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Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.04.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2024 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beteiligten streiten über die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von September 2022 bis Juni 2023 und Rückforderung des für diesen Zeitraum gezahlten Kindergeldes in Höhe von 2.376,00 €.
2Der Kläger ist der Kindesvater von A (geb. am 00.00.2003).
3A machte im Jahr 2022 ihr Abitur und meldete sich zum 12.07.2022 bei der Bundesagentur für Arbeit ausbildungsplatzsuchend. Sie war dort bis zum 01.08.2022 gemeldet (Bl. 7 der Verwaltungsakte).
4Mit Bescheid vom 04.08.2022 wurde zugunsten des Klägers nach entsprechender Antragstellung Kindergeld ab dem Monat Juli 2022 in gesetzlich vorgesehener Höhe (monatlich 219,00 €) festgesetzt.
5Im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung seitens der Beklagten erklärte der Kläger nach Aufforderung mit Vordruck vom 05.05.2023, dass A sich seit dem 02.11.2022 bis voraussichtlich 30.06.2023 in einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis befinde und in diesem Rahmen ein monatliches Entgelt in Höhe von 2.732,02 € (brutto) beziehe. Ferner reichte er eine Immatrikulationsbescheinigung vom 09.04.2023 ein, aus der hervorgeht, dass A seit dem 08.12.2022 bis zum 08.06.2023 für ein Fernstudium in Vollzeit zum Studiengang Psychologie bei der IU Hochschule (im Folgenden IU) eingeschrieben ist.
6Aus der vorgelegten Bescheinigung geht u.a. hervor, dass A am 30.04.2023 eine Prüfung im Modul „Einführung in die Psychologie“ (5 ECTS) absolviert hat (siehe Nachweis, Bl. 106 der Verwaltungsakte).
7Mit Schreiben vom 25.05.2023 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass noch weitere Unterlagen einzureichen seien (z.B. der Vertrag für die Fernausbildung ab Januar 2023). Ferner wurde er aufgefordert, Nachweise über eigene Bemühungen um eine Ausbildung für August 2022 bis November 2022 vorzulegen.
8Der Kläger übersandte sodann den Studienvertrag (Bl. 31 bis 34 der Verwaltungsakte). Hieraus geht hervor, dass A beabsichtige ein Vollzeitstudium abzulegen und sie sich zu einer monatlichen Zahlung von 348,15 € verpflichtete. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diesen Vertrag Bezug genommen.
9Der Kläger gab im Nachgang überdies an, dass eine weitere Beratung seitens der Agentur für Arbeit nicht nötig gewesen sei. Daher könne er für den Zeitraum von August 2022 bis November 2022 keine weiteren Nachweise für Bewerbungsschreiben o.ä. vorlegen. Die Anmeldung zum Fernstudium sei erst im Dezember 2022 erfolgt, da A sich vorher erst einmal genauere Informationen über das Fernstudium habe einholen wollen und erst auch die finanzielle Grundlage für das Fernstudium habe geschaffen werden müssen.
10Mit Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.04.2024 hob die Beklagte die am 04.08.2022 erfolgte Festsetzung für den Zeitraum von September 2022 bis einschließlich Juni 2023 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte das an den Kläger für diesen Zeitraum in Höhe von 2.376,00 € gezahlte Kindergeld auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass laut dem vorgelegten Studienplan insgesamt vier Klausuren, eine Hausarbeit sowie ein „advanced workbook“ hätten vorgelegt werden müssen. A habe allerdings erst eine Arbeit übermittelt. Dies lasse nicht den Rückschluss auf ein ernsthaftes und nachhaltiges Betreiben des Studiums schließen.
11Den hiergegen eingelegten Einspruch begründet der Kläger damit, dass A für den Studiengang Psychologie bei der Fernuniversität eingeschrieben sei (nachgewiesen durch die Immatrikulationsbescheinigung) und jeden Monat hierfür Studiengebühren in Höhe von 348,31 € anfielen. Überdies habe A eine nachgewiesene Leistung im Streitzeitraum erbracht, so dass kein Grund für eine Rückforderung des Kindergeldes gegeben sei. Überdies legte der Kläger Nachweise hinsichtlich des zweiten Fachsemesters vor (Ausstellungsdatum vom 15.10.2023 Bl. 104ff. der Verwaltungsakte). Hieraus geht hervor, dass A am 30.04.2023 den Kurs „Einführung in die Psychologie“ erfolgreich (mit der Note 3,3) absolviert hat. Zudem geht daraus hervor, dass A als aktive Studentin fünf weitere Kurse belegt hat (Bl. 107 der Verwaltungsakte, z.B. Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten, Grundlagen der Arbeits- und Organisationspsychologie etc.).
12Mit Einspruchsentscheidung vom 02.07.2024 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
13Hiergegen richtet sich die am 31.07.2024 erhobene Klage. Zur Begründung vertieft der Kläger sein Vorbringen dahingehend, dass seine Tochter im Jahr 2022 das Abitur gemacht habe und sodann – in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2022 – eine berufliche Ausbildung bzw. ein Studium habe aufnehmen wollen. Vor diesem Hintergrund habe sie die Bundesagentur für Arbeit aufgesucht, um sich dort über die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Optionen beraten zu lassen. Parallel hierzu habe sie „gejobbt“, um ihren Unterhalt sowie eine Grundlage für ein wirtschaftlich herausforderndes Studium zu schaffen. A habe sich schließlich entschlossen, ein Psychologiestudium aufzunehmen. Ihre Bemühungen hätten ergeben, dass ihr die Aufnahme eines Universitätsstudiums an einer deutschen Hochschule in der Form eines Präsenzstudiums zum Herbstsemester 2022 nicht mehr möglich gewesen sei, weil in ihrer Person die persönlichen Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme eines solchen Studiums nicht vorgelegen hätten. A habe sich daraufhin informiert, welche Alternativen und Möglichkeiten bestanden hätten, um ihren Berufswunsch doch noch möglichst zeitnah umsetzen zu können. Im Zuge dieser Bemühungen sei sie auf die Möglichkeit aufmerksam geworden, einen Studiengang mit dem angestrebten Abschluss Bachelor of Science Psychologie in der Form eines Fernstudiums absolvieren zu können, welches bei der IU angeboten worden sei.
14Nachdem sie geklärt hatte, dass sie die dortigen Immatrikulationsvoraussetzungen erfüllte und auch Klarheit darüber bestanden habe – nach Rücksprache wegen Unterstützung durch das familiäre Umfeld –, dass sie dort die anfallenden Studiengebühren in Höhe von ca. 350,00 € pro Monat würde aufbringen können, habe sie sich für das Fernstudium eingeschrieben und sei zum 08.12.2022 immatrikuliert worden.
15Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte zu Unrecht entschieden, dass ihm – dem Kläger – kein Anspruch auf Kindergeld zustünde. Für den Zeitraum von September 2022 bis einschließlich November 2022 ergebe sich der Kindergeldanspruch aus § 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG (Kinder in Übergangszeit). Entgegen der Ausführungen der Beklagten sei insoweit eine der Finanzierung des Lebensunterhaltes dienende Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit unschädlich. Auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit in dieser Zeit schließe eine Berücksichtigung als Übergangszeit nicht aus. Der angefochtene Bescheid gehe hier offensichtlich von Regelungen für eine Kindergeldgewährung im Anschluss an den Abschluss einer Erstausbildung aus.
16Vor dem Hintergrund der Bemühungen seiner Tochter könne keine Rede davon sein, dass sie sich nicht ernsthaft um die von ihr angestrebte Erstausbildung bemüht habe, sodass auch die Voraussetzungen für eine Kindergeldgewährung gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2c EStG im Zeitraum September bis November 2022 vorgelegen hätten.
17Die Auffassung der Beklagten berücksichtige überdies nicht hinreichend, den dokumentierten Studienfortschritt von A. Aufgrund dessen sei schließlich auch die rückwirkende Kindergeldgewährung ab Juli 2023 bewilligt worden. Es sei richtig, dass A im ersten Semester mehr Credits hätte erreichen können, aber nicht müssen. So habe sie nicht etwa vorgeschriebene Prüfungen versäumt. Denn der weitere Studienverlauf zeige sehr eindeutig, worin sich eine verschulte Berufsausbildung oder ein verschulter, etwa behördlicher Studiengang von einem freien Studiengang unterscheide. Das ernsthafte, zwar nicht durch Leistungskontrollen dokumentierte Studium im ersten Semester, habe der Tochter des Klägers erst möglich gemacht, die Ergebnisse zu erzielen, die sie ab Sommer 2023 nachgewiesener Weise erzielt habe. Vor diesem Hintergrund lasse sich die fehlende Kindergeldgewährung im Zeitraum von Dezember 2022 bis Juli 2023 nicht mit der im Bescheid niedergelegten Begründung aufrechterhalten.
18Der Kläger beantragt,
19den Bescheid vom 10.04.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2024 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Verwaltungs- und Einspruchsverfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass sich A im Streitzeitraum weder nachweislich um eine Ausbildung bemüht habe noch in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befunden habe.
23Auch könne das Kind im Zeitraum von Dezember 2022 bis einschließlich Juni 2023 nicht nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG berücksichtigt werden, weil es zum einen ausweislich der durch den Kläger vorgelegten Erklärung im Zeitraum von November 2022 bis einschließlich Juni 2023 eine anspruchsschädliche Erwerbstätigkeit über 20 Stunden pro Woche ausgeübt habe. Der monatliche Verdienst hätte nach eigenen Angaben bei 2.732,02 € brutto gelegen.
24Zum anderen scheide eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG ab Dezember 2022 aus, weil die Ernsthaftigkeit des Betreibens der Ausbildung nicht nachgewiesen worden sei. Ferner sei davon auszugehen, dass ein Vollzeitstudium kaum mit einer ausgeübten Erwerbstätigkeit mit einem Bruttoverdienst von 2.732,02 € ernsthaft betrieben werden könne.
25Das Studium bei der IU lasse sich mit den Anforderungen einer staatlich anerkannten Universität nicht vergleichen, weshalb andere Anforderungen an den Umfang der Nachweispflicht zum aktiven Betreiben des Studiums zu fordern seien.
26Die vom Bundeszentralamt für Steuern erstellte Dienstanweisung zum Kindergeld 2024 führe zur Ausbildung sowie zur Ernsthaftigkeit folgendes aus:
27„Eine Berufsausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liegt vor, wenn das Kind durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen.
28Die Ausbildung ist berücksichtigungsfähig, wenn sich das Kind ernsthaft und nachhaltig auf das Erreichen eines bestimmten Berufsziels vorbereitet.
29Sind bei Studenten die Semesterbescheinigungen aussagekräftig (durch Ausweis der Hochschulsemester), sind diese als Nachweis grundsätzlich ausreichend. Bestehen trotz aussagekräftiger Semesterbescheinigungen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Studiums, sollte die Ernsthaftigkeit durch Vorlage von Leistungsnachweisen („Scheine“, Bescheinigungen des Betreuenden über Einreichung von Arbeiten zur Kontrolle), die Aufschluss über die Fortschritte des Lernenden geben, in den in festgelegten Zeitpunkten belegt werden. Bei Ausbildungsgängen, die keine regelmäßige Präsenz an einer Ausbildungsstätte erfordern (insbesondere bei als Fernstudium angebotenen Fernlehrgängen), sollte die Ernsthaftigkeit geprüft werden.“
30Aus dem einschlägigen Studienverlaufsplan sowie aus der Homepage der IU sei zu entnehmen, dass man sich jederzeit zum Studium einschreiben und jederzeit (24/7) Prüfungen ohne Präsenz ablegen könne. Bei staatlichen Universitäten hingegen werde innerhalb eines Semesters die Ableistung bestimmter Prüfungen gefordert und habe bei Nichtableistung die Exmatrikulation zur Folge. Ferner existierten bei staatlichen Universitäten Einschreibungsfristen, Präsenzunterricht sowie geplante Termine zur Ableistung etwaiger Prüfungen. Aus diesen Gründen seien für die Anspruchsvoraussetzung „Ernsthaftigkeit“ in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG strengere Anforderungen bei einem Studium an der IU zu stellen.
31Im vorliegenden Fall habe das Kind im Dezember 2022 ein Vollzeitfernstudium an der IU aufgenommen. Bei einem Vollzeitstudium sei laut Studienablaufplan pro Semester die Erlangung von 30 ECTS vorgesehen. Nach einer vorgelegten Leistungsübersicht vom 15.10.2023 habe das Kind bisher lediglich 5 ECTS erlangt. Allein die Zahlung der Studiengebühren in Höhe von 348,31 € monatlich belege nicht die Ernsthaftigkeit des Studiums. Das Kind habe sich bewusst für ein Vollzeitstudium (mithin die Ablegung von 5 Credits) eingeschrieben. Im 1. Semester habe das Kind einen Leistungsnachweis erreicht und im zweiten Semester keine Punkte erzielt. Etwaige Nachweise von Fehlschlägen, die zumindest ein aktives Betreiben des Studiums nachweisen würden, seien nicht beigebracht worden. Das tatsächliche und ernsthafte Betreiben des Fernstudiums sei vorliegend nicht ausreichend nachgewiesen.
32Da eine Ausbildung ab Dezember 2022 nicht begonnen worden sei, existiere keine Übergangszeit von August 2022 bis November 2022 i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG, weil sich das Kind nicht zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befunden habe.
33Vor der Berichterstatterin hat am 29.10.2024 ein Erörterungstermin stattgefunden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
34Am 05.02.2025 hat vor dem Senat die mündliche Verhandlung stattgefunden, in dessen Rahmen die Tochter des Klägers als Zeugin vernommen worden ist. Wegen weiterer Ausführungen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.02.2025 Bezug genommen.
Die Klage ist begründet. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.04.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung betreffend A zu Unrecht ab September 2022 aufgehoben.
36A. Dem Kläger steht für A im Zeitraum von Dezember 2022 bis Juni 2023 Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG zu, da A in diesem Zeitraum für einen Beruf ausgebildet worden ist.
37I. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
38Nach der Übernahme des Kindergeldrechts in das EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) hat der Bundesfinanzhof (BFH) den Begriff der Berufsausbildung neu bestimmt und erweiternd ausgelegt (BFH-Urteile vom 09.06.1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701 sowie vom 24.06.2004 III R 3/03, BStBl II 2006, 294). Danach umfasst dieser Begriff jede Ausbildung zu einem künftigen Beruf. In Berufsausbildung befindet sich, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152, Rz 29, m.w.N.). Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 02.04.2009 III R 85/08, BStBl II 2010, 298, m.w.N.). Sie müssen nicht zwingend in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein (BFH-Urteil vom 09.06.1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701). Der BFH erkennt damit an, dass von Verfassung wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung besteht (BFH-Urteil vom 09.06.1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701).
39Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (BFH-Urteil vom 24.06.2004 III R 3/03, BStBl II 2006, 294). Eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG ist grundsätzlich auch parallel zu einer ausgeübten Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit möglich, wenn die Berufsausbildung hinreichend ernsthaft und nachhaltig betrieben wird (BFH-Urteil vom 21.01.2010 III R 68/08, BFH/NV 2010, 872, m.w.N.). Bestehen dagegen durchgreifende Anhaltspunkte für eine reine "Pro-forma-Immatrikulation", liegt keine Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG vor. Auch wenn durch eine strenge Prüfung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsbemühungen bei einem Selbststudium Missbrauch vermieden werden soll (BFH-Urteil vom 03.06.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152), besteht keine feste formelle Mindestgrenze für den zeitlichen Umfang einer Ausbildungsmaßnahme. Es ist insoweit eine Frage des Einzelfalls, ob die Ausbildungsbemühungen als hinreichend ernsthaft und nachhaltig qualifiziert werden können. Bereitet sich ein Kind ohne regelmäßigen Besuch einer Ausbildungsstätte selbstständig auf Prüfungen u. ä. vor, sind an den Nachweis und die Ernsthaftigkeit der Vorbereitung grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (BFH-Urteil vom 18. 03.2009 III R 26/06, BStBl. II 2010, 296; BFH-Beschluss vom 09.11.2012 III B 98/12, BFH/NV 2013, 192). Zweifel gehen nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten.
40II. Nach diesen Grundsätzen stellt das von A begonnene Fernstudium zunächst eine Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG dar. Ihr Ausbildungsziel lag in der Erlangung des akademischen Grads eines "Bachelor of Psychologie". Das Studium vermittelte ihr in den Semestern ausweislich der vorliegenden Verlaufspläne aufgrund der vorgeschriebenen Basismodule Kenntnisse und Fähigkeiten, die Grundlage für ihr angestrebtes Ausbildungsziel waren. Zudem war das Absolvieren der vorgeschriebenen Klausuren, Hausarbeiten etc. Voraussetzung um den erstrebten Studienabschluss zu erlangen.
41Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen und Studiennachweise auch zu der Überzeugung gelangt, dass A sich nicht lediglich „pro forma“ bei der IU immatrikuliert hat – es sich insoweit nicht um eine missbräuchliche Einschreibung gehandelt hat –, sondern sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Studium in den Streitmonaten hinreichend ernsthaft und nachhaltig betrieben hat.
42Als gewichtiges Indiz für die Ernsthaftigkeit des Betreibens des Studiums und gegen eine reine Pro-Forma-Einschreibung spricht zunächst der Umstand, dass A eine nicht unerhebliche monatliche Studiengebühr in Höhe von 348,31 € gezahlt hat (und weiterhin zahlt), um überhaupt an Lehrgängen teilnehmen zu können. Sie ist damit wirtschaftlich bis zum Abschluss des Fernstudiums mit diesen Aufwendungen belastet. Das Kindergeld in Höhe von monatlich 219,00 € reicht nicht annähernd aus, die monatlichen Studiengebühren zu decken, so dass eine Pro-Forma-Immatrikulation zur Erlangung von Kindergeld wirtschaftlich betrachtet abwegig erscheint.
43Auch bestehen keine Anhaltspunkte, dass das Studium aus rein privaten, der Freizeitgestaltung vergleichbaren Motiven erfolgte. A beabsichtigt – wie sie zur Überzeugung des Senats bekundete – künftig als Kriminalpsychologin beruflich tätig werden zu können. Das von ihr gewählte Studium der Psychologie weist keine Nähe zum „Hobbybereich“ oder der rein privaten Lebensführung auf (wie dies etwa bei Sprachreisen der Fall sein kann), so dass kein wöchentlicher Mindestumfang des Selbststudiums oder eine Mindestanzahl von Leistungsnachweisen zu fordern wäre. Soweit die Beklagte ggf. Leistungsnachweise eines/einer Vollzeitstudierenden als Vergleichsmaßstab heranziehen möchte, würde dadurch der gesetzgeberische Wille konterkariert, auch Studierende bzw. deren Eltern im Kindergeldbezug zu sehen, bei denen das Studium aus finanziellen Gründen neben einer Teil- oder Vollzeiterwerbstätigkeit absolviert werden muss. Das Studierende bei einem Nebeneinander von Vollzeittätigkeit und Studium – wie im Streitfall - nicht ohne weiteres in der Lage sind, dieselbe Anzahl an Leistungsnachweisen in derselben Zeit zu erbringen wie „Nur-Studierende“ liegt auf der Hand. Eine zeitliche Höchstgrenze für ein Studium als Erstausbildung sieht das Gesetz typisierend mit der Altersgrenze von 25 Jahren (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG) vor.
44Im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme führte A zur Erläuterung des Studienverlaufes ergänzend hierzu nachvollziehbar aus, dass sie im ersten Semester lediglich einen „Schein“ erworben habe, weil sie mit der Bearbeitung von Skripten und dem selbstständigen Ableisten der Klausuren nicht vertraut gewesen sei. Sie habe sich beim Studium in Details verloren und sah sich zunächst nicht in der Lage, weitere Leistungsnachweise zu erbringen. Nachdem sie aber mehr Erfahrungen beim Selbststudium erlangt habe, sei ihr das Ableisten von weiteren Studienleistungen im folgenden Semester leichter gefallen.
45Sie habe sich im Streitzeitraum – trotz der vollzeitigen Erwerbstätigkeit – werktags ca. 2-3 Stunden in das Lernen für das Studium vertieft und auch die Wochenenden zum Lernen und Studieren genutzt.
46Diese – für den Senat überzeugenden – Bekundungen decken sich mit den schriftlich vorliegenden Leistungsnachweisen, woraus hervorgeht, dass A zwar im ersten Studiensemester nur einen Leistungsnachweis erbracht hat, dafür aber im darauffolgenden Semester schon deutlich mehr Leistungen hat erbringen können. Es ist auch glaubhaft und plausibel, dass – wie A bekundete – sie als Abiturientin mit dem selbstständigen Lernen anhand von Skripten erst zurechtkommen musste, und sie sich zunächst in Details verloren habe, so dass Hemmnisse zum Ableisten der weiteren Studienleistungen bestanden haben. Der Umstand, dass sie ihre Leistungen nachvollziehbar gesteigert hat, ist bereits ein hinreichender Beleg für ernsthafte und nachhaltige Lernbemühungen.
47Der Umstand, dass sie mittlerweile als Kriminalanwärterin bei der Polizei NRW tätig ist, steht dem Ergebnis auch nicht entgegen. Vielmehr hat die Zeugin glaubhaft bekundet, dass sie auch weiterhin an der IU im Fach Psychologie eingeschrieben sei, um ihren Berufswunsch (Kriminalpsychologin) weiterzuverfolgen.
48III. Der Argumentation der Beklagten, dass an den Studienfortschritt an privaten oder staatlichen (Fern-)Universitäten verschieden hohe Anforderungen zu stellen sind, kann der Senat nicht folgen. Der Umstand, dass es sich bei der IU um eine private Fernuniversität gehandelt hat, ändert an der Beurteilung nichts.
49Laut Gesetzesbegründung zur seit dem Jahr 2012 geltenden Fassung und damit dem Wegfall des Grenzbetrages in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG alte Fassung von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG sollten gerade auch Ausbildungsgänge wie Abendschulen und das Fernstudium, die neben einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit durchgeführt werden, begünstigt werden, um Familien mit weniger Einkommen zu fördern (siehe BT-Drucks 17/5125, S. 1, 41). Insoweit genießt jedes Studium, ganz unerheblich, ob an einer staatlichen
50oder privaten Universität und unabhängig davon, ob es im Präsenzstudium oder an einer Fernuniversität absolviert wird, dieselbe Anerkennung. Eine andere Frage des Einzelfalles ist, welche Nachweise neben einer Immatrikulationsbescheinigung bei einem im Wesentlichen als Selbststudium organisierten Studium zu fordern sind.
51Weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Gesetzesbegründung gehen insoweit davon aus, dass eingeschriebene Studenten in einem bestimmten Tempo Leistungsnachweise zu erbringen haben, so lange die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit nicht derart in Frage steht, dass nur noch von einer bloßen Pro-Forma-Immatrikulation auszugehen ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen oder einer Präsenzpflicht enthält, ist vielmehr entscheidend, dass es sich um Ausbildungsmaßnahmen handelt, die als Grundlage für den angestrebten Beruf geeignet sind und dass das Kind im Rahmen seiner – ggf. durch eine Teil- oder Vollzeittätigkeit eingeschränkten zeitlichen - Möglichkeiten hinreichend ernsthaft und nachhaltig studiert. Insoweit erscheinen die von der Beklagten im Streitfall angelegten Maßstäbe überzogen.
52Die Annahme einer Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG scheitert im Streitfall weder an dem geringen Umfang der von A absolvierten Studienleistungen im ersten Semester (das Erreichen von lediglich 5 ECRS), noch an ihrer im Streitzeitraum nachgegangenen vollzeitigen Erwerbstätigkeit. Denn der Gesetzgeber wollte gerade die Fälle berücksichtigt wissen, in denen die Kinder sich selbst finanzieren (und damit einer Erwerbstätigkeit nachgehen) müssen, um ihr Studium betreiben zu können. Auch wollte der Gesetzgeber nicht Studierende, die sich bei einem Fernstudium im Selbststudium zunächst orientieren und eingewöhnen müssen, vom Kindergeldbezug ausschließen.
53IV. Da A im Streitzeitraum noch keine erstmalige Berufsausbildung i. S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen hatte, stellte das Studium ihre Erstausbildung dar, so dass § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht einschlägig sind.
54B. Infolgedessen besteht zugunsten des Klägers im Hinblick auf den Streitzeitraum von September 2022 bis November 2022 ein Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG (Übergangszeitraum von höchstens vier Monaten).
55Ein Schuljahr endet gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW am 31.07.eines jeden (Schul-) Jahres. Der Übergangszeitraum i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG beginnt für A, die im Jahr 2022 das Abitur absolviert hat, damit im August 2022 und endete im November 2022. Da sich A am 08.12.2022 an der IU eingeschrieben hat, ist der 4 Monatszeitraum des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG eingehalten.
56C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
57D. Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen können, sind nicht gegeben (vgl. § 115 Abs. 2 FGO).