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Die Umsatzsteuerbescheide für 2018 vom 11. Januar 2022 und für 2019 vom 30. Dezember 2021, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. September 2022, werden dergestalt geändert, dass die Umsatzsteuer auf jeweils 0 EUR festgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob die Klägerin die Kleinunternehmerregelung des § 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) missbräuchlich in Anspruch genommen hat.
3Die Klägerin ist verheiratet mit Herrn K. Gemeinsam haben sie 2 behinderte Kinder, die in den Streitjahren minderjährig waren.
4Die Klägerin arbeitete seit 2007 im Rahmen eines Mini-Jobs als Reinigungskraft und Friedhofsgärtnerin bei der Kirchengemeinde St. N in S-Stadt mit einem wöchentlichen Umfang von 7 Stunden. Im Februar 2016 meldete sie ein Gewerbe „Grabpflege und Grabgestaltung“ als Einzelunternehmerin an, nachdem der örtliche Bestattungsunternehmer in S-Stadt verstorben war und der Bereich Grabpflege und Grabgestaltung vom Nachfolgeunternehmen nicht mehr in dem vorherigen Umfang angeboten wurde.
5Der Ehemann der Klägerin arbeitete im Rahmen einer nichtselbständigen Tätigkeit bei der …. Zudem war er seit 2005 im Rahmen eines Mini-Jobs für die Kirchengemeinde St. N mit einem wöchentlichen Umfang von 6 Stunden tätig, wobei er sich um die Pflege von Außenanlagen kümmerte. Im September 2016 meldete er ebenfalls ein Gewerbe „Grabpflege und Grabgestaltung“ an.
6Die Klägerin erzielte im Jahr 2017 einen Umsatz in Höhe von (unter 17.500) EUR, in 2018 in Höhe von (unter 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (unter 17.500) EUR. Der Ehemann der Klägerin erzielte im Jahr 2017 einen Umsatz in Höhe von (unter 17.500) EUR, in 2018 in Höhe von (unter 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (unter 17.500) EUR. Beide Ehegatten beantragten jeweils beim Beklagten, ab Beginn ihrer Tätigkeit die Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG anzuwenden.
7Die Klägerin gab ihre Umsatzsteuerklärungen für 2017 am 7. Mai 2018, für 2018 am 1. Juli 2019 und für 2019 am 16. September 2020 ab. Darin erklärte sie Umsätze in 2017 in Höhe von (unter 17.500) EUR, in 2018 in Höhe von (unter 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (unter 17.500) EUR. Ihr Ehemann erklärte in seinen Umsatzsteuererklärungen Umsätze in 2017 in Höhe von (unter 17.500) EUR, in 2018 in Höhe von (unter 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (unter 17.500) EUR. Beide Eheleute nahmen in ihren Umsatzsteuererklärungen die Kleinunternehmerregelung in Anspruch.
8Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Klägerin für die Jahre 2017 bis 2019 trafen die Prüfer im Wesentlichen folgende Feststellungen:
9• Die beiden Einzelunternehmen hätten ihren Sitz jeweils an der privaten Anschrift der Ehegatten. Es gebe keine getrennten Geschäftsräume, beide würden die Tätigkeit im gleichen Arbeitszimmer ausüben. Für Telefonate nutzten beide den privaten Festnetzanschluss.
10• Für Rechnungen beider Unternehmen werde ein und derselbe WORD-Vordruck mit dem gleichen Firmenlogo verwendet, allerdings würden eigene Rechnungs- und Kundennummern bestehen.
11• Die Buchführung der beiden Unternehmen sei nicht sauber getrennt. In der Buchführung des Ehemanns der Klägerin seien Eingangsrechnungen enthalten, die auf die Klägerin ausgestellt worden seien, so z.B. Eingangsrechnungen der Fa. T.. Auch eine Rechnung von der Fa. T. an die Klägerin sei aus der Kasse des Ehemanns der Klägerin gezahlt worden.
12• Die beiden Einzelunternehmer hätten über Jahre hinweg einen gemeinsamen Kundenkreis, den sie betreuten. Auffällig sei hierbei, dass Leistungen an gleiche Kunden von beiden abwechselnd und zeitversetzt ausgeführt würden. Es sei nicht fremdüblich, dass ein Kunde zwei verschiedene Unternehmen zur Grabpflege/-gestaltung beauftrage, obwohl ein Unternehmen für Grabgestaltung und Grabpflege grundsätzlich die Tätigkeit rund ums Grab auch „aus einer Hand" erledigen könnte.
13• In der Buchführung würden Rechnungen auftauchen, die allgemein und einheitlich an die Firma K bzw. Grabgestaltung K adressiert seien. Eine genaue Zuordnung zum Ehemann oder der Ehefrau werde nicht vorgenommen.
14• Der Anhänger sei dem Betriebsvermögen der Klägerin zugeordnet. Es sei aber offensichtlich, dass auch der Ehemann für seine Tätigkeiten (lt. Rechnungen hauptsächlich handwerkliche Arbeiten an den Gräbern) zwingend den Anhänger benötige, um Materialien und Werkzeuge zum Friedhof zu befördern. Nutzungsentgelte würden nicht weiter berechnet. Im Ortstermin hätten beide Eheleute die gemeinsame Nutzung des Anhängers bestätigt.
15• Sowohl der betriebliche Anhänger als auch das Werbeschild am eigenen Gartentor weise den Schriftzug „K Grabgestaltung und Grabpflege" aus. Auch der Internetauftritt der Kirchengemeinde St. N gehe von einem einheitlichen Gewerbebetrieb der Eheleute K aus. Unter der Rubrik Friedhofsgärtner würden die beiden Eheleute gemeinsam aufgeführt.
16• Bei der Betriebsbesichtigung hätten die Ehegatten ausgeführt, dass Frau K für die Grabpflege und Herr K für die Grabgestaltung zuständig seien. Anhand der vorgefundenen Rechnungen hätten allerdings beide Ehegatten sowohl die Grabpflege als auch die Grabgestaltung ausgeübt.
17• Als im Rahmen der Ortsbesichtigung nach dem Grund der zweiten Gewerbeanmeldung gefragt worden sei, habe der Ehemann der Klägerin geantwortet, dass der Arbeitsumfang für die Klägerin zu groß geworden sei und er das Gewerbe angemeldet habe, um die Umsatzgrenze bei der Mehrwertsteuer nicht zu überschreiten.
18Die Prüfer folgerten hieraus zunächst, dass ein einheitliches Unternehmen im Sinne des Umsatzsteuergesetzes vorliege. Die Anmeldung des zweiten Gewerbes durch den Ehemann der Klägerin sei ausschließlich mit dem Ziel erfolgt, die Umsatzgrenzen für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nicht zu überschreiten. Gleichwohl waren die Prüfer der Auffassung, dass jeweils eine gesonderte Festsetzung der Umsatzsteuer bei den Ehegatten vorzunehmen sei. Dabei waren sie der Meinung, dass die jeweilige Anwendung der Kleinunternehmerregelung teleologisch zu reduzieren und im Ergebnis zu versagen sei, weil eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität ferne Gestaltung vorliege. Die getrennten, aber inhaltsgleichen Gewerbeanmeldungen für die Ehegatten seien allenfalls ein Indiz für eine umsatzsteuerrechtlich gewollte eigenständige Tätigkeit, diese werde aber durch eine Vielzahl der anderen belastenden Indizien entkräftet. Die Anmeldung des zweiten Gewerbebetriebes und die damit zusammenhängende abweichende Zuordnung der erbrachten Umsätze seien ausschließlich mit dem Ziel erfolgt, die Umsatzgrenzen für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des zuerst angemeldeten Unternehmens nicht zu überschreiten. Bei einer zusammenhängenden Betrachtung der Unternehmen würden sich ein „Gesamtumsatz K“ in 2018 in Höhe von (über 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (über 17.500) EUR ergeben. Der so ermittelte „Gesamtumsatz" habe in den Jahren 2018 und 2019 die Grenze der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG überschritten. Daher sei nach Auffassung der Prüfer die Anwendung der Kleinunternehmerregelung bei der Klägerin und bei ihrem Ehemann in den Jahren 2018 und 2019 zu versagen. Die Prüfer teilten sodann den Gesamtumsatz wieder auf die Klägerin und ihren Ehemann auf, indem sie ihnen jeweils als Einzelunternehmer die zuvor von ihnen getrennt erklärten Umsätze zurechneten und diese unter Herausrechnung der Umsatzsteuer und unter Beachtung der im Schriftsatz vom 25. November 2021 erklärten Umsätze zu 7 % und der geltend gemachten Vorsteuern der Besteuerung unterwarfen. Für das Jahr 2017 sei die Kleinunternehmerregelung anzuwenden, weil der Vorjahres(Gesamt-)Umsatz 17.500 EUR nicht überschritten habe und auch nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass der laufende Umsatz in 2018 50.000 EUR überschritten werde.
19Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 13. Dezember 2021 Bezug genommen.
20Mit Bescheiden vom 11. Januar 2022 (für 2018) und vom 30. Dezember 2021 (für 2019) setzte der Beklagte die Feststellungen der Prüfer um. Er setzte bei der Klägerin – auch unter Berücksichtigung von abzugsfähigen Vorsteuern - die Umsatzsteuer für 2018 in Höhe von xxx EUR und die Umsatzsteuer 2019 in Höhe von xxx EUR fest. Ebenfalls erließ der Beklagte geänderte Umsatzsteuerbescheide gegen den Ehemann, die nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind.
21Mit Schreiben vom 27. Januar 2022 (auf dem Briefkopf steht fälschlicherweise: 27. Januar 2021) legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass sie Grabpflegeleistungen im Rahmen von „Daueraufträgen“ erbracht habe, während ihr Ehemann Grabgestaltungen und vereinzelt Schneidarbeiten durchgeführt habe. Wenn vereinzelt eine Pflege- oder Gestaltungstätigkeit durch den anderen Ehegatten erbracht worden sein sollte, sei dies auch unter Fremden üblich und führe nicht direkt zu einem einheitlichen Unternehmen. Der Internetauftritt der Kirchengemeinde St. N gehe entgegen der Behauptungen im BP- Bericht nicht von einem einheitlichen Gewerbebetrieb der Eheleute aus. Die Aussage des Ehemanns der Klägerin im Rahmen der Ortsbesichtigung durch die Prüfer, wonach das zweite Gewerbe angemeldet worden sei, um die Umsatzgrenze bei der Mehrwertsteuer nicht zu überschreiten, sei ihm aufgrund seiner fachlichen Unkenntnis nicht falsch auszulegen.
22Nach der maßgebenden Außendarstellung würde demnach kein einheitliches Unternehmen, sondern es würden zwei getrennte Unternehmen der Ehegatten vorliegen. Auch liege kein „schädliches Gesamtkonzept“ vor. Allein der Umstand, dass sie, die Klägerin, ein Unternehmen mit ähnlicher Tätigkeit angemeldet habe wie ihr Ehemann, reiche für die Annahme einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung nicht aus. Die Anmeldung der beiden Unternehmen sei allein aus außersteuerlichen Gründen erfolgt. Die Klägerin nahm Bezug auf ein Urteil des FG Münster vom 25. Februar 2020 (15 K 61/17 U). Bezüglich der Einzelheiten der Begründung des Einspruchs wird auf das Schreiben vom 27. Januar 2021 Bezug genommen.
23Mit Einspruchsentscheidung vom 22. September 2022 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
24Der Beklagte stimmte in der Einspruchsentscheidung den Ausführungen der Klägerin soweit zu, dass – entgegen der Annahme der Prüfer im Betriebsprüfungsbericht - kein einheitliches Unternehmen der Ehegatten, sondern zwei getrennte Unternehmen vorliegen würden. Gleichwohl bleibe der Beklagte bei seiner Rechtsauffassung, dass eine künstliche Aufteilung einer vollkommen identischen Tätigkeit auf zwei verschiedene Unternehmen mit inhaltsgleicher Tätigkeit vorliege, was dazu führe, dass beiden Unternehmern die Steuerbegünstigung des § 19 UStG abzusprechen sei. Aus dem Unionsrecht folge bereits, dass die Anwendung der Kleinunternehmerregelung eng auszulegen sei, da sie wie eine Steuerbefreiung wirke. So habe der EuGH festgestellt, dass die Gewährung der Steuerfreiheit nur Kleinunternehmer fördern solle, nicht aber solche, die durch Aufsplittung ihrer Tätigkeit auf verschiedene Mitgliedstaaten quasi „unter dem Deckmantel" der jeweils geltenden Kleinunternehmerregelung tätig seien, auch wenn diese Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit den Umfang der Geschäftstätigkeit eines Kleinunternehmens objektiv überschreiten würden (EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2010, Schmelz, C-97/09, Rn. 70). Entsprechend solle die Kleinunternehmerregelung nur denjenigen Unternehmen zugutekommen, die auch tatsächlich in geringem Umfang wirtschaftlich tätig seien (Schlussantrag der Generalanwältin Kokott vom 17. Juni 2010 in der Rechtssache Schmelz, C-97/09, Rn. 35). Bezüglich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
25Am 21. Oktober 2022 hat die Klägerin Klage erhoben.
26Sie ist der Auffassung, dass keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung vorliege. Sie sei durch die ständige Betreuung der Kinder und die vielen Arztbesuche zeitlich stark eingeschränkt gewesen. Zur Finanzierung des Lebensunterhalts der Familie und wegen der räumlich und zeitlich flexibleren Arbeitsmöglichkeiten habe sie sich im Februar 2016 zur Anmeldung des Gewerbes „Grabpflege und Grabgestaltung“ in Form eines Einzelunternehmens entschieden. Als die Nachfrage der Kunden nach Grabgestaltung gestiegen sei, sie dieser Nachfrage aber aufgrund der hiermit verbundenen körperlich schweren Arbeiten (u.a. Bewegung von Grabsteinen), nicht habe nachkommen können, habe ihr Ehemann im September 2016 ebenfalls ein Gewerbe als Einzelunternehmer angemeldet. Fortan sei die Grabpflege von der Klägerin, die Grabgestaltung aber vom Ehemann geleistet worden. Selbstverständlich habe jedoch sie, die Klägerin, im Rahmen der Grabpflege auch mal ein Grab abgeräumt und neu bepflanzt. Im Gegensatz hierzu würden die Arbeiten des Ehemanns aber größere Erdbewegungen und das Versetzen von Grab- bzw. Randsteinen umfassen. Dass beide Unternehmen identische Kunden hätten, liege in der Natur der Sache, weil die Unternehmen sich ergänzen würden. Es hätten außersteuerliche Gründe vorgelegen, die die Aufspaltung des Unternehmens der Klägerin rechtfertigen würden. Insbesondere liege keine konzipierte Aufspaltung und steuerlich motivierte Zuteilung von Umsätzen vor, wie in den Sachverhalten, die den zu dieser Thematik ergangenen Urteilen des Bundesfinanzhofs zugrunde gelegen hätten. Dies könne schon dadurch widerlegt werden, dass die damaligen Umsätze und Gegebenheiten beider Unternehmen bei Gründung weder getrennt voneinander noch gemeinsam die Grenzen der Kleinuntemehmerregelung von damals 17.500 EUR überschritten hätten. Ebenso habe sie 2016 nicht davon ausgehen können, dass im Jahr 2017 die Umsatzgrenze von 50.000 EUR voraussichtlich überschritten werden würde.
27Die Klägerin beantragt,
28die Umsatzsteuerbescheide für 2018 vom 11. Januar 2022 und für 2019 vom 30. Dezember 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. September 2022 dergestalt zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf jeweils 0 EUR festgesetzt wird,
29hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
30Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen,
32hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
33Im Wesentlichen meint der Beklagte, dass die Klägerin und ihr Ehemann die Leistungen auch insgesamt „aus einer Hand“ hätten anbieten können.
34Die Eheleute hätten gleichlautende Gewerbeanmeldungen vorgenommen. Auch habe die Klägerin diverse Abrechnungen für Leistungen wie z. B. „Abräumen der Grabstätte“, „Grabstein entfernen und begradigen“ abgerechnet, während der Ehemann auch Rechnungen über Grabpflege erteilt habe. Es gebe eine Liste von gemeinsamen Kunden der Eheleute. Die Eheleute würden dasselbe Arbeitszimmer und denselben Telefonanschluss im Einfamilienhaus und denselben Anhänger nutzen. Am Carport der Familie hänge ein Werbeschild mit dem Schriftzug „K Grabgestaltung und Grabpflege. Der Ehemann der Klägerin habe auch im Rahmen der Ortsbesichtigung gegenüber den Prüfern geäußert, als er nach dem Grund der zweiten Gewerbeanmeldung befragt wurde, dass der Arbeitsumfang für die Klägerin zu groß geworden sei und er das Gewerbe angemeldet habe, um die Umsatzgrenze bei der Mehrwertsteuer nicht zu überschreiten.
35Am 16. April 2024 hat ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden. Am 8. April 2025 ist mündlich vor dem Senat verhandelt worden. Auf die Protokolle wird Bezug genommen. Ebenfalls wird Bezug genommen auf die vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge.
36Entscheidungsgründe
37I. Die Klage ist begründet.
38Die Umsatzsteuerbescheide für 2018 und für 2019 vom 11. Januar 2022 und 30. Dezember 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 22. September 2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin ist Unternehmerin (1.). Die für ihre Umsätze geschuldete Umsatzsteuer wird aufgrund der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) nicht erhoben (2.). Eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung liegt nicht vor (3.).
391. Die Klägerin – und nicht etwa ein Personenzusammenschluss der Eheleute - ist Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG.
40a) Der Umsatzsteuer unterliegen Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) bestimmt, dass als „Steuerpflichtiger“ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
41Wer die wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausgeübt hat, richtet sich danach, wer die Tätigkeit im eigenen Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und ob er das mit der Ausübung der Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt (vgl. BFH, Beschluss vom 28. August 2023, V B 44/22, BFHE 282, 67).
42§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist nicht auf bestimmte Rechtsformen festgelegt. Neben natürlichen und juristischen Personen kommen auch Personenzusammenschlüsse als Unternehmer in Betracht. So erbringt ein Zusammenschluss natürlicher Personen regelmäßig (nur) dann als selbständiger Unternehmer Leistungen gegen Entgelt, wenn dem Leistungsempfänger diese Personenmehrheit als Schuldner der vereinbarten Leistung und Gläubiger des vereinbarten Entgelts (vgl. § 432 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) gegenübersteht (BFH, Urteil vom 16. August 2001, V R 67/00, BFH/NV 2002, 223). Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist (BFH, Urteile vom 20.Oktober 2016,V R 33/14, BFH/NV 2017, 325 und vom 24. April 2013, XI R 7/11, BStBl II 2013, 648 sowie EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013, C-653/11, Paul Newey, ECLI:EU:C:2013:409, Rn. 43). Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (BFH, Urteile vom 27. September 2018, V R 9/17, BFH/NV 2019, 127 und vom 4. Februar 2015, XI R 14/14, BStBl II 2015, 908 jeweils m.w.N.).
43b) Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin selbständige Unternehmerin. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann sind jeweils für ihre Kunden erkennbar eigenständig nach außen aufgetreten. Sie haben jeweils ein eigenes Gewerbe angemeldet und unter eigenem Namen und in eigener Verantwortung Leistungen gegenüber den Kunden erbracht und – mit jeweils eigener Steuernummer und eigenem Briefkopf – abgerechnet. Die in den jeweiligen Rechnungen der Klägerin und ihres Ehemanns angegebenen Bankverbindungen lauteten jeweils auf den Namen des Rechnungsausstellers. Die Klägerin verwendete – wie auch ihr Ehemann – eigene Rechnungs- und Kundennummern.
44Unerheblich ist, dass die Eheleute dieselbe Anschrift und dieselbe Telefonnummer (Festnetz) in den Rechnungen angegeben haben. Denn hierbei handelte es sich um die Anschrift und die Telefonnummer ihres Einfamilienhauses. Ebenso unerheblich ist, dass sich die Eheleute nach den Feststellungen der Prüfer im Einfamilienhaus ein Arbeitszimmer geteilt haben und zur Erstellung der Rechnungen dieselbe Word-Vorlage verwendet haben. Denn diese Feststellungen sind nicht geeignet, ein anderes Auftreten der Eheleute nach außen zu begründen.
45Ohne Bedeutung ist auch, dass sich die Leistungsangebote der Klägerin und ihres Ehemanns ergänzen und teilweise überschneiden und dass sie teilweise auch identische Kunden hatten. Denn hierbei handelt es sich um marktübliche Vorgänge, die im täglichen Wirtschaftsleben ständig vorkommen. Dass sowohl der Anhänger als auch das Werbeschild am Gartentor des von der Klägerin und ihrem Ehemann bewohnten Einfamilienhauses ein Werbeschild mit der Beschriftung „K Grabgestaltung und Grabpflege“ aufweist, spricht zwar für ein einheitliches Unternehmen der Eheleute, fällt aber demgegenüber nichts ins Gewicht, wovon der Beklagte ausweislich der Einspruchsentscheidung inzwischen auch ausgeht.
46Wenn der Beklagte nicht von zwei unterschiedlichen Unternehmern, sondern von einem einheitlichen Unternehmen der Eheleute ausgegangen wäre, hätte er die Umsatzsteuer gegenüber einem anderen Steuerpflichtigen, einem Personenzusammenschluss, festsetzen müssen. Dann wären die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide gegen die Klägerin insgesamt aufzuheben gewesen.
472. Die für die Umsätze der Klägerin geschuldete Umsatzsteuer wird aufgrund der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben.
48Gemäß § 19 Abs. 1 UStG (in der in den Streitjahren gültigen Fassung) wird von Unternehmern, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebieten ansässig sind, für Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Gesamtumsatz des Vorjahres 17.500 EUR nicht überschritten hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 EUR voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die Regelung des § 19 UStG beruht auf Art. 281 ff. MwStSystRL und ist dementsprechend unionsrechtskonform auszulegen und anzuwenden.
49Diese Voraussetzungen sind – zwischen den Beteiligten unstreitig – erfüllt. Die Klägerin war im Inland ansässig und erzielte im Jahr 2017 einen Umsatz in Höhe von (unter 17.500) EUR, in 2018 in Höhe von (unter 17.500) EUR und in 2019 in Höhe von (unter 17.500) EUR.
503. Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt auch keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung vor.
51a) Ziel der Befreiung der Kleinunternehmen ist eine Verwaltungsvereinfachung für kleine Unternehmen und die Steuerverwaltung (vgl. ausführlich dazu BFH, Urteile vom 11. Juli 2018, XI R 26/17, BFHE 262, 535, Rn. 47 f.; vom 11. Juli 2018, XI R 36/17, HFR 2019, 505, Rn. 38). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung führt eine zweckwidrige Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung zu ihrer Versagung beim leistenden Unternehmer (siehe z. B. BFH, Urteile vom 11. Juli 2018, XI R 36/17, HFR 2019, 505; vom 11. Juli 2018, XI R 26/17, BFHE 262, 535; EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2024, C-171/23, ECLI:EU:C:2024:840). Bei der Beurteilung, ob die Inanspruchnahme zweckwidrig ist, ist aber auch zu beachten, dass ein Steuerpflichtiger nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Recht hat, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält (BFH, Urteil vom 11. Juli 2018, XI R 26/17, BFHE 262, 535, Rn. 63 mit Verweis auf EuGH, Urteile vom 21. Februar 2006, C-255/02, Halifax, EU:C:2006:121, Rn. 73; vom 21. Februar 2008, Part Service, C-425/06, EU:C:2008:108, Rn. 47; vom 22. Dezember 2010, C-103/09, Weald Leasing, EU:C:2010:804, Rn. 27). Dementsprechend macht allein das Bestreben, Steuern zu sparen, eine rechtliche Gestaltung nicht unangemessen, solange die gewählte Gestaltung zumindest auch von beachtlichen außersteuerlichen Gründen bestimmt gewesen ist (BFH, Urteile vom 11. Juli 2018, XI R 26/17, BFHE 262, 535, Rn. 63 m.w.N.). So kann auch eine umsatzsteuerrechtlich vorteilhafte Aufspaltung in verschiedene Unternehmen wirtschaftlich und unternehmerisch durchaus Sinn ergeben (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Mai 2011, 6 K 1649/09, EFG 2011, 1561, Rn. 100, im Ergebnis bestätigt durch BFH, Urteil vom 11. April 2013, V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638, Rn. 29). Demnach liegt eine zweckwidrige Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung nur dann vor, wenn Umsätze planmäßig aufgespalten und künstlich zwischen Unternehmen mit dem Ziel verlagert werden, die Kleinunternehmergrenze jeweils nicht zu überschreiten.
52b) Nach diesen Grundsätzen war eine künstliche Aufspaltung vorliegend nicht zu erkennen. Vielmehr hat die Klägerin in für den Senat nachvollziehbarer Weise außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung dargelegt. So hat sie ausgeführt, dass sie aufgrund der Behinderungen ihrer Kinder den Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten hatte und mit dem Zuverdienst zum Familieneinkommen beitragen wollte. Zum anderen hat sie ausgeführt, dass sie körperlich nicht in der Lage war, Grabsteine zu bewegen und dass diese Tätigkeit – infolge zunehmender Nachfrage – daher von ihrem Ehemann angeboten wurde, während sie sich auf Leistungen der Grabpflege konzentriert hat. Insbesondere haben die Klägerin und ihr Ehemann keine gesonderten Unternehmen – z. B. eine Personengesellschaft – begründet, um Umsätze zu verschieben. Sie haben die Umsätze auch nicht künstlich nacheinander erzielt, um jeweils die Kleinunternehmerbeträge zunächst bei dem einen und sodann bei dem anderen Ehegatten aufzufüllen. Demnach liegt kein Sachverhalt vor, der mit den Sachverhalten vergleichbar ist, die den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs zur missbräuchlichen Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung zugrunde lagen.
53Die von der Klägerin und ihrem Ehemann gewählte Aufteilung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche entspricht nach Auffassung des erkennenden Senats einer zulässigen Steueroptimierung unter Eheleuten (siehe z. B. BFH, Urteile vom 11. April 2013, V R 28/12, Rn. 28 ff.; vom 29. September 2022, V R 29/20, Rn. 42 ff.). Eheleute sind nicht verpflichtet, jeweils selbständige Tätigkeiten in einem Unternehmen zu bündeln und sie „aus einer Hand“ anzubieten. Sie dürfen auch getrennte Unternehmen führen, und zwar auch dann, wenn sie (nur) hierdurch aufgrund der Höhe ihrer erzielten Umsätze in den Anwendungsbereich der Kleinunternehmerregelung fallen, sodass die Äußerung des Ehemanns im Rahmen der Betriebsprüfung, wonach auch eine steuerliche Motivation für die Gestaltung auszumachen wäre, nicht zu einer anderen Bewertung führt.
54Die Sichtweise des Beklagten, wonach die Eheleute die Leistungen „aus einer Hand“ anbieten müssten, würde die Eheleute rein faktisch allein aufgrund ihrer Ehe benachteiligen. Hierin würde auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liegen. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung, was insbesondere bedeutet, dass es Organen der staatlichen Hoheitsgewalt untersagt ist, rechtliche Nachteile gerade an Ehe und Familie zu knüpfen(z. B. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987, 2 BvR 1226/83, BVerfGE 76, 1-83,Rn. 150). Vorliegend geht der Senat davon aus, dass der Beklagte eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung nicht angenommen hätte, wenn die Klägerin und ihr Ehemann nicht verheiratet gewesen wären und im selben Haushalt gelebt hätten, sondern z. B. Nachbarn gewesen wären.
55II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
56III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
57IV. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.