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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Streitig ist, ob ein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegt.
3Die am 00.00.1969 geborene Klägerin ist die leibliche Mutter von K. (geb. am 00.00.2001). Zudem setzte die Familienkasse Y […] zugunsten der Klägerin Kindergeld für die Pflegekinder S. (geb. am 00.00.1974) und E. (geb. am 00.00.1974) fest.
4Am 22.04.2020 nahm die Klägerin zudem Frau O. (geb. am 00.00.1974) in ihren Haushalt auf. Diese wohnte zuvor im Haushalt von Frau H., wofür die Familienkasse Y. mit Bescheid vom 00.00.2018 Kindergeld zugunsten von Frau H. festgesetzt hatte. Ausweislich des Schwerbehindertenausweises ist O. gehbehindert und hilflos, der Grad der Behinderung beläuft sich auf 100. Der Schwerbehindertenausweis ist seit dem 00.00.1978 und unbefristet gültig. Seit dem 00.00.2013 ist O. bei den B. Werkstätten teilstationär untergebracht.
5Mit Schreiben vom 23.04.2020 beantragte O. gegenüber dem Amtsgericht V., Betreuungsangelegenheiten, einen Betreuerwechsel. Es sei „am gestrigen Tag“ in der Familie H., in der sie seit Jahren lebe und durch den Q. […] betreut werde, zu einer Eskalation gekommen und sie sei vor die Tür gesetzt worden. Das Vertrauen in ein Zusammenleben sei erschüttert und eine Betreuung durch Frau H. für sie nicht mehr vorstellbar. Aufgrund des Vorfalls befinde sie sich in der Gastfamilie der Klägerin. Mit Beschluss des Amtsgerichts V. vom 14.05.2020 wurde O. daraufhin anstelle von Frau H. Frau L. als Mitarbeiterin des Vereins „N. e.V.“ zur Betreuerin bestellt.
6Der Haushaltsaufnahme von O. durch die Klägerin liegt eine Vereinbarung zum betreuten Wohnen in Gastfamilien (BWF – Betreutes Wohnen in Familien) zwischen der Klägerin und dem Q. vom 06.05.2020 zugrunde. Wegen des näheren Inhalts wird auf die Vereinbarung Bezug genommen.
7Mit Antrag vom 00.00.2020 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse Y. Kindergeld für O. für den Zeitraum ab Mai 2020. Zur Begründung gab die Klägerin an, dass O. bei ihr in Familienpflege wohne, da sie aufgrund einer Behinderung außer Stande sei, sich selbst zu versorgen. Im Rahmen der auf Anfrage der Familienkasse Y. eingereichten „Erklärung für ein Pflegekind“ gab die Klägerin an, dass O. für längere Zeit, und zwar voraussichtlich lebenslang, in ihrer Obhut verbleiben solle. Es handele sich nicht um einen Erwerbszweck. Sie vorsorge O. ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen; die leiblichen Eltern seien verstorben. Bezogen auf das für O. zu bewilligende Kindergeld habe sich nur geändert, dass sie und nicht mehr die Familie H. die Gastfamilie sei.
8Mit Bescheid vom 04.09.2020 lehnte die Familienkasse Y. den Kindergeldantrag ab dem Monat Mai 2020 ab. Nach den der Familienkasse Y. vorliegenden Unterlagen sei O. durch eigene verfügbare finanzielle Mittel in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Die zur vollständigen Berechnung notwendigen Nachweise über die Höhe der Eingliederungshilfe für den Werkstattbesuch seien nicht eingereicht worden.
9Die Klägerin legte Einspruch ein und wies unter Vorlage entsprechender Nachweise darauf hin, dass sich O. an den Kosten des Q. beteilige.
10Mit Schreiben vom 00.00.2020 teilte die Familienkasse Y. mit, dass die Aufnahme einer volljährigen Person in den Haushalt und die Sorge für diese Person für sich allein regelmäßig kein Pflegekindschaftsverhältnis begründe, selbst wenn es sich um eine Person mit Behinderung handele. Wenn es sich bei der Person jedoch um einen Menschen mit schwerer geistiger oder seelischer Behinderung handele, der in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehe, könne ein Pflegekindschaftsverhältnis unabhängig vom Alter dieser Person und der Pflegeeltern begründet werden. Die Wohn- und Lebensverhältnisse der Person mit Behinderung müssten den Verhältnissen leiblicher Kinder vergleichbar seien und eine Zugehörigkeit dieser Person zur Familie widerspiegeln, außerdem müsse ein dem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbares Erziehungsverhältnis bestehen (unter Verweis auf Bundesfinanzhof – BFH –, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BStBl. II 2012, 739). Es sei daher eine ärztliche Bescheinigung erforderlich, wonach O. in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleichgestellt sei.
11Darauf bezugnehmend führte die Klägerin aus, dass O. von ihr wie ein Kind versorgt werde. Die Verträge mit dem Q. zum betreuten Wohnen würden abgeschlossen, wenn Personen in den Haushalt aufzunehmen seien, die geistig, seelisch oder körperlich behindert und nicht in der Lage seien, sich selbst zu unterhalten. Zudem legte die Klägerin ärztliche Befundberichte für O. vom 00.00.1976, 00.00.1977, 00.00.1978, 00.00.1979 und 00.00.1981, eine aktuelle ärztliche Bescheinigung zum Vorliegen einer Behinderung vom 00.00.2021 (nach der die Behinderung die Erwerbstätigkeit/Ausbildungsfähigkeit einschränke) sowie Einkommensnachweise von O. vor.
12Nachdem die Familienkasse Y. zunächst mit Schreiben vom 00.00.2021 darauf hingewiesen hatte, dass eine aktuelle ärztliche Bescheinigung erforderlich sei, wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13.04.2021 als unbegründet zurück. Es seien lediglich frühere Arztberichte, jedoch keine aktuelle ärztliche Bescheinigung über die geistige Entwicklung von O. vorgelegt worden. Sollte vorher fehlerhaft Kindergeld festgesetzt worden sein, könne dies nicht dazu führen, dass beim Wechsel des Kindergeldberechtigten eine fehlerhafte Festsetzung fortgeführt werde.
13Die Klägerin hat Klage erhoben und führt zur Begründung aus, dass es sich bei O. um einen schwer geistig, körperlich und seelisch behinderten Menschen handele, der in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehe. Aufgrund der Schwere der Behinderung und des geistigen Zustandes sei von einem typischen Entwicklungszustand einer noch minderjährigen Person auszugehen. Zum Nachweis hierüber legt die Klägerin eine Bescheinigung von Dr. med. J. vom 00.00.2022 vor, ausweislich derer O. aufgrund ihrer schweren geistigen und körperlichen Behinderung einem Kind gleichgestellt werden könne.
14Ferner führt die Klägerin aus, dass die Wohn- und Lebensverhältnisse vergleichbar zu leiblichen Kindern seien: O. lebe mit ihr zusammen, wie ein volljähriges leibliches Kind bei seiner Mutter wohnen würde. O. sei in die Familie eingebunden, werde in der Familie wie ein Familienmitglied behandelt und angesehen. Eine Autoritätsstellung von ihr, der Klägerin, gegenüber Frau O. sei gegeben. Schon aufgrund der Behinderung und den damit einhergehenden Beschränkungen sei sie, die Klägerin, für O. wie eine Mutter. Sie versorge und betreue O.. Das von Anfang an bestehende Erziehungsverhältnis zeige sich zudem daran, dass am 11.05.2020 der zuständige Betreuungsrichter O. bei Arbeiten auf der Wiese der Familie vorgefunden habe, nachdem diese am 22.04.2020 als Notfall aufgenommen worden sei.
15Die Verbindung durch ein familienähnliches Band sei auch langfristig, ein Ende des seit dem 01.05.2020 bestehenden familiären Verhältnisses nicht in Sicht. Für das Merkmal der „Dauer“ sei ihre, der Klägerin, Absicht entscheidend. Da von einer Verselbständigung von O. nicht auszugehen sei, werde das Pflegeverhältnis auch in den nächsten Jahren fortbestehen.
16Im Übrigen sei ihre, der Klägerin, Konstellation auch nicht mit den Konstellationen vergleichbar, die den Urteilen des Finanzgerichts – FG – München vom 08.04.2009 (10 K 784/08, EFG 2009, 1208) und FG Baden-Württemberg vom 10.06.2015 (13 K 4131/13, juris) zugrunde gelegen hätten. Eine Fixierung auf die isolierten Gesichtspunkte der Kündigungsfrist und des Urlaubsanspruchs könne nicht dazu führen, die schon entstandene Familienbeziehung als nicht hinreichend dauerhaft anzusehen. So habe sie, die Klägerin, von Anfang an nicht die Absicht gehabt, ihren Urlaubsanspruch gegenüber Frau O. geltend zu machen und sei dementsprechend auch zusammen mit dieser in den Urlaub gefahren. Auch die Kündigungsfrist sei nicht geeignet, die Dauerhaftigkeit der Bindung zu widerlegen. So seien bspw. auch Arbeits- und/oder Mietverträge mit Kündigungsfristen versehen und trotzdem auf Dauer angelegt. Gerade der Abschluss eines unbefristeten Vertrags spreche für den Willen, die familiäre Bindung langjährig aufrecht zu erhalten.
17Die Klägerin beantragt,
18die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 04.09.2020 und der Einspruchsentscheidung vom 13.04.2021 zu verpflichten, Kindergeld für O. für den Zeitraum Mai 2020 bis April 2021 festzusetzen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Nach der Legaldefinition des § 31 Abs. 1 Nr. 2 EStG setze der Pflegekindbegriff voraus, dass der Steuerpflichtige mit dem Pflegekind durch ein familienähnliches Band „verbunden ist“, sodass die ideelle Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Pflegekind bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben müsse, bevor von einer ideellen Bindung ausgegangen werden könne. Hieran fehle es für den Klagezeitraum (Mai 2020 bis April 2021), da sich O. erst seit Mai 2020 im Haushalt der Klägerin befinde. Im Übrigen würden die Bestimmungen der mit dem Q. getroffenen Vereinbarung einem familienähnlichen Band entgegenstehen. So würden dem BWF-Team Beratungs- und Kontrollfunktionen verbleiben. Ebenso unvereinbar mit einem familienähnlichen Band seien die Regelungen über die Entlastungszeit der Klägerin (§ 8) sowie das Recht zur Kündigung innerhalb einer Frist von 14 Tage zum Monatsende (§ 9). Die Vereinbarung entspreche eher anderen Formen des betreuten Wohnens (unter Verweis auf FG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.06.2015, 13 K 4131/13, juris).
22Der Berichterstatter hat die Sache mit der Klägerin und der Familienkasse Y. am 07.04.2022 erörtert. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird Bezug genommen.
23Mit Schreiben vom 09.01.2024 hat die Familienkasse Y. darauf hingewiesen, dass die Klage aus organisatorischen Gründen zum 15.01.2024 an die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice in Magdeburg zur weiteren Bearbeitung übersandt werde. Es werde um Änderung des Rubrums gebeten, künftige Anfragen und Mitteilungen seien an die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice zu richten. Zur Erläuterung hat die Familienkasse Y. auf den Anhang zum Vorstandsbeschluss 129/2022 der Bundesagentur für Arbeit vom 03.11.2022 verwiesen, dem Folgendes zugrunde liegt:
24Mit Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit 12/2022 vom 27.01.2022 (ANBA 2022, Nr. 5) zur Gründung des Zentralen Kindergeldservices (ZKGS) als weitere Familienkasse für Fälle mit besonderen Schutzbedarfen wurde die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice in Magdeburg als weitere Familienkasse mit Sonderzuständigkeit ab 01.02.2022 gegründet. Die genauen Zuständigkeitsregelungen ergaben sich aus dem Anhang zum Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022.
25Mit Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit 129/2022 vom 03.11.2022 (ANBA 2022, Nr. 12) zur Erweiterung der Zuständigkeit des Zentralen Kindergeldservice (ZKGS) als Familienkasse für Fälle mit besonderen Schutzbedarfen wurden die Zuständigkeiten aller Familienkassen mit Sonderzuständigkeiten neu festgeschrieben, einschließlich der Zuständigkeiten für grenzüberschreitende Bezüge. Gleichzeitig wurde der Beschluss 12/2022 vom 27.01.2022 aufgehoben.
26Gemäß Anhang zum Vorstandsbeschluss 129/2022 vom 03.11.2022 sollte der tatsächliche Vollzug des Vorstandsbeschlusses zu unterschiedlichen Zeitpunkten in 2023 je Berechtigtengruppe erfolgen. Einzelheiten zu den verschiedenen Zeitpunkten würden gesondert geregelt. Weiter ist in „2.1 Zuständigkeit für besondere Personengruppen“ (in Bezug auf Kindergeld nach dem EStG) für die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice aufgeführt:
27„2.1.5
28Personen, deren Daten – und damit der gesamte Fall – besonders schützenswert sind. Dies ist z.B. gegeben, wenn
29Darüber hinaus ist der Zentrale Kindergeldservice für weitere besonders schützenswerte Fälle zuständig. Um den Schutz dieser Fälle zu gewährleisten, erfolgt keine abschließende Aufzählung.“
32Auf die Vorstandsbeschlüsse vom 27.01.2022 und 03.11.2022 nebst jeweiligem Anhang wird Bezug genommen.
33Mit Schriftsatz vom 19.03.2024 hat die Beklagte das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH im anhängigen Revisionsverfahren III R 4/24 beantragt.
34Der Senat hat die Sache am 18.04.2024 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
35Entscheidungsgründe
36Der Senat kann in der Sache entscheiden, obwohl die Beklagte mit Schriftsatz vom 19.03.2024 das Ruhen des Verfahrens beantragt hat.
37Die Möglichkeit, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, folgt aus § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – i. V. m. § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –. Hierfür bedarf es jedoch u.a. der – im vorliegenden Fall fehlenden – Zustimmung der Klägerseite (vgl. BFH, Beschl. v. 15.10.2019, XI B 75/19, BFH/NV 2020, 214). Der Umstand, dass die Klägerin dem Antrag der Beklagten nicht widersprochen hat, ersetzt nicht den nach dem Gesetz erforderlichen eigenen Antrag (vgl. BFH, Beschl. v. 30.11.2009, I B 171/09, BFH/NV 2010, 908).
38Beklagte ist die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice. Im Verlauf des Klageverfahrens ist es zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel gekommen.
39§ 63 FGO bestimmt, welche Behörde am finanzgerichtlichen Verfahren als Beklagte (§ 57 Nr. 2 FGO) zu beteiligten ist. Nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist die Verpflichtungsklage gegen die Behörde zu richten, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat. Das gilt nur dann nicht, wenn vor dem Ergehen der Einspruchsentscheidung eine andere als die ursprünglich zuständige Behörde für den Steuerfall örtlich zuständig geworden ist (§ 63 Abs. 2 FGO) oder an Stelle der zuständigen Behörde berechtigterweise eine andere Behörde den beantragten Verwaltungsakt erlassen hat (§ 63 Abs. 3 FGO). Diese Ausnahmetatbestände liegen nicht vor, sodass die Klage zutreffend gegen die Familienkasse Y. erhoben worden ist.
40Wird nach Erhebung der Klage eine andere Finanzbehörde für den Steuerfall zuständig, bleibt die prozessuale Stellung der beklagten Behörde hiervor grundsätzlich unberührt. Ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel findet jedoch statt, wenn der Zuständigkeitswechsel auf einem behördlichen Organisationsakt beruht; in diesem Fall tritt die nunmehr zuständige Behörde als neue Beklagte in den anhängigen Rechtsstreit ein (u.a. BFH, Urt. v. 02.12.2015, I R 3/15, BFH/NV 2016, 939). Zu einem solchen Zuständigkeitswechsel ist es im Streitfall aufgrund des Vorstandsbeschlusses der Bundesagentur für Arbeit 129/2022 vom 03.11.2022 gekommen.
41Der Vorstandsbeschluss beruht auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 des Finanzverwaltungsgesetzes – FVG –. Danach kann der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen. Daraus ergibt sich, dass es sich bei der Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice für Fälle, in denen „Personen, deren Daten … besonders schützenswert sind“, um eine örtliche Zuständigkeitsregelung handelt (vgl. BFH, Urt. v. 19.01.2017, III R 31/15, BFHE 256, 502, BStBl. II 2017, 642; Urt. v. 25.02.2021, III R 36/19, BFHE 272, 19, BStBl. II 2021, 712).
42Der Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit 129/2022 vom 03.11.2022 (wie auch der frühere Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022) ist – jedenfalls soweit er wie im Streitfall ein „Kind mit Behinderung“ betrifft – auch hinreichend bestimmt und damit wirksam.
43Denn zum einen regelt der Vorstandsbeschluss 129/2022 selbst den Zeitpunkt seines Inkrafttretens, indem es dort heißt, dass „mit Wirkung zum 01.12.2022 weitere Fallgestaltungen in den Zuständigkeitsbereich des ZKGS übergehen“ sollen. Soweit demgegenüber im Anhang davon die Rede ist, dass der „tatsächliche Vollzug“ des Vorstandsbeschlusses zu unterschiedlichen Zeitpunkten in 2023 je Berechtigtengruppe erfolge und Einzelheiten zu den verschiedenen Zeitpunkten gesondert geregelt würden, versteht der Senat diese Ausführungen nicht als Modifikation des Zeitpunktes des Inkrafttretens und damit des Zeitpunktes des gesetzlichen Zuständigkeitswechsels, sondern lediglich als Ausgestaltung der tatsächlichen Umsetzung (so bereits Hessisches FG, Urt. v. 20.02.2024, 6 K 978/23, Rn. 15 und 18; andere Ansicht FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 13.12.2023, 16 K 16111/23, Rn. 28 f. – Rev. BFH III R 4/24; jeweils zum Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022).
44Und zum anderen ist der Vorstandsbeschluss – soweit er die Fallgruppe „Kind mit Behinderung“ betrifft – inhaltlich hinreichend bestimmt. Denn zumindest das im Anhang aufgelistete und im Streitfall einschlägige Beispiel „Kind mit Behinderung“ ist sowohl hinsichtlich der für das Gruppenmerkmal zu betrachtenden Person (das Kind und nicht der bzw. die Kindergeldberechtigte) als auch des konkreten Gruppenmerkmals (der Behinderung) klar abgrenzbar (so auch FG Thüringen, Urt. v. 28.02.2023, 3 K 150/20, Rn. 20 – Rev. BFH III R 11/23; zum Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022). Da § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG aufgrund des Wortlauts „kann“ die Konzentrationsermächtigung in das Ermessen des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit stellt, kommt es für die gerichtliche Überprüfung auch nicht darauf an, warum die Daten von Kindern mit Behinderung besonders schützenswert sein sollen. Entsprechende Überlegungen betreffen die Ebene der Zweckmäßigkeit und damit den Beurteilungsspielraum des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit, jedoch nicht die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Regelung (andere Ansicht wohl FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 13.12.2023, 16 K 16111/23, Rn. 39 f. – Rev. BFH III R 4/24).
45Nach Auffassung des Senats kann dahinstehen, ob die grundsätzlichen Oberbegriffe „Personen“ und „besonders schützenswerte Daten“ zu unbestimmt sind (so FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 13.12.2023, 16 K 16111/23, Rev. BFH III R 4/24). Denn selbst wenn für eine Überprüfung der „schützenswerten Fälle“ eine nähere Umschreibung bzw. eine abschließende Aufzählung erforderlich sein sollte, führt dies nicht dazu, dass die Personengruppe „Kind mit Behinderung“ trotz eindeutiger Regelung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice fällt. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass eine geltungserhaltende Reduktion des Vorstandsbeschlusses dem Willen des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit widersprechen würde (andere Ansicht FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid v. 13.12.2023, 16 K 16111/23, Rn. 42 ff. – Rev. BFH III R 4/24).
46Die zulässige Klage ist unbegründet.
47Die mit Bescheid vom 04.09.2020 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.04.2021 erfolgte Ablehnung der Kindergeldfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Abs. 1 Satz 1 FGO). Denn der Klägerin steht für den Streitzeitraum Mai 2020 bis April 2021 kein Anspruch auf Kindergeld für O. zu.
48Nach § 62 Abs. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für Kinder i. S. d. § 32 Abs. 1 EStG. Kinder sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder. Ein Pflegekind ist nach dem in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG enthaltenen Klammerzusatz eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition dar, d.h. die hierin enthaltenen Umstände sind echte Tatbestandsvoraussetzungen und nicht nur erläuternde Nebenbestimmungen (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 19.10.2017, III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
49Ein familienähnliches Band liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH vor, wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und behandelt wird. Dies setzt voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht. Da das Gesetz Pflegekinder über § 32 Abs. 1, Abs. 6 Satz 10 EStG und § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG in eine Reihe mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern stellt und das Pflegekindschaftsverhältnis steuerrechtlich unter Umständen über das 25. Lebensjahr hinauswirken und weiterhin zur Gewährung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld führen kann, ist ein besonders enges Band erforderlich. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass das Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung findet; dabei ist nicht allein auf die äußeren Lebensumstände, sondern auch darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und „Heimat“ findet – also nicht nur Kostgänger ist, sondern wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass auch zwischen dem Pflegeelternteil und dem Pflegekind ein Autoritätsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils unterwirft (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 19.10.2017, III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
50Angesichts des Umstands, dass die körperliche Versorgung und die Erziehung des Pflegekindes, die Voraussetzung für die Annahme eines familienähnlichen Bandes sind, bei einem gesunden Volljährigen in der Regel keine entscheidende Rolle mehr spielen, lässt sich ein familienähnliches Band mit einem bereits Volljährigen nur bei Vorliegen besondere Umstände begründen (u.a. BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erbringung umfänglicher Pflege- und Unterstützungsleistungen und ein damit verbundenes hohes Maß an persönlicher Zuwendung gegenüber einem Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung zugleich auch ein familienähnliches Band begründet. Vielmehr erfordert die Bejahung eines familienähnlichen Bandes eine Gesamtwürdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalles (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4). Dabei dürfen insbesondere folgende Punkte nicht außer Acht gelassen werden.
51Bedeutung beizumessen ist zum einen der psychischen Verfassung der zu pflegenden Person im Einzelfall, insbesondere einer eventuellen Unfähigkeit zu eigener Lebensgestaltung. Um die Person mit Behinderung in ein Aufsichts-, Betreuungs- und vor allem Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern stellen zu können, muss die Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand der Person mit Behinderung dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
52Weiter ist erforderlich, dass trotz der Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten Möglichkeiten und Bereitschaft zu einer erzieherischen Einwirkung gegeben sind. Erscheint eine erzieherische Einwirkungsmöglichkeit der pflegenden Person auf die zu pflegende Person ausgeschlossen, ähnelt ein solches Pflegeverhältnis mehr dem zu einem Kostgänger als dem zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern. Daher ist die Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem Volljährigen in einem solchen Fall ausgeschlossen (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
53Da insbesondere die erzieherische Einwirkungsmöglichkeit sich im Eltern-Kind-Verhältnis aus einem Autoritätsverhältnis ableitet, ist eine solche Autoritätsstellung der pflegenden Person gegenüber der zu pflegenden Person auch Voraussetzung für das Vorliegen eines familienähnlichen Bandes. Diese leitet sich im Verhältnis zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern im Regelfall bereits daraus ab, dass die Eltern wesentlich älter sind als das Kind und über das ihnen zustehende Erziehungsrecht (§ 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches) langjährig auf die Entwicklung des Kindes Einfluss nehmen. Erfüllt die pflegende Person diese Voraussetzungen nicht, müssen andere besondere Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall die Entstehung eines Autoritätsverhältnisses zwischen der pflegenden und der gepflegten Person ergibt, z.B. langjährige Übernahme der Elternrolle für ein minderjähriges behindertes Geschwisterteil mit Behinderung bei Vollwaisen (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
54Zur umfangreichen Überwachung, Anweisung und Unterstützung einer Person mit geistiger Behinderung oder seelischer Erkrankung bedarf es weiterer Umstände, aus denen sich eine Vergleichbarkeit zu den Verhältnissen leiblicher Kinder und eine Zugehörigkeit zur Familie ergibt. Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, wie sich die Wohn- und Lebensverhältnisse der zu pflegenden Person innerhalb der Familie darstellen, welche Räume den einzelnen Familienmitgliedern allein oder zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen, in welchem Verhältnis die zu pflegende Person zu den anderen Familienangehörigen steht (Eingliederung in die Rolle eines Kindes gegenüber „Pflegeeltern“ und etwaigen „Pflegegeschwistern“) und ob sie in die familiäre Lebensgestaltung eingebunden ist (z.B. Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten, Freizeit- und Urlaubsaktivitäten etc.; BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
55Da der Pflegekindbegriff nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG voraussetzt, dass der Steuerpflichtige mit dem Pflegekind durch ein familienähnliches Band „verbunden ist“, muss die ideelle Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben, bevor von einer ideellen Bindung ausgegangen werden kann. Dies entspricht auch dem typischen Eltern-Kind-Verhältnis, das sich gegenüber einem bereits Volljährigen in der Regel schon über viele Jahre entwickelt hat (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
56Demgegenüber zielt das Tatbestandsmerkmal, wonach es sich um ein „auf längere Dauer berechnetes“ Band handeln muss, darauf ab, wie sich die zukünftige Entwicklung des Verhältnisses zwischen der pflegenden Person und der gepflegten Person darstellt. Insoweit muss aus Sicht der pflegenden Person beabsichtigt sein, die bereits entstandene familiäre Bindung auch zukünftig langjährig aufrecht zu erhalten. Dabei bestehen keine Bedenken, wenn im Regelfall eine beabsichtigte Dauer von zwei Jahren als ausreichend angesehen wird. Da es nur auf die beabsichtigte Dauer ankommt, ist dagegen nicht entscheidend, dass die tatsächliche Dauer im Rückblick kürzer oder länger ausfällt (BFH, Urt. v. 09.02.2012, III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl. II 2012, 739; Urt. v. 19.10.2017, III R 25/15, BFH/NV 2018, 546; Urt. v. 17.03.2020, III R 9/19, BFH/NV 2021, 4).
57Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht kein Pflegekindschaftsverhältnis i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zwischen der Klägerin und O.. Denn bezogen auf den Streitzeitraum (Mai 2020 bis April 2021) fehlt es jedenfalls an der bereits zuvor über einen längeren Zeitraum bestehenden ideellen Beziehung. O. befindet sich erst seit dem 22.04.2020 im Haushalt der Klägerin, sodass im Zeitraum Mai 2020 bis April 2021 keine über einen längeren Zeitraum andauernde ideelle Bindung vorlag.
58Zwar macht die Klägerin geltend, dass O. wie ein leibliches Kind bei ihr wohne und lebe und O. innerhalb ihrer Familie wie ein Familienmitglied behandelt und angesehen werde. Zudem sei – bereits aufgrund der behinderungsbedingten Beeinträchtigungen – ein Autoritätsverhältnis gegeben. Explizit in Bezug auf das von Anfang an bestehende Erziehungsverhältnis trägt die Klägerin vor, dass – nachdem sie O. am 22.04.2020 als Notfall aufgenommen habe – am 11.05.2020 der zuständige Betreuungsrichter erschienen und Frau O. bei Arbeiten auf der Wiese ihrer Familie vorgefunden habe. Zudem hat die Klägerin im Rahmen des Erörterungstermins angegeben, dass sie schon sechs Jahre vor der Haushaltsaufnahme Kontakt zu O. gehabt habe und so beispielsweise zur Taufe des Sohnes von O. eingeladen gewesen sei. Dies resultiere daraus, dass das damalige Pflegekind der Klägerin mit Frau O. in Kontakt gestanden habe. O. sei in einer Notsituation zu ihr gekommen und habe bei ihr Schutz gesucht.
59Der Senat verkennt nicht, dass insbesondere aufgrund des Umstandes, dass sich O. in einer Notsituation an die Klägerin gewandt hat, zwischen der Klägerin und O. bereits vor der Haushaltsaufnahme ein gewisses Vertrauensverhältnis bestanden haben dürfte. Das von der Klägerin geschilderte Verhältnis entspricht jedoch nicht einem Eltern-Kind-Verhältnis, wie es ein familienähnliches Band erfordert. Denn auch wenn O. sich am 22.04.2020 an die Klägerin wandte, bestand zwischen diesen weder ein dem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbares Autoritätsverhältnis noch eine familiär-häusliche Verbindung. O. war bis zur Aufnahme in den Haushalt der Klägerin gerade nicht in deren familiäre Lebensgestaltung eingebunden. Die von der Klägerin geschilderten Kontakte sind nicht gleichzusetzen mit familienähnlichen Umgängen wie bspw. gemeinsamen Urlauben, täglichen gemeinsamen Mahlzeiten, einer gemeinsamen Freizeitgestaltung, gemeinsamen Einkäufen oder ähnlichen Unternehmungen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin sich vor der Haushaltsaufnahme im Sinne einer Personensorge um O. gekümmert hat (beispielsweise in Form von Fahrdiensten oder der Begleitung zu Arztbesuchen). Gesetzliche Betreuerin, der die Gesundheitsfürsorge, die Regelung des Postverkehrs, die Renten-, Sozialversicherungs-, Vermögens- und Wohnungsangelegenheiten sowie die Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern oblag, war bis zum 14.05.2020 Frau H., bei der O. bis zum Wechsel in den Haushalt der Klägerin auch wohnte, und danach Frau L.. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich dementsprechend nicht, dass diese in irgendeiner Form Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsfunktionen bereits vor der Aufnahme in ihren Haushalt wahrgenommen hat; erst Recht nicht, dass eine entspreche Aufgabenwahrnehmung durch die Klägerin auf einer ideellen Dauerbindung beruhte. Auch sind für den Senat außerhalb des Vortrags der Klägerin keine Umstände ersichtlich, wonach sich ein bereits entstandenes Autoritätsverhältnis sowie eine familienähnliche Beziehung entwickelt haben könnte.
60Der weitere Vortrag der Klägerin, insbesondere, dass die Bindung auf Dauer angelegt und dies in rechtlicher Hinsicht entscheidend sei, zielen auf das Tatbestandsmerkmal „auf längere Dauer berechnetes“ Band ab. Für die zusätzlich erforderliche Feststellung der bereits über einen längeren Zeitraum bestehenden ideellen Beziehung kann dieser Vortrag nicht herangezogen werden.
61Nach der Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände ist die ideelle Beziehung zwischen der Klägerin und O. somit (allenfalls) ab der am 22.04.2020 beginnenden Haushaltszugehörigkeit stetig „angewachsen“, eine bereits über einen längeren Zeitraum andauernde Bindung bestand im Streitzeitraum hingegen nicht. Dass im weiteren Verlauf (möglicherweise) ein familienähnliches Band entstanden ist, reicht für eine Kindergeldberechtigung für den Zeitraum Mai 2020 bis April 2021 nicht aus.
62Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob die weiteren Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses erfüllt sind. Insbesondere kann dahinstehen, ob der (dauerhaften) Annahme eines familienähnlichen Bandes beispielsweise die Vereinbarung mit dem Q. entgegensteht und ob die Haushaltsaufnahme zu Erwerbszwecken erfolgte.
63Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
64Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Zwar berührt die Frage der Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts. Die Frage der Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice wäre in einem künftigen Revisionsverfahren jedoch nicht klärungsfähig, da die Rechtsfrage für die Entscheidung des hiesigen Streitfalls nicht rechtserheblich ist (zur Klärungsfähigkeit vgl. bspw. BFH, Beschl. v. 14.06.2017, X B 118/16, BFH/NV 2017, 1437). Denn sowohl der Ablehnungsbescheid vom 04.09.2020 als auch die Einspruchsentscheidung vom 13.04.2021 wurden (vor dem 01.02.2022) von der damals zuständigen Familienkasse Y. erlassen.
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