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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten für Zwecke der Feststellung des Grundsteuerwerts darüber, ob eine öffentliche, von der Grundsteuer befreite Wegefläche i. S. des § 4 Nr. 3a Grundsteuergesetz (GrStG) vorliegt.
3Die Kläger sind Miteigentümer der wirtschaftlichen Einheit G01 in […] A-Stadt. Dabei handelt es sich grundbuchrechtlich um mehrere Flurstücke, von denen eines mit dem Wohnhaus der Kläger, einem Reihenendhaus an der Ostseite eines Riegels von 9 Reihenhäusern, bebaut ist. Diesen wie auch weiteren Reihenhäusern im Gebiet südlich der D.-straße sind Gemeinschaftsgaragenanlagen zugeordnet. Die mit dem Wohnhaus bebaute Parzelle ist als Flurstück N01 im Grundbuch von A-Stadt, […] verzeichnet. Südlich des Flurstücks N01 verläuft entlang des Gartens der Kläger in west-östlicher Richtung ein Sackgassenarm der F.-straße, der sich im Bereich des Wohngrundstücks der Kläger von einer Straße mit Parkboxen zu einem als Fuß- und Radweg beschilderten Weg verjüngt. Auf der Südseite dieses Sackgassenarmes befindet sich ein weiterer Reihenhausriegel mit sechs Häusern. An diesen grenzt das streitgegenständliche Flurstück N02 östlich an und zwar in etwa gegenüber der westlichen Grundstücksgrenze des Flurstücks N01. Diese 308 qm große Fläche ist ein zunächst nach Süden, dann nach Westen verlaufender schmaler Privatweg, den Radfahrer und Fußgänger nutzen, um auf direktem Wege durch die Siedlung zum Hauptarm der F.-straße zu gelangen und in umgekehrter Richtung den entlang der gesamten Reihenhaussiedlung verlaufenden, breiten, beleuchteten und als solchen gewidmeten Fuß- und Radweg entlang eines Grünstreifens parallel zur K.-straße zu erreichen. Er verläuft zwischen den Gärten des Reihenhausriegels südlich des Sackgassenarms F.-straße auf der einen Seite und neun angrenzenden Gärten eines weiteren, in Nord-Südrichtung ausgerichteten Reihenhausriegels. An beiden Enden des Flurstücks N02 befinden sich rot-weiß markierte, abschließbare Pfähle, die im Ausnahmefall zum Befahren des Weges mit Kraftfahrzeugen entfernt werden können. Der Weg ist weder beschildert noch als Rad- oder Fußgängerweg förmlich gewidmet. Er wird von der Eigentümergemeinschaft, an der die Kläger zu je 1/32 partizipieren, unterhalten und ist in der Planzeichnung zum Bebauungsplan […] in Kraft getreten am 00.00.1974, bauplanungsrechtlich vorgeschrieben. Die Fläche trägt dort die Bezeichnung „GFL“ als eine „mit Geh-, Fahr- u. Leitungsrecht belastete Fläche zugunsten von Anliegern, Gemeinde und Versorgungsträgern“. Für sämtliche genannten Reihenhausriegel setzt der Bebauungsplan die Art der baulichen Nutzung als Allgemeines Wohngebiet fest; ganz überwiegend sieht der Bebauungsplan daneben eine bauliche Nutzung als Reines Wohngebiet vor.
4Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 13.03.2023 über die Feststellung des Grundsteuerwerts für die wirtschaftliche Einheit G01 in […] A-Stadt den Grundstückswert auf den 01.01.2022 auf 376.100 EUR fest. Dabei ging er, der eingereichten Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts folgend, von einer gesamten Grundstücksfläche von 500 qm aus. In dieser Fläche war das Flurstück N02 mit einem Anteil von insgesamt 1/16, d.h. 19 qm, enthalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Die Kläger legten dagegen am 05.04.2023 Einspruch ein mit dem Ziel, die anteilige Wegefläche als von der Grundsteuer befreite, dem öffentlichen Verkehr dienende Fläche nicht mit in die Feststellung einzubeziehen.
5Am 18.07.2024 ist die Klage als Untätigkeitsklage erhoben worden. Der Beklagte hat am 10.10.2024 eine Teil-Einspruchsentscheidung erlassen. Darin hat er den Einspruch hinsichtlich der Grundsteuerpflicht für das Wegegrundstück (Flurstück N02) als unbegründet zurückgewiesen. Im Privateigentum stehende Flächen dienten nur dann i. S. des § 4 Nr. 3a GrStG dem Verkehr, wenn sie – anders als das streitgegenständliche Flurstück – öffentlich-rechtlich für den Verkehr gewidmet seien.
6Die Kläger tragen vor, auf Grund der Planungsvorgaben der Stadt A-Stadt hätten sie bei Erwerb des Flurstücks N01 zugleich das Miteigentum am Flurstück N02 erwerben müssen. Diese Wegefläche werde bei weitem nicht nur von den Eigentümern benutzt. Faktisch handele es sich um eine öffentliche Wegefläche. Indem die Stadt A-Stadt das Flurstück im Bebauungsplan als Wegefläche ausgewiesen habe, habe sie es implizit der Öffentlichkeit gewidmet. Abgesehen davon komme es nach dem BFH-Urteil vom 11.11.1970 III R 55/69 (BStBl. 1971, Seite 32) nicht auf eine etwaige öffentlich-rechtliche Widmung an, sondern allein darauf, dass das Grundstück der Öffentlichkeit zur Benutzung offenstehe und tatsächlich auch von ihr benutzt werde. Dieser Rechtsprechung würden die koordinierten Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 22.06.2022 und auch der Freistaat Bayern folgen.
7Die Kläger beantragen,
8den Bescheid vom 13.03.2023 auf den 01.01.2022 über die Feststellung des Grundsteuerwerts für die wirtschaftliche Einheit G01 in […] A-Stadt in der Fassung der Teileinspruchsentscheidung vom 10.10.2024, dahingehend zu ändern, dass das Flurstück N02 nicht mit angesetzt wird,
9hilfsweise, für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte vertritt die Ansicht, das Tatbestandsmerkmal in § 4 Nr. 3a GrStG „dem öffentlichen Verkehr dienend“ sei nur dann erfüllt, wenn das betreffende Grundstück eine öffentliche Sache im Sinne des Straßen- und Wegerechts sei (§ 6 Straßen- und Wegegesetz NRW). Dass tatsächlich mit Zustimmung des Eigentümers ein öffentlicher Verkehr stattfinde, sei nicht ausreichend, vielmehr bedürfe es einer förmlichen öffentlich-rechtlichen Widmung. Daran fehle es im Streitfall. Private Flächen, die jederzeit durch Maßnahmen der Eigentümer für Nichteigentümer von einer allgemeinen Nutzung ausgeschlossen werden könnten, seien grundsteuerpflichtig.
13Der Senat hat am 09.01.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe
15Die Klage ist unbegründet.
161. Der Bescheid vom 13.03.2023 auf den 01.01.2022 über die Feststellung des Grundsteuerwerts für die wirtschaftliche Einheit G01 in […] A-Stadt in der Fassung der Teileinspruchsentscheidung vom 10.10.2024 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
17Das streitgegenständliche Flurstück N02 gehört nicht zu den von der Grundsteuer befreiten Flächen. Insbesondere ist eine Befreiung nach § 4 Nr. 3a GrStG nicht gegeben.
18Gemäß § 4 Nr. 3a GrStG sind von der Grundsteuer u.a. dem öffentlichen Verkehr dienende Straßen und Wege befreit. In seiner älteren Rechtsprechung ging der BFH vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „dem öffentlichen Verkehr dienend“ nur dann aus, wenn das betreffende Grundstück eine sog. öffentliche Sache im Sinne des Straßen- und Wegerechts war (BFH-Urteile vom 06.03.1991 II R 97/89, BStBl. II 1994, 123; vom 21.06.1989 II R 235/85, BStBl. II 1989, 740). Nicht ausreichend war danach, dass auf den Straßen tatsächlich ein öffentlicher Verkehr mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des Eigentümers stattfand (vgl. auch Knittel in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, 172. Lieferung, 11/2024, § 4 GrStG Rz. 113).
19Nach neuerer BFH-Rechtsprechung, gestützt auf den Wortlaut des § 4 Nr. 3a GrStG, gilt für Verkehrsflächen, Bauwerke und Einrichtungen i.S. des § 4 Nr. 3a GrStG, die unmittelbar und ausschließlich der Erbringung von Verkehrsleistungen dienen, dass diese Grundstücke dem öffentlichen Verkehr auch ohne Widmung dienen. Eine besondere Qualifikation der Verkehrsfläche als "öffentliche Sache" im vom öffentlichen Recht geprägten Sinne ist nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 19/98, BStBl.II 2002, 54 unter ausdrücklicher Aufgabe der alten Rspr., dort Ziff. 18). Jedoch wird dieser Grundsatz bei Grundstücken modifiziert, die zwar unmittelbar dem öffentlichen Verkehr dienen, bei denen das "Dienen" aber mittelbar einen übergeordneten verkehrsfremden Zweck verfolgt, der auf einem anderen (benachbarten) Grundstück verwirklicht wird (z.B. bei Parkflächen für Kunden und Lieferanten von Warenhäusern und Gastronomiebetrieben oder für Betriebsangehörige von Unternehmen). Solch ein Grundstück muss durch Widmung und Indienststellung zu einer (rechtlich) öffentlichen Sache geworden sein, so dass es nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich zur Nutzung durch die Allgemeinheit zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 19/98, BStBl. II 2002, 54).
20Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf den Streitfall dient das Flurstück N02 nicht dem öffentlichen Verkehr i.S. des § 4 Nr. 3a GrStG. Denn auf ihm findet zwar unmittelbar öffentlicher Verkehr statt, indem es der Allgemeinheit zur Nutzung durch Fußgänger oder Radfahrer tatsächlich zur Verfügung steht. Mittelbar indes dient die Verkehrsfläche einem übergeordneten Zweck, nämlich der Wohnnutzung der Grundstücke im Reihenhausgebiet und im gesamten Wohngebiet. Diese übergeordnete Zwecksetzung zeigt sich schon darin, dass bereits die Stadt A-Stadt bei der Bauleitplanung neben den von ihr als Fuß- und Radwege dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Verkehrsflächen entlang der K.-straße das Flurstück N02 als Privatweg vorgesehen hat und der Erwerb einer Parzelle für die Reihenhausbebauung der Kläger nur gekoppelt mit dem anteiligen Miteigentum am streitgegenständlichen Flurstück zulässig war. Das gesamte Verkehrskonzept der Reihenhausbebauung südlich der D.-straße ist – neben der Sackgasse F.-straße als ruhiger Wohnstraße - geprägt durch die Wohnnutzung. Der beleuchtete, geradlinig verlaufende und wesentlich breitere städtische Fuß- und Radweg entlang der K.-straße wird als Hauptweg durch den recht schmalen, unbeleuchteten und verwinkelten streitgegenständlichen Privatweg als Nebenweg ergänzt. Er erlaubt es, trotz der Vielzahl von Reihenhäusern im jeweiligen Bauriegel das Wohngebiet per Rad bzw. zu Fuß ohne große Umwege durchqueren zu können. Das wiederum dient der verbesserten Erreichbarkeit der einzelnen Häuser und ganz allgemein den Zwecken der Wohnbebauung v. a. im Gebiet südlich der D.-straße. Da das Flurstück N02 als Verkehrsfläche mittelbar den übergeordneten Wohnzwecken dient, es jedoch an der dann für Zwecke des § 4 Nr. 3a GrStG erforderlichen förmlichen Widmung fehlt, ist es als Teil der grundsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Einheit G01 in die Bewertung einzubeziehen.
21Soweit die Kläger zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11.11.1970 III R 55/69 (BStBl. II 1971, 32) verweisen, folgt dem der Senat nicht. Diese Rechtsprechung ist durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 25.04.2001 II R 19/98 (BStBl. II 2002, 54) überholt.
222. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
233. Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Da das BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 19/98, BStBl. II 2002, 54, nicht zu einer mittelbar einer Wohnnutzung dienenden Verkehrsfläche ergangen ist, und es in Deutschland eine Vielzahl von nicht förmlich dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wegen und Straßen im Privateigentum mit entsprechender, dienender Zwecksetzung gibt, hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
24[…] […] […]