Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Einkommensteueränderungsbescheid betreffend das Jahr 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 sowie den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 werden dahingehend geändert, dass eine Gewinnminderung in Höhe von X € im Rahmen der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb berücksichtigt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe eine von der Klägerin vorgenommene Einzelwertberichtigung im Streitjahr 2014 in Ansatz gebracht werden kann.
2Die Kläger wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung und Verpachtung sowie sonstige Renteneinkünfte.
3Die Klägerin betrieb im Streitjahr eine Unternehmensberatung („A Consulting“), die sich auf die Automobilindustrie spezialisiert hatte. Es wurden individuelle Beratungsdienstverträge mit den Kunden geschossen. Zu diesen Kunden zählte auch die Fa. E (im Folgenden Fa. E), mit denen seit dem Jahr 2010 ein Beratervertrag bestand. Auf Grundlage dieses Rahmenvertrages erfolgten monatliche Abrechnungen.
4Der Gewinn aus dem Consultingbetrieb wurde gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch Bestandsvergleich ermittelt. Die Bilanz auf den 31.12.2014 wurde am 13.05.2016 erstellt.
5Mit Prüfungsanordnung vom 14.12.2018 wurde für die Jahre 2014 bis 2016 bei der Klägerin eine steuerliche Betriebsprüfung durchgeführt, die am 16.01.2019 beendet worden ist.
6Die Betriebsprüfung ermittelte, dass noch offene Forderungen gegenüber der Fa. E zum 31.12.2014 in Höhe von insgesamt X € bestanden hätten, die seitens der Klägerin vollständig abgeschrieben worden seien. Nicht korrigiert worden seien die Posten der nicht fälligen Umsatzsteuer in Höhe von X € sowie die Forderung in gleich korrespondierender Höhe.
7Die Betriebsprüfung gelangte zur Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine von der Klägerin vorgenommene Einzelwertberichtigung für eine uneinbringliche Forderung nicht gegeben bzw. nachgewiesen worden seien. Es müsse insoweit belegt werden, dass die vorgenommene Teilwertschätzung eine objektive betriebliche Grundlage habe, worüber sich die Finanzverwaltung ein eigenes Urteil bilden könne.
8Auch sich über einen längeren Zeitraum hinziehende Zahlungsverzögerung und Zahlungsunterbrechungen – so die Auffassung der Betriebsprüfung – rechtfertigten die Teilwertberichtigung einer Forderung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls jedenfalls dann nicht, wenn der Gläubiger zunächst nur mit sehr ungewöhnlicher Nachsicht an seine Forderung erinnert habe. Auch die Einleitung von Zwangsmaßnahmen berechtigten nicht zu einer automatischen vollen Abschreibung der Forderungen. Schätzungen, die auf bloß pessimistischen Prognosen zur künftigen Entwicklung beruhen, seien unbeachtlich.
9Die Klägerin hätte kein Mahnverfahren gegenüber dem Schuldner eingeleitet, mit der Folge, dass es keine Mahnbescheide gegeben habe, die die Forderungen durch die Erstellung eines Vollstreckungsbescheides vollstreckbar gemacht hätten. Weiterhin sei kein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt oder anderweitige Versuche unternommen worden, die Forderung zu erhalten.
10Hinreichende Gründe, die eine vollständige Abschreibung der Forderungen begründeten, seien durch die Klägerin nicht dargelegt worden.
11Die Klägerin trug im Rahmen der Betriebsprüfung vor, dass die Fa. E zum Zeitpunkt der Kündigung des Dienstvertrages mit ihrer Firma im Oktober 2014 bereits in der Abteilung „Spezialbetreuung Kredit“ betreut worden sei. Es sei ein Gespräch mit einem Anwalt, Herrn Rechtsanwalt C, erfolgt, von dem im Falle eines Rechtsstreits hohe Gerichtskosten vorausgesagt worden seien. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Bestätigung von C vom 13.08.2020 verwiesen (Bl. 82ff. GA).
12Ferner wurde von der Klägerin vorgetragen, dass es kurz vor der Ankündigung der Beendigung der Zusammenarbeit mit der Fa. E Drohungen gegeben habe. Herr S, der Inhaber der Fa. E, habe gegenüber dem Kläger erwähnt, dass er bereits wegen gefährlicher Körperverletzung gerichtliche Probleme und er außerdem einen schwarzen Gürtel in asiatischer Kampfkunst habe. Es habe Angst in der Gefahr für Leib und Leben bestanden, was dann schließlich dazu geführt habe, die Eintreibung der Forderungen einzustellen. Die stark angeschlagene Gesundheit des Klägers habe dies ohnehin nicht zugelassen.
13Zur weiteren Begründung verweist die Klägerin auf eine Korrespondenz mit einem Rechtsanwalt R, der die Interessen von Herrn S – dem Geschäftsführer und Inhaber der Fa. E – gegenüber den Klägern vertreten hat. In einem Schreiben dieses Rechtsanwalts vom 11.11.2014 (Bl. 4f GA) wird von dort die fristlose Kündigung des Beratungsdienstvertrages ausgesprochen. Zur Begründung wird u.a. auf eine „zerrüttete Beziehung“, die in einer verbalen Auseinandersetzung am 28.10.2014 gegipfelt sei, Bezug genommen. Zudem werde auf den Entwurf eines Schreibens verwiesen, in welchem Herr S anerkennen sollte, bis zum 31.10.2014 einen noch offenen Betrag in Höhe von nahezu X € zu schulden. Herr S fühle sich durch dieses Schreiben „genötigt“. Ein solcher Anspruch bestehe indessen nicht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf dieses Schreiben Bezug genommen.
14Die Betriebsprüfung gelangte nach Auswertung der vorgelegten Unterlagen und Erklärungen zur Auffassung, dass die Nichtgeltendmachung des Anspruches aus privaten und nicht aus betrieblichen Gründen erfolgt sei. Es lägen aufgrund der vorliegenden Sachlage keine objektiv betrieblichen Gründe vor, die eine vollständige Abschreibung der Forderung rechtfertigen können. Zugunsten der Klägerin werde allerdings für einen Forderungsanteil, der zivilrechtlich verjährt sei, unterstellt, dass die Verjährung vor dem Forderungsverzicht eingetreten sei. Insoweit werde eine Einzelwertberichtigung in Höhe von X € gewährt. Der Gewinn werde daher um X € erhöht.
15Mit Einkommensteueränderungsbescheid vom 26.09.2019 schloss sich der Beklagte den Ergebnissen der Betriebsprüfung an und erhöhte den Gewinn im Streitjahr um X €.
16Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
17Die hiergegen erhobene Klage begründen die Kläger damit, dass sie die finanzielle Situation des Kunden durch die Consultingbetreuung hätten gut einschätzen können, da zu ihrem Aufgabenbereich auch die Überwachung der Bonität gehört habe. Bei den offenen Forderungen habe es sich um Beträge aus dem Jahr 2014 gehandelt, bei denen das Zahlungsziel bis Ende 2014 deutlich überschritten gewesen sei. Die Rechnungen seien sofort ohne Abzug zahlbar gewesen und seien monatlich bis zum 31.07.2014 ausgestellt worden. Bis zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung (und bis heute) seien keine Zahlungseingänge zu verzeichnen gewesen. Der Teilwertabschreibung stehe auch nicht entgegen, dass die Klägerin trotz Nichtzahlung der Rechnungen weiterhin beratend tätig gewesen sei. Wegen der Erfahrungen mit Mahnverfahren in der Vergangenheit und der zu erwartenden Kosten und Gebühren sei kein Mahnverfahren eingeleitet worden. Bei drohender Insolvenz des Kunden hätten die entstandenen Kosten die Klägerin nur noch weiter belastet.
18Ergänzend führt die Klägerin aus, dass Ende des Jahres 2014 die vertraglich vereinbarte Rückführung des verbürgten Kredits der Bürgschaftsbank bei der Bank 1 durch die Fa. E nicht habe geleistet werden können. Es habe Insolvenzgefahr bestanden. Zum Nachweis haben die Kläger ein Schreiben vom 30.01.2014 (Bl. 93 GA) der Bürgschaftsbank an die Bank 1 zu den Akten gereicht, aus dem u.a. hervorgeht, dass aufgrund „des derzeitigen Umbruchs im Unternehmen“ (gemeint ist hierbei die Fa. E) eine „Obligoreduzierung“ der von dort verbürgten Kontokorrentkreditlinie in Höhe von X € zum 28.02.2014 nicht geleitstet werden könne. Es werde sich mit der Aussetzung der „Obligoreduzierung“ bis zum 31.05.2014 einverstanden erklärt. Voraussetzung dafür sei, dass der seitens der Bank 1 „im eigenen Obligo“ zur Verfügung gestellte Überbrückungskredit in Höhe von X € ebenfalls bis zum 31.05.2014 verlängert werde. Die Rückführung soll dann aus den avisierten Entschädigungen von Automobilunternehmen 1 bzw. Starthilfen von Automobilunternehmen 2 in Höhe von insgesamt X € erfolgen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf dieses Schreiben verwiesen.
19Die monetäre Unzuverlässigkeit der Fa. E werde auch aus dem Schriftverkehr zwischen dem Kläger und Herrn B, dem Vermieter der Fa. E, aus Oktober 2014 deutlich. Daraus gehe hervor, dass die Fa. E offene Mietzahlungen im fünfstelligen Bereich gehabt hätte und zwischen der Fa. E und Herrn B keine zielführende Kommunikation möglich gewesen sei. Zum Nachweis legt der Kläger Emails von Herrn B vom 09.10.2014 und vom 21.10.2014 (Bl. 86, 87 GA) vor, auf die wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird. Der Vermieter habe erhebliche Investitionen (etwa eine X Euro) in das vermietete Objekt getätigt, weil dieses auf die Markenidentität von Automobilunternehmen 2 habe ausgerichtet werden müssen. Ihm sei als Vermieter bewusst gewesen, dass er ohne weitere erhebliche Investitionen keinen anderen Mieter für das Objekt werde finden können. Insofern habe er der verzögerten Zahlung zugstimmt. Später seien die Mietzahlungen deutlich reduziert worden. Für den Fall, dass diese Reduktion nicht erfolgt wäre, hätte die Bank die Darlehen für die Fa. E nicht verlängert, was zu einer Insolvenz der Fa. E geführt hätte und für den Vermieter mit erheblichen Risiken und weiteren Mietausfällen verbunden gewesen wäre.
20Aus einer weiteren Email vom 19.05.2024 eines Mitarbeiters der Bank 1 vom 19.05.2014 an den Kläger wird geschildert, dass am 31.05.2014 bekanntlich anteilige Kreditlinien der Fa. E in Höhe von X € fällig gewesen seien. Da eine Rückführung „offenbar“ nicht möglich sein werde, werde für „die anstehende Entscheidung“ über eine Verlängerung, eine klar, belastbare Aussage seitens Automobilunternehmen 1, wann welche Beträge nun gezahlt würden, gefordert. Die genannten Zahlungstermine sollten dann auch eingehalten werden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese Email (Bl. 94 GA) Bezug genommen. In der Folge dieser Gegebenheiten habe – so die Klägerin – die Bürgschaftsbank den Kredit gekündigt. Die fachliche Betreuung durch den Leiter der Unternehmensanalyse in dieser Abteilung erfolge regelmäßig nur in Fällen, die eine gravierende finanzielle Instabilität aufwiesen. Dies hätten die Kläger deutlich dargelegt.
21Die bei der Fa. E bestehenden Liquiditätsprobleme hätten überdies Ausdruck in der Gehaltszahlung des Buchhalters, Herrn L, gefunden, der auf eine fristgerechte Bezahlung seines Gehalts von bis zu 10 Tagen verzichtet habe. Dies gehe aus seinem Besprechungsprotokoll vom 17.06.2014 (dort Punkt 15) hervor (Besprechungsprotokoll vom 17.06.2014, Bl. 91).
22Überdies haben die Kläger den Auszug einer Bilanz zum 31.12.2013 (Bl. 95ff. GA) zu den Akten übersandt, auf den wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird. Hieraus spiegele sich nach Auffassung der Kläger die Überschuldung der Fa. E wieder. Diese Bilanz weise Eigenkapital auf der Aktivseite als „Nicht durch Vermögenseinlagen gedeckte Verluste“ aus, so dass eine bilanzielle Überschuldung vorliege. Die Verbindlichkeiten der Fa. E. betrügen demnach mehr als X €. Der Jahresüberschuss sei von X € im Jahr 2012 auf knapp X € im Jahr 2013 gesunken. Gleichzeitig sei der Stand der Verbindlichkeiten nahezu unverändert geblieben.
23Die Betriebswirtschaftliche Auswertung per August 2014 weise in der Spalte „kumuliert aktuelles Jahr“ („kum.akt.J“) einen „Bruttoertrag Total“ von X € aus (BWA-Zeile 00299), der im Verhältnis zur Vorjahresperiode um X € zurückgegangen sei. Der „Deckungsbeitrag I“ betrage für den Zeitraum nur noch X € und liege damit um X € unter dem Wert der Vorjahresperiode. Der „Deckungsbeitrag III“ (BWA-Zeile 00799) sei mit – X € negativ und um X € gegenüber der Vorjahresperiode zurückgegangen. Diese BWA enthalte nicht lediglich Angaben zum August 2014, sondern umfasse den Zeitraum von Januar bis August 2014. Daneben seien die Werte des Vorjahres (Januar bis August 2013) zu erkennen. Hieraus sei erkennbar, dass sich allein bis August 2014 ein Gewinnrückgang von X € ergeben habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Betriebswirtschaftliche Analyse für August 2015 (Bl. 98 GA) verwiesen.
24Im Rahmen der Bilanz sei auch zu berücksichtigen, dass die zu verkaufenden Fahrzeuge aufgrund der langen Standzeiten bei der Fa. E zu hoch bewertet gewesen seien. Die Fahrzeuge hätten aufgrund des Niederstwertprinzips um etwa 1,75% je Monat Standzeit niedriger bewertet werden müssen. Dies hätte allerdings dazu geführt, dass das Umlaufvermögen in der Bilanz um einen sechsstelligen Betrag niedriger zu bewerten gewesen sei und die wirtschaftliche Situation der Fa. E in der Bilanz noch schlechter dargestellt worden wäre, weshalb sich Herr S gegen die korrekte Bewertung entschieden habe. Die Bilanz verdeutliche also im Ergebnis trotz bereits bestehender bilanzieller Überschuldung eine Überbewertung der Unternehmenslage.
25Anzumerken sei ferner, dass die Fa. E damals vier und heute lediglich einen Standort unterhalte. Aufgrund der bestehenden finanziellen Probleme sei eine Umstrukturierung durchgeführt worden. So sei der Personalbestand deutlich reduziert worden.
26Das Schuldanerkenntnis habe auf einen Betrag von ca. X € gelautet, weil die Kläger – neben dem Forderungsrückstand von ca. X € – Zahlungen für künftige Leistungen sicherstellen wollten.
27Die vorgelegten Unterlagen – so die Auffassung der Kläger – belegten in der Gesamtschau, dass sie nachweislich Anstrengungen unternommen hätten, die gegenüber der Fa. E ausstehenden Forderungen einzubringen. Zum Bilanzstichtag sei die Forderungseintreibung weiterhin erfolglos gewesen und die Kläger hätten den Teilwert im Wege der Schätzung ermitteln müssen. Ihnen – den Klägern – sei aufgrund ihrer langjährigen Beratungstätigkeit zum Beurteilungszeitpunkt bewusst gewesen, dass die Fa. E viele offene und hohe Verbindlichkeiten gehabt habe. Aus ihrer Erfahrung lägen hinreichende Nachweise vor, dass sowohl die Zahlungsunfähigkeit als auch die Zahlungsunwilligkeit zum Bilanzstichtag gegeben seien. Die Fa. E sei offensichtlich nicht in der Lage gewesen, ihren vertraglichen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Dies habe den Kläger zur Schlussfolgerung veranlasst, dass die Fa. E zahlungsunfähig gewesen sei.
28Die Kläger seien zum Bilanzstichtag verpflichtet gewesen, die Werthaltigkeit der Forderungen zu prüfen. Aufgrund ihrer Kenntnis über die wirtschaftliche Lage der Fa. E, der erfolglosen Forderungseintreibung und den Drohungen des Herrn S, hätten die Kläger das Risiko des Forderungsausfalls zutreffend als sehr hoch eingeschätzt, so dass sie die Einzelwertberichtigung in voller Höhe durchgeführt hätten. Die Einschätzung der Kläger habe sich auch nachträglich als zutreffend erwiesen, da die ausstehenden Forderungen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht beglichen worden seien und damit final ausgefallen seien. Dass die Fa. E weiterhin am Markt operativ tätig sei, sei unbeachtlich.
29Auf Grundlage dessen hätte ein potentieller Erwerber mit größter Wahrscheinlichkeit die Einschätzung getroffen, dass die Realisierbarkeit der Forderungen gegenüber der Fa. E erheblich gefährdet gewesen sei. Zudem hätte er das Risiko einer möglicherweise konfliktbeladenen und gefährlichen Konfrontation mit Herrn S als äußerst hoch bewertet. Angesichts dieser Unsicherheiten und den damit verbundenen Risiken hätte ein Erwerber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon abgesehen, die Forderungen durchzusetzen und sie als uneinbringlich qualifiziert. Demzufolge habe der Teilwert der Forderung zum Bilanzstichtag 0 € betragen.
30Diese Einzelwertberichtigung der Forderungen sei demgemäß zum Bilanzstichtag unter Berücksichtigung einer vorsichtigen und angemessenen Bewertung vorgenommen worden. Diese sei auf der Grundlage der seitens der Klägerin dargelegten objektiven Indizien und Tatsachen, die eine sachgerechte und betriebswirtschaftlich fundierte Entscheidungsfindung der Klägerin ermöglicht hätten, getroffen worden. Dabei hätte sie alle erkennbaren Tatsachen in die Bewertung einfließen lassen, welche letztlich zur Entscheidung einer dauernden Wertminderung geführt habe. Sie sei also auf einer nachvollziehbaren betrieblichen Grundlage erfolgt, die den rechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bewertung entspreche.
31Die Kläger beantragen,
32den Einkommensteueränderungsbescheid betreffend das Jahr 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 sowie den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 dahingehend zu ändern, dass eine Einzelwertberichtigung in Höhe von X € gewinnmindernd im Rahmen der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb berücksichtigt wird.
33Der Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Er verbleibt bei der Auffassung der Betriebsprüfung, dass die begehrte Teilwertabschreibung weiterhin nicht zu gewähren sei, da keine ausreichenden Gründe für eine vollständige Einzelwertberichtigung vorgetragen worden seien.
36Nach den ihm – dem Beklagten – vorliegenden Unterlagen sei eine signifikante Überschuldung des Kunden, die eine weitergehende Abschreibung der Forderung hätte begründen können, nicht eingetreten.
37Die Klägerin habe zwar ausgeführt, dass Bankverbindlichkeiten [ ] beim Kunden vorgelegen hätten. Um den Grad der Überschuldung bestimmen zu können, hätte jedoch zunächst anhand eines Vermögensstatus geklärt werden müssen, welche stillen Reserven im Unternehmen enthalten gewesen seien. Bilanzen oder weitere betriebswirtschaftliche Unterlagen des Kunden seien jedoch durch die Kläger nicht vorgelegt worden. Auch für die Behauptungen, dass Insolvenzgefahr bestanden habe, weil der Kunde bereits bei der Bank im Ressort „Spezialbetreuung Kredit“ geführt worden sei, und die vertraglich vereinbarte Rückführung des verbürgten Kredits der Bürgschaftsbank nicht habe geleistet werden können, seien keine nachprüfbaren Unterlagen durch die Kläger vorgelegt worden. Weder am Bilanzstichtag (31.12.2014) noch zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung am 13.05.2016 sei das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. E eröffnet worden, so dass sich bis zur Bilanzerstellung keine wertaufhellenden Tatsachen hinsichtlich der Bonität des Kunden ergeben hätten. Auch aktuell sei aus den zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung und im Laufe des Einspruchsverfahrens angeforderten Handelsregisterauszügen kein Insolvenzverfahren ersichtlich. Ganz im Gegenteil sei die Fa. E nach einem am 07.07.2020 angeforderten Handelsregisterauszug weiterhin am Markt aktiv.
38Auch ein schleppender Zahlungseingang rechtfertige keine Forderungsabschreibung in voller Höhe. Ende Oktober 2014 sei zudem noch ein Zahlungseingang zu verzeichnen gewesen. Auch aus den betrieblichen Erfahrungen der Vergangenheit dürften sich keine Rückschlüsse auf die negative Zahlungsmoral des Kunden ergeben, da der Beratungsvertrag seit dem 28.10.2010 mit erheblichen Jahresumsätzen mindestens bis Ende 2013 ordnungsgemäß abgewickelt worden sei. Selbst nach dem Streitgespräch am 28.10.2014 sei es doch wieder zu einer Kontaktaufnahme mit der Fa. E gekommen. Eine solche Wideraufnahme des Kundenkontakts im Anschluss an einen ausufernden Streit wäre sicherlich nicht erfolgt, wenn in Kenntnis der Bonität des Kunden nicht mit einer Erfüllung der Forderung zu rechnen gewesen wäre.
39Schließlich sei bei der Beurteilung des möglicherweise bestehenden Ausfallrisikos der Forderung zu bedenken, dass der Kunde im Hinblick auf das verlangte Schuldanerkenntnis von nahezu X € netto nur bemerkt habe, dass ein solcher Anspruch nicht bestehe. Er habe jedoch nicht ausgeführt, dass überhaupt keine Ansprüche vorhanden seien. Ob die letztendlich offenen Forderungen zum 31.12.2014 in Höhe von gut X € (also nur zur Hälfte des im Oktober angeführten Betrages) letztendlich anerkannt worden wäre, könne nach den vorgelegten Unterlagen nicht beurteilt werden. Vielmehr deute die Diskrepanz zwischen dem Betrag des Schuldanerkenntnisses und dem in der Bilanz ausgewiesenen Forderungsbetrag darauf hin, dass die Klägerin bereits den bestrittenen (Teil-) Betrag der Forderungen nicht aktiviert hätte und es sich bei dem Forderungsausweis zum 31.12.2014 um den nichtbestrittenen Restbetrag der Forderung handeln könne.
40Die Klägerin habe keine Nachweise (z.B. Mahnungen, Schriftverkehr, Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle o.ä.) dafür erbracht, dass sie die Durchsetzung der Forderung wenigstens versucht habe und diese Versuche schließlich erfolglos geblieben seien. Auch ihr Vorbingen, dass die Durchsetzung eines Mahn- oder Gerichtsverfahrens zu voraussichtlichen Prozesskosten in Höhe von X € hätte führen können und deshalb von Vornherein auf die Einleitung entsprechender Verfahren verzichtet worden sei, sei durch geeignete Unterlagen nicht belegt worden.
41Der Zahlungsverzug einer Mietzahlung könne zwar zweifelhaft sein, jedoch sei der von den Klägern vorgelegte Beleg im Allgemeinen nicht einwandfrei zuordbar. Weder Inhalt der Email noch deren Betreff ließen einen Rückschluss darauf zu, welche Miete oder gar Mieten nicht bezahlt worden seien. Ob es sich hier um eine Mietzahlung für mehrere Monate oder nur eine Mietzahlung für einen einzelnen Monat handele, könne nicht beurteilt werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Firma damals wie heute ihren Sitz unter der gleichen Adresse in F innehabe, werde davon ausgegangen, dass sich die verspätete Mietzahlung grundsätzlich erledigt habe. Da der Miet- oder Pachtvertrag bis heute Bestand zu haben scheine, habe der Zahlungsverzug keine weiteren Konsequenzen nach sich gezogen.
42Insgesamt könnten die seitens der Klägerin auch im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen nicht zweifelsfrei nachweisen, dass eine Überschuldung bei der Fa. E bestanden habe. Weder die vorgelegte Betriebswirtschaftliche Auswertung zu August 2014 noch die Bilanz zum 31.12.2013 könnten eine Überschuldung begründen und damit nicht als Nachweise für eine Einzelwertberichtigung genügen. Es sei zudem nicht nachgewiesen, dass die Fa. E im Rahmen der Abteilung „Spezialbetreuung Kredit“ betreut worden sei. Die vorgelegten Unterlagen belegten allenfalls, dass der Ausgang der darin geschilderten Geschehnisse ungewiss sei.
43Eine Bilanz zum 31.12.2013 bilde keine hinreichende Grundlage für eine Beurteilung im Streitjahr, da schwankende Umsätze innerhalb eines Jahres nicht ungewöhnlich seien und aus der eingereichten Betriebswirtschaftlichen Auswertung bis August für das Streitjahr 2014 noch die Monate September bis Dezember 2014 fehlten.
44Der Senat hat in dieser Sache am 26.03.2025 mündlich verhandelt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
45Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten, die übersandten Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Einkommensteueränderungsbescheid betreffend das Jahr 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 sowie der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2014 vom 26.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2020 sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
47A. Der Senat braucht die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob die Forderung der Klägerin gegen die Fa. E wegen Uneinbringlichkeit oder Zweifelhaftigkeit vollständig – so die Kläger – oder ggf. teilweise abzuschreiben ist, nicht zu entscheiden. Die strittige Forderung in Höhe von X € (netto) war zum 31.12.2014 aufgrund eines nach ihrer Entstehung umfassenden Bestreitens dem Grunde und der Höhe nach durch den Schuldner nicht (mehr) zu aktivieren. Im Ergebnis zutreffend wurde die unterjährige Erfassung durch eine Teilwertabschreibung auf Null korrigiert. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt sind die Beteiligten vor und in der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden.
48I. Bei Gewerbetreibenden, die, Bücher führen und eine Bilanz erstellen, ist nach § 5 Satz 1 EStG im Rahmen der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Danach sind in der Schlussbilanz des Kaufmanns auf der Aktivseite grundsätzlich sämtliche Vermögensgegenstände anzusetzen, die dem Kaufmann gehören, wobei das Verbot des Ausweises nicht realisierter Gewinne zu beachten ist. Die Aktivierung von Vermögensgegenständen in der Handelsbilanz richtet sich in erster Linie nicht nach rechtlichen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Für die Steuerbilanz erfahren die GoB insofern eine Modifizierung, als ein Aktivierungswahlrecht nach Handelsrecht eine Aktivierungspflicht in der Steuerbilanz begründet und in dieser nicht sämtliche Vermögensgegenstände, sondern die Summe der Wirtschaftsgüter auf der Aktivseite anzusetzen ist (vgl. bereits BFH-Beschluss vom 03.02.1969 GrS 2/68, BStBl II 1969, 291). Nach der Rechtsprechung gehören zu den Wirtschaftsgütern alle vermögenswerten Vorteile eines Betriebes einschließlich tatsächlicher Zustände und konkreter Möglichkeiten, die einer selbständigen Bewertung fähig sind (ständige Rechtsprechung, vgl BFH-Entscheidungen vom 25.09.1956 I 103/55 U, BStBl III 1956, 349, und vom 29.04.1965 IV 403/62 U, BStBl III 1965, 414). Für die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ist die Bewertung zum Bilanzstichtag und der Ansatz in der Steuerbilanz zu diesem Stichtag und nicht der unterjährige Ansatz in der Buchführung (Finanzbuchhaltung) maßgebend (vgl. Reddig, in Kirchhof/Seer, § 5 EStG Rn. 32 m. w. N.).
49Maßgebend für eine Aktivierung ist dabei nicht, ob eine Forderung oder ein Anspruch fällig oder ein Recht realisierbar ist, sondern ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich ausnutzbar ist und damit einen realisierbaren Vermögenswert darstellt (vgl bereits Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 25. März 1942 VI 358/41, RStBl 1942, 434; BFH, Urteil vom 09.02.1978 IV R 201/74, BStBl II 1978, 370; Urteil vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl II 2000, 588).
50Ein Gewinn ist nach dem Vorsichtsprinzip in Ausprägung des Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4, 2. Halbsatz HGB) realisiert, wenn bei gegenseitigen Verträgen der Leistungsverpflichtete die vereinbarte Leistung wirtschaftlich erfüllt hat und ihm die Forderung auf die Gegenleistung (von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen) so gut wie sicher ist (BFH-Urteil vom 10.09.1998 IV R 80/96, BStBl II 1999, 21). Dies gilt für die unterjährige Erfassung in der Bilanzbuchhaltung wie für den Ansatz zum Bilanzstichtag in der für die steuerliche Gewinnermittlung relevante Steuerbilanz.
51Bei gewöhnlichem Geschäftsverlauf ist eine Aktivierung regelmäßig unproblematisch. Das bedeutet, dass die Forderungen eines Dienstleisters auf Bezahlung in dem Zeitpunkt aktiviert werden, in dem dieser seine Dienstleistung vertragsgemäß erbracht hat. Auf die Rechnungsstellung und ggf. eine später eintretende Fälligkeit kommt es für die Aktivierung grundsätzlich nicht an (vgl. Reddig in Kirchhof/Seer, Stand März 2025, § 5 EStG Rn 49 m.w.N.), auch wenn in der Praxis ggf. erst mit Rechnungstellung gebucht wird. Die Umsatzsteuer wird bei Versteuerung nach vereinbarten Entgelten (gesetzlicher Regelfall) als Umsatzsteuer-Verbindlichkeit passiviert, so dass allein der Netto-Betrag als Gewinn zu versteuern ist. Insoweit ist im Falle einer Teilwertabschreibung auch nur der Nettobetrag abzuschreiben.
52Die Zielrichtung von Handels- (Gläubigerschutz/Schutz des Rechtsverkehrs) und der Steuerbilanz (Leistungsfähigkeitsprinzip) decken sich zwar nicht. Allerdings gilt das im HGB kodifizierte Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips als eines der Leitprinzipien der GoB sowohl für die Handels- als auch über § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die Steuerbilanz.
53II. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze hatte die Klägerin die unterjährig jeweils monatlich gegenüber der Fa. E entstandenen Ansprüche aus dem abgeschlossenen Beratervertrag zunächst zutreffend jeweils als Forderung im Rahmen ihrer laufenden Buchführung gewinnwirksam erfasst. Diese Forderung summierten sich im Rahmen des Streitjahres unstreitig (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 26.03.2025) auf einen Gesamtnennbetrag in Höhe von insgesamt noch X € netto. Die Forderungen waren nach dem Vorsichts- und Realisationsprinzips als vertraglich begründete Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen bereits bei ihrer jeweiligen monatlichen Entstehung gewinnwirksam zu buchen. Denn bei einem Rahmen-Dienstvertrag als Dauerschuldverhältnis tritt eine Gewinnrealisation zeitraumbezogen – im Streitfall monatsbezogen – ein (vgl. BFH-Urteil vom 10.09.1998 IV R 80/96, BStBl II 1999, 21 zu Verträgen über mehrmonatigen Unterricht zur Vorbereitung auf ein Berufsexamen).
54Die in den Monaten Januar bis Juli mit der Leistungserbringung entstandenen Forderungen waren unterjährig bis zum Bestreiten durch Anwaltsschriftsatz im November 2014 als rechtlich hinreichend sicher einzustufen. Aufgrund des seit dem Jahr 2010 bestehenden Beratungsvertrages, der bisherigen Geschäftsbeziehungen sowie der bisherigen Zahlungsmoral der Fa. E war es bis zum späteren Zerwürfnis zu keinen Unregelmäßigkeiten in der Leistungsbeziehung gekommen, die Einfluss auf die Bewertung der Forderung hätten haben können.
55Im Ergebnis kann sogar dahin stehen, ob die Forderung bereits unterjährig hätte ausgebucht werden müssen – wovon der Senat ausgeht - oder ob – wie tatsächlich geschehen - eine Teilwertabschreibung auf Null (erst) zum Bilanzstichtag zulässig war, da die Forderung in beiden Fällen beim Betriebsvermögensvergleich zutreffend nicht als steuerlicher Gewinn des Streitjahres erfasst wird.
56III. Die Klägerin durfte aufgrund des vollständigen Bestreitens durch die Fa. E im November 2014 die offenen Forderungen in der Steuerbilanz zum Bilanzstichtag 31.12.2014 nicht (mehr) aktivieren. Es bestand insoweit kein Aktivierungswahlrecht, sondern sowohl für die Handels- als auch – was entscheidend ist – für die Steuerbilanz ein Aktivierungsverbot. Daher wurde die Netto-Summe der einzelnen Forderungen im Ergebnis zutreffend durch eine Teilwertabschreibung auf Null ausgebucht.
571. Bei lebensnaher, verständiger Auslegung des Anwaltsschriftsatzes des Autohauses wurden die offene Forderungen im November 2014 in vollem Umfang bestritten (Bl. 84 f. GA, Schriftsatz RA R vom 11.11.2014). Eine Auslegung aus der maßgebenden Empfängersicht in entsprechender Anwendung von §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) konnte in der Gesamtschau nur als vollständiges Bestreiten sämtlicher noch offener Forderungen gegenüber der Klägerin verstanden werden. Für die Kläger konnte daraus nur der Schluss gezogen werden, die offenen Forderungen allein mit anwaltlicher Hilfe und höchstwahrscheinlich nicht mehr im Mahnwege (Mahnbescheid zur Erwirkung eines Vollstreckungsbescheides), sondern nur im Klagewege durchsetzen zu können. Jedenfalls konnte der Forderungsbestand nicht mehr als bereits wirtschaftlich realisiert qualifiziert werden.
58Zwar hatte die Klägerin versucht, ein Schuldanerkenntnis über einen den strittigen Forderungsbetrag übersteigenden Betrag zu erhalten. Hierin enthalten waren aber unstrittig die von ihr zum 31.12.2014 abgeschriebenen offenen Forderungen i. H. v. X € (netto). Im Schreiben vom 11.11.2014 heißt es ausdrücklich weiter, dass der gesamte Anspruch – also die ca. X €, mit den darin enthaltenen hier in Streit stehenden Forderungen in Höhe von X € - nicht bestünden. Damit umfasst dieses Bestreiten jedenfalls sämtliche zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Ansprüche aus dem Rahmendienstvertrag. Davon gingen die Beteiligten zuletzt übereinstimmend aus.
592. Aufgrund des Bestreitens mit Anwaltsschriftsatz sprechen die tatsächlichen Gesamtumstände dafür, dass die Klägerin–wirtschaftlich betrachtet – mit der Zahlung der noch offenen Forderungen in Höhe von X € zum Bilanzstichtag nicht mehr fest rechnen konnte und durfte. Auch wenn nach dem Realisationsprinzip bei Dienstleistungsverträgen mit der Erbringung der Hauptleistung unabhängig von Rechnungstellung und Fälligkeit von einer zu aktivierenden Forderung auszugehen ist und es für die Besteuerung auch grundsätzlich nicht auf den tatsächlichen Zufluss – wie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG - ankommt, kann eine gewinnwirksame Erfassung der Forderung aufgrund des Vorsichtsprinzip nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei in vollem Umfang bestrittenen Forderungen nicht erfolgen (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 09.02.1978 IV R 201/74, BStBl. II 1978, 370; vom 26.04.1989 I R 147/84, BStBl. II. 1991, 213; vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl. II. 2000, 588; vom 14.03.2006 VIII R 60/03, BStBl. II. 2006, 650; vom 29.04.2008 I R 67/06, BStBl. II. 2011, 55; vom 26.02.2014 I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544). Diese Grundsätze gelten sowohl für Forderungen aus Vertragsverletzung, einer unerlaubten Handlung oder einer ungerechtfertigten Bereicherung (vgl u. a. BFH I R 147/84, BStBl. II. 1991, 213) als auch für vertraglich begründeten Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen.
60Das Vorsichtsprinzip in Form des Realisationsprinzips ist als „zwingendes Prinzip“ auch für die Steuerbilanz zu beachten (grundlegend: BFH I R 147/84 Rn. 27). Dies folgt aus dem Grundsatz der Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG i. V. m. § 5 Abs. 6 EStG gibt insoweit kein von den GoB (Vorsichtsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) abweichendes steuerrechtliches Wahlrecht. Der Ansatz einer bestrittenen Forderung mit ihren Anschaffungskosten (Nennwert) oder einem darunterliegenden Teilwert kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 26.04.1989 I R 147/84, BStBl. II. 1991, 213; so wohl auch Kulosa, in Schmidt, § 6 Rn. 302). Bei einer Forderung, die bereits vor dem Bilanzstichtag nicht mehr anzusetzen ist, stellt sich die Frage einer Teilwertabschreibung zum Bilanzstichtag nicht.
61Sieht man dies anders, wäre bei einer nach ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Entstehung zunächst in der Finanzbuchhaltung zu erfassenden Forderung, die im weiteren Zeitablauf bis zum Bilanzstichtag in vollem Umfang bestritten wird, zum Bilanzstichtag von einer dauerhaften Wertminderung i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG auszugehen, bis die (nachträglich) bestrittene Forderung durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder durch ein rechtswirksames Anerkenntnis des Schuldners zuerkannt wird; bis zu diesem Zeitpunkt kommt nur der Ansatz mit Null oder einem Erinnerungswert von 1 € in Betracht (so z. B. BFH-Urteile vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl. II. 2000, 588 sowie vom 29.04.2008 I R 67/06, BStBl. II. 2011, 55).
623. Der Ansatz der Forderungen in der Steuerbilanz zum 31.12.2014 kam daher nicht in Betracht. Es bestand zum Bilanzstichtag nicht allein eine bloße Möglichkeit der Gefährdung der tatsächlichen wirtschaftlichen Realisation (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 09.02.1978 IV R 201/74, BStBl II 1978, 370), sondern der Vermögensvorteil Forderungsbestand war gerade nicht als hinreichend sicher auch wirtschaftlich ausnutzbar im Sinne eines durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswerts anzusehen. Die Fa. E hatte jede weitere Zahlung verweigert und das Bestehen eines offenen Anspruchs bestritten. Bei bestrittenen Forderungen kann – wie ausgeführt – nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht von einer realisierten Forderung ausgegangen werden, bei der sich dann – so der bisherige Streit der Beteiligten – ggf. noch die Frage einer Teilwertabschreibung wegen fehlender oder eingeschränkter Zahlungsfähigkeit des Schuldners stellen kann.
63Zum Bilanzstichtag am 31.12.2024 waren die Forderungen unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips keinesfalls noch als hinreichend sicher einzustufen und daher zwingend gewinnwirksam zu korrigieren. Es macht für die rechtliche Bewertung keinen Unterschied, ob ein Bestreiten von Beginn an bereits bei der Entstehung der Forderung oder erst später im Jahresverlauf vor dem Bilanzstichtag erfolgt, da in beiden Fällen zum Bilanzstichtag unter Berücksichtigung des Realisationsprinzips keine „so gut wie sichere“ Forderung im Sinne der Rechtsprechung des BFH mehr vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl II 2000, 588). Maßgebend ist, ob der Vermögensvorteil wirtschaftlich zum Bilanzstichtag ausnutzbar ist und einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 09.02.1978 IV R 201/74, BStBl II 1978, 370). Letzteres ist bei einer bestrittenen Forderung nicht der Fall. Sie wäre daher erst zu aktivieren, wenn sie rechtskräftig zuerkannt ist oder der Schuldner sein Bestreiten aufgibt und sie anerkennt (vgl. BFH-Urteile vom 26.04.1989 I R 147/84 sowie vom 15.03.2000 II R 15/98, BStBl II 2000, 588; vgl. Reddig in Kirchhof/Seer, Stand März 2025, § 5 EStG, Rn 105 m.w.M.; Kulosa in Schmidt, § 6 Rn 302 m.w.N.).
644. Maßgebend ist im Rahmen einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich die Bewertung zum Bilanzstichtag und der korrekte Ansatz in der Steuerbilanz und nicht der unterjährige Ansatz in der Buchführung (vgl. ebenso Reddig in Kirchhof/Seer, Stand März 2025, § 5 EStG Rn 32 m.w.N.). Insoweit war es nach Auffassung des Senats im Ergebnis zutreffend, dass die Klägerin im Rahmen ihrer laufenden Buchführung monatlich Forderungen gegenüber der Fa. E zunächst erfolgswirksam eingebucht und diese zum Bilanzstichtag auf Null abgeschrieben hat.
65IV. Für die vorliegende Beurteilung sind etwaige Erfolgsaussichten eines möglichen oder ggf. auch bereits laufenden Gerichtsprozesses nicht von Bedeutung. Insoweit ist auch der Ansatz mit einem Zwischenwert zwischen den Anschaffungskosten und Null nicht zulässig. Denn die Aktivierung einer rechtlich entstandenen Forderung ist nicht nur dann nicht zulässig, wenn sie bereits am Bilanzstichtag bestritten war, sondern auch dann, wenn der Steuerpflichtige nach den Umständen des Falles schon am Bilanzstichtag damit rechnen musste, dass der Verpflichtete oder Dritte den Anspruch bestreiten wird (BFH-Urteil vom 14.03.2006 VIII R 60/03, BStBl II 2006, 650 unter Verweis auf BFH-Urteil vom 03.06.1993 VIII R 26/92, BFH/NV 1994, 366). Dies war der Fall, da in dem Schreiben vom 11.11.2014 ein ausdrückliches und auch ernsthaftes Bestreiten der Ansprüche erfolgt ist. Anhaltspunkte dafür, dass dieses anwaltliche Schreiben nur zum Schein oder gar im Rahmen eines kollusiven Zusammenwirkens der Vertragsparteien erstellt worden sein könnte, sind in der Gesamtschau fernliegend.
66V. Die dargestellten Grundsätze gelten nicht nur für Steuerpflichtige, die bilanzierungspflichtig sind, sondern auch für Steuerpflichtige, die – wie vorliegend die Klägerin – freiwillig bilanzieren. Dies ergibt sich bereits zweifelsfrei aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Hiernach gilt, dass bei Gewerbetreibenden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung auszuweisen ist, es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Walrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt. Insoweit greift der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz auch im Falle der hiesigen Klägerin (vgl. hierzu Tonner in Bordewin/Brandt, § 5 EStG Rn. 17 m.w.N.; Reddig in Kirchhof/Seer, § 5 EStG Rn. 34 i. V. m. Rn. 23 sowie Rn. 44).
67B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.