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1. Hat das Amtsgericht über die Nichteröffnung der Anklage entschieden, ohne dem Angeschuldigten die Anklageschrift zuvor mitzuteilen und ihn zugleich aufzufordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO), liegt ein Verfahrensfehler vor, der einer Sachentscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 309 Abs. 2 StPO entgegensteht.
2. Wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen eines Einsatzes (hier: Personalienfeststellung des Angeschuldigten bei Bestehen eines Anfangsverdachts des versuchten Betruges) mittels eines Mobiltelefons gefilmt und dabei Äußerungen der Beamten aufgezeichnet zu haben, ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen dies eine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB begründet (vgl. LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17 einerseits und LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19 andererseits). Beachtliche Gründe sprechen dafür, dass dienstliche Verlautbarungen von Polizeibeamten beliebiger Art mit Außenwirkung für sich genommen schon nicht vom Schutzbereich des § 201 StGB erfasst sind.
1. Die Nichtabhilfeverfügung des Amtsgerichts XXX vom 31.07.2020 wird aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 22.07.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 20.07.2020 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht XXX zurückverwiesen.
G r ü n d e
2I.
3Mit Anklageschrift vom 15.06.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX gegen den Angeschuldigten Anklage wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu dem Amtsgericht XXX – Strafrichter – erhoben. Der Anklage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
4Der Angeschuldigte soll am 29.02.2020 in der XXX-Tankstelle unter der Anschrift XXX in XXX XXX gegen 22.30 Uhr versucht haben, bei dem Zeugen XXX eine Befüllung seines Pkws mit Benzin unter Verwendung einer Kreditkarte zu bezahlen. Dabei soll der Angeschuldigte zunächst eine Unterschrift auf dem Zahlungsbeleg angefertigt haben. Da der Zeuge XXX die Unterschrift nicht habe lesen könne, habe dieser dem Angeschuldigten einen neuen Kugelschreiber gegeben. Der Angeschuldigte soll daraufhin eine weitere Unterschrift geleistet haben, die jedoch nach Auffassung des Zeugen XXX derart von der auf der Kreditkarte befindlichen Unterschrift abgewichen sein soll, dass dieser Zweifel daran gehabt habe, dass die Kreditkarte dem Angeschuldigten gehöre. Der Zeuge XXX habe daraufhin von dem Angeschuldigten die Vorlage seines Personalausweises verlangt. Dies habe der Angeschuldigte verweigert, woraufhin sich zwischen dem Zeugen XXX und dem Angeschuldigten eine Diskussion ergeben haben soll, in deren Verlauf der Angeschuldigte den Zeugen XXX mit den Ausdrücken „Du kleiner Pisser“, „Arschloch“, „Korinthenkacker“ und „Dir hat man ins Gehirn geschissen“ bedacht haben soll. Der Zeuge XXX soll daraufhin die Kreditkarte einbehalten und auf die Polizei gewartet haben. Nachdem die Polizeibeamten, die Zeugen XXX, XXX und XXX vor Ort eingetroffen waren, stellten diese eine große Ähnlichkeit der Unterschriften auf der Kreditkarte und des Zahlungsbeleges fest. Um den Namen auf der Kreditkarte noch abgleichen zu können, sollen die Beamten den Angeschuldigten aufgefordert haben, sich auszuweisen, wobei eine Beschuldigtenbelehrung gegenüber dem Angeschuldigten erfolgte. Nach einer Diskussion über die Notwendigkeit dieser Maßnahme soll der Angeschuldigte sodann den eingesetzten Beamten widerwillig seinen Führerschein übergeben haben. Daraufhin soll der Angeschuldigte zwecks vollständiger Personalienfeststellung, insbesondere hinsichtlich seiner Wohnanschrift, nach seinem Personalausweis befragt worden sein. Der Angeschuldigte soll daraufhin erklärt haben, dass die Beamten seinen Personalausweis nicht bekämen. Er soll sodann darüber belehrt worden sein, dass die Beamten ihn auch zwecks vollständiger Identitätsfeststellung nach seinem Personalausweise durchsuchen dürften. Nach einer weiteren Diskussion über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme soll der Angeschuldigte sein Mobiltelefon der Marke XXX Typ XXX aus der Tasche geholt und geäußert haben, jetzt alles filmen zu wollen. Daraufhin soll der Angeschuldigte ein schwarzes Etui auf die Fläche des Eisfachs der Tankstelle geworfen habe. Der Zeuge POK XXX soll dieses grob gesichtet und darin den Personalausweis des Angeschuldigten gefunden haben. Der Angeschuldigte soll sodann – ankündigungsgemäß – begonnen haben, die eingesetzten Polizeibeamten mit seinem Mobiltelefon zu filmen. Der Angeschuldigte soll dieses mit ausgestrecktem Arm in der rechten Hand gehalten und die Kamera auf die eingesetzten Beamten gerichtet haben. Der Abstand des Mobiltelefons zu den Beamten soll dabei etwa einen Meter betragen haben. Daraufhin soll dem Angeschuldigten erklärt worden sein, dass die eingesetzten Beamten damit nicht einverstanden seien und er damit u.a. gegen § 23 KUG verstoße. Dies stelle eine Straftat dar. Er habe die Möglichkeit, das Filmen zu beenden und die Aufnahme zu löschen, andernfalls werde sein Mobiltelefon beschlagnahmt. Daraufhin sei der Betroffene in eine Ecke rechts hinter der elektronischen Schiebetür der Tankstelle, in der sich einige Eimer mit Wasser zur Scheibenreinigung befunden hätten, zurückgewichen. Die eingesetzten Polizeibeamten sollen dem Angeschuldigten mit gleichbleibendem Abstand gefolgt sein. Der Angeschuldigte soll dann lautstark geäußert haben, bedrängt zu werden und soll sich mit der rechten Schulter in die Ecke gedreht haben, um den Zugriff auf sein Mobiltelefon zu verhindern. Dabei soll er sein Mobiltelefon aktiv mit seinen Händen betätigt und hineingesprochen haben. Daraufhin soll er gegenüber dem Beamten geäußert haben, das Video gerade verschickt zu haben, ferner würden sie – die eingesetzten Beamten – schon sehen, was sie davon hätten, wenn das Video in die Medien komme. Er würde dafür sorgen, dass sie – die eingesetzten Beamten – „keinen Spaß mehr hätten“. Daraufhin soll dem Angeschuldigten erklärt worden sein, dass sie die Beschlagnahme auch mit Zwang durchführen dürften. Auf die letzte Aufforderung soll der Angeschuldigte erklärt haben, das Mobiltelefon nicht herauszugeben, auch nicht unter Anwendung von Zwang. Daraufhin soll der Angeschuldigte durch die eingesetzten Beamten aus der Ecke gezogen und an beiden Armen und beiden Handgelenken festgehalten worden sein. Der Angeschuldigte soll daraufhin keine Anstalten gemacht haben, die Durchsuchung nach dem Mobiltelefon zu dulden, sondern versucht haben, sich aus dem Griff der Beamten herauszudrehen und zu befreien. Um dem Angeschuldigten für die Dauer der Durchsuchung Handfesseln anlegen zu können, soll dieser zu Boden gebracht worden sein. Dafür soll ihm ein Bein gestellt und der Angeschuldigte mit dem Bauch auf dem Boden „abgelegt“ worden sein. Sodann sollen dem Angeschuldigten Handfesseln angelegt worden sein. Für die anschließende Durchsuchung des Angeschuldigten soll dieser aufgerichtet und hingestellt worden sein. Bei der Durchsuchung soll der Angeschuldigte geäußert haben, sie – die eingesetzten Beamten – sollten „die Finger aus seinem Arsch lassen“ und „ich werde hier vergewaltigt“. Sodann soll das Mobiltelefon des Angeschuldigten beschlagnahmt worden sein.
5Die eingesetzten Polizeibeamten, die Zeugen XXX XXX, XXX und XXX stellten wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und Straftat nach dem Kunsturhebergesetz“ am 01.03.2020 einen von ihnen jeweils unterzeichneten Strafantrag. Der Zeuge XXX stellte keinen Strafantrag.
6Mit Beschluss vom 05.03.2020 hat das Amtsgericht XXX (Az.: 622 Gs 397/20) auf Antrag der Staatsanwaltschaft XXX die Beschlagnahme des am 29.02.2020 sichergestellten Mobiltelefons bestätigt (Bl. 15-17 GA). Zur Begründung hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt, dass der Beschuldigte nach dem derzeitigen Ermittlungsstand verdächtig sei, sein Mobiltelefon zur Begehung von Straftaten nach den §§ 201 As. 1 Nr. 1, Nr. 2, 52 StGB, §§ 22, 33 KUG genutzt zu haben.
7Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist das bei dem Angeschuldigten beschlagnahmte Mobiltelefon ausgelesen und ausgewertet worden. Im Rahmen dessen wurde auf dem Mobiltelefon durch den zeugen KHK XXX eine Datei unter dem Verzeichnisnamen „IMG_1419“ gefunden, die eine Dauer von 01:42 Minuten hat. Die Aufzeichnung zeigt die eingesetzten Polizeibeamten, wobei mehrere mündliche Aufforderungen des Zeugen POK XXX an den Angeschuldigten gerichtet sind, die Videoaufzeichnung zu beenden, ebenso ist mehrfach die mündliche Androhung des Zeugen POK XXX gerichtet an den Angeschuldigten aufgezeichnet worden, dass andernfalls das Mobiltelefon beschlagnahmt werden wird.
8Dem Angeschuldigten wurde im Ermittlungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung gegeben, dieser gab jedoch an, gegenüber der Polizei keine Aussage zur Sache machen zu wollen. Am 17.03.2020 ist dem Angeschuldigten das Mobiltelefon wieder ausgehändigt worden.
9Mit Schreiben vom 14.04.2020 stellte der Dienstvorgesetzte der eingesetzten Beamten Strafantrag (Bl. 39 GA).
10Der Zeuge XXX wurde im Ermittlungsverfahren am 26.05.2020 und am 04.06.2020 zur Vernehmung vorgeladen, er ist jeweils ohne Angabe von Gründen nicht erschienen.
11Mit Verfügung vom 15.06.2020 hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. In der Abschlussverfügung heißt es u.a.:
12„1. Vermerk:
13Der Zeuge XXX hat selbst keinen Strafantrag wegen der durch den Beschuldigten gegen ihn ausgesprochenen Beleidigungen gestellt. Ein hinreichender Tatverdacht kann daher insoweit gem. § 194 StGB nicht begründet werden. Zu einer Veröffentlichung der gefertigten Aufnahme ist es nicht gekommen, weshalb die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit gem. §§ 22, 23, 33 KUG nicht vorliegen.
14Der Anfangsverdacht des Betruges gegen den Beschuldigten hat sich offensichtlich ebenfalls nicht bestätigt.
152. Teileinstellung des Verfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO in dem Umfang und aus den Gründen des Vermerks zu Vorziffer dieser Verfügung. …“
16Das Amtsgericht hat mit Verfügung vom 26.06.2020 der Staatsanwaltschaft XXX unter Hinweis auf einen Beschluss des Landgerichts Kassel vom 23.09.2019 (Az.: 2 Qs 111/19) die Auffassung vertreten, dass eine Strafbarkeit nach § 201StGB nicht gegeben sei, da sich das Geschehen immer noch an der Tankstelle und im Beisein des Zeugen XXX abgespielt haben dürfte, weshalb dies als „faktische Öffentlichkeit“ einer Strafbarkeit schon entgegenstehe.
17Mit Beschluss vom 20.07.2020 hat das Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Die Begründung des Beschlusses ist deckungsgleich mit dem Inhalt der vorgenannten Verfügung vom 26.06.2020.
18Das Amtsgericht hat den vorgenannten Beschluss mit der Anklageschrift mit Verfügung vom 20.07.2020 zugestellt.
19Mit am 23.07.2020 bei dem Amtsgericht XXX eingegangener Verfügung vom 22.07.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 20.07.2020 eingelegt.
20Mit Verfügung vom 29.07.2020 hat die Staatsanwaltschaft XXX zur Begründung der sofortigen Beschwerde ausgeführt, dass mit der Entscheidung des Landgerichts München I vom 11.02.2019 (Az.: 25 Ns 116 Js 165870/17) davon auszugehen sei, dass der Tatbestand des § 201 StGB erfüllt sei. Die Worte der eingesetzten Beamten seien ausschließlich an den Angeschuldigten und nicht an die Allgemeinheit gerichtet gewesen. Dass sich das Geschehen im Beisein des Zeugen XXX abgespielt habe, mache das zwischen den Beteiligten gesprochene Wort nicht zu Öffentlichen i.S. des § 201 StGB.
21Mit Verfügung vom 31.07.2020 hat das Amtsgericht XXX die Verfahrensakte an das Landgericht XXX zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde übersandt und ergänzend ausgeführt, dass der Beschwerde nicht abgeholfen werde.
22II.
231. Soweit das Amtsgericht in der Verfügung vom 31.07.2020 der Beschwerde nicht abgeholfen hat, ist die Verfügung (deklaratorisch) aufzuheben, da eine Abhilfemöglichkeit in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht besteht (vgl. § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO).
242. Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX ist form- und fristgerecht erhoben worden (vgl. § 311 Abs. 2 StPO). Sie hat darüber hinaus im Ergebnis (vorläufig) Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts vom 20.07.2020 ist aufzuheben und an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil er an einem Verfahrensmangel leidet, der einer Sachentscheidung durch die Kammer entgegensteht.
25a) Gemäß § 309 Abs. 2 StPO hat das Beschwerdegericht grundsätzlich selbst die in der Sache erforderliche Entscheidung zu erlassen. Das Beschwerdegericht muss indes zurückverweisen, wenn es rechtlich nicht in der Lage ist, an Stelle des Erstrichters die Sachentscheidung zu treffen (vgl. Löwe-Rosenberg/Matt, StPO, 26. Aufl. 2014, § 309 Rn. 13 m.w.Nachw.). So liegt der Fall hier. Denn das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft über die Nichteröffnung der Anklage entschieden, ohne dem Angeschuldigten die Anklageschrift zuvor mitzuteilen und ihn zugleich aufzufordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO). Da das Gesetz keine Ausnahmen von der Mitteilungspflicht vorsieht, hat sie auch dann zu erfolgen, wenn das Gericht einen hinreichenden Tatverdacht aus Rechtsgründen verneint. Soweit Abweichendes gelten mag, wenn eine gesetzwidrige Anklageschrift vorliegt oder bei zweifelsfreiem und unbehebbarem Fehlen einer Prozessvoraussetzung (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 201 Rn. 7, 8 m.w.Nachw.), ist beides vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens hätte das Amtsgericht daher erst nach Mitteilung der Anklageschrift entscheiden dürfen (so zutreffend Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 201 Rn. 5 f. m.w.Nachw. auch zu abweichenden Ansichten). Das Amtsgericht hat sich demgegenüber darauf beschränkt, dem Angeschuldigten die Anklageschrift zusammen mit dem Nichteröffnungsbeschluss zuzustellen.
26b) Der dargelegte Verfahrensfehler führt dazu, dass es der Kammer verwehrt ist, gemäß § 309 Abs. 2 StPO selbst eine Sachentscheidung zu treffen, wenn es die sofortige Beschwerde für begründet erachten würde. Denn eine Eröffnung wäre ohne eine vorangegangene verfahrensfehlerfreie Mitteilung der Anklageschrift nach § 201 StPO nicht möglich. Das Verfahren ist daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen, das zunächst nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verfahren und sodann erneut über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden haben wird.
273. Für das weitere Verfahren weist die Kammer vorsorglich darauf hin, dass auch mit der vom Amtsgericht in dem angegriffenen Beschluss vom 20.07.2020 zugrunde gelegten Rechtsauffassung ein hinreichender Tatverdacht nicht verneint werden kann.
28a) Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist. Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert. Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind. Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz „in dubio pro reo“ ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zwar grundsätzlich noch kein Raum, jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird (vgl. zum Ganzen KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 203 Rn. 3 ff.).
29b) Unter Zugrundelegung dessen kann nach dem derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens ein hinreichender Tatverdacht i.S. des § 203 StPO nicht verneint werden.
30aa) Soweit die Staatsanwaltschaft XXX in der zugrunde liegenden Anklageschrift davon ausgeht, dass sich der Angeschuldigte einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht hat, ist allerdings – worauf das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat – umstritten, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen das Filmen von Polizeieinsätzen zur Strafbarkeit nach der vorgenannten Strafbestimmung führt.
31(1) Das Landgericht München I hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens die auch von der Staatsanwaltschaft XXX geteilte Auffassung vertreten, dass von einer Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes bereits dann ausgegangen werden kann, wenn die von den Polizeibeamten gesprochenen Worte ausschließlich an eine einzelne Person gerichtet gewesen sind und nicht – wie etwa bei polizeilichen Durchsagen – an die Allgemeinheit (vgl. LG München I, Urt. v. 11.02.2019 – 25 Ns 116 Js 165870/17, juris Rn. 22).
32Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte der Angeschuldigte zweifelsohne den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. Nach dem Inhalt der Strafanzeige haben die eingesetzten Polizeibeamten ihre Worte ausschließlich an den Angeschuldigten gerichtet. Auch auf der von der Kammer im Beschwerdeverfahren in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung („IMG_1419“, Bl. 65 GA) ist zu sehen und zu hören, dass die verbalen Äußerungen der eingesetzten Polizeibeamten, namentlich die mehrfache Aufforderung durch den Zeugen POK XXX, das Filmen einzustellen, ausschließlich an den Angeschuldigten gerichtet waren, der sich zu diesem Zeitpunkt in einer Ecke des Tankstellengebäudes neben der elektronischen Schiebetür befand. Das Handeln des Angeschuldigten kann nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens im Übrigen nicht als gerechtfertigt angesehen werden. Eine analoge Anwendung des § 193 StGB scheidet aus (SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 201 Rn. 38 m.w.Nachw.). Der Rechtfertigungsgrund der „Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen“ i.S. des § 201 Abs. 2 Satz 3 StGB gilt nur für den Tatbestand des § 201 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB, nicht dagegen im Rahmen des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3110 m.w.Nachw.). Das Handeln des Angeschuldigten ist auch nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt, denn es fehlt bereits an einem rechtswidrigen Angriff durch die eingesetzten Polizeibeamten. Deren gegen den Angeschuldigten gerichtete Maßnahme (Aufforderung zur Vorlage seines Personalausweises) war gerechtfertigt, weil aufgrund der Angaben des Zeugen XXX trotz der von den Beamten festgestellten Ähnlichkeit der Unterschriften auf der Kreditkarte und dem Zahlungsbeleg der Anfangsverdacht eines (versuchten) Betruges durch den Angeschuldigten bestand und die Vorlage des Personalausweises dazu dienen sollte, den Namen auf der Kreditkarte mit den Angaben in dem Ausweisdokument abzugleichen. Jedenfalls ist das Handeln des Angeklagten deshalb nicht vom Notwehrrecht gedeckt, weil die Anfertigung der Videoaufzeichnung nicht geeignet ist, den Angriff sofort zu beenden, zudem fehlt es an dem erforderlichen Verteidigungswillen, weil die Anfertigung der Videoaufzeichnung nicht dazu dienen sollte, den Polizeieinsatz zu beenden, sondern diesen zu dokumentieren (vgl. hierzu Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3111). Eine Rechtfertigung des Handelns des Angeschuldigten aufgrund eines rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB scheidet deshalb aus, weil nach dem oben Gesagten kein rechtswidriges Handeln der eingesetzten Polizeibeamten gegeben ist. Dafür, dass der Angeschuldigte irrig angenommen haben könnte, die Kontrolle der eingesetzten Polizeibeamten sei rechtswidrig, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Der Angeschuldigte hat zwar – wie die Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung ergibt – gegenüber den Beamten geäußert, dass sie zur Beschlagnahme des Mobiltelefons nicht berechtigt seien. Hieraus ergeben sich die Voraussetzungen für einen sog. Erlaubnistatbestandsirrtum nicht. Der Angeschuldigte hat den Sachverhalt zutreffend erkannt, er ist allenfalls irrig davon ausgegangen, dass die Polizeibeamten nicht befugt gewesen sind, seinen Personalausweis zu verlangen, er hat also den Sachverhalt zutreffend erkannt, hieraus jedoch allenfalls irrig den Schluss gezogen, dass der Angriff durch die Beamten rechtswidrig sei. Hierbei handelt es sich indes um einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum nach § 17 StGB (vgl. hierzu LG München I, a.a.O., juris Rn. 23; LK-StGB/Vogel/Bülte, 13. Aufl. 2020, § 16 Rn. 112, 122 m.w.Nachw.). Entsprechende Strafanträge gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 StGB sind jedenfalls durch die Zeugen XXX, XXX und XXX form- und fristgerecht gestellt worden.
33Allerdings könnte der Angeschuldigte dann (tateinheitlich) auch den weder in der Anklageschrift noch in der Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft (vgl. § 154a Abs. 1 StPO) erwähnten Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB verwirklicht haben, da er sich nach dem Inhalt der Strafanzeige seiner Durchsuchung zur Beschlagnahme des Mobiltelefons widersetzt und versucht haben soll, sich aus dem Griff der Beamten herauszudrehen. Das vorgenannte Geschehen ist Teil der angeklagten Tat i.S. des § 264 Abs. 1 StPO, da die Anklageschrift auch die Beschlagnahme des Mobiltelefons umfasst und Teil eines einheitlichen Handlungsgeschehens ist. Ausgangspunkt zur Bestimmung des Tatumfangs ist die Definition der Tat im prozessualen Sinn als „das gesamte Verhalten des Angeschuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet“, wobei zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Täters eine innere Verknüpfung dergestalt bestehen muss, „dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde“ (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 264 Rn. 15 m.w.Nachw.).
34Darüber hinaus könnte sich der Angeschuldigte nach dem Inhalt der Strafanzeige einer (ebenfalls tateinheitlich begangenen) Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB schuldig gemacht haben, worauf unten noch näher zurückzukommen sein wird.
35(2) Demgegenüber hat das Landgericht Kassel im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, dem die Beschlagnahme eines Mobiltelefons zugrunde gelegen hatte, die auch vom Amtsgericht in der zugrundeliegenden Entscheidung geteilte Auffassung vertreten, dass die bei einer Unterredung im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle gesprochenen Worte zwar grundsätzlich nicht an die Allgemeinheit gerichtet, also nicht für einen über einen durch persönliche und sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinausgehenden Hörerkreis bestimmt sind, was der gängigen Definition des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entspreche, weshalb polizeiliche Personenkontrollen grundsätzlich dem Schutzbereich des § 201 StGB unterfielen. Allerdings könne das Vorhandensein einer „faktischen Öffentlichkeit“ der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen; dies sei namentlich dann der Fall, wenn die Äußerung unter Umständen erfolge, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden müsse. Denn entscheidend seien die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Abzustellen sei dabei auf solche Umstände, die für diejenigen Personen, deren Kommunikation betroffen sei, auch offen zu erkennen seien (vgl. LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 7-10; ebenso Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3109 f.).
36Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen spricht viel dafür, dass das von dem Angeschuldigten aufgezeichnete Gespräch zwischen ihm und den eingesetzten Polizeibeamten in einer „faktischen Öffentlichkeit“ stattgefunden hat. Es kommt insoweit nicht maßgeblich darauf an, ob das gesprochene Wort durch andere unbeteiligte Personen tatsächlich mitgehört worden ist, es genügt vielmehr, wenn der Äußernde nach den objektiv gegebenen Umständen ersichtlich nicht sicherstellen kann, dass seine Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer oder Passanten wahrgenommen wird und für ihn daher ohne Weiteres erkennbar ist, dass er sich in einem solchen Rahmen nicht völlig unbefangen und vertraulich äußern kann (vgl. Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3110; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 201 Rn. 4; MünchKomm-StGB/Graf, 3. Aufl. 2017, § 201 Rn. 18; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl. 2019, § 201 Rn. 9; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 201 Rn. 7; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Bosch, StGB, 4. Aufl. 2018, § 201 Rn. 3; ähnlich SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 201 Rn. 11). Von einer „faktischen Öffentlichkeit“ kann demgegenüber – wovon das Amtsgericht in dem angegriffenen Beschluss auszugehen scheint – nicht schon dann ausgegangen werden, wenn die Äußerungen in einem öffentlich zugänglichen Raum (hier: Verkaufsraum einer Tankstelle) und im „Beisein“ anderer Personen (hier: des Zeugen XXX) erfolgen. So fehlt es an einer „faktischen Öffentlichkeit“, wenn die Äußerung zwar in einem öffentlichen Raum, aber außer Hörweite anderer Beteiligter erfolgt (vgl. Ullenboom, NJW 2019, 3108, 3110 in Fn. 18). Dass sich unbeteiligte Dritte in Sichtweite des Geschehens aufgehalten haben, begründet noch keine „faktische Öffentlichkeit“, da es für die Beurteilung der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes auf die akustische, nicht dagegen allein auf die visuelle Wahrnehmbarkeit ankommt (anders wohl Ullenboom, a.a.O.). Hinreichende Feststellungen dazu, ob das Gespräch in einer „faktischen Öffentlichkeit“ stattgefunden hat, lassen sich der Strafanzeige zwar nicht entnehmen. Insbesondere wird nicht hinreichend deutlich, wo genau im Verkaufsraum der Tankstelle der Angeschuldigte mit dem Filmen begonnen hat, wo sich der Zeuge XXX zu diesem Zeitpunkt befand und ob sich noch andere Personen in unmittelbarer Nähe zu dem Geschehen befanden (vgl. hierzu die Ausführungen bei LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 9). Angesichts der Uhrzeit und der sonstigen Gegebenheiten (Tankstellengebäude gegen 22.30 Uhr) kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sich noch weitere Personen in unmittelbarer Nähe zu dem Geschehen aufgehalten haben (anders bei Durchführung einer Personenkontrolle am Eingang eines Hauptbahnhofs im Vorfeld einer Massendemonstration LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 10). Im Ermittlungsverfahren ist der Zeuge XXX seinen Vorladungen zur Vernehmung nicht nachgekommen. Eine zwangsweise Vorführung oder eine Vernehmung des Zeugen durch die Staatsanwaltschaft ist nicht erfolgt. Jedoch ist auf der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in Augenschein genommenen Videoaufzeichnung („IMG_1419“, Bl. 65 GA) zu sehen, dass sich der Zeuge XXX im Zeitpunkt der Aufnahme im Hintergrund im Bereich der Verkaufstheke befunden hat und im weiteren Verlauf auch noch zwei Kundinnen sowie ein Kunde an die Verkaufstheke herangetreten und von dem Zeugen XXX bedient worden sind. Der Kunde hat sich zudem während des Gesprächs zwischen dem Zeugen XXX und dem Angeschuldigten durch den Verkaufsraum bewegt. Auch wenn die von dem Zeugen POK XXX gesprochenen Worte weder besonders laut noch schreiend geäußert worden sind, sondern der Zeuge im Gegenteil – anders als der Angeschuldigte – weder laut noch sonst aufgeregt, sondern ruhig und sachlich spricht, wobei er nicht versucht, die Stimme des Angeschuldigten zu übertönen, spricht im Hinblick auf die engen räumlichen Begebenheiten und die Anzahl der in dem Verkaufsraum anwesenden unbeteiligten Personen viel dafür, dass das Gespräch in einer „faktischen Öffentlichkeit“ in dem oben genannten Sinne stattgefunden hat. Ob der Zeuge POK XXX die unbeteiligten Zuhörer auch bemerkt hat, ist demgegenüber unerheblich (vgl. hierzu Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 201 Rn. 4).
37Soweit das Landgericht Kassel davon auszugehen scheint, dass Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen dienstlicher Maßnahmen dann nicht in den Anwendungsbereich des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen, wenn deren Äußerungen lediglich einen „hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsinhalt“ haben (vgl. LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19, StV 2020, 161, juris Rn. 11 im Rahmen der Prüfung einer Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für den Fall einer Tatbestandsverwirklichung bei Aufzeichnung einer Polizeikontrolle durch einen außenstehenden Dritten), kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Denn es kommt im Rahmen des § 201 StGB gerade nicht auf den konkreten Bedeutungsgehalt des Wortes an (vgl. SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 201 Rn. 7; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2009, § 201 Rn. 5).
38Soweit eine Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht gegeben sein sollte, könnte der Angeschuldigte auch nicht nach § 113 Abs. 1 StGB bestraft werden, soweit sich dieser nämlich mit Gewalt Widerstand gegen die Beschlagnahme des Mobiltelefons geleistet hat. Denn die Diensthandlung (Beschlagnahme des Mobiltelefons) wäre dann rechtswidrig gewesen (vgl. § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB). Jedoch kommt jedenfalls, worauf unten noch im Einzelnen zurückzukommen sein wird, eine Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen einer Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB in Betracht. Hierauf wird das Amtsgericht den Angeschuldigten ggf. gemäß § 265 Abs. 1 StPO (im Eröffnungsbeschluss) gesondert hinzuweisen haben, da die Erwähnung dieser Strafbestimmung in der vorliegenden Entscheidung einen solchen Hinweis nicht ersetzt (vgl. Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 265 Rn. 22).
39(3) Im Schrifttum wird demgegenüber – mit durchaus beachtlichen Gründen – davon ausgegangen, dass dienstliche Verlautbarungen von Polizeibeamten beliebiger Art mit Außenwirkung für sich genommen schon nicht vom Schutzbereich des § 201 StGB erfasst sind (vgl. Roggan, StV 2020, 328, 330). Darüber hinaus führe die gesetzgeberische Zuschreibung, dass es sich bei öffentlich zugänglichen Orten im Falle der Anwesenheit von Polizeibeamten um offen abhörbare Räume handele und daher das Tragen einer Body-Cam mit Pre-Recording-Funktion (vgl. § 15c PolG NRW) zulässig sei, zu einer Bestätigung der Annahme, dass es sich bei dienstlich gesprochenen Worten von Polizeibeamten aus Anlass eines beliebig begründeten Kontakts mit einem Bürger niemals um nichtöffentlich gesprochene Worte handeln könne (vgl. Roggan, StV 2020, 328, 331 f.).
40Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung hätte der Angeschuldigte den objektiven Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB nicht verwirklicht, da es bei der hier in Rede stehenden Maßnahme der eingesetzten Polizeibeamten nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens – zweifelsfrei – um eine solche mit Außenwirkung gehandelt hat. Eine Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 113 Abs. 1 StGB käme in diesem Fall insoweit deshalb nicht in Betracht, weil die Diensthandlung – wie oben bereits dargelegt – rechtswidrig wäre.
41bb) Selbst wenn das Amtsgericht zu dem Ergebnis kommen sollte, dass der Angeschuldigte sich nicht nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat, ist für eine Nichteröffnung des Hauptverfahrens kein Raum. Denn unter Zugrundelegung der in der Anklageschrift bezeichneten Tat (vgl. § 264 Abs. 1 StPO) kommt eine Strafbarkeit des Angeschuldigten aus anderen Gründen in Betracht.
42(1) Soweit der Angeschuldigte sich nach dem Inhalt der Strafanzeige (zunächst) geweigert hat, den Polizeibeamten seinen Personalausweis auszuhändigen, liegt allerdings kein hinreichender Tatverdacht bezogen auf einen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB vor. Denn nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hat der Angeschuldigte gegen diese – nach dem oben Gesagten rechtmäßige – Diensthandlung der eingesetzten Polizeibeamten nicht mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand geleistet.
43Soweit der Angeschuldigte die Herausgabe seines Personalausweises (zunächst) verweigert hat, hat der Angeschuldigte auch keine Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 OWiG, wegen der im Hinblick auf §§ 21, 82 OWiG ggf. eine Eröffnung erfolgen könnte (vgl. Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 204 Rn. 10), begangen. Denn der Angeschuldigte hat den eingesetzten Polizeibeamten – wenn auch widerwillig – sein Etui ausgehändigt, in dem sich auch sein Personalausweis befand. Der Tatbestand des § 111 Abs. 1 OWiG ist jedoch erst dann vollendet, wenn ein kontrollierender Polizeibeamter auf Grund der Wirkungslosigkeit seines wiederholten Befragens des Betroffenen Zwangsmaßnahmen ergreift, um dessen Personalien festzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.04.1984 – 3 Ss 35/84, VRS 66, 461).
44(2) Eine Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen einer Versendung der Videoaufzeichnung kommt ebenso nicht in Betracht. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass die Staatsanwaltschaft XXX ausweislich des Vermerks zu Ziff. 1. sowie der Ziff. 2. der Abschlussverfügung vom 15.06.2020 das Verfahren insoweit teilweise gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Denn eine etwaige Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen einer Versendung der Videoaufzeichnung wäre – da diese nach der Behauptung des Angeschuldigten während der polizeilichen Maßnahme erfolgt sein soll – von der angeklagten Tat i.S. des § 264 Abs. 1 StPO umfasst. Die damit in Widerspruch stehende Teileinstellung stünde einer Eröffnung des Hauptverfahrens mangels Sperrwirkung nicht entgegen (vgl. Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scherer, StPO, 27. Aufl. 2018, § 170 Rn. 35, 50).
45Indes fehlt es bezogen auf eine mögliche Strafbarkeit des Angeschuldigten gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB an einem hinreichenden Tatverdacht. Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 05.03.2020 (Az.: 622 Gs 397/20) davon ausgegangen worden ist, dass der Angeschuldigte auch verdächtig ist, eine Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen zu haben, kann hiervon nach dem weiteren Gang des Ermittlungsverfahrens nicht (mehr) ausgegangen werden, da der Angeschuldigte die Videoaufzeichnung nicht an Dritte versendet oder die Aufnahme sonst „gebraucht“ hat. Aus demselben Grund besteht kein Tatverdacht hinsichtlich einer Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 33 Abs. 1 KUG wegen des Verbreitens oder öffentlichen Zurschaustellens eines Bildnisses entgegen den §§ 22, 23 KUG.
46(3) Der Angeklagte könnte sich aber wegen einer Beleidigung gemäß § 185 Alt. 1 StGB zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten schuldig gemacht haben. Nach dem Inhalt der Strafanzeige soll der Angeschuldigte während seiner Durchsuchung geäußert haben, die Beamten sollten „die Finger“ aus seinem „Arsch lassen“ und er „werde hier vergewaltigt“. Durch die vorgenannten Äußerungen hätte der Angeschuldigte kundgetan, dass die Polizeibeamten sich eines Sexualdeliktes zu seinem Nachteil schuldig machen. Dadurch könnte der Angeschuldigte seine Missachtung gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten zum Ausdruck gebracht haben. Die Tat wäre auch rechtswidrig. Selbst wenn die Diensthandlung der Beamten rechtswidrig gewesen wäre, hätte der Angeschuldigte die Beamten nicht beleidigen dürfen, insbesondere wäre sein Handeln nicht nach § 193 StGB gerechtfertigt.
47Die beleidigenden Äußerungen, die der Angeschuldigte nach dem Inhalt der Strafanzeige gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten geäußert haben soll, sind nach dem oben Gesagten auch von der angeklagten Tat i.S. des § 264 Abs. 1 StPO umfasst, da sie während der Durchsuchung des Angeschuldigten geäußert worden sein sollen. Dass die beleidigenden Äußerungen in der Anklageschrift nicht genannt sind, spielt keine Rolle. Insbesondere ist unerheblich, ob die Staatsanwaltschaft insoweit auch einen entsprechenden Verfolgungswillen hatte (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 264 Rn. 36).
48Darüber hinaus haben die eingesetzten Polizeibeamten, die Zeugen POK XXX, PK’in XXX und KA XXX wirksame Strafanträge gestellt. Die in der Verfahrensakte enthaltenen Strafanträge (Bl. 2-3 GA) sind ausdrücklich auch wegen Beleidigung gestellt worden (vgl. Bl. 1 GA). Darüber hinaus befindet sich in der Verfahrensakte ein weiterer Strafantrag der Zeugin XXX vom 29.02.2020 wegen Beleidigung (Bl. 7 GA). Ob insoweit auch der Strafantrag des Dienstvorgesetzten vom 14.04.2020 (Bl. 39 GA) genügt, der keinen Bezug zu einem konkreten Straftatbestand aufweist, kann daher dahinstehen (zu den Anforderungen an einen Strafantrag wegen Beleidigung vgl. BGH, Urt. v. 16.01.1951 – 3 StR 45/50, NJW 1951, 368).
493. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten ist nicht veranlasst. Die Kosten- und Auslagentragung im Beschwerdeverfahren folgt vielmehr jener in der Hauptsache.
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