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1. Ein Unterschriftsmangel führt nicht zur Unwirksamkeit eines Beschlusses. Die Bestimmung des § 275 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf Urteile. Auf Beschlüsse ist sie nicht, auch nicht analog anwendbar. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften.
2. Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut definiert sich der „Unfallort“ i.S. des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB zunächst danach, ob der Täter an dieser Stelle unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 der ihm auferlegten Pflicht, dem Unfallgegner oder einer sonstigen feststellungsbereiten Person seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung vor Ort zu ermöglichen, nachkommen kann. Dem Schutzzweck der Norm entsprechend gehört zum Unfallort auch der räumliche Nahbereich der Unfallstelle, bei der noch ein räumlicher Bezug zum eigentlichen Unfallort dergestalt vorhanden ist, dass ein anderer Unfallbeteiligter den Täter nach Lage des Falles unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen oder als solchen jedenfalls noch vermuten kann; auch dabei ist auf die Erkennungsmöglichkeiten eines an der eigentlichen Unfallstelle zurückgebliebenen (anderen) Unfallbeteiligten abzustellen. Es genügt dabei bereits eine geringere Absetzbewegung, sofern sie nur zu einer gewissen räumlichen Trennung vom Unfallort geführt hat. Äußert ein Unfallbeteiligter gegenüber dem Unfallgegner, dieser habe Schuld an dem Unfall und entfernt er sich sodann vom Unfallort, ehe er im Bereich einer etwa 40 Meter vom Kollisionsort entfernten Einfahrt wendet und zum Kollisionsort zurückgekehrt, liegt ein vollendetes Sichentfernen vom Unfallort vor.
3. Lehnt das Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls zu Unrecht ab, kann das Beschwerdegericht die gemäß § 309 Abs. 2 StPO gebotene Entscheidung in der Sache nicht treffen, da für den Erlass des von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls im Hinblick auf §§ 407 Abs. 1 Satz 1, 408 Abs. 1 StPO allein der Strafrichter zuständig ist. Auch eine Aufhebung des Beschlusses mit der Anweisung an den Strafrichter, den Strafbefehl antragsgemäß zu erlassen oder über den Antrag der Staatsanwaltschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erneut zu entscheiden, ist nicht möglich, da damit in unzulässigerweise in die Entschließungsfreiheit des Strafrichters eingegriffen würde. Aus diesem Grund kann das Beschwerdegericht den angegriffenen Beschluss lediglich aufheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht zurückverweisen.
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 21.09.2020 wird der den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft XXX vom 11.09.2020 ablehnende Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 14.09.2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft XXX an das Amtsgericht XXX zurückverwiesen.
G r ü n d e:
2I.
3Die Staatsanwaltschaft XXX führt gegen die Angeschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Dem Verfahren liegt nach Aktenlage folgender Sachverhalt zugrunde:
4Am 16.06.2020 gegen 13.00 Uhr fuhr die Angeschuldigte mit dem von ihr geführten Pkw der Marke XXX mit dem amtlichen Kennzeichen XXX vom Gelände des Unternehmens XXX in XXX in Höhe der Hausnummer XXX auf die XXX. Auf der Fahrbahn kollidierte das Fahrzeug der Angeschuldigten mit dem von der Zeugin XXX geführten Pkw der Marke XXXTyp XXX mit dem amtlichen Kennzeichen XXX. Die Zeugin XXX befuhr die XXX aus Richtung XXX Straße kommend. Nach der Kollision fuhr die Angeschuldigte mit ihrem Fahrzeug an dem Pkw der Zeugin XXX vorbei und äußerte, diese sei schuld. Sodann fuhr die Angeschuldigte mit ihrem Pkw auf der XXX in Richtung XXXstraße. In der Folgezeit wendete die Angeschuldigte ihr Fahrzeug, fuhr am Fahrzeug der Zeugin XXX vorbei zurück auf das Gelände der XXX. Der Zeuge XXX fuhr mit seinem Pkw hinter dem Fahrzeug der Zeugin XXX.
5Die von der Zeugin XXX hinzugerufenen Polizeibeamten trafen die Angeschuldigte auf dem Gelände der XXX an. Die Angeschuldigte gab nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung gegenüber den hinzugerufenen Polizeibeamten an, sie habe mit ihrem Pkw die Ausfahrt auf die XXX verlassen und schon halb mit ihrem Pkw auf der Straße gestanden, als der Pkw der Zeugin XXX schnell an ihr vorbeigefahren sei und sie dabei touchiert habe. Sie sei dann, da sie so geschockt gewesen sei und um die Straße freizuräumen, weitergefahren, habe dann in der Straße „XXX“ gewendet und sei dann wieder zurück auf das Gelände der XXX gefahren. Sie gab weiter an, dass es ihr leid tue, und dass dies ein Fehler gewesen sei, nicht an der Unfallörtlichkeit zu halten.
6Die Zeugin XXX gab vor Ort gegenüber den Polizeibeamten an, dass sie Kopfschmerzen sowie Schmerzen an der rechten Nackenseite und an der Schulter habe. Sie wurde im weiteren Verlauf mit einem Rettungswagen in das Krankenhaus XXX verbracht. Die Polizeibeamten beschlagnahmten den Führerschein der Angeschuldigten.
7In seiner schriftlichen Äußerung vom 22.06.2020 gab der Zeuge XXX XXX an, dass er hinter einem XXX mit einer Geschwindigkeit von ca. 30-40 km/h gefahren sei. Plötzlich sei ein roter Kleinwagen aus einer Ausfahrt gefahren. Der XXX habe noch versucht auszuweichen, jedoch sei der Kleinwagen in die Seite des XXX gefahren. Die Frau aus dem XXX sei ausgestiegen, dann habe es ein Wortgefecht gegeben, das er nicht habe verstehen können. Die Fahrerin des roten Kleinwagens sei dann ohne auszusteigen weggefahren, bis zur nächsten Einfahrt, habe dann gewendet und die Unfallstelle verlassen.
8Mit Verfügung vom 23.06.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft XXX gegenüber dem Amtsgericht XXX – Ermittlungsrichter –, der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen und die Beschlagnahme des Führerscheins zu bestätigen.
9Mit Schreiben der Kreispolizeibehörde XXX vom 23.06.2020 wurde der Angeschuldigten als Beschuldigte Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Hierauf teilte der Verteidiger der Angeschuldigten mit Schriftsatz vom 25.06.2020 mit, dass die Angeschuldigte zunächst von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache.
10Mit Schriftsatz vom 30.06.2020 überreichten die mit der Geltendmachung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche der Zeugin XXX beauftragten Rechtsanwälte XXX ein Schadensgutachten der XXX vom 19.06.2020, wonach sich die Reparaturkosten an dem Pkw der Zeugin XXX auf 7.981,75 Euro inkl. MWSt. belaufen.
11In ihrer schriftlichen Äußerung vom 03.07.2020 gab die Zeugin XXX XXX an, dass sie auf der XXX gefahren sei. Von dem Gelände der XX bzw. XXX sei ein kleiner roter Pkw aus der Ausfahrt herausgefahren und sei ihr ohne zu bremsen in die rechte Seite gefahren. Ihr Fahrzeug sei ein paar Meter weiter in der Mitte der anderen Fahrbahn stehen geblieben. Sie sei ausgestiegen, die Fahrerin des roten Pkw habe sie angebrüllt, sie habe Schuld, sie – die Zeugin XXX – habe sie doch gesehen. Die Unfallgegnerin habe die Fahrt dann fortgesetzt und habe beim Weiterfahren die ganze Seite an ihrem Fahrzeug entlanggestreift. Sie habe noch gerufen, dass sie nicht einfach fahren könne. Ein paar Meter weiter habe die Unfallgegnerin gedreht und sei zurück auf das Automobilgelände gefahren. Nachdem sie die Polizei informiert und ihr Fahrzeug zur Seite gestellt und gesichert habe, sei sie zurück zu dem Autogelände gegangen, wo die Unfallgegnerin in ihrem Pkw gesessen habe. Sie habe sie informiert, dass sie die Polizei gerufen habe, und dass diese das jetzt klären werde. Die Unfallgegnerin habe sie angebrüllt und sie beschimpft u.a. mit den Worten „Du blöde Sau, dafür braucht man keine Polizei rufen, denn sie hätte keine Schuld“. Ein Mitarbeiter der Werkstatt habe sie gebeten, zu ihrem Pkw zurückzugehen, er werde die Unfallgegnerin solange dort behalten, bis die Polizei eintreffe. Dies sei dann auch so geschehen.
12Mit Schriftsatz vom 07.07.2020 hat der Verteidiger der Angeschuldigten beantragt, den Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zurückzuweisen. Zur Begründung führte er aus, dass die Angeschuldigte mit ihrem Pkw langsam auf die XXX gefahren sei, nachdem sie sich vergewissert habe, dass sich aus Richtung XXX Straße kein weiterer Verkehrsteilnehmer näherte. Noch während des Einbiegens auf die XXX sei es zur Kollision mit dem Pkw der Zeugin XXX gekommen. Woher diese sich dem Unfallort genähert habe, sei der Angeschuldigten bisher nicht bekannt. Da sie sich zuvor vergewissert habe, dass sich kein Verkehrsteilnehmer näherte, liege die Vermutung nah, dass die Zeugin XXX mit ihrem Pkw von dem gegenüberliegenden Gelände auf die XXX nach links in Richtung XXXstraße eingebogen sei. Nach dem Unfall habe die Angeschuldigte mit ihrem Pkw in unmittelbarer Sicht zum Unfallort auf dem etwa 20 bis 30 Meter vom Unfallort gelegenen Gelände der XXX XX gedreht und sei zurück zum Unfallort gefahren, habe das Fahrzeug auf dem Gelände der XXX abgestellt und einen ihr bekannten Mitarbeiter der XXX gebeten, ihr bezüglich der Unfallaufnahme zu helfen, da sie doch sehr aufgeregt gewesen und es ihr erster Unfall gewesen sei. Der Verteidiger der Angeschuldigten fügte seinem Schriftsatz eine Google-Earth-Aufnahme bei, auf der der von ihr dargelegte Fahrweg der Angeschuldigten nach dem Unfall eingezeichnet wurde. Der Mitarbeiter der XXX sei auf Wunsch der Angeschuldigten sofort zur Einfahrt des Betriebsgeländes gegangen und habe der Zeugin XXX den Namen der Angeschuldigten mitgeteilt, ebenso wie den Umstand, dass sich diese auf dem Betriebsgelände befand. Es sei der Angeschuldigten nicht darum gegangen, sich vom Unfallort zu entfernen, sie habe im Gegenteil die erste Wendemöglichkeit wahrgenommen und ihr Fahrzeug in unmittelbarer Sichtweite des Unfallortes gedreht, um die Unfallaufnahme zu ermöglichen. Der Verteidiger hat die Auffassung geäußert, dass die Angeschuldigte den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht verwirklicht habe.
13Mit Verfügung vom 15.07.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX auf den vorgenannten Schriftsatz des Verteidigers an ihrem Antrag festgehalten.
14Mit Beschluss vom 16.07.2020 hat das Amtsgericht XXX (Az.: 621 Gs 990/20) der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass gegen die Angeschuldigte der dringende Verdacht eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestehe. Die Angeschuldigte habe sich aus dem Bereich, in welchem ein unmittelbarer Bezug zu dem Unfallgeschehen noch gegeben sei und in welchem der Unfallbeteiligte für feststellungsbereite Personen als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen sei, entfernt. Dass sie im Anschluss an der Einfahrt der XXX gewendet habe, ändere hieran nichts. Die zuvor getätigte Äußerung der Angeschuldigten, die Zeugin XXX sei Schuld, sowie der Umstand, dass die Angeschuldigte nicht lediglich genau am Kollisionsort verblieben sei oder ggf. rückwärts auf das Gelände zurückgesetzt habe, lasse auch auf Vorsatz bezüglich des Entfernens schließen. Auch lägen die Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 StGB nicht vor, weil die Angeschuldigte die Feststellungen nicht eigeninitiativ, sondern erst nach Aufsuchen und Ansprache durch die Polizeibeamten auf dem Gelände der XXX ermöglicht habe.
15Mit Schriftsatz vom 23.07.2020 hat der Verteidiger der Angeschuldigten mitgeteilt, dass der Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 16.07.2020 zwar nicht akzeptabel sei, jedoch zur Verfahrensbeschleunigung auf ein Rechtsmittel verzichtet werde.
16Am 27.07.2020 stellte die Zeugin XXX gegenüber der Kreispolizeibehörde XXX einen von ihr unterzeichneten Strafantrag gegen die Angeschuldigte wegen des am 16.06.2020 angegeben Sachverhalts. Unter der Bemerkung „Ggf. Erläuterungen“ heißt es: „Fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr“.
17Mit E-Mail vom 28.08.2020 übersandte die Zeugin XXX u.a. ein ärztliches Attest, wonach sie bei dem Autounfall am 16.06.2020 ein Schleudertrauma und eine Prellung der rechten Schulter erlitten habe.
18Mit Verfügung vom 11.09.2020 – bei dem Amtsgericht XXX eingegangen am 14.09.2020 – hat die Staatsanwaltschaft XXX den Erlass eines Strafbefehls wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie die Festsetzung einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 Euro gegen die Angeschuldigte beantragt, ebenso, der Angeschuldigten die Fahrerlaubnis zu entziehen und die Verwaltungsbehörde anzuweisen, ihr vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
19Mit Beschluss vom 15.09.2020 hat das Amtsgericht XXX den Antrag der Staatsanwaltschaft XXX auf Erlass des Strafbefehls abgelehnt, den Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 16.07.2020 (Az.: 621 Gs 990/20) aufgehoben sowie festgestellt, dass die Staatskasse verpflichtet ist, der Angeschuldigten für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis für die Zeit vom 16.07.2020 bis zum 15.09.2020 eine Entschädigung zu leisten. Zur Begründung hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt, dass ein Entfernen vom Unfallort nicht vorliege. Maßgeblich sei, ob noch ein unmittelbarer räumlicher Bezug zu dem Unfallgeschehen gegeben sei und in welchem Umkreis der Unfallbeteiligte für feststellungsbereite Personen grundsätzlich noch als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen sei. Voraussetzung für ein Sich-Entfernen vom Unfallort sei eine Ortsveränderung, die über den Bereich des Unfallortes hinausgehe. Diese Voraussetzungen könnten nicht anhand einer metermäßigen Mindestdistanz bestimmt werden, entscheidend sei vielmehr, ob der Täter sich so weit von der Unfallstelle abgesetzt habe, dass ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht mehr ohne weiteres erkennbar sei. Anhand des Akteninhaltes begründe die Fahrt der Angeschuldigten mit ihrem Fahrzeug bis zur nächsten Einfahrt keine ausreichende Ortsveränderung im Sinne des Tatbestandes. Bereits nach den Aussagen der Zeugen XXX und XXX habe die Angeschuldigte ihr Fahrzeug im unmittelbaren Sichtbereich der Zeugen gewendet und sich sodann mit ihrem Fahrzeug zur Unfallstelle zurück begeben. Dies werde durch den von der Angeschuldigten vorgelegten Auszug von „Google-Earth“ bestärkt. Der von der Angeschuldigten dort eingezeichnete Wendepunkt decke sich mit den Angaben des Zeugen XXX. Es handele sich dabei um eine Fahrtstrecke von wenigen Metern. Auch das Abstellen auf dem Betriebsgelände „XXX“ reiche nicht aus, um ein Entfernen zu begründen. Das Betriebsgelände stehe im unmittelbaren örtlichen Zusammenhang zum Unfallgeschehen. Die Zeugin XXX habe dabei auch gewusst, dass sich die Angeschuldigte dort bis zum Eintreffen der Polizei aufhalten werde.
20Der vorgenannte Beschluss ist am 16.09.2020 der Staatsanwaltschaft zugestellt worden.
21Mit Verfügung vom 21.09.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX das Verfahren bezüglich der fahrlässigen Körperverletzung und der Beleidigung gemäß §§ 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO im Hinblick auf den Strafbefehl eingestellt. Ferner hat die Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss vom 15.09.2020 sofortige Beschwerde eingelegt und diese vorab per Fax am 21.09.2020 dem Amtsgericht XXX übermittelt. Zur Begründung hat die Staatsanwaltschaft u.a. ausgeführt, dass die Angeschuldigte schon ihren eigenen Angaben zufolge in der Straße XXX gewendet habe, also in einer Entfernung von etwa 260 Metern vom Unfallort entfernt. Aber auch nach ihrer Rückkehr auf das Gelände der XXX sei sie nicht zu der Unfallbeteiligten gekommen, sondern habe von dieser aufgesucht werden müssen. Sodann habe die Angeschuldigte die Zeugin XXX beschimpft und sich in die Geschäftsräume des Unternehmens zurückgezogen, wo sie bis zum Eintreffen der Polizei verblieben sei.
22Die Staatsanwaltschaft XXX beantragt u.a.,
23den Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 15.09.2020 aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht XXX zur Entscheidung über den Erlass des beantragten Strafbefehls oder die Anberaumung einer Hauptverhandlung zurückzuverweisen.
24Das Amtsgericht XXX hat mit Verfügung vom 23.09.2020 die Verfahrensakte zur Weiterleitung der sofortigen Beschwerde an das Landgericht Aachen der Staatsanwaltschaft zugeleitet. Diese hat die Verfahrensakte am 25.09.2020 dem Landgericht vorgelegt.
25Die Kammer hat dem Verteidiger der Angeschuldigten die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 21.09.2020 zur Gegenerklärung mitgeteilt. Mit Schriftsatz vom 30.09.2020 hat der Verteidiger der Angeschuldigten eine Gegenerklärung abgegeben und beantragt,
26den Beschluss des Amtsgerichts XXX insgesamt aufrechtzuerhalten und der Staatskasse die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten aufzuerlegen.
27II.
28Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 10.09.2020 ist gemäß §§ 408 Abs. 2 Satz 2, 210 Abs. 2 StPO statthaft und auch im Übrigen form- und insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde ist darüber hinaus begründet. Der angegriffene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
291. Der angegriffene Beschluss ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil dieser nicht ordnungsgemäß erlassen worden ist.
30Der Beschluss ist allerdings nicht wirksam unterzeichnet worden. Zu einer wirksamen Unterzeichnung ist ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug erforderlich, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert (s. hierzu BGH, Urt. v. 07.01.1959 – 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317 = NJW 1959, 734, juris Rn. 10; BGH, Beschl. v. 25.01.2017 – XII ZB 504/15, NJW-RR 2017, 386, juris Rn. 13; BGH, Beschl. v. 20.03.2019 – 3 StR 452/18, juris Rn. 2; BeckOK-StPO/Peglau, Stand: 01.07.2020, § 275 Rn. 25 m.w.Nachw.; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2016, § 275 Rn. 25). Diesen Anforderungen genügt die Unterschrift unter dem angegriffenen Beschluss nicht. Diese besteht augenscheinlich lediglich aus einem Buchstaben, der starke Ähnlichkeit mit dem Buchstaben „S“ hat. Charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen weist sie nicht auf. Das Erscheinungsbild macht nicht deutlich, dass eine volle Unterschriftsleistung und nicht nur ein Namenskürzel (Paraphe) gewollt war, insbesondere weil es an einem hierfür typischen „auslaufenden“ Schriftzug fehlt (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10.07.1997 – IX ZR 24/97, NJW 1997, 3380, juris Rn. 11; BGH, Beschl. v. 08.10.1991 – XI ZB 6/91, NJW 1992, 243, juris Rn. 12; BayObLG, Beschl. v. 28.05.2003 – 1 ObOWi 177/03, NStZ-RR 2003, 305, juris Rn. 10 f.).
31Der dargelegte Unterschriftsmangel führt indes nicht dazu, dass der Beschluss nicht wirksam erlassen worden ist. Die Bestimmung des § 275 Abs. 2 StPO bezieht sich nur auf Urteile. Auf Beschlüsse ist sie nicht, auch nicht analog anwendbar. Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften (vgl. RG, Urt. v. 03.02.1910 – III 1038/09, RGSt 43, 217, 218; BGH, Urt. v. 14.02.1985 – 4 StR 731/84, StV 1985, 355, juris Rn. 11; BayObLG, Beschl. v. 27.06.1989 – RReg. 4 St 34/89, NStZ 1989, 489 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.08.1983 – 1 Ws 668/83, MDR 1984, 164; Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 275 Rn. 43; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2014, § 33 Rn. 21; Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl. 2016, § 33 Rn. 13; BeckOK-StPO/Larcher, Stand: 01.07.2020, § 33 Rn. 4; KK-StPO/Maul, 8. Aul. 2019, § 33 Rn. 4). Dass es sich bei dem angegriffenen Beschluss nicht um einen bloßen Entwurf handelt und dieser von dem zur Entscheidung berufenen Richter stammt, also eine ordnungsgemäße Beschlussfassung erfolgt ist (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 29.09.2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225; BayObLG, Beschl. v. 27.06.1989 – RReg. 4 St 34/89, NStZ 1989, 489, 490), unterliegt nach Aktenlage keinem Zweifel.
322. Der Beschluss ist jedoch aufzuheben, weil das Amtsgericht zu Unrecht den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt hat. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sowie des Verteidigers der Angeschuldigten besteht ein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit der Angeschuldigten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Insbesondere ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Angeschuldigte sich vorsätzlich als Unfallbeteiligte nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt hat.
33a) Zu Unrecht hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung die über ihren Verteidiger in dem Schriftsatz vom 07.07.2020 abgegebene Einlassung der Angeschuldigten, sie habe auf dem etwa 20 bis 30 Meter vom Unfallort gelegenen Gelände der XXX XXX gewendet, zugrunde gelegt. Insoweit hat das Amtsgericht unbeachtet gelassen, dass die Angeschuldigte nach Aktenlage noch vor Ort gegenüber den Polizeibeamten angegeben hat, sie habe in der (entgegen den Ausführungen in der Gegenerklärung des Verteidigers der Angeschuldigten vom 30.09.2020 dargelegten Angaben nicht 40-50, sondern etwa 100 Meter von der Unfallstelle entfernten) Straße XXX gedreht (Bl. 4 GA). Unter Berücksichtigung dessen könnte die nunmehr abgegebene entgegenstehende Einlassung der Angeschuldigten als Schutzbehauptung zu werten sein. Jedenfalls kann unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ein hinreichender Tatverdacht nicht verneint werden. Für die entgegenstehende Äußerung der Angeschuldigten vor Ort können die Polizeibeamten als Zeugen vernommen werden.
34Die schriftlichen Angaben des Zeugen XXX XXX vom 22.06.2020 (Bl. 73 GA) stehen dem nicht entgegen, da dieser lediglich angegeben hat, die Angeschuldigte sei weggefahren, „bis zur nächsten Einfahrt, wendete und verließ die Unfallstelle“. Hieraus ergibt sich gerade nicht, dass die Angeschuldigte auf dem von ihr angegebenen Gelände der XXX XXX gewendet hat. Jedenfalls ist unklar und bedarf einer Beweisaufnahme, welche Stelle genau der Zeuge XXXstraße XXX mit der "Einfahrt" gemeint hat. Entsprechendes gilt, soweit die Zeugin XXX in ihrer schriftlichen Stellungnahme angegeben hat, die Angeschuldigte habe „ein paar Meter weiter“ gedreht.
35b) Aber selbst dann, wenn man unter Zugrundelegung der zuletzt über ihren Verteidiger mit Schriftsatz vom 07.07.2020 abgegebenen und in der Gegenerklärung vom 30.09.2020 bekräftigten Einlassung der Angeschuldigten davon ausgehen wollte, sie habe auf dem Gelände der XXX XXX gewendet, besteht ein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit der Angeschuldigten nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil auch dieser Wendepunkt außerhalb des „Unfallortes“ i.S. von § 142 Abs. 1 StGB liegt.
36Im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut definiert sich der „Unfallort“ zunächst danach, ob der Täter an dieser Stelle unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 1 der ihm auferlegten Pflicht, dem Unfallgegner oder einer sonstigen feststellungsbereiten Person seine Unfallbeteiligung zu offenbaren und Feststellungen seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung vor Ort zu ermöglichen, nachkommen kann. Dabei ist auf die Vorstellung eines im unmittelbaren Unfallbereich zurückgebliebenen Unfallbeteiligten abzustellen. Wenngleich die räumliche Bestimmung dieses Bereichs maßgeblich von den besonderen Umständen des Einzelfalles abhängt, hat die Rechtsprechung den Radius des so verstandenen „Unfallortes“ im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes eher eng gehalten (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.1987 - 4 Ss 192/87, NStZ 1988, 409, juris Rn. 9; LK-StGB/Geppert, 12. Aufl. 2009, § 142 Rn. 53 m.w.Nachw.).
37Unfallort ist danach zunächst einmal die eigentliche Unfallstelle, an der sich der Unfall ereignet hat und der Schaden eingetreten ist. Sind – wie hier – Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt, wird dies in aller Regel dort der Fall sein, wo die Fahrzeuge nach einer Kollision zum Stehen gekommen sind oder unter Beachtung der den Fahrer bei geringfügigem Schaden treffenden Pflicht, unverzüglich beiseite zu fahren (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO), hätten angehalten werden können. Dem Schutzzweck der Norm entsprechend gehört zum Unfallort aber auch der räumliche Nahbereich der Unfallstelle, bei der noch ein räumlicher Bezug zum eigentlichen Unfallort dergestalt vorhanden ist, dass ein anderer Unfallbeteiligter den Täter nach Lage des Falles unschwer als wartepflichtigen Unfallbeteiligten erkennen oder als solchen jedenfalls noch vermuten kann; auch dabei ist auf die Erkennungsmöglichkeiten eines an der eigentlichen Unfallstelle zurückgebliebenen (anderen) Unfallbeteiligten abzustellen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.1987 - 4 Ss 192/87, NStZ 1988, 409, juris Rn. 9). Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort setzt dabei nicht voraus, dass sich der Täter so weit von der Unfallstelle entfernt hat, dass er nicht mehr ohne weiteres erreichbar oder als Unfallbeteiligter feststellbar ist. Es genügt bereits eine geringere Absetzbewegung, sofern sie nur zu einer gewissen räumlichen Trennung vom Unfallort geführt hat (vgl. KG, Urt. v. 01.06.1978 - Ss 14/78, DAR 1979, 22 f.; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 142 Rn. 21). Wie weit dieser Nahbereich reicht, lässt sich – wie das Amtsgericht im Grundsatz zutreffend ausgeführt hat – nicht in exakten Meterangaben bezeichnen und ist im Übrigen weder pedantisch eng noch bewusst weit zu begreifen, sondern nach den Umständen des Falles maßgeblich davon abhängig, ob für die anderen Unfallbeteiligten (von der eigentlichen Unfallstelle aus) noch ein räumlicher Bezug des wartepflichtigen Täters zum unmittelbaren Unfallgeschehen als dem Ort der erforderlichen Feststellungen zu erkennen ist. Erst recht kommt es entgegen der Auffassung des Verteidigers der Angeschuldigten auch nicht darauf an, ob diese noch in Sichtweite zur Unfallstelle gewendet hat. So kann eine metermäßig nur geringe räumliche Spanne zum räumlichen Nahbereich der eigentlichen Unfallstelle schon für ein vollendetes Sichentfernen ausreichen, wenn der wartepflichtige Täter nach Lage der Dinge ersichtlich nicht willens ist, sich dem Normbefehl des Absatzes 1 (Verbot, sich zu entfernen) zu beugen. Eine deutlich großzügigere Sichtweise (also: noch kein vollendetes Verlassen des Nahbereichs) ist demgegenüber angebracht, wo ein äußerlicher Zusammenhang mit dem eigentlichen Unfallgeschehen noch vorhanden und die räumliche Absetzbewegung des wartepflichtigen Täters ersichtlich von seinem Bestreben getragen ist, der gesetzlichen Wartepflicht in verkehrssicherer Weise gerecht zu werden oder sich selbst bzw. sein Fahrzeug nicht zu gefährden (vgl. zum Ganzen LK-StGB/Geppert, 12. Aufl. 2009, § 142 Rn. 54 m.w.Nachw.; SSW/Ernemann, 4. Aufl. 2018, § 142 Rn. 19 [Abstellen eines Fahrzeuges in einer ca. 20 Meter von der Unfallstelle entfernten Parklücke]; ebenso SK-StGB/Stein, 9. Aufl. 2019, § 142 Rn. 40).
38In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass der von dem Verteidiger der Angeschuldigten in dem mit Schriftsatz vom 07.07.2020 auf dem Google Earth-Ausdruck eingezeichnete Wendepunkt ausweislich der auf dem vorgenannten Ausdruck befindlichen Entfernungsangaben nicht 20 bis 30 Meter von der Ausfahrt der XXX entfernt befindet, sondern gut 40 Meter.
39Unter Zugrundelegung dessen hätte sich die Angeschuldigte auch bereits dann vom Unfallort entfernt, wenn sie auf dem Gelände der XXX XXX und nicht erst im Bereich der etwa 100 Meter vom Kollisionsort entfernen Straße XXX gewendet haben sollte. Denn nach Aktenlage hat die Angeschuldigte nach der Kollision noch in ihrem Pkw sitzend gegenüber der Zeugin XXX geäußert, sie sei schuld, sie – die Zeugin XXX – habe sie – die Angeschuldigte – doch gesehen. Weiter hat die Zeugin XXX im Rahmen ihrer schriftlichen Zeugenanhörung angegeben, die Angeschuldigte sei sodann beim Weiterverfahren mit ihrem Pkw an der gesamten Seite ihres Pkw entlangestreift. Weiter hat die Zeugin XXX angegeben, sie habe der Angeschuldigten hinterhergerufen, dass sie nicht einfach fahren könne. Bei dieser Sachlage war die wartepflichtige Angeschuldigte nach Lage der Dinge ersichtlich nicht willens, sich dem Normbefehl des Absatzes 1 (Verbot, sich zu entfernen) zu beugen, zumal ihr ein gefahrloses Abstellen ihres Fahrzeuges unmittelbar im Bereich des Kollisionsortes möglich gewesen wäre, jedenfalls dadurch, dass sie ihr Fahrzeug rechts am Fahrbahnrand – etwa vor dem Fahrzeug der Zeugin XXX – hätte abstellen können. Wie auf den Lichtbildern 1, 2, 5-7 der Lichtbildmappe (Bl. 7, 9-10 GA) zu sehen ist, wäre der Angeschuldigten ein solches gefahrloses Abstellen am rechten Fahrbahnrand ohne weiteres möglich gewesen. Insbesondere bestand für die Angeschuldigte keine Notwendigkeit, mit ihrem Fahrzeug auf dem 20 bis 30 Meter weiter entfernten Gelände ein weiteres, gefahrträchtiges Fahrmanöver (Wenden, vgl. § 9 Abs. 5 StVO) durchzuführen. Ferner hat auch der Zeuge XXX XXX im Rahmen seiner schriftlichen Aussage angegeben, die Angeschuldigte habe „die Unfallstelle verlassen“ (Bl. 73 GA). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Angeschuldigte auch nach dem Wenden mit ihrem Fahrzeug nicht zum Kollisionsort und insbesondere zu der Zeugin XXX zurückgekehrt, sondern auf das Gelände der XXX gefahren und sodann in ihrem Fahrzeug sitzen geblieben ist. Dort durch die Zeugin XXX angesprochen soll die Angeschuldigte weiterhin geäußert haben, dass die Zeugin Schuld an dem Unfall gehabt habe. Auch dies verdeutlicht, dass die Angeschuldigte von Anfang an nicht willens gewesen ist, sich dem Normbefehl des § 142 Abs. 1 StGB zu beugen. Weiter folgt aus diesem Gesamtgeschehen, dass die räumliche Absetzbewegung der Angeschuldigten ersichtlich nicht von ihrem Bestreben getragen war, der gesetzlichen Wartepflicht in verkehrssicherer Weise gerecht zu werden. Dass die Angeschuldigte letztlich zumindest in den Nahbereich des Kollisionsortes zurückgekehrt ist, ist unerheblich, da sie nach dem Gesagten bereits (vorsätzlich) den Tatbestand eines vollendeten Sichentfernens verwirklicht hat.
40Auch die Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 StGB liegen ersichtlich nicht vor. Abgesehen davon, dass die Angeschuldigte nicht freiwillig, sondern erst auf Ansprache durch die Polizeibeamten die Feststellungen nachträglich ermöglicht hat, handelte es sich um einen Unfall im fließenden Verkehr. Darüber hinaus hatte der Unfall einen bedeutenden Sachschaden zur Folge. Nach dem von der Zeugin XXX vorgelegten Gutachten der XXX vom 19.06.2020 belaufen sich die Reparaturkosten auf 6.707,36 Euro netto. Soweit in dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft von einem Fremdschaden in Höhe von 4.009,87 Euro die Rede ist, ist dies nicht nachvollziehbar.
41c) Aber selbst wenn man entgegen der hier geäußerten Auffassung davon ausgehen wollte, dass sich der in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 07.07.2020 genannte Wendeort noch innerhalb des räumlichen Nahbereichs der Unfallstelle befindet, hätte die Angeschuldigte nach Aktenlage (vorsätzlich) den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Denn die Angeschuldigte hat sich nicht zur Unfallstelle begeben, sondern ist mit ihrem Fahrzeug auf das Gelände der XXX gefahren, wo sie zunächst in ihrem Fahrzeug blieb und sich sodann in die Geschäftsräume des Unternehmens begab, bevor sie die Feststellung ihrer Person, ihres Fahrzeugs und der Art ihrer Beteiligung durch ihre Anwesenheit und durch die Angabe, dass sie an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat.
42Denn vom „Unfallort“ entfernt sich, wer als wartepflichtiger Unfallbeteiligter den räumlichen Nahbereich der eigentlichen Unfallstelle verlassen hat, z.B. sich in seine nahegelegene Wohnung oder eine nahegelegene Gaststätte – oder wie hier in die Geschäftsräume der XXX – begeben hat, um dort das Eintreffen der Polizei abzuwarten. Dabei kommt es – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – nicht darauf an, dass der Zeugin XXX dieser Umstand bekannt gewesen ist (LK-StGB/Geppert, 12. Aufl. 2009, § 142 Rn. 55; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 142 Rn. 21; MünchKomm-StGB/Zopfs, 3. Aufl. 2017, § 142 Rn. 48). Der Begriff des Unfallortes muss vom Begriff des (den anderen Unfallbeteiligten tatsächlich oder mutmaßlich bekannten) Aufenthaltsortes des Täters, wo dieser für die anderen Unfallbeteiligten jederzeit erreichbar ist, unterschieden werden. Dass die Zeugin XXX insoweit auf (weitere) Feststellungen verzichtet hat, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Ebensowenig lässt sich der Verfahrensakte entnehmen, dass die Angeschuldigte sich mit Billigung der Zeugin XXX in die Geschäftsräume begeben hat.
433. Für das weitere Verfahren weist die Kammer vorsorglich darauf hin, dass auch mit der vom Amtsgericht in dem angegriffenen Beschluss zugrunde gelegten Rechtsauffassung der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nicht abgelehnt werden darf.
44a) Unter Zugrundelegung der in dem Strafbefehl bezeichneten Tat (vgl. § 264 Abs. 1 StPO) kommt nämlich jedenfalls eine Strafbarkeit der Angeschuldigten aufgrund einer fahrlässigen Körperverletzung gemäß §§ 229, 230 Abs. 1 Satz 1 StGB in Betracht. Die Zeugin XXX hat nach Aktenlage noch vor Ort über Kopfschmerzen sowie Schmerzen an der rechten Nackenseite und an der Schulter geklagt, weshalb von den Polizeibeamten ein Rettungswagen angefordert wurde (Bl. 3 GA). Ferner hat die Zeugin ein ärztliches Attest zur Akte gereicht, wonach sie unfallbedingt ein Schleudertrauma und eine Prellung der rechten Schulter erlitten haben soll (Bl. 128, 129 GA). Insoweit besteht nach Aktenlage ein hinreichender Tatverdacht, dass die Angeschuldigte diese Verletzungen durch Fahrlässigkeit (Verstoß gegen § 10 Satz 1 StVO) verursacht hat. Der gemäß § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderliche Strafantrag ist von der Zeugin XXX am 27.07.2020 (Bl. 112 GA) form- und fristgerecht gestellt worden.
45Dass der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung in dem Strafbefehlsantrag keine Erwähnung gefunden hat, ist unerheblich. Die in dem Strafbefehlsantrag aufgeführte Tat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gehört zur selben Tat im prozessualen Sinn (§ 264 Abs. 1 StPO) wie die fahrlässige Körperverletzung. Zur Tat im prozessualen Sinn zählt das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Das Ausfahren von dem Betriebsgelände auf die XXX und die hierbei verursachte Kollision mit dem Pkw der Zeugin XXX sowie deren Verletzungen, der anschließende Wortwechsel zwischen ihr und der Angeschuldigten sowie das unter diesem Eindruck stehende Wegfahren der Angeschuldigten stellen einen einheitlichen Lebensvorgang dar. Unerheblich ist dabei, ob die beiden Straftatbestände im Verhältnis der Tateinheit, oder als selbstständige Taten in Tatmehrheit zueinander stehen (vgl. hierzu SSW/Ernemann, 4. Aufl. 2018, § 142 Rn. 63 m.w.Nachw.; SK-StGB/Stein, 9. Aufl. 2019, § 142 Rn. 73). Zur Tat im prozessualen Sinne werden sie durch den einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang verklammert (vgl. BGH, Beschl. v. 19.05.1988 – 1 StR 359/87, BGHSt 35, 290 = NJW 1988, 3214, juris Rn. 21; OLG Koblenz, Beschl. v. 07.05.2014 – 2 Ws 228/14, NStZ-RR 2014, 391, juris Rn. 10). Im Hinblick hierauf ist unerheblich, ob die Staatsanwaltschaft insoweit auch einen entsprechenden Verfolgungswillen hatte (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 264 Rn. 36).
46Soweit die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 21.09.2020 das Verfahren „bezüglich der fahrlässigen Körperverletzung und der Beleidigung gem. §§ 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO im Hinblick auf den Strafbefehl“ eingestellt bzw. beschränkt hat, ist diese Einstellung bzw. Beschränkung unwirksam. Gemäß §§ 154 Abs. 2, 154a Abs. 2 StPO ist nach Anklageerhebung ausschließlich das Gericht für eine solche Einstellung bzw. Beschränkung zuständig. Im Strafbefehlsverfahren wird gemäß § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO durch den Strafbefehlsantrag – der hier vom 11.09.2020 datiert und von der Staatsanwaltschaft auch nicht zurückgenommen worden ist – die öffentliche Klage erhoben.
47Selbst wenn das Amtsgericht daher (weiterhin) davon ausgehen sollte, dass ein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit der Angeschuldigten gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht gegeben ist, dürfte es den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nicht ablehnen, sondern hätte Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen (vgl. Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 47). Sodann kommt eine Verurteilung der Angeschuldigten wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB in Betracht. Hierauf wird das Amtsgericht die Angeschuldigte ggf. gemäß § 265 Abs. 1 StPO gesondert hinzuweisen haben, da die Erwähnung dieser Strafbestimmung in der vorliegenden Entscheidung einen solchen Hinweis nicht ersetzt (vgl. Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265 Rn. 22).
48Aus dem Gesagten folgt andererseits, dass nach derzeitiger Sachlage auch für den antragsgemäßen Erlass des Strafbefehls durch das Amtsgericht allenfalls dann Raum wäre, wenn das Gericht (mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) gemäß § 154a Abs. 2 StPO die Verfolgung auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort beschränken sollte.
49b) Jedenfalls hätte das Amtsgericht den Strafbefehlsantrag deshalb nicht ablehnen dürfen, sondern Termin zur Hauptverhandlung anberaumen müssen (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 19, 20), weil – wiederum nach Erteilung eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO – eine Verurteilung der Angeschuldigten zumindest wegen einer (fahrlässig begangenen) Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (vgl. § 24 Abs. 1 StVG, §§ 49 Abs. 1 Nr. 10, 10 Satz 1 StVO, §§ 21, 82 OWiG). Die Ordnungswidrigkeit ist nicht verjährt, da noch vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG – nämlich am 14.09.2020 – der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO) beim Amtsgericht XXX eingegangen ist (vgl. hierzu jurisPK-Straßenverkehrsrecht/Niehaus, Stand: 06.04.2017, § 26 StVG Rn. 25).
504. Die Kammer hat die Sache zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft XXX vom 14.07.2020 an das Amtsgericht XXX zurückverwiesen. Eine an sich gemäß § 309 Abs. 2 StPO gebotene Entscheidung in der Sache kann die Kammer nicht treffen, da für den Erlass des von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls im Hinblick auf §§ 407 Abs. 1 Satz 1, 408 Abs. 1 StPO allein der Strafrichter zuständig ist (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 24 m.w.Nachw.). Auch eine Aufhebung des Beschlusses mit der Anweisung an den Strafrichter, den Strafbefehl antragsgemäß zu erlassen oder über den Antrag der Staatsanwaltschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erneut zu entscheiden, ist nicht möglich, da damit in unzulässigerweise in die Entschließungsfreiheit des Strafrichters eingegriffen würde (zutreffend Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 24, 25; KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 408 Rn. 13; ohne nähere Begründung a.A. LG Landshut, Beschl. v. 20.10.2009 – 4 Qs 237/09, NStZ-RR 2010, 78 f.). Aus diesem Grund kann die Kammer – wie geschehen – den angegriffenen Beschluss lediglich aufheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht zurückverweisen (LG Saarbrücken, Beschl. v. 17.10.2017 – 8 Qs 112/17, juris Rn. 6; Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 25; KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 408 Rn. 13).
515. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten ist nicht veranlasst. Die Kosten- und Auslagentragung im Beschwerdeverfahren folgt vielmehr jener in der Hauptsache (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 07.06.2001 – 5 Ws 4/01, juris; OLG Rostock, Beschl. v. 27.11.2015 – 20 Ws 192/15, juris Rn. 41; OLG Hamm, Beschl. v. 29.09.2016 – 4 Ws 302/16, juris; ohne nähere Begründung a.A. LG Saarbrücken, Beschl. v. 17.10.2017 – 8 Qs 112/17, juris Rn. 7).
526. Gegen diesen Beschluss findet eine weitere Beschwerde nicht statt (vgl. § 310 StPO).
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