der Zeugin C2 telefonisch über die vorliegenden Befunde und die abgeschickten Bilder informiert worden. Bei der telefonischen Anmeldung des Klägers seien alle relevanten Befunde mündlich mitgeteilt worden. Ferner seien die Untersuchungsbefunde einschließlich einer Information zum „Abbruch“ der Wirbelsäulendiagnostik in einem handgeschriebenen Kurzbrief mitgeliefert worden. Dies habe der Beklagte zu 4) im Rahmen eines Gesprächs auf einer gemeinsamen Fortbildung der Beklagten bestätigt.
23Sie behaupten weiter, dass eine ausführlichere Untersuchung des Klägers im Hause der Beklagten zu 1) aufgrund der Notfallsituation nicht indiziert gewesen sei. Anhand der durchgeführten Ultraschalluntersuchung sowie der orientierenden Röntgendiagnostik sei ersichtlich gewesen, dass im Wirbelsäulenbereich keine lebensbedrohlichen Verletzungen vorlagen, die man noch im Krankenhaus der Beklagten zu 1) hätte sanieren müssen und die es gerechtfertigt hätten, einen zwingend möglichst schnellen Transport in die neurochirurgische Universitätsklinik aufzuschieben. Die Lebensrettung des Klägers habe berechtigter Weise im Vordergrund gestanden. Die Röntgenuntersuchung der BWS und LWS in der 2. Ebene habe aufgrund erheblicher Kopfschmerzen und der dadurch bedingten Unruhe des Klägers abgebrochen werden müssen. Eine Fortsetzung der Röntgenuntersuchung hätte eine Sedierung des Klägers erfordert, was aufgrund der unverzüglich gebotenen Verlegung zur neurochirurgischen Ausräumung des Hämatoms zeitlich nicht umsetzbar gewesen sei.
24Unter Berücksichtigung des Verlegungsberichts der Beklagten zu 3) zurück zur Beklagten zu 1) sowie der klinischen und körperlichen Untersuchung des Klägers hätten sich keine Hinweise für Wirbelsäulenschmerzen ergeben, sodass weitere Röntgenuntersuchungen nicht geboten gewesen seien. Das gelte auch, weil der Kläger im weiteren Verlauf nach seiner Rückverlegung nur geringfügige Beschwerden geschildert habe und zwar hinsichtlich des Sehens und einer Hörminderung. Die Beklagten zu 1) und 2) sind der Ansicht, dass sie sich nach Rückkehr aus der Behandlung der Beklagten zu 3) darauf hätten verlassen dürfen, dass dort eine ordnungsgemäße klinische und medizinische Abklärung der Wirbelsäule erfolgt sei, insbesondere weil die Unvollständigkeit der radiologischen Ausgangsuntersuchungen seitens der Beklagten zu 1) mitgeteilt worden sei.
25Jedenfalls, so behaupten die Beklagten zu 1) und 2) weiter, sei das Unterbleiben einer radiologischen Überprüfung nicht kausal für einen fortlaufenden Schaden des Klägers geworden. Die klägerseits geschilderten Schmerzen beruhten, so die Beklagten zu 1) und 2) weiter, auf der Unfallverletzung selbst. Selbst bei Vornahme weiterer Untersuchungen wäre eine operative Sanierung oder eine sonstige konservative Fixierung der Wirbelsäule des Klägers nicht indiziert gewesen.
26Schließlich, so die Ansicht der Beklagten zu 1) und 2), bestünden keinerlei Anhaltspunkte für eine Haftung des Beklagten zu 2). Dessen Position als Chefarzt der unfallchirurgischen Klinik der Beklagten zu 1) reiche für eine Inanspruchnahme nicht aus.
27Die Beklagten zu 3) bis 5) behaupten, dass der Kläger im Rahmen des Aufenthalts bei der Beklagten zu 3) lediglich über Kopf- und allein am 07.06.2018 über Rückenschmerzen geklagt habe. Es habe vor diesem Hintergrund kein Anlass zur Erhebung weiterer Befunde bestanden. Selbst wenn die erlittenen Frakturen erkannt worden wären, hätte dies kein reaktionspflichtiges Ergebnis dargestellt. Weitere als die im Hause der Beklagten zu 3) durchgeführten Maßnahmen seien auch dann nicht geboten gewesen. Sie bestreitet außerdem die Kausalität einer etwaigen Unterlassung, weil die Frakturen weder chirurgisch noch - über vermehrte Bettruhe, Schonung und Schmerzmedikation hinausgehend - konservativ behandlungsbedürftig gewesen seien. Diese Maßnahmen seien zwangsläufig durch die Nachbehandlung des Schädelhirntraumas erbracht worden. Fortdauernde Rückenschmerzen nach kurzer Belastung seien dem Sturz auf den Rücken anzulasten, da sich aufgrund der Frakturen und des Deckplatteneinbruchs auch die Statik der Wirbelsäule etwas verändert habe. Ein irgendwie gearteter kausaler Schaden sei somit nicht anzunehmen.
28Die Beklagten zu 3) bis 5) sind der Ansicht, dass ein Fall der horizontalen Arbeitsteilung vorliege. Danach hätten sie sich auf die telefonische Information seitens der Beklagten zu 1), wonach die spinale Achse des Klägers ohne Befund gewesen sei, verlassen dürfen. Gleiches gelte aufgrund einer Information aus dem Verlegebericht, wonach eine Sonographie des Rumpfes ohne Befund geblieben und beim Röntgen der HWS, BWS und LWS keine Fraktur erkennbar gewesen sei, was sich aus dem daneben geschriebenen Kürzel "a.p." ergebe (Blatt 64 der Akte). Dem Kläger sei anlässlich der Verlegung einzig eine CD mit Aufnahmen des Kopfes mitgegeben worden. Insbesondere ein Arztbericht aus dem Hause der Beklagten zu 1) zu Händen der Hausärztin des Klägers sei den Behandlern der Beklagten zu 3) nicht bekannt geworden. Es habe vor diesem Hintergrund kein Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der mitgeteilten Diagnosen gegeben.
29Gründe für eine Mithaftung der Beklagten zu 4) und 5) seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere reiche die Stellung des Beklagten zu 4) als Chefarzt zur Haftungsbegründung nicht aus.
30Jedenfalls hätten die Beklagten zu 1) und 2) als Erstschädiger für alle Schadensfolgen aufzukommen. Ein fulminanter Behandlungsfehler zulasten der Beklagten zu 3) bis 5), der allein geeignet sei, den Haftungszusammenhang zu unterbrechen, sei nicht ersichtlich.
31Die Beklagten zu 3) bis 5) bestreiten schließlich die Aktivlegitimation des Klägers hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.976,79 EUR.
32Die Beklagten zu 6) und 7) behaupten, dass die Rehabilitationsbehandlung lege artis erfolgt sei. Sie sind der Ansicht, dass sie sich im Rahmen der Rehabilitationsbehandlung des Klägers ohne weiteren Hinweis der Vorbehandler darauf hätten verlassen dürfen, dass die wesentliche Diagnostik, die Aufgabe der akutklinischen Krankenbehandlung sei, bereits erfolgt war. Das gelte auch, weil der Verlaufsbericht keine Empfehlungen zu weiteren Kontrollen im Wirbelsäulenbereich enthalten habe.
33Der Kläger habe allein bei der Aufnahme in die Reha über LWS-Beschwerden geklagt, die er auf das lange Liegen zurückgeführt habe. Die Beklagte zu 1) habe diesbezüglich eine schmerzdämpfende Medikation empfohlen, die in Absprache mit dem Kläger im weiteren Verlauf langsam reduziert worden sei. Dieser habe bei sämtlichen Visiten und Gesprächen keine spezifischen Beschwerden, insbesondere keine starken Rückenschmerzen geäußert. Es hätten sich während des gesamten Aufenthaltes keine Anhaltspunkte für eine sich verändernde bzw. verstärkende Schmerzsymptomatik gezeigt. Eine aufgrund der Strahlenbelastung potentiell schädliche Röntgendiagnostik sei daher nicht indiziert gewesen.
34Jedenfalls sei ein Diagnose- bzw. Befunderhebungsmangel nicht kausal für die klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen geworden. Es sei bestenfalls zu einer Verzögerung der Heilbehandlung gekommen. Die verletzten Wirbelkörper seien ohnehin konservativ zu behandeln gewesen. Eine andere, als die bei der Beklagten zu 6) durchgeführte Therapie sei mithin nicht erforderlich gewesen.
35Die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten seien nicht zu ersetzen, weil es an den Voraussetzungen des Verzuges fehle. Im Übrigen sei der Kläger mit Blick auf die bestehende Rechtsschutzversicherung nicht aktivlegitimiert.
36Der Beklagte zu 8) wendet ein, dass dem Kläger Ansprüche gegen ihn als Insolvenzverwalter der Beklagten zu 6) schon deshalb nicht zustünden, weil ein Anspruch gegen die Beklagte zu 6) als Gemeinschuldnerin nicht bestehe. Hierzu verweist er vollumfänglich auf die Ausführungen der Beklagten zu 6), einschließlich sämtlicher prozessualer Erklärungen und Beweisangebote, die er sich vollumfänglich zu Eigen macht.
37Des Weiteren wendet er ein, nach dem Vorbringen des Klägers, wonach das Verfahren aus einem Aussonderungsrecht ipso iure gegen den Insolvenzverwalter fortzuführen sei, sei er schon mangels Massebezug nicht passivlegitimiert.
38Ferner führt er aus, dass der Kläger vielmehr als Geschädigter ein Recht auf abgesonderte Befriedigung an einem etwaigen Freistellunganspruch gemäß § 110 VVG haben könnte, den er direkt, also ohne Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend machen könne (vgl. BGH, Urt. v. 18.07.2013 - IX ZR 311/12). Dies sei aber nur statthaft, wenn er den von ihm behaupteten Anspruch auf die tatsächliche Leistung der Haftpflichtversicherung beschränke. Eine Zahlung könne ein Geschädigter von ihm als Insolvenzverwalter also nur fordern, wenn eine Entschädigungsforderung überhaupt realisiert werden kann und diese den behaupteten, auf Geldzahlung gerichteten Anspruch sowie die vorab zu berichtigenden Feststellungs- und Verwertungskosten gem. §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 InsO mit abdeckt. Hierfür müsse der Kläger folglich die erforderlichen Beschränkungen seiner Klageanträge konkretisieren.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
40Das Gericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die mit der Klageschrift angekündigten Anträge insoweit bestehen, als der Feststellungsantrag zu 3) auch den Ersatz aller vergangenen materiellen Schäden erfasst, obwohl insoweit bereits ein bezifferter Antrag angekündigt wird.
41Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung zweier Sachverständigengutachten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2020 (Bl. 882 ff. d. A.) sowie auf die schriftlichen Gutachten des fachorthopädischen / unfallchirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. med. A vom 21.07.2019 (Bl. 482 ff. d. A.) und des neurochirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. med. Y vom 21.11.2019 (Bl. 697 ff. d. A.) Bezug genommen.
42Entscheidungsgründe
43I.
44Der Kläger kann seinen behaupteten Anspruch gegen die Beklagte zu 6), nachdem der Rechtsstreit (nur) gegen diese zunächst durch deren Insolvenz kraft Gesetzes gemäß § 240 ZPO unterbrochenen war, im Wege der Aufnahme dieses Rechtsstreit nunmehr durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter, beschränkt auf Leistung aus der Versicherungsforderung (sein Recht auf abgesonderte Befriedigung gemäß § 110 VVG), geltend machen (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.1989 - VI ZR 146/88 = NJW-RR 1989, 918; Urt. v. 18.07.2013 - IX ZR 311/12 = NZI, 2013, 886; vgl. auch Prölls/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, Kommentierung zu § 110 m.w.N.).
45II.
46Die Klage ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.
471.
48Der Feststellungsantrag zu 3) ist teilweise unzulässig, nämlich soweit der Kläger diesen betreffend des materiellen Schadens nicht eingeschränkt hat, obwohl er mit vorliegender Klage mit dem Antrag zu 2) materiellen Schadensersatz mit bezifferten Anträgen geltend macht. Insoweit ist die Leistungsklage vorrangig, der Feststellungsantrag wäre auf "weitere" Schäden zu begrenzen gewesen.
492.
50Dem Kläger steht gegen die Beklagten weder aus §§ 630a, 280 Absatz 1 BGB noch aus §§ 823 Absatz 1, 831 Absatz 1 BGB noch aus einem sonstigen Rechtsgrund ein Schmerzensgeldanspruch wegen der Behandlungen nach dem Unfallereignis Anfang Juni 2013 zu.
51Denn ein etwaiges behandlungsfehlerhaftes Verhalten der behandelnden Ärzten der Beklagten zu 1), der Beklagten zu 3), dort insbesondere des Beklagten zu 5) sowie im Hause der Beklagten zu 6), dort insbesondere der Beklagten zu 7) hat nach der durchgeführten Beweisaufnahme jedenfalls nicht zu einer Schädigung der Gesundheit des Klägers geführt.
52Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 4), die der Kläger jeweils ausschließlich als Chefärzte der jeweils behandelnden Abteilung in Anspruch nimmt, ist darüber hinaus jeweils schon mangels der Darlegung konkreter Versäumnisse, auch aus dem Bereich etwaiger Organisationspflichten, nicht begründet.
53Die Klage gegen den Beklagen zu 8) ist jedenfalls unbegründet und zwar jedenfalls mangels Anspruchs gegen die Gemeinschuldnerin, die Beklagte zu 6), sowie gegen die Beklagte zu 7).
54a)
55Ein Arzt ist gemäß § 630a BGB verpflichtet, den Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu behandeln. Gemessen hieran bezeichnet der Begriff des ärztlichen Behandlungsfehlers daher im umfassenden Sinn das nach dem jeweiligen Stand der Medizin unsachgemäße und schädigende Verhalten des Arztes. Ein Arzt muss grundsätzlich diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden (BGH, Urteil vom 16.05.2000 – VI ZR 321/98). Dabei ist auf den medizinischen Standard zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung beziehungsweise Untersuchung abzustellen. Die erforderlichen Maßnahmen umfassen dabei auch die Erhebung notwendiger Befunde. Die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers trifft grundsätzlich den Patienten (BGH, Urteil vom 14.02.1995 – VI ZR 272/93).
56b)
57aa)
58Gemessen hieran ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. A und Prof. Dr. Y, die ihre Auffassungen jeweils ausführlich, umfassend und gut nachvollziehbar sowie unter sorgfältiger Auswertung der Krankenunterlagen begründet haben, davon auszugehen, dass ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen auf Seiten der behandelnden Ärzte der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 3), insbesondere durch den Beklagten zu 5) sowie auch im Hause der Beklagten zu 6), vorliegt. Es hätten nämlich bei der Beklagten zu 3) sowie bei der Beklagten zu 1) jedenfalls nach der Rückverlegung des Klägers seitliche Röntgenaufnahmen der LWK und / oder ein CT erfolgen müssen. Darin hätte man die Fraktur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erkannt. Auch im Hause der Beklagten zu 6) hätte zumindest aufgrund der Schmerzangaben des Klägers im betroffenen Bereich eine Abklärung erfolgen müssen.
59bb)
60Diese Befunderhebungsfehler haben aber nicht zu einem zurechenbaren Schaden geführt. Auch bei ordnungsgemäßer Befunderhebung, Diagnostik etc. wäre die Behandlung nicht relevant anders verlaufen, wären die gesundheitlichen Einschränkungen und Schmerzen des Klägers in der Folge und bis heute nicht weniger gewesen. Die eingetretenen Schmerzen und Einschränkungen, die erforderliche Behandlung und Rehabilitation sind nicht der fehlerhaft unterbliebenen Befunderhebung geschuldet, sondern schicksalhafte Folge des Unfallgeschehens. Denn auch bei einer völlig fehlerfreien Behandlung, insbesondere Befunderhebung wäre der Zustand des Klägers im Laufe der Behandlung und bis heute nicht besser gewesen. Auch in diesem Fall wäre insbesondere weder eine operative Behandlung noch eine Behandlung durch Korsett angezeigt gewesen, jedenfalls aber hat das Unterbleiben der Anlage eines Korsetts für den Kläger keine Auswirkungen gehabt.
61Nach den überzeugenden, insbesondere nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Ausführungen der Sachverständigen lag eine A1-Fraktur vor, weil im Wesentlichen die Deckplatte und die Vorderkante betroffen waren, aber keine wesentliche Beteiligung der Hinterkante und der Bandstrukturen vorlag.
62Eine solche wird nach dem Stand der Medizin grundsätzlich weder operiert noch mit einem Korsett behandelt. Der Kläger wäre gleichermaßen mobilisiert und schmerzangepasst behandelt worden. Soweit die Sachverständigen angegeben haben, dass man ihm von bestimmten Bewegungen und therapeutischen Übungen abgeraten hätte, ist weder vorgetragen, durch die Gutachter festgestellt, noch sonst ersichtlich, dass solche Bewegungen und Übungen erfolgt sind. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Wirbelsäule des Klägers zum Zeitpunkt des Antritts der Reha keine nennenswerte Instabilität aufwies und es auch nicht aufgrund der Übungen zu einem Nachsacken gekommen ist. Denn die nach Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. A damit einhergehenden starken Schmerzen (Seite 5 des Protokolls der Sitzung vom 09.12.2020, Blatt 885 der Akte) hat der Kläger weder konkret dargelegt noch ergeben sich solche aus den Behandlungsunterlagen. Mangels Vorliegens eines groben Befunderhebungsfehlers oder den sonstigen Voraussetzungen im Rahmen eines Befunderhebungs- oder sonstigen Fehlers, ist auch keine Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr gegeben (siehe dazu unten cc) und dd)). Eine Operation wäre evtl. indiziert gewesen, wenn man den Kläger aufgrund von Schmerzen nicht hätte mobilisiert bekommen, was aber unstreitig nicht der Fall war. Auch die Betroffenheit von zwei Segmenten macht für sich genommen keine operative Behandlung notwendig. Anderes würde gelten, wenn der Patient zu große Schmerzen hat oder es zu einem Absinken der Wirbelsäule kommt, also der Kyphosewinkel über 20 Grad liegt. Beides war vorliegend nicht der Fall. Die vom Kläger angegebenen Schmerzen konnten adäquat mit Schmerzmitteln behandelt werden. Eine Mobilisierung war möglich. Die Schmerzmedikation konnte auch über die Bewegungen in der Reha sukzessive ausgeschlichen werden. Bei Entlassung nahm der Kläger nur noch ein schwach wirksames Schmerzmedikament. Auch der Kyphosewinkel, also eine Krümmung der Wirbelsäule in der Seitenansicht, liegt unter 20 Grad. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. A ausführt, dass es denkbar ist, dass sich dieser von ursprünglich vielleicht 10 Grad auf 15 Grad verschlechtert hat, ist eine zurechenbare Verursachung durch den Befunderhebungsfehler nicht festzustellen. Denn dies kann, wie der Sachverständige ausführt, ohnehin auch bei ordnungsgemäßer Behandlung einer solchen Fraktur passieren (S. 4 des Protokolls der Sitzung vom 09.12.2020, Blatt 885 der Akte). Auch in diesem Fall wäre überdies eine Operation mangels Erreichen oder Überschreiten der 20-Grad-Grenze nicht indiziert gewesen. Erfahrungsgemäß macht sich nämlich eine Kyphose erst dann funktionell bemerkbar; ist sie darunter gut tolerabel, vielfach wird sie gar nicht bemerkt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Probleme des Klägers auf die posttraumatische Bandscheibendegeneration zurückzuführen sind. Diese ist aber allein aufgrund des Unfalls eingetreten. Auch eine etwaige Vergrößerung des Kyphosewinkels im genannten Rahmen hätte darauf keine Auswirkungen gehabt (S. 4 des Protokolls der Sitzung vom 09.12.2020, Blatt 885 der Akte; zum Ganzen auch das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. A vom 21.07.2020, Blatt 482 ff der Akte; und das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Y vom 21.11.2019, Blatt 697 ff. der Akte). Beweiserleichterungen kommen dem Kläger wiederum nicht zu Gute (siehe dazu unten cc) und dd)). Wobei es überdies schon an einem entsprechenden Tatsachenvortrag, der dem Kläger insoweit auch unter Berücksichtigung der den Besonderheiten des Arzthaftungsrechts geschuldeten Erleichterungen möglich und zumutbar gewesen wäre, fehlt.
63cc)
64(1)
65(1.1.) Der Patient hat grundsätzlich den Ursachenzusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden nachzuweisen. Dabei ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutsverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das ein für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität, und damit der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für alle weiteren (Folge-)Schäden, einschließlich der Frage einer fehlerbedingten Verschlimmerung von Vorschäden, richtet sich hingegen nach § 287 ZPO; hier kann zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 – VI ZR 221/06 –, juris, m.w.N.).
66In Arzthaftungsprozessen kommt indes eine Beweislastumkehr in Betracht, wenn der Beweis des Ursachenzusammenhangs von dem hierfür grundsätzlich beweispflichtigen Patienten nicht geführt werden kann. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis bei groben Behandlungsfehlern grundsätzlich nur Anwendung finden, soweit durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsbeschädigungen in Frage stehen. Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden), die erst durch den infolge des Behandlungsfehlers eingetretenen Gesundheitsschaden entstanden sein sollen, gelten sie nur dann, wenn der Sekundärschaden eine typische Folge der Primärverletzung ist (BGH, Urteil vom 12. Februar 2008 – VI ZR 221/06 –, juris).
67Ein Behandlungsfehler ist dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, Urt. v. 20.09.2011 - VI ZR 55/09, juris Rn. 10, m.w.N.).
68Bei einem Befunderhebungsfehler - wie er hier vorliegt - reicht es für die Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden aus, dass die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt. Das Unterlassen der gebotenen Therapie ist im Falle der Nichterhebung medizinisch gebotener Befunde nicht Voraussetzung für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers mit der Folge der Beweislastumkehr zugunsten des Patienten (BGH, Urt. v. 29.09.2009 - VI ZR 251/08, juris Ls, Rn. 8 f., m.w.N.).
69(1.2.) Die vorliegend jeweils feststellbaren Befunderhebungsfehler erweisen sich jeweils auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nicht als grobe Behandlungsfehler.
70In Übereinstimmung mit den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen ist betreffend der Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) zunächst davon auszugehen, dass die notfallmäßige Behandlung am 03.06.2023 frei von Behandlungsfehlern erfolgte. Insbesondere war es richtig, die weitere Befunderhebung betreffend der Wirbelsäule abzubrechen und den Kläger zunächst zur neurochirurgischen Behandlung der lebensgefährlichen intrakraniellen Blutung ins Klinikum zu verlegen (schriftliches Gutachten Prof. Dr. A 41 f., Blatt 522 f. der Akte).
71Nach der Rückverlegung (11.06. bis 18.06.2013) stellen die gerichtlichen Sachverständigen hingegen einen Befunderhebungsfehler fest. Hier hätte nachvollzogen werden müssen, ob und inwieweit ihre initial nicht komplettierte Diagnostik (HWS, BWS, LWS von vorne, seitlich nur HWS) im UKA komplettiert worden ist. Die seitliche Röntgenaufnahme sei angezeigt gewesen und hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Fraktur der LWK1 und LWK2 gezeigt. In der Folge hätte sich das Erfordernis einer weiteren Befunderhebung mittels CT, nicht aber MRT ergeben (schriftliches Gutachten Prof. Dr. A 43 f., 524 der Akte; vgl. auch schriftliches Gutachten Prof. Dr. Y, Blatt 715 der Akte).
72Auch den Behandlern der Beklagten zu 3) hätte es oblegen, die weiterführenden Röntgenaufnahmen oder eine Wirbelsäulencomputertomografie zu erstellen. Zunächst war es zwar richtig, die Kopfverletzung in den Vordergrund zu stellen. In der Folge hätte aufgrund des Sturzereignisses die beim erstaufnehmenden Krankenhaus nicht komplettierte Untersuchung der Wirbelsäule fortgeführt werden müssen. Die zweite Aufnahme im seitlichen Strahlengang ist Standard. Dass diese nicht vollständig war, ergab sich für die Beklagte auch aus dem Verlegungsbrief (Blatt 356 f. der Akte): "LWS: Eine seitliche Aufnahme war bei Schmerzen nicht möglich." (schriftliches Gutachten Prof. Dr. Y, Blatt 715 der Akte; vgl. auch Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A in der Sitzung, Protokoll S. 3, Blatt 896 der Akte). Soweit die Beklagte zu 3) sich auf den handschriftlichen "vorläufigen Arzbericht" (Blatt 325 der Akte) mit der Angabe "a.p." beruft (Blatt 64 der Akte) ergibt sich nichts abweichendes. Das Röntgen der HWS blieb demzufolge nicht ohne Befund, sondern erfolgte nur auf der a.p.-Ebene (anterior-posterior), nicht von der Seite (vgl. S. 42 f., Blatt 523 f. des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. A).
73Nach den gerichtlichen Sachverständigen ist schließlich auch den Behandlern in der Rehaklinik der Beklagten zu 6) die unterlassene Befunderhebung zum Vorwurf zu machen, da auch hier aufgrund der vorliegenden Unterlagen die Unvollständigkeit der Wirbelsäulendiagnostik bekannt war bzw. hätte bekannt sein können und müssen. Spätestens mit dem Hinzutreten von Beschwerden, der Kläger schilderte Schmerzen im Übergangsbereich BWS/LWS (S. 2 des Entlassungsberichts), war auch hier die Einleitung einer weiterführenden Diagnostik angezeigt (vgl. S. 53, Blatt 534 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. A; vgl. schriftliches Gutachten Prof. Dr. Y, Blatt 715 f. der Akte).
74Die Befunderhebungsfehler sind aber jeweils nur als einfache Fehler einzustufen. Die Sachverständigen Prof. Dr. A und Prof. Dr. Y haben das Unterlassen der weiteren Befunderhebung jeweils aus medizinischer Sicht als einfache Befunderhebungsfehler eingestuft (schriftliches Gutachten Prof. Dr. A, S. 56, Blatt 537 der Akte; schriftliches Gutachten Prof. Dr. Y, Blatt 718 der Akte). Unter den gegebenen Umständen sei es vielmehr gut nachvollziehbar, dass den Ärzten in den jeweiligen Kliniken diese Befunderhebungsfehler unterlaufen sind. Diese seien verständlich (S. 56 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. A, Blatt 537 der Akte).
75Dem schließt sich die Kammer aus rechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der oben aufgeführten rechtlichen Grundsätze zum groben Befunderhebungsfehler an. Das Unterlassen der weiteren Röntgen-(oder CT-)diagnostik ist unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls nicht als schlechterdings unverständlich zu bewerten. Insoweit ist es den Beklagten primär vorzuwerfen, dass sie sich jeweils auf die Vorbehandler verlassen haben ohne zu überprüfen, ob die notwendigen Befunde tatsächlich erhoben worden sind. Insoweit ist bei der Beklagten zu 3) u.a. zu berücksichtigten, dass der Kläger mit einer potentiell tödlichen, zur Verursachung schwerster Hirnschäden geeigneten Kopfverletzung und deshalb zur vordringlich angezeigten Behandlung dieser aus einem vorbehandelnden Krankenhaus verlegt wurde, wo bereits eine Erstdiagnostik mit u.a. Röntgenuntersuchungen erfolgt waren. Betreffend der Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) nach der Rückverlegung ist u.a. zu berücksichtigen, dass der Kläger zwischenzeitlich bei einem "Vollversorger" behandelt worden ist und bei der Verlegung dorthin im Bericht die fehlende Komplementierung angegeben worden ist. Erst Recht kann den Beklagten zu 6) und 7) nicht der Vorwurf eines groben Befunderhebungsfehlers gemacht werden, nachdem der Kläger aus seiner Behandlung in zwei Krankenhäusern überwiesen worden war. Anzeichen für starke und / oder sich verstärkende Schmerzen gab es nach den Behandlungsunterlagen in allen Häusern nicht und sind auch nicht konkret vorgetragen. Vielmehr konnte die Schmerzmittelgabe fortlaufend reduziert werden.
76(2)
77Schließlich ergibt sich vorliegend auch keine Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers aus den einfachen Befunderhebungsfehlern.
78(2.1.) Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen, "wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde und diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen […]. Es ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache des Schadens ist. Eine Umkehr der Beweislast ist nur dann ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist […]. In einem derartigen Fall führt bereits das - nicht grob fehlerhafte - Unterlassen der gebotenen Befunderhebung wie ein grober Behandlungsfehler zu erheblichen Aufklärungsschwierigkeiten hinsichtlich des Kausalverlaufs. Es verhindert die Entdeckung des wahrscheinlich gravierenden Befundes und eine entsprechende Reaktion darauf mit der Folge, dass hierdurch das Spektrum der für die Schädigung des Patienten in Betracht kommenden Ursachen besonders verbreitert oder verschoben wird […].
79Hingegen ist nicht Voraussetzung für die Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten, dass die Verkennung des Befundes und das Unterlassen der gebotenen Therapie völlig unverständlich sind […]. Auch muss der Patient nicht den Nachweis dafür erbringen, dass eine frühzeitigere Therapie das Schadensbild positiv verändert hätte. Für die Begründung einer Haftung aus schweren Behandlungsfehlern reicht es grundsätzlich aus, dass der grobe Verstoß des Arztes generell geeignet ist, den konkreten Gesundheitsschaden hervorzurufen […]. Der Wegfall der Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten käme unter Umständen nur dann in Betracht, wenn ein ursächlicher Zusammenhang völlig unwahrscheinlich ist, was freilich zur Beweislast des Arztes steht" (BGH, Urt. v. 07.06.2011 - VI ZR 87/10, juris Rn. 7 f.).
80(2.2.) Denn vorliegend ist ein haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich. Weder aus der gebotenen weiteren Röntgenaufnahme noch aus einem CT, mit der Folge der Diagnose der Frakturen, hätte sich eine nennenswerte Veränderung des Behandlungsschemas, eine andere Therapieform ergeben (siehe hierzu bereits oben unter bb), sowie unten unter c) zu den teils abweichenden privatgutachterlichen Einschätzungen). Mangels Vortrags und Anhaltspunkten für eine Einschränkung, ein Abweichen im Einzelfall, ist darüber hinaus davon auszugehen, dass es nicht zu einem anderen Verlauf gekommen wäre, dies jedenfalls völlig unwahrscheinlich ist.
81dd)
82Ein Diagnosefehler auf Grundlage der einseitigen, frontalen Röntgenaufnahme liegt nach den überzeugenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen schließlich nicht vor. Jedenfalls aber liegt insoweit ein vertretbarer und nicht ein grober Behandlungsfehler vor.
83Dies gilt erst recht bei juristischer Würdigung unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen der Einstufung eines Diagnosefehlers als grob.
84Über das oben unter bb) zum groben Behandlungsfehler allgemein ausgeführte hinaus gilt insoweit, dass Irrtümer bei der Diagnosestellung in der Praxis häufig vorkommen, ohne dass sie zugleich Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes wären. Die Symptome von Erkrankungen sind nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen, selbst wenn Gelegenheit besteht, die vielfachen technischen Hilfsmittel zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen. Erst recht sind vorläufige Diagnosen, wie sie etwa alsbald zum Zwecke der Entscheidung darüber gestellt werden müssen, ob der Patient eine Spezialbehandlung braucht, mit hohen Unsicherheitsfaktoren belastet. Das entbindet den Arzt nicht von der Verpflichtung, sein Können und Wissen sorgfältig einzusetzen und die Risiken für den Patienten gewissenhaft abzuwägen. Hat er insoweit etwas versäumt, muss er für die Folgen seines dann möglicherweise vorwerfbaren Irrtums ebenso einstehen wie bei anderen Behandlungsfehlern. Indessen muss wegen der aufgezeigten Unsicherheiten die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden. Es muss schon ein fundamentaler Diagnoseirrtum vorliegen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1981 – VI ZR 35/79 –, juris Rn. 7 f., m.w.N.).
85c)
86Anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht unter Berücksichtigung - betreffend der Behandlung bei der Beklagten zu 1) und 3) - des Gutachtens Prof. Dr. E vom 30.01.2016 für die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer F (Anlage K1), des Gutachtens der Gutachterkommission vom 25.01.2017 (Prof. Dr. med. P und Vorsitzender Richter am Landessozialgericht a.D. B, Anlage K2) und - betreffend der Beklagten zu 6) und 7) aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. L2 für die Gutachterkommision vom 26.05.2014 (Anlage K3, siehe auch Anlage K4a: Gutachterkommissionsbescheid vom 06.01.2015 und Anlage K4b: Gutachterkommissionsbescheid vom 12.10.2015) sowie des Gutachtens für den MDK F von Dr. L, Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie (Erstgutachten vom 18.03.2015, Anlage K5; Zweitgutachten vom 23.02.2016, Anlage K6) und den vorprozessual eingeholten Privatgutachten der Gutachter Prof. Dr. O, Facharzt für Visceral- und Unfallchirurgie, Orthopädie und spezielle Unfallchirurgie (Erstgutachten vom 28.02.2016, Anlage K7; Zweitgutachten vom 30.04.2016, Anlage K8; Drittgutachten vom 21.04.2017, Anlage K9), Prof. Dr. X, ehemaliger Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik J (Gutachten vom 10.08.2017, Anlage K10) und ferner prozessbegleitend eingeholter Gutachten von Prof. Dr. X (vom 03.09.2019, Blatt 595 ff. der Akte) und Prof. Dr. N (Gutachten vom 23.08.2019, Blatt 606 ff. der Akte).
87Prof. Dr. E (Anlage K1) sowie das Gutachten der Gutachterkommission vom 25.01.2017 (Anlage K2) kommen gleichermaßen zu dem Ergebnis, dass im Hause der Beklagten zu 1) und 3) Fehler gemacht worden sind, sich diese aber nicht ausgewirkt haben. Prof. Dr. L2 (Anlage K3) kommt zwar wiederum zu dem Ergebnis, dass ein Fehler vorliegt und bei der gebotenen Röntgendiagnostik eine entsprechende Therapie hätte eingeleitet werden können. Zu der Frage, ob dies für die Gesundheit des Klägers Folgen gehabt hätte, äußert er sich hingegen nicht. Der Bescheid der Gutachterkommission vom 06.01.2015 (Anlage K4a), auf Grundlage des Gutachtens Prof. Dr. L2 und unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers, stellt sich hingegen dieser Frage und verneint sie. Da Brüche dieser Art im Allgemeinen konservativ behandelt werden, sei durch den (einfachen) Behandlungsfehler kein bleibender Gesundheitsschaden entstanden. Dieses Ergebnis bestätigt die Kommissionsentscheidung vom 12.10.2015 (Anlage K4b). Auch Dr. L bestätigt in seiner gutachterlichen Stellungnahme für den MDK F (Anlage K5), dass ein Behandlungsfehler vorliegt, das gleiche Ergebnis der Verheilung der Lendenwirbelkörper und Ausbildung einer ventralen Keilwirbelbildung aber auch bei rechtzeitigem Erkennen der Frakturen mit "der erforderlichen Wahrscheinlichkeit" eingetreten wäre. Ein einen Schadensersatzanspruch tragenden Schaden aus der "nicht dem tatsächlichen Befund entsprechenden Nachbehandlung" ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich (zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislasst siehe bereits oben). In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23.02.2016 (Anlage K6) hält Herr Dr. med. L an seinen Ausführungen fest. Soweit er ausführt, wenn aufgrund einer fehlerhaften Therapie eine fehlerhafte Diagnose erfolge und daraus ein chronisches Schmerzsyndrom resultiere, und dies bei ordnungsgemäßer Diagnose und Therapie zu vermeiden gewesen wäre, läge durchaus ein schwerwiegender Behandlungsfehler vor, so begegnet dies schon Bedenken, weil es eine Bewertung von der Folge her aus ex-post-Sicht darstellt. Vor allem aber ist eine entsprechende fehlerhafte Therapie vorliegend wie bereits ausgeführt nicht festzustellen. Prof. Dr. O kommt in seinen Gutachten vom 28.02.2016 (Anlage K7), vom 30.04.2016 (Anlage K8) und vom 21.04.2017 (Anlage K9) zwar zu dem Ergebnis, dass die Fehlverheilung an den Wirbelkörpern durch eine konservative Therapie hätte vermieden werden können bzw. mit großer Wahrscheinlichkeit ein geringeres Ausmaß erreicht hätte; die kontraindizierte physikalische Therapie habe die unerwünschte Keilbildung und damit die Entstehung der geklagten chronischen Rückenschmerzen aufgrund der veränderten Statik hingegen begünstigt. Es sind aber gerade keine konkreten Maßnahmen in der physikalischen Therapie vorgetragen oder ersichtlich, die einen Schaden verursacht haben könnten. Regelungen für Beweiserleichterung greifen nicht ein. Der Kläger war zunächst aufgrund der Hirnverletzung ohne Mobilisierung. Diese erfolgte sodann nach den konkreten und nachvollziehbar begründeten Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen der gebotenen Therapie entsprechend, insbesondere schmerzangemessen. Soweit im Gutachten Anlage K7 die Möglichkeit oder das Erfordernis einer konservativen Aufrichtung dargelegt werden, werden lediglich zwei Autoren genannt. Namhafte Autoren würden eine konservative Therapie mit Röntgenkontrollen vorsehen. Ein unterlassen der Kontrollen hat sich vorliegend aber jedenfalls nicht ausgewirkt, eine operative Frakturstabilisierung war nicht angezeigt. Insoweit beschreibt Prof. Dr. O wiederum im Wesentlichen im Einklang mit den gerichtlichen Sachverständigen Knickwinkel ab 15 Grad bzw. ab 15 bis 20 Grad (S. 16, 18 des Gutachten vom 21.04.2017) als funktional einschränkend. Aus den CT- und MRT-Aufnahmen vom 30.07.2013 ergebe sich bei dem Kläger im Nachhinein eine Keilbildung von 15 Grad am LWK2, und am L1-Wirbel von etwa 10 Grad (S. 16 K7; zur ventralen Höhenminderung, Skoliose: 30 Grad siehe S. 11 f. K7, S. 12 f.16 K9). Dass eine Aufrichtungsplastik hätte durchgeführt werden müssen, kann er nicht feststellen. Prof. Dr. med. X kommt in seinem Gutachten vom 10.08.2017 (Anlage K10) zu dem Ergebnis, dass es infolge der in der Zeit vom 03.06.2013 bis zum 10.07.2013 nicht erkannten Wirbelsäulenfraktur zu einer Zunahme einer unfallbedingten kyphotischen Abknickung bis auf 12 Grad gekommen sein kann. Eine Beweiserleichterung greift insoweit indes nicht. Die gerichtlichen Sachverständigen haben plausibel dargelegt, dass eine solche Verschlechterung ebenfalls nicht zu einer Operationsindikation geführt hätte, funktionale Einschränkungen erfahrungsgemäß erst bei 20 Grad auftreten und auch ein Nachsacken, z.B. bei physiotherapeutischen Übungen, sich durch erhebliche, nicht vorgetragene, dokumentierte oder sonst ersichtliche Schmerzen geäußert hätte. Bei einem jungen Menschen mit guter Knochenstruktur - wie dem Kläger - ist überdies davon auszugehen, dass eine Fraktur wie die vorliegende weitestgehend so stehen bleibt, wie sie sich zum Zeitpunkt des Unfalls einstellte (S. 58 des Gutachtens Prof. Dr. A, Blatt 539 der Akte). Soweit Prof. Dr. X feststellt, dass es aufgrund der nicht sachgerechten Primärtherapie beim Kläger zu einer schmerzhaften 2-segmentalen Instabilität gekommen sei, welche schon bei geringer Belastung zu Schmerzen führt, ist das Gutachten letztlich nicht nachvollziehbar. Z.B. führt er aus, dass sich die Schmerzen aus der Instabilität ergeben (z.B. S. 9 des Ergänzungsgutachtens vom 03.09.2019, Blatt 603 der Akte) und bei ordnungsgemäßer Behandlung der Bruch folgenlos und schmerzfrei ausgeheilt wäre (S. 10 a.a.O., Blatt 604 der Akte). Andererseits schreibt er auf S. 14 seines Gutachtens vom 10.08.2017 (Anlage K10), dass mit den Wirbelkörperbrüchen auch immer Weichteilverletzungen (Bänder, Gelenkkapseln und Bandscheibe) in den Bewegungssegmenten einhergehen. So führt der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. A die Beschwerden auch nachvollziehbar auf den mit dem Unfall eingetretenen Bandscheibenschaden zurück (S. 58 des schriftlichen Gutachtens, Blatt 539 der Akte, S. des Protokolls, Blatt 897 der Akte). Eine segmentale Instabilität können die gerichtlichen Sachverständigen hingegen nicht nachvollziehen (S. 44 f. des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. A, Blatt 525 f. der Akte; S. 3 des Protokolls, Blatt 896 der Akte; auch die privatgutachterlichen Beurteilungen stellen keine solche Instabilität fest; offen Prof. Dr. O, Anlage K7, S. 16). Dann stellt sich aber auch nicht die Frage einer operativen Stabilisierung, die dem Kläger evtl. hätte erläutert werden müssen. Eine auch nur relative Indikation stellt Prof. Dr. X auch nicht fest, sondern schreibt, nicht wenige Chirurgen würden eine solche empfehlen, wobei nach seiner Auffassung auch keine reine A1-Fraktur vorliege (S. 4 der Ergänzungsgutachtens, Blatt 598 der Akte). Letztlich macht Herr X ausführliche Schilderungen zu den guten Erfolgen einer konservativen Therapie, die sofort begonnen werden muss (S. 15 Anlage K10). Ob die Behandlung mit einem Korsett notwendig ist, werde hingegen in der Literatur unterschiedlich beurteilt (a.a.O.). Eine sofortige Physiotherapie war bei dem Kläger indes aufgrund der vorrangig zu behandelnden Hirnverletzung nicht möglich. Gleichzeitig ist schon dadurch zunächst das Heben schwerer Lasten etc. verhindert worden. Eine medikamentöse Schmerztherapie ist erfolgt. Unterlassene Kontrolluntersuchungen sind rechtlich grundsätzliche nur relevant, wenn sie sich ausgewirkt haben. Die im Verlauf durchgeführte Behandlung entsprach - zufällig - dem medizinisch indizierten. Eine Behandlung mit einem Korsett hätte, wenn überhaupt zu erwägen, jedenfalls nicht feststellbar zu besseren Ergebnissen geführt. Ein grober Behandlungsfehler mit der Folge von Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr liegt insoweit jedenfalls genauso wenig vor wie eine Beweislastumkehr aus sonstigen Gründen (siehe bereits oben unter b) cc)). Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch aus den Ausführungen des Klägers gestützt auf die privatgutachterlichen Äußerungen von Prof. Dr. N vom 23.08.2019 (Blatt 606 ff. der Akte) nichts Abweichendes. Eine konservative Therapie ist erfolgt. Es mag diverse weitere Ansätze geben, die schon vielfach nur die Symptome behandeln. Eine konkrete Maßnahme mit konkreten positiven Folgen für den Kläger ist nicht dargetan. Die einschlägigen Leitlinien sehen zunächst nur eine frühe Mobilisation und eine adäquate Schmerztherapie vor (S. 7 des Protokolls, Blatt 888 der Akte). Eine konkrete und Schaden verursachende "Übermobilisation" ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch soweit Prof. Dr. N (S. 35 des Gutachtens, Blatt 638 der Akte) unter Berufungen auf die Leitlinien (Blatt 645 ff. der Akte) ausführt, eine operative Behandlung hätte aufgrund der Feststellung eines "Skoliose-"winkels von 14 bis 16 Grand unmittelbar nach der Fraktur (siehe hierzu S. 35 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. A, Blatt 516 der Akte: Kyphosewinkel) mit dem Kläger erörtert werden müssen, hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. A überzeugend ausgeführt, dass - wie bereits dargelegt - eine Operationsindikation erst dann überlegenswert wird, wenn bei der gegebenen Fraktur ein Kyphosewinkel über 20 Grad liegt oder der Patient zu große Schmerzen hat, wegen zu großer Schmerzen nicht mobilisiert werden kann. Dies war vorliegend nicht der Fall. Schließlich ist ein Rückschluss aus einer großen Anzahl von konservativen Therapiemöglichkeiten (nach dem Kläger ohne Spezifizierung unter Berufung auf S. 19 bis 21 der Leitlinien: 33, Schriftsatz vom 20.01.2020, Blatt 767 der Akte), die wohl z.B. begleitende Maßnahmen wie die Thrombose- und Dekubitusprophylaxe sowie alternative Behandlungsmethoden wie Homöopathie und Balneotherapie einschließen, darauf, dass dann irgendetwas auch eine anderes Ergebnis verursacht haben müsste, nicht zulässig. Vielmehr müsste wenigstens feststehen, dass eine Therapieform bei Feststellung der Frakturen geboten war und es nicht ausgeschlossen ist, dass das Unterlassen derselben zumindest allgemein geeignet war, die Folgen zu verursachen bzw. die Schäden einschließlich der Schmerzen zu verhindern. Davon ist auf Grundlage der gerichtlichen Sachverständigengutachten und unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstandes, insbesondere sämtlicher vorgenannter gutachterlichen Stellungnahmen nicht auszugehen.
883.
89Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, hat die Klägerin gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
904.
91Auch der Feststellungsanspruch ist - soweit zulässig - aus obigen Gründen unbegründet. Mangels kausalen Primärschadens sind auch keine zurechenbaren Folgeschäden zu erwarten.
92II.
93Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
94Insoweit weist die Kammer klarstellend darauf hin, dass das Verfahren betreffend der Beklagten zu 6) aufgrund der Aufnahme durch den Kläger wie unter Ziff. I. ausgeführt nicht mehr unterbrochen ist, so dass die Kostenentscheidung unabhängig von der konkreten prozessualen Einordnung der Erklärungen des Klägers die Beklagte zu 6) umfasst.
95Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2, S. 1 ZPO.
96III.
97Der Streitwert wird auf 90.000,- Euro festgesetzt.
98Rechtsbehelfsbelehrung:
99Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
1001. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
1012. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
102Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
103Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.
104Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
105Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
106Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
107Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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