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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Besteuerung der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten in Spielhallen.
2Die Antragstellerin mit Sitz in O hat die Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Sie betreibt Spielhallen mit Geldspielgeräten. In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für die streitbefangenen Monate Februar, März und April 2024 berücksichtigte sie ihre Glücksspielumsätze als gemäß Art. 135 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerbefreit. Die Steueranmeldungen standen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 Abgabenordnung – AO).
3Der Antragsgegner, der hingegen die Glücksspielumsätze als umsatzsteuerpflichtig ansieht, setzte mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom 10.04.2024 (ein Mittwoch) (für Februar 2024), vom 03.05.2024 (für März 2024) und vom 04.06.2024 (für April 2024) Umsatzsteuer auf die mit dem Betrieb der Geldspielautomaten getätigten Umsätze mit den Kasseneinnahmen als Bemessungsgrundlage fest. Dies führte zu erhöhten Festsetzungen mit Nachforderungsbeträgen i.H.v. … € für den Voranmeldungszeitraum Februar 2024, i.H.v. … € für den Voranmeldungszeitraum März 2024 und i.H.v. … € für den Voranmeldungszeitraum April 2024.
4Hiergegen legte die Antragstellerin jeweils Einspruch ein. Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 03.07.2024 wegen Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Februar und April 2024 und mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 15.08.2024 wegen Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume März und April 2024 vollstreckte der Antragsgegner in die der Bank B gegenüber der Antragstellerin zustehenden Ansprüche, Forderungen und Rechte aus den bankmäßigen Geschäftsbeziehungen. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 15.08.2024 schränkte der Antragsgegner am 27.08.2024 betragsmäßig ein.
5Den beim Antragsgegner gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2024 lehnte der Antragsgegner am 19.08.2024 ab.
6Am 22.08.2024 hat die Antragstellerin bei Gericht die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung der Bescheide über die Umsatzsteuervorauszahlungen für die Monate März und April 2024 beantragt. Mit Schriftsatz vom 16.09.2024 hat sie erweiternd auch die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung des Bescheids über die Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Februar 2024 beantragt. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen bestehen und begründet dies wie folgt:
71. Sie, die Antragstellerin, könne sich unmittelbar auf die Steuerbefreiung aus Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL berufen. Die Besteuerung verstoße gegen den steuerlichen Neutralitätsgrundsatz, weil seit dem Inkrafttreten des GlüStV 2021 zum 01.07.2021 die mit ihr im Wettbewerb stehenden und gleichartigen, gemäß § 22a GlüStV erlaubten virtuellen Automatenspiele von der Umsatzsteuer befreit seien. Sie werde insofern benachteiligt. Wie aus dem EuGH-Urteil vom 17.02.2005, C-453/02 und C-462/02, Linneweber und Akritidis, Rn. 22 ff., hervorgehe, verbiete es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Eine Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes liege nicht erst dann vor, wenn Dienstleistungen unterschiedlich besteuert würden, die nahezu identisch seien, sondern auch bereits bei bestehender Gleichartigkeit der Dienstleistungen. Der Begriff „gleichartig“ dürfte nicht mit „gleich“ verwechselt werden. Bei den virtuellen Automatenspielen handele es sich um die gleichen Spiele, wie diejenigen, die sie, die Antragstellerin, in ihren Spielhallen anböte. Sie stellten Nachbildungen terrestrischer Automatenspiele dar. Geldspielautomaten gehörten sämtlich derselben Kategorie von Glücksspielen an (vgl. EuGH-Urteil vom 10.11.2011 C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, Rn. 55). Auch die Europäische Kommission sei der Auffassung, dass es sich bei virtuellen und terrestrischen Angeboten um die gleiche Glücksspielform handele (Beschluss der Kommission vom 20.09.2011, Az. C (2011) 6499, ABl. EU L 86/3). Ein weiteres wichtiges Indiz für die Gleichartigkeit lasse sich unmittelbar aus § 36 RennwLottG entnehmen, wonach der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Erfassung der virtuellen Automatenspiele im Rennwett- und Lotteriegesetz selbst davon ausgegangen sei, dass es sich bei virtuellen Automatenspielen lediglich um Nachbildungen terrestrischer Automatenspiele handele. Zur Vermeidung einer Verzerrung des Wettbewerbs im Binnenmarkt dürften terrestrische und virtuelle Automatenspiele hinsichtlich der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden. Die mehrwertsteuerliche Gleichbehandlung sei hierbei kein Selbstzweck.
8Auch nach dem nunmehr ergangenen EuGH-Urteil vom 12.09.2024 C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, stelle sich die unterschiedliche Behandlung der Online-Automatenspiele und terrestrischen Automatenspiele als voraussichtlicher Verstoß gegen den steuerlichen Neutralitätsgrundsatz dar, welcher dazu führe, dass sie, die Antragstellerin, sich aller Voraussicht nach unmittelbar auf die Steuerbefreiung aus Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL berufen könne. Denn ausweislich des Urteils stehe fest, dass eine unterschiedliche Behandlung des Online-Automatenspiels und des terrestrischen Automatenspiels hinsichtlich der Mehrwertsteuer nur dann zulässig sei, wenn die objektiven Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien von Glücksspielen mit Geldeinsatz geeignet seien, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen. Es komme maßgeblich darauf an, ob die fraglichen Leistungen aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers austauschbar seien. Tatsächlich seien die bestehenden objektiven Unterschiede zwischen den beiden Kategorien von Glücksspielen mit Geldeinsatz (terrestrisches und virtuelles Automatenspiel) nicht geeignet, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen. Die beiden Spielkategorien seien nur auf den ersten Blick nicht gleichartig. Dass gewisse Unterschiede vorlägen, sei zuzugeben, so die Antragstellerin. Es handele sich aber nicht um erhebliche Unterschiede, welche die Gleichartigkeit beider Glücksspielangebote aufheben würden, zumal keine Gleichheit vorausgesetzt würde. Tatsächlich wiesen sie gerade keine erheblichen Unterschiede auf, welche die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers beeinflussen könnten. Insbesondere seien Ausschüttungsquoten und Einsätze nicht erheblich unterschiedlich. Die Antragstellerin hat hierzu ein Kurzgutachten zur ökonomisch-faktischen Substituierbarkeit von Online- und Offline-Automaten vom 02.03.2022, erstellt von der X, vorgelegt, auf das sie Bezug nimmt. Hiernach spielten 68 Prozent der Spieler von virtuellen Automatenspielen auch in Spielhallen und 65 Prozent der Spieler von virtuellen Automatenspielen auch an Spielgeräten in der Gastronomie. Die damit dargelegte Überschneidung bei den Spielgästen indiziere geradezu, dass die objektiven Unterschiede beim Online-Automatenspiel gegenüber dem terrestrischen (Offline-)Automatenspiel nicht geeignet seien, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen. Denn würde es eine solche erhebliche Beeinflussung bei der Entscheidung geben, käme es nicht zu derartigen Überschneidungen. Selbst wenn das Gericht das vorgelegte Kurzgutachten nicht für die Glaubhaftmachung des Antragstellervorbringens ausreichen lassen sollte, müsse die Unklarheit hinsichtlich des entscheidungserheblichen Sachverhalts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung hervorrufen, so dass dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben sei. Ob die objektiven Unterschiede zwischen den beiden Kategorien von Glücksspielen geeignet seien, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen, sei eine Tatfrage, die sich im summarischen Verfahren nicht klären lasse. Die Beweislast liege insofern beim Finanzamt. Im Hauptsacheverfahren habe das Gericht als Tatsacheninstanz hierzu gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten einzuholen.
9Zu der vom EuGH in dessen Urteil vom 12.09.2024 C-73/23 als maßgeblich erachteten Frage der „Austauschbarkeit“ der Glücksspielformen als Kriterium für die Gleichartigkeit habe sich der BFH in seinem Beschluss vom 26.09.2022 XI B 9/22 (AdV) mit keinem einzigen Wort geäußert. Der BFH sei in dem Beschluss auch mit keinem Wort auf das von ihr, der Antragstellerin, zur Glaubhaftmachung der Austauschbarkeit der beiden Glücksspielformen damals vorgelegte Gutachten von X eingegangen, auch nicht in Rn. 30 des Beschlusses.
10Für die Austauschbarkeit der beiden Glücksspielformen spreche zudem, dass die Bundesländer zum Schutz der Spieler und zur Bekämpfung der Glücksspielsucht im Glücksspielstaatsvertrag 2021 ein spielformübergreifendes Sperrsystem verankert hätten. Dies umfasse neben den Spielhallen und Gastronomiebetrieben sowie den öffentlichen Spielbanken, in denen terrestrische Geldspielautomaten aufgestellt seien, auch die Anbieter virtueller (Online-)Automatenspiele. Wären die Länder nicht von einer Austauschbarkeit dieser Glücksspielformen ausgegangen, hätte es keines spielformübergreifenden Sperrsystems bedurft. Die Antragstellerin hat die Erläuterungen zum Glücksspielvertrag vorgelegt und nimmt insbesondere Bezug auf die dortige Seite 8, Ziffer A.II.2.
11Anzumerken sei, dass im Verhältnis zwischen Online-Handel und terrestrischem Handel ebenso Unterschiede bestünden. Dort erscheine es aber als geradezu abwegig, dass diese Unterschiede eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung begründen könnten.
12Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besteuerung ihrer Umsätze ergäben sich auch daraus, weil die verschiedenen Glücksspielformen von den deutschen Zivilgerichten im Wettbewerbsrecht als gleichartig behandelt würden (BGH, Urteil vom 28.09.2011 I ZR 93/10, Rn. 19, 20), während die Finanzgerichte diese Gleichartigkeit ablehnten. Der BGH habe es in der genannten Entscheidung für die Gleichartigkeit ausreichen lassen, dass beide Parteien entgeltlich Spiele anböten, bei denen die Aussicht auf einen Gewinn jedenfalls maßgeblich vom Glück des Spielers abhängig sei. Eine solche Gleichartigkeit sei bei allen Arten von Glücksspielen anzunehmen. Es sei anzunehmen, dass der BGH in seine Entscheidung europäische Rechtsgedanken habe einfließen lassen, da das nationale Wettbewerbsrecht zunehmend von Richtlinien der Europäischen Union beeinflusst werde. Von dieser BGH-Rechtsprechung weiche der BFH mit seinen scharfen und überspannten Anforderungen an die Gleichartigkeit ab. Er verlange für das Mehrwertsteuerrecht in Bezug auf den steuerlichen Neutralitätsgrundsatz hingegen nun nahezu eine Identität oder Gleichheit. Es erscheine nicht nachvollziehbar, dass eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Mehrwertsteuer für verschiedene Glücksspielanbieter wegen angeblich bestehender Ungleichheit unionsrechtskonform sein solle, während hingegen eine Gleichartigkeit verschiedener Glücksspielanbieter im Wettbewerbsrecht bejaht werde. Im Hinblick auf die bestehende Divergenz in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse im Hauptsacheverfahren die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen werden, was im vorliegenden Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung verpflichte.
132. Ernstliche Zweifel an den von ihr angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen beständen auch deshalb, weil die Festsetzungen gegen das Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstießen. Ein solches greife aufgrund des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 20.06.2024 zu ihren Gunsten, denen der Antragstellerin. So habe die Europäische Kommission festgestellt, dass die in Deutschland geltenden besonderen Steuerregelungen für Spielbankunternehmen nicht mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang ständen. Deutschland müsse diese Beihilfen einschließlich Zinsen zurückfordern und die Steuerregelungen abschaffen. Danach sei es verboten, das geltende Umsatzsteuerrecht auf Spielhallen hier noch durchzuführen, d.h. es sei nicht anzuwenden. Das Durchführungsverbot bestehe so lange, bis ein neues, gleiches Abgabenrecht für Spielbanken und Spielhallen geschaffen sei.
14Bei unzulässig gewährten Beihilfen dürften Wettbewerber Ansprüche auf Auskunft, Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz stellen. Da die derzeitigen Steuerregelungen trotz des Durchführungsverbotes noch Gültigkeit hätten, entstehe ihr, der Antragstellerin, als Wettbewerber der Spielbanken ein regelmäßiger Schaden, denn die Spielbanken zahlten praktisch keine Umsatzsteuer bzw. könnten diese mit der Spielbankabgabe verrechnen, während diese Verrechnungsmöglichkeit mit irgendeiner anderen Steuer für Spielhallenunternehmer nicht gelte. Noch dazu seien die gewerblichen Spielhallenunternehmer, nicht aber die Spielbanken, mit Vergnügungssteuer belastet.
15Ihre Steuerrückstände, die der Antragstellerin, könnten vorliegend nicht mehr verlangt werden, weil die EU-widrigen Besteuerungsregeln durch das Durchführungsverbot praktisch außer Kraft gesetzt seien. Schadenersatzansprüche könne sie, die Antragstellerin, zwar erst geltend machen, wenn eine Rückzahlung der den öffentlichen Spielbanken unzulässig gewährten Beihilfen nicht erfolgen sollte. Bis dahin müsse ihr aber ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsatzsteuern zustehen, auch damit dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV hinreichende Effektivität verliehen werde. Denn das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, das eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG sei (BGH-Urteil vom 10.02.2011 I ZR 136/09), sei als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugunsten der Wettbewerber des Beihilfeempfängers zu sehen (klargestellt durch BGH-Urteil vom 10.02.2011 I ZR 136/09). Es bestehe die Gefahr, dass die Wettbewerber des Beihilfeempfängers den Wettbewerb finanziell nicht überlebten und spätere Schadenersatzansprüche ihnen dann nicht weiterhelfen würden. Bis eine neue Steuerregelung eingeführt sei, müsse den Wettbewerbern der Spielbanken daher auch im Hinblick auf § 249 BGB und der allgemeinen Schadenminderungspflicht aus Gleichbehandlungsgründen der entstehende Schaden durch Nichtzahlung begrenzt bzw. verhindert werden, damit diese im Wettbewerb weiterbestehen könnten.
163. Sie, die Antragstellerin, werde zudem durch die Umsatzsteuer in Verbindung mit anderen von ihr zu erbringenden Steuern wie der Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Vergnügungssteuer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Form des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der steuerlichen Belastungsgleichheit (BFH-Beschluss vom 29.03.2001 III B 79/00, Rn. 25; BFH-Urteil vom 16.05.2013 II R 15/12, Rn. 34) verletzt. Sie unterliege ohne Rechtfertigung einer erheblich höheren Gesamtsteuerbelastung als die mit ihr im Wettbewerb stehenden Betreiber der öffentlichen Spielbanken, wofür es jedenfalls nach Auffassung der Europäischen Kommission keine Rechtfertigung gebe. Die Spielbanken zahlten nur eine Spielbankabgabe, die die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer der „normalen" Gewerbetreibenden ersetze. Von allen anderen Steuern seien die öffentlichen Spielbanken befreit. Noch dazu könnten sie auf die Spielbankabgabe die Umsatzsteuer anrechnen. Sie hingegen, die Antragstellerin, habe die üblichen Gewerbe- und Körperschaftssteuern und zusätzlich die Umsatzsteuer sowie die Vergnügungssteuer zu zahlen, ohne diese auf die anderen Steuern anrechnen zu können. So sei auch die Europäische Kommission am 20.06.2024 zu dem Ergebnis gelangt, dass die besonderen Steuerregelungen den Spielbankunternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafften, da die sich für sie ergebende Steuerlast potenziell geringer sei als die Steuerlast nach den „normalen“ Steuervorschriften. Auch wenn die Entscheidung der Kommission nur zum Beihilferecht ergangen sei, lasse sich ihr doch einwandfrei entnehmen, dass es keine sachliche Rechtfertigung mehr für die Ungleichbehandlung gebe. Die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der im Steuerrecht durch § 85 AO zum Ausdruck komme, erfolge durch die additive Belastung bei ihr, der Antragstellerin, mit mehreren verschiedenen Steuern, zu denen auch die Umsatzsteuer gehöre. Sie könne sich daher gegen jede einzelne dieser Steuern, die im Zusammenspiel zu der gerügten Grundrechtsverletzung führe, erfolgreich zur Wehr setzen. Folgende Rechtsfrage sei diesbezüglich höchstrichterlich klärungsbedürftig und klärungsfähig: „Steht Art. 3 Abs. 1 GG einer besonderen Steuerregelung entgegen, welche die mit der Antragstellerin im Wettbewerb stehenden Betreiber der öffentlichen Spielbanken einer Sonderabgabe in Gestalt der Spielbankabgabe unterwirft, die eine Reihe sonst geltender allgemeiner Steuern ersetzt, so insbesondere die Gewerbe- und Körperschaft- oder Einkommensteuer, und auf die die Umsatzsteuer angerechnet wird?“
174. Im Hauptsacheverfahren habe außerdem nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu erfolgen. Es sei die Frage vorzulegen, ob § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG i.d.F. ab 06.05.2006 mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar sei, als die Vorschrift die Umsätze aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit nicht von der Umsatzsteuer befreie, aber die richtlinienkonforme Durchsetzung des Umsatzsteueranspruchs gegen die Betreiber der öffentlichen Spielbanken, welche gleichartige Glücksspiele wie die Klägerin anböten, wegen struktureller Vollzugshindernisse weitgehend vereitelt werde.
18Es bestehe bereits seit der Einführung der Umsatzsteuerpflicht für die Umsätze der öffentlichen Spielbanken zum 06.05.2006 ein das Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzendes strukturelles Vollzugsdefizit bei der Besteuerung dieser Umsätze, da die Umsätze der öffentlichen Spielbanken durchweg nicht mit der richtlinienkonformen Bemessungsgrundlage des gesamten Spieleinsatzes, sondern lediglich mit der unzutreffenden Bemessungsgrundlage des deutlich geringeren Spielertrages (Spieleinsätze abzüglich Gewinnauszahlungen) besteuert würden. Eine richtlinienkonforme Besteuerung der öffentlichen Spielbanken durch Heranziehung des gesamten Spieleinsatzes als Bemessungsgrundlage sei vom Gesetzgeber von Anfang an (seit dem 06.05.2006) nicht gewollt. Dem Gesetzgeber sei klar gewesen, dass eine richtlinienkonforme Besteuerung aufgrund der hohen Auszahlquoten der in den öffentlichen Spielbanken angebotenen Spiele nicht in Betracht komme.
19Es finde keine richtlinienkonforme Besteuerung der öffentlichen Spielbanken statt. Spätestens seit dem BFH-Urteil vom 18.08.2005 V R 42/02 habe aber festgestanden, dass nur dann der Spielertrag bzw. die Kasseneinnahme als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer herangezogen werden dürfe, wenn erstens eine Mindestausschüttung gesetzlich vorgeschrieben sei und zweitens die wieder ausgeschütteten Einsätze technisch und gegenständlich von den Einsätzen getrennt seien, die der Betreiber tatsächlich für sich verbuchen könne. Denn in Rn. 19, 20 des Urteils vom 18.08.2005 V R 42/02 habe der V. Senat ausdrücklich seine Auffassung aufgegeben, wonach es für die Anwendung der Kasseneinnahme bzw. des Spielertrags als Bemessungsgrundlage nicht notwendigerweise zwingender gesetzlicher Vorschriften bedürfe, wie sie für die in den Spielhallen aufgestellten Geldspielgeräte durch die Vorschriften der auf die Geräte anzuwendenden Spielverordnung gelten würden. Da eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestausschüttung für die in den öffentlichen Spielbanken angebotenen Glücksspiele – gleich ob klassische Tischspiele wie z.B. Roulette oder Automatenspiele – sämtlich nicht vorgesehen sei, sei eine Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken mit dem Spielertrag bzw. der Kasseneinnahme als verminderte Bemessungsgrundlage unzulässig; müssten zwingend die gesamten Spieleinsätze als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer herangezogen werden.
20Eine richtlinienkonforme Besteuerung der in den öffentlichen Spielbanken veranstalteten Glücksspiele mit dem gesamten Spieleinsatz als Bemessungsgrundlage sei aufgrund der regelmäßig hohen Auszahlquoten der in den öffentlichen Spielbanken angebotenen Glücksspiele nicht möglich. Eine Umsatzbesteuerung der Spieleinsätze würde den „Rohgewinn“ aufzehren oder sogar übersteigen. So lägen beispielsweise die Auszahlquoten bei den in den öffentlichen Spielbanken angebotenen Automatenspielen durchschnittlich bei rund 95 %, bei einigen der dort angebotenen Spiele könnten sogar Auszahlquoten von bis zu 98,96 % erreicht werden. Die Klägerin nimmt hierzu beispielhaft Bezug auf die Homepage der Spielbank … […] und hat einen entsprechenden Screenshot vorgelegt. Nehme man nur eine durchschnittliche Ausschüttungsquote von z. B. 95 % an, verbliebe dem Spielbankbetreiber von 100 € Spieleinsatz lediglich ein Rohertrag von 5 €. Müsste er richtlinienkonform aus den 100 € Spieleinsatz 19 % Umsatzsteuer abführen, betrage die herausgerechnete Umsatzsteuer 15,96 €, die ersichtlich nicht aus den 5 € Rohertrag erbracht werden könnten. Würde die einzig zutreffende Bemessungsgrundlage – der gesamte Spieleinsatz – angewendet werden, wären die öffentlichen Spielbanken demnach nicht in der Lage, die Umsatzsteuer darauf zu entrichten.
21Hätte sich der Gesetzgeber Gedanken darüber gemacht, richtlinienkonform den gesamten Spieleinsatz als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, hätte er zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Spielbanken – wie ausgeführt – nicht möglich sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber bereits bei Einführung der Umsatzsteuerpflicht die Verrechnung der Umsatzsteuer mit der Spielbankabgabe ins Auge gefasst, was als weiteres Indiz dafür anzusehen sei, dass unionsrechtswidrig nur der Spielertrag Bemessungsgrundlage habe sein sollen.
22Die dargestellte und seit beinahe 19 Jahren (seit dem 06.05.2006) fortgesetzte unzutreffende Besteuerung der öffentlichen Spielbanken durch die Finanzämter unter Anwendung einer nicht richtlinienkonformen Bemessungsgrundlage führe zu einem verfassungswidrigen und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzenden strukturellen Vollzugsdefizit. Durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens werde die Gleichheit im Belastungserfolg des Steuerrechts grundlegend verfehlt.
23Der Widerspruch zwischen der materiellen, den Steueranspruch begründenden Rechtsnorm und den geltenden Erhebungsregeln, die strukturell nicht zur Durchsetzung des Steueranspruchs geeignet seien, führe zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Rechtsnorm, soweit der mangelnde Vollzug dem Gesetzgeber wegen bestehender gesetzlicher Mängel zuzurechnen sei. Strukturell gegenläufig wirkten sich Erhebungsregelungen gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen würden, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden könne. Dabei führten Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen könnten und sich tatsächlich ereigneten, allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten sei der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führe nicht ohne Weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BVerfG-Beschluss vom 10.01.2008, 2 BvR 294/06, 3. Leitsatz). Es bestehe für den Gesetzgeber die Pflicht, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleiste, wobei maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen sei.
24Die Anforderungen, die aus dem Gebot der möglichst gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen folge, ergäben sich aus dem BVerfG-Urteil vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, Rn. 108 ff. Nach diesen dort aufgestellten Grundsätzen sei vorliegend von einem strukturellen Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken auszugehen, indem diese nicht richtlinienkonform besteuert würden. Die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit führe zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm.
25Dieses Ergebnis und die – sei es auch nur nachträgliche – Erkenntnis, dass für die in Frage stehende Steuer mit Blick auf die Erhebungsart sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sei, habe der Gesetzgeber erkennen müssen und sei ihm damit auch zuzurechnen. Dabei hätte sich dem Gesetzgeber aufgrund er vorausgegangenen Rechtsprechung des EuGH und des BFH bereits bei der Einführung der Umsatzsteuerpflicht zum 06.05.2006 diese Erkenntnis der praktisch unmöglichen, richtlinienkonformen Besteuerung der öffentlichen Spielbanken aufdrängen müssen. Er hätte sich dieser Erkenntnis nicht verschließen dürfen. Dem Gesetzgeber sei die im Erhebungsverfahren angelegte, in der dargestellten Weise erhebliche Ungleichheit im Belastungserfolg auch dann zuzurechnen, wenn sie auf Verwaltungsvorschriften beruhe, die der Gesetzgeber bewusst und gewollt bei seiner Regelung hingenommen habe.
26Eine gleichheitsgerechte Durchsetzung des Steueranspruchs scheitere jedenfalls an strukturellen Erhebungsmängeln. Für ein strukturelles Erhebungsdefizit könne auch sprechen, wenn die Besteuerung bestimmter Einkünfte im Vergleich mit anderen Einkünften Erhebungsmängel aufweise, wie sie bei den anderen Einkünften regelmäßig in solchem Ausmaß nicht vorkämen (BVerfG-Urteil vom 09.03.2004, 2 BvL 17/02, Rn. 73). Die Form der Steuererhebung und - in Ergänzung des Deklarationsprinzips - das behördliche Kontrollinstrumentarium hätten der materiellen Steuernorm regelmäßig so zu entsprechen, dass deren gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich sei, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern. Würden gehäufte oder gar systematische Verstöße nicht konsequent geahndet und unterbunden, präge dies die tatsächliche Handhabung der Regelung und lasse auf Defizite der normativen Sicherung schließen (BVerfG-Urteil vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56, unter C.II.1.; BFH-Urteil vom 07.09.2021 IX R 5/19, BFH/NV 2022, 131, Rn. 65). Lasse sich der Regelfall auf Grund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen des Besteuerungsverfahrens und auf Grund von empirischen Erkenntnissen über die Veranlagungspraxis ausreichend zuverlässig so beschreiben, dass bestimmte Einkünfte materiell-rechtlich zutreffend nur bei einer qualifizierten Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen erfasst würden und ein Fehlverhalten bei der Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko möglich bleibe, dann liefere bereits dies hinreichende Grundlagen für die Feststellung einer im Gesetz strukturell angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung. Dann sei beim Vollzug der materiellen Steuernorm die Erhebungsform oder die Besteuerungspraxis im Rahmen gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der Finanzämter im Großen und Ganzen nicht auf Gleichheit im Belastungserfolg angelegt.
27Für eine effektive Besteuerung der Umsätze der Betreiber öffentlicher Spielbanken gebe es keine ausreichenden Kontrollmöglichkeiten seitens der Finanzverwaltung. Die erheblichen Defizite bei der Besteuerung seien bereits in der Struktur angelegt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Finanzverwaltung seit Beginn der Steuerpflicht für die Umsätze der öffentlichen Spielbanken am 06.05.2006 jemals Bestrebungen unternommen habe, die zutreffende Bemessungsgrundlage des von den öffentlichen Spielbanken erzielten Spieleinsatzes zu ermitteln. Trotz des erheblichen Umfangs des in den öffentlichen Spielbanken veranstalteten Glücksspiels habe die Finanzverwaltung bis heute keine wirksamen Kontrollmechanismen zur rechtmäßigen Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken geschaffen. Betreiber der öffentlichen Spielbanken, die die Umsätze aus den von ihnen betriebenen Glücksspiele nur mit dem Spielertrag und nicht mit dem vollständigen Spieleinsatz und damit nicht zutreffend dem Finanzamt meldeten, müssten auch keine Steuerstrafverfolgung befürchten. Die Besteuerung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken weise damit im Vergleich mit anderen Umsätzen strukturelle Erhebungsmängel auf, wie sie bei anderen Umsätzen regelmäßig nicht vorkämen. Die vom Bundesverfassungsgericht seinerzeit insbesondere für die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aufgestellten Grundsätze ließen sich hier auf den vorliegenden Sachverhalt anwenden.
28Auch wenn konkrete Feststellungen zur Höhe der unzutreffend erklärten steuerbaren Umsätze aus Glücksspielen in den öffentlichen Spielbanken und der dadurch bedingten Steuerausfälle nicht möglich seien, schließe dies nicht die Möglichkeit aus, tatsächlich schwerwiegende und im verfassungsrechtlichen Sinn strukturelle Vollzugsmängel festzustellen. Auch ohne die Quantifizierung von Steuerausfällen lasse sich regelmäßig mit hinreichender Sicherheit feststellen, inwieweit Erhebungsregeln auf die Durchsetzung des normativen Befehls einer bestimmten materiellen Steuernorm angelegt seien. Eine im Rahmen einer verfahrensrechtlichen Analyse festgestellte „strukturelle Gegenläufigkeit“ von Erhebungsregelungen begründe die Vermutung, dass auch tatsächlich ein Erhebungsdefizit hinsichtlich der materiellen Steuernorm bestehe. Vorliegend sei es seit 2006 so, dass ein Betreiber einer öffentlichen Spielbank, der unzutreffende Umsatzsteuererklärung abgebe, indem er dort die Umsätze lediglich mit der Bemessungsgrundlage des Spielertrags angebe, regelmäßig kein Entdeckungsrisiko zu tragen habe. Die Finanzämter hätten keinen Kontrollmechanismus, die falschen und unvollständigen bzw. sogar gänzlich fehlende Angaben zu steuerbaren Umsätzen aus den öffentlichen Spielbanken zu überwachen, geschweige denn zu sanktionieren. Es fehlten für gewöhnlich bereits verwertbares Kontrollmaterial und die nötigen Daten für einen Vergleich von (vermuteten) Soll- und (erklärten) Istwerten. Die maßgeblichen Erhebungsregeln vermittelten einer Veranlagungsstelle im regulären Besteuerungsverfahren keinen konkreten Anlass, umsatzsteuerbare Einkünfte aus öffentlichen Spielbanken zu verifizieren. Die Finanzämter selbst gingen bislang regelmäßig davon aus, dass nur der Spielertrag als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer in Betracht komme. Eine Überprüfung des maßgeblichen gesamten Spieleinsatzes durch die Finanzbehörden habe bislang seit 2006 daher noch in keinem einzigen Fall stattgefunden. Nach alledem sei das Verfahrensrecht für die hier zu beurteilenden Umsätze aus Glücksspielumsätzen in den öffentlichen Spielbanken im Regelfall des Besteuerungsverfahrens nicht auf eine wirksame Ermittlung und Kontrolle von Umsätzen angelegt. Im Ergebnis weise daher die Besteuerung von Umsätzen aus öffentlichen Spielbanken im Vergleich zu den Umsätzen aus zugelassenen Geldspielgeräten besondere Mängel auf, welche die Annahme eines strukturellen Erhebungsdefizits stützten.
29Dem Gesetzgeber sei es zuzurechnen, dass der Vollzugsbefehl der zur Prüfung gestellten materiellen Steuernorm in der Praxis des Erhebungsverfahrens nicht gleichheitsgerecht umzusetzen sei. Es falle in seine Verantwortlichkeit, dass bei der vorgesehenen Erhebungsform das maßgebliche Verfahrensrecht keine Regelungen enthalte, durch die eine wirksame Kontrolle von Umsätzen aus dem Betrieb von öffentlichen Spielbanken gewährleistet sei, sondern die anzuwendenden verfahrensrechtlichen Regelungen einer solchen Kontrolle sogar entgegenwirkten. Er habe keine Instrumente für eine wirksame Kontrolle der richtlinienkonformen Umsatzbesteuerung von Glücksspielumsätzen in öffentlichen Spielbanken zur Verfügung gestellt. Ihm müsse sich die Erkenntnis aufdrängen, dass für die in Frage stehende Umsatzsteuer mit Blick auf die Form der Erhebung sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg „prinzipiell“ nicht zu erreichen sei.
30Habe das BVerfG hiernach die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festzustellen, habe dies die Nichtigkeit des der Besteuerung ihrer Umsätze, der der Antragstellerin, zugrundeliegenden Gesetzes zur Folge (vgl. insoweit BVerfG, Urteil vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BStBl II 2005, 56).
315. Schließlich beständen ernstliche Zweifel an den streitgegenständlichen Mehrwertsteuererhebungen im Hinblick auf die Richtlinienvorschrift des Art. 63 MwStSystRL. Hiernach müssten Steuertatbestand und Steueranspruch bereits zu dem Zeitpunkt zwingend entstehen, zu dem die Dienstleistung erbracht werde. Dies wäre der Zeitpunkt, in dem das Spiel des einzelnen Spielers am Geldspielautomaten stattfinde. Gegen diesen Grundsatz werde allerdings verstoßen, wenn die Bemessungsgrundlage die Kasseneinnahme eines Geldspielgeräts am Ende eines Zeitraums (Monat oder Jahr) sei, denn dann könne der Steueranspruch erst am Ende eines Monats oder Jahres ermittelt werden, was gegen Art. 63 MwStSystRL verstoße. Es komme z.B. häufig vor, dass ein Spieler mehr gewinne als er eingesetzt habe. Dann sei die Kasseneinnahme für das einzelne Spiel und damit die Dienstleistung negativ. In diesem Fall könne schon denklogisch kein Steueranspruch zu dem Zeitpunkt entstanden sein, in dem die Dienstleistung erbracht werde. Aus dem Spieleinsatz resultiere gerade nicht der Steueranspruch, wenn er nicht Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer sei. Die Frage, wie damit umzugehen sei, wenn durch eine bestimmte Besteuerung die Vorgaben des Art. 63 nicht erfüllt werden könnten, sei höchstrichterlich nicht beantwortet. Art. 63 MwStSystRL sei insbesondere in dem Urteil vom 14.10.2013 C-440/12, Metropol Spielstätten, nicht Gegenstand der Prüfung des EuGH gewesen. Es habe bislang keinerlei Auseinandersetzung mit der Frage stattgefunden, ob Art. 63 MwStSystRL einer Anwendung der Bemessungsgrundlage „Kasseneinnahme“ entgegenstehe. Im Hauptsacheverfahren sei das Verfahren daher auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen des EuGH zu folgender Frage einzuholen sein: „Steht Art. 63 der Richtlinie 2006/112, wonach der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Dienstleistung erbracht wird, der Anwendung der Bemessungsgrundlage der Kasseneinnahme am Ende eines Zeitraums bei Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit entgegen, wenn sich die Höhe des Steueranspruchs bei Anwendung dieser Bemessungsgrundlage entgegen Art. 63 nicht bereits zu dem Zeitpunkt ermitteln lässt, in dem die Dienstleistung erbracht wird, sondern erst am Ende eines Zeitraums?“.
32Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei es nicht bei jeder Art von Glücksspiel so, dass nicht feststehe, wie hoch der Umsatz sein werde. Denn die Anwendung der Bemessungsgrundlage der Kasseneinnahme (und nicht des gesamten Spieleinsatzes) sei ausweislich EuGH-Urteil vom 14.10.2013 C-440/12, Metropol Spielstätten, Rn. 42, ausdrücklich auf solche Glücksspiele beschränkt, bei denen die Gegenleistung, die der Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhalte, durch „zwingende gesetzliche Vorschriften“ festgelegt sei (Mindestausschüttung). Bereits im Urteil vom 19.07.2012 C-377/11, International Bingo Technology, Rn. 31, habe der EuGH unter Bezugnahme auf EuGH-Urteil vom 17.09.2002 C-498/99, Town & County Factors, Rn. 28 ff., zusammenfassend klargestellt, auf welche Glücksspielarten die Anwendung der Bemessungsgrundlage der Kasseneinnahme begrenzt sein solle. Damit sei ausdrücklich der gesamte Spieleinsatz als Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer bei solchen Glücksspielen heranzuziehen, bei denen die Voraussetzungen nicht gegeben seien. Zu denken sei insoweit z.B. an die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, wo die Einsätze keinen zwingenden gesetzlichen Vorschriften unterlägen. Dass die zuständigen deutschen Finanzämter die öffentlichen Spielbanken entgegen der Vorgaben des EuGH seit 2006 lediglich mit dem Spielertrag und nicht wie es richtlinienkonform wäre, mit dem Spieleinsatz besteuern, stehe auf einem anderen Blatt und dürfte auch beihilferechtlich ein Thema werden.
33Dass sich ihre Umsätze, die der Antragstellerin, nur mit einer konstruierten Bemessungsgrundlage (Kasseneinnahme) besteuern ließen, die in ihrer Anwendung nicht der Vorschrift des Art. 63 MwStSystRL entspreche, sei zumindest ein Indiz dafür, dass sich diese Umsätze nicht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen würden und sie, die Antragstellerin, daher nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL von der Mehrwertsteuer zu befreien sei.
34Die Vollziehung der streitgegenständlichen Steueranmeldungen sei mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt rückwirkend aufzuheben, weil bereits zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steueranmeldung bestanden hätten (vgl. BFH-Beschluss vom 17.05.2005 I B 108/04, BFH/NV 2005, 1778).
35Die Antragstellerin beantragt,
36die Vollziehung der durch die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide des Antragsgegners erfolgten Steuerfestsetzungen für Februar 2024 in Höhe von … €, für März 2024 in Höhe von … € und für April 2024 in Höhe von … € ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung auszusetzen und, insoweit die Steuern bereits vollzogen sind, die Vollziehung rückwirkend aufzuheben,
37die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben, ebenso bereits verwirkte Säumniszuschläge aufzuheben,
38hilfsweise, die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
39Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
40den Antrag abzulehnen.
41Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihres Antrags Ausführungen zur grundsätzlichen Steuerbarkeit von Geldspielumsätzen und zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage mache, sei er, der Antragsgegner, der Auffassung, dass diese Themen in der Rechtsprechung von EuGH, BFH und den Finanzgerichten ausreichend behandelt worden und geklärt seien. Der BFH habe sich in den Entscheidungen vom 11.12.2019 (XI R 13/18, XI R 23/18 und XI R 26/18) ausführlich mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt. Die Finanzgerichte und das Schrifttum hätten sich diesen Ausführungen angeschlossen (u. a. FG Hamburg vom 15.02.2022, 5 K 73/20; FG Sachsen-Anhalt vom 02.05.2022, 3 K 1180/17). Der BFH halte die Rechtsfragen nach wie vor, insbesondere aufgrund der Grundsätze des EuGH-Urteils C-440/12 "Metropol-Spielstätten", für geklärt. Eine Vielzahl der Fragen habe der BFH im Beschluss vom 04.01.2023 (XI B 51/22) wiederholt beantwortet. Das Finanzgericht Nürnberg habe die Sach- und Rechtslage mit Urteil vom 27.02.2024 (2 K 1354/20) nochmals ausführlich zusammengefasst. Im Übrigen sei angemerkt, dass bei jeder Art von Glücksspiel nicht feststehe, wie hoch der Umsatz bei jedem einzelnen Glücksspiel sein werde. Dieses Risiko gehöre zum Geschäftsmodell. Für die Kunden sei die Gewinnchance der Anreiz, sich an Glücksspielen zu beteiligen. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Art. 63 MwStSystRL verlange, dass bereits bei Einwurf die Höhe des Umsatzes feststehen müsse, und dann folglich keine Steuerbarkeit des Umsatzes vorliege, bräuchte man Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i MwStSystRL nicht; da eine Steuerbefreiungsvorschrift voraussetze, dass ein Umsatz zunächst überhaupt steuerbar sei.
42Neu sei der Sachvortrag der Antragstellerin zur Beihilfeentscheidung der EU-Kommission zu Steuervorschiften für Spielbankunternehmen in Deutschland. Hiernach sei es verboten, die Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe anzurechnen. Damit bleibe aber die Umsatzbesteuerung unberührt. Sowohl Spielbanken als auch Spielhallen seien weiterhin umsatzsteuerpflichtig.
43Es sei dem EuGH-Urteil vom 12.09.2024, C-73/23, zu entnehmen, dass der EuGH auch in Zukunft nicht entscheiden werde, ob die zwischen Online- und Offline-Glücksspielen mit Geldeinsatz bestehenden objektiven Unterschiede geeignet seien, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen. Diese Prüfung obliege ausschließlich den nationalen Gerichten. Der BFH habe in seinem Beschluss vom 26.09.2022 (XI B 9/22 AdV) verschiedene Unterscheidungskriterien aufgeführt und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass offline und online angebotene Geldspiele unterschiedlich seien. Bei dessen Entscheidung habe dem BFH das von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten der X vom 02.03.2022 offensichtlich vorgelegen. Denn in einer Internetveröffentlichung vom 21.10.2022 kommentiere der Rechtsbeistand der Antragstellerin, dass der BFH auf das von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegte Gutachten nicht eingegangen sei. In Rn. 19 seines Beschlusses vom 26.09.2022 habe der BFH auf das EuGH-Urteil vom 09.03.2017, C-573/15, Oxycure Belgium, verwiesen, wonach eine unterschiedliche Behandlung selbst dann zulässig sei, wenn die Produkte nach der Wahrnehmung des Verbrauchers anderen Produkten ähnelten.
44Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten einschließlich ihrer Anlagen, die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte verwiesen.
1. Der Antrag auf Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung wegen Umsatzsteuervorauszahlungen für Februar, März und April 2024 ist unbegründet.
46Der angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Februar 2024 vom 10.04.2024, für März 2024 vom 03.05.2024 und für April 2024 vom 04.06.2024 sind nicht von der Vollziehung auszusetzen.
47Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
48Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 16.05.2019 XI B 13/19, BStBl II 2021, 950; vom 07.03.2022 XI B 2/21 (AdV), DStR 2022, 984; vom 26.09.2022 XI B 9/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1417). Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (vgl. BFH, Beschlüsse vom 04.07.2019 VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060, Rn. 11; vom 31.07.2019 XI B 15/19, BFH/NV 2019, 1259, Rn. 12). Ernstliche Zweifel können sich auch aus dem Unionsrecht ergeben (vgl. BFH, Beschlüsse vom 12.12.2013 XI B 88/13, BFH/NV 2014, 550, Rn. 15; vom 14.03.2019 V B 3/19, BStBl II 2021, 948, Rn. 16) oder können verfassungsrechtliche Zweifel in Bezug auf eine dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Norm sein (vgl. BFH, Beschlüsse vom 05.03.2001 IX B 90/00, BStBl II 2001, 405, unter II.2.a., m.w.N.; vom 26.05.2021 VII B 13/21 (AdV), BFH/NV 2022, 209, Rn. 10; vom 23.05.2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030, Rn. 28; vom 26.09.2022 XI B 9/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1417, Rn. 16). Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Behörde und andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH, Beschluss vom 14.02.1989 IV B 33/88, BStBl II 1989, 516).
49a. Der Senat hat bei der im Aussetzungsverfahren erforderlichen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Voranmeldungszeiträume Februar, März und April 2024, im Rahmen derer die von der Antragstellerin ausgeführten Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten als steuerpflichtig berücksichtigt wurden.
50aa. Die steuerbaren Leistungen der Antragstellerin sind weder nach § 4 Nr. 9 Buchst b UStG noch nach Art. 135 Abs. 1 Buchs. i MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit.
51(1) § 4 Nr. 9 Buchst. b Satz 1 UStG in der Fassung ab 06.05.2006 befreit Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, von der Umsatzsteuer. Nicht befreit sind jedoch die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze, die von der Rennwett- und Lotteriesteuer befreit sind oder von denen diese Steuer allgemein nicht erhoben wird. Die streitigen Umsätze der Antragstellerin aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit unterfallen nicht dem Rennwett- und Lotteriegesetz und sind deshalb nach nationalem Recht nicht steuerbefreit.
52(2) Im Hinblick auf eine behauptete nicht unionsrechtskonforme Besteuerung ist es der Antragstellerin bereits im Grundsatz verwehrt, für die hier streitigen Umsätze eine Steuerbefreiung unmittelbar aus Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL zu erlangen.
53Gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 17.02.2009 XI R 67/06, BStBl II 2013, 967, Rn. 35; EuGH, Urteile vom 10.09.2002, C-141/00, Kügler, HFR 2002, 1146, Rn. 51; vom 10.12.2020, C-488/18, Golfclub Schloss Igling, HFR 2021, 223, Rn. 26; vom 15.02.2017, C-592/15, British Film Institute, HFR 2017, 366, Rn. 13). Eine unmittelbare Anwendung der Steuerbefreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL scheidet jedoch bereits deshalb aus, weil die Richtlinienvorschrift gemessen an der o.g. Rechtsprechung weder unbedingt noch hinreichend genau ist (vgl. Generalanwältin Kokott vom 25.04.2024 in den Schlussanträgen zur Rechtssache C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, Celex-Nr. 62023CC0073, Rn. 24 ff.). Gegen dessen unmittelbare Anwendung spricht bereits die Formulierung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, wonach den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiung oder Besteuerung der betreffenden Umsätze ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt wird, indem ihnen gestattet wird, die Bedingungen und Beschränkungen festzulegen, von denen die Gewährung der Befreiung abhängig gemacht werden kann (vgl. hierzu EUGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 26; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., HFR 2024, 1152, Rn. 25).
54bb. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG ist zudem unionsrechtskonform.
55(1) Bei der Anwendung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steht den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen zu. Speziell zu Glücksspielen mit Geldeinsatz hinsichtlich der Rechtslage seit 06.05.2006 hat der EuGH bereits entschieden, dass Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass – wie bereits ausgeführt – es den Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Befugnis gestattet ist, Bedingungen und Beschränkungen für die in dieser Bestimmung vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung festzulegen und nur bestimmte Glücksspiele mit Geldeinsatz von dieser Steuer zu befreien (EUGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 27; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., HFR 2024, 1152, Rn. 26; vom 10.06.2010, C-58/09, Leo-Libera, BFH/NV 2010, 1590, Rn. 39, vgl. auch EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-440/12, Metropol Spielstätten, HFR 2013, 1166). Der Senat schließt sich der ständigen Rechtsprechung an (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 10.06.2010, C 58/09, Leo Libera, BFH/NV 2010, 1590; vom 24.10.2013, C-440/12, Metropol Spielstätten, HFR 2013, 1166; BFH, Urteil vom 11.12.2019 XI R 13/18, BStBl II 2020, 296, Rn. 54 m.w.N.), wonach die Richtlinienregelung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSyStRL mit der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG in der Fassung seit dem 06.05.2006 – und damit auch hinsichtlich der hier streitigen Voranmeldungszeiträume Februar, März und April 2024 – unionsrechtskonform umgesetzt ist.
56(2) Die Besteuerung der Umsätze von gewerblichen Spielhallenbetreibern aus dem Betrieb terrestrischer (Offline-)Geldspielautomaten verstößt im Verhältnis zu der Besteuerung der Umsätze gewerblicher Anbieter von virtuellen (Online‑)Automatenspielen nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität.
57(a) Mit § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG hat der nationale Gesetzgeber von der von Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL den Mitgliedstaaten eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, die Bedingungen und Grenzen der Befreiung festzulegen und damit Umsätze der Mehrwertsteuer zu unterwerfen oder nicht. Hierbei ist der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrundeliegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten (vgl. EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 28; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 27).
58Der Grundsatz der Neutralität stellt ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar und ist Ausdruck des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Mehrwertsteuer. Er lässt es nach ständiger Rechtsprechung insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759; vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98; vom 27.02.2014, C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, BStBl II 2015, 437, Rn. 52; vom 27.06.2019, C-597/17, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., BFH/NV 2019, 1054, Rn. 47, vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 37). Die Gleichartigkeit indiziert das Wettbewerbsverhältnis (EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98).
59Bei der Beantwortung der Frage, ob zwei Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen, wobei auf unbedeutenden Unterschieden beruhende künstliche Unterscheidungen vermieden werden müssen (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 30; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759; Rn. 29; jeweils unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
60Zwei Dienstleistungen sind daher nach ständiger Rechtsprechung gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 31; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 30; vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 38; vom 27.02.2014, C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, BStBl II 2015, 437, Rn. 53 und 54; vom 27.06.2019, C-597/17, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., BFH/NV 2019, 1054, Rn. 48; vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98, Rn. 44). Mit anderen Worten ist zu prüfen, ob die fraglichen Leistungen aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers austauschbar sind. In diesem Fall könnte nämlich eine im Hinblick auf die Mehrwertsteuer unterschiedliche Behandlung die Wahl des Verbrauchers beeinflussen, was somit auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität hindeuten würde (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 32; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 31; vom 03.02.2022, Finanzamt A, C-515/20, UR 2022, 219, Rn. 45; vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455).
61Bei der Prüfung, ob die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen, sind nicht nur die Unterschiede zu berücksichtigen, die die Eigenschaften der fraglichen Leistungen sowie deren Verwendung betreffen und die daher naturgemäß mit diesen Leistungen verbunden sind, sondern auch die Unterschiede des Kontexts, in dem die Leistungen erbracht werden, soweit diese kontextuellen Unterschiede in den Augen des Durchschnittsverbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im Hinblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen können und daher geeignet sind, seine Wahl zu beeinflussen (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 33; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 32; in diesem Sinne auch EuGH, Urteile vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 41 f.; vom 27.02.2014, C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, BStBl II 2015, 437, Rn. 55). Als Kontext der jeweils zu vergleichenden Leistungen können nach der Rechtsprechung des EuGH Unterschiede im rechtlichen Rahmen und in der rechtlichen Regelung erheblich sein, denen die betreffenden Leistungen unterliegen. Hierdurch lässt sich jedoch nicht ableiten, dass andere als den rechtlichen Kontext betreffende Unterschiede unerheblich sind. Vielmehr ist die Berücksichtigung anderer kontextueller Unterschiede geboten, soweit sie in den Augen des Durchschnittsverbrauchers zu einer Unterscheidbarkeit im Hinblick auf die Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse führen können (EuGH, Urteil vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 42; vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Urteil vom 27.02.2014, C-454/12 und C-455/12, Pro Med Logistik und Pongratz, BStBl II 2015, 437, Rn. 56) und daher geeignet sind, seine Wahl zu beeinflussen.
62In Bezug auf Glücksspiele hat der EuGH klargestellt, dass Unterschiede bei den Mindest- und Höchsteinsätzen und -gewinnen, den Gewinnchancen, den verfügbaren Formaten und der Möglichkeit von Interaktionen zwischen dem Spieler und dem Spiel erheblichen Einfluss auf die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers haben können, da die Anziehungskraft von Glücksspielen mit Geldeinsatz in erster Linie auf der Möglichkeit eines Gewinns beruht (EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 35; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 34; vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98, Rn. 57). Indes kommt es für die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Spielkategorien auf die Identität der Anbieter, auf die Rechtsform, in der diese ihren Tätigkeiten nachgehen, auf die Lizenzkategorien, zu denen die betreffenden Spiele gehören, und auf die hinsichtlich Aufsicht und Regulierung anwendbare rechtliche Regelung grundsätzlich nicht an (EuGH, Urteil vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 36; vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-259/10 und C-260/10, The Rank Group, HFR 2012, 98, Rn. 46 und 51).
63Es ist es allein Sache des nationalen Gerichts, die Gleichartigkeit von Dienstleistungen zu beurteilen; der EuGH bzw. nunmehr ggf. der EuG hat bei seiner Anrufung lediglich insoweit zweckdienliche Hinweise zu geben, damit das vorlegende Gericht über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden kann (vgl. EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 38; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 36; vom 20.06.2024, C-135/23, GEMA, EU:C:2024:526, Rn. 32; vom 10.11.2011, C-259/10 u.a., The Rank Group, HFR 2012, 98, Rn. 56; vom 09.11.2017, C-499/16, AZ, HFR 2018, 87, Rn. 31; vom 09.09.2021, C-406/20, Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 43).
64(b) § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG verstößt nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, sofern seit dem 01.07.2021 zwar die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze aus gemäß § 22a GlüStV erlaubten virtuellen Automatenspielen steuerfrei gestellt sind, weiterhin jedoch nicht auch die Umsätze aus terrestrischen Glückspielautomaten. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gebietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht, dass die Umsätze der Antragstellerin wie die der Anbieter virtueller Automatenspiele steuerfrei gestellt werden. Denn es fehlt an einer Gleichartigkeit der virtuellen und terrestrischen Geldspielautomatenspiele, so dass die Angebote am Markt in mehrwertsteuerlicher Hinsicht nicht miteinander im Wettbewerb stehen. Die Dienstleistungen in Form des Erbringens terrestrischer und virtueller Automatenspiele weisen zwar – wie die Antragstellerin vorträgt – ähnliche Eigenschaften auf und werden vom Verbraucher für dieselben Bedürfnisse verwendet. Doch beeinflussen die bestehenden Unterschiede insbesondere des Kontexts die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers bei der Wahl zwischen der Nutzung terrestrischer und virtueller Automatenspiele erheblich, so dass eine Gleichartigkeit des terrestrischen und virtuellen Automatenspiels im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu verneinen ist. Aus der Sicht eines Durchschnittsspielers ist die vom jeweiligen Unternehmer erbrachte Dienstleistung beim terrestrischen Automatenspiel gerade nicht gegen diejenige beim virtuellen Automatenspiel austauschbar. Der Senat nimmt diesbezüglich Bezug auf seine Ausführungen in den Senatsbeschlüssen vom 17.07.2023 5 V 2678/22 U und 5 V 1047/23 U, juris, sowie vom 12.12.2023 5 V 1879/23 U, EFG 2024, 417 mit Anmerkung Kulmsee, 5 V 2325/23 U, StB 2024, 25 und 5 V 2421/23 U, n.v.
65Der Senat sieht keinen Anlass, von seiner Rechtsprechung abzuweichen. Insbesondere hat der EuGH mit seinen neuerlichen Urteilen vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, und C-741/22, Casino de Spa u.a., diesbezüglich keine neuen Rechtsgrundsätze aufgestellt.
66Der Senat verkennt hierbei nicht, dass der Verbraucher in beiden Fällen dieselbe Kategorie von Glücksspielen in Anspruch nimmt und es sich bei den virtuellen Automatenspielen um Nachbildungen terrestrischer Automatenspiele handelt, diese mithin sehr ähnlich bzw. im reinen Programmablauf gleich gestaltet sind. Der Senat geht auch weiterhin davon aus, dass hinsichtlich der befriedigten Bedürfnisse des Verbrauchers u.a. nach individuellem Glück, Spannung, Unterhaltung und Zeitvertreib von einem hohen Grad an Übereinstimmung ausgegangen werden kann. Dies zeigt sich auch in den im Kurzgutachten der X vom 02.03.2022 dargelegten Überschneidungen bei den jeweiligen Spielerkreisen, wonach ca. 2/3 der Spieler der virtuellen Automatenspiele auch das terrestrische Angebot nutzt und umgekehrt. Ebenso fordert der Senat für eine Gleichartigkeit der Glücksspiele im Sinne der Rechtsprechung des EuGH hier nicht das Vorliegen nahezu identischer Dienstleistungen.
67Dennoch beeinflussen nach Auffassung des Senats die zwischen den terrestrischen (Offline-)Automatenspielen und den virtuellen (Online-)Automatenspielen – unabhängig von ihrer mehrwertsteuerlichen Behandlung – bestehenden und bereits in den o.a. Senatsbeschlüssen vom 17.07.2023 5 V 2678/22 U und 5 V 1047/23 U sowie vom 12.12.2023 5 V 1879/23 U, 5 V 2325/23 U und 5 V 2421/23 U dargestellten Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, erheblich. Der Senat sieht die fraglichen Leistungen aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers auch weiterhin nicht als austauschbar im Sinne der Rechtsprechung des EuGH an. Er hält insoweit an seinen Ausführungen in den o.g. Senatsbeschlüssen vom 17.07.2023 und 12.12.2023 fest, auf die wegen der Einzelheiten vorliegend Bezug genommen wird.
68Der Senat kann auch weiterhin nicht erkennen, dass der Durchschnittsverbraucher durch die unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung der beiden Glücksspielangebote dahin beeinflusst wird, das (steuerlich) günstigere virtuelle Angebot zu wählen. Insbesondere macht gerade das Ergebnis des vorgelegten Kurzgutachtens der X vom 02.03.2022 – mit dem sich der Senat auch bereits im Rahmen der Entscheidung vom 17.07.2023 5 V 2678/22 U befasst hat –, wonach rund 2/3 der Spieler sowohl das terrestrische als auch virtuelle Angebot nutzen, deutlich, dass die Wahl des Durchschnittsverbrauchers nicht durch die mehrwertsteuerliche Behandlung beeinflusst ist. Das Kurzgutachten zeigt im Ergebnis vielmehr auf, dass zwischen den beiden Angeboten für den jeweiligen Spieler tatsächlich erhebliche Unterschiede bestehen, sodass er beide Spielformen bedient. Auch die Einrichtung eines spielformübergreifenden Sperrsystems zeigt dem Senat, dass die 16 Bundesländer ebenfalls davon ausgegangen sind, dass ein Teil der Spieler sowohl das terrestrische als auch virtuelle Angebot nutzen, ohne in ihrer Wahl durch die mehrwertsteuerliche Behandlung der Dienstleistung beeinflusst zu sein. Dass der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland vom 29.10.2020 nach dessen § 2 u.a. sowohl für Spielbanken und Spielhallen als auch für virtuelle Automatenspiele Anwendung findet, macht wiederholt deutlich, dass die Wahl des Durchschnittsverbrauchers nicht durch die mehrwertsteuerliche Behandlung, sondern durch andere Faktoren beeinflusst ist. Sonst hätte es eines spielformübergreifenden Staatsvertrags nicht bedurft.
69Auch die Generalanwältin Kokott hatte in ihren Schlussanträgen vom 25.04.2024 in der Rechtssache C-73/23 ausgeführt, dass bei Beurteilung der Gleichartigkeit von Online- und Offline-Glücksspiel gleichfalls die äußeren faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers einzubeziehen sind. Das Online-Glücksspiel unterscheide sich vom „analogen“ Glücksspiel sowohl durch den Ort (jederzeit und überall versus bestimmte Lokalitäten); den Aufwand, ein solches zu beginnen (kein Aufwand, da jederzeit und überall per Smartphone möglich versus physische Bewegung zu einem bestimmten Ort nötig); die fehlende „soziale Kontrolle“ eines im privaten Bereich jederzeit möglichen Glücksspiels; das Suchtpotenzial bzw. die Gefährlichkeit eines jederzeit verfügbaren und leicht zugänglichen Glücksspiels und auch die Art und Weise des Spiels (Klick auf dem Computer versus physische Aktion am Automaten …). Der Besuch eines „analogen“ Kasinos könne eher als ein „Erlebnis“, der „Besuch“ einer Website („Online-Kasino“) eher als „Spielen im Internet“ bezeichnet werden (vgl. Generalanwältin Kokott vom 25.04.2024 in den Schlussanträgen zur Rechtssache C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, Celex-Nr. 62023CC0073, Rn. 42 f.).
70Eine Gleichartigkeit im Sinne des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität nimmt der Senat auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidungen deutscher Zivilgerichte im Bereich des Wettbewerbsrecht an. Mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität hat der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Gleichbehandlung im Mehrwertsteuerbereich zum Ausdruck gebracht (EuGH, Urteile vom 16.11.2017, C-308/16, UR 2018, 318, Rn. 43; vom 10.04.2008, Marks & Spencer, C-309/06, UR 2008, 592, Rn. 49). Es handelt sich damit um einen unionsrechtlich herausgebildeten Grundsatz, der – ausschließlich – im Rahmen der unionsrechtlich harmonisierten Mehrwertsteuer Anwendung findet. Ähnlich wie die Begriffe der MwStSystRL autonome unionsrechtliche Begriffe darstellen, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung der Mehrwertsteuerregelung verhindern sollen und daher bei ihrer Auslegung nicht etwaigen Definitionen nach nationalem Recht folgen (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 11.05.2023, C-620/21, Rn. 57), unterliegt auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gleichermaßen der unionsrechtlich vorgenommenen Auslegung. Die Ausgestaltung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität im Einzelnen (wie hier vom EuGH u.a. in seinen o.a. Urteilen vom 12.09.2024) obliegt deshalb dem EuGH und nicht den nationalen Gerichten. Damit scheidet es aus, als Maßstab zur Beurteilung der Gleichartigkeit im Mehrwertsteuerrecht die Rechtsprechung der nationalen Zivilgerichte im Bereich des Wettbewerbsrechts heranzuziehen. Aufgabe des Senats ist es, mit den vom EuGH in seinen Urteilen vom 12.09.2024, C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767, Rn. 29-37 bzw. C-741/22, Casino de Spa u.a., Rn. 28-35, angestellten Erwägungen die Gleichartigkeit der Dienstleistungen zu beurteilen. Es handelt sich hier eben nicht um deutsches Recht, dessen Auslegung den nationalen Gerichten vorbehalten ist. Damit ist die zivilrechtliche Behandlung der verschiedenen Glücksspielformen, selbst wenn der BGH in seinem Urteil vom 28.09.2011 I ZR 93/10 – wie die Antragstellerin meint – europäische Rechtsgedanken möglicherweise hat einfließen lassen, unmaßgeblich.
71Soweit die Antragstellerin weiter anmerkt, dass im Verhältnis zwischen Online-Handel und terrestrischem Handel ebenso Unterschiede bestünden, es dort aber als geradezu abwegig erscheine, dass diese Unterschiede eine unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung begründen könnten, kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung der hier von der Antragstellerin in Frage gestellten mehrwertsteuerlichen Behandlung terrestrischer Automatenspiele führen. In dem Zusammenhang erscheint im Übrigen näherliegend der von der Generalanwältin Kokott angeführte „Vergleich“, die darauf hinweist, dass schon der Unionsgesetzgeber das Medium (online versus „analog“) als ein beachtliches Differenzierungskriterium gesehen habe, weil dort teilweise auch danach differenziert werde, ob eine Dienstleistung auf elektronischem Wege erbracht werde (vgl. nur den Ort der Besteuerung [Sonderregelung in Art. 58 MwStSystRL] oder den Steuersatz [Art. 98 Abs. 3 MwStSystRL schließe bestimmte ermäßigte Steuersätze für elektronisch erbrachte Dienstleistungen aus])(vgl. Generalanwältin Kokott vom 25.04.2024 in den Schlussanträgen zur Rechtssache C-73/23, Chaudfontaine Loisirs, Celex-Nr. 62023CC0073, Rn. 44).
72cc. Es ergeben sich für den Senat auch keine ernstlichen Zweifel an den streitgegenständlichen Umsatzsteuerfestsetzungen im Hinblick darauf, dass die Europäische Kommission mit abschließendem Beschluss vom 20.06.2024 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die in Deutschland geltenden besonderen Steuerregelungen für Spielbankunternehmen nicht mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen.
73Zwar bestand in der Zeit ab Einleitung des Prüfverfahrens der Europäischen Kommission im Dezember 2019 einschließlich der hier streitgegenständlichen Zeiträume Februar, März und April 2024 für Deutschland ein Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV; im Hinblick hierauf kann die Antragstellerin jedoch keinen Anspruch auf Steuererstattung bzw. im vorliegenden Verfahren auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Steuern herleiten.
74Ein Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV ist in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar (ständige Rspr. des EuGH seit EuGH, Urteil vom 11.12.1973, C-120/73, Lorenz GmbH, Slg. 1973, 1471 Rn. 8). Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, die Rechte der Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des jeweiligen Durchführungsverbots gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV durch die staatlichen Stellen bis zu einer abschließenden Entscheidung der Kommission zu schützen. Hierbei geht es darum, die Interessen derjenigen zu schützen, die von der Wettbewerbsverzerrung, die durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen wurde, betroffen sind (EuGH, Urteile vom 12.02.2008, C-199/06, CELF I, EuZW 2008, 145, Rn. 38; vom 05.10.2006, C-368/04, Transalpine Ölleitung in Österreich, EuZW 2006, 725, Rn. 46). Die nationalen Gerichte sind demnach verpflichtet, entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der finanziellen Unterstützungen, die unter Verletzung dieser Bestimmung gewährt wurden, zu ziehen (vgl. EuGH, Urteile vom 12.02.2008, C-199/06, CELF I, EuZW 2008, 145, Rn. 41; vom 13.12.2018, C-492/17, Südwestrundfunk, NJW 2019, 577, Rn. 42). Ein nationales Gericht kann hiernach auch gehalten sein, Klagen auf Ersatz von Schäden stattzugeben, die den Wettbewerbern des Begünstigten durch eine rechtswidrige staatliche Beihilfe entstanden sind (EuGH, Urteile vom 23.01.2019, C-387/17, Fallimento Traghetti del Mediterraneo, juris, Rn. 56; vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 78 f.). Indessen kann aber eine etwaige Rechtswidrigkeit der Befreiung von einer Abgabe im Hinblick auf das Beihilfenrecht der Union nicht die Rechtmäßigkeit dieser Abgabe selbst berühren, so dass ihr Schuldner sich nicht darauf berufen kann, dass die Befreiung anderer Personen eine staatliche Beihilfe darstelle, um sich ihrer Zahlung zu entziehen (vgl. EuGH, Urteile vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 80; vom 03.03.2020, Vodafone Magyarország, C-75/18, UR 2020, 437, Rn. 24; vom 20.09.2001, C-390/98, Banks, juris, Rn. 80; vom 13.06.2002, C-430/99 und C-431/99, Sea-Land Service und Nedlloyd Lijnen, juris, Rn. 47, jeweils m.w.N.). Ein Steuerpflichtiger, der nicht in den Genuss einer Befreiung im Sinne einer staatlichen Beihilfe gekommen ist, kann auch nicht einen der entrichteten Mehrwertsteuer entsprechenden Betrag in Form von Schadensersatz zurückfordern (EuGH, Urteil vom 12.09.2024, C-741/22, Casino de Spa u.a., UR 2024, 759, Rn. 82, 85); dementsprechend scheidet auch ein – wie auch immer geartetes – Zurückbehaltungsrecht aus.
75Hiernach kann die Antragstellerin im Hinblick auf das hier angeführte Durchführungsverbot gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV weder die festgesetzte Umsatzsteuer noch einen der festgesetzten Umsatzsteuer entsprechenden Betrag in Form von Schadensersatz fordern oder zurückbehalten. Ein Anspruch auf die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung kann sich vor diesem Hintergrund gleichermaßen nicht ergeben.
76dd. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG ist darüber hinaus auch verfassungsgemäß.
77(1) Soweit die Antragstellerin vorträgt, einer erheblich höheren Gesamtsteuerbelastung zu unterliegen als die mit ihr im Wettbewerb stehenden Betreiber der öffentlichen Spielbanken, geht der Senat nach summarischer Prüfung nicht von einer Verletzung des sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatzes der steuerlichen Belastungsgleichheit aus.
78Tatsächlich hat die Europäische Kommission in ihrem abschließenden Beschluss vom 20.06.2024 ausgeführt, dass die Spielbankunternehmen in Deutschland einer besonderen Steuerregelung unterliegen, die eine Reihe sonst geltender allgemeiner Steuern (insbesondere die Körperschafts- oder Einkommensteuer und eine lokale Vergnügungssteuer) ersetzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Deutschland geltenden besonderen Steuerregelungen für Spielbankunternehmen nicht mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang stehen, weil sie den Spielbankunternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil verschafften, indem die sich hiernach ergebende Steuerlast potenziell geringer sei als die Steuerlast nach den normalen Steuervorschriften.
79Wie unter II.1.a.cc. ausgeführt, berührt diese Feststellung jedoch nicht die Rechtmäßigkeit dieser Abgabe – der Umsatzsteuer – selbst. Ein Steuerpflichtiger, der nicht in den Genuss einer Befreiung im Sinne einer staatlichen Beihilfe gekommen ist, kann hieraus keinen Schadensersatzanspruch in Höhe eines der entrichteten Mehrwertsteuer entsprechenden Betrags fordern oder zurückbehalten. Hiernach kann die Antragstellerin, soweit den öffentlichen Spielbanken mit dem Binnenmarkt nicht vereinbare Beihilfen gewährt wurden, weder einen der entrichteten Mehrwertsteuer entsprechenden Betrag in Form von Schadensersatz zurückfordern noch hat sie einen Anspruch auf eine Herabsetzung der ihr gegenüber festgesetzten Umsatzsteuer auf einen niedrigeren Betrag oder auf null. Ein Anspruch auf die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung kann sich vor diesem Hintergrund nicht ergeben.
80(2) Der Senat geht – bei der gebotenen summarischen Prüfung – auch davon aus, dass kein das Grundrecht auf Gleichbehandlung, Art. 3 Abs. 1 GG, verletzendes strukturelles Vollzugsdefizit vorliegt. Ein solches kann nicht damit begründet werden, dass eine unionsrechtskonforme Besteuerung der gleichartigen Glücksspielumsätze der mit ihr, der Antragstellerin, im Wettbewerb stehenden zugelassenen öffentlichen Spielbanken nicht in Betracht komme und deren Umsätze stattdessen nicht richtlinienkonform lediglich mit den Kasseneinnahmen (dem Spielertrag) besteuert würden, obwohl deren Umsätze keinen Beschränkungen durch zwingende gesetzliche Vorschriften unterlägen.
81(a) Der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, dass Steuerpflichtige durch ein Steuergesetz dem Grundsatz nach rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden (siehe etwa BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50, Rn. 123; Beschluss vom 24.03.2015 1 BvR 2880/11, BVerfGE 139, 1, BStBl II 2015, 622, Rn. 40, jeweils m.w.N.). Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen (BVerfG, Urteil vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, Rn. 63). Eine durch Vollzugsmängel hervorgerufene Belastungsungleichheit führt zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung, wenn sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig auswirkt, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann, und dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (vgl. BFH, Urteil vom 16.09.2021 IV R 34/18, BStBl II 2022, 101; Beschlüsse vom 16.06.2011 XI B 120/10, BFH/NV 2011, 1740; vom 01.07.2010 V B 62/09, BFH/NV 2010, 2136, m.w.N.; BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch der Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts (BFH, Beschluss vom 04.01.2023 XI B 51/22, HFR 2023, 373, Rn. 15). Daraus folgt eine nicht durch gesamtwirtschaftliche Erwägungen relativierbare Pflicht des Gesetzgebers, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet – im Veranlagungsverfahren mit der Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip (BFH, Urteil vom 16.09.2021 IV R 34/18, BStBl II 2022, 101 m.w.N.).
82Für die Prüfung, ob normative Defizite einen gleichmäßigen Belastungserfolg verhindern, ist maßgeblich auf den Regelfall des Besteuerungsverfahrens abzustellen. Unabhängig von der Möglichkeit der Quantifizierung nicht erfasster steuerbarer Einkünfte hängt die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits im verfassungsrechtlichen Sinn ganz wesentlich davon ab, wie weit beim Vollzug einer bestimmten materiellen Steuernorm die Erhebungsform oder die Besteuerungspraxis im Rahmen gewöhnlicher Verwaltungsabläufe im Massenverfahren der Finanzämter im Großen und Ganzen auf Gleichheit im Belastungserfolg angelegt ist und wie weit insbesondere auch unzulängliche Erklärungen der Steuerpflichtigen mit einem angemessenen Entdeckungsrisiko verbunden sind. Lässt sich der Regelfall aufgrund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen des Besteuerungsverfahrens und aufgrund von empirischen Erkenntnissen über die Veranlagungspraxis ausreichend zuverlässig so beschreiben, dass bestimmte Einkünfte materiell-rechtlich zutreffend nur bei einer qualifizierten Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen erfasst werden und ein Fehlverhalten bei der Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko möglich bleibt, dann liefert bereits dies hinreichende Grundlagen für die Feststellung einer im Gesetz strukturell angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung (BFH, Urteil vom 16.09.2021 IV R 34/18, BStBl II 2022, 101, Rn. 24). Wenn die Finanzverwaltung wegen einer bestimmten materiellen Norm generell verschärft prüfen muss, um überhaupt einen annähernd gleichmäßigen Belastungserfolg erreichen zu können, kann dies Indiz für das Bestehen defizitärer Erhebungsstrukturen sein. Die Form der Steuererhebung und – in Ergänzung des Deklarationsprinzips – das behördliche Kontrollinstrumentarium haben somit der materiellen Steuernorm regelmäßig so zu entsprechen, dass deren gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern (BFH, Urteil vom 16.09.2021 IV R 34/18, BStBl II 2022, 101, Rn. 25).
83Jenseits eines solchen normativen Erhebungsdefizits ist ein verfassungsrechtlich bedeutsames strukturelles Vollzugsdefizit nur denkbar, wenn die Besteuerung aus politischen Gründen nicht vollzogen wird oder in einer Anlaufphase erkennbare Umsetzungsprobleme nicht beseitigt werden (BFH, Beschlüsse vom 16.06.2011 XI B 120/10, BFH/NV 2011, 1740; vom 19.12.2007 IX B 219/07, BStBl II 2008, 382; Urteil vom 29.11.2005 IX R 49/04, BStBl II 2006, 178).
84(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht im Streitfall kein strukturelles Vollzugsdefizit. Die Antragstellerin dringt mit ihrem Begehren, das im Kern darauf zielt, ob die Umsatzsteuer auf die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten erhoben werden darf, wenn die Spielbankenumsätze lediglich mit den Kasseneinnahmen (Spielertrag) und nicht mit dem gesamten Spieleinsatz als Bemessungsgrundlage besteuert werden, nicht durch.
85Ein in der Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG angelegtes, zur Belastungsungleichheit führendes strukturelles Vollzugsdefizit ist nicht ersichtlich. Die Umsätze sowohl der gewerblichen Spielhallen auch die der öffentlichen Spielbanken sind seit dem 06.05.2006 nicht nach § 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG umsatzsteuerfrei. Die Umsätze beider Unternehmer sind steuerbar und bei beiden werden als Bemessungsgrundlage nur die Kasseneinnahmen am Ende eines Leistungszeitraums zugrunde gelegt (BFH, Beschlüsse vom 04.01.2023 XI B 51/22, BFH/NV 2023,279; vom 20.04.2021 XI B 39/20, BFH/NV 2021,1209). Insofern erfolgt durch die Umsatzsteuer eine gleichmäßige Belastung der Umsätze gewerblicher Spielhallen und der Umsätze öffentlicher Spielbanken. Damit ist nicht erkennbar, dass ein das Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG verletzendes Umsetzungsdefizit bereits in der Regelung selbst angelegt ist.
86Soweit die Antragstellerin meint, dass die Umsätze der öffentlichen Spielbanken nicht unionsrechtskonform besteuert würden und die Finanzverwaltung seit Beginn der Steuerpflicht für die Umsätze der öffentlichen Spielbanken am 06.05.2006 auch keine Bestrebungen unternommen habe, als zutreffende Bemessungsgrundlage in Höhe der von den öffentlichen Spielbanken erzielten Spieleinsätze zu ermitteln, macht sie hiermit keine durch Vollzugsmängel hervorgerufene Belastungsungleichheit geltend. Es kann sich insofern bereits nicht um eine im Erhebungsverfahren angelegte Ungleichheit im Belastungserfolg handeln. Die Bemessung der Umsätze ist Bestandteil des Besteuerungstatbestands, nicht hingegen einer etwaigen Erhebungsregelung.
87Auch das Vorliegen strukturell gegenläufiger verfahrensrechtlicher Normen ist nicht ersichtlich. Anders als in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen zur Zinsbesteuerung (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) und zu den Spekulationsgeschäften (vgl. dazu BVerfG-Urteil vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) besteht im Streitfall kein Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und einer nicht auf Durchsetzung angelegten Erhebungsregel. Soweit die Antragstellerin anführt, dass die von den öffentlichen Spielbanken erklärten Umsätze mangels ausreichender, wirksamer Kontrollmöglichkeiten der Höhe nach nicht hinreichend auf ihre unionsrechtskonforme Bemessungsgrundlage hin überprüft, überwacht und sanktioniert werden könnten, mithin deren Umsätze der Höhe nach nicht unionsrechtskonform erklärt und endgültig nicht versteuert würden, erscheint dem Senat dieser Vortrag als eine bloße pauschale Behauptung, als unsubstantiiert gerade auch vor dem Hintergrund, dass entsprechende Kontrollmöglichkeiten bereits durch die in den Spielbanken durch Spielbankrevisoren ausgeübte Finanzaufsicht grundsätzlich bestehen dürften. Im Übrigen bezieht sich die Antragstellerin hier auch diesbezüglich auf die Bemessung der Umsätze der öffentlichen Spielbanken, die die Festsetzung der Steuer und nicht die Erhebung der Steuer betrifft.
88Schließlich kann die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen, dass sich die Umsätze öffentlicher Spielbanken nicht unionsrechtskonform besteuern ließen, insbesondere nicht erreichen, dass ihre eigenen Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten von der Umsatzsteuer zu befreien wären. Ob eine unionsrechtskonforme Besteuerung der öffentlichen Spielbanken für diese erdrosselnd wirken würde, hat keine Auswirkung für die Steuerfestsetzung der Antragstellerin und ist daher vom erkennenden Senat auch nicht zu entscheiden. Die Antragstellerin könnte hieraus für sich keine andere Besteuerung fordern. Der Grundsatz der Neutralität ermöglicht es nicht, über die steuerlichen Verhältnisse bei nicht beteiligten Personen zu entscheiden (BFH, Beschluss vom 30.09.2015 V B 105/14, BFH/NV 2016, 84, Rn. 9). Für die Geltendmachung einer unzutreffenden Besteuerung der mit ihr im Wettbewerb stehenden öffentlichen Spielbanken wäre die Antragstellerin vielmehr auf die Möglichkeit der Erhebung einer Konkurrentenklage zu verweisen (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 28.06.2017 XI R 23/14, BFH/NV 2017, 1561, Rn. 51 m.w.N.; FG Münster, Beschlüsse vom 17.07.2023 5 V 2678/22 U, Rn. 103, juris, 5 V 1047/23 U, Rn. 95, juris; FG Hamburg, Urteil vom 15.02.2022 5 K 73/20, EFG 2022, 1566, Rn. 78). Auch wäre die Steuerbefreiung der öffentlichen Spielbanken bereits nicht zwingend, um eine etwaige Erdrosselungswirkung auszuschließen.
89dd. Zum Erfolg verhelfen kann der Antragstellerin auch nicht der Einwand, dass die Besteuerung ihrer Umsätze nicht entsprechend Art. 63 MwStSystRL erfolge, wonach im Grundsatz Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Dienstleistung erbracht wird.
90Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Die Vorschrift beruht unionsrechtlich im Grundsatz auf Art. 63 MwStSystRL, wonach Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird (BFH, Urteil vom 24.10.2013 V R 31/12, BStBl II 2015, 674, Rn. 12). Hiernach entsteht die Steuer für die innerhalb eines jeden Voranmeldungszeitraums von der Antragstellerin durch den Betrieb von Geldspielautomaten erbrachten Dienstleistungen mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums und nicht bereits in dem Zeitpunkt, in dem das Spiel des einzelnen Spielers am Geldspielautomaten stattfindet. Damit braucht auch erst in diesem Zeitpunkt – mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums – die Bemessungsgrundlage festzustehen (vgl. hierzu auch BFH, Beschluss vom 04.01.2023, XI B 51/22, HFR 2023, 373, Rn. 11). Dass in der nationalen Praxis als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer die Höhe der Kasseneinnahmen der Geräte nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums (nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums) zugrunde gelegt wird, ist nicht zu beanstanden (EuGH, Urteil vom 24.10.2013, C-440/12, Metropol Spielstätten, HFR 2013, 1166; Urteil vom 10.06.2010, C-58/09, Leo Libera, BFH/NV 2010, 1590, BFH, Beschluss vom 04.01.2023, XI B 51/22, HFR 2023, 373, Rn. 28).
91b. Im Streitfall kommt auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte (§ 69 Abs.2 Satz 2 2.Halbsatz FGO) nicht in Betracht.
92Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Pflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 19.11.1985, VIII R 18/85, BFH/NV 1987, 277; BFH, Beschlüsse vom 01.08.1986, V B 79/84, BFH/NV 1988, 335; vom 21.02.1990, II B 98/89, BStBl II 1990, 510). Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte ist aber jedenfalls nur möglich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids nicht ausgeschlossen werden können (vgl. BFH, Beschlüsse vom 26.09.2022, XI B 9/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1417, Rn. 41; vom 19.02.2018, II B 75/16, BFH/NV 2018, 706, Rn. 53; vom 15.02.2022, I B 55, 56/21 (AdV), BFH/NV 2022, 801). Dies ist vorliegend aus den unter II.1. genannten Gründen zu verneinen.
932. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
943. Die Beschwerde war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne des §§ 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 115 Abs. 2 FGO vorliegen.