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1. Die Beurteilung der Frage, auf welchen Zeitpunkt für den Beginn der Berechnung der Sperrfrist des § 69a Abs. 1, Abs. 5 S. 2 StGB abzustellen ist, hängt entscheidend von der Frage ab, ob die isolierte Beschränkung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl auf die Anordnung der Dauer der Sperrfrist zulässig und damit wirksam ist oder nicht. Denn nur im Falle der Wirksamkeit einer isolierten Anfechtbarkeit der Anordnung der Dauer der Sperrfrist und der Rücknahme des Einspruchs nach §§ 410 Abs. 1 S. 1, 302 Abs. 1 S. 1 StPO im Übrigen, lebt die Wirkung des Strafbefehls als aufschiebend bedingtes Strafanerkenntnis wieder auf und steht der Strafbefehl nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigen Urteil gleich mit der Folge, dass für die Bemessung der Sperrfrist auf den Erlasszeitpunkt des Strafbefehls abzustellen ist. Andernfalls ist bei Unwirksamkeit der isolierten Anfechtbarkeit der Anordnung der Dauer der Sperrfrist auf den Zeitpunkt der Verhandlung über den Einspruch – dem Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung nach § 69a Abs. 5 S. 5 StGB – abzustellen.
2. Sind die Gründe für die Bemessung/Anordnung der Dauer der Sperre im Sinne des § 69a Abs. 1 S. 1 StGB nicht von den Gründen trennbar, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben, ist eine isolierte Beschränkung des Einspruchs auf die Anordnung der Dauer der Sperrfrist unwirksam.
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 13.10.2020 wird unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts XXX vom 02.11.2020 (Az.: 14 Cs-105 Js 2124/19-96/20) festgestellt, dass die Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mit dem Tag der Verhandlung über den Einspruch, dem 21.07.2020 beginnt und am 20.02.2021 endet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen fallen dem Verurteilten zur Last.
G r ü n d e:
2I.
3Mit Schreiben vom 10.03.2020 stellte die Staatsanwaltschaft XXX einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei dem Amtsgericht – Strafrichter – XXX wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB mit dem Inhalt, eine Geldstrafe gegen den Verurteilten von 30 Tagessätzen zu je 40,00 € (1.200,00 €) festzusetzen, dem Verurteilten weiter die Fahrerlaubnis nach §§ 69 Abs. 1, 69a StGB vorläufig zu entziehen, seinen Führerschein einzuziehen sowie die Verwaltungsbehörde anzuweisen, dem Verurteilten vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen sowie dem Verurteilten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
4Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
5Der Verurteilte befuhr am 16.11.2019 gegen 02:50 Uhr mit einem Personenkraftwagen der Marke XXX mit dem Kennzeichen XXX in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die XXX in XXX. Eine Untersuchung der dem Verurteilten am 16.11.2019 um 3.55 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine Blutalkolholkonzentration von 2,04 Promille. Diese Blutalkolholkonzentration bewirkte die absolute Fahruntüchtigkeit des Verurteilten, welche dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen. Infolge der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit verursachte der Verurteilte einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fremdschaden in Höhe von 8.680,54 € entstand. Hierdurch erwies sich der Verurteilte als zum Führen von Kraftfahrtzeugen ungeeignet.
6Am 31.03.2020 (Az.: 14 Cs-105 Js 2124/19-96/20) hat das Amtsgericht XXX - Strafrichterin - gegen den Verurteilten antragsgemäß einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB mit dem seitens der Staatsanwaltschaft XXX unter dem 10.03.2020 beantragen Inhalt erlassen.
7Hiergegen hat der Verurteilte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03.04.2020 durch seinen Verteidiger Einspruch eingelegt.
8Mit Beschluss vom 02.05.2020 (Az.: 14 Cs-105 Js 2124/19-96/20) hat das Amtsgericht XXX - Strafrichterin - dem Verurteilten - nach vorheriger Anhörung hierzu - die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.
9Im Termin zur Hauptverhandlung vom 21.07.2020 hat der Verteidiger des Verurteilten den Einspruch ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21.07.2020 „gegen die Nebenfolge auf die weitere Entziehung der Fahrerlaubnis beschränkt“ und den Einspruch im Übrigen zurückgenommen.
10Mit Urteil des Amtsgerichts XXX vom 21.07.2020 (Az.: 14 Cs-105 Js 2124/19-96/20) ist der Verurteilte wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 € verurteilt worden. Dem Verurteilten ist ferner die Fahrererlaubnis entzogen worden, der Führerschein ist eingezogen worden. Ferner ist im Urteil vom 21.07.2020 angeordnet worden, dass dem Verurteilten vor dem Ablauf von sieben Monaten keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
11Mit an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz vom 30.09.2020 hat der Verurteilte durch seinen Verteidiger um Überprüfung der Entscheidung vom 21.07.2020 in Bezug auf die Berechnung des Laufs der Sperrfrist, insbesondere des maßgeblichen Zeitpunkts des Fristbeginns, gebeten. Hierbei hat der Verurteilte die Auffassung vertreten, für den Beginn der Frist sei das Datum des Erlasses des Strafbefehls vom 31.03.2020 als maßgeblichem Rechtskraftdatum entscheidend, so dass die Sperrfrist unter dem 30.10.2020 ablaufe. Mit Verfügung vom 13.10.2020 ist die Staatsanwaltschaft dieser Ansicht entgegentreten und hat die Auffassung vertreten, es sei für den Fristbeginn auf die letzte Tatsacheninstanz, konkret auf die Verhandlung vom 21.07.2020, abzustellen. Die Sperrfrist ende erst am 20.02.2021.
12Die Staatsanwaltschaft hat unter Bezugnahme auf die Verfügung vom 13.10.2020 die Sache dem Amtsgericht zur Entscheidung nach § 458 Abs. 1 StPO vorgelegt. Mit Schreiben vom 19.10.2020, gerichtet an die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger, hat das Amtsgericht mitgeteilt, aus seiner Sicht liege kein Fall des § 458 Abs. 1 StPO vor. Die Sperre beginne mit Rechtskraft des Strafbefehls, dieser sei mit der Einspruchsrücknahme rechtskräftig geworden. Mit Verfügung vom 23.10.2020 hat die Staatsanwaltschaft ihre in der Verfügung vom 13.10.2020 geäußerte Ansicht weiter vertieft und das Amtsgericht um eine Entscheidung nach § 458 Abs. 1 StPO gebeten.
13Mit Beschluss vom 02.11.2020 (Az.: 14 Cs-105 Js 2124/19-96/20) hat das Amtsgericht XXX festgestellt, dass die Sperre zur Wiederherstellung der Fahrerlaubnis mit Erlass des Strafbefehls vom 31.03.2020 beginnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Beginn der Sperrfrist erfolge aufgrund des Strafbefehls vom 31.03.2020, da durch den eingelegten Einspruch der Strafbefehl seine Eigenschaft als aufschiebend bedingtes Strafanerkenntnis verliere, jedoch bei Rücknahme des Einspruchs nach §§ 410 Abs. 1 S. 1, 302 Abs. 1 S. 1 StPO wieder auflebe und insofern der Strafbefehl nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigen Urteil gleichstehe. Der Angeklagte habe den Einspruch insoweit zurückgenommen, dass nur noch über die Dauer der Sperre zu entscheiden gewesen sei. Die letzte tatrichterliche Überprüfung habe mit Beginn des Erlasses des Strafbefehls unter dem 31.03.2020 stattgefunden. In diesem Zeitpunkt sei letztmalig der Sachverhalt geprüft worden. Damit seien alle Tatsachen geprüft worden, die der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis zugrunde gelegen hätten. Die Überprüfung des Sachverhalts sei dem erkennenden Gericht durch die Einspruchsrücknahme gegen den Strafbefehl entzogen worden.
14Mit Verfügung vom 11.11.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX gegen den ihr am 10.11.2020 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts per Fax am 12.11.2020 sofortige Beschwerde einlegt und beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts vom 02.11.2020 aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Zur Begründung ist auf den Inhalt der Ausführungen in den Verfügungen vom 23.10.2020 und 13.10.2020 verwiesen worden.
15Mit an den Verteidiger gerichtetem Schreiben vom 17.11.2020 hat die Kammer nach Beratung darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde begründet sein dürfte und dem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche gegeben.
16Mit Schriftsatz vom 24.11.2020, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, hat der Verteidiger unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 17.11.2020 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt sowie Berufung eingelegt.
17II.
181) Die zulässige, insbesondere nach § 311 Abs. 2 S. 1, 306 Abs. 1, 311 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht eingelegte, und auch im Übrigen gemäß §§ 462 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 458 Abs. 1, § 304 Abs. 1 S. 1 StPO gegen die Entscheidung des Amtsgerichts XXX vom 02.11.2020 statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet.
19Das Amtsgericht ist in seiner Entscheidung zu Unrecht von einem Beginn der Sperre mit Erlass des Strafbefehls vom 31.03.2020 ausgegangen, so dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 02.11.2020 aufzuheben war und die Kammer entgegen des Antrages der Staatsanwaltschaft die Sache nicht an das Amtsgericht zurückverwiesen, sondern eine eigene Sachentscheidung getroffen hat, vgl. § 309 Abs. 2 StPO (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 462 Rn. 5).
202) Ausgehend hiervon war festzustellen, dass die Sperrfrist am 21.07.2020 beginnt und am 20.02.2021 endet. Maßgeblich für den Beginn der Berechnung der Sperrfrist ist der 21.07.2020, der Tag der Verhandlung über den Einspruch als dem Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung nach § 69a Abs. 5 S. 2 StGB.
21Die Beurteilung der Frage, auf welchen Zeitpunkt für den Beginn der Berechnung der Sperrfrist des § 69a Abs. 1, Abs. 5 S. 2 StGB abzustellen ist, hängt entscheidend von der Frage ab, ob die von der Verteidigung vorgenommene isolierte Beschränkung des Einspruchs auf die Anordnung der Dauer der Sperrfrist zulässig und damit wirksam ist oder nicht (vgl. hierzu umfassend jurisPK-Straßenverkehrsrecht/ Weiland, 1. Auflage 2016, Stand: 01.07.2019, § 69a Rn. 40). Denn nur im Falle der Wirksamkeit einer isolierten Anfechtbarkeit der Anordnung der Dauer der Sperrfrist und - wie vorliegend - der Rücknahme des Einspruchs nach §§ 410 Abs. 1 S. 1, 302 Abs. 1 S. 1 StPO im Übrigen, lebt die Wirkung des Strafbefehls als aufschiebend bedingtes Strafanerkenntnis wieder auf und steht der Strafbefehl nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigen Urteil gleich mit der Folge, dass für die Bemessung der Sperrfrist auf den Erlasszeitpunkt des Strafbefehls abzustellen ist (vgl. hierzu auch LK-StGB/Valerius, 13. Auflage 2020, § 69a Rn. 72). Andernfalls ist bei Unwirksamkeit der isolierten Anfechtbarkeit der Anordnung der Dauer der Sperrfrist auf den Zeitpunkt der Verhandlung über den Einspruch – dem Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung nach § 69a Abs. 5 S. 5 StGB – abzustellen (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 27.11.2009 - 1 Ss 314/09, BeckRS 2010, 5943; OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 1997, 46).
22Unter Berücksichtigung dessen ist die von der Verteidigung vorgenommene isolierte Beschränkung des Einspruchs auf die Anordnung der Dauer der Sperrfrist unwirksam (vgl. BGH, Beschl. vom 28.09.1979 – 3 StR 332/79, juris; OLG Jena, Beschl. v. 27.11.2009 - 1 Ss 314/09, BeckRS 2010, 5943; OLG Frankfurt a. M., NStZ-RR 1997, 46; Fischer, StGB, 67. Auflage 2020, § 410 Rn. 5, § 318 Rn. 29). Denn die Gründe für die Bemessung/Anordnung der Dauer der Sperre im Sinne des § 69a Abs. 1 S. 1 StGB sind nicht von den Gründen trennbar, die zur Fahrerlaubnisentziehung geführt haben (vgl. auch jurisPK-Straßenverkehrsrecht/ Weiland, 1. Auflage 2016, Stand: 01.07.2019, § 69a Rn. 40; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Halecker/Scheffler, Anwaltkommentar StGB, 3. Auflage 2020, § 69a Rn. 32; MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Auflage 2020, § 69a Rn. 64). Dies betrifft insbesondere die erhebliche Alkoholisierung des Verurteilten. Diese Frage ist sowohl für die Beurteilung, ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69a StGB anzuordnen ist, hier nach § 69 Abs. 2 Nr. 1, § 69 Abs. 1 S. 1 StGB, als auch für die Beurteilung der Frage der Anordnung der Sperre zur Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von Bedeutung. Denn die Frage der Anordnung der Sperre nach § 69a Abs. 1 S. 1 StGB und des Beginns hängt maßgeblich von der Frage der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis an sich ab, da die Regelung des § 69a Abs. 1 S. 1 StGB zwingenden Charakter aufweist und die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB erfolgen muss. Hieraus folgt, dass die Gründe, die zur Anordnung der Sperre der Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis und die Gründe, auf denen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB beruhen, im Verhältnis der Konnexität zueinander stehen und nicht trennbar sind.
23Dieser rechtlichen Bewertung steht auch nicht die Beschränkung des Einspruchs im Termin vom 21.07.2020 auf den Rechtsfolgenausspruch, hier die Anordnung der Dauer der Sperrfrist des § 69a StGB, entgegen. Denn ausweislich der schriftlichen Urteilsbegründung des Amtsgerichts vom 21.07.2020 hat das Amtsgericht eine Herabsetzung der Sperrfrist auf sieben Monate gegenüber der im Strafbefehl vom 31.03.2020 verhängten Sperrfrist von neun Monaten mit dem Umstand der Aufarbeitung der Hintergründe der Tat durch den Verurteilten, konkret in Form der Ableistung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung, begründet. Hiermit hat das Amtsgericht eine tatrichterliche Entscheidung getroffen. Insofern ist, da die Rechtsmittelbeschränkung nicht wirksam war, auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils (vgl. hierzu MüKo-StGB/v. Heintschel-Heinegg/Huber, 4. Auflage 2020, § 69a Rn. 47 a. E.), hier also den 21.07.2020, den Tag der Verhandlung über den Einspruch, abzustellen.
243) Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 S.1, 465 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 473 Rn. 15). Insofern hat der Verurteilte die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen, da die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft begründet ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 473 Rn. 15).
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