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Der Angeklagte wird wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt.Die Vollstreckung der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
Ein Betrag in Höhe von 475,- EUR wird eingezogen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen, soweit er verurteilt worden ist. Im Übrigen fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
Gründe
2(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
3Dem Urteil liegt keine Verständigung nach § 257c StPO zugrunde.
4I.
5Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen:
6Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 46-jährige Angeklagte besuchte in G regulär die Schule und brach zuletzt sein Fachabitur im Bereich Buchhalter ab. In der Hoffnung auf ein besseres Leben kam der Angeklagte im Jahr 2002 nach Deutschland und holte seinen Hauptschulabschluss nach. Im Jahr 2009 besuchte er für sechs Monate eine Euroschule mit einem wirtschaftlichen Fokus. Seit dem Jahr 2009 hat ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.
7Er arbeitete bei der Fa. L in M, absolvierte eine Sicherheitsschulung und war bis zum Jahr 2012 im Sicherheitsbereich als Kurierfahrer festangestellt. Von dem Jahr 2013 bis 2015 war der Angeklagte als Vertreter in der Metallbranche beschäftigt.
8In den Jahren 2015 bis 2016 litt der Angeklagte an einer Depression. Danach machte er sich als Kurierfahrer selbständig und transportierte Filme für eine T Firma. Im Jahr 2019 machte der Angeklagte einen Personenbeförderungsschein. Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit in der Zeit von 2020 bis März 2021 baute sich der Angeklagte wieder eine Kuriertätigkeit auf und vermittelte Lebensmittel u.a. für Geschäfte u.a. und erhielt im Rahmen eines Gründungszuschusses staatliche Unterstützung in Höhe von monatlich 800,00 EUR für den Zeitraum von April bis Oktober 2021.
9Die leibliche Mutter des Angeklagten starb, als er noch ein Kleinkind war; sein Vater verstarb im Jahr 0000 und seine Stiefmutter im Jahr 0000. Der Angeklagte hat fünf ältere Schwestern und acht ältere Brüder, die alle in F leben.
10Er hat einen zweieinhalbjährigen Sohn, der in N bei der Kindsmutter lebt und zu dem regelmäßiger Kontakt besteht. Seit August 2021 ist der Angeklagte verheiratet.
11Von schwerwiegenden Erkrankungen ist der Angeklagte verschont geblieben.
12Der Angeklagte ist strafrechtlich bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
131. Am 00.00.0000 verhängte das Amtsgericht Hamburg-St. Georg wegen gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung eine Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 8,00 EUR.
142. Am 00.00.0000 erging durch das Amtsgericht Zeven wegen fahrlässiger Körperverletzung in 9 rechtlich zusammentreffenden Fällen eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,00 EUR nebst einem Fahrverbot von einem Monat.
153. Am 00.00.0000 verurteilte schließlich das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 EUR.
16Der Angeklagte wurde aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 00.00.0000, Az. 621 Gs 1473/21, am 00.00.0000 vorläufig festgenommen und befand sich vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 in Untersuchungshaft. Am 00.00.0000 wurde er vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont.
17II.
18Das Gericht hat folgende Feststellungen getroffen:
19Der Angeklagte wollte im Hinblick auf seine Kuriertätigkeit die erforderlichen grenzüberschreitenden Fahrten wirtschaftlich lohnender gestalten, um auf diese Art und Weise letztlich seinen Lebensunterhalt für einige Dauer und in einigem Umfang zu finanzieren. Hierzu bot er teils über die Plattform X und teils durch Anfahren von Hauptbahnhöfen in B und L seine Fahrdienste anderen Personen an.
20Es kam in diesem Zusammenhang zu folgenden Taten:
211.
22Am 00.00.0000 beförderte der Angeklagte mittels eines PKW der Marke H, mit dem amtlichen Kennzeichen 01 den Zeugen J vom Hauptbahnhof in B aus gegen 15:07 Uhr über die B 258 und den Q über einen kleinen ehemaligen Grenzübergang in das Königreich O. Wie dem Angeklagten bewusst war, verfügte der Zeuge nicht über gültige Grenzübertrittsdokumente. Der Angeklagte erhielt von dem Zeugen ein Entgelt in Höhe von 30,00 EUR.
232.
24Am 00.00.0000 beförderte der Angeklagte von L kommend gegen 22:00 Uhr mit dem vorbezeichneten Fahrzeug die Zeugen S, K und D über den Grenzübergang „Klein Y“ aus O kommend in die Bundesrepublik. Wie dem Angeklagten bewusst war, verfügten sämtliche Insassen nicht über gültige Dokumente zur Einreise nach Deutschland. Die Zeugen S und K zahlten dem Angeklagten jeweils 70,00 EUR, insgesamt somit 140,00 EUR; der Zeuge D sollte bei Ankunft die vereinbarten 30,00 EUR zahlen.
253.
26Der Angeklagte beförderte am 00.00.0000 mit einem Fahrzeug der Marke H, mit dem amtlichen Kennzeichen 02 den Zeugen E aus L kommend über die BAB 44 aus O am Grenzübergang Y in das Bundesgebiet ein. Dem Angeklagten war bewusst, dass der Zeuge E nicht über gültige Grenzübertrittsdokumente verfügte. Der Angeklagte erhielt von dem Zeugen ein Entgelt in Höhe von 80,00 EUR.
274.
28Am 00.00.0000 beförderte der Angeklagte gegen 22:30 Uhr den Zeugen I in einem PKW über den Grenzübergang Y in das Bundesgebiet, obwohl der Zeuge -was dem Angeklagten bewusst war- nicht über gültige Dokumente für die Einreise nach Deutschland verfügte. Der Angeklagte ließ sich von dem Zeugen I dafür ein Entgelt in Höhe von 45,00 EUR zahlen. Da zuvor jedoch 50,00 EUR vereinbart worden waren und der Zeuge 5,00 EUR für Essen ausgegeben hatte, forderte der Angeklagte den Zeugen I, der nach B mitfahren wollte, auf, den Pkw bereits in P zu verlassen, was dieser tat.
295.
30Am 00.00.0000 befuhr der Angeklagte gegen 09:15 Uhr mit einem PKW der Marke H mit dem amtlichen Kennzeichen 03 die BAB 44 in Fahrtrichtung O. Dabei beabsichtigte er, den Zeugen C nach O und die Zeugen S, W und A nach R zu befördern. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass die Zeugen nicht über gültige Grenzübertrittsdokumente zur Ausreise nach O und R verfügten. Von dem Zeugen C erhielt der Angeklagte 120,00 EUR und von dem Zeugen W 60,00 EUR; die Zeugen A und S sollten bei Ankunft jeweils 50,00 EUR an den Angeklagten zahlen, wozu es wegen der polizeilichen Kontrolle vor der Ausreise aus Deutschland nicht mehr kam.
31Insgesamt erhielt der Angeklagte 475,00 EUR von den Mitgenommenen ausgezahlt.
32III.
33Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen diesbezüglichen eigenen Angaben und der verlesenen Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 28.01.2022.
34Die Feststellungen zu den Taten beruhen auf den geständigen Angaben des Angeklagten, an denen kein Zweifel bestand und die durch die im Übrigen geführte Beweisaufnahme, deren Inhalt und Umfang sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, bestätigt wurden.
35IV.
36Der Angeklagte ist daher des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf Fällen, wobei es sich bei Fall 5 um einen Versuch handelte, nach §§ 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und lit. b), Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, Abs. 4 AufenthG, 22, 23 StGB schuldig.
37Die Taten stehen zueinander in Tatmehrheit, § 53 StGB.
38V.
39Im Rahmen der Strafzumessung hat sich das Gericht auf Grundlage der in § 46 StGB aufgeführten Strafzumessungserwägungen von folgenden Erwägungen leiten lassen:
40Die Strafe ist für alle fünf Taten § 96 Abs. 2 AufenthG, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht, entnommen. Im Fall zu Ziff. 5 erfuhr der Strafrahmen gem. §§ 23, 49 Abs. 1 StGB wegen des Versuchs ein Milderung auf das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat bis zu sieben Jahren sechs Monate.
41Für den Angeklagten sprach, dass er insgesamt geständig war. Zudem zeigte er sich einsichtig und reuig, was zu seinen Gunsten berücksichtigt wurde. Die Untersuchungshaft von rund vier Monaten fiel ebenfalls strafmildernd ins Gewicht. Die Einziehung wurde strafmildernd beachtet. Darüber hinaus fiel zu seinen Gunsten aus, dass die mitgenommenen Personen aus eigenem Antrieb und ohne Gefährdung von dem Angeklagten gefahren worden sind.
42Zu seinen Lasten war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits zuvor einschlägig in Erscheinung getreten ist. Für die Fälle zwei bis fünf war darüber hinaus jeweils strafschärfend zu beachten, dass aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Kontrolle durch die erneute Tatbegehung eine deutliche Rückfallgeschwindigkeit, die auch eine gewisse gleichgültige bis kriminelle Haltung des Angeklagten im damaligen Tatzeitraum erkennen ließ, zeigte. In den Fällen zwei und fünf war zudem zu bedenken, dass zwei Tatvarianten des § 96 Abs. 1 Nr. 1 verwirklicht worden sind. Bezüglich der Tat zu Ziff. 4 fiel zum Nachteil des Angeklagten aus, dass er den Mitgenommenen wegen einer Differenz des vereinbarten Entgelts vor ErUen des Fahrtziels abgesetzt hat.
43Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht folgende einzelne Freiheitsstrafen für tat- und schuldangemessen:
44Fall 1 sieben Monate
45Fall 2 neun Monate
46Fall 3 acht Monate
47Fall 4 acht Monate
48Fall 5 sechs Monate
49Gemäß §§ 53, 54 StGB war aus den vorgenannten Einzelfreiheitsstrafen durch angemessene Erhöhung der höchsten verwirkten Einzelstrafe von neun Monaten als Einsatzstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden.
50Bei der sodann vorzunehmenden nochmaligen Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, wurden alle vorstehend angeführten Strafzumessungsgesichtspunkte erneut berücksichtigt. Unter zusammenfassender Würdigung der Person des Angeklagten und der von ihm begangenen Straftaten, hierbei insbesondere auch unter Berücksichtigung des zeitlichen Zusammenhangs und dem Umstand, dass der Angeklagte im Rahmen anderweitiger Ermittlungen im Fokus der Polizei stand, hielt das Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von
51einem Jahr sechs Monaten
52für tat- und schuldangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten und zur Verteidigung der Rechtsordnung für erforderlich.
53Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich der Angeklagte bereits die Verurteilung als Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Der Angeklagte ist erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Durch sein Geständnis hat der Angeklagte Verantwortung übernommen und hierdurch einerseits Reue und andererseits die Abkehr von seinem früheren Fehlverhalten deutlich werden lassen. Der Angeklagte zeigte sich zudem durch die mehrmonatige Untersuchungshaft beeindruckt. Darüber hinaus ist er familiär und wirtschaftlich eingebunden, so dass es gerechtfertigt ist, die Vollstreckung der Strafe auszusetzen. Auch gebietet die Verteidigung der Rechtsordnung i.S.d. § 56 Abs. 3 StGB nicht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe.
54VI.
55Die Einziehungsentscheidung der erhaltenen Fahrtgelder durch die Mitfahrer beruht auf §§ 73, 73c StGB; diese Fahrtgelder waren als Wert von Taterträgen einzuziehen.
56VII.
57Dem Angeklagten wurde darüber hinaus im Anschluss an die Tat zu Ziff. 3 vom 19.05.2021 Folgendes vorgeworfen:
58„Unmittelbar nach der zuvor bezeichneten Einreise in das Bundesgebiet wurde der Angeschuldigte durch die Polizeibeamten U und V aufgefordert dem Polizeifahrzeug zu folgen. Sodass das vom Angeschuldigten genutzte Fahrzeug an der Abfahrt Ü-West vor dem dortigen Dienstgebäude der Bundespolizei P angehalten werden konnte. Dem Angeschuldigten wurde anschließend durch die Polizeibeamten U, V Z mitgeteilt, dass dieser nun einer Kontrolle unterzogen werde. Zudem wurde er durch die Polizeibeamten gebeten, sein Fahrzeug auf dem wenige Meter entfernten Parkplatz abzustellen, da die Kontrolle aus Eigensicherungsgründen nicht im Wendekreis erfolgen solle. Trotz mehrfacher Aufforderung kam der zunehmend aggressiver werdende Angeschuldigte dieser nicht nach, sodass ihm seitens der Zeugen U, V und Z unmittelbarer Zwang in Form von einfacher körperlicher Gewalt angedroht wurde. Daraufhin wurde die Fahrertüre durch PK Z geöffnet und der Angeschuldigte erneut aufgefordert, den Motor des Fahrzeugs abzustellen und aus dem Fahrzeug zu steigen. Da der Angeschuldigte sich nicht beruhigte und auch dieser Aufforderung nicht nachkam, wurde der Angeschuldigte mittels Anwendung von Eingriffstechniken aus dem Fahrzeug verbracht. Dabei hielt sich der Angeschuldigte am Fahrersitz fest, blieb sitzen und sperrte seine Arme, indem er diese gegen seinen Oberkörper presste. Während der Fesselung versuchte der Angeschuldigte seine Arme vom Rücken auf die Bauchseite des Oberkörpers zu ziehen.“
59Von dieser Tat war der Angeklagte mangels rechtmäßiger Diensthandlung aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Der Angeklagte hatte zu Beginn der Kontrolle durch den Polizeibeamten Z, dem der Angeklagte aufgrund vorangegangener Kontrolle im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz bekannt war, vor der Bundespolizeiwache in Ü darum gebeten, seinen Verteidiger mit seinem Mobiltelefon telefonisch zu kontaktieren, was ihm nicht sofort ermöglicht worden ist. Insoweit liegt ein grundlegender Verstoß gegen das in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO geregelte Recht auf Konsultation eines Verteidigers, worauf bei konkreterer Betrachtung die Polizei bereits in diesem Zeitpunkt hätte hinweisen müssen, vor. Bei diesem Recht handelt es sich um ein elementares justizielles Grundrecht, was sich auch durch die Normierung in internationalen Basistexten wie etwa in Art. 6 Abs. 3c EMRK, Art. 14 ICCPR (UN-Zivilpakt) sowie Art. 48 Abs. 2 Grundrechtecharta der Europäischen Union zeigt. Damit waren wegen dieses Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 S. 2 StPO die weiteren Diensthandlungen nicht mehr rechtmäßig.
60VIII.
61Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 465 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.