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Der Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 13.12.2024 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung um 4.476,- € gemindert werden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 35 % und der Beklagte zu 65 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Zu entscheiden ist über die anzusetzende Restnutzungsdauer für die Absetzung für Abnutzung (AfA) einer vermieteten Immobilie.
2Der Kläger wird im Streitjahr 2020 allein zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mehrerer Immobilien.
3Mit notariellem Grundstücksaufvertrag vom 12.02.2020 erwarb der Kläger ein 149 qm großes Grundstück mit der postalischen Anschrift B-straße … in C. Das Grundstück ist mit einem ca. 1963 errichteten Mehrfamilienhaus mit vier im Streitjahr vermieteten Wohneinheiten und einer Wohnfläche von insgesamt 213 qm bebaut. Der Kaufpreis betrug 310.000 €. Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten sollten mit Eingang des Kaufpreises bei der Verkäuferin erfolgen, wobei die Vertragsparteien überdies in den Vertrag aufnehmen ließen, dass sie sich für die „interne Abrechnung darüber einig“ seien, dass bereits ab dem 01.01.2020 dem Käufer die Mieten zustünden und dieser mit dem Grundbesitz zusammenhängende Kosten trage. Auf den Grundstückskaufvertrag wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Wann die Verkäuferin den Kaufpreis erhielt, ist nicht bekannt. Die Eintragung des Klägers als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch erfolgte am 27.03.2020.
4In der Einkommensteuererklärung für 2020 erklärte der Kläger aus dem Objekt positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 2.054,45 €, wobei er Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt 12.390 € ab Januar 2020 erklärte. Die damals noch auf § 7 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes a. F. (EStG) gestützte AfA ermittelte er mit 5.919,25 € (295.962,72 € x 2 %). Die Anschaffungskosten des Objektes gab er dabei mit 334.702,72 € an und ordnete diese in Höhe von 38.740,00 dem Grund und Boden und in Höhe von 295.962,72 € dem Gebäude zu.
5Der Beklagte folgte dem nicht. Mit Bescheid vom 29.09.2021 setzte er die Einkommen-steuer für 2020 auf … € fest. In den Erläuterungen zum Bescheid führte er zum Objekt B-straße … aus, dass die Abschreibung wegen des Besitzübergangs im Streitjahr nur zeitanteilig für die Monate März bis Dezember angesetzt werden könne. Überdies betrage die Bemessungsgrundlage – wegen höherer Anschaffungskosten für den Grund und Boden – lediglich 258.190 €. Die (zeitanteilige) AfA betrage daher 4.304 € im Jahr 2020 und in den Folgejahren jeweils 5.164 €.
6Gegen den Bescheid legte der Kläger am 08.10.2021 Einspruch ein. Zur Begründung führte er – neben mehreren inzwischen nicht mehr streitigen Punkten – aus, dass die AfA für das Objekt B-straße … zu niedrig angesetzt worden sei. Sie betrage 5.911,51 €.
7Mit Erörterungsschreiben vom 10.12.2021 wies der Beklagte darauf hin, dass ihm bei der Ermittlung der AfA ein Rechenfehler unterlaufen sei. Die Bemessungsgrundlage betrage 292.825 € (88 % der Anschaffungskosten) und die jährliche AfA 5.856 €. Zum Besitzübergang forderte der Beklagte weitere Nachweise an. Insbesondere, dass der Voreigentümer die noch erhaltenen Mieten des Streitjahres an den Kläger weitergeleitet habe.
8Mit Einspruchsentscheidung vom 24.02.2023 half der Beklagte dem Einspruch wegen hier nicht mehr streitiger Punkte teilweise ab und setzt die Einkommensteuer auf … € fest. Hierbei berücksichtigte er die AfA für das Objekt B-straße … nunmehr in Höhe von 5.176 € (258.772 € x 2 %).
9Mit der am 24.03.2023 erhobenen Klage macht der Kläger unter anderem geltend, dass die AfA für das Objekt B-straße im Streitjahr 12.024 € betrage, da die Bemessungsgrundlage 276.412 € (83,05 % der Anschaffungskosten) und die tatsächliche Restnutzungsdauer des Objektes lediglich 23 Jahre betrage. Die jährliche Abschreibung betrage daher 4,35 % der Anschaffungskosten.
10Hierzu legt er eine Berechnung zur Aufteilung des Grundstückskaufpreises sowie ein Gutachten zur Feststellung der Restnutzungsdauer des Sachverständigen D vom 17.04.2023 vor, auf welches wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Auf den Stichtag 01.02.2020 ermittelt der Gutachter darin eine wirtschaftliche Restnutzungsdauer von 23 Jahren. Das Gutachten beruht im Wesentlichen auf dem „Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer von Wohngebäuden bei Modernisierungen“ gemäß Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 Immobilienwertverordnung (ImmoWertV) und den hierzu gemachten Angaben des Klägers zum Baujahr, zu nachfolgend erfolgten Modernisierungsmaßnahmen und zum Zustand sowie auf den dem Gutachter vom Kläger vorgelegter Unterlagen (Grundbuchauszug vom 30.03.2020, Energieausweis für Wohngebäude vom 01.12.2019, Bauzeichnungen und Fotos). Ein Ortstermin durch den Gutachter erfolgte zunächst nicht.
11Auf dem Deckblatt des Gutachtens gibt der Sachverständige an, ein nach DIN EN ISO/ IEC 17024 zertifizierter Sachverständiger für Immobilienbewertung zu sein. Ferner sei er von der Industrie- und Handelskammer (IHK E) geprüfter und zertifizierter Sachverständiger für Immobilienbewertung. Überdies sei er vom TÜV F geprüfter und zertifizierter Sachkundiger für Bauschäden und Baufehler sowie vom TÜV G geprüfter und zertifizierter Sachkundiger für Schimmelschäden in Innenräumen. Schließlich sei er Mitglied im Deutschen Gutachter- und Sachverständigen-Verband (DGuSV) sowie im Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter (BDSF). Eine freiwillige sachverständige Plausibilitätskontrolle des Gutachtens erfolgte durch die Sachverständige für Immobilienbewertung (IHK E) H. Eine entsprechende Bestätigung ist dem Gutachten beigefügt.
12Zur Begründung der höheren AfA führt der Kläger weiter aus, dass die AfA für das Objekt gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG aufgrund des Gutachtens mit einer Restnutzungsdauer von 23 Jahren zu berechnen sei. Dies folge auch aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22.02.2023 (Bundessteuerblatt – BStBl – I 2023, 332). Maßgeblich sei danach, wie lang ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden könne. Die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls seien im Streitfall vom Sachverständigen geprüft und entsprechend gewürdigt worden. Mit dem Gutachten sei nachgewiesen worden, dass das Gebäude vor Ablauf des üblichen AfA-Zeitraumes objektiv betrachtet wirtschaftlich verbraucht sei. Dabei reiches es auch nach dem BMF-Schreiben aus, dass das Gebäude technisch oder wirtschaftlich verbraucht sei, nicht aber beides kumulativ.
13Irrelevant sei, ob der Sachverständige die Gegebenheiten persönlich vor Ort prüft oder einen Erfüllungsgehilfen beauftragt habe.
14Das Gutachten sei auch hinreichend ausführlich. Aus dem BMF-Schreiben ergebe sich, dass kein Bausubstanzgutachten erforderlich sei. Dies fordere der Beklagte aber, indem er eine noch detailliertere Darstellung des Zustandes des Objektes verlange. Das Gutachten sei auch konkret zur Frage der Restnutzungsdauer erstellt worden. Dass sich der Gutachter hierbei auf die ImmoWertV und AGVGA-Richtlinien gestützt habe, sei zulässig (vgl. Finanzgericht – FG – Münster, 1 K 3840/19 F und 1 K 3841/19 F).
15Zum Gutachten legte der Kläger ferner eine mehrseitige Stellungnahme des Sachverständigen vom 04.08.2023 vor, in welchem er sein Gutachten weiter erläutert und verteidigt. Auf die Stellungnahme wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
16Der Sachverständige, D, sei auch hinreichend zertifiziert. Die Prüfung sei auf Grundlage der Zertifizierungsregeln der ADA InVivi BV – Gesellschaft zur Zertifizierung von Personen und der DIN EN ISO/IEC 17024 erfolgt. Hierzu legt der Kläger ein entsprechendes Zertifikat des Sachverständigen vor, auf welches Bezug genommen wird.
17Im Erörterungstermin vom 23.07.2024 haben sich die Beteiligten – neben zahlreicher weiterer nunmehr nicht mehr streitiger Punkte – dahingehend verständigt, dass die Bemessungsgrundlage für die Abschreibung des Objektes B-straße … – nach dem Abzug von Anschaffungskosten für den Grund und Boden – 266.261 € beträgt und die Abschreibung des Klägers ab dem 01.03.2020 beginnt. Mit Bescheid vom 13.12.2024 hat der Beklagte die anderweitigen Verständigungen aus dem Erörterungstermin umgesetzt und die Einkommensteuer auf nunmehr … € festgesetzt.
18Der Kläger beantragt,
19den Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 13.12.2024 dahingehend zur ändern, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um 4.476 € (266.261 € x 4,35 % / 12 x 10 Monate = 9.652 € statt bisher 5.176 €) gemindert werden.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Zur Begründung führt der Beklagte aus, dass die Abschreibung für das Objekt B-straße … unter Ansatz einer typisierten Restnutzungsdauer von 50 Jahren gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG mit 2 % der Anschaffungskosten für das Gebäude zu ermitteln sei. Zwar könne gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG eine kürzere Nutzungsdauer für die Berechnung der Abschreibung angesetzt werden, wenn die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes weniger als 50 Jahre betrage. Gemäß dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF-Schreiben) vom 22.02.2023 stehe dem Steuerpflichtigen insoweit unter Erbringung eines Einzelnachweises die Option zu, die Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer statt nach typisierten festen AfA-Sätzen vorzunehmen. Im Streitfall habe der Kläger aber eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nicht hinreichend nachgewiesen. Insbesondere seien die im Gutachten verwendeten Modellansätze der ImmoWertV gerade nicht geeignet, eine kürzere Restnutzungsdauer darzustellen. Ferner lasse das Gutachten die Sanierung im Jahr 1993 völlig unbeachtet. Überdies lasse sich dem Gutachten nicht entnehmen, dass eine Besichtigung des Objektes durch den Gutachter stattgefunden habe.
23Weiter sei der Gutachter D kein nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierter Sachverständiger. Seine Akkreditierung sei durch die – in den Niederlanden ansässige – „Ada InViva BV“ erfolgt. Diese sei aber keine akkreditierte Zertifizierungsstelle für die Wertermittlung von Grundstücken. Die Durchführung der Akkreditierung sei ein hoheitlicher Akt. Art. 4 Abs. 1 der Verordnung EG Nr. 765/2008 („Vorschriften über die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten“) regele, dass jeder Mitgliedstaat der EU eine einzige nationale Akkreditierungsstelle zu benennen habe. Die deutsche Akkreditierungsstelle sei die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS). Auf der Grundlage von Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 sei die Europäische Kooperation für Akkreditierung (EA) ins Leben gerufen worden. Zu den Aufgaben der EA zähle die Harmonisierung und Weiterentwicklung des Akkreditierungssystems in Europa. Die EA koordiniere auch das Akkreditierungswesen in Europa einschließlich der regelmäßigen Überwachung. Nach Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 erkennen die nationalen Behörden die Gleichwertigkeit der von nationalen Akkreditierungsstellen erbrachten Dienstleistungen an, sofern sich diese erfolgreich der EA-Überwachung unterzögen. Die EA habe derzeit ca. 50 Mitglieder, die von den nationalen Regierungen offiziell anerkannt seien und den hoheitlichen Akt der Akkreditierung durchführten. Die Niederlande sei Mitglied der EA. Die niederländische Akkreditierungsstelle sei aber die „Raad voor Accreditatie“ (RVA) und nicht die Ada InVivo BV. Eine Akkreditierung dieser Gesellschaft sei nicht ersichtlich.
24Gemäß dem Urteil des BFH vom 23.01.2024 sei für die Schätzung der Nutzungsdauer der Immobilie – wie auch nach dem BMF-Schreiben – (weiterhin) eine sachverständige Begutachtung erforderlich. Nach der Urteilsanmerkung von Dr. Trossen (NWB FAAAJ-66687) bedeute dies in der Praxis, dass für die Geltendmachung der abweichenden Nutzungsdauer nach wie vor ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erforderlich sei, dass sich insbesondere zu den individuellen Gegebenheiten des zu bewertenden Objektes äußert. Da Trossen einen öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter fordere, sei seine Auffassung noch enger als die im BMF-Schreiben genannten Anforderungen.
25Dem Gutachten sei ferner nicht zu folgen, weil der Sachverständige das Objekt nicht besichtigt habe. Dies sei aber erforderlich, da Sachverständige Gutachten in eigener Person zu erstellen hätten. Hierzu zähle auch die persönliche Wahrnehmung eines Ortstermins. Dem BFH-Urteil vom 23.01.2024 lasse sich nichts gegenteiliges entnehmen, denn dort habe ein Ortstermin stattgefunden. Überdies sei eine Ortsbesichtigung nach den jeweils einschlägigen Sachverständigenordnungen (z.B. § 10 der Sachverständigenordnung der Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalen) vorgeschrieben.
26Mit Schreiben vom 21.03.2025 hat der Gutachter mitgeteilt, am gleichen Tage eine nachträgliche Ortsbesichtigung des Objektes B-straße … in C durchgeführt zu haben. Die Immobilie habe dabei den Modernisierungszustand aufgewiesen, den er bereits im Gutachten festgehalten habe. Vom Gutachten abweichende Feststellungen habe er aufgrund des Ortstermins nicht getroffen. Es bleibe bei der im Gutachten festgestellten Restnutzungsdauer.
27Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte verwiesen.
28Der Berichterstatter hat am 27.07.2024 einen Erörterungstermin durchgeführt und der Senat am 02.04.2025 in der Sache mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokolle Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist begründet.
30Der Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 13.12.2024 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung– FGO –). Der Beklagte hat bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung des Objektes B-straße … in C zu Unrecht die typisierte Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG und nicht gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG eine kürzere Nutzungsdauer zugrunde gelegt.
311. Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt (AfA in gleichen Jahresbeträgen, § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG); die Absetzung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Abweichend hiervon bestimmt sich die AfA für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen des § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG; die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG dar (BFH, Urteil vom 28.07.2021 – IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108).
32Nach § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung können anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Nutzungsdauer im gesetzlichen Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung – EStDV –).
33§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG räumt dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein ("können"), ob er sich mit dem typisierten festen AfA-Satz nach Satz 1 der Vorschrift zufriedengibt oder eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer geltend macht (BFH, Urteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19, Rz 20, m.w.N.).
34Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N.).
35Die Darlegungs- und Feststellungslast für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer trägt der Steuerpflichtige (statt vieler Anzinger in Herrmann/Heuer/Raupach – HHR –, § 7 EStG Rz 306). Die Nutzungsdauer ist zu schätzen. Eine solche Schätzung verlangt nach allgemeinen Grundsätzen keine Gewissheit, sondern vielmehr nur größtmögliche Wahrscheinlichkeit (so bereits BFH-Urteil vom 28.09.1971 - VIII R 73/68, BFHE 103, 468, BStBl II 1972, 176). Die Schätzung ist nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt (BFH, Urteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19). Die Würdigung der Schätzungsgrundlagen obliegt im Klageverfahren dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N).
36Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich der Steuerpflichtige zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die gewählte Methode muss über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer – zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – Aufschluss geben. Gerade wegen des Umstands, dass für die Richtigkeit der zu schätzenden Nutzungsdauer nur eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit sprechen muss, würde die Feststellungslast des Steuerpflichtigen überspannt, wenn der Schätzung eine bestimmte Gutachtenmethodik (zum Beispiel Bausubstanzgutachten) oder ein bestimmtes Ermittlungsverfahren zwingend zugrunde liegen müsste. Demzufolge hat der BFH ausdrücklich anerkannt, dass auch eine Gutachtenmethode, durch die die Restnutzungsdauer eines Gebäudes modellhaft wirtschaftlich bestimmt wird, als Nachweis für die Inanspruchnahme des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG genügen kann (BFH, Urteil vom 28.07.2021 - IX R 25/19 und BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823 m.w.N.).
37Der BFH hat überdies bereits entschieden, dass die weitergehenden Anforderungen und Einschränkungen, die die Finanzverwaltung in Rz 23 f. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22.02.2023 (BStBl I 2023, 332) für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer durch Sachverständigengutachten aufstellt, dem Gesetz jedenfalls nicht in Gänze entnehmen lassen. Weder § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG noch § 11c Abs. 1 Satz 1 EStDV geben vor, auf welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, zu schätzen ist. Bereits aus diesem Grund ist die Anweisung des BMF in Rz 24 seines Schreibens, die "bloße Übernahme" einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten reiche als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht aus, nicht tragfähig. Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 (inzwischen § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung vom 14.07.2021 – ImmoWertV 2021 –, BGBl I 2021 2805) ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode (Brandis/Heuermann/Brandis, § 7 EStG Rz 522; Graw, juris PraxisReport Steuerrecht 5/2022, Anm. 3), die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N.).
38Der BFH hat ferner bereits entschieden, dass der Einwand, die nach den Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung ermittelte Gesamtnutzungs- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes führten für Zwecke des § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu "sachgerechten Ergebnissen" (BMF-Schreiben vom 22.02.2023, BStBl I 2023, 332, Rz 24), unbelegt ist (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823). Er berücksichtigt insbesondere nicht, dass trotz einer im Kern modellhaften –sachverständigen – Berechnung der Nutzungsdauer die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls einbezogen werden (Blum/Weiss, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2020, 3, 7). So regelt § 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 ImmoWertV 2010, dass durchgeführte Instandsetzungen oder Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten – mithin individuelle Gegebenheiten – die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen können. Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021 bestimmt über ein Punkteraster-Verfahren, in welchem Umfang die jeweiligen Modernisierungselemente die Restnutzungsdauer abhängig von der Gesamtnutzungsdauer modifizieren. Es handelt sich um eine typisierende Vorgehensweise (Grotherr, Steuern und Bilanzen 2023, 457, 460), die einer steuerrechtlichen Schätzung nicht fremd ist (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N.).
39Ein auf die Vorgaben der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung gestütztes Sachverständigengutachten ist nach der Rechtsprechung des BFH auch geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N). § 4 Abs. 3 Satz 1 ImmoWertV 2021 ordnet eine wirtschaftliche Bestimmung der Restnutzungsdauer an, stellt somit nicht auf den technischen Verschleiß eines Gebäudes ab. Es wäre indes verfehlt zu fordern, dass sich ein Sachverständigengutachten zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten müsste. Begründet der Steuerpflichtige die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist (BFH, Urteil vom 23.01.2024 - IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823, m.w.N).
40Nach diesen Maßstäben, denen der Senat folgt, ist der Senat auf der Grundlage des vom Kläger vorgelegten Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung gelangt, dass die AfA für das Objekt B-straße … in C gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG unter Ansatz der tatsächlichen Nutzungsdauer von 23 Jahren anzusetzen ist.
41Das vom Kläger vorgelegte Gutachten genügt den dargelegten Anforderungen. Der Sachverständige hat darin für die Ermittlung der Restnutzungsdauer der Immobilie – was er erläutert und begründet hat – das „Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer von Wohngebäuden bei Modernisierungen“ gemäß Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV 2021 angewendet. Diese modellhafte Methode ist – wie ausgeführt – geeignet, Aufschluss über die für die tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten zu geben. Da sich das Gutachten nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu sämtlichen für die Restnutzungsdauer maßgeblichen Determinanten verhalten muss, ist auch unschädlich, dass der Sachverständige im Gutachten im Wesentlichen auf die wirtschaftliche Restnutzungsdauer abgestellt hat.
42Auch die Übrigen Einwendungen des Beklagten greifen nicht durch.
43Dem Einwand des Beklagten, dass die im Jahr 1993 erfolgen Modernisierungsmaßnahme zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien, kann der Senat nicht folgen. Aus den Ausführungen des Sachverständigen auf den Seiten 24 und 25 des Gutachtens ergibt sich, dass der Sachverständige zur Bestimmung des Modernisierungsgrades des Objektes ein Punktemodell in Anlehnung an Anlage 2 zu § 12 Abs. 5 Satz 1 ImmoWertV als Orientierung verwendet und hierbei insbesondere durchgeführte wesentliche Modernisierungsmaßnahmen berücksichtigt hat. Hiernach waren für näher bezeichnete Modernisierungselemente maximal 20 Punkte zu vergeben (z. B. Dacherneuerung inkl. Verbesserung der Wärmedämmung maximal 4 Punkte). Weiter hat er ausgeführt, dass für länger zurückliegende wesentliche Modernisierungsmaßnahmen zu prüfen sei, ob nicht weniger als die maximal zu vergebenden Punkte anzusetzen seien. In Anwendung dieses Punktesystems hat der Sachverständige sodann im Ergebnis lediglich für die Teilmodernisierung der Heizungsanlage im Jahr 2018 einen Punkt vergeben. Für alle weiteren Elemente hat er festgestellt, dass an diesen innerhalb der letzten 25 Jahre vor dem Beurteilungsstichtag keine wesentlichen Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen worden sind. Insoweit hat er keine Punkte vergeben. Danach blieben die im Jahr 1993 durchgeführten Renovierungsmaßnahmen ohne Auswirkung, da sie mehr als 25 Jahre vor dem Beurteilungsstichtag (01.02.2020) erfolgten und die weitergehende Prüfung des Sachverständigen ergeben hat, dass es sich nicht um derart wesentliche Modernisierungsmaßnahmen gehandelt hat, für die trotz der langen Zeit noch Punkte zu vergeben waren. Ferner hat der Sachverständige im Schreiben vom 21.03.2025 ausgeführt, dass das Objekt bei der Inaugenscheinnahme (beim nachgeholten Ortstermin) den Modernisierungsgrad aufgewiesen hat, den er im Gutachten zugrunde gelegt hat.
44Soweit der Beklagte der Ansicht ist, dass das vom Kläger vorgelegte Gutachten zum Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer nicht geeignet ist, weil der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass der Sachverständige D die vom ihm angegebene Zertifizierung als Sachverständiger für Immobilienbewertung nach DIN EN ISO/IEC 17024 zu Recht führt, folgt der Senat dem nicht. Der Senat kann weder dem Gesetz (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG) noch den Entscheidungen des BFH vom 28.07.2021 (IX R 25/19, BFH/NV 2022, 108) und vom 23.01.2024 (IX R 14/23, BFH/NV 2024, 823) entnehmen, dass eine entsprechende Zertifizierung des Gutachters für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer zwingend erforderlich ist. Gegen ein solches Erfordernis spricht insbesondere ein Umkehrschluss zu § 198 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) in der Fassung des Gesetzes vom 16.07.2021 (BGBl I 2931). Dort hat der Gesetzgeber alternative formelle Anforderungen an den Sachverständigen – darunter eine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 – ausdrücklich geregelt. In § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG finden sich solche formellen Anforderungen nicht. Die von der Finanzverwaltung in Rz. 22 des BMF-Schreibens vom 22.02.2023 gestellten formellen Voraussetzungen an den Sachverständigen lassen sich dem Gesetz daher nicht entnehmen.
45Im Streitfall kann der Senat auch nicht feststellen, dass der Sachverständige D im Hinblick auf das von ihm erstellte Gutachten nicht hinreichend qualifiziert ist. Selbst wenn die Ada InViva BV nicht hinreichend akkreditiert war, dem Sachverständigen das von ihm vorgelegte Zertifikat nach DIN EN ISO/IEC 17024 zu erteilen, so ist dennoch festzustellen, dass D von der Industrie- und Handelskammer geprüfter und zertifizierter Sachverständiger für Immobilienbewertung ist und vom TÜV F geprüfter und zertifizierter Sachverständiger für Bauschäden und Baufehler sowie vom TÜV G geprüfter und zertifizierter Sachkundiger für Schimmelschäden in Innenräumen ist. Ferner ist er Mitglied im Deutschen Gutachter- und Sachverständigenverband sowie im Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter. Vor dem Hintergrund hat der Senat keine Zweifel daran, dass er hinreichend qualifiziert ist, die Restnutzungsdauer des in Rede stehenden Objektes auf Basis der ImmoWertV beurteilen zu können.
46Ob ein Gutachten für den Nachweis einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer einer Immobilie nur dann geeignet ist, wenn der Sachverständige das Objekt selbst vor Ort in Augenschein genommen hat – wozu der Senat neigt, da ein Gutachten nur dann ordnungsgemäß ist, wenn die tatsächlichen Begutachtungsgrundlagen vom Sachverständigen hinreichend erhoben und dokumentiert worden sind –, kann im Streitfall dahinstehen, da der Sachverständige D den Ortstermin jedenfalls nachgeholt hat. Dabei hat er festgestellt, dass die Immobile den Modernisierungsstand aufweist, den er bereits im Gutachten festgehalten hatte.
472. Die Kostenentscheidung folgt – unter Berücksichtigung der im Klageverfahren ursprünglich ebenfalls streitigen Punkte und der bereits mit Bescheid vom 13.12.2024 erfolgen Teilabhilfe – aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Eine anderweitige Auferlegung der Kosten gemäß § 137 Satz 1 FGO hatte nicht zu erfolgen. Zwar hat der Kläger den Ansatz einer kürzeren Restnutzungsdauer des Objektes B-straße erstmals im Klageverfahren geltend gemacht und auch das Gutachten zur Restnutzungsdauer erst im Klageverfahren vorgelegt. Wie der weitere Verlauf gezeigt hat, hätte eine frühere Geltendmachung und Vorlage des Gutachtens das Klageverfahren aber nicht vermieden.
483. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
494. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung allgemein anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze. Dass das BMF im Schreiben vom 22.02.2023 von anderen Grundsätzen ausgeht, begründet für sich gesehen ebenfalls keinen Revisionszulassungsgrund (vgl. BFH-Beschluss vom 18.03.2010 – IX B 227/09, BFHE 229, 177, BStBl II 2010, 627, Rz. 4, m.w.N.).
50… … …
51für Richterin am Finanzgericht …, die krankheitsbedingt an der Beifügung ihrer Unterschrift gehindert ist |