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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
3Der Kläger war in der Zeit vom 00.02.2014 (Gründung) bis zum 00.11.2017 Geschäftsführer der C GmbH mit Sitz in D (Amtsgericht E HRB xxxxx).
4Mit dem Ausscheiden des Klägers wurde Herr F Geschäftsführer der Gesellschaft, die Firma in B GmbH umbenannt und der Sitz der Gesellschaft nach G (…, …) verlegt (AG H, HRB yyyyy).
5Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 00.03.2018 wurde die Gesellschaft zum 00.03.2018 aufgelöst, zum Liquidator wurde Herr J bestellt.
6Die GmbH gab am 07.07.2016 eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2014 ab, der der Beklagte am 13.07.2016 zustimmte. Für die Jahre 2015 und 2016 sowie die Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume 2. und 3. Quartal 2017 gab die GmbH keine Steuererklärungen ab.
7Mit Bescheiden vom 30.05.2017 (Umsatzsteuer 2015, Bl. 13 ff. der Gerichtsakte), vom 15.01.2018 (Umsatzsteuer 2016, Bl. 19 ff der Gerichtsakte) sowie vom 04.12.2017 (Umsatzsteuer 2. und 3. Quartal 2017) schätzte der Beklagte wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen die Besteuerungsgrundlagen.
8In den Jahren 2016 und 2017 führte der Beklagte eine Lohnsteueraußenprüfung bei der GmbH durch. Dabei stellte der Beklagte auch umsatzsteuerlich beachtliche Auswirkungen fest (Tz. 6 des Berichts über die Lohnsteuer-Außenprüfung vom 14.03.2018, Bl. 57, 63 der Haftungsakte: Nutzungsentnahmen durch Überlassung firmeneigener Fahrzeuge zur privaten Nutzung an Arbeitnehmer).
9Der Beklagte erließ daraufhin mit Datum vom 29.03.2018 geänderte Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2016, in denen nunmehr zusätzlich auch die Nutzungsentnahmen angesetzt wurden (Bl. 51 ff.; Bl. 16 ff.; Bl. 22 ff. der Gerichtsakte).
10Mit Schreiben vom 12.11.2019 (Bl. 88 ff. der Haftungsakte) wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er beabsichtige, den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer der GmbH für die Steuerschulden der GmbH in Haftung zu nehmen. Als Anlage 1 (Bl. 90 der Haftungsakte) übersandte er ein Merkblatt und als Anlage 2 den Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungssumme (Bl. 91 der Haftungsakte).
11Der Beklagte erließ am 04.08.2020 gegenüber dem Kläger einen auf §§ 191, 69, 34 AO gestützten Haftungsbescheid über … €, der neben den Umsatzsteuerschulden 2014 bis 2016 sowie 2. und 3. Quartal 2017 auch noch Körperschaftsteuerschulden der GmbH (KSt 2016) betraf (Bl. 94 ff. der Haftungsakte). Im Rahmen der Ermessensausübung wies der Beklagte darauf hin, dass Vollstreckungsversuche in das Vermögen der B GmbH erfolglos gewesen seien und gegenüber dem Nachfolgegeschäftsführer F und dem Liquidator J ebenfalls Haftungsbescheide erlassen worden seien.
12Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25.08.2020 (Bl. 102 ff. der Haftungsakte) Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, er sei vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden. Zudem lägen die Fälligkeiten sämtlicher Haftungsforderungen nach dem 00.11.2017 und damit außerhalb des Haftungszeitraums. Der Beklagte habe die Pflichtverletzungen des Klägers nur unterstellt und nur behauptet, dass der Kläger die Nichtzahlung der aufgelaufenen Rückstände zu verantworten habe.
13Der Beklagte stellte dem Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 04.12.2020 (Bl. 113 der Haftungsakte) eine Zweitschrift des Anhörungsschreibens vom 12.11.2019 zur Verfügung. Überdies legte der Beklagte dem Bevollmächtigten seine Rechtsauffassung dar und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.
14Der Bevollmächtigte führte über seine bisherige Einspruchsbegründung hinaus an, mit der Außenprüferin sei abgesprochen gewesen, dass die Abgabe der Steuererklärungen für 2014 bis 2016 bis zum Ende der Prüfung ausgesetzt werde.
15Mit Einspruchsentscheidung vom 19.02.2021 (Bl. 130 ff. der Haftungsakte) wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger sei seinen Pflichten zur Abgabe der Umsatz- und Körperschaftsteuererklärungen im Haftungszeitraum nicht nachgekommen. Zudem habe er auch seine Verpflichtung zur Entrichtung der bei ordnungsgemäßer und fristgerechter Abgabe festzusetzenden Steuern nicht erfüllt. Die Tatsache, dass die Steuerbeträge (teilweise) aufgrund des Fehlverhaltens des Klägers erst nach dem 00.11.2017 fällig geworden seien, sei unbeachtlich. Die Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen seien wegen der Nichtabgabe der Steuererklärungen zulässig gewesen. Die Schätzungen seien der Höhe nach sach- und ermessensgerecht, auch der Kläger habe keine Umstände vorgetragen, die abweichende Schätzungen rechtfertigen würden. Der Anhörungsmangel sei nachträglich geheilt worden.
16Mit seiner am 17.03.2021 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren gerichtlich weiter. Er, der Kläger, habe nicht der Geschäftsführung der B GmbH möglicherweise anlastbare Pflichtverletzungen zu verantworten. Er ist ferner der Auffassung, dass nicht nachvollziehbar sei, warum der Beklagte einen gegenüber ihm mit Datum vom 16.03.2018 ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheid aufgehoben habe, am streitgegenständlichen Haftungsbescheid jedoch festhalte. Zudem sei die Firma B GmbH i.L. in G ansässig, so dass der Beklagte für den Erlass des Haftungsbescheides örtlich unzuständig sei. Die örtliche Unzuständigkeit betreffe nicht nur die Körperschaftsteuer, sondern auch die Umsatzsteuer.
17Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
18den Haftungsbescheid vom 04.08.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.02.2021 sowie in Gestalt des geänderten Haftungsbescheids vom 25.11.2022 aufzuheben.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Sitz und Geschäftsleitung der B GmbH i.L. hätten sich ab der Gründung in D befunden. Ende des Jahres 2017 sei der Sitz nach G verlegt und Anfang 2018 die Liquidation der GmbH eingeleitet worden. Bei der Anschrift in G habe es sich lediglich um einen Büroservice gehandelt, die Geschäfte seien nicht von dort aus geführt worden. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 21 AO, also nach dem Ort, von wo aus das Unternehmen zumindest vorwiegend betrieben werde. Im Gegensatz zu § 20 Abs. 2 AO werde hinsichtlich der Umsatzsteuer nicht ersatzweise auf den Sitz einer GmbH zurückgegriffen, wenn der Ort der Geschäftsführung nicht feststellbar sei. Im vorliegenden Fall sei die Zuständigkeit nicht an ein anderes Finanzamt gewechselt. So habe sich zu keiner Zeit ein Zuständigkeitswechsel aufgrund eines bekanntgewordenen Wechsels des Ortes, von wo aus das Unternehmen betrieben wird (§ 21 Abs. 1 S. 1 AO), ergeben. Darüber hinaus bleibe die bisherige Zuständigkeit auch bei Beendigung des Unternehmens erhalten. Selbst unter der Annahme, die örtliche Zuständigkeit wäre mit der Unkenntnis des Orts des Betreibens des Unternehmens entfallen, wäre die Haftungsinanspruchnahme durch das Finanzamt K nicht zu beanstanden, da dort die haftungsgegenständlichen Steuerforderungen geführt werden (hier als „Anlass der Amtshandlung“) und sich insoweit eine Ersatzzuständigkeit nach § 24 AO ergäbe.
22Während des Klageverfahrens hat der Beklagte mit Datum vom 25.11.2022 einen geänderten Haftungsbescheid über insgesamt … € erlassen (Bl. 78 f. der Gerichtsakte), in dem er die Haftung des Klägers auf die Umsatzsteuerschulden 2014 bis 2016 sowie 2. und 3. Quartal 2017 (zzgl. teilweise Zinsen, Säumniszuschläge und Verspätungszuschläge) beschränkt hat. Die Haftung wegen der Körperschaftsteuerrückstände hat der Beklagte wegen bestehender Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit fallen gelassen. Wegen der Zusammensetzung der Steuerrückstände im Einzelnen wird auf den geänderten Haftungsbescheid verwiesen.
23In der Sache hat am 05.06.2025 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
25I. Die Klage ist unbegründet.
26Der Haftungsbescheid vom 04.08.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.02.2021 sowie in Gestalt des geänderten Haftungsbescheids vom 25.11.2022 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
271. Der Haftungsbescheid ist nicht wegen eines Verstoßes gegen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit (formell) rechtswidrig. Der Beklagte ist für den Erlass des Haftungsbescheides nach § 24 AO örtlich zuständig gewesen.
28Für Haftungsbescheide existiert keine gesetzliche Regelung über die örtliche Zuständigkeit, so dass der Auffangtatbestand des § 24 AO eingreift (vgl. etwa Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 24 Rdn. 14). Nach § 24 AO ist die Finanzbehörde zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Der Anlass für die Amtshandlung tritt dort hervor, wo eine sachlich zuständige Finanzbehörde aufgrund konkreter Anhaltspunkte erkennt, dass ein hoheitliches Tätigwerden in Betracht kommt (vgl. etwa Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 24 Rdn. 11). Der Anlass zur Amtshandlung tritt bei Haftungsbescheiden (wegen des Sachzusammenhangs) i.d.R. bei dem für den Steuerschuldner zuständigen Finanzamt hervor (vgl. etwa Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 24 Rdn. 14).
29Für die Umsatzsteuer mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer ist gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 AO das Finanzamt zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt.
30Ort des „Betreibens“ des Unternehmens i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 ist derjenige Ort, an dem der Plan des Unternehmers zur Ausführung gelangt. Dies wird im Allgemeinen dort sein, von wo aus der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit anbietet, wo er Aufträge entgegennimmt, ihre Ausführung vorbereitet und die Zahlungen an ihn geleistet werden. In der Regel ist dies der Ort der Geschäftsleitung, der aber nicht mit dem Sitz des Unternehmens zusammenfallen muss (vgl. etwa Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 21 Rdn. 176).
31Lässt sich kein Ort feststellen, an dem der Unternehmer im Geltungsbereich des Gesetzes sein Unternehmen (vorwiegend) betreibt, so dass § 21 Abs. 1 Satz 1 AO eine Zuständigkeitsbestimmung für diesen Unternehmer nicht entnommen werden kann, greift die Ersatzzuständigkeit nach § 24 ein, so dass die Finanzbehörde zuständig ist, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt (vgl. etwa Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 21 Rdn. 179).
32Der Kläger hat das Unternehmen bis zu seinem Ausscheiden als Geschäftsführer von der Anschrift …straße …in D aus betrieben. D befindet sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dort ist auch der Anlass für den Erlass des Haftungsbescheides hervorgetreten, da der Kläger dort keine Steuererklärungen abgegeben und die Lohnsteueraußenprüfung dort weitere Feststellungen getroffen hat.
33Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Ort der Geschäftsleitung nach dem Ausscheiden des Klägers nach G verlegt worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass das Unternehmen von G aus tatsächlich betrieben worden ist, bestehen nicht. Vielmehr ist die GmbH bereits kurze Zeit nach dem Sitzwechsel liquidiert worden und der Beklagte hat ermittelt, dass sich unter der angegebenen Adresse lediglich ein Büroservice befunden habe. Der Kläger ist diesen Feststellungen auch nicht entgegengetreten. Soweit der Kläger die Rechtsauffassung vertritt, dass sich die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung der GmbH wie bei der Körperschaftsteuer nach dem satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft richte, so ist diese Rechtsauffassung unzutreffend.
342. Der Haftungsbescheid ist auch nicht wegen eines Anhörungsmangels formell rechtswidrig. Der Anhörungsmangel ist gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 AO im Rahmen des Einspruchsverfahrens durch Nachholung der Anhörung geheilt worden.
353. Der Haftungsbescheid ist auch nicht materiell rechtswidrig.
36Der Beklagte hat den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner für Steuerrückstände der B GmbH i.L. in Höhe von … € in Anspruch genommen.
37Gemäß § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner).
38Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH zweigliedrig. Das Finanzamt hat auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob in der Person, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine durch das Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob (Entschließungsermessen) und ggf. wen (Auswahlermessen) es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (BFH, Urt. vom 13.04.1978 – V R 109/75, BStBl. II 1978, 508; BFH, Urt. vom 20.09.2016 – X R 36/15, BFH/NV 2017, 593).
39a) Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 69 AO liegen vor.
40Nach § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.
41aa) Der Kläger ist Haftungsschuldner i.S.d. § 34 AO. Gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Der Kläger ist gem. § 35 GmbHG als Geschäftsführer gesetzlicher Vertreter der GmbH gewesen.
42bb) Die im Haftungsbescheid aufgeführten Steuerrückstände der GmbH bestehen.
43Der Kläger hat keine Einwendungen gegen die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, die gem. § 162 AO wegen der Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärungen dem Grunde nach zu Recht erfolgt ist, sowie gegen die Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung vorgetragen. Insbesondere hat er bis heute keine Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre ab 2015 abgegeben. Auch für den Senat ist nicht erkennbar, inwiefern die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der Höhe nach rechtswidrig sein könnte. Vielmehr orientieren sich die Schätzungen für die Jahre 2015 und 2016 der Höhe nach an den von der GmbH im Jahr 2014 selbst erklärten Werten (s. Bl. 30 ff. der Haftungsakte).
44cc) Der Kläger hat seine Pflichten als Geschäftsführer nicht erfüllt.
45(1) Der Kläger hat seine Pflicht zur Abgabe (sachlich richtiger) Umsatzsteuererklärungen 2014 bis 2016 sowie Umsatzsteuervoranmeldungen für das 2. und 3. Quartal 2017 nicht erfüllt. Die Umsatzsteuererklärung 2015 war bis zum 31.05.2016 und die Umsatzsteuererklärung 2016 war bis zum 31.05.2017 abzugeben (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Umsatzsteuervoranmeldung 2/2017 war bis zum 10.07.2017 und die Umsatzsteuervoranmeldung 3/2017 war bis zum 10.10.2017 abzugeben (§ 18 Abs. 1 Satz 1 und 4 UStG).
46Im Zeitpunkt der Verpflichtung zur Abgabe dieser Erklärungen war der Kläger auch noch Geschäftsführer der GmbH.
47(2) Darüber hinaus hat der Kläger auch seine Pflicht zur Steuerentrichtung gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO nicht erfüllt.
48Hätte der Kläger rechtzeitig sachlich zutreffende Steuererklärungen abgegeben, so wären die im Haftungsbescheid aufgeführten Steuerschulden noch während seiner Amtszeit festgesetzt und fällig gewesen. Die Tatsache, dass die im Haftungsbescheid zugrunde gelegten Steuern tatsächlich erst später festgesetzt und fällig geworden sind, beruht allein auf dem Fehlverhalten des Klägers.
49dd) Der Kläger hat seine Pflichten auch schuldhaft verletzt.
50Der Vertreter handelt vorsätzlich, wenn er in Kenntnis seiner Pflichten das von ihm geforderte Handeln bewusst unterlässt oder eine Handlung vornimmt, von der er weiß, dass sie einem pflichtgemäßen Verhalten nicht entspricht. Es genügt insoweit, wenn die Pflichtverletzung zwar nicht unbedingt gewollt, doch zumindest billigend in Kauf genommen wird (vgl. etwa Jatzke in Gosch, AO, § 69 Rdn. 58)
51Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Handelnde gesetzliche Vorschriften nicht beachtet, deren Beachtung von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebes verlangt werden muss (vgl. BFH, Beschluss vom 07.03.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 ff. m.w.N.).
52Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, indiziert die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens das Verschulden im Sinne von § 69 Satz 1 AO (zuletzt BFH-Urteil vom 20.02.2024 – VII R 16/21, BStBl. II 2024, 624 m.w.N.).
53Entschuldigungsgründe hat der Kläger weder vorgetragen noch sind solche für den Senat ersichtlich.
54ee) Aus diesen grob fahrlässigen Pflichtverletzungen resultiert auch ein adäquat kausal verursachter Schaden für den Fiskus.
55Die Haftung nach §§ 34, 69 AO setzt wegen ihres Schadensersatzcharakters voraus, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität besteht; eine Haftung kommt dann in Betracht, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (BFH, Urt. vom 29.08.2018 – XI R 57/17, BFH/NV 2019, 7).
56Eine Pflichtverletzung ist dann ursächlich für den Haftungsschaden, wenn der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (BFH, Urt. vom 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl. II 1984, 776). Verwendet der Geschäftsführer Mittel der Gesellschaft, ohne auf künftig fällige Steuerschulden Rücksicht zu nehmen, so ist das nur dann eine für den Schaden ursächliche Pflichtverletzung, wenn feststeht, dass der Steuergläubiger bei pflichtgemäßem Verhalten bei Fälligkeit der Steuerschulden befriedigt worden wäre (BFH, Urt. vom 26.04.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl. II 1984, 776). Stehen daher ausreichende Zahlungsmittel zur Begleichung aller Schulden nicht zur Verfügung, beschränkt sich die Haftung nach dem von der Rechtsprechung entwickeltem Grundsatz der anteiligen Tilgung auf den Betrag, der bei gleichmäßiger Befriedigung aller Gläubiger auf den Steuergläubiger entfallen wäre (BFH, Urt. vom 28.11.2002 – VII R 41/01, BStBl. II 2003, 337).
57Das Finanzamt kann vom Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft, den es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO, BFH-Urteil vom 27.02.2007 – VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508, Rdn. 12).
58Verletzt der Kläger insoweit seine Mitwirkungspflicht, so kann das Finanzamt die Haftungsquote schätzen. Ein Schätzungsfehler kann dem Finanzamt, das keinerlei Angaben über die Gesamtverbindlichkeiten und die Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten erhalten hat, nicht vorgeworfen werden (BFH-Urteil vom 26.10.2011 – VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777).
59Im Streitfall hat das Finanzamt vom Kläger auf ausdrückliche Nachfrage keinerlei Informationen zu den Schulden sowie den Einnahmen und Ausgaben der Gesellschaft erhalten. Der Kläger hat den zweimal übersandten Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungssumme nicht ausgefüllt zurück an den Beklagten geschickt. Anhaltspunkte dafür, dass die Gesellschaft im Haftungszeitraum bereits zahlungsunfähig war, bestehen nicht. Vor diesem Hintergrund ist der Beklagte nach Auffassung des Senates zu Recht von einer Haftungsquote des Klägers in Höhe von 100% ausgegangen.
60b) Der Beklagte hat auch das ihm gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Gericht hat insoweit nach § 102 Satz 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
61aa) Der Beklagte hat im Haftungsbescheid dargelegt, dass die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis selbst nicht zum Erfolg geführt habe. Die Steuerschuldnerin sei weder freiwillig zur Zahlung bereit gewesen noch hätten die rückständigen Beträge durch Vollstreckungsmaßnahmen eingezogen werden können. Ein solcher Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung rückständiger Steuern durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner stellt nach ständiger Rechtsprechung des BFH regelmäßig eine ausreichende Begründung des Entschließungsermessens dar (BFH, Urt. vom 13.06.1997 – VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; BFH, Urt. vom 29.09.1987 – VII R 54/84, BStBl. II 1988, 176; FG Köln, Urt. vom 06.11.2014 – 13 K 1065/13, EFG 2015, 612).
62bb) Der Beklagte hat auch sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt. Der Beklagte hat neben dem Kläger auch den Nachfolgegeschäftsführer F sowie auch den Liquidator J in Haftung genommen.
63II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
64… … …