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Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.06.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.11.2022 wird insoweit aufgehoben als die Monate März 2019 bis Dezember 2019 sowie Mai 2020 bis Februar 2021 betroffen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 40 % und die Beklagte zu 60 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Kindergeldaufhebung und -rückforderung für den Zeitraum März 2019 bis Januar 2022.
3Die Klägerin ist die leibliche Mutter des am 02.02.2000 geborenen Sohnes S. (nachfolgend: S.).
4Mit Schreiben vom 22.01.2019 machte das Jobcenter H-Stadt einen Erstattungsanspruch gem. §§ 102 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber der Beklagten geltend. In dem Schreiben teilte das Jobcenter mit, dass S. in der Bedarfsgemeinschaft unter der Adresse T-Straße 2, xxxxx H-Stadt lebe und seit dem 01.09.2018 für ihn nach dem SGB II Leistungen erbracht würden.
5Nachdem S. am 01.03.2019 eine voraussichtlich dreijährige Ausbildung zum xxx bei der Firma J GmbH in C-Stadt begonnen hatte, stellte die Klägerin unter Vorlage des Ausbildungsvertrages vom 20.02.2019 am 05.06.2019 einen Antrag auf Kindergeld für S. In diesem Antrag gab sie an, dass ihr Sohn nicht in ihrem Haushalt, sondern bei seiner Schwester in H-Stadt lebe. Des Weiteren gab sie an, die Adresse des Kindesvaters V. nicht zu kennen. Das für die Einwilligung des anderen Elternteils vorgesehene Unterschriftsfenster am Ende des Antrags blieb leer. Mit Bescheid vom 26.07.2019 setzte die Beklagte ab dem Monat Februar 2019 Kindergeld für S. fest. In der dazugehörigen Kassenanordnung vom 26.07.2019 vermerkte die Beklagte unter dem Punkt Haushaltsaufnahme: „nicht im Haushalt der Berechtigten“.
6Mit Bescheid vom 03.01.2022 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für S. ab Februar 2022 wegen der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung auf.
7Mit Schreiben vom 07.02.2022 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Nachweise über das Ende der Berufsausbildung des Sohnes vorzulegen, worauf die Klägerin mitteilte, sie habe seit 2018 kaum Kontakt zu ihrem Sohn und könne daher keine genaueren Angaben machen oder Unterlagen vorlegen.
8Nach entsprechender Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2022 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum von März 2019 bis einschließlich Januar 2022 auf und forderte das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld einschließlich der ausgezahlten Kinderboni in Höhe von insgesamt 7.745 € zurück. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Sie trug vor, sie habe nunmehr erfahren, dass S. seine Ausbildung bereits im Jahr 2019 abgebrochen habe. Danach habe er zunächst Arbeitslosengeld II bezogen und später verschiedene Tätigkeiten ausgeübt. Da er zwischenzeitlich seine Wohnung verloren habe, habe er sich pro forma unter ihrer Adresse angemeldet, dort aber nicht gewohnt.
9Die Beklagte forderte die Klägerin im Rahmen des Einspruchsverfahrens auf, mitzuteilen, welcher Elternteil in welcher Höhe während des Streitzeitraums Unterhalt an das Kind gezahlt habe. Des Weiteren wurde der Klägerin erläutert, welche Nachweise für das Bestehen eines Kindergeldanspruchs vorzulegen seien.
10Die Klägerin legte darauf eine Bescheinigung des Ausbildungsbetriebes über die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zum 01.09.2019 vor. Weitere Erklärungen oder Unterlagen wurden nicht eingereicht.
11Mit Einspruchsentscheidung vom 29.11.2022 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe keine Angaben zur Haushaltszugehörigkeit des Kindes und zu dem gegenüber dem Kind geleisteten Barunterhalt gemacht. Es habe daher nicht festgestellt werden können, bei welchem Elternteil die vorrangige Anspruchsberechtigung gem. § 64 Einkommensteuergesetz (EStG) liege. Außerdem seien über die Zeit der Ausbildung hinaus keine Nachweise über ein Ausbildungsverhältnis, eine ernsthafte Ausbildungsplatzsuche oder eine Arbeitslosmeldung des Kindes vorgelegt worden.
12Am 29.12.2022 hat die Klägerin Klage erhoben und macht geltend, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid zumindest für den Zeitraum der Berufsausbildung des Sohnes, d. h. bis einschließlich September 2019 rechtswidrig sei. Nähere Informationen zu dem übrigen Zeitraum entzögen sich ihrer Kenntnis, da sie keinerlei Kontakt zu ihrem Sohn gehabt habe. Es sei daher sachgerecht, unmittelbar den Sohn zu kontaktieren und den Sachverhalt in tatsächlicher Sicht von Amts wegen aufzuklären. Zu der Frage der Unterhaltsleistungen gibt die Klägerin an, sie habe regelmäßige Unterhaltsleistungen in Höhe des Kindergeldes an ihren Sohn gezahlt und darüber hinaus auch Unterhaltsleistungen durch eine Beteiligung an den Kosten für Führerschein, Wohnungseinrichtung und Handy erbracht. Der Kindesvater habe während des Streitzeitraums keinerlei Unterhaltszahlungen geleistet. Dies bestätigte der Sohn gegenüber dem Gericht mit Schreiben vom 08.11.2023.
13Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens trägt die Klägerin vor, der Sohn habe sich nach Abbruch der Ausbildung im September 2019 ernsthaft um eine neue Ausbildungsstelle bemüht. Insbesondere habe er sich bei der Bundesagentur als arbeits- und ausbildungssuchend gemeldet und zahlreiche Bewerbungen geschrieben. Als Nachweis legt sie mehrere Bewerbungsschreiben aus dem Monat Januar 2021 sowie ein Absageschreiben der Firma N. vom 22.07.2020 vor.
14Die Klägerin beantragt sinngemäß,
15den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.06.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.11.2022 aufzuheben.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie vertritt die Auffassung, dass für den gesamten Streitzeitraum kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Auch für den Zeitraum der Berufsausbildung von März 2019 bis September 2019 könne ein Kindergeldanspruch nicht bejaht werden, weil der Sohn der Klägerin nicht in ihrem Haushalt gelebt habe und daher gem. § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG das Kindergeld vorrangig demjenigen zustehe, der gegenüber dem Kind den höheren Unterhalt gezahlt habe. Allein die Weiterleitung des Kindergeldes sowie sporadische Unterstützungsleistungen an den Sohn stellten keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen dar. Sofern kein Elternteil Unterhaltszahlungen erbracht hätte, sei eine Berechtigtenbestimmung durch die Eltern vorzunehmen, an der es bisher fehle.
19Im Verlauf des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Einwilligung des Sohnes der Klägerin Einsicht in die Datenbank VerBIS der Agentur für Arbeit genommen und mitgeteilt, dass der Sohn dort während der Zeit von September 2019 bis Dezember 2019 sowie in der Zeit ab Mai 2020 arbeitssuchend gemeldet gewesen sei. Während der Monate Januar 2020 bis April 2020 habe dort keine Meldung vorgelegen. Vom Grundsatz her sei daher eine Berücksichtigung für den Zeitraum von März 2019 bis Dezember 2019 und von Mai 2020 bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs im Monat Februar 2021 möglich. Aus Sicht der Beklagten fehle es allerdings nach wie vor an einer Berechtigtenbestimmung der Eltern. Ohne diese sei eine Teilabhilfe nicht möglich.
20Zur Frage der Anwendbarkeit des § 70 Abs. 3 EStG trägt die Beklagte vor, dass zum Zeitpunkt der Festsetzung am 26.07.2019 davon ausgegangen worden sei, dass S. lediglich vorübergehend zum Zwecke der Ausbildung den Haushalt der Klägerin verlassen habe und daher die Haushaltsaufnahme wegen der nur vorübergehenden räumlichen Trennung weiterhin bestanden habe. Der Abbruch der Ausbildung sei der Beklagten erst im Nachhinein bekannt geworden.
21In dem in dieser Sache abgeschlossenen Aussetzungsverfahren (Az. 1 V 513/24 AO) hat das Gericht an das Jobcenter der Stadt D ein Auskunftsersuchen gerichtet, ob der Sohn während des Streitzeitraums dort ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen sei. Das Auskunftsersuchen hat zu keinen weiteren Erkenntnissen geführt.
22Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
23Entscheidungsgründe
24A. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
25B. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
26I. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 10.06.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.11.2022 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO), als er die Monate März 2019 bis Dezember 2019 sowie Mai 2020 bis Februar 2021 betrifft.
271. Für den genannten Zeitraum liegen die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch gem. § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2a) EStG vor.
28a) Für ein Kind, das das 18., jedoch noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, besteht ein Kindergeldanspruch, wenn es nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als arbeitssuchend gemeldet ist.
29Ausweislich der Eintragungen in der Datenbank VerBIS war der Sohn der Klägerin in der Zeit von September 2019 bis Dezember 2019 und ab Mai 2020 bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet. Sein 21. Lebensjahr vollendete das Kind im Februar 2021. Für die Monate September 2019 bis Dezember 2019 sowie Mai 2020 bis Februar 2021 sind daher die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG erfüllt.
30b) Für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a) EStG ein Kindergeldanspruch, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
31In der Zeit von Mai 2019 bis zum 01.09.2019 befand sich der Sohn der Klägerin in einer Ausbildung zum xxx, so dass für die Monate März 2019 bis September 2019 ein Anspruch auf Kindergeld bestand.
322. § 64 EStG steht der Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin nicht entgegen.
33Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten, von denen keiner das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat und keinen regelmäßigen, über das Kindergeld hinausgehenden Unterhalt zahlt, müssen die Kindergeldberechtigten gem. § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG untereinander bestimmen, wer das Kindergeld erhalten soll, und dies der Familienkasse mitteilen. Eine entsprechende Mitteilung liegt nicht vor.
34Im Streitfall fehlt es zwar an einer entsprechenden Berechtigtenbestimmung, jedoch kann der Festsetzungsbescheid vom 26.07.2019 mit dieser Begründung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben oder geändert werden, da es an einer Änderungsbefugnis fehlt.
35Nach Verstreichen der Einspruchsfrist gem. § 355 AO sind Steuerbescheide, die nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind, nur noch unter den Voraussetzungen der §§ 129, 172-177 AO oder spezialgesetzlich geregelter Änderungsvorschriften änderbar. Kindergeld wird gem. § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt, so dass es sich bei dem Bescheid über die Kindergeldfestsetzung um einen Steuerbescheid handelt. Für Kindergeldbescheide gelten zusätzlich zu den in der AO geregelten Korrekturvorschriften die speziellen auf den Charakter des Dauerverwaltungsakts ausgerichteten Änderungsvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG.
36a) Die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen nicht vor.
37Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer oder einer niedrigeren Steuervergütung führen. Tatsache im Sinne von § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also – entscheidungsrelevante ‑ Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Schlussfolgerungen, eine steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen und Subsumtionen sind keine Tatsachen (ständige Rechtsprechung BFH v. 12.3.2019 - IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057). Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 Rz. 25).
38aa) Im Streitfall stellt der für die Anwendung des § 64 Abs. 2 EStG relevante Umstand, wo der Sohn der Klägerin lebte, eine Tatsache i.S.d. § 173 AO dar. Diese Tatsache ist jedoch nicht nachträglich bekannt geworden, da dieser Umstand der Beklagten bereits vor Erlass des Festsetzungsbescheides vom 26.07.2019 bekannt war.
39Aufgrund der Mitteilung des Jobcenters am 22.01.2019, war der Beklagten bekannt, dass S. nicht mehr im Haushalt der Klägerin, sondern seit dem 01.09.2018 in H-Stadt im Haushalt ihrer seiner Schwester, d.h. der Tochter der Klägerin, lebte und dort im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft SGB-Leistungen bezog. Außerdem hatte die Klägerin in ihrem Kindergeldantrag vom 05.06.2019 angegeben, dass der Sohn nicht in ihrem, sondern in dem Haushalt ihrer Tochter in H-Stadt lebe.
40bb) Die ebenfalls für die Anwendung des § 64 Abs. 2 EStG relevante Tatsache, dass weder die Klägerin noch der Kindesvater regelmäßigen Unterhalt an das Kind S. zahlte, ist der Beklagten zwar erst im Einspruchs- bzw. Klageverfahren und damit nachträglich bekannt geworden; jedoch steht einer Änderungsbefugnis nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Verletzung der Sachverhaltsaufklärungspflicht der Beklagten entgegen.
41Für den Fall der Aufhebung oder Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen bzw. Kindergeldberechtigten normiert § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zwar nicht ausdrücklich eine Regelung zur Verantwortlichkeit des nachträglichen Bekanntwerdens, wie dies bei einer Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO der Fall ist, jedoch gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, nachdem eine Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgeschlossen ist, wenn die Gesamtwürdigung aller hierfür maßgeblichen Umstände ergibt, dass die in Frage stehenden Tatsachen und Beweismittel der zuständigen Finanzbehörde bei gehöriger Erfüllung ihrer Sachaufklärungspflicht nicht verborgen geblieben wären, wenn also z.B. vorhandene Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt wurden und die entsprechende Pflichtverletzung unter den gegebenen Umständen als alleinige Ursache der Korrekturbedürftigkeit zu werten ist. Im Fall einer Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen ist eine Abwägung der jeweiligen Pflichtverletzungen vorzunehmen (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO § 173 Rz. 238; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO § 173 Rz°61)
42Im Streitfall war der Beklagten vor Erlass des Festsetzungsbescheides bekannt, dass der Sohn der Klägerin nicht in deren Haushalt lebte. Bei dieser Sachlage hätte hinsichtlich der vorrangigen Kindergeldberechtigung zwingend eine weitere Sachverhaltsaufklärung bezüglich etwaiger Unterhaltszahlungen erfolgen müssen.
43Der Klägerin ist insoweit kein Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflicht vorzuwerfen. Die Klägerin hat bei der Antragstellung den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Sie gab an, die Adresse des Kindesvaters nicht zu kennen. Demzufolge konnte sie auch nicht die am Ende des Vordrucks geforderte Unterschrift des Kindesvaters beibringen. Nach eigenen Unterhaltszahlungen oder Unterhaltszahlungen des Kindesvaters wird in dem Antragsvordruck nicht gefragt. Der Klägerin war nicht zuzumuten, ohne Aufforderung Auskünfte zu den Unterhaltsleistungen zu machen; denn die Notwendigkeit dieser Angaben setzt eine vertiefte Kenntnis der Regelung des § 64 Abs. 2 EStG sowie eine rechtliche Subsumtion des Begriffs der Unterhaltszahlungen voraus.
44cc) Soweit die Beklagte anführt, dass sie aufgrund des Akteninhalts bei der Kindergeldfestsetzung am 26.07.2019 davon ausging, dass S. noch in den Haushalt der Klägerin aufgenommen sei, weil er lediglich vorübergehend zum Zwecke der Ausbildung räumlich von ihr getrennt sei, so trifft dies nicht zu.
45Die Beklagte ging ausweislich des Vermerks in der Kassenanordnung „nicht im Haushalt der Berechtigten“ vom 26.07.2019 davon aus, dass eine Haushaltsaufnahme bei der Mutter nicht mehr vorlag.
46Außerdem handelt es sich bei der von der Beklagten vorgetragenen Annahme, der Sohn der Klägerin sei allein aus dem Grund noch dem Haushalt der Klägerin zuzuordnen, weil er nur zur Ausbildung und damit nur vorübergehend von dem Haushalt der Klägerin räumlich getrennt sei, um eine Schlussfolgerung und keine Tatsache.
47b) Auch die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG liegen im Hinblick auf § 64 EStG nicht vor.
48Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist gem. § 70 Abs. 2 EStG die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern.
49Im Streitfall ist hinsichtlich der Haushaltsaufnahme des Sohnes der Klägerin keine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Der Sohn lebte ausweislich der Mitteilung des Jobcenters bereits seit dem 01.09.2018 im Haushalt seiner Schwester.
50Zwar ist durch den Abbruch der Ausbildung eine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Diese Änderung war aber insoweit nicht für den Anspruch auf Kindergeld erheblich, als die Voraussetzungen für die Berücksichtigung als arbeitssuchendes Kind gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG erfüllt waren (vgl. I. 1. a)).
51c) Schließlich ist die Kindergeldaufhebung für die Monate März 2019 bis Dezember 2019 sowie Mai 2020 bis Februar 2021 auch nicht durch die Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 3 EStG gedeckt, denn diese Vorschrift erlaubt lediglich eine Änderung ab dem auf die Bekanntgabe der Aufhebung folgenden Monat, mithin ab Juli 2022.
52Bei der Vorschrift des § 70 Abs. 3 EStG handelt es sich um eine eigenständige Änderungsvorschrift, die dem Charakter der Kindergeldfestsetzung als Dauerverwaltungsakt Rechnung trägt. Durch § 70 Abs. 3 EStG hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, materiell rechtswidrige Kindergeldfestsetzungen, die nicht unter die Änderungsvorschriften des § 173 AO oder des § 70 Abs. 2 EStG fallen, für die Zukunft zu ändern, damit die Behörde an einen später erkannten Rechtsfehler nicht auf unabsehbare Zeit gebunden bleibt.
53Im Streitfall war die vorrangige Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin ohne überwiegende Unterhaltsleistungen der Klägerin oder Berechtigtenbestimmung materiell rechtswidrig. Eine Korrektur ist gem. § 70 Abs. 3 EStG nur durch Aufhebung oder Änderung für die Zukunft möglich.
54II. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, denn der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
551. Für den Zeitraum Januar 2020 bis April 2020 und März 2021 bis Januar 2022 besteht kein Anspruch auf Kindergeld, weil die Voraussetzungen keines in § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG genannten kindergeldbegründenden Tatbestandes erfüllt sind.
56In diesem Zeitraum befand sich der Sohn der Klägerin nicht mehr in einer Berufsausbildung. Darüber hinaus wurde nicht anhand geeigneter Belege nachgewiesen, dass der Sohn sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat und eine Ausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c) EStG). Unabhängig davon, dass allein die Kopie eines Bewerbungsschreibens als Nachweis für eine ernsthafte Ausbildungsplatzsuche nicht ausreicht, datieren die vorgelegten Bewerbungsschreiben sämtlich aus dem Monat Januar 2021 und betreffen daher nicht den Zeitraum Januar 2020 bis April 2020 und März 2021 bis Januar 2022. Dies gilt auch für das vorgelegte Ablehnungsschreiben der Firma N. vom 22.07.2020.
57Die Anfrage des Gerichts beim Jobcenter der Stadt D, bei dem der Sohn nach dem Vortrag der Klägerin gemeldet gewesen sei, hat in Bezug auf eine Meldung als ausbildungsplatzsuchend zu keinem Ergebnis geführt.
582. Insoweit lagen die Voraussetzungen für eine Änderung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG vor, weil sich in den hierfür maßgeblichen Verhältnissen Änderungen ergeben haben. Der Sohn der Klägerin hat seine Berufsausbildung abgebrochen.
59C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
60D. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.