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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen der Umsatzsteuer 2012 bis 2014 um die Frage, ob die von der Klägerin erbrachten Beförderungsleistungen auf den selbst betriebenen Linien in ihrem Einzugsgebiet (sog. Los xx) gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f, Nr. 16 Satz 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) steuerfrei sind und damit mittelbar um die Frage, ob die Klägerin aus mit diesen Umsätzen im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen Vorsteuer gemäß § 15 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 UStG geltend machen kann.
3Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH und wegen der satzungsmäßigen Verfolgung mildtätiger sowie gemeinnütziger Zwecke i.S.d. §§ 53, 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9, 10 Abgabenordnung (AO) (Förderung des Wohlfahrtswesens und der Behindertenhilfe) gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit. Der Gesellschaftszweck ist gemäß der Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts T (HRB xxx) u.a. […]. Die Gesellschaft kann ihre Aufgaben auch durch Hilfspersonen i.S.d. § 57 Abs. 1 Satz 2 AO erbringen, soweit sie die Aufgaben nicht selbst wahrnimmt. Darüber hinaus bietet die Gesellschaft medizinische, therapeutische und berufliche Rehabilitationsmaßnahmen an. Die Gesellschaft kann zudem weitere Aufgaben zur Förderung, Integration und Betreuung von Menschen mit Behinderungen wahrnehmen.
4Ihre Gesellschafter sind der E e.V. und der K. Die Klägerin betreibt an mehreren Standorten sozialrechtlich anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen (im Folgenden: WfbM) sowie ergänzende Angebote für Menschen mit Behinderung. Sie ist seit 19xx von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sozialrechtlich als WfbM anerkannt. Sie verfügt über insgesamt xx Betriebsstätten für Menschen mit geistiger und schwerst-/mehrfacher Behinderung, xx Betriebsstätten für Menschen mit psychischer Behinderung, xx Standort als Berufsbildungsbereich der Werkstatt, xx stationäre Wohnbereiche, ambulante Betreuungsdienste für rund xxx Menschen mit Behinderungen und bewirtschaftet Mietwohnungen für Menschen mit Behinderungen. Wird ein Mensch mit Behinderung (im Folgenden: Beschäftigter) in die Werkstatt aufgenommen, wird ein sog. Werkstattvertrag als arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis geschlossen. Gemäß § 2 des Vertrages verpflichtet sich die Werkstatt, den Beschäftigten entsprechend dem gesetzlichen Auftrag nach dem im Streitzeitraum geltenden § 136 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) durch arbeitsbegleitende Maßnahmen, Hilfen zur Bewältigung der Alltagsanforderungen, Weiterentwicklung der Persönlichkeit und geeignete Maßnahmen zur Förderung des Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern und zu beschäftigen. § 3 des Vertrages verpflichtet den jeweiligen Beschäftigten, sich zu bemühen, an den angebotenen Fördermaßnahmen mitzuwirken und die Aufgaben und Tätigkeiten gewissenhaft und sorgsam zu erfüllen.
5Die bei der Klägerin Beschäftigten werden in Abhängigkeit von ihrer individuellen Wohnsituation zum Teil werktäglich zu den bzw. bei betreutem Wohnen zwischen den Einrichtungen der Klägerin befördert, um in der Werkstatt ihrer Tätigkeit nachgehen zu können. Am Ende des Arbeitstages erfolgt eine Beförderung zurück zu den jeweiligen Wohnungen bzw. Wohneinrichtungen.
6Zum Teil reisen die Beschäftigten selbstständig zur jeweiligen Tätigkeitsstätte an („Selbstfahrer“). Sofern hierbei Kosten entstehen, erteilt der Landschaftsverband … (im Folgenden: L) als zuständiger Rehabilitationsträger den Beschäftigten eine sog. Kostenzusage. Hierüber wird die Klägerin schriftlich informiert. Die Beschäftigten erhalten die ihnen insoweit jeweils zustehenden individuellen Kostenerstattungen von der Klägerin, die ihrerseits eine Erstattung der Gesamtbeträge in einem einheitlichen Vorgang beim L einfordert.
7Daneben organisiert die Klägerin für einen Großteil der Beschäftigten eine Sammelbeförderung. Unmittelbar tätig wird hierbei im Wesentlichen die Verkehrsbetrieb M GmbH als externer Beförderungsdienstleister. Hierfür entwickelt die Klägerin Fahrpläne, die als „Lose“ bezeichnet werden. Es existieren insgesamt … Lose. Die Lose yy bis zz umfassen von der Klägerin erstellte Fahrpläne, die jeweils einen flächenmäßigen Teil ihres Einzugsgebietes abdecken. Auf diesen Strecken werden die Beschäftigten auf festen Routen an Haltestellen von Klein- und Großbussen abgeholt und zu den Betriebsstätten der jeweiligen WfbM und zurück befördert. Die Ausschreibung dieser Beförderungsaufträge erfolgt durch die Klägerin in Abstimmung mit dem L. Die Beauftragung erfolgt nach Zuschlag in der Weise, dass eine vertragliche Beziehung zwischen dem Beförderungsdienstleister und der Klägerin entsteht. Die Sozialhilfeträger erstatten der Klägerin die insofern entstandenen, vertraglich geschuldeten Entgelte inkl. Umsatzsteuer im Umfang der den jeweiligen beförderten Beschäftigten individuell erteilten Kostenzusagen. Das Los xx umfasst räumlich das gesamte Einzugsgebiet der Klägerin, die dort selbst mit eigenen gekauften oder geleasten Fahrzeugen die Beförderung der Beschäftigten zwischen Wohnort und WfbM (Hin- und Rückfahrt) übernimmt. Die Klägerin plant zu diesem Zweck die Fahrten und führt sie mit eigenen Angestellten aus, die im Übrigen in unterschiedlichen Bereichen der Einrichtungen der Klägerin arbeiten. Die Beförderung der Beschäftigten im Los xx durch eigene Beschäftigte und mit eigenen Fahrzeugen der Klägerin liegt darin begründet, dass eine Beförderung mit Sammelbussen etwa wegen der Belegenheit der Wohnsitze der Beschäftigten nicht wirtschaftlich ist.
8In den Streitjahren wurden durchschnittlich 60 % der Beschäftigten auf den durch externe Dienstleister ausgeführten Linien (Lose yy bis zz) befördert. Bei weiteren durchschnittlich 10 % der Beschäftigten handelte es sich um erstattungsberechtigte Selbstfahrer (einschließlich solcher Beschäftigter, die mit dem ÖPNV anreisen). Für weitere 20 % der Beschäftigten liegen der Klägerin keine Daten darüber vor, wie die Wege zwischen Wohnung und WfbM zurückgelegt werden. Die insgesamt 30 % der Beschäftigten der letztgenannten beiden Gruppen suchten die Werkstatt in Eigenorganisation auf. Die verbleibenden 10 % der Beschäftigten sind in den Streitjahren dem Los xx zuzuordnen.
9Für die Fahrten im Los xx erfolgt im sog. sozialversicherungsrechtlichen Dreieck, bestehend aus dem Hilfeberechtigten (dem Beschäftigten), dem Leistungserbringer (der Klägerin) und dem zuständigen öffentlich-rechtlichen Leistungsträger (dem L), eine individuelle Kostenzusage des Leistungsträgers gegenüber den Beschäftigten, die der Klägerin für jeden Einzelfall mitgeteilt wird. Die Klägerin wird sodann in einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung von dem L als Leistungsträger mit der Durchführung der konkreten Beförderungsleistungen beauftragt. In den Streitjahren liegt dem der „Vertrag über die Durchführung von Beförderungsleistungen“ (Bl. 56 ff. der Gerichtsakte) zugrunde.
10In diesem undatierten Vertrag mit einer Vertragslaufzeit vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2015 (siehe dazu § 6 des Vertrages) heißt es auszugsweise:
11§ 1 Vertragsgegenstand
12Der L akzeptiert die Beförderung sämtlicher in [Los xx] wohnender behinderter Menschen zur Werkstatt durch die X gemeinnützige GmbH.
13§ 2 Allgemeine Leistungspflichten
14Die Werkstatt erbringt die Leistung in eigener Verantwortung. Sie verpflichtet sich, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung notwendigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen sowie die einschlägigen technischen und gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.
15§ 3 Fahrdienstorganisation
16Die Fahrdienstorganisation obliegt der Werkstatt in eigener Verantwortung.
17Die Fahrpläne sind gemäß dem Muster L in der Anlage 1 dieses Vertrages zu gestalten.
18§ 4 Vergütung und Rechnungsstellung
19Pro Fahrtag wird abgerechnet
20- je Fahrgast mit Sitzplatz ein Betrag von xxx Euro
21- je Fahrgast mit Rollstuhl ein Betrag von xxx Euro
22- je Begleitperson ein Betrag von xxx Euro.
23Für Einzelbeförderungen wird ein Zuschlag von 1000,00% und für gesonderte Hin- oder Rückfahrt ein Zuschlag von 100,00% vereinbart.
24Der Betrag umfasst jeweils die vollständige Erfüllung der Leistung.
25Die vereinbarten Preise verstehen sich zzgl. der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geltenden Abgaben und Steuer. Die Umsatzsteuer – ermäßigter bzw. allgemeiner Steuersatz – ergibt sich aus den gesetzlichen Regelungen des UStG und der tatsächlich erbrachten Leistung. Das Risiko des zutreffenden Umsatzsteuerausweises trägt der leistende Auftragnehmer.
26Fallen Fahrtage wegen höherer Gewalt (Glatteis, Unwetter etc.) aus, werden 50 % des Entgeltes abgerechnet. Während der Schließungstage/Betriebsferien der Werkstatt oder einzelner Teilbereiche der Werkstatt entfällt die Beförderung und wird damit nicht vergütet. Fallen Fahrttage auf gesetzliche Feiertage, entfällt die Vergütung.
27Die Rechnung wird im Folgemonat erstellt. Im Rahmen der Vorauszahlung und der Spitzabrechnung erfolgt die Bezahlung.
28[…]
29§7 Kündigung
30Eine Kündigung ist mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende möglich. Das „Los xx“ muss dann im Ausschreibungsverfahren vergeben werden.
31[…]
32Die Abrechnung der Leistungserbringung aus diesem Vertragsverhältnis erfolgt quartalsweise. Eine formale Rechnungsstellung erfolgt durch die Klägerin gegenüber dem zuständigen Kostenträger, hier dem L, grundsätzlich monatlich über die erbrachten Beförderungen eines jeden Beschäftigten. Aus Gründen der Praktikabilität erhält der Kostenträger zusätzlich eine quartalsweise „Aufstellung zur Fahrtkostenabrechnung“ bzw. eine „Abrechnung der Werkstatt-Fahrtkosten“ auf amtlichem Vordruck des Kostenträgers.
33Ihre Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre gab die Klägerin am 24.6.2013 (2012), 24.6.2014 (2013) und am 18.6.2015 (2014) ab. Die Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 führte zu einer Erstattung von xxx Euro; der Beklagte stimmte ihr zu (Mitteilung vom 5.7.2013), sodass die Umsatzsteuererklärung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand (§ 168 Satz 2 AO). Die Umsatzsteuererklärungen für 2013 und 2014 führten jeweils zu keinem Erstattungsbetrag zu Gunsten der Klägerin, sodass sie gemäß § 168 Satz 1 AO mit Eingang bei dem Beklagten einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden.
34Mit Prüfungsanordnung vom 23.5.2016 ordnete das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung (GKBP) N die Durchführung einer Betriebsprüfung bei der Klägerin, u.a. für die Umsatzsteuer 2012 bis 2014, an.
35In einem ersten Prüfungsbericht vom 13.1.2020 stellten die Prüfer unter Tz. 8.9 fest: Die Entgelte für die Beförderungskostenerstattungen seien gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG steuerfrei. Die Verpflichtung nach § 8 Abs. 4 Werkstättenverordnung (WVO), soweit erforderlich, einen Fahrdienst zu organisieren, bedeute, dass die Beförderung der Beschäftigten kein freiwilliger Service sei, sondern Teil der von der Werkstatt übernommenen Aufgabe, für ein bestimmtes Einzugsgebiet eine bestimmte Anzahl von Werkstattplätzen zur Verfügung zu stellen. Nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG seien alle Leistungen ihrer Art nach steuerfrei, auf die sich der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezögen.
36Hierauf nahm die Klägerin mit Schreiben vom 10.3.2020 Stellung. Die Bewertung der Beförderungsleistungen im Los xx widerspreche der Gesetzeslage. Allein die Beförderung von Beschäftigten, die auf einen Rollstuhl oder anderweitige technische Hilfestellung angewiesen seien, unterfalle mit § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG einer Steuerbefreiung. Die Beförderung der übrigen Beschäftigten mit eigenen Linien unterfalle grundsätzlich nicht der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG. Anders als von der Betriebsprüfung angenommen, sei das Entgelt für die Beförderung nicht in den Pflegesätzen enthalten. Vielmehr erfolge die Vergütung auf Grundlage einer eigenständigen Vereinbarung mit dem L. Im Prüfungszeitraum sei dies der „Vertrag über die Durchführung von Beförderungsleistungen“. Die Entgelte seien darin pro Fahrtag und Fahrgast konkret vereinbart, wobei letztere – der Differenzierung bei der Steuerpflicht entsprechend – nach Fahrgästen mit gewöhnlichem Sitzplatz, mit Rollstuhl und gegebenenfalls mit Begleitperson unterschieden. Die gewöhnliche Sitzplatzbeförderung stelle auch im Übrigen keine gesetzliche Aufgabe der Werkstatt dar. Schon § 8 Abs. 4 WVO spreche lediglich davon, dass die Werkstatt im Benehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern, soweit erforderlich, einen Fahrdienst zu organisieren habe. Damit gehöre es zwar zu den Aufgaben der Werkstatt, gemeinsam mit den Rehabilitationsträger dafür Sorge zu tragen, dass überhaupt die Möglichkeit einer Personalbeförderung bestehe. Ihre Pflicht umfasse aber weder eine Pflicht zur Beförderung eines jeden Einzelnen, geschweige denn die eigenhändige Beförderung durch eigene Linien. Daher sei es nur konsequent, dass entsprechende Entgeltbestandteile nicht in den Pflegesätzen enthalten seien, sondern gesondert und einzeln konkret nach erfolgter Leistungserbringung vergütet würden. Dass die abgerechneten Beförderungsumsätze nicht § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG unterfielen, sei auch systematisch richtig, weil diese Leistungen ebenso durch kommerzielle Wettbewerber erbracht werden könnten und auch in Teilen faktisch erbracht würden. Eine Ungleichbehandlung sei insoweit schwer zu rechtfertigen. Nur die Bereitstellung von Begleitpersonen sei grundsätzlich Ausdruck des gesetzlichen Betreuungsauftrags der Werkstätten. Nur solche Leistungen könnten daher der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG unterfallen. Derartige Umsätze lägen in den Streitjahren aber nicht vor. Gleiches gelte für Personenbeförderungen, die unmittelbar dem Wohnbereich zugeordnet worden seien. Schon vor der klarstellenden Gesetzesänderung in § 4 Nr. 18 Satz 3 UStG zum 1.1.2020 sei anerkannt gewesen, dass nur solche Umsätze der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG unterfallen könnten, deren Steuerfreiheit nicht in anderen Befreiungstatbeständen der Sache nach geregelt werde. Diese Einschränkung würde aber unterlaufen, wenn die Untertatbestände des § 4 Nr. 16 oder Nr. 17 UStG weit ausgelegt würden. Die Personalbeförderung von körperlich oder geistig behinderten Personen sei speziell in § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG geregelt und damit auf Fälle beschränkt, bei denen speziell auf die Bedürfnisse dieser Personen eingerichtete Fahrzeuge verwendet würden, weil dies einen entsprechenden Mehraufwand bedeute. Eine Verortung in einem allgemein gefassten Tatbestand – egal ob nach § 4 Nr. 16 oder Nr. 18 UStG – sei demnach ausgeschlossen. Diese Auffassung entspreche auch den Ausführungen in Abschn. 4.18.1. Abs. 12 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE). Der Vorsteuerabzug sei daher nicht zu kürzen.
37In einem geänderten Prüfungsbericht vom 3.8.2020 ergänzten die Prüfer ihre Feststellungen in Bezug auf die Fahrtkostenerstattungen im Los xx wie folgt:
38Tz. 8.9:
39Die Ausgangsumsätze (Erstattungen des L) aufgrund der Beförderung der Beschäftigten fielen in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG. Nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG seien alle Leistungen ihrer Art nach steuerfrei, auf die sich der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils beziehe. Die übernommene Aufgabe, Werkstattplätze zur Verfügung zu stellen, umfasse wegen § 8 Abs. 4 WVO auch den Fahrdienst. Die Organisation eines Fahrdienstes durch die WfbM sei keine freiwillige Angelegenheit, sondern Voraussetzung für die Anerkennung der WfbM als solche. Dies ergebe sich aus § 17 Abs. 1 WVO. Der in § 8 Abs. 4 WVO verwendete Begriff „soweit erforderlich“ beziehe sich auf die einzelnen Beschäftigten. Soweit sie die Werkstatt nicht mit eigenen Mitteln oder dem ÖPNV erreichen könnten, habe die Werkstatt den Fahrdienst, den sie vorzuhalten habe, für die An- und Abreise des jeweiligen Beschäftigten einzusetzen. Daraus folge, dass auch der Fahrdienst in vollem Umfang gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f, Nr. 16 Satz 2 UStG steuerfrei sei. Die Bereitstellung des Fahrdienstes könne seitens der Werkstatt in eigener Regie vorgenommen werden. Es könnten auch Subunternehmer damit beauftragt werden. Nur diese beiden Fallgestaltungen seien möglich. Eine vollständige Abgabe der Organisation eines Fahrdienstes an andere Unternehmer sei nicht möglich. Somit sei eine Leistungserbringung der Beförderung durch anderweitige Unternehmer direkt gegenüber den Beschäftigten der Werkstatt im Rahmen eines Leistungsaustausches nicht möglich. Das Neutralitätsprinzip der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie – MwStSystRL) werde durch die Anwendung der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG auf die Umsätze der Werkstatt gegenüber den Beschäftigten nicht beeinträchtigt, weil wegen § 8 Abs. 4 WVO andere Unternehmer diese Leistungen nicht gegenüber den Beschäftigten erbringen könnten. § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG schließe die Anwendung des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG bzw. des § 4 Nr. 18 UStG nicht aus. Dies ergebe sich schon aus dem Urteil des Finanzgerichts (FG) Hessen vom 18.10.2018 6 K 1715/17, in dem die hier fraglichen Umsätze nach § 4 Nr. 18 UStG freigestellt worden seien. Dementsprechend seien die Vorsteuerbeträge, die in diesem Zusammenhang angefallen seien, nicht gemäß § 15 UStG abzugsfähig.
40Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Prüfer an. Mit Bescheiden vom 18.9.2020 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen 2012 bis 2014 dahingehend, dass er die Umsatzsteuer auf ./. xxx Euro (2012), ./. xxx Euro (2013) und ./. xxx Euro (2014) festsetzte. Die Änderung der Steuerfestsetzungen stützte er jeweils auf § 164 Abs. 2 AO. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er in den Änderungsbescheiden jeweils gemäß § 164 Abs. 3 AO auf.
41Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass folgende Besteuerungsgrundlagen (in Euro) auf die streitgegenständlichen Umsätze entfallen:
422012 |
2013 |
2014 |
|
Bemessungsgrundlage Los xx |
|||
Umsatzsteuer 7 % Los xx |
|||
Vorsteuer Los xx |
Am 19.10.2020 legte die Klägerin u.a. gegen die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide 2012 bis 2014 Einspruch ein. Sie führte zur Begründung über ihr vorheriges Vorbringen im Verwaltungsverfahren hinaus aus: Umsatzsteuerfrei seien nur eng mit der Tätigkeit der Werkstatt verbundene Umsätze, worunter nicht die Personalbeförderung mit den eigenen Linien falle. Es gehöre nicht zu den Anforderungen der Anerkennung als WfbM gemäß § 17 Abs. 1 WVO, all ihren Beschäftigten unabhängig von der Erforderlichkeit eine eigenständig betriebene Beförderung zur Werkstatt anzubieten. Die gewöhnliche Sitzplatzbeförderung sei kein Unterfall der gesetzlichen Aufgaben einer WfbM. Auch die Sozialträger gingen davon aus, dass es sich um steuerpflichtige Umsätze handele, da sie diese Leistungen gesondert vergäben.
44Mit Schreiben vom 4.11.2020 wandte sich die GKBP N an die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion …, und bat vor dem Hintergrund des Wortlautes von § 8 Abs. 4 WVO um Mitteilung, „ob es unbedingte Voraussetzung für die Zulassung als Werkstatt ist, dass die Werkstatt einen Fahrdienst bereitstellt.“ Weiter fragte die GKBP N in dem Schreiben: „Wäre also eine Zulassung als Werkstatt ohne Fahrdienst ausgeschlossen?“
45In einem Schreiben vom 17.12.2020 der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit …, an die GKBP N heißt es in Bezugnahme auf das Schreiben der GKPB N vom 4.11.2020: „[…] nach § 8 Abs. 4 der WVO obliegt es der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), soweit erforderlich [Hervorhebung im Original], einen Fahrdienst für die in der WfbM tätigen behinderten Menschen zu organisieren und zu unterhalten. Erforderlich [Hervorhebung im Original] ist ein solcher Fahrdienst dann, wenn behinderte Menschen auf einen solchen Fahrdienst angewiesen sind, um die WfbM zu erreichen. Derr [sic] Fahrdienst ist Voraussetzung für die Zulassung als WfbM[,] wenn dafür ein Erfordernis in dem dargelegten Sinne besteht. Eine Zulassung als WfbM ohne Fahrdienst ist theoretisch möglich, wenn dieses Erfordernis nicht gegeben ist. […]“.
46Mit Schreiben vom 12.8.2021 führte der Beklagte aus, dass es zwar zutreffend sei, dass nicht in Bezug auf alle Beschäftigten ein Fahrdienst angeboten werden müsse. Allerdings müsse die Werkstatt bei den Beschäftigten, die nicht selbst zur Werkstatt gelangen könnten, die Beförderung selbst durchführen oder durch einen Subunternehmer durchführen lassen. Befinde sich in der Werkstatt auch nur ein Beschäftigter, der nicht selbst zur Werkstatt gelangen könne, müsse die Werkstatt einen Fahrdienst stellen. Daraus folge, dass die Zulassung als Werkstatt gemäß § 17 Abs. 1 WVO nur dann erfolgen könne, wenn diese den Fahrdienst organisiere. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen erfüllt. Umsatzsteuerfreie Einnahmen i.S.d. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG könne die Klägerin nur dann erzielen, wenn sie den Fahrdienst organisiere, sodass auch die Beförderungskostenerstattungen in die Gewährung der Steuerbefreiung einzubeziehen seien.
47Hierauf antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 8.9.2021 und wies darauf hin, dass die Steuerbefreiungsnormen der Art. 131 ff. MwStSystRL aufgrund ihres Ausnahmecharakters stets eng auszulegen seien. Die Anerkennungsfähigkeit nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WVO, die auch für § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG maßgeblich sei, beziehe sich auf die Vorgaben des ersten Abschnitts der WVO und damit auch auf die Vorgaben des § 8 Abs. 4 WVO. Es ergebe sich hieraus nur, dass die WfbM Sorge dafür zu tragen habe, dass die Beschäftigten überhaupt eine Möglichkeit hätten, werktäglich die Werkstatt aufsuchen zu können. Dieser Vorgabe würde auch dann genügt, wenn die Werkstatt überobligatorisch aus eigenen Mitteln oder durch ehrenamtliches Engagement von Werkstatt- oder Familienangehörigen – also ohne Refinanzierung durch den Leistungsträger – einen Fahrdienst organisieren würde. Dies zeige sich auch daran, dass die WfbM nach dem Wortlaut lediglich „im Benehmen“ mit den zuständigen Rehabilitationsträgern diese Organisationsleistungen erbringen müsse. Leistungen, deren Erbringung im Einzelnen verhandelbar seien, könnten nicht zu den gesetzlichen Aufgaben einer Sozialeinrichtung gehören und damit nicht der diesbezüglichen Umsatzsteuerbefreiung unterfallen. Selbst wenn man dem „Organisieren“ gegen das allgemeine Begriffsverständnis eine Pflicht zur (notfalls) eigenhändigen Leistungserbringung entnehmen würde, wäre die Aussage, wonach eine „Leistungserbringung der Beförderung durch anderweitige Unternehmer direkt gegenüber den Beschäftigten der Werkstatt im Rahmen eines Leistungsaustausches nicht möglich sei“, ein argumentativer Zirkelschluss. Es unterschlage nämlich die Einschränkung „soweit erforderlich“ in § 8 Abs. 4 WVO. Dadurch würden in dieser Aussage von vornherein alle Beschäftigten ausgeklammert, die ohne Weiteres z.B. mit eigenen oder öffentlichen Verkehrsmitteln anreisten und die etwaigen diesbezüglichen Vertragsbeziehungen selbstverständlich zu Dritten (Unternehmern) unterhielten. Viele dieser von Dritten erbrachten Betreuungsleistungen seien steuerpflichtig und unterfielen allenfalls dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG. Jedenfalls insoweit stünden ihre eigenen Linien in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Umsätzen anderer Unternehmer und könnten daher nach Maßgabe des unionsrechtlichen Neutralitätsgebotes nicht der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG unterfallen. Dass die Möglichkeit einer Anreise mit eigenen oder öffentlichen Verkehrsmitteln den gesetzlichen Grundfall darstelle, ergebe sich bereits aus der entsprechenden Anforderung an die Größe des Einzugsgebietes der Werkstatt in § 8 Abs. 3 WVO. Demnach müsse das Einzugsgebiet so bemessen sein, dass die WfbM mit öffentlichen oder sonstigen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar sei. Sollte sie, die Klägerin, wie der Beklagte meine, für eine WfbM vergleichsweise viele eigene Linien unterhalten, ließe sich dies vor diesem Hintergrund schon aus dem vergleichsweise großen Einzugsgebiet erklären. Da nur ein Teil der Beschäftigten mit ihren eigenen Linien befördert werde, sei die Personenbeförderung auch konsequenterweise nicht in den Pflegesätzen enthalten, sondern werde unabhängig davon im Bedarfsfall mit den sozialrechtlichen Leistungsträgern in eigenständigen Verträgen geregelt. Im für die Streitjahre geschlossenen Vertrag zu den eigenen Linien sei u.a. geregelt, dass die entsprechenden Lose bei einer möglichen Kündigung des Vertrages in einem Ausschreibungsverfahren vergeben werden müssten. Diese Handhabe widerspreche der Annahme, dass sie, die Klägerin, die Beförderungsleistungen ausschließlich eigenhändig oder durch Subunternehmer durchführen dürfe. Zwar sei in § 3 der Verträge auch ein Passus zur eigenständigen Organisation des Fahrdienstes durch sie, die Klägerin, enthalten. Diese Regelung habe aber lediglich klarstellenden Charakter dahingehend, dass der Leistungsträger trotz Kostentragung insoweit kein Mitspracherecht erlange bzw. sie, die Klägerin, keinen Anspruch auf diesbezügliche Unterstützung habe. Die Vergütung bemesse sich hingegen allein nach der konkreten Beförderungsdienstleistung je Fahrgast. Sofern bei den Beförderten besondere logistische Hemmnisse wie z.B. körperliche Einschränkungen bestünden, unterfalle die Beförderung § 4 Nr. 17 Buchst. b UStG. Hier sei der Normzweck einer Entlastung der öffentlichen Kassen in Gestalt der sozialrechtlichen Leistungsträger maßgeblich, weil in diesem Fall mit der Beförderung besondere Kosten verbunden seien. Bei den übrigen Beschäftigten wäre es hingegen sachwidrig, wenn bei der Umsatzsteuerpflicht – und nicht lediglich bei der Kostentragung – danach differenziert würde, ob diese aus eigener Kraft ihre Anreise bewerkstelligen könnten oder ob ihnen aufgrund ihrer konkreten Lebensumstände die Nutzung der eigenen Linien angeboten werde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben der Klägerin vom 8.9.2021 nebst Anlagen verwiesen.
48Mit Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 wies der Beklagte den Einspruch u.a. wegen Umsatzsteuer 2012 bis 2014 als unbegründet zurück. Über seine vorherigen Erwägungen im Verwaltungsverfahren hinaus führte er aus: Bei Menschen mit Behinderungen, die nicht in der Lage seien, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen, handele es sich bei den hierdurch erzielten Erlösen um Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG unterfielen. Es handele sich insoweit ausdrücklich nicht um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese Menschen im Rahmen dieser Betreuung am Arbeitsergebnis der Werkstatt mitwirken und Erlöse erwirtschafteten. Bei entsprechenden Eingangsleistungen, die den Förder- und Betreuungsstätten zuzurechnen seien, sei der Vorsteuerabzug daher ausgeschlossen. In der Sache sei die Organisation eines Fahrdienstes durch eine Werkstatt keine freiwillige Angelegenheit, sondern Voraussetzung für ihre Anerkennung und in der Anlage 2 zum Landesrahmenvertrag geregelt. Bezugnehmend auf das Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 17.12.2020 sei im Streitfall der Fahrdienst Voraussetzung für die Zulassung der WfbM. Ob bei der Abrechnung der Beförderungsumsätze entsprechende Entgeltbestandteile in den Pflegesätzen enthalten seien, sei irrelevant. Es bestehe ein direkter Bezug des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG zu den Personenbeförderungsleistungen. Die Klägerin habe sich aufgrund der Vertragslage zur Erbringung bzw. Organisation der Fahrdienstleistungen verpflichtet. Hierdurch könne es auch nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommen.
49Am 13.4.2022 hat die Klägerin Klage erhoben.
50Die Beteiligten haben zunächst auch über die Umsatzsteuer 2011 gestritten. Der Beklagte hat insoweit durch einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom 6.11.2024 dem Klagebegehren betragsmäßig wegen eines Übernahmefehlers bei der Auswertung des Betriebsprüfungsberichts abgeholfen. Das Verfahren wegen Umsatzsteuer 2011 ist sodann zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung vom hiesigen Verfahren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 5 K 2323/24 weitergeführt worden.
51Über ihre im Verwaltungsverfahren angestellten Erwägungen hinaus führt die Klägerin im Klageverfahren aus: Auch die sog. externen Linien in den Losen yy bis zz würden von ihr nach dem Begriffsverständnis des Beklagten von § 8 Abs. 4 WVO organisiert, weil die Einteilung der Lose, die damit verbundenen Routenwege und die jeweils beförderten Beschäftigten von ihr konzipiert und administriert würden. Allerdings genüge es für das Erfordernis der Organisation, wenn für diese Linien sodann von ihr, der Klägerin, externe Dienstleister beauftragt würden. Es sei zwischen ihr und dem L in den vergangenen Jahren bereits eruiert worden, ob das Los xx weiterhin von ihr in eigener Verantwortung ausgeführt oder ebenfalls extern ausgeschrieben werden solle. Primär aus wirtschaftlichen und organisatorischen Erwägungen habe man allerdings von den Beteiligten an der bisherigen Lösung festgehalten. Sollte sie, die Klägerin, sich in Zukunft weigern, die eigenen Linien weiter anzubieten, müsste eine externe Ausschreibung erfolgen oder das Los xx in den übrigen Losen aufgehen, was finanzielle Nachteile für die Kostenträger mit sich bringe. Dahinter verberge sich letztlich nichts anderes als die gesetzlichen Einschränkungen dieser institutionellen Aufgabe in § 8 Abs. 4 WVO, wonach die WfbM lediglich „im Benehmen“ mit den zuständigen Rehabilitationsträgern diese fahrdienstbezogene Organisationsleistung erbringen müsse. Leistungen, deren Erbringung im Einzelnen verhandelbar seien, könnten nicht zu den gesetzlichen Aufgaben einer Sozialeinrichtung gehören und damit auch nicht der diesbezüglichen Umsatzsteuerbefreiung unterfallen. Sofern der Beklagte auf Grundlage des vermeintlichen Normwortsinns der WVO davon ausgehe, dass jede Werkstatt einen eigenen Fahrdienst „vorzuhalten“ und im Bedarfsfall für die An- und Abreise ihrer Beschäftigten einzusetzen habe und daher eine Einrichtung, die keine eigenen Linien unterhalte, sondern sämtliche Fahrdienstleistungen auf externe (Sub-)Unternehmer auslagere, nicht als WfbM anerkennungsfähig sei, liege dies fernab der verbreiteten Rechtspraxis. Auch wenn die bei ihr, der Klägerin, Verantwortlichen naturgemäß nicht über die Situation bei allen WfbM im Umkreis Bescheid wissen könnten, hätten zum Beispiel nach aktueller Kenntnis die … Werkstätten im nahen … sämtliche Beförderungsleistungen über den L ausschreiben lassen und betrieben keinerlei eigene Linien. Einer sozialrechtlichen Anerkennung als WfbM stünde und stehe diese Tatsache nicht entgegen. Im Übrigen habe es in der Vergangenheit auch Bestrebungen aus dem L selbst gegeben, auch sie, die Klägerin, dazu zu bewegen, die eigenen Linien aufzugeben. Für die Lose yy bis zz habe sie in Zusammenarbeit mit dem L eine Ausschreibung durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Ausschreibung seien von den Beteiligten als maßgeblich für die Preisfindung bei den eigenen Linien im Los xx betrachtet worden.
52Zur Entscheidung des FG Hessen vom 18.10.2018 6 K 1715/17 führt die Klägerin aus: Das dortige Gericht habe die Beförderungsumsätze fälschlicherweise gemäß § 4 Nr. 18 UStG als steuerfrei bewertet. Die Wertungen ließen sich wegen der unterschiedlichen tatbestandlichen Anforderungen ohnehin nicht auf § 4 Nr. 16 UStG übertragen. Schließlich sei auch der der finanzgerichtlichen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ein anderer, weil die dortige WfbM keine eigenen Linien unterhalten habe, sondern lediglich zum Ausgleich der Kosten einer externen Beauftragung in Gestalt von Bus- und Taxiunternehmen von dem zuständigen Träger der Landeswohlfahrtspflege einen „Zuschuss Fahrtkosten“ erhalten habe. Vor allem habe das FG Hessen in seiner Entscheidung nicht hinreichend danach differenziert, inwiefern die konkreten Leistungen von § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG erfasst gewesen seien. Nur Leistungen, die die Werkstatt als notwendige Leistung anerkannter Werkstätten erbringe, seien Leistungen nach Sozialrecht und damit von der Umsatzsteuer befreit. Hier werde sie aber als Busunternehmerin im Wettbewerb tätig. Der bloße Umstand, dass die Kosten erstattet würden, mache die Beförderungsleistung nicht zu einer nach Sozialrecht von ihr dem Kostenträger gegenüber geschuldeten Leistung. § 4 Nr. 18 UStG sei im Streitfall ohnehin nicht einschlägig. Sie, die Klägerin, sei zwar nicht nur über einen ihrer Gesellschafter mit dem F e. V. verbunden, sondern ausweislich der Präambel des Gesellschaftsvertrags auch selbst Mitglied im […] der […] und dadurch einem nach § 23 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (a.F.) anerkannten Träger der freien Wohlfahrtspflege zumindest in Gestalt einer regionalen Untergliederung mittelbar angeschlossen. § 4 Nr. 18 UStG sei ohnehin subsidiär und trete hinter § 4 Nr. 16 UStG und § 4 Nr. 17 UStG zurück. Die Anwendung des § 4 Nr. 18 UStG sei dabei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch dann gesperrt, wenn die Voraussetzungen der spezielleren Befreiungsvorschriften nicht erfüllt seien, solange die Art der potentiell steuerfreien Leistung dort der Sache nach geregelt sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Pflegegelder auch in Abschn. 4.18.1 Abs. 11 Satz 1 UStAE „als Entgelte für Betreuungs-, Beköstigungs-, Beherbergungs- und Beförderungsleistungen dieser Werkstätten“ angesehen würden. Abgesehen davon, dass es sich beim Umsatzsteuer-Anwendungserlass um eine verwaltungsinterne Vorschrift handele und diese Regelung letztlich nur die spiegelbildliche Wiedergabe zur dogmatisch korrekten Verortung in Abschn. 4.16.5 Abs. 10 UStAE darstelle, stehe die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG auch im Kontext des Anwendungserlasses ausdrücklich unter dem Vorbehalt seiner übrigen tatbestandlichen Anforderungen, zu denen auch dessen Subsidiarität gehöre (vgl. Abschn. 4.18.1 Abs. 11 Satz 2 und Abs. 12 UStAE). Ein – in diesem Teilbereich grundsätzlich mögliches – unmittelbares Berufen auf die Steuerbefreiung nach dem Wortlaut der Richtlinie scheide vorliegend ebenfalls aus. Der allen vorbenannten Steuerbefreiungen zugrundeliegende Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL beinhalte zwar keine vergleichbaren personellen und sachlichen Einschränkungen. Eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie lasse der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings lediglich aus Gründen der Sanktionierung der fehlerhaften oder nicht ausreichenden Umsetzung durch den Mitgliedsstaat zu. Sie sei daher nicht zulasten des Steuerpflichtigen möglich. Auch wenn die Steuerbefreiung auf den ersten Blick vorteilhaft für den Steuerpflichtigen sei, ergäben sich hier bei deren Anwendung für den Vorsteuerabzug schwerer wiegende wirtschaftliche Nachteile als bei der Annahme einer Steuerpflicht. Daher sei die Leistung auch nicht durch unmittelbare Anwendung der MwStSystRL steuerfrei.
53Die streitgegenständlichen Beförderungsleistungen im Los xx seien außerdem umsatzsteuerrechtlich als selbstständige Leistungen zu beurteilen und nicht bloß Teil einer einheitlichen Leistung. Sie seien insbesondere nicht Nebenleistungen zu den Betreuungs- und Unterstützungsleistungen im Werkstattbetrieb und teilten nicht das umsatzsteuerrechtliche Schicksal der Hauptleistungen. Zwar stünden die Beförderungsleistungen in einem kausalen Zusammenhang mit den Betreuungs- und Unterstützungsleistungen im Werkstattbereich. Dieser Zusammenhang sei allerdings nicht derart ausgeprägt, um in Abweichung des einleitend dargestellten Grundsatzes die Annahme einer umsatzsteuerrechtlich einheitlichen Leistung zu rechtfertigen. Ein kausaler Zusammenhang allein sei nicht ausreichend. Daher rechtfertige allein der Umstand, dass eine Aufnahme der Tätigkeit in der Werkstatt im Einzelfall nur möglich sei, wenn ein Beschäftigter zur Werkstatt gelange, den für die Annahme einer einheitlichen Leistung erforderlichen wirtschaftlichen Zusammenhang nicht. Die von ihr, der Klägerin, erbrachten Beförderungsleistungen dienten auch nicht dazu, dass ein Beschäftigter ihre Betreuungs- und Beschäftigungsleistungen im Werkstattbetrieb unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen könne. Dies zeige sich schon daran, dass die absolute Mehrzahl der Beschäftigten auf anderem Weg werktäglich zur Werkstatt gelange. Dadurch unterscheide sich der hiesige Fall beispielsweise von der klassischerweise als Nebenleistung eingeordneten Verpackung und Versendung der gekauften Waren durch den Verkäufer im Onlinehandel. Gegen die Annahme einer einheitlichen Leistung spräche außerdem: Ein Durchschnittsverbraucher dürfte davon ausgehen, dass sie, die Klägerin, in allererster Linie zur Betreuung und Unterstützung der Beschäftigten im Werkstattbereich verpflichtet sei, nicht hingegen zur Durchführung von Beförderungsleistungen. Der Umstand, dass sie und der L einen gesonderten Vertrag über die Erbringung der streitgegenständlichen Beförderungsleistungen schließen, bewirke aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers eine umsatzsteuerrechtlich relevante Zäsur. Eine Beförderungspflicht der Beschäftigten durch sie, die Klägerin, bestehe nach § 8 Abs. 4 WVO nicht und dieser sozialrechtliche Befund müsse auf die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung durchschlagen. Die gesetzgeberischen Wertungen, die einer Befreiungsvorschrift zugrunde lägen und in deren Wortlaut zum Ausdruck kämen, seien auch bei der vorgelagerten Frage der Einheitlichkeit der Leistung zu berücksichtigen. Ansonsten würde eine solche Regelung leerlaufen, sofern schon durch die vorgelagerte Einordnung als einheitliche Leistung eine eigenständige Bewertung der Steuerfreiheit gesperrt werden würde. Dann wäre die Befreiungsregelung zumindest insoweit ohne Anwendungsbereich, was dem Regelungswillen des Gesetzesgebers widerspräche. Es sei festzuhalten, dass § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG wie alle anderen Befreiungsvorschriften in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG nach dem Wortlaut vom Sozialrecht vorgeprägt sei, indem sie regelungstechnisch durch dynamische Verweise in sozialrechtliche Regelungen auf die dortigen Wertungen abstellten. Mit der Anknüpfung an das Sozialrecht habe der deutsche Gesetzgeber das ihm unionsrechtlich zustehende Bestimmungsrecht ausgeübt. So seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht sämtliche Leistungen mit sozialem Kontext umsatzsteuerbefreit, sondern nur, wenn sie durch vom jeweiligen Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen erbracht würden. Ein Mitgliedstaat habe demnach das Recht zu bestimmen, welche Einrichtungen er als Einrichtungen mit sozialem Charakter qualifiziere. Dieses unionsrechtlich bestehende Bestimmungsrecht habe der deutsche Gesetzgeber im Kontext des § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG durch Verweisung auf das Sozialrecht in zulässiger Weise ausgeübt. Der Verweis in § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG auf § 225 SGB IX bedeute, dass letztere Norm die grundlegenden Voraussetzungen für die sozialbehördliche Anerkennung einer WfbM aufstelle. Der Gesetzgeber knüpfe damit im Umsatzsteuerrecht an die sozialbehördliche Anerkennung einer WfbM an. Diese Vorprägung werde durch § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG verstärkt. Danach gelte die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG nur für Leistungen, auf die sich die sozialbehördliche Anerkennung als WfbM beziehe. Demnach gäben die §§ 225 ff. SGB IX der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung die Vorprägung. Im Umkehrschluss greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG nicht, soweit der Werkstattträger eine Leistung erbringe, die nicht Gegenstand der sozialbehördlichen Anerkennung als WfbM sei. Für die im Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 4.11.2020 geäußerte Rechtsauffassung finde sich kein Beleg in der Rechtsprechung oder Literatur. Sie sei unzutreffend. „Organisieren“ i.S.d. § 8 Abs. 4 WVO bedeute ein „sorgfältiges und systematisches Vorbereiten“. Dies sei nicht mit der Durchführung gleichzusetzen. Aus der Systematik von § 8 Abs. 3 und 4 WVO ergebe sich, dass die Menschen mit Behinderung im Grundsatz eigenständig zur Werkstatt gelangen sollten und das Einzugsgebiet hiernach zu bemessen sei. Teleologisch beruhe der in § 8 Abs. 3 WVO verankerte Grundsatz der Eigenständigkeit auf der Überlegung, dass die Beschäftigten durch die Teilnahme am Straßenverkehr am öffentlichen Leben teilhaben und auch insoweit in die Gesellschaft inkludiert werden sollen. Nur in Ausnahmefällen habe die Werkstatt einen gesonderten Fahrdienst zu organisieren, der – wie sich aus § 8 Abs. 4 WVO ergebe – nur subsidiär greife, wenn ein Beschäftigter entgegen dem Grundsatz der Eigenständigkeit daran gehindert sei, die Werkstatt mit eigenen oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. § 8 Abs. 4 WVO ließe sich auch dahingehend auslegen, dass der erforderliche Fahrdienst nur die erforderliche Beförderung während der werktäglichen Beschäftigung in der Werkstatt oder zu externen Stellen (bspw. zur ärztlichen Behandlung, Physiotherapie, Ausflugszielen) umfasse. Sie, die Klägerin, verweise insoweit auf die Äußerungen von Herrn S, den Geschäftsfeldleiter für ihren Werkstattbereich, im Erörterungstermin. Ein Träger einer WfbM dürfe in personeller und administrativer Hinsicht sowie unter Haftungsgesichtspunkten nicht dadurch überfordert werden, dass dieser einen Fahrdienst selbst durchführen müsse. Zugleich dürften Menschen mit Behinderungen im Grundsatz nicht allein aus geographischen Gründen davon abgehalten werden, eine Beschäftigung in einer WfbM anzunehmen, da diese in Bezug auf ihre Wohnsitznahme regelmäßig weniger flexibel seien als die sonstige Bevölkerung. Auch dies spreche dafür, dass ein Werkstattträger zugunsten eines größeren Einzugsgebiets nur dazu verpflichtet sei, einen Fahrdienst zu organisieren, nicht aber auch, diesen selbst durchzuführen. Die Allgemeinheit habe ein übergeordnetes Interesse daran, dass möglichst viele Menschen mit Behinderung in einer Werkstatt beschäftigt seien. In dünn besiedelten Gebieten würde eine Abspaltung dazu führen, dass sich erst recht kein Werkstattträger finden würde, der allein diese Gebiete zu seinem Einzugsgebiet erkläre, oder es würde ein territorialer Flickenteppich entstehen. Damit würden eine Beschäftigung in einer WfbM und eine Inklusion der Beschäftigten regelmäßig nicht möglich sein. Der Abschluss des separaten Vertrages zur Durchführung des Fahrdienstes zwischen ihr, der Klägerin, und dem L bestätige, dass sie nicht zur Durchführung eines Fahrdienstes verpflichtet sei. Wäre dies anders, wäre ein gesonderter Vertragsschluss entbehrlich. Die Übernahme des Fahrdienstes stelle eine Zäsur dar, die die Annahme einer wirtschaftlich einheitlichen Leistung sperre.
54Die gesonderte vertragliche Vereinbarung des Fahrdienstes streite ebenso für die umsatzsteuerliche Selbstständigkeit der Beförderungsleistung; sie habe insoweit Indizwirkung. Dem liege die Annahme zugrunde, dass im Rahmen der Gesamtbetrachtung die Möglichkeit des Verbrauchers, die Leistung – und damit letztlich auch den Leistenden – auszuwählen, den erforderlichen Nexus der einheitlichen Leistung durchbreche. Für die Beschäftigten bestehe die Möglichkeit, die Beförderungsleistung auszuwählen. Ihnen solle im Grunde ermöglicht werden, selbstständig zur WfbM zu gelangen. Eine andere rechtliche Bewertung würde das Ziel des § 8 Abs. 3 WVO konterkarieren. § 8 Abs. 4 WVO ergänze § 8 Abs. 3 WVO, der im Ergebnis eine Unterstützung der Menschen mit Behinderung bewirke, ohne dass diese in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt würden. Aus der in § 8 Abs. 3 WVO niedergelegten Wertungsentscheidung des Verordnungsgebers folge eine sozialrechtlich geprägte Einordnung der Beförderungsleistung als umsatzsteuerrechtlich selbstständige Leistung. Ob es den in der Werkstatt Beschäftigten im Einzelfall in zeitlicher oder finanzieller Hinsicht zumutbar sei, mit dem ÖPNV oder sonstigen Verkehrsmitteln zur Werkstatt zu gelangen, sei für die Frage der Auswählbarkeit der Leistung ohne Bedeutung. Die sich möglicherweise zwischen den einzelnen Verkehrsmitteln unterscheidende Zumutbarkeit hebe die Auswählbarkeit aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht nicht auf. Dem stehe auch nicht entgegen, dass ein schriftlicher Vertrag über die Beförderungsdienstleistung nur mit dem L abgeschlossen werde und nicht zusätzlich mit jedem einzelnen zu befördernden Beschäftigten. Wie im Protokoll des Erörterungstermins festgehalten sei (Seite 3 oben), nähmen die im Los xx beförderten Beschäftigten allein sie, die Klägerin, als Leistende der Beförderungsdienstleistung wahr, da diese die eigenen Linien regelmäßig mit eigenem Personal und eigenen Fahrzeugen bediene. Dass ein schriftlicher (Rahmen-)Vertrag nur mit dem L geschlossen werde, stehe dem nicht entgegen. Für diese Gestaltung sprächen schon die üblichen Abläufe innerhalb des sozialrechtlichen Dreiecks sowie der damit vermiedene Verwaltungsaufwand. Außerdem sei der Vertrag mit dem L als Vertrag in Bezug auf die Beförderungsdienstleistungen als Vertrag zugunsten Dritter (d.h. zugunsten der nicht unmittelbar vertragsbeteiligten Beschäftigten) anzusehen. Schließlich stehe der schriftliche (Rahmen-)Vertrag mit dem L nicht der Annahme entgegen, dass aufgrund der Abstimmung des Beförderungsbedarfs bei Aufnahme in die Werkstatt sowie durch die faktische Erbringung der Beförderungsdienstleistung zusätzlich zumindest konkludent auch Beförderungsverträge unmittelbar zwischen ihr und den jeweiligen Beschäftigten abgeschlossen würden. Diese könnten bei wertender Gesamtschau zudem unabhängig vom Werkstattvertrag gekündigt werden, etwa wenn die Beschäftigten künftig auf andere Verkehrsmittel zurückgreifen wollten. Diese Kündigungsmöglichkeit sei ein weiteres starkes Kriterium dafür, dass die streitgegenständlichen Beförderungsleistungen umsatzsteuerrechtlich selbständig seien.
55Hilfsweise – d.h. wenn entgegen ihrer Auffassung eine einheitliche Leistung vorliegen sollte – vertrete sie, die Klägerin, die Auffassung, dass § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG eine Durchbrechung des Gebots der Einheitlichkeit der Leistung beinhalte. In dieser Vorschrift komme die sozialrechtliche Vorprägung der Umsatzsteuerbefreiung besonders stark zum Ausdruck. Sie beinhalte, ebenso wie § 4 Nr. 12 Satz 2, 3. Fall UStG und § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG, ein Aufteilungsgebot. Der nationale Gesetzgeber habe nach Unionsrecht weitreichende Freiheiten, zu bestimmen, welche Unternehmer er als „Einrichtung mit sozialen Charakter“ anerkenne. Dieses Bestimmungsrecht habe der deutsche Gesetzgeber in doppelter Hinsicht ausgeübt, zum einen in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG mit der Bezugnahme auf das Sozialrecht und zum anderen in § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG mit der Einschränkung, dass die Steuerbefreiung nur für solche Leistungen gelte, auf die sich die sozialrechtliche Beurteilung – hier die sozialbehördliche Anerkennung als WfbM – beziehe. In diesem Fall könne das unionsrechtliche Bestimmungsrecht über den Umfang der Steuerbefreiung den Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung durchbrechen. Hierfür spreche das EuGH-Urteil in der Rechtssache C-94/09, in der es ebenfalls um die Beurteilung einer Beförderungsleistung gegangen sei. Danach könne ein Mitgliedstaat die Beförderung von Leichnamen mit einem Fahrzeug dem ermäßigten Steuersatz unterwerfen, der sich von dem Steuersatz für die übrigen Leistungen von Bestattungsinstituten unterscheide. Diese Entscheidung begründe der EuGH damit, dass ein Mitgliedstaat nach Unionsrecht ein weitreichendes Recht zur Bestimmung einer steuerlichen Vergünstigung habe. Dies könne bei einer Steuerbefreiung nicht anders sein. Sofern der Senat ihrer Rechtsauffassung nicht folge und von einer einheitlichen Leistung ausgehe, sei ein Ruhendstellen des Verfahrens denkbar, bis in den aktuellen Vorlageverfahren des Bundesfinanzhofs (BFH) an den EuGH (BFH-EuGH-Vorlagen vom 10.1.2024 XI R 11/23, BStBl. II 2024, 601; vom 10.1.2024 XI R 13/23, BStBl. II 2024, 608; vom 10.1.2024 XI R 14/23, BStBl. II 2024, 610) Entscheidungen ergangen seien.
56Wenn ihre Beförderungsleistungen steuerpflichtig seien, finde der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b, 2. Fall UStG Anwendung. Es liege eine privilegierte Beförderung von Personen im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen vor. Maßgebend seien die verkehrsrechtlichen Bestimmungen, vorliegend § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Auch Art. 2 Nr. 2 VO (EG) Nr. 1073/2009 bestimme „Linienverkehr“ als „die regelmäßige Beförderung von Fahrgästen auf einer bestimmten Verkehrsstrecke, wobei Fahrgäste an vorher festgelegten Haltestellen aufgenommen oder abgesetzt werden können“. Dies setze gemäß § 42 PBefG nicht einmal voraus, dass ein Fahrplan mit bestimmten Abfahrts- und Ankunftszeiten bestehe oder Zwischenhaltestellen eingerichtet seien. Der Linienverkehr könne unter anderem mit Kraftomnibussen oder Personenkraftwagen betrieben werden und werde insbesondere angenommen für die Beförderung von Berufstätigen zwischen Wohnung und Arbeitsstelle und von Schülern zwischen Wohnung und Lehranstalt (vgl. Abschn. 12.13 Abs. 4 Satz 3 f. UStAE). Ausgangs- und Endpunkt der Strecke müssten lediglich im Vorhinein festgelegt sein. Hinsichtlich der Regelmäßigkeit des Linienverkehrs sei ausschlaggebend, dass er für das Fahrgastpublikum vorhersehbar wiederkehrend – auf derselben Strecke und über eine gewisse Dauer – stattfinde, so dass sich Fahrgäste auf die Benutzung einrichten könnten. Daran fehle es bei einer bedarfsabhängigen Durchführung des Verkehrs. Die streitgegenständlichen Beförderungsleistungen erfüllten die vorstehenden Voraussetzungen. Ihre Beschäftigten würden regelmäßig arbeitstäglich an vorher festgelegten Punkten und sogar zu festgelegten Zeiten nahe ihres Wohnorts abgeholt und zu ihren Einrichtungen befördert. Entsprechendes erfolge für den Rückweg zur Wohnung nach Abschluss des Arbeitstags. Die Fahrten fänden teilweise innerhalb einer Gemeinde statt, jedenfalls betrügen alle Beförderungsstrecken im Rahmen der eigenen Linien nicht mehr als 50 Kilometer für die einfache Fahrt. Im Erörterungstermin habe Herr S für sie, die Klägerin, zudem geschildert, dass die Beschäftigten, die sich für eine Nutzung der eigenen Linien entschieden, vor Beginn ihrer Beschäftigung in der Werkstatt ein Anschreiben von ihr erhielten, in dem darüber informiert werde, an welcher Stelle und zu welcher Uhrzeit sie jeweils von ihrer Wohnstätte abgeholt würden (Protokoll, Seite 2, vierter Absatz). Der Umstand, dass das Ob der Beförderungsleistungen sowie die Zeiten nach dem konkreten Bedarf ermittelt würden, stehe der Annahme der Regelmäßigkeit der Fahrten selbst nicht entgegen. Aus der Gesamtschau der Regelungen des PBefG ergebe sich, dass grundsätzlich die sog. Fahrgastfreiheit gewährleistet sein müsse, als ein Linienverkehr einem unbestimmten und unbeschränkten Personenkreis offenstehe und auf der Hin- und Rückfahrt ein Fahrgastwechsel eintreten könne bzw. wenigstens möglich sein müsse. Dies treffe auf die in Rede stehenden Beförderungsleistungen nicht zu. Es handele sich bei den beförderten Beschäftigten um einen abgeschlossenen Personenkreis. Gleichwohl erfasse der Begriff des „Linienverkehrs“ nach § 43 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 PBefG auch Sonderformen des Linienverkehrs, etwa die Beförderung von Berufstätigen oder Schülern zwischen Wohnung und Arbeitsstelle bzw. Lehranstalt. Auch die Beförderung von Menschen mit Behinderung zu einer Werkstatt, in der sie beschäftigt seien, sei eine Sonderform des Linienverkehrs. Die Beförderung von Menschen mit Behinderung zu und von WfbM könne unter § 43 Satz 1 Nr. 1 PBefG subsumiert werden. Werkstattträger ermöglichten den Beschäftigten durch den Werkstattbetrieb eine Teilhabe am Arbeitsleben. Im Übrigen sei der Katalog des § 43 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 PBefG in Bezug auf Sonderformen des Linienverkehrs nicht abschließend. Zwar handele es sich bei § 43 PBefG um eine Regelung, die entgegen dem Erfordernis der Fahrgastfreiheit Beförderungen als Beförderungen im Linienverkehr fingiere. Sie sei insoweit eine – grundsätzlich eng auszulegende – Ausnahmevorschrift. Gleichwohl gehe aus der Gesamtschau des Personenbeförderungsgesetzes und der der Verordnung über die Befreiung bestimmter Beförderungsfälle von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (Freistellungs-Verordnung) hervor, dass es auch andere Sonderformen des Linienverkehrs gebe. Gemäß § 1 Nr. 4 Buchst. g der Freistellungs-Verordnung würden von den Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes freigestellt – d.h. als nicht genehmigungspflichtig deklariert – „die Beförderung von körperlich, geistig oder seelisch behinderten Personen mit Kraftfahrzeugen zu und von Einrichtungen, die der Betreuung dieses Personenkreises dienen.“ Damit seien die Beförderung von Menschen mit Behinderung zu und von Werkstätten als Einrichtungen, die (auch) der Betreuung dieses Personenkreises dienten, als Sonderformen des Linienverkehrs kodifiziert. Auch die tatbestandliche Voraussetzung eines „genehmigten“ Linienverkehrs sei im Streitfall erfüllt. Für Zwecke des ermäßigten Umsatzsteuersatzes seien die nach den öffentlich-rechtlichen Vorgaben genehmigungsfreien Beförderungsleistungen – hier nach § 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. g Freistellungs-Verordnung – den im Rahmen des formell genehmigten Linienverkehrs erbrachten Beförderungsleistungen nach ständiger Rechtsprechung gleichzustellen. Die zusätzliche Voraussetzung, dass die Beförderten hierfür kein Entgelt zu entrichten hätten, sei ebenfalls gegeben, da die Inanspruchnahme der Beförderung für die Beschäftigten durch die Kostenzusage des Rehabilitationsträgers und die Abwicklung über sie, die Klägerin, effektiv kostenfrei sei. Im Übrigen verweise sie hierzu auf Abschn. 12.13 Abs. 5 UStAE.
57Die Klägerin beantragt,
58die Umsatzsteuerbescheide 2012 bis 2014, jeweils vom 18.9.2020 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer um xxx Euro (2012), xxx Euro (2013) sowie xxx Euro (2014) gemindert und i.H.v. ./. xxx Euro (2012), ./. xxx Euro (2013) sowie ./. xxx Euro (2014) festgesetzt wird,
59hilfsweise, die Revision zuzulassen.
60Der Beklagte beantragt,
61die Klage abzuweisen,
62hilfsweise, die Revision zuzulassen.
63Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und wiederholt im Übrigen sein Vorbringen aus dem Vorverfahren.
64Am 23.9.2024 ist die Sache vor dem Berichterstatter erörtert worden. Auf das Protokoll zum Erörterungstermin wird verwiesen.
65Die mündliche Verhandlung ist am 13.3.2025 durchgeführt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
66Auf die Gerichtsakte, die Schriftsätze der Beteiligten und die übersandten Verwaltungsvorgänge wird Bezug genommen.
67Entscheidungsgründe
68I. Die Klage ist unbegründet.
69Die Umsatzsteuerbescheide 2012 bis 2014, jeweils vom 18.9.2020 und jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.3.2022 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).
70Die Klägerin erbringt mit den Beförderungen im sog. Los xx gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG steuerfreie Leistungen (dazu unter 1.). Sie kann in der Folge gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG keinen Vorsteuerabzug aus mit diesen Leistungen im Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen geltend machen (dazu unter 2.).
711. Die im sog. Los xx erbrachten Beförderungsleistungen sind als Bestandteil einer einheitlichen Förderungs- und Betreuungsleistung der WfbM gegenüber ihren Beschäftigten gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f. UStG steuerfrei (hierzu unter a.). Ein gesetzliches Aufteilungsgebot liegt im Streitfall nicht vor und ergibt sich insbesondere nicht aus § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG (dazu unter b.). Selbst wenn ein gesetzliches Aufteilungsgebot in § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG vorläge, fielen die die Beförderungsleistungen im Los xx nicht darunter (dazu unter c.).
72a. Die Klägerin erbringt steuerfreie Förderungsleistungen gegenüber ihren Beschäftigten i.S.d. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG, die als einheitliche Leistung auch die Beförderung der Beschäftigten im sog. Los xx umfassen.
73aa. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f. UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (a.F.) bestimmt, dass folgende Umsätze steuerfrei sind: die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen, die nach § 142 SGB IX a.F. (heute § 225 SGB IX) anerkannt sind, erbracht werden. Gemäß § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG sind Leistungen u.a. nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.
74Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von der Steuer befreien. Das Tatbestandsmerkmal „eng verbunden“ ist im Lichte des Art. 134 MwStSystRL auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 8.10.2020 Rs. C-657/19 Finanzamt D, BFH/NV 2021, 174). Gemäß Art. 134 MwStSystRL ist die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL für Leistungen ausgeschlossen, die für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind (Buchst. a), oder die im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden (Buchst. b). Nicht ausreichend ist es daher, wenn die Leistung lediglich sehr nützlich für die befreite Leistung ist (EuGH-Urteil vom 1.12.2005 Rs. C-394/04 u.a. Ygeia, HFR 2006, 217; siehe auch Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 1. Auflage 2018, § 8 Rn. 280).
75Die Tatbestände in Art. 132 MwStSystRL sind als Ausnahme von der Grundregel, dass jede Dienstleistung, die ein Unternehmer gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt, grundsätzlich eng auszulegen. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht, und mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden. Die Tatbestände sind also nicht in einer Weise auszulegen, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (EuGH-Urteil vom 13.2.2022 Rs. C-513/20 Termas Sulfurosas de Alcafach, HFR 2022, 284, m.w.N.). Zweck der Steuerbefreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ist es, für bestimmte im sozialen Sektor erbrachte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, eine günstigere Mehrwertsteuerbehandlung zu gewähren, die darauf abzielt, die Kosten dieser Leistungen zu senken und dadurch diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspruch nehmen könnte, zugänglicher zu machen (EuGH-Urteil vom 8.10.2020 Rs. C-657/19 Finanzamt D, BFH/NV 2021, 174). Bei der Frage, ob „eng verbundene Umsätze“ i.S.d. Art. 132 MwStSystRL vorliegen, ist daher nach der Rechtsprechung des EuGH zur Vermeidung einer unnötigen Belastung der Leistungen mit Umsatzsteuer keine „besonders enge Auslegung“ vorzunehmen, um den Zugang zu solchen Leistungen nicht wegen höherer Kosten zu versperren, die entstünden, wenn die Leistungen der Umsatzsteuer unterlägen (vgl. zu mit Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Behandlungen eng verbundenen Umsätzen EuGH-Urteile vom 11.1.2001 Rs. C-76/99 Kommission / Frankreich, HFR 2001, 386; vom 21.3.2013 Rs. C-91/12 PFC Clinic, HFR 2013, 458; vgl. auch FG Münster, Urteil vom 23.3.2023 5 K 2867/20 U, EFG 2023, 1099).
76Die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als soziale Einrichtung werden in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht festgelegt. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 8.10.2020 Rs. C-657/19 Finanzamt D, BFH/NV 2021, 174; BFH-Urteil vom 28.6.2017 XI R 23/14, BFHE 258, 517). Zu den im Einklang mit dem Unionsrecht für die Anerkennung als soziale Einrichtung maßgeblichen Gesichtspunkten gehört u.a. die Übernahme der Kosten für die fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 7.12.2016 XI R 5/15, BFHE 256, 550; vom 28.6.2017 XI R 23/14, BFHE 258, 517, jeweils m.w.N. auch zur EuGH-Rechtsprechung).
77Als hilfsbedürftig i.S.d. § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG a.F. galten im Streitzeitraum alle Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands der Betreuung oder Pflege bedurften (vgl. BFH-Urteil vom 13.6.2018 XI R 20/16, BFHE 262, 200, BStBl. II 2023, 786).
78Unter den Begriff der Betreuung und Pflege fallen z.B. die Leistungen für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, bei teilstationärer oder stationärer Aufnahme auch die Unterbringung und Verpflegung. Leistungen der Betreuung hilfsbedürftiger Personen sind zudem auch Leistungen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Hierzu zählen auch Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie sie etwa von WfbM und deren angegliederte Einrichtungen erbracht werden (BT-Drucks. 16/11108, S. 37; vgl. auch BFH-Urteil vom 13.6.2018 XI R 20/16, BFHE 262, 200, BStBl. II 2023, 786). Der mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (BGBl. I 2015, 2424) neu eingeführte Begriff der Pflegebedürftigkeit galt im Streitzeitraum noch nicht.
79Diese Voraussetzungen sind im Streitfall in Bezug auf die Betreuungsleistungen der Klägerin gegenüber ihren Beschäftigten im Rahmen ihrer Tätigkeit in der WfbM erfüllt.
80bb. Dass die Klägerin im Streitzeitraum als WfbM i.S.d. § 142 SGB IX a.F. anerkannt ist und damit in den personellen Anwendungsbereich der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG fällt, ist offenkundig und zwischen den Beteiligten unstreitig, sodass das Gericht von weiteren Ausführungen hierzu absieht.
81cc. Die Klägerin erbringt mit der Betreuung der Beschäftigten in der WfbM Leistungen, die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden sind. Bei den Beförderungsleistungen der Klägerin im sog. Los xx handelt es sich um eine Nebenleistung zu der Betreuungsleistung, die die Klägerin an die in den WfbM tätigen Beschäftigten erbringt.
82(1) Die von der Klägerin in der WfbM an die dort Beschäftigten erbrachten Leistungen (vgl. §§ 33 ff. SGB IX a.F., insb. § 39 SGB IX a.F. und § 41 Abs. 1 bis 3 SGB IX a.F.) sind – das ist zwischen den Beteiligten unstreitig – „eng verbunden“ i.S.d. § 4 Nr. 16 UStG mit der Betreuung von körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftigen Personen.
83Die WfbM ist gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung dieser Menschen in das Arbeitsleben.
84Zu den – nicht notwendiger Weise durch eine WfbM erbrachten – Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen zur Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. § 33 Abs. 1 SGB IX a.F.) gehören gemäß § 33 Abs. 3 SGB IX a.F. insbesondere
85Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung,
Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung,
individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen unterstützter Beschäftigung,
berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen,
berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden,
ein Gründungszuschuss entsprechend § 93 des Dritten Buches durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5,
sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.
Die Leistungen umfassen gemäß § 33 Abs. 6 SGB IX a.F. auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten.
94Die WfbM hat gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F. denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art und Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten. Die Leistungen in WfbM werden erbracht, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern (§ 39 SGB IX a.F. i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F.). Im Arbeitsbereich einer WfbM erhalten die Beschäftigten gemäß § 41 Abs. 2 SGB IX a.F. Leistungen, die auf die
95Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung,
Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie
Förderung des Übergangs geeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen
gerichtet sind.
100Der in diesem Rahmen bei Aufnahme in die WfbM zwischen dem jeweiligen Beschäftigten und der WfbM geschlossene Werkstattvertrag ist kein Arbeitsvertrag, sondern er begründet ein arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis eigener Art (vgl. § 138 Abs. 1 SGB IX a.F.). Es verpflichtet die WfbM, zugunsten des Beschäftigten Leistungen i.S.d. § 136 Abs. 1 SGB IX a.F. zu erbringen, und es verpflichtet den Beschäftigten, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihm seine Behinderung gibt, gewisse Arbeitsleistungen zu erbringen (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.1.2009 9 Sa 60/08, juris). Die von der WfbM – im Streitfall der Klägerin – in diesem Zusammenhang an die Beschäftigten erbrachten Leistungen stellen Umsätze i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG dar, deren jeweiliger Inhalt sich nach den sozialrechtlichen Vorgaben und Zwecken richtet.
101(2) Die Beförderung der Beschäftigten im Los xx von ihren Wohnungen zur WfbM und von der WfbM zu ihren Wohnungen sind Bestandteil einer einheitlichen Leistung, die sich aus den Betreuungsleistungen der WfbM gegenüber ihren Beschäftigten (siehe oben I.1.a.cc.(1)) und den Beförderungsleistungen zusammensetzt. Die Beförderungsleistungen stellen hierbei Nebenleistungen zu den Betreuungsleistungen der Werkstatt dar, die das umsatzsteuerliche Schicksal dieser Hauptleistung teilen.
102Zwar ist umsatzsteuerlich jede erbrachte Leistung im Grundsatz separat zu würdigen (EuGH-Urteil vom 2.7.2020 Rs. C-231/19 Blackrock Investment Management [UK], BFH/NV 2020, 1231 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EuGH darf jedoch im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstellt, nicht künstlich aufgespalten werden (EuGH-Urteile vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 Card Protection Plan Ltd, HFR 1999, 421; vom 4.3.2021 Rs. C-581/19 Frenetikexito, BFH/NV 2021, 749; BFH-Urteil vom 17.7.2024 XI R 8/21, BFH/NV 2024, 1397). Deshalb liegt eine einheitliche Leistung dann vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Leistungsempfänger so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. EuGH-Urteile vom 4.3.2021 Rs. C-581/19 Frenetikexito, BFH/NV 2021, 749; vom 2.7.2020 Rs. C-231/19, Blackrock Investment Management [UK], BFH/NV 2020, 1231; BFH-Urteile vom 19.4.2012 V R 35/11, BFH/NV 2012, 1834; vom 17.7.2024 XI R 8/21, BFH/NV 2024, 1397). Eine einheitliche Leistung setzt voraus, dass die verschiedenen Leistungen, aus denen sich das Leistungsbündel zusammensetzt, innerhalb eines einzelnen, personenidentischen Leistungsaustauschs i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erbracht werden (vgl. im Einzelnen EuGH-Urteil vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 Card Protection Plan, HFR 1999, 421; BFH-Urteile vom 31.5.2001 V R 97/98, BStBl. II 2001, 658; vom 9.10.2002 V R 5/02, BStBl. II 2004, 470). Ob die Voraussetzungen einer einheitlichen Leistung erfüllt sind, ist von dem nationalen Gericht zu beurteilen (EuGH-Urteil vom 4.5.2023 Rs. C-516/21 Finanzamt X () und machines fixés à demeure, BFH/NV 2023, 943).
103(a) Im Streitfall stellen die Betreuung sowie die Beförderung der Beschäftigten im Rahmen des Loses xx einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang dar, der umsatzsteuerrechtlich einheitlich zu beurteilen ist.
104Bei der Beurteilung, ob ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang vorliegt, der sich aus mehreren Leistungen zusammensetzt, oder mehrere Leistungen umsatzsteuerlich separat zu beurteilen sind, ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, wobei die charakteristischen Merkmale des betreffenden Umsatzes zu ermitteln sind (vgl. EuGH-Urteile vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 Card Protection Plan, HFR 1999, 421; vom 16.4.2015 Rs. C-42/14 Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, HFR 2015, 615; vom 18.1.2018 Rs. C-463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252, m.w.N.; BFH-Urteil vom 17.7.2024 XI R 8/21, BFH/NV 2024, 1397). Maßgebend ist die Verkehrsauffassung unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles und des Interesses des Leistungsempfängers (EuGH-Urteile vom 19.11.2009 Rs. C-461/08 Don Bosco, BFH/NV 2010, 25; vom 8.12.2016 Rs. C-208/15, Stock ’94, HFR 2017, 81). Dabei haben vereinbarte separate Preise oder ein Gesamtpreis nur eine Indizwirkung (EuGH-Urteil vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 Card Protection Plan Ltd, HFR 1999, 421; vom 17.1.2013 Rs. C-224/11 BGZ Leasing, HFR 2013, 270). Formale Aspekte, wie die Bezeichnung durch die Parteien oder die Aufteilung auf zwei Vertragsurkunden, sind von untergeordneter Bedeutung (EuGH-Urteil vom 19.11.2009 Rs. C-461/08 Don Bosco, BFH/NV 2010, 25).
105Ein wirtschaftlicher Vorgang stellt insbesondere dann eine einheitliche Leistung dar, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile dagegen als Nebenleistungen anzusehen sind (EuGH-Urteile vom 27.10.2005 Rs. C-41/04 Levob Verzekeringen und OV Bank, HFR 2006, 95; vom 25.2.1999 Rs. C-349/96 Card Protection Plan, HFR 1999, 421; vom 4.3.2021 Rs. C-581/19 Frenetikexito, BFH/NV 2021, 749; BFH-Urteil vom 19.4.2012 V R 35/11, BFH/NV 2012, 1834). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das erste in diesem Zusammenhang zu berücksichtigende Kriterium für eine Nebenleistung, dass aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ein eigenständiger Zweck der Leistung fehlt. So ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das zweite Kriterium zielt ab auf die Berücksichtigung des jeweiligen Wertes jeder der Leistungen, aus denen sich der wirtschaftliche Vorgang zusammensetzt, wobei sich der eine im Verhältnis zum anderen als gering oder gar marginal herausstellt (EuGH-Urteile vom 4.3.2021 Rs. C‑581/19 Frenetikexito, BFH/NV 2021, 749; vom 25.3.2021 Rs. C-907/19 Q-GmbH, HFR 2021, 626; vom 4.5.2023 Rs. C-516/21 Finanzamt X () und machines fixés à demeure, BFH/NV 2023, 943; vgl. auch BFH-Urteil vom 10.1.2024 XI R 11/23 (XI R 34/20), BStBl. II 2024, 601). Die Beurteilung, ob die einzelnen Leistungsbestandteile einer einheitlichen Leistung eine Haupt- oder eine Nebenleistung darstellen, obliegt dem nationalen Gericht (EuGH-Urteil vom 4.5.2023 Rs. C-516/21 Finanzamt X () und machines fixés à demeure, BFH/NV 2023, 943).
106Im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung gilt das sog. Primat der Hauptleistung. Das bedeutet, dass bei einer Leistung, bei der ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile dagegen als Nebenleistungen anzusehen sind, die Nebenleistung das umsatzsteuerliche Schicksal der Hauptleistung teilt (EuGH-Urteile vom 4.3.2021 Rs. C‑581/19 Frenetikexito, BFH/NV 2021, 749, m.w.N.; vom 25.3.2021 Rs. C‑907/19 Q-GmbH, HFR 2021, 626). Die Nebenleistung erfährt also umsatzsteuerlich keine separate Würdigung, sondern wird in umsatzsteuerlicher Hinsicht nach dem Inhalt der Hauptleistung beurteilt (EuGH-Urteile vom 8.12.2016 Rs. C-208/15 Stock ’94, HFR 2017, 81; vom 25.3.2021 Rs. C-907/19 Q-GmbH, HFR 2021, 626).
107(b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die streitgegenständlichen Beförderungsleistungen im Los xx als Nebenleistung zu den Betreuungsleistungen anzusehen, die als Hauptleistung für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung maßgeblich sind.
108(aa) Die Beförderung der Beschäftigten im Los xx vermittelt diesen einen wirtschaftlichen Vorteil und stellt damit, ebenso wie die Betreuung der Beschäftigten in den WfbM, eine Leistung i.S.d. Umsatzsteuerrechts dar. Bei den Transporten der Beschäftigten von den Wohnorten zu den Werkstätten und zurück handelt es sich aus sozialrechtlicher Sicht um übliche Zusatzleistungen zu den im Arbeitsbereich der Werkstätten stattfindenden (wie auch immer gearteten, gegebenenfalls auch niederschwelligen) Betreuungsleistungen, die die Klägerin i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG als Leistende allein gegenüber den Beschäftigten als Leistungsempfänger erbringt (vgl. FG Hessen, Urteil vom 18.10.2018 6 K 1715/17, juris). Der Fahrdienst ist zugleich im Verhältnis der WfbM zu ihren Beschäftigten eine Nebenpflicht im Rahmen des Werkstattvertrages und somit von der Werkstatt auch gegenüber dem Werkstattbeschäftigten direkt geschuldet (Nebe/Ulmer, Zumutbarkeitsgrenzen für die tägliche Fahrzeit in die Werkstatt für behinderte Menschen; Beitrag A5-2016 unter www.reha-recht.de). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Klägerin die in ihrem Namen erbrachten Beförderungsleistungen gegenüber den Beschäftigten durch eigene bzw. selbst geleaste oder gemietete Fahrzeuge oder durch den Hinzukauf von Leistungen anderer Unternehmer, etwa Taxi- und Busunternehmer als Subunternehmer, an die Beschäftigten erbringt. Dass derartige Zusatzleistungen beim Betrieb einer WfbM grundsätzlich üblich und notwendig sind, folgt aus dem Zweck des § 136 Abs. 1 SGB IX a.F. Die Beförderung der Beschäftigten im Los xx zu ihrem Arbeitsplatz in der Werkstatt kommt insoweit die gleiche Funktion zu wie deren Verpflegung, Betreuung und Beaufsichtigung während des gesamten, tageweisen Aufenthaltes vor Ort (vgl. auch FG Hessen, Urteil vom 18.10.2018 6 K 1715/17, juris). Sie dienen letztlich alle dem Zweck, für die Beschäftigten eine Teilhabe am Arbeitsleben zu gewährleisten und zur Eingliederung in das Arbeitsleben.
109(bb) Es ist dabei sozialrechtlich anerkannt, dass die Fahrt- bzw. Wegezeiten zwischen der WfbM und dem Wohnort des Beschäftigten einen angemessenen zeitlichen Umfang nicht überschreiten dürfen sowie in Abhängigkeit von der Dauer der Tätigkeit und den Belastungen durch die Behinderung zu organisieren und gestalten sind (vgl. Pahlen in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Westphal/Krohne, SGB IX, 15. Auflage 2024, § 8 WVO Rn. 2; Jacobs in Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Auflage 2022, § 220 Rn. 10). Ferner kann die Dauer der An- und Abreise für die Motivation des Beschäftigten ausschlaggebend sein (vgl. Nebe/Ulmer, Zumutbarkeitsgrenzen für die tägliche Fahrzeit in die Werkstatt für behinderte Menschen; Beitrag A5-2016 unter www.reha-recht.de). Die Beförderung spielt so für die erfolgreiche Umsetzung des Teilhabeanspruchs der Beschäftigten eine erhebliche Rolle. Der enge Zusammenhang zwischen der Betreuung der Beschäftigten und der Beförderung wird letztlich auch durch die Ausführungen der Klägerseite im Erörterungstermin bestätigt. Herr S führte dort aus, dass zu Beginn der Beschäftigung ein individueller Bedarf bei den einzelnen Beschäftigten ermittelt wird, ob eine Beförderung durchgeführt werden kann bzw. muss, insbesondere auch, ob Hilfestellungen bei der Beförderung notwendig sind. Diese konkreten Bestandsaufnahmen verdeutlichen, dass die Notwendigkeit der Beförderung zum Gesamtkonzept der Betreuungsmaßnahme der WfbM gehört. Entsprechende Bestandsaufnahmen nebst Ermittlung eines Förderungsbedarfs wären nicht notwendig, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den angebotenen Betreuungsleistungen ständen; dann würde es ausreichen, die Beschäftigten auf den Arbeitsort und die Arbeitszeiten hinzuweisen. Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch die Unerlässlichkeit der Beförderungsleistungen i.S.d. Art. 134 Buchst. a MwStSystRL für die Betreuungsleistung; im Übrigen erfolgt die Beförderung der Beschäftigten – wie aus den zuvor genannten Erwägungen ersichtlich – nicht im Wesentlichen zu dem Zweck, zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu erwirtschaften (Art. 134 Buchst. b MwStSystRL).
110(cc) Neben dem engen wirtschaftlich-rechtlichen Zusammenhang liegt auch ein tatsächlicher enger Zusammenhang zwischen der Beförderung der Beschäftigten und ihrer Betreuung in der WfbM vor. Die Beschäftigten nehmen die Betreuungs- und Beförderungsleistung als einheitliches Angebot der WfbM wahr. Es handelt sich aus Sicht der beförderten Beschäftigten um eine tatsächlich einheitlich zusammenhängende Maßnahme, die morgens an ihrem Wohnort beginnt und nach einem Arbeitstag wieder an ihrem Wohnort endet. Wie nämlich die Vertreter der Klägerin im Erörterungstermin erläutert haben, ist den Beschäftigten bereits ersichtlich, dass sie im Los xx verantwortlich von der WfbM abgeholt und auch wieder zurückgebracht werden. Bei Fahrplanänderungen, Störungen und Ähnlichem werden die Beschäftigten nach Auskunft der Klägerin im Erörterungstermin auch von der WfbM kontaktiert, die hierfür Kontakttelefonnummern zusammenstellt. Aus Sicht der in der WfbM Beschäftigten verfolgt ihre Beförderung von der Wohnung zu den Werkstätten und zurück keinen eigenen, von der Betreuung in der WfbM getrennten, wirtschaftlichen Zweck. Denn die Beförderung dient aus ihrer Sicht letztlich nur dazu, eine räumliche Entfernung zu überwinden, um die Hauptleistung, die Betreuung und Unterstützung in der Werkstatt, in Anspruch nehmen zu können. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass der Start- und der Zielort der arbeitstäglichen Beförderung durch die Organisation der Route durch die Klägerin fest vorgegeben sind und in Abhängigkeit davon durchgeführt werden, ob an diesem Tag eine Beschäftigung in der WfbM möglich ist. Eine individuelle Streckenplanung oder individuelle Ziele der Beförderung können die Beschäftigten nicht wählen. Dabei würden die Beschäftigten die Beförderungsleistung insbesondere nicht in Anspruch nehmen, wenn sie nicht in der WfbM Betreuungsleistungen erhalten wollten und sie könnten die Beförderungsleistungen auch nicht außerhalb ihrer Beschäftigung in der WfbM (z.B. um zu anderen Orten zu gelangen) in Anspruch nehmen.
111(dd) Dafür, dass die Beförderungsleistung lediglich eine Nebenleistung darstellt, spricht auch ihre geringe wirtschaftliche Bedeutung im Verhältnis zu den (übrigen) Betreuungsleistungen. So erzielte die Klägerin im Streitzeitraum im Rahmen der Werkstatt Einnahmen aus der Betreuung ihrer Beschäftigten i.H.v. xxx Euro bis zu xxx Euro. Dem stehen (Brutto-)Einnahmen aus der Beförderung im Los xx i.H.v. xxx Euro bis xxx Euro gegenüber. Dies entspricht einem prozentualen Anteil von 1,48 % bis 1,91 %. Selbst wenn man diesen Wert ausgehend von der Tatsache, dass lediglich etwa 10 % der Beschäftigten im Los xx befördert werden, auf 100 % hochrechnet und zugunsten der Klägerin die Beförderung von Beschäftigten im Rollstuhl und Begleitpersonen außen vor lässt, ergäben sich Beförderungsentgelt-Anteile von 14,8 % bis 19,1 %. Die Entgelte für die Beförderungsleistungen bleiben damit deutlich hinter den Entgelten für die übrigen Betreuungsleistungen zurück, was ebenfalls für eine Einordnung der Beförderungsleistung als untergeordnete Nebenleistung spricht.
112(c) Soweit die Klägerin anführt, dass die Beförderungskosten nicht in den Pflegesätzen enthalten seien und aufgrund separater vertraglicher Abreden gezahlt werden, führt dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Wie oben bereits aufgeführt, kann die Vereinbarung verschiedener Preise oder das Festhalten der Leistungen auf verschiedenen Vertragsurkunden zwar ein Indiz dafür darstellen, dass keine einheitliche Leistung vorliegt und vielmehr umsatzsteuerlich von mehreren selbstständigen Leistungen auszugehen ist. Kommen der Vertrags- und der Preisgestaltung bereits im regulären Geschäftsverkehr zwischen leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger nur untergeordnete Bedeutung zu, gilt dies bei Leistungen, die – wie im Streitfall – im sozialversicherungsrechtlichen Dreieck erbracht werden, umso mehr. In einem sozialversicherungsrechtlichen Dreieck wie im Streitfall erbringt die WfbM aus umsatzsteuerlicher Sicht eine Betreuungsleistung an die Beschäftigten. Das Entgelt für diese Leistung zahlen jedoch nicht die Beschäftigten an die WfbM, sondern das Entgelt wird von dem jeweiligen Sozial- bzw. Rehabilitationsträger an die WfbM aufgrund sozialrechtlicher Vorschriften gezahlt. Im Streitfall erhält die Klägerin Zahlungen für die von ihr an die Beschäftigten erbrachten Leistungen vom L. Dabei erhält die Klägerin etwa Zahlungen für Leistungen im Arbeitsbereich gemäß § 41 Abs. 3 SGB IX a.F. nebst einem Arbeitsförderungsgeld gem. § 43 SGB IX a.F. Für die Übernahme von Fahrtkosten sieht § 53 Abs. 4 SGB IX a.F. eine separate Regelung vor. Umsatzsteuerlich handelt es sich bei den vom L geleisteten Zahlungen – sei es für die Leistungen in der Werkstatt oder für die Beförderung im Los xx – um ein Entgelt von dritter Seite gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG a.F. (vgl. BFH-Urteil vom 15.6.1988 V R 137/83, BFH/NV 1989, 263; FG Hamburg, Urteil vom 27.10.2004 VII 52/00, EFG 2005, 406). Die Beschäftigten wiederum erhalten – wie von der Klägerin unwidersprochen vorgetragen – durch den L eine Förderungszusage mit Kostenübernahme für die Betreuungsleistung und ggf. eine Kostenübernahmeerklärung für die Fahrtkosten. Die einzelnen Verträge, die zwischen der Klägerin und dem L geschlossen werden, und die sonstigen Abläufe bleiben den Leistungsempfängern, den Beschäftigten, aber verborgen. Sie sind an den Verträgen nicht beteiligt und haben keinen Einblick in die konkrete vertragliche Gestaltung. Wie sich aus einer beispielhaft übermittelten Leistungszusage für eine Beschäftigte durch den L an die Klägerin ergibt (Bl. 54 der Gerichtsakte), werden die Zusagen für die Übernahme der Betreuungskosten und Fahrtkosten zudem einheitlich erteilt, was wiederum das wirtschaftliche Zusammenhängen beider Maßnahmen verdeutlicht. Die getrennte Berechnung der Vergütungen geht außerdem ausschließlich auf die gesetzliche Regelungstechnik zurück, die den bestehenden wirtschaftlichen Zusammenhang von Betreuungs- und Beförderungsleistung aber nicht aufheben kann. Denn nur aus Gründen des Sozialrechts und aufgrund der Tatsache, dass nicht für jeden Beschäftigten identische bzw. überhaupt Fahrkosten anfallen, bemisst sich die Vergütung für die Betreuung in der Werkstatt gemäß §§ 41 Abs. 3; 43 SGB IX a.F. separat von der Vergütung für die durchgeführte Beförderung, die sich aus § 53 SGB IX a.F. i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 2 SGB IX a.F. und dem zwischen dem L und der Klägerin geschlossenen Vertrag über die Durchführung von Beförderungsleistungen ergibt.
113(d) Soweit die Klägerin anführt, dass es der gesetzgeberischen Wertung widerspreche, wenn sich eine Steuerbefreiung auch auf solche Elemente einer einheitlichen Leistung beziehe, die isoliert betrachtet nicht steuerfrei wären, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Wirkung gerade Sinn und Zweck der Rechtskonstruktion der einheitlichen Leistung ist. So hat der EuGH im Zusammenhang mit einheitlichen Leistungen entschieden, dass eine einheitliche Leistung ein und demselben Steuersatz unterliegen muss: Würde den Mitgliedstaaten allgemein die Möglichkeit eingeräumt, auf die einzelnen Bestandteile einer einheitlichen Leistung die verschiedenen für diese Bestandteile geltenden Steuersätze anzuwenden, führte dies zu einer künstlichen Aufspaltung der Leistung und könnte die Funktionalität des Mehrwertsteuersystems beeinträchtigen (vgl. EuGH-Urteil vom 18.1.2018 Rs. C-463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252, m.w.N.). Diese Argumentation hat der EuGH auch jüngst auf solche einheitlichen Leistungen übertragen, die sich – wie im Streitfall – aus einer steuerfreien Hauptleistung und einer isoliert betrachtet steuerpflichtigen Nebenleistung zusammensetzen: Ist danach die Hauptleistung steuerfrei, die Nebenleistung isoliert betrachtet jedoch steuerpflichtig, ist die Nebenleistung gleichwohl im Rahmen des Grundsatzes der Einheitlichkeit Leistung als steuerfrei zu behandeln (vgl. EuGH-Urteil vom 4.5.2023 Rs. C-516/21 Finanzamt X () und machines fixés à demeure, BFH/NV 2023, 943). Nichts anderes gilt im Streitfall.
114Im Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG kommt außerdem hinzu, dass das Gesetz nach dem im Streitzeitraum geltenden Wortlaut die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen „eng verbundenen Leistungen“ als steuerfrei erklärt. Eine vergleichbare Formulierung enthält auch Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Bei den „eng verbundenen Leistungen“ handelt es sich begrifflich um Nebenleistungen, die an den Empfänger der Betreuungsleistung erbracht werden (vgl. BFH, Urteil vom 24.9.2014, V R 19/11, BFHE 247, 369, BStBl. II 2016, 781). Bei einer „eng verbundenen Leistung“ kommt es aber – anders als bei einer (echten) Nebenleistung – nicht darauf an, dass der leistende Unternehmer der Hauptleistung auch der leistende Unternehmer der Nebenleistung ist; erforderlich ist nur, dass der Empfänger der „eng verbundenen“ Leistungen identisch ist (vgl. zu der gleichen Formulierung in § 4 Nr. 16 UStG in der in den Jahren 2005 und 2006 geltenden Fassung im Zusammenhang mit Behandlungsleistungen in Krankenhäusern, EuGH-Urteil vom 10.6.2010 Rs. C-262/08 CopyGene, HFR 2010, 886; BFH‑Urteil vom 24.9.2014 V R 19/11, BFHE 247, 369, BStBl. II 2016, 781). Wenn also bereits solche Nebenleistungen von Art. 132 MwStSystRL und § 4 Nr. 16 UStG erfasst sein sollen, die von Unternehmern erbracht werden, die selbst nicht die Betreuungsleistung erbringen, muss dies demnach erst recht für Nebenleistungen des die Bedürftigen betreuenden bzw. pflegenden Unternehmers gelten.
115(e) Auch das Argument der Klägerin, dass die Behandlung der Beförderungsleistung als Teil einer einheitlichen Leistung gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoße, verfängt im Streitfall nicht.
116Der Grundsatz der Neutralität stellt ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar und ist Ausdruck des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Bereich der Mehrwertsteuer. Er lässt es nach ständiger Rechtsprechung insbesondere nicht zu, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (EuGH-Urteile vom 12.9.2024 Rs. C-73/23 Chaudfontaine Loisirs, UR 2024, 767; vom 12.9.2024, C‑741/22 Rs. Casino de Spa u.a., UR 2024, 759; vom 10.11.2011 Rs. C-259/10 u.a. The Rank Group, HFR 2012, 98; vom 27.2.2014 Rs. C-454/12 u.a. Pro Med Logistik und Pongratz, BStBl II 2015, 437, Rn. 52; vom 27.6.2019 Rs. C-597/17 Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u.a., BFH/NV 2019, 1054, Rn. 47, vom 9.9.2021 Rs. C‑406/20 Phantasialand, BFH/NV 2021, 1455, Rn. 37). Die Gleichartigkeit indiziert das Wettbewerbsverhältnis (EuGH-Urteil vom 10.11.2011 Rs. C-259/10 u.a. The Rank Group, HFR 2012, 98).
117Der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer wird aber durch den Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung in einer spezifischen Art und Weise verdrängt, da nunmehr die einheitliche Leistung Beurteilungsgegenstand der umsatzsteuerlichen Bewertung ist und nicht mehr ihre einzelnen (Leistungsbestand-)Teile. Die einheitliche Leistung kann nicht mit der getrennten Erbringung der einzelnen Elemente dieser Leistung verglichen werden (vgl. EuGH-Urteil vom 19.1.2012 Rs. C-117/11 Purple Parking and Airparks Services, Curia). Bei der einheitlichen Leistung verliert die Leistung, die der Gesamtleistung nicht das Gepräge gibt – wie im Streitfall die Beförderungsleistung als Nebenleistung –, ihre umsatzsteuerliche Selbstständigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 24.4.2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl. II 2014, 86); sie existiert für umsatzsteuerliche Zwecke schlicht nicht mehr bzw. muss weggedacht werden. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer kann daher bei einer einheitlichen Leistung nur dann vorliegen, wenn die einheitliche Leistung nach ihrer Gesamtbetrachtung zu einer vergleichbaren (einheitlichen) Leistung unterschiedlich behandelt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 18.1.2018 Rs. C-463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252, m.w.N.). Ein isoliertes Herausgreifen einzelner Leistungen aus der einheitlichen Leistung – wie es die Klägerin im Streitfall im Rahmen ihrer Argumentation für die Beförderungsleistungen macht – ist demnach für Zwecke der Neutralität der Umsatzsteuer ausgeschlossen.
118Dass andere Unternehmer, die vergleichbar zu ihr Betreuungsleistungen nebst Beförderungsleistungen für hilfsbedürftige Menschen anbieten, umsatzsteuerlich anders beurteilt werden als die Klägerin, hat diese nicht vorgetragen.
119b. § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG beinhaltet kein gesetzliches Aufteilungsgebot, das es vorschreibt bzw. gestattet, einheitliche Leistungen aufzuteilen.
120Ein gesetzliches Aufteilungsgebot führt dazu, dass der Grundsatz, dass die (unselbständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, verdrängt wird (BFH-Urteil vom 24.4.2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl. II 2014, 86). Es handelt sich somit um eine Rückausnahme des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung, die allerdings diesen Grundsatz nur mit Blick auf die jeweilige materielle Umsatzsteuernorm durchbricht, für die sie angeordnet ist (vgl. zu unterschiedlichen Steuersätzen für einzelne Leistungsbestandteile EuGH-Urteil vom 6.7.2006, Rs. C‑251/05 Talacre Beach Caravan Sale, HFR 2006, 936). Ein Aufteilungsgebot als Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung muss sich erstens aus der MwStSystRL und zweitens nach den allgemeinen Auslegungsregeln aus der nationalen Regelung ergeben.
121Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.
122aa. Eine Möglichkeit zur Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung im Bereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g UStG ergibt sich nicht aus dem Unionsrecht.
123(1) Es existiert kein allgemeines Recht für die Mitgliedstaaten, einheitliche Leistungen nach Belieben in einzelne, eigenständig zu beurteilende Leistungen aufzuteilen. Der EuGH hat zu unterschiedlichen Steuersätzen von Haupt- und Nebenleistung grundsätzlich entschieden, dass eine Aufteilung gegen das Verbot der künstlichen Aufspaltung einer einheitlichen Leistung verstieße (EuGH-Urteil vom 18.1.2018 Rs. C-463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252). Eine entsprechende Entscheidung hat er jüngst im Bereich von steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen getroffen, wonach bei einer von der Umsatzsteuer befreiten Hauptleistung und einer isoliert betrachtet grundsätzlich nicht unter eine Steuerbefreiung fallenden Nebenleistung die Nebenleistung nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung so zu behandeln ist wie die Hauptleistung, sodass diese im Ergebnis (ebenfalls) steuerfrei ist (EuGH-Urteil vom 4.5.2023, Rs. C‑516/21 Finanzamt X () und machines fixés à demeure, BFH/NV 2023, 943). Eine Aufteilungsmöglichkeit muss sich demnach aus einer speziellen Regelung in der MwStSystRL, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung zulässt, ergeben.
124(2) Soweit die Klägerin – auch nochmals in der mündlichen Verhandlung – das Urteil des EuGH vom 6.5.2010, C-94/09, Kommission / Frankreich, HFR 2010, 781, anführt und hieraus ein weitreichendes Recht der Mitgliedstaaten zur Bestimmung steuerrechtlicher Vergünstigungen in Form von Aufteilungsgeboten auch im Bereich der Steuerbefreiungen ableitet, lässt sich dies dem Urteil nicht entnehmen. Diese konkrete Rechtsprechung bezieht sich nur auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, bestimmte Umsätze ermäßigt statt mit dem Regelsatz zu besteuern (Art. 98 MwStSystRL i.V.m. Anhang III der MwStSystRL) und wird vom EuGH und vom BFH nicht auf die Abgrenzung von steuerpflichtigen und steuerfreien Leistungen bzw. Leistungsbestandteilen übertragen. Der den Mitgliedstaaten im Bereich der fakultativen Steuersatzermäßigungen (vgl. den Wortlaut von Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL: „Die Mitgliedstaaten können…“) zugebilligte Gestaltungsspielraum ist auch systematisch nicht mit den obligatorischen Steuerbefreiungen in Art. 132 MwStSystRL (vgl. den dortigen – imperativen – Wortlaut: „Die Mitgliedstaaten befreien […] von der Steuer“) vergleichbar. Das den Mitgliedstaaten von Art. 98 MwStSystRL zugebilligte Wahlrecht, bestimmte Umsätze mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, soll nicht allgemein durch den Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung ausgehöhlt bzw. eingeengt werden (vgl. EuGH-Urteil vom 6.5.2010 Rs. C‑94/09 Kommission / Frankreich, HFR 2010, 781, Rn. 33, und die bezugnehmende Erläuterung in EuGH-Urteil vom 18.1.2018 Rs. C‑463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252, Rn. 34). Hat der Mitgliedstaat von seinem Wahlrecht nach Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL Gebrauch gemacht, ist für eine differenzierende Beurteilung einer einheitlichen Leistung im Bereich der Steuersätze erforderlich und ausreichend, dass der ermäßigt besteuerte Leistungsbestandteil einen konkreten und spezifischen Aspekt der Kategorie von Leistungen im Sinne der jeweiligen Nummer in Anhang III MwStSystRL darstellt; im Anschluss ist nur noch zu prüfen, ob die Anwendung dieses Mehrwertsteuersatzes gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt (vgl. EuGH-Urteil vom 18.1.2018, Rs. C‑463/16 Stadion Amsterdam, HFR 2018, 252, Rn. 34). Die für die Mitgliedstaaten obligatorischen Steuerfreistellungen, die die MwStSystRL in Art. 132 MwStSystRL anordnet, haben demgegenüber eine andere Funktion und sind grundlegend anders zu beurteilen. Sie dienen dem allgemeinen, übergeordneten und der Disposition der Mitgliedstaaten entzogenen Ziel, den Zugang zu den dort genannten Leistungen nicht durch höhere Kosten zu versperren (vgl. zu mit Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Behandlungen eng verbundenen Umsätzen – heute: Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL – EuGH-Urteile vom 11.1.2001 Rs. C-76/99 Komission / Frankreich, HFR 2001, 386, und vom 21.3.2013 Rs. C-91/12 PFC Clinic, HFR 2013, 458; vgl. auch FG Münster, Urteil vom 23.3.2023 5 K 2867/20 U, EFG 2023, 1099). Ein allgemeines Wahlrecht zur Steuerfreistellung, wie es in Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL enthalten ist, existiert im Bereich des Art. 132 MwStSystRL gerade nicht. Erforderlich ist daher das Vorliegen einer konkreten unionsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung im Anwendungsbereich des Art. 132 MwStSystRL ermöglicht (vgl. BFH-Urteil vom 17.8.2023 V R 7/23 (V R 22/20), BFHE 282, 52).
125(3) Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL räumt den Mitgliedstaaten – entgegen der Auffassung der Klägerin – insoweit kein grundsätzliches Recht zur Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung ein, als die Mitgliedstaaten die Regeln aufstellen müssen, nach denen einer Einrichtung die erforderliche Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter erteilt werden kann (vgl. zu dem Ausgestaltungsrecht EuGH-Urteil vom 8.10.2020 Rs. C-657/19 Finanzamt D, BFH/NV 2021, 174 Rn. 43 f.; BFH-Urteil vom 28.6.2017 XI R 23/14, BFHE 258, 517). Dies ergibt sich bereits daraus, dass – wie die soeben zitierte Rechtsprechung zeigt – die Mitgliedstaaten in diesem Rahmen nur Regeln über die Anerkennung als soziale Einrichtung aufzustellen haben, also eine subjektive Voraussetzung für die Steuerbefreiung regeln dürfen. Den Mitgliedstaaten wird dadurch aber nicht die Möglichkeit eingeräumt, auf Leistungsebene eine einheitliche Leistung aufzuteilen. Es bleibt insoweit bei dem Grundsatz, dass eine von einer anerkannten Einrichtung i.S.d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL erbrachte einheitliche Leistung nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen ist, solange keine spezielle Regelung in der MwStSystRL eine Aufteilung der einheitlichen Leistung gestattet oder anordnet.
126(4) Eine erforderliche spezielle Regelung zur Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung liegt für die Konstellation im Streitfall nicht vor. Sie findet sich zunächst nicht in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Diese Vorschrift besagt lediglich, dass eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von der Steuer freigestellt werden. Auch Art. 133 MwStSystRL enthält keine unionsrechtliche Befugnis zur Durchbrechung des Grundsatzes der einheitlichen Leistungen im Streitfall, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten die Steuerbefreiung u.a. nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL insgesamt (aber nicht punktuell) von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Zuletzt enthält auch Art. 134 MwStSystRL kein Aufteilungsgebot. Dem Regelungsgehalt des Art. 134 MwStSystRL ist bereits bei der Frage, ob es sich bei den Beförderungsleistungen um „eng verbundene“ Umsätze handelt, Rechnung getragen worden (siehe oben I.1.a.cc.(2)(b)(bb)).
127bb. Eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Leistung ergibt sich außerdem nicht aus dem nationalen Recht.
128(1) Der BFH formulierte im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rs. Finanzamt X () und machines fixés à demeure (vom 4.5.2023, C-516/21), dass ein nationales Aufteilungsgebot in Umsetzung einer europarechtlichen Ermächtigung einer gesetzlichen Regelung bedürfe, die in eindeutiger Weise eine solche Aufteilung begründe (BFH-Urteil vom 17.8.2023 V R 7/23 (V R 22/20), BFHE 282, 52; vgl. auch BFH-Urteil vom 10.1.2024 XI R 11/23 (XI R 34/20), BStBl. II 2024, 601). Als Beispiel hierfür nannte der BFH in den zuvor genannten Urteilen § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG in Bezug auf die Übernachtungs- und Frühstücksleistung bei einer einheitlichen Hotel- bzw. Beherbergungsdienstleistung. § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG lautet: „Satz 1 gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind“. Zu § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG heißt es in den Gesetzesmaterialien: „Nicht von der Steuerermäßigung umfasst, da sie nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, sind die Verpflegung, insbesondere das Frühstück, der Zugang zu Kommunikationsnetzen (insbesondere Telefon und Internet), die TV-Nutzung ('pay per view'), die Getränkeversorgung aus der Minibar, Wellnessangebote, Überlassung von Tagungsräumen, sonstige Pauschalangebote usw., auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Beherbergung abgegolten sind“ (BT-Drucks. 17/147, S. 9). Hieraus leitet der BFH ab, dass § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG ein nationales Aufteilungsgebot beinhaltet (BFH-Urteile vom 17.8.2023 V R 7/23 (V R 22/20), BFHE 282, 52; vom 10.1.2024 XI R 11/23 (XI R 34/20), BStBl. II 2024, 601, m.w.N.). Ähnlich formuliert wie § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG ist § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG („Satz 1 gilt nicht für die Lieferung oder Wiederherstellung von Zahnprothesen […]“), woraus der BFH ein Aufteilungsgebot hergeleitet hat (BFH-Urteile vom 28.5.1998 V R 19/96, BFHE 185, 555, BStBl. II 2010, 307; vom 28.11.1996 V R 23/95, BFHE 181, 540, BStBl. II 1999, 251). Der Gesetzgeber hatte insoweit in den Gesetzesmaterialien ausgeführt, dass zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen durch § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG Prothetikumsätze der Zahnärzte identisch zu den vergleichbaren Leistungen der selbstständigen Zahntechniker behandelt werden sollen (BT‑Drucks. 8/1779, S. 34 linke Sp.). Zu § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG („Nicht befreit sind die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen […]) hatte der BFH zunächst auch vertreten, dass die Norm ein Aufteilungsgebot enthalte (BFH-Urteil vom 23.10.2997 V R 36/96, BFHE 185, 71, BStBl. II 1998, 584). Nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. Finanzamt X () und machines fixés à demeure (vom 4.5.2023, C-516/21, BFH/NV 2023, 1386) gab der BFH seine vorherige Rechtsprechung jedoch auf, da § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG nicht in eindeutiger Weise ein Aufteilungsgebot begründe und lediglich der Umsetzung von Art. 135 Abs. 2 Satz 1 MwStSystRL, nicht aber der Ausübung der durch Art. 135 Abs. 2 Satz 2 MwStSystRL eingeräumten Ermächtigung diene (BFH-Urteil vom 17.8.2023 V R 7/23 (V R 22/20), BFHE 282, 52).
129(2) Überträgt man diese Überlegungen und insbesondere auch die Anforderungen an die Eindeutigkeit einer entsprechenden Formulierung zugunsten eines Aufteilungsgebotes auf den Streitfall, sind die Voraussetzungen für ein Aufteilungsgebot, das den Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung durchbricht, durch § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG nicht erfüllt.
130§ 4 Nr. 16 Satz 2 UStG hat zunächst einen grundsätzlich anderen Wortlaut im Vergleich zu § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG und § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG. § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG lautet: „Leistungen im Sinne des Satzes 1 […] sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung bezieht“. Auch bei der näheren Betrachtung der jeweiligen Wortwahl und des jeweiligen Ausdrucks unter Beachtung der Gesetzesmaterialien zeigen sich Unterschiede zwischen § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG sowie § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG einerseits und § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG andererseits: Die Formulierung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG ist aus Sicht des Senates dahingehend zu deuten, dass der Gesetzgeber durch die Einleitung „Satz 1 gilt nicht […]“ und die Bezugnahme auf die Abgeltung mehrerer Leistungen durch ein Entgelt von einer einheitlichen Leistung ausgeht, die durch die Vorschrift aufgeteilt und für Zwecke des Steuersatzes getrennt betrachtet wird. Ansonsten wäre, da anderenfalls der Grundsatz Anwendung fände, dass jede Leistung einzeln zu beurteilen ist, die Formulierung „auch wenn diese Leistung mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten ist“ nicht erforderlich. Eine derartige Bezugnahme auf ein einheitliches Entgelt für den (einheitlichen) Umsatz nimmt der Gesetzgeber in § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG zwar nicht vor, er leitet die Ausnahme von der Steuerbefreiung jedoch ebenso wie bei § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG mit den Worten „Satz 1 gilt nicht […]“ ein, was aus Sicht des Senates in systematischer Hinsicht für ein Aufteilungsgebot spricht. In den Gesetzesmaterialien zu § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 2 UStG (siehe bereits oben: BT‑Drucks. 8/1779, S. 34 linke Sp.) wird zudem der Aufteilungswunsch des Gesetzgebers deutlich, dass Prothetikumsätze eigenständig beurteilt werden sollen, und zwar auch dann, wenn sie Bestandteil einer einheitlichen Behandlungsleistung sind, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen Zahntechnikern und Zahnärzten zu vermeiden. Der Wortlaut des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG lässt demgegenüber nicht erkennen, dass die Norm der Aufteilung einheitlicher Leistungen dienen soll. Es fehlt an der typischen Einleitung „Satz 1 gilt nicht […]“ und auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass eine Aufteilung einheitlicher Leistungen gewollt ist. Im Gegenteil bedient sich der Gesetzgeber in § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG der allgemeinen Formulierung der „Leistung“ und nimmt diese in Bezug. „Leistung“ ist dabei der Oberbegriff für Lieferungen i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG und sonstige Leistungen i.S.d. § 3 Abs. 9 UStG, meint aber nicht exklusiv die Fälle einer einheitlichen Leistung. Dies spricht aus Sicht des Senates ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber durch § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG nur eigenständige Leistungen oder jedenfalls Hauptleistungen unabhängig voneinander beurteilen möchte, die Norm aber nicht auf die selbstständige Beurteilung von Nebenleistungen und damit auf eine Aufteilung von einheitlichen Leistungen abzielt.
131(3) Eine Aufteilung von einheitlichen Leistungen durch § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG ergibt sich letztlich auch nicht mit Blick auf die Gesetzesmaterialien zu § 4 Nr. 16 UStG. Darin ist als Beispiel für einen Anwendungsfall des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG genannt, dass ein Unternehmer, der Leistungen in verschiedenen Bereichen erbringt, z.B. neben einem zugelassenen Pflegeheim auch einen Integrationsfachdienst betreibt, auch für den zweiten Bereich die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gesondert nachzuweisen habe (BT-Drucks. 16/11108, S. 38). Diese Formulierung macht aus Sicht des Senates deutlich, dass die Norm gerade keine Anwendung auf einheitliche Leistungen innerhalb eines Leistungsbereiches – etwa wie im Streitfall der Betrieb einer WfbM – finden soll, sondern dann zur Anwendung gelangt, wenn Leistungen in verschiedenen Bereichen der sozialen Fürsorge erbracht werden. Insoweit hat der Wortlaut des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG im Ergebnis sogar einen größeren Anwendungsbereich, da er auch eine Abgrenzung von (Haupt-)Leistungen innerhalb eines Leistungsbereiches ermöglicht, ohne aber hiervon – wie soeben erläutert – auch die Aufteilung von einheitlichen Leistungen zu erfassen. Innerhalb des § 4 UStG findet sich in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Halbsatz 2 UStG eine zu § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG vergleichbare Formulierung, zu der in den Gesetzesmaterialien formuliert ist: „Um auszuschließen, dass eine Einrichtung nach Satz 2 die Steuerbefreiung für einrichtungsfremde Leistungen in Anspruch nimmt, wird die Steuerbefreiung jeweils auf den Bereich der Zulassung, des Vertrages bzw. der Regelung nach dem SGB beschränkt. Dies bedeutet z. B., dass eine Einrichtung, mit der ein Versorgungsvertrag nach § 111 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) besteht, keine steuerfreien Krankenhausbehandlungen erbringen kann, wenn sie nicht auch über eine Zulassung nach § 108 SGB V verfügt.“ Auch diese Regelung soll eine vergleichbare Funktion wie § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG erfüllen (vgl. Hölzer in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 16 Rn. 555) und letztlich solche Leistungen von der Steuerbefreiung ausschließen, die zu einem anderen Bereich der Sozialfürsorge gehören, wie insbesondere auch das Beispiel in den soeben genannten Gesetzesmaterialien verdeutlicht. Eine Aufteilung von einheitlichen Leistungen innerhalb eines Bereiches der Sozialfürsorge ist hiervon aber nicht umfasst.
132c. Selbst dann, wenn § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG – entgegen der Auffassung des Senates – ein Aufteilungsgebot beinhalten würde, führte dies im Streitfall zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Denn es handelt sich bei den durchgeführten Beförderungen im Los xx um Leistungen, auf die sich die Anerkennung nach § 142 SGB IX a.F. bezieht. Anders als die Klägerin meint, beinhaltet § 8 Abs. 4 WVO i.V.m. § 136 SGB IX a.F., § 39 SGB IX a.F., § 41 Abs. 2 SGB IX a.F. und § 137 Abs. 1 SGB IX a.F. die Verpflichtung einer WfbM, in erforderlichen Fällen einen Fahrdienst in eigener Verantwortlichkeit für die Beschäftigten zur Verfügung zu stellen.
133aa. Das Anerkennungsverfahren nach § 142 SGB IX a.F. ist in der WVO näher geregelt. Die WVO geht auf die Verordnungsermächtigung in § 227 Abs. 1 SGB IX bzw. § 144 Abs. 1 SGB IX a.F. (ursprünglich § 55 Abs. 3 Schwerbehindertengesetz (SchwbG), später § 57 Abs. 3 SchwBG (BGBl. I 1986, 1438)) zurück. Danach bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über den Begriff und die Aufgaben der WfbM, die Aufnahmevoraussetzungen, die fachlichen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Wirtschaftsführung, sowie des Begriffs und der Verwendung des Arbeitsergebnisses sowie das Verfahren zur Anerkennung als WfbM. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 WVO können als WfbM nur solche Einrichtungen anerkannt werden, die die in § 136 SGB IX a.F. und im „Ersten Abschnitt“ der WVO gestellten Anforderungen erfüllen. Aus der Formulierung von § 144 Abs. 1 SGB IX a.F., dass „das Nähere“ über den Begriff und die Aufgaben der WfbM durch eine Verordnung bestimmt werde, und aus § 17 Abs. 1 WVO ergibt sich, dass eine Anerkennung als WfbM u.a. nur dann möglich ist, wenn die WfbM die an sie durch das SGB IX gestellten Anforderungen erfüllt. § 17 Abs. 1 WVO besagt nämlich, dass als WfbM nur solche Einrichtungen anerkannt werden, die die in § 219 SGB IX (§ 136 SGB IX a.F.) und im ersten Abschnitt der WVO gestellten Anforderungen erfüllen. § 136 SGB IX a.F. definiert dabei den Begriff und die Aufgaben der WfbM und ist damit auch die Grundlage für die nachfolgenden Bestimmungen in den §§ 137 ff. SGB IX a.F. (siehe zum inhaltsgleichen § 219 SGB IX: Jacobs, in Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Auflage 2022, § 219 Rn. 5). Die Norm verknüpft dabei das Institut bzw. die Einrichtung WfbM mit den Begrifflichkeiten in den §§ 33 ff. SGB IX a.F. (siehe zum inhaltsgleichen § 219 SGB IX und dort zum Verweis auf die §§ 49 ff. SGB IX: Jacobs, in Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Auflage 2022, § 219 Rn. 5 f.)
134Fordert § 136 Abs. 1 SGB IX a.F., dass die WfbM denjenigen behinderten Menschen, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anbietet, und ihnen ermöglicht, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln, setzt dies eine Teilnahmemöglichkeit an den Maßnahmen der WfbM für behinderte Menschen voraus. Daher sieht § 136 Abs. 2 SGB IX a.F. vor, dass die WfbM allen behinderten Menschen im Sinne des § 136 Abs. 1 SGB IX a.F. unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung offen steht, sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen werden. § 137 Abs. 1 SGB IX a.F. sieht hieran anschließend vor, dass WfbM diejenigen behinderten Menschen aus ihrem Einzugsgebiet aufnehmen, die die Aufnahmevoraussetzungen gemäß § 136 Abs. 2 SGB IX a.F. erfüllen, wenn Leistungen durch die Rehabilitationsträger gewährleistet sind. Hieraus ergibt sich für die behinderten Menschen ein Anspruch auf Aufnahme in der WfbM (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen § 220 SGB IX: Kossens, in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 3. Auflage 2023, § 220 Rn. 1; vgl. auch BR-Drucks. 554/79, S. 13). Dieser Anspruch darf denklogisch nicht dadurch vereitelt werden, dass dem behinderten Menschen keine Möglichkeit eingeräumt wird, in einer angemessenen Zeit von seinem Wohnort zu der Werkstatt (und zurück) zu gelangen. Ansonsten würde das Ziel des § 136 SGB IX a.F., Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren bzw. herzustellen, konterkariert. Aus diesem Grund muss das Einzugsgebiet gemäß § 8 Abs. 3 WVO so bemessen sein, dass die WfbM für die Beschäftigten mit öffentlichen oder sonstigen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar ist. An- und Abfahrtszeiten von mehr als 45 Minuten je Fahrt sind dabei in der Regel als nicht zumutbar anzusehen (Jacobs in Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Auflage 2022, § 220 Rn. 10). Hat eine WfbM also ein Einzugsgebiet, das aufgrund seiner Größe oder Lage es den Beschäftigten nicht ermöglicht, in einer angemessen Zeit vom jeweiligen Wohnort zur Werkstatt (und zurück) zu gelangen, oder kann der Beschäftigte aufgrund in seiner Person liegender Gründe nicht selbstständig am Individualverkehr oder ÖPNV teilnehmen, kann eine Teilhabe am Arbeitsleben als grundlegende Aufgabe der WfbM nur sichergestellt werden, wenn dem Beschäftigten anderweitige Verkehrsmittel zur Verfügung gestellt werden, mit denen er die Entfernung zwischen Wohnort und WfbM (und zurück) in angemessener Zeit zurücklegen kann.
135bb. Vor den soeben dargestellten sozialrechtlichen Grundsätzen ist § 8 Abs. 4 WVO zu betrachten. Die Norm besagt: „Die Werkstatt hat im Benehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern, soweit erforderlich, einen Fahrdienst zu organisieren.“ Wenn der gegenüber der WfbM bestehende Anspruch der Beschäftigten auf Teilhabe am Arbeitsleben eine zeitlich angemessen ausgestaltete An- und Abreise der Beschäftigten umfasst und es den Beschäftigten nicht möglich ist, selbstständig diese An- und Abreise zu bewerkstelligen, ist es erforderlich, dass die WfbM einen Fahrdienst in der Weise „organisiert“, dass sie für dessen rechtmäßige Ausgestaltung gegenüber den Beschäftigten (letzt‑)verantwortlich ist; die Klägerin schuldet den Beschäftigten den streitgegenständlichen Beförderungserfolg. Ansonsten würde der Anspruch der Beschäftigten auf Teilhabe am Arbeitsleben unter Umständen ausgehöhlt. Dass dieser Fahrdienst nur „soweit erforderlich“ zu organisieren ist, ist letztlich Ausdruck des Gedankens, dass nur diejenigen Beschäftigten in eigener Verantwortlichkeit durch die WfbM zu befördern sind, bei denen eine individuelle Förderungsbedürftigkeit vorliegt, die einer eigenständigen An- und Abreise entgegensteht. Ein von der Förderungsbedürftigkeit unabhängiger, freiwillig von der Werkstatt angebotener Fahrdienst ist von § 8 Abs. 4 WVO hingegen nicht umfasst. Diese Überlegungen schließen es aus, dass die WfbM – wie die Klägerin argumentiert – „nur“ organisatorisch im Hintergrund tätig ist, sondern sie ist unmittelbar den Beschäftigten gegenüber zu angemessenen Beförderungsmodalitäten verpflichtet (vgl. auch Nebe/Ulmer, Zumutbarkeitsgrenzen für die tägliche Fahrzeit in die Werkstatt für behinderte Menschen; Beitrag A5-2016 unter www.reha-recht.de). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die in einem angemessenen Rahmen durchgeführte Beförderung mittels eigener Fahrzeuge und eigenem Personal der WfbM realisiert wird oder die WfbM auf Subunternehmer, wie externe Bus- und Taxiunternehmen zurückgreift (vgl. wiederum FG Hessen, Urteil vom 18.10.2018 6 K 1715/17, juris). Die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnis spiegelt sich im Tatsächlichen des Streitfalles wider. So haben die Vertreter der Klägerin im Erörterungstermin erläutert, dass die WfbM gegenüber den Beschäftigten als Leistende und für den Transport verantwortliche Person auftritt und sie im Falle einer Störung oder eines Ausfalls Ansprechpartnerin und damit bei lebensnaher Auslegung auch Anspruchsgegnerin ist. Im Streitfall geht der Senat aufgrund des Vortrags der Klägerin im Übrigen davon aus, dass die Tatsache, dass einzelne Beschäftigte im Los xx mit eigenen Linien der Klägerin befördert werden, eine Erforderlichkeit i.S.d. § 8 Abs. 4 WVO indiziert.
136cc. Soweit die Klägerin darüber hinaus der Auffassung ist, dass die Formulierung in § 8 Abs. 4 WVO, nach der sie „im Benehmen“ mit den zuständigen Rehabilitationsträgern einen Fahrdienst organisieren muss, dafür spreche, dass es sich bei den Fahrdiensten um verhandelbare und damit nicht obligatorische Leistungen von ihr, der Klägerin, gegenüber den Beschäftigten handele, ist dem bereits der Wortlaut von § 4 Abs. 1 WVO entgegenzuhalten, wonach die Werkstatt „im Benehmen mit dem im Berufsbildungsbereich und dem im Arbeitsbereich zuständigen Rehabilitationsträger Maßnahmen im Berufsbildungsbereich (Einzelmaßnahmen und Lehrgänge) zur Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsleben unter Einschluss angemessener Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit des behinderten Menschen [durchführt]“. Denn die Leistungen im Berufsbildungsbereich werden gem. § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F. von den Werkstätten gegenüber behinderten Mensch für regelmäßig drei Monate erbracht, sind also obligatorische. Der Wortlaut „im Benehmen“ in der WVO ist daher für die Abgrenzung von obligatorischen und fakultativen Leistungen untauglich. Ein „Benehmen“ mit dem Kostenträger war nach Auffassung des Verordnungsgebers vielmehr vor dem Hintergrund erforderlich, dass die Frage der Notwendigkeit einer Beförderung und der Organisation nicht ohne die Mitwirkung des Kostenträgers erfolgen kann (vgl. BR-Drucks. 554/79, S. 30 noch zu § 7 Abs. 4), was nachvollziehbar ist, da dieser letztlich für die Fahrkosten aufkommen muss (§ 53 SGB IX a.F.).
137d. Auch der Umstand, dass die Formulierung des Eingangshalbsatzes von § 4 Nr. 16 UStG durch das Jahressteuergesetz 2020 (BGBl I 2020, 3096) geändert worden ist, ändert an der rechtlichen Beurteilung im Streitzeitraum nichts. Der Eingangshalbsatz von § 4 Nr. 16 UStG lautet nunmehr „[Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätzen sind steuerfrei:] die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen, die erbracht werden von…“. Nach den Gesetzesmaterialien geht die Änderung des ersten Halbsatzes auf eine Klarstellung mit Blick auf den Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zurück, dass unter den übrigen Voraussetzungen der Norm auch die Leistungen solcher Einrichtungen befreit sein können, die selbst keine Pflege- oder Betreuungsleistungen, sondern lediglich damit eng verbundene Leistungen erbringen (BR‑Drucks. 503/20, S. 129). Im Streitfall erbringt die Klägerin aber bereits Pflege- und Betreuungsleistungen und fällt unabhängig von der Formulierung in der Gesetzesfassung unter den gesetzlichen Tatbestand des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG.
138e. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, die Sache dem EuGH gem. Art. 267 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen. Zum einen ist eine Vorlage nur für letztinstanzliche Gerichte verpflichtend und zum anderen hat der Senat entsprechend den obigen Ausführungen keine entscheidungserheblichen Zweifel an der Vereinbarkeit seiner Auslegung von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f und Nr. 16 Satz 2 UStG mit dem Unionsrecht.
139f. Da die Beförderungsleistungen der Klägerin im Los xx steuerfrei sind, erübrigen sich Ausführungen zu der Frage, ob der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG einschlägig wäre.
1402. Aus im Zusammenhang mit den Beförderungsleistungen stehenden Eingangsumsätzen steht der Klägerin die in den Streitjahren geltend gemachte Vorsteuer i.H.v. xxx Euro (2012), xxx Euro (2013) und xxx Euro nicht zu.
141a. Die Vorschrift des § 15 UStG beruht auf Art. 168 MwStSystRL, wonach der Steuerpflichtige, der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt ist, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen.
142§ 15 UStG ist richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3.7.2008 V R 51/06, BStBl II 2009, 213; vom 15.4.2015 V R 46/13, BStBl II 2015, 947). Eine Leistung wird für das Unternehmen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG nur dann bezogen, wenn sie zur (beabsichtigten) Verwendung für Zwecke einer nachhaltigen und gegen Entgelt ausgeübten Tätigkeit bezogen wird, die grundsätzlich steuerpflichtig sein muss, damit der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 18.4.2012 XI R 14/10, BFH/NV 2012, 1828). Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist der Vorsteuerabzug aus solchen Leistungen ausgeschlossen, die zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet werden. In den Fällen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG tritt gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 UStG ein Ausschluss vom Vorsteuerabzug nicht ein, wenn die Steuerfreiheit auf §§ 4 Nr. 1 bis 7; 25 Abs. 2; 26 Abs. 5 UStG beruht oder die Umsätze nach § 4 Nr. 8 Buchst. a bis g, Nr. 10 oder Nr. 11 UStG steuerfrei sind und sich unmittelbar auf Gegenstände beziehen, die in das Drittlandsgebiet gelangen. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG und § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStG beruhen auf Art. 168 Buchst. a MwStSystRL bzw. Art. 169 MwStSystRL Buchst. b und c MwStSystRL.
143b. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Beförderungsleistungen im Los xx gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Eine Rückausnahme nach § 15 Abs. 3 UStG liegt nicht vor.
144Wie oben (I.1.a. bis d.) ausgeführt, sind die im Los xx durchgeführten Beförderungen der Beschäftigten durch die Klägerin gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG von der Umsatzsteuer befreit. Die Steuerfreiheit des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f UStG ist in § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStG nicht aufgeführt.
145II. Soweit die Klägerin ein Ruhen des Verfahrens wegen der Vorlageverfahren des BFH an den EuGH (BFH-EuGH-Vorlagen vom 10.1.2024 XI R 11/23, BStBl. II 2024, 601; vom 10.1.2024 XI R 13/23, BStBl. II 2024, 608; vom 10.1.2024 XI R 14/23, BStBl. II 2024, 610) begehrt, kommt ein solches nicht in Betracht. Es fehlt bereits an einem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten (zu diesem Erfordernis siehe BFH-Beschluss vom 24.9.2012 VI B 79/12, BFH/NV 2013, 70). Der Beklagte hatte einem Ruhen nicht zugestimmt. Ein Ruhen des Verfahrens wäre auch unabhängig davon nicht zweckmäßig. Die Vorlageverfahren betreffen lediglich Fragen zur Aufteilung von einheitlichen Leistungen in Bezug auf die punktuelle Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und haben daher aus den unter I.1.b.aa.(2) genannten Gründen für den Streitfall keine Bedeutung.
146III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
147IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Fall des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.