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a) Die Durchführung eines Sicherungsverfahrens nach den §§ 413 ff. StPO setzt zwar nicht die Verhandlungs-, wohl aber die Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten voraus (Anschluss an LG Kassel, Beschl. v. 20.09.2017 – 10 KLs 4710 Js 17180/14; entgegen OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17).
b) Ist die Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten in einem Sicherungsverfahren vorübergehender Natur, ist nach § 205 Satz 1 StPO bzw. – bei begonnener Hauptverhandlung – nach § 228 Abs. 1 StPO zu verfahren. Ist die Vernehmungsunfähigkeit dauerhafter Natur, ist nach § 206a Abs. 1 StPO bzw. § 260 Abs. 3 StPO zu verfahren.
Das Verfahren gegen den Beschuldigten XXX wird eingestellt.
Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten zu tragen.
G r ü n d e
2(abgekürzt gem. § 267 Abs. 5 StPO)
3I.
4Der am XXX in XXX geborene XXX Beschuldigte ist XXX Staatsangehöriger. Die Mutter des Beschuldigten verstarb 2002 an den Folgen einer Krebserkrankung. Sein Vater lebt in XXX und ist 80 Jahre alt. Der Beschuldigte hat sechs Geschwister, u.a. eine ältere Schwester, die Zeugin XXX, die in XXX wohnt, und eine jüngere Schwester, die Zeugin XXX, die in XXX wohnt. Er hat einen Bruder, der unter psychischen Problemen leidet und behandelt wird.
5Im Alter von 11 Jahren kam der Beschuldigte nach Deutschland. Er besuchte hier die Hauptschule, die er ohne Abschluss verließ. Die Schulzeit verlief ohne besondere Auffälligkeiten. Im Anschluss machte der Beschuldigte ca. eineinhalb Jahre eine Ausbildung zum Fliesenleger, brach die Ausbildung dann aber ab. Schon während seiner Pubertät kam es häufig zu Konflikten zwischen dem Beschuldigten und seinem Vater.
6Der Beschuldigte konsumiert seit seiner Jugend verschiedene Betäubungsmittel, u.a. Cannabis und Amphetamin, wahrscheinlich seit dem Jahr 1998. Weitergehende Einzelheiten hierzu, insbesondere zu Menge und Häufigkeit des Betäubungsmittelkonsums, konnten von der Kammer nicht festgestellt werden. Alkohol konsumiert der Beschuldigte nicht regelmäßig, ist aber verführbar für erhöhten Alkoholkonsum.
7Erstmals im Alter von 13 oder 14 Jahren zeigten sich bei dem Beschuldigten psychische Auffälligkeiten in Form von inadäquatem Lachen und Selbstgesprächen. Die Auffälligkeiten verschlimmerten sich mit dem Tod der Mutter deutlich. Die Auffälligkeiten, die der Beschuldigte zeigte, äußerten sich durch sehr häufiges, völlig unmotiviertes Lachen, er sprach zudem häufig mit sich selbst.
8Im Jahr 2006 wurde ein Antrag auf Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung für den Beschuldigten bei dem Amtsgericht XXX gestellt. In der Folgezeit (2007) wurde eine gesetzliche Betreuung eingerichtet und ein Betreuer bestellt. Im September 2010 ist Herr XXX zum gesetzlichen Betreuer bestellt worden.
9Der Beschuldigte befand sich vom 04. bis zum 12.07.2007, ferner Ende August 2007 mit der Diagnose „Paranoide Schizophrenie“ im XXX-Krankenhaus in XXX.
10Im Oktober 2014 befand sich der Beschuldigte erneut im XXX-Krankenhaus in XXX. In einem Bericht vom 25.10.2014 wurden folgende Diagnosen aufgeführt: „Paranoide Schizophrenie, Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide, Psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein; psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: Abhängigkeitssyndrom sowie dissoziale Persönlichkeitsstörung“.
11Der Beschuldigte befand sich darüber hinaus vom 15. bis zum 17.12.2014 zur Behandlung im XXX-Krankenhaus in XXX.
12Der Beschuldigte wurde vom 22.04. bis zum 14.06.2016 aufgrund einer richterlich genehmigten Unterbringungsanordnung seines Betreuers im XXXklinikum XXX stationär behandelt. Zum damaligen Zeitpunkt war er zu Person, Ort und Zeit orientiert, zur Situation jedoch nur unscharf orientiert. Bei dem Beschuldigten wurde eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, die aufgrund der auffälligen Affektivität als hebephrene Schizophrenie eingeordnet wurde. Er war dort neben der oralen Medikation mit 30 mg Aripiprazol auf ein Depot-Neuroleptikum (Paliperidon) eingestellt worden. Dieses sollte mit einer Dosierung von 100 mg alle drei Wochen intramuskulär injiziert werden, die Folgegabe war für den 01.07.2017 vorgesehen. Nach der Behandlung im Klinikum zeigte sich zunächst eine deutliche Verbesserung der psychotischen Symptomatik, jedoch erfolgte keine ambulante Weiterbehandlung nach der Entlassung. Auch während des Aufenthaltes im Klinikum zeigte sich keine Krankheitseinsicht bei dem Beschuldigten. Seine Entlassung war nicht regulär erfolgt, vielmehr kehrte der Beschuldigte nach einem Ausgang nicht in die Klinik zurück, sondern war zu seinem Vater gegangen.
13Vom 01.09. bis zum 11.12.2016, vom 16.12. bis zum 22.12.2016 sowie vom 26.12.2016 bis zum 02.01.2017 befand sich der Beschuldigte erneut im XXX-Krankenhaus in XXX. Der Beschuldigte wirkte bei der Aufnahme floride psychotisch, eine Anamnese war mangels adäquater Antworten durch den Beschuldigten nicht möglich. Er strich sich immer wieder mit den Händen über den Kopf und grimassierte parathym. Nach dieser Behandlung zeigte sich keine nennenswerte Verbesserung der psychotischen Symptomatik. Eine zum Entlassungszeitpunkt geplante Aufnahme des Beschuldigten im XXX-Haus in XXX erfolgte nicht. In der Folgezeit lebte er bei seiner älteren Schwester in XXX. Eine regelmäßige ärztliche Behandlung des Beschuldigten fand in dieser Zeit nicht statt, auch erfolgte keine regelmäßige medikamentöse Therapie.
14Der Sachverständige XXX diagnostizierte am 07.03.2017 im Rahmen eines im Auftrag der Staatsanwaltschaft XXX auf der Grundlage einer am 17.02.2017 durchgeführten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung sowie mehrerer Befunde erstatteten forensisch-psychiatrischen Gutachtens bei dem Beschuldigten eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in einer chronisch rezidivierenden Verlaufsform, differentialdiagnostisch eine Hebephrenie, ein Abhängigkeitssyndrom infolge Cannabiskonsum sowie durch andere Stimulanzien einschließlich Koffein und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. In dem Gutachten wird ausgeführt, dass der Beschuldigte auch im Rahmen der klinischen Untersuchung Auffälligkeiten zeigte, er habe sich kaum am Gespräch beteiligt, so dass die Angaben überwiegend fremdanamnestisch über die (jüngere) Schwester hätten erhoben werden müssen. Der Beschuldigte habe verlangsamt im Gedankengang und assoziativ gelockert gewirkt. Es seien unmotivierte paralogische Äußerungen gefallen, zum Teil sei es zu unmotiviertem parathymem Verhalten mit spontanem Lachen gekommen, akustische Halluzinationen hätten nicht ausgeschlossen werden können. Die kognitiven Funktionen seien erheblich eingeschränkt gewesen, der Beschuldigte sei unkonzentriert, abwesend, fahrig, teils desinteressiert gewesen. Die Funktionen im Kurz- und Langzeitgedächtnis seien aufgrund der geringen Compliance nicht überprüfbar gewesen. Der Beschuldigte sei zudem im Affekt auffällig gewesen, er habe läppisch und parathym, nivelliert in seiner Persönlichkeit und seiner Affektivität bei eingeschränkter Schwingungsfähigkeit gewirkt. Auffällig seien zudem die Psychomotorik und die starke Bewegungsunruhe gewesen. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen, das Elektroenzephalogramm habe keine Hinweise auf eine umschriebene oder generalisierte Hirnfunktionsstörung gezeigt. Die beschriebenen Symptome lägen bei dem Beschuldigten sämtlich in hoher Ausprägung vor, zudem liege ein schädlicher Gebrauch von unterschiedlichen Drogen vor. Bekannt sei zudem laut dem letzten Krankenhausbericht eine Hepatitis B-Virus Infektion.
15In einem im Auftrag des Betreuungsgerichts XXX erstatteten Gutachten vom 20.07.2017 zur Frage der Notwendigkeit der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung diagnostizierte der Sachverständige XXX bei dem Beschuldigten eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, eine bekannte Polytoxikomanie, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie eine leichte Intelligenzminderung.
16Aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts XXX vom 11.10.2017 wurde der Beschuldigte bis zum 22.11.2017 im XXXklinikum XXX untergebracht.
17In einem im Auftrag des Betreuungsgerichts XXX erstatteten Gutachten vom 30.12.2017 zur Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung des Beschuldigten kam der Sachverständige XXX zu dem Ergebnis, dass eine Unterbringung des Beschuldigten zur Durchführung einer ärztlich erforderlichen Behandlung notwendig sei.
18Der Beschuldigte befand sich damals zudem in einer ambulanten psychiatrischen Behandlung bei Herrn XXX, wo er zunächst im Abstand von zwei Wochen Depot-Spritzen erhielt, letztmals im Herbst 2016.
19Im Rahmen eines im Auftrag der Staatsanwaltschaft XXX u.a. wegen der unten im Einzelnen aufgeführten Vorfälle auf der Grundlage einer am 14.06.2018 durchgeführten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung sowie mehrerer Befunde erstatteten forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom 18.06.2018 diagnostizierte der Sachverständige XXX bei dem Beschuldigten wiederum eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in einer chronisch rezidivierenden Verlaufsform, differentialdiagnostisch eine Hebephrenie, ein Abhängigkeitssyndrom infolge Cannabiskonsum sowie durch andere Stimulanzien einschließlich Koffein und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. In dem Gutachten wird ausgeführt, dass eine aktuelle gutachterliche Untersuchung des Beschuldigten nicht möglich gewesen sei, weil er sich nach dem Eintreffen in der Praxis entfernt habe. Das bei dem Beschuldigten gegebene Krankheitsbild wird in dem Gutachten als chronifiziert beschrieben.
20Der gesetzliche Betreuer des Beschuldigten, Herr XXX, versuchte in der Vergangenheit mehrfach, den Beschuldigten in einer Wohneinrichtung unterzubringen, neben dem XXX-Haus in XXX auch im XXXhaus in XXX sowie im Haus XXX, einer Einrichtung des XXX-Krankenhauses in der XXXstraße in XXX. Die Kontaktaufnahme des Beschuldigten in den jeweiligen Einrichtungen verlief jedoch meist sehr schnell und unmittelbar konfliktiv, in einem Fall verhinderte der Betäubungsmittelkonsum des Beschuldigten eine Aufnahme. Der Beschuldigte akzeptierte zudem keine Regeln.
21Seit dem 11.04.2019 ist Herr XXX gesetzlicher Betreuer des Beschuldigten. Seine Aufgabenkreise umfassen: Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Leistungsträgern, Vertretung in Straf- und Ermittlungsverfahren und Wohnungs- und Mietangelegenheiten. Ferner bedürfen Willenserklärungen des Beschuldigten im Bereich der Vermögenssorge der Einwilligung des Betreuers.
22Im Rahmen eines im Auftrag der Staatsanwaltschaft XXX u.a. wegen der unten im Einzelnen aufgeführten Vorfälle erstatteten Ergänzungsgutachtens vom 23.08.2019 führte der Sachverständige XXX aus, dass insbesondere aufgrund fehlender Krankheitseinsicht und der vor diesem Hintergrund nur sporadischen Behandlung die Psychose einen schweren und chronifizierten Verlauf genommen habe. Es seien wiederholt bizarre Verhaltensweisen, kognitive Auffälligkeiten, Desorganisation des Denkens sowie Verhaltensstörungen – auch im Rahmen der stationären Aufenthalte – geschildert worden. Es müsse von einer weiteren Chronifizierung bzw. Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschuldigten ausgegangen werden, die medizinische Prognose sei äußerst schlecht.
23Der Beschuldigte lebte in der Vergangenheit immer wieder bei seinem Vater, wo es jedoch regelmäßig zu Auseinandersetzungen kam. Mit Beschluss vom 10.06.2020 hat das Amtsgericht XXX (Az.: XXX) auf Antrag des Vaters des Beschuldigten eine einstweilige Anordnung erlassen und in dieser – befristet bis zum 10.12.2020 – u.a. dem Beschuldigten verboten, sich der Wohnung seines Vaters weniger als 20 Meter zu nähern. Entsprechendes hat das Amtsgericht auch bezogen auf den Vater des Beschuldigten angeordnet.
24Zuletzt war der Beschuldigte in einer Obdachlosenunterkunft unter der Anschrift XXX in XXX wohnhaft, wo er sich zuletzt allerdings nur noch unregelmäßig aufhielt.
25II.
26Mit Verfügung vom 13.09.2019 hat die Staatsanwaltschaft XXX beantragt, ein Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO durchzuführen mit dem Ziel einer Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Die Antragsschrift lautet wie folgt:
27„…ist hinreichend verdächtig
28im Zeitraum 04.07.2017 bis 26.06.2019
29in XXX
30durch 15 selbstständige Handlungen
311. in sechs Fällen (Fälle 1, 4, 5,11,12,15)
32eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben,
332. in einem Fall (Fall 1)
34durch dieselbe Handlung
35einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht zu haben,
363. in einem weiteren Fall (Fall 15)
37durch dieselbe Handlung
38einen anderen beleidigt zu haben,
394. in zwei Fällen (Fall 3 und 9)
40einen Menschen rechtswidrig unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einer Handlung Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zugefügt zu haben, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wobei er in einem Fall (Fall 9) bei der Tat ein anderes gefährliches Werkzeug verwendete und es beim Versuch blieb,
415. in einem Fall (Fall 2)
42einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht zu haben,
436. in einem Fall (Fall 6)
44durch dieselbe Handlung
45a) eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich rechtswidrig zuzueignen,
46b) ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte,
477. in zwei Fällen (Fälle 7 und 8)
48jeweils durch dieselbe Handlung
49a) sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt zu haben, bevor er zu Gunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war, ermöglicht hatte,
50b) ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte,
518. in einem Fall (Fall 10)
52öffentlich sexuelle Handlungen vorgenommen und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt zu haben,
539. in einem Fall (Fall 13)
54einen anderen beleidigt zu haben,
5510. in einem Fall (Fall 14)
56einen Amtsträger, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angegriffen zu haben.
57Fall 1 (Hauptakte):
58Am 04.07.2017 gegen 16 Uhr begab sich der Beschuldigte zu der Adresse seines Vaters, dem Zeugen XXX in XXX. Er schrie, der Zeuge solle die Tür aufmachen, sonst würde er ihn totschlagen. Aus Angst vor dem Beschuldigten öffnete der Zeuge die Tür. Der Beschuldigte schlug dem Zeugen auf den Kopf, woraufhin der Zeuge Schmerzen erlitt.
59Fall 2 (Fallakte 1):
60Am 07.07.2017 begab sich der Beschuldigte erneut zu der Wohnung des Zeugen XXX. Als der Zeuge auf Aufforderung des Beschuldigten die Haustür öffnete, drohte der Beschuldigte dem Zeugen auf Arabisch, er werde den Zeugen „tot machen.“
61Fall 3 (Fallakte 2):
62Am 25.07.2017 suchte der Beschuldigte die Wohnung des Zeugen XXX auf. Er forderte von dem Zeugen Geld, um sich Lebensmittel kaufen zu können. Da der Zeuge davon ausging, der Beschuldigte wolle sich von dem Geld Drogen kaufen, kam er dieser Forderung zunächst nicht nach. Als der Beschuldigte jedoch äußerte, er werde den Zeugen verprügeln, wenn er von diesem kein Geld erhalte, reichte der Zeuge dem Beschuldigten seine Geldbörse. Dieser entnahm aus dieser Geld und verließ die Wohnung. Der Beschuldigte handelte dabei in der Absicht, sich auf Kosten des Zeugen einen finanziellen Vorteil zu verschaffen.
63Fall 4 (Fallakte 7)
64Am Vormittag des 17.09.2017 befand sich der Beschuldigte in der Wohnung seiner Schwester, der Zeugin XXX, in der XXX in XXX. Als die Zeugin ihm gegenüber äußerte, er solle aufhören, mit sich selbst zu reden, schlug der Beschuldigte unvermittelt mit Fäusten auf die Zeugin und deren Schwester, die Zeugin XXX, ein. Die Zeuginnen erlitten durch die Schläge leichte Verletzungen. Die Zeugin XXX erlitt ein geschwollenes Auge, die Zeugin XXX Nackenschmerzen.
65Fall 5 (Fallakte 8):
66Am 23.09.2017 gegen 16 Uhr traf der Beschuldigte in der XXXstraße vor dem dortigen XXX auf seinen Vater, den Zeugen XXX. Als die beiden in Streit gerieten, schlug der Beschuldigte dem Zeugen mit der Faust gegen den Kopf, woraufhin der Zeuge Schmerzen erlitt.
67Fall 6 (Fallakte 4):
68In der Nacht vom 23.04.2018 auf den 24.04.2018 entwendete der Beschuldigte den Lkw Typ VW Transporter mit dem amtlichen Kennzeichen XXX des Zeugen XXX von dem Gelände der Firma XXX in der XXX Straße XXX in XXX in der Absicht, diesen künftig für eigene Zwecke zu verwenden. Anschließend führte er das Fahrzeug im Bereich der XXX Straße in XXX, obwohl er, wie ihm bewusst war, nicht im Besitz der hierzu erforderlichen Fahrerlaubnis war.
69Fall 7 (Fallakte 6):
70Am 24.04.2018 gegen 11:15 Uhr befuhr der Beschuldigte mit dem entwendeten Fahrzeug des Zeugen XXX unter anderem die XXX Straße in Fahrtrichtung XXXX. Hierbei war er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis. Infolge Unachtsamkeit kam er von der Fahrbahn ab und stieß mit dem durch ihn geführten Fahrzeug von rechts kommend gegen das Fahrzeug der Zeugin XXX. Diese wurde dadurch nach links von der durch sie befahrenden Fahrbahn abgedrängt. An ihrem Fahrzeug entstand ein nicht unerheblicher Sachschaden. Obwohl der Beschuldigte den Unfall, welcher mit einem lauten Knall einherging, bemerkte, entfernte er sich von der Unfallörtlichkeit, ohne berechtigten Personen seine Personalien mitzuteilen.
71Fall 8 (Fallakte 5):
72Am 25.04.2018 gegen 12:15 Uhr befuhr der Beschuldigte, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, mit dem entwendeten Fahrzeug des Zeugen XXX die XXXstraße in XXX. Bei einem Wendemanöver stieß er gegen eine Mauer in der XXXstraße Nr. XXX. An dieser entstand ein nicht unerheblicher Sachschaden. Obwohl der Beschuldigte den Unfall bemerkte, entfernte er sich von der Unfallörtlichkeit, ohne berechtigte Personen über den Schaden in Kenntnis zu setzen. Vor Fahrtantritt hatte der Beschuldigte Amphetamin konsumiert.
73Fall 9 (Fallakte 11):
74Am 24.07.2018 gegen 05:30 Uhr suchte der Beschuldigte die Wohnung seines Vaters erneut auf. Über einen dortigen Müllcontainer kletterte er auf den zu der Wohnung gehörenden Balkon. Als der Zeuge XXX die Balkontür öffnete, forderte der Beschuldigte von dem Zeugen 50 Euro. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, holte er aus der Küche ein Schälmesser und äußerte gegenüber dem Zeugen: „ Wenn du mir nicht sofort 50 Euro gibst, dann steche ich dich ab! Wenn du die Polizei rufst, dann steche ich dich auch ab!“ Sodann entfernte er sich aus der Wohnung.
75Fall 10 (Fallakte 12):
76Am 05.12.2018 manipulierte der Beschuldigte an der Bushaltestelle „XXX“ in XXX an seinem Glied und blickte dabei der Zeugin XXX in die Augen. Dem Beschuldigten kam es darauf an, die Zeugin XXX in ihrem Schamgefühl zu verletzen.
77Fall 11 (Fallakte 13):
78Am 20.02.2019 gegen 09:30 Uhr begab sich der Beschuldigte zu der Wohnung seines Vaters. Als der Beschuldigte sich darüber ärgerte, dass der Zeuge XXX beim Zubereiten des Kaffees zu laut gewesen war, schlug er diesem unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Der Zeuge erlitt hierdurch Schmerzen.
79Fall 12 (Fallakte 14):
80Am 13.03.2019 gegen 14 Uhr befand sich der Beschuldigte an der Bushaltestelle am XXX in XXX. Der Beschuldigte starrte die Zeugin XXX an und kam ihr immer näher. Als der Zeuge XXX die Bushaltestelle passierte, schubste der Beschuldigte diesen unvermittelt derart stark, dass dieser gegen die Zeugin XXX stieß. Aufgrund des Stoßes fiel diese mit ihrem Hinterkopf gegen das Glas der Bushaltestelle. Die Zeugin erlitt Schmerzen.
81Fall 13 (Fallakte 15):
82Am 15.03.2019 gegen 12 Uhr wurden die Zeugen XXX und XXX zu einem Einsatz in der XXX Straße in XXX gerufen. Als sie dort auf den Beschuldigten trafen und dessen Personalien feststellen wollten, spuckte der Beschuldigte vor die Füße der Zeuginnen. Weiterhin bezeichnete er die Zeugin XXX als „dumme Schlampe“ und „alte Fotze“ um diese in ihrer Ehre herabzuwürdigen.
83Fall 14 (Fallakte 19):
84Am selben Tag trafen die Zeugen XXX und XXX im Rahmen einer Fahndung auf den Beschuldigten. Als diese die Personalien des Beschuldigten feststellen wollten und den Beschuldigten aufforderten, seine Hände zu zeigen, ballte dieser seine Hände zu Fäusten und ging in bedrohlicher Art und Weise auf den Zeugen XXX zu. Trotz mehrfacher Aufforderung, stehen zu bleiben, ging der Beschuldigte immer weiter auf den Zeugen zu, wobei er seine Fäuste in Kopfhöhe des Zeugen hielt. Durch den Einsatz des Reizstoffsprühgerätes konnte der Angriff des Beschuldigten abgewehrt werden.
85Fall 15 (Fallakte 18):
86Am 15.03.2019 gegen 14 Uhr hielt sich der Beschuldigte in der XXXstraße in XXX auf. Vor dem dortigen Geschäft „XXX“ trat er unvermittelt dem Zeugen XXX gegen das linke Bein und bezeichnete ihn als „Hurensohn“, um ihn in seiner Ehre herabzuwürdigen. Der Zeuge erlitt Schmerzen.
87…“
88Die Kammer hat mit Beschluss vom 30.12.2019 die Antragsschrift vom 13.09.2019 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
89Nachdem der Beschuldigte trotz ordnungsgemäßer Ladung zu der Hauptverhandlung am 05.11.2020 nicht erschienen ist, hat die Kammer seine zwangsweise Vorführung zu dem Fortsetzungstermin am 10.11.2020 angeordnet. Der Betreuer des Beschuldigten hatte diesen noch am Tag vor dem ersten Hauptverhandlungstermin auf diesen ausdrücklich hingewiesen. Nachdem der Beschuldigte auch zu dem Fortsetzungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung sowie eines erneuten Hinweises durch seinen Betreuer auf diesen Termin nicht erschienen ist und auch nicht vorgeführt werden konnte, hat die Kammer am 10.11.2020 einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen. Am 19.11.2020 ist der Beschuldigte vorläufig festgenommen und der Haftbefehl der Kammer vom 10.11.2020 verkündet worden. In dem Termin zur Verkündung des Haftbefehls hat der Beschuldigte angegeben, er sei unterwegs gewesen und habe deshalb an dem Hauptverhandlungstermin nicht teilgenommen. Im Übrigen hat der Verteidiger des Beschuldigten erklärt, dass die Sache mit dem Beschuldigten im Einzelnen besprochen werde im Hinblick auf den anstehenden Hauptverhandlungstermin.
90In dem am 09.12.2020 durchgeführten Hauptverhandlungstermin ist die Antragsschrift vom 13.09.2019 verlesen und der Beschuldigte darüber belehrt worden, dass es ihm freistehe, sich zur Sache zu äußern oder sich nicht zu äußern. Der Verteidiger des Beschuldigten gab für diesen die Erklärung ab, dass sich der Beschuldigte allenfalls fragmentarisch an die Vorgänge erinnere und daher keine Einlassung zur Sache erfolgen könne und werde. Während der etwa 25 Minuten dauernden Hauptverhandlung wirkte der Beschuldigte geistig abwesend, er winkte in Richtung des im hinteren Teil des Sitzungssaals gelegenen Zuschauerbreichs und sprach (unverständlich) in diese Richtung, wobei sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung an dieser Stelle keine Person auf den Zuschauerbänken aufhielt. Darüber hinaus strich sich der Beschuldigte mehrfach mit beiden Händen über seinen Kopf, ohne dass ein Grund hierfür erkennbar war. Auch schwankte er mehrfach mit seinem Oberkörper hin und her.
91Im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 09.12.2020 sollte der Beschuldigte mit Einverständnis seines Verteidigers von dem Sachverständigen XXX im Vorführbereich des Gerichts exploriert werden. Nur kurze Zeit später teilte der Sachverständige dem Vorsitzenden der Kammer im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit, dass der Beschuldigte seiner Einschätzung nach nicht verhandlungsfähig, insbesondere nicht in der Lage sei, zu verstehen, worum es in dem vorliegenden Verfahren überhaupt geht, auch sei er nicht in der Lage, sich zu den einzelnen Vorfällen zu äußern.
92Im Rahmen der Hauptverhandlung am 11.12.2020 ist der Sachverständige von der Kammer durch Beschluss damit beauftragt worden, ein Gutachten zur Frage der Verhandlungs- sowie der Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten zu erstellen.
93Im Rahmen der anschließend von dem Sachverständigen an den Beschuldigten gestellten Fragen war dieser nicht in der Lage anzugeben, aus welchem Grund die Hauptverhandlung stattfindet. Der Beschuldigte gab lediglich an, dass der Termin wegen „der Sachen“ stattfinde, wobei er auch auf mehrfache Nachfrage durch den Sachverständigen sowie die Kammer nicht in der Lage war, diese zu konkretisieren, geschweige denn einzelnen Vorfällen zuzuordnen. Der Beschuldigte gab lediglich an, dass sein Vater ihm mit der Krücke auf den Kopf geschlagen habe, das habe er nicht gut gefunden. Sein Vater habe dies aus Langeweile getan. Auf Nachfrage durch die Kammer, ob der Beschuldigte eine Erinnerung an diesen Vorfall habe, gab er an, dass er eine Augenverletzung habe. Auf Nachfrage, weshalb er diese habe, gab er an, dass er Angst habe, wenn er an bewaffneten Leuten vorbeigehe, er werde von Stellen beobachtet, insbesondere wenn er spazieren gehe. Auf Nachfrage, ob er auch in der Justizvollzugsanstalt Angst gehabt habe, verneinte er dies zunächst, sodann bejahte er dies aber. Hier im Gerichtssaal habe er keine Angst, nur Kopfschmerzen. Der Beschuldigte war im Übrigen lediglich in der Lage anzugeben, dass es um seinen Vater gehe. Weiter konnte er sein Geburtsdatum korrekt nennen. Im Übrigen war der Beschuldigte nicht in der Lage, Angaben zu Tag, Monat und Jahr zu machen. Auf Nachfrage durch die Kammer, ob er sich erinnern könne, was in dem letzten Hauptverhandlungstermin geschehen sei, vermochte der Beschuldigte keine Antwort zu geben. Auf weitere Nachfrage, ob er wisse, wo er sei, gab er an, er befinde sich hier bei dem „Bundesgesetzgericht“. Auf weitere Nachfrage gab der Beschuldigte an, dass er zuletzt im Gefängnis gewesen sei. Auf Nachfrage, seit wann dies der Fall sei, gab er an, dass dies seit zwei Wochen oder einen Monat der Fall sei. Weiter gab der Beschuldigte an, dass ihm in der Justizvollzugsanstalt die Haare kurz geschnitten worden seien, so dass er sich nicht mehr in die Haare fassen könne. Auf Nachfrage zu einer Behandlung bei dem Herrn XXX gab der Beschuldigte an, sich hieran erinnern zu können, das sei vor drei Monaten, einem Jahr oder zwei Jahren gewesen. Nach einer etwa fünfzehnminütigen Sitzungspause gab der Beschuldigte auf Nachfrage durch die Kammer, was im Rahmen der Hauptverhandlung zuvor besprochen worden sei, an, er habe „einen Chef im Mund“. Während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung lachte der Beschuldigte mehrfach unwillkürlich, auch strich er sich wiederum mehrfach mit beiden Händen über den Kopf und bewegte seinen Oberkörper mehrfach hin und her. Auf erneute Nachfrage zu den einzelnen, in der Antragsschrift genannten Vorfällen vermochte der Beschuldigte keine Angaben zu machen.
94Der Sachverständige XXX gab sodann im Rahmen des von ihm erstatteten Gutachtens an, dass der Beschuldigte seiner Einschätzung nach weder verhandlungs- noch vernehmungsfähig sei. Der Beschuldigte sei affektiv verflacht. Die bereits diagnostizierte Hebephrenie zeige sich auch hier in der Hauptverhandlung deutlich. Der Beschuldigte sei parathym. Die Erkrankung sei chronifiziert. Aus seiner Sicht sei der Beschuldigte krankheitsbedingt nicht in der Lage, der Hauptverhandlung zu folgen, ebenso sei er krankheitsbedingt nicht in der Lage, die Bedeutung der an ihn gestellten Fragen zu erfassen und auf diese adäquat zu antworten. Dieser Zustand bestehe im Hinblick auf die seit Jahren nicht erfolgte konsequente medikamentöse Behandlung dauerhaft. Allenfalls für den Fall einer längerfristigen Unterbringung des Beschuldigten – mindestens über zwei bis drei Monate hinweg – bestehe die Möglichkeit, einen Zustand vorübergehender Vernehmungsfähigkeit herzustellen, wobei hierfür allenfalls eine Wahrscheinlichkeit von maximal 50 % bestehe. Darüber hinaus lägen nach Einschätzung des Sachverständigen weder die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterbringung nach dem BGB noch die nach dem PsychKG NRW vor. Insbesondere im Hinblick auf die fehlende Krankheitseinsicht des Beschuldigten sei der Zustand der Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit als dauerhaft anzusehen.
95Die Kammer hat darüber hinaus in der Hauptverhandlung am 11.12.2020 die Zeugen XXX (Vater des Beschuldigten) sowie die Zeugin XXX (Schwester des Beschuldigten) zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten sowie den Verlauf seiner psychischen Erkrankung vernommen. Die Zeugen XXX und XXX haben u.a. angegeben, dass sie letztmals vor etwa zwei Jahren mit dem Beschuldigten ein „normales“ Gespräch hätten führen können. Die Zeugin XXX (Schwester des Beschuldigten) hat sich auf das ihr zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Die Kammer hat darüber hinaus den Betreuer des Beschuldigten, Herrn XXX, angehört.
96Der Sachverständige XXX hat im Anschluss an die Vernehmung der Zeugen mitgeteilt, dass sich an dem Ergebnis seines vorangegangenen Gutachtens nichts ändere, seine Einschätzung sei durch die Angaben der Zeugin vielmehr bestätigt worden.
97III.
98Die von der Kammer getroffenen Feststellungen beruhen insbesondere auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des Sachverständigen XXX vom 07.03.2017 und vom 18.06.2018 sowie den Ergänzungsgutachten vom 21.02.2019 und vom 23.08.2019, dem im Rahmen der Hauptverhandlung am 11.12.2020 erstatteten Gutachten des Sachverständigen XXX, den Angaben der Zeugen XXX und XXX sowie des Betreuers XXX.
99IV.
100Da der Beschuldigte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dauerhaft vernehmungsunfähig ist (unten 1.), ist das Sicherungsverfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen (unten 2.).
1011. Der Beschuldigte ist nicht vernehmungsfähig. Dieser Zustand ist darüber hinaus von dauerhafter Natur.
102a) Die Vernehmungsfähigkeit setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte seine Interessen vernünftig wahrnehmen, Prozesserklärungen abgeben und entgegennehmen kann. Vernehmungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter aufgrund seiner Verfassung nicht in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, insbesondere Fragen und Vorhalte in ihrem Sinngehalt geistig zu verarbeiten, die Bedeutung des Verfahrens zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen, insbesondere Antworten in freier Willensentschließung und Willensbetätigung verständlich zu geben (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 10.10.1994 – 1 Ws 147/94, OLG-NL 1995, 189, 190; OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.02.1999 – Ws 1639/98, NJW 2000, 1804, juris Rn. 23; Wirth/Lammel, Kriminalistik-Lexikon, 4. Aufl. 2011, „Vernehmungsfähigkeit“; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 231a Rn. 11; Löwe-Rosenberg/Becker, StPO, § 231a Rn. 14; MüKo-StPO/Arnoldi, 1. Aufl. 2016, § 231a Rn. 9). Die Frage der Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten ist dabei im Freibeweisverfahren zu klären (vgl. BGH, Urt. v. 09.12.1988 – 2 StR 164/88 zur Verhandlungsfähigkeit).
103Nach dem Ergebnis des im Rahmen der Hauptverhandlung erstatten Gutachtens des Sachverständigen XXX ist der Beschuldigte aufgrund der bestehenden psychischen Erkrankung nicht nur verhandlungs-, sondern auch vernehmungsunfähig. Die Kammer folgt diesbezüglich den in jeder Hinsicht überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen. Die Kammer vermochte sich im Rahmen der Hauptverhandlung einen eigenen Eindruck von dem Beschuldigten zu verschaffen. Dabei war der situativ, zeitlich und örtlich nicht orientierte Beschuldigte auch für den medizinischen Laien erkennbar nicht in der Lage, die an ihn gestellten Fragen zu den einzelnen in der Antragsschrift vom 13.09.2019 aufgeführten Vorfälle zu erfassen, geschweige denn, die hierzu gestellten Fragen in freier Willensentschließung und Willensbetätigung verständlich zu beantworten. Seine Antworten auf die ihm von dem Sachverständigen und der Kammer gestellten Fragen waren offenkundig inadäquat und bezogen sich ganz überwiegend nicht auf die durch die Fragen aufgeworfenen Themen. Soweit der Beschuldigte ansatzweise adäquate Antworten gegeben hat, schweifte er schon nach sehr kurzer Zeit ab und gab offenkundig psychotisches Erleben wieder. Darüber hinaus war der Beschuldigte schon nach kurzer Zeit – hier nach einer etwa fünfzehnminütigen Verhandlungspause – nicht mehr in der Lage, das zuvor Gesagte wiederzugeben. Damit in Einklang steht, dass auch die Zeugen XXX und XXX glaubhaft, insbesondere nachvollziehbar und widerspruchsfrei angegeben haben, zuletzt vor etwa zwei Jahren mit dem Beschuldigten ein „normales“ Gespräch geführt zu haben. Beide Zeugen haben im Übrigen übereinstimmend ein Verhalten des Beschuldigten geschildert, das mit dem im Rahmen der Hauptverhandlung gezeigten sowie in den Gutachten des Sachverständigen XXX geschilderten Verhalten übereinstimmt und nach den glaubhaften Angaben der Zeugen bereits seit Jahren unverändert besteht.
104b) Die Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten besteht nach den auch insoweit in jeder Hinsicht überzeugenden und nachvollziehbaren sowie von der Kammer aus eigener Anschauung und Würdigung – insbesondere im Hinblick auf den eigenen Eindruck, den sich die Kammer von dem Beschuldigten im Rahmen der Hauptverhandlungstermine verschaffen konnte – geteilten Einschätzung des Sachverständigen XXX dauerhaft. Bei dem Beschuldigten sind bereits im Alter von 13 oder 14 Jahren psychische Auffälligkeiten aufgetreten, bereits vor über 15 Jahren ist bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Bis auf einen knapp zweimonatigen Aufenthalt im Universitätsklinikum Aachen im Jahr 2016 ist der Beschuldigte nicht über einen längeren Zeitraum medikamentös behandelt worden, auch den vorgenannten Aufenthalt hat der Beschuldigte aus eigenem Antrieb beendet. Der Beschuldigte ist weder damals noch heute krankheitseinsichtig, seine psychische Erkrankung ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XXX und dem persönlichen Eindruck, den sich die Kammer von dem Beschuldigten im Rahmen der Hauptverhandlungstermine verschaffen konnte, chronifiziert. Es bestünde allenfalls für den Fall einer mehrmonatigen Unterbringung des Beschuldigten eine höchstens 50%ige Chance, den Beschuldigten so zu behandeln, dass er zumindest kurzzeitig vernehmungsfähig ist. Eine solche Unterbringung ist jedoch nicht möglich, da (derzeit) weder die Voraussetzungen des § 1906 BGB noch die des § 11 PsychKG NRW vorliegen und nach den auch insoweit in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen XXX darüber hinaus wegen der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten nicht davon auszugehen ist, dass selbst im Rahmen einer längerfristigen Unterbringung ein Zustand der (vorübergehenden) Vernehmungsfähigkeit hergestellt werden kann.
1052. Das Sicherungsverfahren ist durch Urteil einzustellen, da dessen Durchführung ein dauerhaftes Verfahrenshindernis entgegensteht (§ 260 Abs. 3 StPO). Allerdings ist umstritten, ob die Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten der Durchführung eines Sicherungsverfahrens nach den §§ 413 ff. StPO i.V. mit § 71 StGB entgegensteht.
106a) Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass ein Sicherungsverfahren auch dann zulässig sei, wenn der Betroffene nicht nur verhandlungs-, sondern darüber hinaus vernehmungsunfähig ist (so OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148 f.; dem folgend Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 415 Rn. 1; BeckOK-StPO/Temming, Stand: 01.10.2020, § 415 Rn. 2). Zur Begründung hierfür wird ausgeführt, dass das Sicherungsverfahren eine Art objektives Verfahren sei und dazu diene, die Allgemeinheit vor gefährlichen, aber schuldunfähigen oder verhandlungsunfähigen Straftätern zu schützen. Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, die §§ 413 ff. StPO gerade auch für die Fälle der Verhandlungsunfähigkeit zu erstrecken, gehe notwendigerweise eine Einschränkung des Beschuldigten einher, seine prozessualen Beteiligungsrechte persönlich auszuüben. Die gesetzgeberische Wertung des Vorranges von Sicherungsinteressen hinter der persönlichen Ausübung von Beteiligungsrechten durch den Beschuldigten finde u.a. Ausdruck in § 415 StPO, wo das Recht des Beschuldigten auf ununterbrochene Anwesenheit eine Lockerung erfahre. Es entspräche zudem nicht Sinn und Zweck des Sicherungsverfahrens, wenn man es gerade in besonders schwerwiegenden Fällen geistiger Beeinträchtigung als undurchführbar ansehen wollte. Die Grenzen zwischen Verhandlungs- und darüber hinausgehender Vernehmungsunfähigkeit seien zudem fließend, sodass es oftmals durchaus zweifelhaft sein könne, ob und inwieweit noch eine Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten bestehe oder schon als völlig ausgeschlossen anzusehen sei. Auch der Verweis auf die Unterbringung nach Landesrecht überzeuge nicht. Eine solche möge zwar grundsätzlich eine Alternative zur strafrechtlichen Unterbringung darstellen, sei jedoch gegenüber der strafrechtlichen Unterbringung subsidiär. Zudem seien im Rahmen der landesrechtlichen Unterbringung ebenfalls Anhörungsrechte des Beschuldigten zu beachten, hinsichtlich derer gleichermaßen die Frage zu stellen wäre, inwiefern der Beschuldigte diese sinnvoll ausüben könne. Die Vernehmung des Beschuldigten richte sich nach Inhalt und Umfang danach, inwieweit dessen Zustand eine Verständigung möglich mache. Für den Fall, dass die Vernehmung auf Grund des Zustandes des Beschuldigten keinen Sinn mache, dürfe diese abgebrochen werden; es dürfe indes nicht gänzlich auf die Vernehmung, die dem Zweck diene, dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren, verzichtet werden. Auch vorliegend könne der Versuch einer Vernehmung des Beschuldigten durch das Gericht trotz seiner rudimentären kommunikativen Fähigkeiten nicht als bloße Farce begriffen werden, da die Vernehmung auch dazu diene, dem Gericht einen Eindruck von der Person und des Zustandes des Beschuldigten zu verschaffen.
107b) Die Kammer vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Die Durchführung des Sicherungsverfahrens setzt zwar nicht die Verhandlungs-, wohl aber die Vernehmungsfähigkeit des Beschuldigten voraus (so zutreffend LG Kassel, Beschl. v. 20.09.2017 – 10 KLs 4710 Js 17180/14, BeckRS 2017, 144521 Rn. 11; SK-StPO/Degener, 5. Aufl. 2020, § 415 Rn. 5; KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 415 Rn. 6; KMR-StPO/Metzger, Stand: 08.12.2020, § 415 Rn. 12; MüKo-StPO/Putzke/Scheinfeld, 1. Aufl. 2019, § 413 Rn. 14). Ist die Vernehmungsunfähigkeit vorübergehender Natur, ist nach § 205 Satz 1 StPO bzw. – bei begonnener Hauptverhandlung – nach § 228 Abs. 1 StPO zu verfahren. Ist die Vernehmungsunfähigkeit – wie hier – dauerhafter Natur, ist nach § 206a Abs. 1 StPO bzw. § 260 Abs. 3 StPO zu verfahren.
108Die von dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zitierte Entscheidung des Kammergerichts (KG, Beschl. v. 17.09.1997 – 1 AR 737/97 – 5 Ws 371/97, juris Rn. 2) ist nicht einschlägig (so aber Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149), da sich diese nicht mit den Folgen einer Vernehmungs-, sondern ausschließlich mit den einer Verhandlungsunfähigkeit befasst. Auch die vom Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zitierte Literaturfundstelle (Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 415 Rn. 3) befasst sich ausschließlich mit der Verhandlungs-, nicht aber mit der Vernehmungsunfähigkeit. Dass eine Einstellung des Sicherungsverfahrens bei einer Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten nicht zulässig ist, weil § 413 StPO die Möglichkeit eröffnet, auch und gerade in diesem Fall das Verfahren durchzuführen, kann nicht zweifelhaft sein (vgl. nur BGH, Beschl. v. 23.03.2001 – 2 StR 498/00, BGHSt 46, 345 = NJW 2001, 3277, juris Rn. 4). Aus der Entscheidung des Gesetzgebers, die §§ 413 ff. StPO auch auf die Fälle Verhandlungsunfähigkeit zu erstrecken, folgt aber nicht, dass dies auch dann gilt, wenn der Beschuldigte vernehmungsunfähig ist (zutreffend SK-StPO/Degener, 5. Aufl. 2020, § 415 Rn. 5). Dementsprechend kann auch nicht ausschlaggebend sein, ob die Unterbringung nach § 63 StGB in Anstalten vollzogen wird, die nicht nur – wie die psychiatrischen Krankenhäuser bei der landesrechtlichen Unterbringung – auf die Behandlung der psychischen Erkrankung, sondern auch und gerade auf die Reduzierung der Gefährlichkeit des Beschuldigten spezialisiert sind (so aber Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149).
109Ferner kann nicht davon ausgegangen werden, es entspräche nicht Sinn und Zweck des Sicherungsverfahrens, wenn man es gerade in besonders schwerwiegenden Fällen geistiger Beeinträchtigung als undurchführbar ansehen wollte (so aber OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148, 149). Zutreffend ist zwar, dass das Sicherungsverfahren eine Art objektives Verfahren ist und dazu dient, die Allgemeinheit vor gefährlichen, aber schuldunfähigen oder verhandlungsunfähigen Straftätern zu schützen (vgl. BGH, Beschl. v. 23.03.2001 – 2 StR 498/00, BGHSt 46, 345 = NJW 2001, 3277, juris Rn. 9). Hieraus lässt sich indes nichts für die Frage herleiten, wie für den Fall der Vernehmungsunfähigkeit zu verfahren ist. Insbesondere ist das Sicherungsverfahren kein rein objektives Verfahren. Denn die Anordnung der Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB setzt die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch den Beschuldigten voraus. Auch im Rahmen des Sicherungsverfahrens muss daher ein objektiv und subjektiv tatbestandliches sowie rechtswidriges (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) Handeln des Beschuldigten festgestellt werden. Die Begehung dieser sog. Anlasstat(en) muss das Gericht – regelmäßig im Wege der Beweisaufnahme –feststellen, insbesondere auch bezogen auf den Vorsatz (vgl. BGH, Beschl. v. 24.09.2013 – 2 StR 2 StR 338/13, StV 2014, 346, juris Rn. 2, 8). Insoweit unterscheidet sich das Sicherungsverfahren nicht von dem Strafverfahren. Dann aber muss der Beschuldigte auch in der Lage sein, sich zumindest zu dem einer Antragsschrift zugrunde liegenden Tatgeschehen äußern zu können, insbesondere muss er in der Lage sein, den Sachverhalt zu erfassen und hierauf in freier Willensentschließung und Willensbetätigung verständlich zu antworten. Andernfalls ist der Beschuldigte daran gehindert, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen (vgl. §§ 243 Abs. 5 Satz 2, 136 Abs. 2 StPO). Wie die Bestimmungen des § 415 Abs. 2 und 3 StPO verdeutlichen, muss dem Beschuldigten diese Möglichkeit auch bei der Durchführung eines Sicherungsverfahrens gegeben werden. Die Regelung dient dazu, dem Gericht wenigstens mittelbar einen Eindruck von der Persönlichkeit des Beschuldigten zu vermitteln und diesen zu Wort kommen zu lassen (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 415 Rn. 4). Sie setzt daher voraus, dass der Beschuldigte hierzu in der Lage, also vernehmungsfähig ist. Nur wenn der Beschuldigte Fragen und Vorhalte in ihrem Sinngehalt geistig verarbeiten kann, ist ihm eine sachgemäße Verteidigung möglich. Ausschließlich für diesen Fall ist es vertretbar, die Hauptverhandlung ohne den Beschuldigten durchzuführen und seine Beteiligungsrechte hinter die Sicherungsinteressen der Allgemeinheit zurücktreten zu lassen. Zudem wird nur dann das Recht des Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gewahrt. Dagegen genügt es nicht, dass sich das Gericht im Rahmen der „Vernehmung“ einen Eindruck von der Person und des Zustandes des Beschuldigten verschafft (so aber OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148, 149), da die Vernehmung nach dem oben Gesagten insbesondere auch dazu dient, den Beschuldigten zu Wort kommen zu lassen und zwar nicht ausschließlich zur Feststellung seines Zustandes, sondern insbesondere auch, um ihm Gelegenheit zu geben, seine Interessen wahrzunehmen. Ist der Beschuldigte nicht in der Lage, sich zum Tatgeschehen, insbesondere zum Vorsatz oder etwaigen Rechtfertigungsgründen, zu äußern, weil er nicht den Sinngehalt der an ihn gestellten Fragen zu erfassen vermag, würde der Beschuldigte bei Durchführung eines Sicherungsverfahrens zum Objekt einer Exploration degradiert und dem Begriff der Vernehmung jeglicher Sinn genommen (so zutreffend LG Kassel, Beschl. v. 20.09.2017 – 10 KLs 4710 Js 17180/14, BeckRS 2017, 144521 Rn. 11; SK-StPO/Degener, 5. Aufl. 2020, § 415 Rn. 5).
110Dass die Grenzen zwischen Verhandlungs- und darüber hinausgehender Vernehmungsunfähigkeit fließend sind (so OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148, 149) trifft zwar zu, indes betrifft dies ausschließlich die Beweisebene. Insbesondere kann der Anwendungsbereich des Sicherungsverfahrens nicht mit dem Argument bestehender Beweis- und zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten unter Verstoß gegen verfassungsrechtlich verbürgte Verfahrensgarantien auf (dauerhaft) vernehmungsunfähige Beschuldigte ausgedehnt werden. Darüber hinaus existieren nach dem oben Gesagten gängige Definitionen, die eine Abgrenzung von Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit zulassen und – wie das vorliegende Verfahren zeigt – mit Hilfe derer unter sachverständiger Beratung eine Abgrenzung auch unter Berücksichtigung der Vielzahl in Betracht kommenden psychischen Erkrankungen und ihres jeweiligen Schweregrades durchaus sach- und interessengerecht erfolgen kann.
111Da nach dem Gesagten die Durchführung eines Sicherungsverfahrens bei (dauerhafter) Vernehmungsunfähigkeit des Beschuldigten ausgeschlossen ist, kommt eine Unterbringung nur noch im Rahmen eines Betreuungsverfahrens (§ 1906 BGB) oder nach Landesrecht (vgl. § 11 PsychKG NRW) in Betracht (zutreffend MüKo-StPO/Putzke/Scheinfeld, 1. Aufl. 2019, § 413 Rn. 14). Der Hinweis auf die Subsidiarität der Unterbringung nach Landesrecht (so OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148, 149) verfängt schon deshalb nicht, weil es gerade darum geht, ob eine „strafrechtliche Unterbringung“ möglich ist; das Subsidiaritätsargument ist daher ein Zirkelschluss, eine sog. petitio principii (vgl. KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 415 Rn. 6). Der Hinweis, dass im Rahmen der landesrechtlichen Unterbringung ebenfalls Anhörungsrechte des Beschuldigten zu beachten sind, hinsichtlich derer gleichermaßen die Frage zu stellen wäre, inwieweit der Beschuldigte diese sinnvoll ausüben kann (so OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 04.01.2018 - 3 Ws 1007/17, NStZ-RR 2018, 148, 149), trifft zwar zu, verfängt aber nicht, weil für diesen Fall das Verfahrensrecht entsprechende Regelungen enthält (vgl. §§ 34 Abs. 2, 316, 317 Abs. 1 Satz 2, 319 Abs. 3 FamFG). Unter Berücksichtigung dessen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das landesrechtliche Unterbringungsverfahren mit geringeren verfahrensrechtlichen Garantien ausgestattet ist (so aber Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149). Weshalb die Notwendigkeit einer persönlichen Anhörung, die Zulässigkeit des Absehens von einer persönlichen Anhörung nur auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens, die bei fehlender Anhörungsfähigkeit vorgeschriebene Bestellung eines Verfahrenspflegers und die Möglichkeit der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens einschließlich einer Rechtsbeschwerde ohne Zulassung (vgl. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Var. 1 FamFG) geringere verfahrensrechtliche Garantien begründen sollen als die Durchführung einer Hauptverhandlung mit einem vernehmungsunfähigen Beschuldigten mit Revisionsmöglichkeit (so Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149), erschließt sich der Kammer nicht. Insbesondere besteht gemäß §§ 321 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 2, 26 FamFG vor Erlass einer Unterbringungsmaßnahme die Pflicht des Gerichts, von Amts wegen über die Notwendigkeit der (längerfristigen) Maßnahme förmlich durch Einholung eines Gutachtens Beweis zu erheben. Hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen einer Unterbringung soll gemäß § 30 Abs. 3 FamFG eine förmliche Beweisaufnahme über die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird. In den genannten Fällen hat eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend den Regeln der ZPO zu erfolgen, weshalb gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V. mit § 355 ZPO auch hier insbesondere der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt (dies verkennend Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149). Im Hinblick darauf, dass das Gericht von einer Anhörung nur absehen darf, wenn die Voraussetzungen hierfür durch ein ärztliches Gutachten festgestellt werden (vgl. § 319 Abs. 3 FamFG) und über die Voraussetzungen einer Unterbringungsmaßnahme förmlich durch Einholung eines Gutachtens Beweis zu erheben ist (vgl. § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG), erschließt sich der Kammer auch nicht, weshalb die Beiordnung eines Pflichtverteidigers die Rechte und Interessen eines vernehmungsunfähigen Beschuldigten besser schützen soll, als die Beiordnung „nur“ eines Verfahrenspflegers (so Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149), abgesehen davon, dass das Gericht nur eine hierfür geeignete Person als Verfahrenspfleger bestellen darf (vgl. hierzu Prütting/Helms/Fröschle, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 276 Rn. 40 ff.) und dieser darüber hinaus selbst beschwerdeberichtigt ist (vgl. §§ 303 Abs. 3, 317 FamFG). Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Entlassung aus dem Maßregelvollzug mit höheren verfahrensrechtlichen Garantien für den Beschuldigten ausgestattet ist (so aber Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149), da die vom Gericht dauerhaft zu beaufsichtigende Unterbringungsmaßnahme gemäß § 330 Satz 1 FamFG von Amts wegen unverzüglich zu beenden ist, sofern deren Voraussetzungen wegfallen (vgl. nur Prütting/Helms/Roth, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 330 Rn. 2) und auch insoweit regelmäßige Überprüfungsfristen mit der Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens gesetzlich vorgesehen sind (vgl. § 329 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V. mit § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Hinsichtlich der Qualifikation des Gutachters sieht § 321 Abs. 1 Satz 4 FamFG entsprechende Verfahrensgarantien vor, etwaigen „Routinebeurteilungen“ durch die Klinik beugt § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG vor (dies verkennend Müller-Metz, NStZ-RR 2018, 149). Im Hinblick hierauf ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass die Entlassung aus dem Maßregelvollzug mit höheren verfahrensrechtlichen Garantien für den Beschuldigten ausgestattet sein soll, als dies bei einer Unterbringung nach den §§ 312 ff. FamFG der Fall ist
112V.
113Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
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