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Der Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 24.04.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.10.2021 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Streitig ist, ob ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Grunderwerbsteuergesetz (in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 – GrEStG –) vorliegt.
3Die Klägerin war (ursprünglich in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG unter der Firma P. GmbH + Co. KG) Kommanditistin der grundbesitzenden T. GmbH + Co. KG und zu 100 % an deren Vermögen beteiligt. Komplementärin der T. GmbH + Co. KG (mit einer Beteiligung von 0 %) war die X. GmbH. Kommanditistin der Klägerin und zugleich zu 100 % an deren Vermögen beteiligt war (seit einer Ausgliederung zur Aufnahme im Jahr 2013) die L. GmbH + Co. KGaA (spätere Firma: H. GmbH + Co. KGaA); diese war zudem Alleingesellschafterin der X. GmbH. Komplementärin der Klägerin (mit einer Beteiligung von 0 %) war die P. GmbH. Die Geschäftsleitung der Klägerin befindet sich in Z., der Grundbesitz der T. GmbH + Co. KG in N..
4Am XX.XX.2014 kam es zum Abschluss einer notariellen Vereinbarung. Die Klägerin wurde formwechselnd in eine GmbH umgewandelt (Eintragung in das Handelsregister am XX.XX.2014; Firma zunächst C. GmbH, dann M. GmbH). Die Kommanditistin der Klägerin (die L. GmbH + Co. KGaA) verpflichtete sich zudem ihren (alleinigen) Geschäftsanteil an der X. GmbH in die Klägerin einzubringen. Sie trat den Anteil an die dies annehmende Klägerin ab. Die P. GmbH schied mit der Eintragung des Formwechsels im Handelsregister aus der Klägerin aus. Auf die notarielle Urkunde (UR-Nr. N01 des Notars B. in J.) wird im Übrigen verwiesen.
5Im […] 2015 kam es bei der L. GmbH + Co. KGaA (Alleingesellschafterin der Klägerin) zu einer Kapitalerhöhung. Die Q. AG (spätere Firma: H. AG) brachte verschiedene Beteiligungen in die L. GmbH + Co. KGaA ein und erhielt dafür Gesellschaftsanteile. Danach waren die Q. AG (H. AG) mit XX,X % und die W. GmbH + Co. KGaA mit XX,X % an der L. GmbH + Co. KGaA beteiligt.
6In den Jahren 2018 und 2019 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung R. eine Betriebsprüfung bei der Klägerin durch. Der Prüfer gelangte zu dem Schluss, dass im Hinblick auf die T. GmbH + Co. KG durch die Einbringung des Anteils an der X. GmbH in die Klägerin ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorliege. § 6a GrEStG greife nicht (mehr) ein. Stelle man (der damaligen Verwaltungsauffassung folgend) auf die W. GmbH + Co. KGaA als herrschendes Unternehmen ab, sei die Nachbehaltensfrist des § 6a Satz 4 GrEStG nicht eingehalten. Sehe man die H. GmbH + Co. KGaA als herrschendes Unternehmen an, fehle es an der Vorbehaltensfrist.
7Der Beklagte folgte dem und erließ am 24.04.2020 einen entsprechenden Feststellungsbescheid. Die Klägerin legte Einspruch ein und vertrat die Ansicht, dass ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht vorliege, weil sie bereits vor der Einbringung des Anteils an der X. GmbH zu 100 % am Vermögen der T. GmbH + Co. KG beteiligt gewesen sei.
8Der Beklagte hielt an seiner Auffassung fest und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.10.2021 als unbegründet zurück. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.
9Die Klägerin hat Klage erhoben und trägt zur Begründung vor: Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) für die mittelbare Anteilsvereinigung bereits mehrfach entschieden habe, dass es im Hinblick auf eine zwischengeschaltete Personengesellschaft nicht auf die sachenrechtliche Mitberechtigung des erwerbenden Gesellschafters am Gesamthandsvermögen (sog. Pro-Kopf-Betrachtung), sondern auf den Anteil am Vermögen der Personengesellschaft ankomme, ergebe sich aus dem Urteil des BFH vom 27.05.2020 II R 45/17, dass die „Pro-Kopf-Betrachtung“ aufgegeben worden sei. In dem dort entschiedenen Fall hätten die unmittelbaren Beteiligungen der Komplementärin und der (weiteren) Kommanditistin an der grundbesitzenden KG (mit 0 % bzw. 5 %) der Annahme einer bereits vorliegenden 95 %-igen (mittelbaren) Beteiligung der dortigen Klägerin nicht entgegengestanden. Dass der BFH auch für die unmittelbare Beteiligung an einer Personengesellschaft auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht mehr auf die Beteiligung am Gesamthandsvermögen abstellen wolle, ergebe sich nicht nur aus dem obiter dictum (Rn. 21 a.E.), sondern auch aus dem dritten Leitsatz der Entscheidung.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 24.04.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.10.2021 aufzuheben,
12hilfsweise, die Revision zuzulassen.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen,
15hilfsweise, die Revision zuzulassen.
16Er macht geltend, der BFH habe seine Rechtsprechung, dass unter „Anteil der Gesellschaft“ bei einer unmittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft die gesamthänderische Mitberechtigung und nicht die vermögensmäßige Beteiligung am Gesellschaftskapital zu verstehen sei, bisher nicht aufgegeben. An den in dem Urteil vom 12.03.2014 II R 51/12 aufgestellten Grundsätzen sei festzuhalten. Zwar habe der BFH in der Entscheidung II R 45/17 in dem (bereits erwähnten) obiter dictum ausgeführt, dass viel dafür spreche, auch für die unmittelbare Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital abzustellen. Bisher habe der BFH seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft jedoch nicht aufgegeben.
17Der Senat hat die Sache am 16.01.2025 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Ein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG liegt nicht vor.
20Gehört zum Vermögen einer inländischen Gesellschaft ein Grundstück, so unterliegt der Steuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt, ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG). Dementsprechend ist ein Anteilserwerb nicht nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbar, wenn der Erwerber vor Abschluss des Rechtsgeschäfts bereits 95 % der Anteile hielt. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Senat vertritt die Auffassung, dass es auch bei der unmittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital ankommt.
21Der Beklagte weist allerdings zutreffend darauf hin, dass diese Sichtweise nicht der bisherigen Rechtsprechung des BFH entspricht. Vielmehr führt der BFH aus: Auch der Gesellschafter einer Personengesellschaft, der keinen Anteil am Gesellschaftskapital halte, also am Wert des Gesellschaftsvermögens nicht beteiligt sei, sei gesamthänderischer Mitinhaber der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Sachen, Forderungen und Rechte. Maßgeblich sei der Gedanke, dass der Gesellschafter, der wertmäßig nicht an der Gesellschaft beteiligt sei, zur gesamten Hand am Gesellschaftsvermögen beteiligt und der andere Gesellschafter, der allein am Gesellschaftskapital beteiligt sei, nur Mitberechtigter sei. Dem einzelnen Gesellschafter sei es gemäß § 719 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung verwehrt, über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen zu verfügen. Dass die Gesellschafter solche Verfügungen nur gemeinsam „zur gesamten Hand“ treffen könnten, sei im Rahmen der Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG entscheidend. Dies gelte auch nach dem Absenken der Beteiligungsquote auf 95 %, da der Begriff der „Anteile der Gesellschaft“ von der Gesetzesänderung nicht berührt worden sei (BFH Urteil vom 12.03.2014 II R 51/12, BFHE 245, 381, BStBl. II 2016, 356, Rn. 17 f.; ausführlich zum Anteilsbegriff BFH Urteil vom 26.07.1995 II R 67/92, BFH/NV 1996, 171). Hieraus folgt, dass es – legt man diese Auffassung zugrunde – eine den Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG erfüllende unmittelbare Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile einer Personengesellschaft nicht gibt. In Betracht kommt nur eine mittelbare oder teils mittelbare und teils unmittelbare Anteilsvereinigung (Joisten in Pahlke, GrEStG, 7. Aufl. 2023, § 1 Rn. 408 ff.).
22Allerdings hat sich der BFH – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – von dieser Ansicht in dem obiter dictum distanziert und ausgeführt, dass viel dafür spreche, als „Anteil der Gesellschaft“ auch für die unmittelbare Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital abzustellen. Allerdings hat er diese Rechtsfrage (anders als die Klägerin meint) nicht entschieden, weil es, da es nicht um eine unmittelbare, sondern um eine mittelbare Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile der grundbesitzenden Personengesellschaft ging, hierauf nicht ankam (BFH Urteil vom 27.05.2020 II R 45/17, BFHE 270, 247, BStBl. II 2021, 315, Rn. 21 a.E.).
23Der Senat gelangt zu dem Schluss, dass die Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Anteilsvereinigung nicht überzeugt. Der BFH hat für die mittelbare Anteilsvereinigung ursprünglich (ebenfalls) die Ansicht vertreten, dass es bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft auf die gesamthänderische Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen ankomme und die Anteile, die eine KG an einer anderen Gesellschaft halte, daher nicht dem allein kapitalbeteiligten Kommanditisten zugerechnet werden könnten (BFH Urteil vom 08.08.2001 II R 66/98, BFHE 195, 427, BStBl. II 2002, 156). Hieran hält er nicht mehr fest, sondern behandelt zwischengeschaltete Personengesellschaften und zwischengeschaltete Kapitalgesellschaften gleich, indem er in beiden Fällen auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital abstellt: Der Anteil am Vermögen der Personengesellschaft von mindestens 95 % vermittelt regelmäßig die rechtliche Möglichkeit für den beteiligten Gesellschafter, den Willen in der Personengesellschaft in grunderwerbsteuerlich erheblicher Weise durchzusetzen (BFH Urteil vom 12.03.2014 II R 51/12, BFHE 245, 381, BStBl. II 2016, 356, Rn. 20; BFH Urteil vom 27.09.2017 II R 41/15, BFHE 260, 94, BStBl. II 2018, 667, Rn. 19 ff.; BFH Urteil vom 27.05.2020 II R 45/17, BFHE 270, 247, BStBl. II 2021, 315, Rn. 16; BFH Urteil vom 28.02.2024 II R 7/22, BFH/NV 2024, 1008, Rn. 19).
24Es liegt mehr als nahe, diese Sichtweise auf die unmittelbare Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft zu übertragen. Ist – wie hier – ein Gesellschafter allein am Vermögen der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt, hat er die rechtliche Möglichkeit, seinen Willen in grunderwerbsteuerlich erheblicher Weise durchzusetzen. Dass er den – insoweit unerheblichen – Anteil des anderen Gesellschafters mittelbar erwirbt, führt nicht zu einer Änderung der Situation.
25Hieraus folgt, dass die Einbringung des Anteils an der am Kapital der grundbesitzenden T. GmbH + Co. KG nicht beteiligten X. GmbH in die Klägerin nicht zu einem steuerlich relevanten Erwerbsvorgang geführt hat. Die Klägerin hielt bereits zuvor mindestens 95 % (nämlich 100 %) der Anteile unmittelbar, so dass der mittelbare Erwerb des weiteren Gesellschaftsanteils grunderwerbsteuerlich nicht relevant ist.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
27Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
28[…] […] […]