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Der Einkommensteuerbescheid 2022 vom 02.01.2024 wird bis nach Maßgabe der Gründe bis einen Monat nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung oder einer sonstigen Erledigung des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner zu ¾ und die Antragsteller zu ¼.
Die Beschwerde wird zugelassen.
I.
2Streitig ist die Frage, ob die Einkommensteuer 2022 wegen Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des JStG 2020 von der Vollziehung auszusetzen ist.
3Die Antragsteller sind Eheleute, die im Jahr 2022 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Im Rahmen ihrer am 18.10.2023 beim Antragsgegner eingereichten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2022 erklärten die Antragsteller jeweils Einkünfte aus Stillhalterprämien und Gewinne aus Termingeschäften i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin) sowie Verluste aus Termingeschäften i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin). Ausweislich von den Antragstellern übersandter Erträgensaufstellungen ausländischer Kapitalerträge der S.A. E R resultierten die geltend gemachten Gewinne und Verluste aus CFDs (CFDe oder Differenzkontrakte). Hierbei handelt es sich um hochspekulative Derivate, bei denen sich der Kurs von einem Basiswert (Underlying) ableitet, bei dem es sich häufig um Aktien, aber auch um andere Werte (beispielsweise Indizes oder Rohstoffe) handelt. Anders als der Aktienanleger wird der CFD-Anleger ausschließlich an der Kursentwicklung des Finanzinstrumentes beteiligt. CFDs gehören zur Gruppe der finanziellen Differenzgeschäfte.
4Der Antragsgegner veranlagte die Antragsteller mit Einkommensteuerbescheid 2022 vom 02.01.2024 und setzte Einkommensteuer i.H.v. X € sowie Solidaritätszuschlag i.H.v. X fest. Der Antragsgegner berücksichtigte dabei Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin), die er wie folgt ermittelte:
5Antragsteller |
Antragstellerin |
|
Einkünfte aus Stillhalterprämien und Gewinne aus Termingeschäften |
X € |
X€ |
Verrechnung laufender Verluste aus Termingeschäften |
- 20.000,00 € |
- 20.000,00 € |
Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen (Termingeschäfte) |
- X € |
- X € |
Verrechnung von Verlustvorträgen aus Kapitalvermögen |
- X € |
|
Sparer Pauschbetrag |
- 801,00 € |
- 801,00 € |
Einkünfte |
X € |
X € |
Zugleich erließ der Antragsgegner einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2022, in dessen Rahmen er den nicht verrechenbaren Verlust i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin) gesondert feststellte.
7Gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwiesen sie auf die beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen 10 K 1091/23 anhängige Klage.
8Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit der Begründung ab, dass die geltende Rechtslage angewandt worden sei. Das Einspruchsverfahren stellte der Antragsgegner im Hinblick auf die beim FG Baden-Württemberg anhängige Klageverfahren ruhend.
9Am 14.02.2024 haben die Antragsteller einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Zur Begründung tragen die Antragsteller vor, es sei unzumutbar, die Steuernachzahlungen auf die Gewinne festzusetzen, die sie nicht erzielt hätten. Die Verlustverrechnungsbeschränkung auf 20.000,00 € bei den Termingeschäften sei verfassungsrechtlich bedenklich. Die Antragsteller verweisen erneut auf die vor dem FG Baden-Württemberg anhängige Musterklage (10 K 1091/23).
10Der Antragsgegner habe die Tatsache der Verlustverrechnungsbeschränkung als strittig anerkannt und mit Schreiben vom 29.01.2024 den Einspruch bis zur Entscheidung des Musterprozesses als ruhend erklärt. Die Rechtsfrage der Verlustverrechnungsbeschränkung sei somit eindeutig als strittig zu betrachten. In diesem Fall habe der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung.
11Die Antragsteller beantragen,
12die Vollziehung des Bescheides für 2022 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 02.01.2024 bis zu einer Entscheidung im Einspruchsverfahren ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
13Der Antragsgegner beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Hierzu trägt der Antragsgegner vor, eine Verletzung des Gleichheitssatzes sei nicht gegeben. Die der Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG unterfallenden Termingeschäfte seien mit den übrigen Tatbeständen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht vergleichbar. Es handele sich nicht um wesentlich Gleiches. Die Art der Anlagen sei verschieden. Das Risiko der beispielhaft genannten Erträge aus Kapitalforderungen (z.B. aus Dividenden bzw. Aktienveräußerungen) sei ungemein geringer, da im Gegensatz zu Termingeschäften nur das eingesetzte Kapital verloren gehen könne. Auch liege kein Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgende Gebot zur Besteuerung nach Leistungsfähigkeit oder das Gebot der Folgerichtigkeit vor. So sei etwa eine Mindestbesteuerung, wie sie auch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG durch eine Beschränkung der Verrechnung auf 20.000 € pro Jahr vorsehe, verfassungsrechtlich nicht bedenklich (Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 29.04.2005 - XI B 127/04, BStBl II 2005, 609). Es genüge, dass Verluste überhaupt, also auch in anderen Veranlagungszeiträumen, abzugsfähig seien.
16Eine getroffene Belastungsentscheidung, der durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG widersprochen wird, werde von den Antragstellern nicht dargestellt. Sofern es sich bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG aber dennoch um eine systemwidrige Ausnahme handeln sollte, trage § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG dem Umstand Rechnung, dass die erfassten Finanzanlagen in wesentlichem Umfang spekulativ seien. Der Gesetzgeber habe beabsichtigt, das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger resultierenden Verlustrisiken zu begrenzen (BT-Drs. 19/15876, 61). Dass Termingeschäfte nicht ausschließlich zu spekulativen Zwecken eingesetzt werden, könne dabei im Wege zulässiger Typisierung vernachlässigt werden. Eine einzelfallbezogene Prüfung des Zwecks des eingegangenen Termingeschäfts wäre nicht handhabbar. Eine Typisierung sei in solchen Fällen zulässig (Urteil des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 10.04.2018 - 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, 147).
17Eine § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG entsprechende Vorschrift finde sich in § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG. Der BFH sehe in Bezug auf § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.2016 - IV R 20/13, BStBl II 2016, 739).
18Nach Auffassung des BFH begründe zwar § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG einen Verfassungsverstoß (vgl. BVerfG-Vorlagebeschluss vom 17.11.2020 - VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562). Die vom BFH hierzu genannten Gründe könnten allerdings nicht ohne Weiteres auf die Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG übertragen werden, da Termingeschäfte durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte im Vergleich zu Aktiengeschäften hoch spekulativ seien.
19Sofern die Aussetzung der Vollziehung damit begründet werde, dass Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit bestehen, bedürfe es zusätzlich eines besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Ein solches sei hier weder ersichtlich noch vorgetragen. Zudem würde die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG führen und damit im Widerspruch zu dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes stehen.
20Auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte scheide aus. Sofern die erzielten Verluste aus Termingeschäften uneingeschränkt berücksichtigt worden wären, wäre die Einkommensteuer 2022 mit X € festzusetzen gewesen. Die beantragte Aussetzung der Vollziehung sei folglich i.H.v. X € zu beziffern. Die Antragsteller hätten nicht geltend gemacht, dass ihnen bei sofortiger Vollziehung Nachteile drohen würden, deren Folgen nicht mehr oder nur schwer rückgängig gemacht werden könnten oder existenzbedrohend seien. Insbesondere hätten sie ihre wirtschaftliche Lage im Einzelnen nicht vorgetragen.
21II.
221. Der zulässige Antrag ist teilweise – und zwar soweit er die Beschränkung des Verlustausgleichs bei Termingeschäften auf 20.000,00 € betrifft – begründet. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
23a. Der Antrag ist zulässig.
24Nach § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag aussetzen bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
25aa) Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 05.07.2018 - II B 122/17, BFHE 262, 163, BStBl II 2018, 660, Rz 10, m.w.N.). Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BFH-Beschluss vom 15.04.2020 - IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919, Rn. 25). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 25.04.2018 - IX B 21/18, BFHE 260, 431, BStBl II 2018, 415, Rz 13, m.w.N.).
26(1) Nach der (bisherigen) Rechtsprechung des BFH setzt die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm wegen des Geltungsanspruchs jedes formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich voraus, dass ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschluss vom 10.02.1984 - III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; BFH-Beschluss vom 01.04.2010 - II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; BFH-Beschluss vom 09.03.2012 - VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418, sowie BFH-Beschluss vom 15.04.2014 II B 71/13, BFH/NV 2015, 7). Ausnahmsweise hat der BFH auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt, und zwar wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte, wenn der BFH (nicht aber ein Finanzgericht) die vom Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage oder um ausgelaufenes Recht geht (vgl. BFH-Beschluss vom 18.06.2012 - II B 17/12, BFH/NV 2012, 1652; BFH-Beschluss vom 15.04.2014 - II B 71/13, BFH/NV 2015, 7; BFH-Beschluss vom 15.06.2016 - II B 91/15, BFHE 253, 319, BStBl II 2016, 846; BFH-Beschluss vom 21.07.2016 - V B 37/16, BFHE 254, 491, BStBl II 2017, 28; BFH-Beschluss vom 28.10.2022 - VI B 15/22, BFHE 278, 27, BStBl II 2023, 12).
27(2) Ob an dieser Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wird jedoch inzwischen von mehreren Senaten des BFH offengelassen (vgl. zum Streitstand BFH-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22, BFH/NV 2022, 1030 mit Verweis auf: BFH-Beschluss vom 02.08.2007 - IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270; BFH-Beschluss vom 25.08.2009 - VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826; BFH-Beschluss vom 09.05.2012 - I B 18/12, BFH/NV 2012, 1489; auch BFH-Beschluss vom 22.09.2023 - VIII B 64/22, juris, Rn. 21). Ebenso hat das BVerfG es zuletzt offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 24.10.2011 - 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, NJW 2012, 372, Rz 4, und BFH-Beschluss vom 06.05.2013 - 1 BvR 821/13, HFR 2013, 639). Darüber hinaus wird in der Literatur vertreten, dass nicht nur ernstliche Zweifel an der (einfachen) Rechtmäßigkeit, sondern erst recht ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bescheids zu dessen Aussetzung der Vollziehung (AdV) zwingen (vgl. Seer, in Tipke/Kruse, FGO, § 69 Rn. 96, 97).
28bb) Wie in den vom BFH entschiedenen Fällen kann vorliegend aber dahinstehen, ob an dem Erfordernis besonderer Zulässigkeitsvoraussetzungen festzuhalten ist. Denn die Interessenabwägung fällt vorliegend eindeutig zugunsten der Antragsteller aus. Bei dieser Abwägung lässt sich der Senat – ebenso wie der 1. Senat des FG Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 05.12.2023 – 1 V 1674/23 – davon leiten, dass die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte von erheblichen Gewicht sind. Die in dem Vorlagebeschluss des VIII. Senats des BFH vom 17.11.2020 (VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562) an das BVerfG genannten Gründe lassen bei der gebotenen summarischen Prüfung auch eine rechtliche Überprüfung der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als erforderlich erscheinen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es sich bei den Verlustverrechnungsbeschränkungen für Verluste aus Aktienveräußerungen bzw. für Termingeschäfte um jeweils eigenständige Vorschriften handelt. Gleichwohl können aus der in dem Vorlagebeschluss genannten Begründung Rückschlüsse auf die Frage der Verfassungsgemäßheit der hier streitigen Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. vom 21.12.2020 (n.F.) gezogen werden.
29Darüber hinaus sind die Konsequenzen der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids für die Antragsteller erheblich, da diese bei wirtschaftlicher Betrachtung tatsächlich gar keine Gewinne aus Termingeschäften erzielt haben, dennoch aber Steuern auf Gewinne i.H.v. X € (Antragsteller) und X € (Antragstellerin) zahlen müssen. Die Auswirkungen der Verlustverrechnungsregelung sind wegen der doppelten Begrenzung (sachlich und betragsmäßig) erheblich (vgl. auch Drüen, FR 2020, 663, 664).
30Der Antragsgegner hat demgegenüber weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass die Gewährung der AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte. Dies erscheint auch äußerst zweifelhaft, da nicht in Frage steht, ob Verluste aus Termingeschäften mit anderen Einkünften oder Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden können, sondern die Beschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000,00 € angegriffen wird. Angesichts dessen ist dem Interesse der Antragsteller an einer AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids Vorrang zu geben.
31b. Der Antrag ist auch begründet.
32Der Senat schließt sich auch insoweit den Ausführungen des 1. Senats des FG Rheinland-Pfalz (vgl. Beschluss vom 05.12.2023 - 1 V 1674/23, EFG 2024, 378-384) an. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F.
33aa) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, wenn nach summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg (vgl. BFH-Beschluss vom 30.06.1967 - III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533; BFH-Beschluss vom 28.11.1974 - V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl II 1975, 239). Ob eine solche Situation vorliegt, ist anhand einer summarischen Prüfung zu beurteilen, bei der nur die aus den Akten erkennbaren Umstände und die dem Gericht zur Verfügung stehenden ("präsenten") Beweismittel berücksichtigt werden können (vgl. BFH-Beschluss vom 03.11.2000 - I S 3/00, BFH/NV 2001, 612). Das Verfahren über die AdV ist ein selbständiges Verfahren neben dem Hauptsacheverfahren; es ist ein abgekürztes, vereinfachtes, kurzes und bündiges Verfahren mit dem Ziel einer vorläufigen Entscheidung. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen, als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Es genügen auch insoweit gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechende Gründe (vgl. Seer, in Tipke/Kruse, FGO, § 69 Rn. 96, 97 m.w.N.).
34bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 2022 vom 02.01.2024 ernstlich zweifelhaft.
35(a) Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt.
36Derartige Termingeschäfte sind – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - vorliegend in Form von CFDs gegeben.
37Die Höhe der erzielten Gewinne und Verluste ist ebenfalls unstreitig und ergibt sich aus den von den Antragstellern vorgelegten Erträgnisaufstellungen der S.A. E R
38(b) Nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG n.F. dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt (§ 20 Abs. 6 Satz 2 EStG). § 10d Absatz 4 ist sinngemäß anzuwenden (§ 20 Abs. 6 Satz 3 EStG). Durch Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019 wurde durch Abs. 6 Satz 5 ein besonderer Verlustverrechnungskreis für Verluste aus Termingeschäften i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG geschaffen und durch Art. 1 Nr. 9 lit. b des JStG 2020 modifiziert (Verdopplung der Verlustverrechnungsmöglichkeit von 10.000,00 € auf 20.000,00 €). Danach dürfen Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000,00 € mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien nach § 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG verrechnet werden; die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20.000,00 € mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nummer 11 verrechnet werden dürfen. Diese Einschränkungen des Verlustabzugs, die neben Abs. 6 Satz 4 und Abs. 6 Satz 6 eine weitere Schedule innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte begründen, gelten für nach dem 31.12.2020 entstehende Verluste (§ 52 Abs. 28 S. 25 EStG).
39§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. bewirkt also, dass Verluste aus Termingeschäften zwar nicht generell versagt, jedoch nur bei (späteren) Gewinnen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeitlich gestreckt abgezogen werden dürfen (vgl. Bleschick, in Kirchhof/Seer, EStG, § 20 Rn. 177a).
40(c) Gegen eine derartig strenge Beschränkung der Verlustverrechnung bestehen in der Literatur erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. zum Meinungsstand Bleschick, in Kirchhof/Seer, EStG, § 20 Rn. 177b m.w.N.: so u.a. Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. J 20 - 4; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 728; Drüen, FR 2020, 663, 668).
41Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs verweist der Senat umfassend auf die Ausführungen des BFH im Rahmen des Vorlagebeschlusses vom 17.11.2020 – VIII R 11/18, BFHE 271, 399, BStBl II 2021, 562, Rn. 34-39.
42Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs bestehen erhebliche Bedenken, ob § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
43Die Vorschrift behandelt Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus Termingeschäften oder aus der anderen Kapitalanlagen erzielt haben. Für diese Ungleichbehandlung fehlt es selbst bei einer Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichenden rechtfertigenden Grund.
44(aa) Steuerpflichtige, die Verluste aus Termingeschäften erzielt haben, werden durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. gegenüber Steuerpflichtigen, die Verluste aus anderen Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG erzielt haben insoweit ungleich behandelt, als dass die Terminverluste nur bis zu einem Betrag i.H.v. 20.000,00 € mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden können, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Anleger bestehen. Es ist nicht ersichtlich, dass Anleger, die in Termingeschäfte investieren, grundsätzlich leistungsfähiger sind, als solche, die etwa in Aktien investieren. Beide Gruppen von Anlegern müssen ein gewisses Kapital einsetzen, welches sie durch die Anlage zu steigern versuchen. Im Rahmen beider Anlagen kann es dazu kommen, dass Gewinne oder Verluste erzielt werden, welche wiederum Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Anleger haben.
45Entgegen der Ansicht des Antragsgegners kommt es dabei nicht auf das (Termingeschäften innewohnende) Anlage-Risiko an, sondern allein auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen, die entsprechende Anlagen halten. Die Frage der Risikobewertung ist vielmehr auf Ebene der Rechtfertigung zu betrachten.
46Die durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. begründete Ungleichbehandlung wirkt dabei aufgrund der Begrenzung des Verlustausgleichs auf 20.000,00 € auch innerhalb der Termingeschäfte noch deutlich schwerer als die durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. vom BFH monierte Ungleichbehandlung. Denn durch die Beschränkung des Verlustabzugs auf 20.000,00 € und den damit verbundenen Verlustvortrag drohen Verluste nicht nur vollständig ungenutzt zu bleiben, es kann auch - wie im Streitfall - dazu kommen, dass hohe Steuern auf Gewinne anfallen, obwohl bei wirtschaftlicher Betrachtung keinerlei Gewinne aus derselben Kapitalanlage entstanden sind.
47(bb) Für diese Ungleichbehandlung fehlt es an einem rechtfertigenden Grund.
48Dabei kann dahinstehen, ob zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung das strengere Verhältnismäßigkeitsprinzip oder lediglich das Willkürverbot heranzuziehen ist. Denn § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. hält bereits einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand. Es fehlt ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung.
49Der Gesetzgeber hat zur Begründung des 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. ausgeführt, dass Termingeschäfte durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ seien. Es könnten einerseits hohe Gewinne und andererseits der Totalverlust der Anlage eintreten. Diese Effekte würden bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auftreten. Verluste aus Termingeschäften seien deshalb in einem besonderen Verlustverrechnungskreis zu berücksichtigen, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Die Berücksichtigung der Verluste werde nicht generell versagt. Die Verlustnutzung werde zeitlich gestreckt und die Verluste veranlagungsübergreifend berücksichtigt (BT-Drucks. 19/15876, 61).
50Diese Begründung überzeugt in Bezug auf die hier streitgegenständliche Beschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000,00 € nicht. Sie mag vielleicht – wozu der Senat keine Stellung nehmen muss, da die Antragsteller keine anderen Gewinne aus Kapitalvermögen erzielt haben – geeignet sein, den gesonderten Verlustverrechnungskreis bezogen auf die besonders risikobehafteten Termingeschäfte zu rechtfertigen. Für eine Beschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000,00 € sind aber keinerlei Gründe ersichtlich.
51Nicht schlüssig ist dabei bereits, weshalb die Sofortversteuerung einzig für die (ggf. hohen) Gewinne aus Termingeschäften greifen soll (vgl. Drüen, FR 2020, 663, 673; Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122). Es überzeugt auch nicht, dass der Eintritt von Verlusten bei Termingeschäften deutlich wahrscheinlicher sei als bei sonstigen betrieblichen Tätigkeiten (vgl. Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Lfg. 298 6.2020, § 20 Anm. J 20 - 4). Zwar deutet auch der Verweis auf den spekulativen Charakter von Termingeschäften in der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/15876, 61) in diese Richtung. Doch ist es den Einkünften aus Kapitalvermögen gerade wesensimmanent, dass sie häufig aus spekulativen Geschäften erzielt werden. Dass es mehr oder weniger risikoreiche Kapitalanlagen gibt, ist zwar zutreffend, rechtfertigt aber noch nicht eine Verlustverrechnungsbeschränkung. Dies gilt umso mehr, als bei Termingeschäften auch überproportionale Gewinne denkbar sind, gegen deren sofortige Besteuerung der Gesetzgeber offenbar keine Bedenken hat. Es ist nun aber gerade Ausfluss des objektiven Nettoprinzips, dass Gewinne und Verluste steuerlich gleichbehandelt werden müssen. Auch der im Regierungsentwurf WElektroMobFördG („JStG 2019“) noch herangezogene Gedanke der drohenden Steuerausfälle (vgl. BTDrucks. 19/13436, 112) vermag die Beschränkung der Verlustverrechnung nicht zu rechtfertigen (vgl. Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. J 20 - 4). Es ist nicht folgerichtig, dass der Steuerpflichtige den Gewinn aus Kapitalanlagen vollumfänglich im Zeitpunkt des Zuflusses versteuern soll, die Anerkennung seiner Verluste aber betragsmäßig begrenzt wird. Dies ist keine staatliche Partizipation am Ergebnis des Wirtschaftens durch den Steuerpflichtigen mehr, sondern gerade ein zu den wirtschaftlichen Begebenheiten des Marktes und des Anlegerverhaltens asymmetrische Besteuerung einzelner (geglückter) Geschäfte (vgl. Drüen, FR 2020, 663, 666).
52Ausgehend vom Sicherungscharakter der Termingeschäfte wird zudem geltend gemacht, dass ein Wertungswiderspruch der Behandlung privater Termingeschäfte (Verlustverrechnung) zur Behandlung von Sicherungsgeschäften bei bilanzierenden Steuerpflichtigen vorliege (vgl. Drüen, FR 2020, 663, 667 f.; zum Sicherungscharakter und Steuerbelastungsvergleich im Privat- und Betriebsvermögen vgl. Stiegler, NWB 2022, 391, 392, 397 ff.).
53Drüen führt in FR 2020, 663, 669, 671 zutreffend aus, dass bei Festlegung der Verrechnungsgrenze eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung nicht ersichtlich sei, weshalb „Kleinanlegern“ im Gegensatz zu „größeren“ Anlegern eine vollständige Verlustverrechnung möglich sein solle. In der Wiederherstellung der Verlustverrechnungsmöglichkeit – dem gesetzlichen Normalfall also – nur für Kleinanleger liege eine Vermischung von Fiskalzweck und Lenkungsnorm. Entgegen der Rechtsprechung des BVerfG zur realitätsgerechten Typisierung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 26.03.2019 – 1 BvR 673/17, BVerfGE 151, 101) würden große Teile der Normadressaten ausgeblendet.
54Der Senat schließt sich im summarischen Verfahren der von Jochum, in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68c vertretenen Auffassung an, dass der vom Finanzausschuss zur Begründung genannte Befund, Termingeschäfte seien aufgrund ihrer begrenzten Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ, nicht die zeitliche Streckung der Verlustverrechnung rechtfertigen könne. Es erschließt sich nicht, auf welche Weise diese Maßnahme dazu beitragen könne, „das Investitionsvolumen und die darauf für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen“, wie der Ausschuss weiter ausführt. Aus Sicht des Senates zutreffend wird weiter festgestellt, dass einzig und allein die steuermindernde Nutzung erlittener Verluste begrenzt wird, während es bei der Sofortversteuerung der (ggf. hohen) Gewinne bleibt. Dabei birgt erst diese weitere kleinteilige Schedularisierung das Risiko, keine entsprechenden Gewinne generieren zu können, sodass letztlich eine fiskalische Motivation gegeben ist. Weiter führt Jochum in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68d aus, dass die betragsmäßige Grenze inakzeptabel sei, da Verluste korrespondierend zu Gewinnen zu berücksichtigen seien. Wenn der Gesetzgeber schon eine Art Mindestbesteuerung für geboten erachten sollte, wäre er aus Gründen der Folgerichtigkeit zunächst auf den in § 10d Abs. 2 EStG enthaltenen Sockelbetrag von 1 Mio. € verwiesen.
55Die Verlustverrechnungsbeschränkung geht mit der Gefahr einher, dass eine Verlustberücksichtigung faktisch ganz ausgeschlossen sein kann. Kann doch ein Totalverlust der Vermögenssubstanz nur durch positive Kapitalerträge aus anderen Einzelanlagen ausgeglichen werden. Hierfür gilt aber zum einen die betragsmäßige Begrenzung und zum anderen sind die Grenzen des jeweiligen Verlustverrechnungskreises zu wahren. Eine Rechtfertigung hierfür ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht aus der Gesetzesbegründung. Damit soll wohl weniger der Anleger davor geschützt werden, zu hohe Verlustrisiken einzugehen, als der Fiskus vor den Folgen für das Steueraufkommen, die aber wiederum nicht beziffert werden. Dabei erscheint es jedenfalls nicht folgerichtig, dass spekulationsbedingte hohe Gewinne bei Zufluss voll zu versteuern sind, Verluste jährlich aber nur begrenzt und unter Umständen – je nach Lebenserwartung des Steuerpflichtigen – gar nicht anerkannt werden (vgl. Jachmann-Michel, jM 2020, 120, 122; Jachmann-Michel, BB 2020, 727, 729; Drüen, FR 2020, 663, 672; vgl. auch Bron, BB 2020, 535, 536: bei einem Verlust von z.B. 1 Mio. € müsste der Steuerpflichtige - bei der ursprünglichen Grenze von 10.000,00 € - 100 Jahre leben und in jedem dieser 100 Jahre hinreichende Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien erzielen). Dass ein Definitiveffekt eintritt, liegt bei einer Begrenzung der Verlustverrechnung auf 20.000,00 € p.a. auf der Hand (vgl. Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. J 20 - 4). Die alleinige Abziehbarkeit in den folgenden Veranlagungszeiträumen kann nur zur Folge haben, dass die Verlustverrechnung endgültig scheitert. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, verstirbt oder keine privaten Kapitaleinkünfte mehr erzielt. Daraus ergibt sich in diesen Fällen ein mit dem objektiven Nettoprinzip nicht zu vereinbarender Belastungsüberhang in der Totalperiode (vgl. Jochum, in Kirchhof/Seer/Mellinghoff, § 20 Rn. H 68d).
56Im Streitfall bräuchten die Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes i.H.v. rund X € bzw. rund X € bereits jetzt schon über X Jahre, um die Verluste auszugleichen – vorausgesetzt, es stehen namentlich im Rahmen der Termingeschäftsschedule (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F.) jedes Jahr positive Einkünfte aus Termingeschäften und Stillhalterprämien von mindestens 20.000,00 € zur Verfügung und es kommen keine weiteren Verluste hinzu. Dies erscheint unrealistisch (vgl. hierzu auch Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 20 Anm. J 20 - 4). Die Verrechnungsgrenze führt im Streitfall zu einem unverhältnismäßigen und widersinnigen Ergebnis, da die Antragsteller bei einem Reingewinn in Höhe von „nur“ 0,00 € Einkommensteuer i.H.v. X € zahlen müssen, d.h. sie müssen die Steuern vollständig aus nicht aus Termingeschäften erwirtschafteten Einnahmen bestreiten (vgl. hierzu auch Drüen, FR 2020, 663, 672; Dorn/Horstkötter, DB 2021, 134, 137 mit einem Beispiel zur Besteuerung von erzielten Gewinnen in Abhängigkeit von der Höhe der Verluste).
57c) Die zu gewährende AdV muss sich daher im Ergebnis, wie vom Antragsgegner in seinem Schreiben vom 10.04.2024 richtig dargestellt, auf die Berücksichtigung der Gewinne aus Termingeschäften mit 0,00 € beziehen. Denn bei Verfassungswidrigkeit des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG n.F. wären die erzielten Verluste in vollem Umfang zu berücksichtigen, wodurch es zu positiven Einkünften i.H.v. 0,00 € i.S. des § 32d Abs. 1 EStG kommen würde.
58d) Eine darüberhinausgehende AdV kommt nicht in Betracht. Eine solche würde sich nur bei erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ergeben. Hiernach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden. Die Antragsteller haben aber im Rahmen ihres ohnehin sehr wenig substantiierten Vortrags keinerlei Umstände vorgetragen, die entsprechende Zweifel begründen könnten. Solche sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Entsprechend scheidet auch für Zwecke der AdV die Verrechnung der Verluste aus Termingeschäften mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten aus.
593. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
604. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Entsprechende Verfahren sind bereits beim BFH unter den Aktenzeichen VIII B 113/23 und VIII R 11/24 anhängig.