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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob der Kindergeldanspruch der Klägerin im Streitzeitraum Dezember 2022 bis Juli 2023 nach § 62 Abs. 1a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeschlossen ist.
2Die Klägerin ist griechische Staatsangehörige. Sie ist Mutter eines im September 2018 geborenen Sohnes, der in ihrem Haushalt lebt. Sie ist im Jahr 2020 nach Deutschland eingereist. Der mit der Klägerin nicht verheiratete Kindesvater ist ebenfalls griechischer Staatsangehöriger; er lebte bis Mitte 2022 mit der Klägerin zusammen.
3Für den Sohn wurde mit Bescheid vom 06.10.2021 Kindergeld festgesetzt mit der Begründung: „Sie und Ihre Familie begründen Ihren Wohnsitz und geregelten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und stehen in einem Beschäftigungsverhältnis.“ Die Nachzahlung des Kindergeldes wurde an das JobCenter C ausgezahlt, da die Klägerin im Nachzahlungszeitraum Sozialhilfe ohne Anrechnung von Kindergeld bezogen hatte.
4Im von der Klägerin im Juni 2022 zurückgesandten Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld gab die Klägerin an, seit Juni 2022 nicht mehr zu arbeiten; als Grund gab sie „Trennung vom Ehemann“ und „Kindererziehung“ an. In der sodann ausgefüllten „Anlage Ausland“ gab sie an: Sie beziehe Leistungen vom JobCenter.
5Daraufhin wies die Beklagte mit Schreiben aus September 2022 auf Folgendes hin:
6- Für Staatsangehörige der Europäischen Union bzw. der EWR-Länder, die nach dem 31. Juli 2019 nach Deutschland eingereist seien, gälten im Falle der Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit dem Bezug von Kindergeld besondere Regelungen.
7- Der Kindergeldanspruch sei eng mit dem Freizügigkeitsrecht verknüpft. Dieser Anspruch bestehe, wenn durch die Agentur für Arbeit bestätigt werde, dass die Arbeitslosigkeit unfreiwillig gewesen sei.
8- Wie lange Kindergeld bezogen werden könne, sei davon abhängig, wie lange vor der Arbeitslosigkeit die Beschäftigung ausgeübt worden sei. Sei die Beschäftigung weniger als ein Jahr ausgeübt worden, bestehe das Freizügigkeitsrecht nach § 2 Absatz 3 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) und damit der Anspruch auf Kindergeld für die Dauer von sechs Monaten, ansonsten auch darüber hinaus. Voraussetzung für den längeren Anspruch sei aber, dass die Arbeitssuche nachweislich ernsthaft betrieben werde.
9- Um prüfen zu können, ob diese Voraussetzungen in Ihrem Fall vorliegen, benötige sie, die Beklagte, eine entsprechende Bestätigung der zuständigen Agentur für Arbeit.
10Auf einem Übersendungsschreiben, das am 24.11.2022 bei der Beklagten eingegangen ist, ist handschriftlich notiert: „KGB arbeitet nicht, schwanger; in D vor 2019.“ Die Klägerin übersandte ein Kündigungsschreiben der X GmbH aus Mai 2022 zum 03.06.2022 (Bl. 112 der Kindergeldakte).
11Die Beklagte forderte daraufhin einen Nachweis über den Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland.
12Die Klägerin reichte eine Meldebescheinigung über einen Einzug am 01.09.2020 ein; im Antrag hatte sie auch mehrfach eine Einreise im Jahr 2020 angegeben.
13Am 04.05.2023 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2022 gemäß § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte Kindergeld in Höhe von 657 EUR für die Monate Juli bis September 2022 zurück.
14Es sei keine Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit eingereicht worden.
15Der dagegen gerichtete Einspruch (Eingang beim Beklagten: 30.05.2023) wurde nicht begründet.
16Mit Einspruchsentscheidung vom 28.06.2023 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen, weil er nicht begründet worden sei.
17In ihrer Klage (Eingang bei Gericht: 03.08.2023) trägt die Klägerin vor: Sie habe unfreiwillig ihre Tätigkeit aufgrund einer schwierigen Schwangerschaft aufgegeben. Die Klägerin sei persönlich bei der Beklagten gewesen und habe durch den Mutterpass nachgewiesen, arbeitsunfähig gewesen zu sein.
18Die Klägerin habe in der Zeit vom 01.05.2021 bis zum 30.06.2021 bei der Firma E GmbH gearbeitet; Lohnabrechnungen für die Monate Mai bis September 2021 sind beigefügt. Die Klägerin habe in der Zeit vom 30.11.2021 bis zum 30.11.2022 bei der Firma X GmbH gearbeitet. Sie habe dort einen Jahresvertrag gehabt. Beigefügt waren Bescheinigungen bis Februar 2022.
19Beigefügt war außerdem eine Bescheinigung der F GmbH vom 10.11.2022 (Bl. 33 der Gerichtsakte) über eine Beschäftigung vom 20.06.2022 bis zum 05.11.2022.
20Ab dem 01.12.2022 bis zum 15.01.2023 habe die Klägerin bei der Firma G gearbeitet. Diese habe am 15.01.2023 den Betrieb eingestellt.
21In der Folge habe die Klägerin dann aufgrund ihrer Schwangerschaft keine neue Tätigkeit angenommen.
22Für das zweite Kind sei bereits Kindergeld beantragt worden.
23Mit Bescheid vom 18.02.2025 hat die Beklagte Kindergeld für die Monate Juli bis November 2022 festgesetzt. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit daraufhin in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Gericht hat die Sache insoweit mit Beschluss vom 07.04.2025 zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt.
24Die Klägerin beantragt,
25die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.05.2023 und der Einspruchsentscheidung vom 28.06.2023 zu verpflichten, Kindergeld für die Monate Dezember 2022 bis Juli 2023 festzusetzen.
26Die Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Es lägen für die Monate Dezember 2022 bis Juli 2023 die Voraussetzungen für eine Kindergeldfestsetzung nicht vor; es lägen keine Nachweise für die Erwerbstätigkeit bei der Firma G im Dezember 2022 und Januar 2023 und keine Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit vor.
29Ein Neuantrag für ein zweitgeborenes Kind liege ebenfalls nicht vor.
30Die Sache ist am 15.04.2025 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
Das Gericht konnte über die Sache verhandeln und entscheiden. Es kann offenbleiben, ob der als Unterbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung aufgetretene Rechtsassessor vertretungsbefugt war. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er tatsächlich wie in der Untervollmacht ausgeführt unentgeltlich tätig geworden wäre (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Daran bestehen Zweifel, weil er laut den Ausführungen im eingereichten Widerspruchsbescheid des JobCenters C vom 01.07.2024 ein Mitarbeiter des Bevollmächtigten ist. Selbst wenn der Unterbevollmächtigte aber nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO zurückzuweisen gewesen wäre und die Klägerin daher in der Verhandlung ausgeblieben wäre, hätte das Gericht nach § 91 Abs. 2 FGO verhandeln und entscheiden können.
32Die zulässige Klage ist unbegründet; für die Monate Dezember 2022 bis Juli 2023 hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Kindergeldfestsetzung, § 101 FGO. Dafür kann es dahinstehen, ob die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vorliegen. Der Kindergeldanspruch ist jedenfalls durch § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG ausgeschlossen.
33Nach § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG (i.d.F. vom 11.07.2019, eingeführt durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11.07.2019, BGBl I 2019, 1066) ist der Kindergeldanspruch eines Staatsangehörigen eines EWR-Staats, der seit mehr als drei Monaten im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, unter anderem dann ausgeschlossen, wenn dieser die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 FreizügG/EU nicht erfüllt. Gemäß § 62 Abs. 1a Satz 4 EStG führt die Familienkasse die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gemäß Satz 3 nicht gegeben sind, in eigener Zuständigkeit durch. Dementsprechend ist auch das Gericht berechtigt, das Kriterium der Freizügigkeit selbst zu überprüfen.
34Diese Regelung findet im Streitzeitraum Anwendung. § 62 Abs. 1a EStG in der am 18.07.2019 geltenden Fassung ist für Kindergeldfestsetzungen anzuwenden, die – wie im vorliegenden Fall – Zeiträume betreffen, die nach dem 31.07.2019 beginnen (§ 52 Abs. 49a Satz 1 EStG). Es ist für das hiesige Verfahren unerheblich, wann die Klägerin nach Deutschland eingereist ist. Zwar wenden die Familienkassen gemäß der Arbeitsanweisung zu § 62 Abs. 1a EStG die Vorschrift nicht an, wenn der Wohnsitz vor dem 01.08.2019 genommen wurde. Diese Regelung kann allenfalls in einem gesonderten Billigkeitsverfahren, nicht aber im hiesigen auf Kindergeldfestsetzung gerichteten Verfahren Bedeutung erlangen. Im Übrigen spricht nach Aktenlage auch alles dafür, dass die Klägerin erst im Jahr 2020 nach Deutschland eingereist ist; für die mit der handschriftlichen Notiz auf dem am 24.11.2022 eingegangen Schreiben getätigte Behauptung, die Klägerin sei vor 2019 nach Deutschland eingereist, sind keinerlei Anhaltspunkte dargetan oder sonst ersichtlich. Im Gegenteil wurden Unterlagen (nämlich die Meldebescheinigung, Bl. 120 der Kindergeldakte) zu einer Einreise im September 2020 eingereicht.
35Der persönliche Anwendungsbereich des § 62 Abs. 1a EStG ist eröffnet, da die Klägerin Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist und nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
36Im Streitfall findet § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG und nicht § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG Anwendung. Der streitige Kindergeldanspruch fällt nicht in den Zeitraum von drei Monaten ab Begründung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts, weil die Klägerin spätestens im September 2020 ihren Wohnsitz in Deutschland begründet hat. Daher findet auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 01.08.2022 (C-411/20), das die für die ersten drei Monate ab Einreise geltende Regelung des § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG, wonach nur Erwerbseinkommen erzielende Unionsbürger einen Kindergeldanspruch haben können, für unionsrechtswidrig befunden hat, keine Anwendung. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass in dem am 15.04.2025 bei Gericht eingereichten Widerspruchsbescheid des JobCenters C der Vortrag der Klägerin wiedergegeben wird, dass sie sich zwischen Januar und Mai 2023 in Griechenland aufgehalten habe. Der Senat kann daraus keine Anhaltspunkte dafür ableiten, dass die Klägerin im Mai 2023 (wieder) eingereist wäre mit der etwaigen Folge, dass sie ab diesem Zeitpunkt erneut für drei Monate nach § 2a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU aufenthaltsberechtigt gewesen wäre und § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG noch nicht zur Anwendung käme. Denn die Klägerin lebt nach Aktenlage vor Januar 2023 und nach Mai 2023 unter derselben Adresse in C, sodass sie ihren Wohnsitz im Inland nicht zwischenzeitlich aufgegeben hat; jedenfalls dies wäre nach Auffassung des Senats Voraussetzung für eine (Wieder-)Einreise im Sinne des § 62 Abs. 1a EStG.
37Die Klägerin erfüllt im Streitzeitraum nicht die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 2 oder 3 FreizügG/EU.
38Zwar fällt die Klägerin als Unionsbürgerin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 FreizügG/EU unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes.
39Jedoch liegen weder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 noch des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vor.
40Nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU sind freizügigkeitsberechtigt
411. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,
421a. Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden,
432. Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige),
443. Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind,
454. Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen,
465. nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4,
476. Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4,
487. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.
49Die Klägerin hat für den Zeitraum ab Dezember 2022 trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts nicht nachgewiesen, erwerbstätig oder erwerbstätigkeitssuchend zu sein. Auch die behauptete Schwangerschaft (die zum Erhalt der Arbeitnehmereigenschaft führen kann, vgl. Finanzgericht (FG) Düsseldorf, Urteil vom 25.06.2024 10 K 316/24 Kg, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2024, 1178, Revision eingelegt, Az. des BFH: III R 27/24) ist trotz Aufforderung nicht bis zum Ablauf der Ausschlussfrist nachgewiesen worden. Zwar ergibt sich aus dem Widerspruchsbescheid des JobCenters C vom 01.07.2024, dass die Klägerin einen Antrag für den am 22.02.2023 geborenen Sohn gestellt hat. Das Gericht muss indes insoweit keine weiteren Ermittlungen, etwa zur Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit nach der Geburt, anstellen. Denn die Unterlagen, die eine Schwangerschaft nahelegen, wurden erst nach Ablauf der vom Berichterstatter am 14.03.2025 gesetzten, am 11.04.2025 endenden Frist nach § 79b Abs. 2 FGO eingereicht. Der Berichterstatter hatte der Klägerin unter anderem aufgegeben, zu einer Schwangerschaft und zur Wiederaufnahme einer Tätigkeit nach Geburt vorzutragen und Nachweise vorzulegen. Dies hat die Klägerin bis zum Ablauf der Frist nicht getan. Weitere Ermittlungen würden das Verfahren verzögern, weil eine Vertagung der mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre; die Verspätung ist auch nicht entschuldigt worden. Das Gericht weist diese Erklärung daher (auch mit Blick auf die sehr geringe Mitwirkung der Klägerin im Gerichtsverfahren) gemäß § 79b Abs. 3 FGO zurück.
50Dass die Klägerin im Streitzeitraum Erbringerin oder Empfängerin von Dienstleistungen (Nr. 3 und 4) war, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Berichterstatter hatte mit Schreiben vom 08.10.2024 und 11.11.2024 nach Kontaktdaten des angeblichen Arbeitgebers in den Monaten Dezember 2022 und Januar 2023 oder Unterlagen zu diesem Arbeitsverhältnis angefordert; auf diese Schreiben erfolgte zunächst keine Reaktion; am 07.04.2025 reichte die Klägerin dann eine Bescheinigung über die Gewerbeabmeldung in digitaler Form ein, die allerdings nur in Teilen lesbar war. Trotz einer entsprechenden Aufforderung des Gerichts vom 08.04.2024 hat die Klägerin die Gewerbeanmeldung nicht in lesbarer Form vorgelegt.
51Auch ein Aufenthaltsrecht als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 in Verbindung mit § 4 FreizügG/EU ist nicht dargetan und nicht ersichtlich. Nach § 4 Satz 1 FreizügG/EU haben nicht erwerbstätige Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Dies ist trotz dahingehender Aufforderung durch den Berichterstatter nicht dargetan. Die Klägerin hat lediglich am 07.04.2025 angegeben, nicht durchgehend Sozialhilfe bezogen zu haben; sie hat aber keine genauen Angaben gemacht, in welchen Zeiträumen sie Sozialhilfe bezogen hat. Dazu hätte insbesondere Anlass bestanden, weil die Klägerin zwischenzeitlich Sozialhilfe bezogen hat und für den Zeitraum ab Dezember 2022 nicht nachgewiesen ist, dass sie einer Erwerbstätigkeit nachging. Weitere Ermittlungen zu Existenzmitteln der Klägerin muss das Gericht nicht anstellen; insbesondere hat die Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Aussagen zu einem (etwaig) bestehenden Krankenversicherungsschutz gemacht, der Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht wäre. Was die eidesstattliche Versicherung des Kindesvaters angeht, er habe zwischenzeitlich Zahlungen für die Miete und Wohnnebenkosten der Klägerin geleistet, ergeben sich daraus mangels konkreter Zahlen und Zeiträume keine hinreichenden Anhaltspunkte für ausreichende Existenzmittel. Eine Vernehmung des Kindesvaters liefe auf einen Ausforschungsbeweis hinaus; überdies wird dieser Vortrag nach § 79b Abs. 3 FGO (auch mit Blick auf die sehr geringe Mitwirkung der Klägerin im Gerichtsverfahren) zurückgewiesen: Weitere Ermittlungen hätten eine Vertagung erfordert; die Verspätung ist auch nicht entschuldigt worden.
52Selbst wenn die Vorschrift des § 4 Satz 1 FreizügG/EU in unionsrechtskonformer Weise dahingehend einschränkend auszulegen wäre, dass nur eine unangemessene Inanspruchnahme staatlicher Mittel dem Recht zum Aufenthalt im Aufnahmestaat entgegensteht (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 03.03.2022 13 ME 507/21, Informationsbrief Ausländerrecht 2022, 222, mit weiteren Nachweisen), hätte die Klägerin kein Aufenthaltsrecht. Denn die Kindergeldgewährung wäre eine unangemessene Inanspruchnahme staatlicher Mittel. Die Klägerin hat trotz Aufforderung durch das Gericht nicht dargetan, dass die Inanspruchnahme staatlicher Mittel nur vorübergehend gewesen wäre oder dass besondere Gründe (etwa besondere Interessen an einem Aufenthalt in Deutschland) für die Inanspruchnahme vorlägen.
53Die Klägerin hat weiter kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 in Verbindung mit §§ 3, 4 FreizügG/EU. § 3 FreizügG/EU vermittelt unter bestimmten Voraussetzungen Aufenthaltsrechte an Familienangehörige von Unionsbürgern.
54- Die Klägerin kann nach dieser Vorschrift kein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU vom Kindesvater ableiten, weil der Kindesvater kein Familienangehöriger im Sinne des FreizügG/EU der Klägerin war. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 FreizügG/EU sind Familienangehörige einer Person der Ehegatte, der Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Buchst a FreizügG/EU), die Verwandten in gerader absteigender Linie der Person oder des Ehegatten oder des Lebenspartners, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird, und die Verwandten in gerader aufsteigender Linie der Person oder des Ehegatten oder des Lebenspartners, denen von diesen Unterhalt gewährt wird. Demnach war die Klägerin keine Familienangehörige des Kindesvaters. Keine der Voraussetzungen ist vorliegend nachgewiesen worden. Insbesondere war die Klägerin mit dem Kindesvater nicht verheiratet.
55- Die Klägerin kann auch nicht als Familienangehörige ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU von ihrem Kind ableiten. Das Kind sei nicht erwerbstätig, sodass für ein Aufenthaltsrecht der Klägerin nach § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU erfüllt sein müssen, was – wie dargestellt – nicht der Fall ist.
56- § 3 Abs. 4 FreizügG/EU gilt für Ehegatten eines Unionsbürgers und mithin im Streitfall nicht.
57Die Klägerin hat auch kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU. Danach sind freizügigkeitsberechtigt die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben. Den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts regelt § 4a FreizügG/EU. Die Klägerin hat kein Daueraufenthaltsrecht erworben.
58- Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU. Danach haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Die Frist kann unter bestimmten Voraussetzungen auf drei Jahre verkürzt werden (§ 4a Abs. 2 FreizügG/EU). Die Klägerin hat sich im Streitzeitraum noch keine drei Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten; sie ist vielmehr 2020 eingereist, sodass ein Daueraufenthaltsrecht jedenfalls im Streitzeitraum nicht bestand. Im Übrigen ist auch fraglich, ob sie sich rechtmäßig in Deutschland aufhielt.
59- Ob der Kindesvater ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat, kann dahinstehen, weil ein über den Kindesvater vermitteltes Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 4 FreizügG/EU daran scheitert, dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Klägerin im Streitzeitraum mit dem Kindesvater zusammenlebte. Nach dieser Vorschrift haben die Familienangehörigen und die nahestehenden Personen eines Unionsbürgers, der das Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU erworben hat, ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie bei dem Unionsbürger ihren ständigen Aufenthalt haben. Die Klägerin hat hierzu widersprüchlich vorgetragen: Im Juni 2022 hat die Klägerin gegenüber der Beklagten angegeben, vom Kindesvater getrennt zu sein; im am 27.06.2022 bei der Beklagten eingegangenen Formular werden auch bereits getrennte Anschriften genannt. Im Schriftsatz vom 07.04.2025 wurde sodann der Monat Mai 2023 als Monat der Trennung genannt. In der eidesstattlichen Versicherung des Kindesvaters vom 18.01.2024 ist von einer Trennung „Anfang des Jahres“, als Anfang 2024 die Rede. Insofern musste auch der Kindesvater nicht als Zeuge vernommen werden; eine Vernehmung liefe auf einen Ausforschungsbeweis hinaus. Weiter wird dieser Vortrag nach § 79b Abs. 3 FGO (auch mit Blick auf die sehr geringe Mitwirkung der Klägerin im Gerichtsverfahren) zurückgewiesen: Weitere Ermittlungen hätten eine Vertagung erfordert; die Verspätung ist auch nicht entschuldigt worden.
60Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU lagen ebenfalls nicht vor. Denn § 2 Abs. 3 FreizügG/EU enthält Regelungen für den Fortbestand des Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer und selbständig Tätige. In Betracht kommt allein ein Fortbestand aufgrund einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit; der Fortbestand setzt aber eine Bestätigung durch die Arbeitsagentur voraus, die trotz Aufforderung nicht eingereicht wurde.
61Dass im Streitzeitraum die Voraussetzungen der Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG vorlagen, die Berücksichtigungstatbestände für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer enthält, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
62Die Vorschrift des § 62 Abs. 1a EStG ist nach Auffassung des Gerichts unionrechtskonform und verfassungsgemäß. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des FG Münster im rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 07.02.2023 8 K 903/21 Kg (juris Rz 37 bis 39) an. Insbesondere ist es unionsrechtlich zulässig, die Gewährung von Kindergeld an einen rechtmäßigen Aufenthalt zu knüpfen. Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin im Streitzeitraum ist auch auf Grundlage unionsrechtlicher Bestimmungen nicht ersichtlich.
63Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
64Die Revision war aufgrund eines anhängigen Revisionsverfahrens zu § 62 Abs. 1a Satz 3 EStG (Az. des BFH: III R 8/24) wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
65… … …