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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist, ob und wenn ja, in welcher Höhe dem Kläger Prostitutionsumsätze umsatzsteuerrechtlich zuzurechnen sind.
2Der Kläger war in den Streitjahren 2014 bis 2016 an dem Betrieb unter anderem der Bordelle mit Schankwirtschaft „X“ in I und „Y“ in J beteiligt. Bis zum 28.2.2014 betrieb der Kläger die Bordelle als Einzelunternehmer.
3Mit Gesellschaftsvertrag vom 30.1.2014 gründete der Kläger gemeinsam mit K M die X GmbH mit dem Gegenstand Gaststättenbetrieb, Vermietung und Untervermietung von gewerblich genutzten Räumen und Vornahme aller zur Durchführung dieses Zweckes erforderlichen Geschäfte und Rechtshandlungen. Die Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts D erfolgte am 21.2.2014 (HRB xxx). Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der X GmbH und hielt 95 Prozent ihrer Anteile. Die übrigen Anteile hielt K M. Gesellschafterbeschlüsse wurden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 6 des Gesellschaftsvertrags vom 30.1.2014).
4Ebenfalls mit Gesellschaftsvertrag vom 30.1.2014 gründete der Kläger gemeinsam mit L E die Y GmbH unter anderem mit dem Gegenstand Gaststättenbetrieb, Vermietung und Untervermietung von gewerblich genutzten Räumen und Vornahme aller zur Durchführung dieses Zweckes erforderlichen Geschäfte und Rechtshandlungen. Die Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts C erfolgte am 27.2.2014 (HRB yyy). Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der Y GmbH und hielt 90 Prozent ihrer Anteile. Die übrigen Anteile hielt L E . Gesellschafterbeschlüsse wurden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 6 des Gesellschaftsvertrags vom 30.1.2014).
5Bereits unter dem 12.2.2014 hatte der Kläger einen Pachtvertrag mit der X GmbH über ein in seinem Eigentum stehendes Grundstück mit den Bordell-Räumlichkeiten geschlossen. Mit Pachtvertrag vom gleichen Tag hatte er der Y GmbH Bordell-Räumlichkeiten verpachtet, die er seinerseits gepachtet hatte.
6Zum 1.3.2014 beendete der Kläger seine einzelunternehmerische Tätigkeit in Bezug auf den Betrieb der beiden Bordelle. Insoweit beschränkt sich seine Tätigkeit seit diesem Zeitpunkt auf die Verpachtung, und die Bordelle werden seitdem durch die X GmbH bzw. die Y GmbH betrieben. Die Beteiligten sind sich einig, dass zwischen dem Kläger und der X GmbH sowie zwischen dem Kläger und der Y GmbH jeweils seit dem 1.3.2014 eine umsatzsteuerliche Organschaft mit dem Kläger als Organträger besteht. Bezüglich der Gewinnermittlung der Organgesellschaften wird auf die Verwaltungsvorgänge verwiesen.
7Für die Streitjahre gab der Kläger jeweils Umsatzsteuer-Jahreserklärungen (2014: … Euro Umsatzsteuer, 2015: … Euro Umsatzsteuer, 2016: … Euro Umsatzsteuer) ab.
8Ab Juni 2019 führte der Beklagte beim Kläger eine unter anderem die Umsatzsteuer umfassende abgekürzte Außenprüfung für die Streitjahre 2014 bis 2016 durch. Im Bericht über die Betriebsprüfung vom 12.7.2019 (BP-Bericht), auf den Bezug genommen wird, trafen die Prüfer unter anderem folgende Feststellungen betreffend die Zurechnung der Umsätze der Prostituierten aus dem Club X: An dem Gebäude des Bordells sei eine von der Straße aus sichtbare Leuchtreklame mit dem Namen des Bordells vorhanden. Das Gebäude sei von einer hohen Mauer umgeben, die hinsichtlich der vorhandenen Parkmöglichkeiten und eines Seiteneingangs Sichtschutz und damit Diskretion biete. Über dem Seiteneingang befinde sich ebenfalls eine Leuchtreklame mit einem Schriftzug des Bordells. Am Eingang befinde sich ein Schild mit Getränkepreisen und Öffnungszeiten sowie dem Hinweis, dass die Damen mit Ausnahme des Thekenpersonals selbständig und auf eigene Rechnung arbeiteten.
9Bei Betreten des Gebäudes gelange der Kunde in zwei barähnliche Räume mit Tischen sowie Sitzmöglichkeiten und einem Tresen zum Getränkeverkauf. Zudem sei ein Geldautomat vorhanden. Sämtliche Getränke würden bar an das Thekenpersonal gezahlt. Für Sex-Dienstleistungen zahlten die Freier direkt an die Prostituierten. Der gezahlte Betrag entziehe sich der Kenntnis der X GmbH und des Klägers. Der Kläger sei außerdem nach eigenen Angaben während der Öffnungszeiten nicht anwesend.
10Im Erdgeschoss des Gebäudes befänden sich Einzelzimmer, jeweils mit eigener Nasszelle, eines davon mit Whirlpool.
11Im Gang zur Theke sowie im Thekenbereich seien mehrere Aushänge sichtbar angebracht mit dem Hinweis:
12„Wir weisen darauf hin, dass alle Damen (außer der Thekenbedienung) selbständig auf eigene Rechnung arbeiten!!! – Die Geschäftsleitung“
13Im Obergeschoss befänden sich Räumlichkeiten für die private Zimmervermietung bis Februar 2016. Ab März 2016 würden auch diese Zimmer als Arbeitszimmer für die Prostituierten bereitgehalten. Außerdem befänden sich dort Sitzmöglichkeiten für die Prostituierten sowie ein Sozialraum, in welchem die X GmbH den Prostituierten Verpflegung zur Verfügung stelle.
14Intern bestünden nach Angaben des Klägers Richtlinienpreise in Höhe von … Euro für eine halbstündige Dienstleistung, um die Prostituierten zu schützen. Dem Kunden seien die Preisrichtlinien nach Angaben des Klägers nicht bekannt.
15Die von den Prostituierten genutzten Hand- und Papiertücher sowie die Bettwäsche würden von der X GmbH zur Verfügung gestellt. Die Handtücher und die Bettwäsche würden nach Gebrauch gereinigt. Die Reinigung der Zimmer erfolge durch beim Kläger beschäftigte Reinigungskräfte. Der Thekenbereich sowie die Schlüssel zu den Einzelzimmern würden von Arbeitnehmern des Klägers verwaltet.
16Für die Zimmernutzung seien bei Eintritt in das Bordell täglich … Euro sowie für die Nutzung der Privaträume und der Verpflegung weitere … Euro von den Prostituierten zu entrichten. Ab dem 1.9.2016 habe sich die Zimmermiete auf … Euro erhöht. Außerdem würden die Beträge für das sogenannte Düsseldorfer Modell tageweise von den Prostituierten entrichtet und in einem Monatsbetrag an das Finanzamt I weitergeleitet.
17Die Werbung für das Bordell erfolge im Internet auf der Seite des Clubs X und anderen Seiten wie z.B. … . Auf diesen Seiten seien Kontaktadresse, Telefonnummer sowie Internet- und E-Mail-Adresse hinterlegt. Des Weiteren seien die Öffnungszeiten angegeben sowie folgende Beschreibung des Clubs:
18„[…]“
19Auf der Seite des Clubs X finde sich außerdem folgender Inhalt:
20„[…]“
21Die Feststellungen der Prüfer betreffend die Zurechnung der Umsätze der Prostituierten aus dem Club Y entsprechen im Wesentlichen den Feststellungen zum Club X. Auf den BP-Bericht wird insoweit Bezug genommen. Folgende Werbung sei am 9.12.2016 auf der Website … vorhanden:
22„[…]“
23Im offiziellen Internetauftritt der Y GmbH vom 13.7.2016 seien zusätzlich Fotos von neun Damen mit Künstlernamen zu sehen. Der Internetausdruck vom 24.6.2013 weise folgende Sätze aus:
24„[…]“
25Die in Mitte 2016 angepasste Homepage enthalte nun folgenden Beitrag:
26„[…]“
27Ebenfalls sei frühestens im August 2016 die Werbung insoweit angepasst worden, dass keine Bilder der Frauen mehr zu sehen seien und auch keine Preismodelle mehr genannt würden.
28Mit Urteil vom 28.3.2019 (5 K 956/16 U) habe das Finanzgericht – FG – Münster für die Vorjahre (2007 bis 2010) entschieden, dass die Prostituiertenumsätze umsatzsteuerlich dem Bordellbetreiber zuzurechnen seien. Folgende Änderungen hätten sich im Vergleich zum damaligen Urteilssachverhalt bei der X GmbH ergeben: Es stehe nun ein Geldautomat zur Verfügung; Kreditkartenzahlung sei im Vergleich zum vorherigen Prüfzeitraum nicht mehr möglich. Sowohl bei der Werbung im Internet als auch im Club selbst werde klar darauf hingewiesen, dass die Damen selbständig und auf eigene Rechnung tätig seien. Im Rahmen der Organisation oder des Ablaufs des Geschäftsbetriebes habe sich ansonsten nichts geändert.
29Folgende Änderungen hätten sich bei der Y GmbH ergeben: Auch hier stehe nun ein Geldautomat zur Verfügung; Kreditkartenzahlung sei im Vergleich zum vorherigen Prüfzeitraum nicht mehr möglich. Des Weiteren habe sich frühestens im August 2016 der Internetauftritt in der Art geändert, dass keine Werbung für die im Bordell arbeitenden Frauen zu sehen sei. Die Werbung auf … ähnele noch sehr der Werbung im vorherigen Prüfzeitraum. Bei der Organisation und dem Ablauf des Geschäftsbetriebs habe sich ansonsten nichts geändert.
30Demnach seien die X GmbH und die Y GmbH (bzw. im Januar und Februar 2014 noch der Kläger) nach außen hin trotz der vorgenannten Änderungen auch hinsichtlich der in den Bordellen ausgeübten Prostitutionsumsätze als leistende Unternehmer aufgetreten.
31Die Höhe der Prostituiertenumsätze sei anhand der Werte aus der Vorprüfung zu schätzen und mit einem abgerundetem Wert in Höhe von … Euro (netto) je Streitjahr der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Wegen der Ermittlung der Beträge wird auf die Seite 30 des BP-Berichts verwiesen.
32Diesen (und weiteren, vorliegend nicht strittigen) Prüfungsfeststellungen schloss sich der Beklagte an und setzte mit Bescheiden vom 4.10.2019 die Umsatzsteuer für 2014 auf … Euro, für 2015 auf … Euro und für 2016 auf … Euro jeweils zuzüglich Zinsen fest. Dabei berücksichtigte der Beklagte die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen dem Kläger und der Y GmbH ab dem 1.3.2014 und berücksichtigte deren Umsätze dementsprechend beim Kläger. Die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen dem Kläger und der X GmbH berücksichtigte der Beklagte aus Vereinfachungsgründen hingegen zunächst erst ab dem Jahr 2015. Erst im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte die Außenumsätze und Vorsteuern der X GmbH beim Kläger als Organträger berücksichtigt, den Umsatzsteuerbescheid für 2014 gegenüber der X GmbH aufgehoben und die Umsatzsteuer für 2014 beim Kläger mit Bescheid vom 17.12.2024 auf … Euro festgesetzt.
33Den gegen die Änderungsbescheide nach Betriebsprüfung gerichteten Einspruch des Klägers wies der Beklagte mit Teileinspruchsentscheidung vom 15.12.2020 bezüglich der hier streitigen Frage der Zurechnung der Umsätze von Prostituierten unter Verweis auf die Ausführungen im BP-Bericht als unbegründet zurück. Der Sachvortrag des Klägers, dass die Prostituierten nicht mehr mit Bildern auf der Homepage des Bordells präsentiert würden, treffe nicht auf den gesamten Prüfungszeitraum zu. Aus einem Web-Archiv habe sich ergeben, dass sich auf der Internetseite … noch mindestens bis zum 13.7.2016 Bilder der Prostituierten mit Künstlernamen befunden hätten. Die einzige relevante Änderung im Vergleich zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des FG Münster vom 28.3.2019 (5 K 956/16 U) zugrunde gelegen habe, nämlich die fehlende Möglichkeit der Bezahlung der sexuellen Dienstleistungen mittels Kreditkarte, rechtfertige keine andere Würdigung.
34Hiergegen hat der Kläger am 6.1.2021 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass ihm die Umsätze der Prostituierten nicht zuzurechnen seien. Die Voraussetzungen einer Zurechnung lägen nicht vor. Die Prostituierten seien nicht als Subunternehmer zu werten. Er, der Kläger, bzw. die X GmbH bzw. die Y GmbH (Organgesellschaften) müssten dann als „Generalunternehmer“ gegenüber den Kunden auftreten und verpflichtet sein, die sexuellen Dienstleistungen gegenüber den Kunden zu erbringen. Er bzw. die Organgesellschaften wären dann Berechtigte und Verpflichtete aus den Verträgen mit den Kunden. Dieser Annahme stehe jedoch das Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) entgegen, wonach die Prostituierten selber entscheiden könnten, mit wem sie kontrahierten, und wonach nur Verträge zwischen ihnen und den Kunden zustande kämen. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung müsse der Beklagte dem Rechnung tragen.
35Ihm, dem Kläger, bzw. den Organgesellschaften seien als Betreiber der Bordelle die zwischen Prostituierten und Kunden vereinbarten Entgelte nicht bekannt. Ihm bzw. den Organgesellschaften fehle daher der Rechtsbindungswille. Weiterhin spreche gegen die Zurechnung, dass in den Bordellen keine Kartenzahlung möglich sei. Der Kläger verweist insoweit auf das Urteil des FG Münster vom 28.3.2019 (5 K 956/16 U).
36Die Prostituierten erbrächten ihre Dienstleistungen – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – auch außerhalb der Öffnungszeiten in beiden Betrieben. Zugang hätten die Kunden über separate Eingänge. Die Terminvereinbarung erfolge in der Regel über die eigenen Handys der Prostituierten.
37In den Streitjahren 2014 bis 2016 seien die Prostituierten auf den Internetseiten der Bordelle nicht mehr direkt beworben worden. Insbesondere werde die Begrifflichkeit „…“ seit 2012 nicht mehr verwendet. Andere Werbung – etwa auf der Internetseite … – habe er, der Kläger, nicht beauftragt. Betreiber solcher Seiten bedienten sich häufig der Seiten der Bordellbetreiber, um die eigene Seite zu füllen. Auch die Leuchtreklame bringe nur zum Ausdruck, dass es sich um einen Nachtclub handele, nicht hingegen, dass ein mit den Prostituierten einheitliches Unternehmen vorliege.
38Aus Werbemaßnahmen könne außerdem nicht auf Leistungsbeziehungen geschlossen werden. Auch bei Franchisenehmern wie z.B. McDonald’s, die in eigenem Namen aufträten, werde trotz persönlicher Abhängigkeit und Werbemaßnahmen durch den Franchisegeber von einer unternehmerischen Tätigkeit des Franchisenehmers ausgegangen.
39Auch aufgrund der bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft sei eine Zurechnung unzulässig. Voraussetzung für eine Zurechnung sei nach Auffassung des Beklagten, dass der jeweilige Betreiber des Bordells nach außen als Erbringer sämtlicher Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung der Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr auftrete. Die Organgesellschaften seien jedoch keine Unternehmerinnen, könnten demnach nicht als umsatzsteuerlicher Unternehmer gegenüber den Kunden auftreten.
40Der Kläger ist darüber hinaus der Auffassung, dass die Hinzuschätzung in Höhe von jeweils … Euro netto je Veranlagungsjahr rechtswidrig sei. Die Schätzungen seien nicht nachvollziehbar. Der Beklagte beziehe sich auf einen geänderten Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung des Finanzamts U vom 19.12.2012. Dieser enthalte aber keine Feststellungen über einen solchen Hinzuschätzungsbetrag oder dessen Ermittlung. Es sei unklar, ob die Anzahl der Prostituierten jeweils ähnlich gewesen sei. Feststellungen über die zwischen Kunden und Prostituierten vereinbarten Preise seien nicht gemacht worden. Der Beklagte hätte keine große Sachaufklärung machen müssen, sondern die Prostituierten nach den Anmeldungen zum sogenannten Düsseldorfer Verfahren ermitteln können. Er, der Kläger, habe keine Mitwirkungspflichten verletzt. Er habe mit guten Gründen annehmen können, dass ihm die Umsätze der Prostituierten nicht zuzurechnen seien, weil der jeweilige Vertrag zwischen den Prostituierten und den Kunden zustande komme.
41Wenn gleichwohl geschätzt werde, müsse der Beklagte spiegelbildlich Vorsteuern in gleicher Höhe schätzen. Dies sei durch das Übermaßverbot geboten.
42Außerdem sei der Umstand der Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren zu berücksichtigen. Der Beklagte habe ihm, dem Kläger, die Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren wegen eines Vollzugsdefizits bei selbständigen Prostituierten nahegelegt. Nach seiner Vereinbarung mit dem Finanzamt I betreffe es die „individuelle Steuerschuld“ der Prostituierten, ohne dass dies auf die Einkommensteuer begrenzt sei. Die Tagespauschale in Höhe von … Euro solle entweder abgeltenden Charakter haben oder mit der Umsatzsteuerschuld der Prostituierten verrechnet werden. Dies wisse er, der Kläger, deshalb sei er in gutem Glauben, mit der Umsatzsteuer aus den Verträgen über sexuelle Dienstleistungen nichts zu tun zu haben. Außerdem finde das Düsseldorfer Verfahren nur bei Prostituierten Anwendung, die ihrerseits Unternehmerinnen seien, nicht bei Arbeitnehmerinnen.
43Der Kläger beantragt,
44die Bescheide für 2014 bis 2016 über Umsatzsteuer vom 4.10.2019 jeweils in der Fassung der Teileinspruchsentscheidung vom 15.12.2020 und hinsichtlich des Jahres 2014 in der Fassung vom 17.12.2024 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuerfestsetzungen für das Jahr 2014 bis 2016 jeweils um … Euro Umsätze zu 19 Prozent, also die Umsatzsteuer in Höhe von jeweils … Euro herabgesetzt wird,
45hilfsweise, die Revision zuzulassen.
46Der Beklagte beantragt,
47die Klage abzuweisen,
48hilfsweise, die Revision zuzulassen.
49Er ist der Auffassung, dass die Umsätze der Prostituierten dem Kläger bzw. den Organgesellschaften und dann dem Kläger als Organträger zuzurechnen seien. Die Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren sei umsatzsteuerlich unbeachtlich; es handele sich um eine besondere Form der Einkommensteuer-Vorauszahlung.
50Das ProstSchG sei in den Streitjahren noch nicht in Kraft gewesen. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) schließe hingegen eine Leistung an Bordellbetreiber nicht aus. Beide Gesetze träfen keine Entscheidung darüber, zwischen wem umsatzsteuerrechtliche Leistungsbeziehungen vorlägen. Es liege daher auch kein Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung vor.
51Die Regelungen der Organschaft beträfen nur das umsatzsteuerliche Innenverhältnis innerhalb des Organkreises.
52Die in den Bordellen ausgehängten Hinweise auf die Selbständigkeit der Prostituierten könnten zwar beachtlich sein; es sei aber fraglich, wie der Kunde diese Hinweise wahrnehme. Ein durchschnittlicher Kunde werde in einem Rahmen, der den Rückschluss auf einen Hintermann zulasse, diesen als Letztverantwortlichen ansehen. Dabei sei das äußere Bild maßgeblich, nämlich die bordellartige Organisationsstruktur mit Kontaktanbahnungsräumlichkeiten, Bewirtung, Sicherheitsmaßnahmen, Randlage mit Sichtschutz, Gestellung der Ausstattung (Betten, Bettwäsche, Handtücher) und Reinigung. Auf der jeweiligen Website werde deutlich, dass es sexuelle Dienstleistungen gebe.
53Auch die Formulierung „…“ auf der Website vermittele potenziellen Kunden den Eindruck, dass die Prostituierten dem Club zugehörig und für diesen tätig seien. Dies stehe im Widerspruch zum Vortrag des Klägers, dass nicht mit einer gezielten Auswahl der Damen und ihrem äußeren Erscheinungsbild geworben werde. Potenzielle Prostituierte sollten ihrer Bewerbung außerdem ein Foto beifügen.
54Laut Website müssten Gäste an manchen Tagen … Euro Eintritt zahlen. Hierfür erwarteten sie eine (sexuelle) Gegenleistung.
55Bei der Höhe der Schätzung habe man sich an der Vorprüfung orientiert und einen Zuschlag zu den Kreditkartenumsätzen vorgenommen. Die Vorsteuer sei hingegen nicht zu schätzen; der Vorsteuerabzug erfordere vielmehr entsprechende Rechnungen.
56Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
57Die Sache wurde am 17.12.2024 vor dem Senat mündlich verhandelt. Dabei hat der Beklagte dem Kläger den geänderten Bescheid für 2014 über Umsatzsteuer vom gleichen Tage übergeben. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Bescheide für 2014 bis 2016 über Umsatzsteuer vom 4.10.2019 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 15.12.2020 und für 2014 in der Fassung vom 17.12.2024, der gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Prostitutionsumsätze dem Grunde und der Höhe nach zu Recht dem Kläger als umsatzsteuerlichen Unternehmer zugerechnet.
591. Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG) die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Für die Besteuerung eines Unternehmers – was der Kläger bereits aufgrund seiner übrigen Tätigkeiten unstreitig ist – als Steuerschuldner ist demnach maßgebend, ob und welche Lieferungen oder sonstige Leistungen von ihm erbracht werden.
60Nach ständiger Rechtsprechung sind entgeltliche Leistungen steuerbar und unterliegen der Umsatzsteuer, wenn zwischen einer Leistung und einem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht und sich dieser Zusammenhang aus einem Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ergibt, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die Vergütung den Gegenwert für diese Leistung bildet. Nach diesem Rechtsverhältnis bestimmen sich auch die Person des Leistenden und die des Leistungsempfängers. Die Beteiligten eines Leistungsaustauschs ergeben sich mithin aus den schuldrechtlichen Vertrags-beziehungen (Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 15.5.2012 XI R 16/10, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2012, 2094).
61Dieser Grundsatz gilt auch für das Verhältnis zwischen Prostituierten und Betreibern von Bordellen (BFH, Urteil vom 27.9.2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127; Beschluss vom 29.1.2008 V B 201/06, BFH/NV 2008, 827). Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt es darauf an, ob der Unternehmer (z.B. in seiner Werbung) als Inhaber eines Bordellbetriebs als Erbringer sämtlicher von Kunden erwarteten Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung der Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr aufgetreten ist und nicht nur als Zimmervermieter und Gastwirt (vgl. BFH, Urteil vom 27.9.2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127; Beschluss vom 25.11.2009 V B 31/09, BFH/NV 2010, 959). Zudem kann trotz der Bezeichnung einer Leistung als Vermietungsverhältnis nach dem objektiven Inhalt eine sonstige Leistung des Bordellinhabers anzunehmen sein, wenn dieser nach den nach außen erkennbaren Gesamtumständen aufgrund von Organisationsleistungen selbst derjenige ist, der durch die Anwerbung von Prostituierten und Unterbringung das Bordell betreibt (vgl. BFH, Beschluss vom 7.2.2017 V B 48/16, BFH/NV 2017, 629). Die Entscheidung über die Zurechnung der Prostitutionsumsätze hat dabei unter Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen (BFH, Beschlüsse vom 31.3.2006 V B 181/05, BFH/NV 2006, 2138 und dahingehend auch vom 16.7.2024 XI B 43/23, BFH/NV 2024, 1181, Rn. 8; BFH, Urteil vom 27.9.2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127; kritisch dazu Vogt, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2019, 169 sowie UR 2022, 790).
622. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und nach Würdigung der Gesamtumstände ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger bzw. ab dem 1.3.2014 die Organgesellschaften nach außen hin auch hinsichtlich der in den beiden Bordellen Club X und Y ausgeübten Prostitutionsumsätze als leistende Unternehmer aufgetreten sind.
63a) Der Kläger bzw. die Organgesellschaften haben mit den Bordellen jeweils eine bauliche und organisatorische Struktur geschaffen und unterhalten, die den gewerbsmäßigen Geschlechtsverkehr der dort tätigen Prostituierten fördern sollte. Sie sind damit nicht nur als Gastwirt und Zimmervermieter aufgetreten, sondern haben als Erbringer eines vollständigen Leistungspaketes den Besuchern des Bordells – für diese sichtbar – mithilfe der dort tätigen Prostituierten die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr verschafft.
64Durch die jeweilige Leuchtreklame, die nur den jeweiligen Namen des Bordells wiedergab, sowie mit von außen am jeweiligen Gebäude sichtbaren Anhaltspunkten, die auf ein Bordell hinweisen – weibliche Silhouetten auf Getränkekarten, Plakaten oder auf der Fensterscheibe mit dem Schriftzug „…“ (Y) – haben der Kläger bzw. die Organgesellschaften nach außen für die Kunden sichtbar zum Ausdruck gebracht, dass hier ein einheitliches Unternehmen besteht, nämlich eine Bar, die zugleich die Möglichkeit zum Geschlechtsverkehr verschafft. Die Leuchtreklame stimmte mit den Namen überein, unter dem, wie unter b) dargestellt wird, um Besucher mit dem Versprechen auf die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr geworben wurde.
65Die Räumlichkeiten waren auch darauf ausgelegt, den Besuchern die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen. In beiden Bordellen war ein Theken- bzw. Barbereich vorhanden, in dem die Besucher mit den dort anwesenden Prostituierten Kontakt aufnehmen konnten. Ferner hielten der Kläger bzw. die Organgesellschaften sieben bzw. acht Einzelzimmer vor, in denen sexuelle Dienstleistungen erbracht werden konnten. Gleiches gilt für die gewerbliche Ausübung des Geschlechtsverkehrs unterstützenden Dinge wie Hand- und Papiertücher, die erkennbar seitens des Klägers bzw. der Organgesellschaften gestellt worden sind. Hierzu gehört auch ein in beiden Bordellen vorhandenes Zimmer mit einem eigenen Whirlpool. Der vorgehaltene Geldautomat ist ein weiterer Service für den Kunden, der zudem die fehlende Möglichkeit der Kartenzahlung ausgleichen soll.
66Dass der Kläger bzw. die Organgesellschaften den Prostituierten daneben separate private Räumlichkeiten überließen, unterstützte das Geschäftsmodell, dass in den Bordellen stets in ausreichender Anzahl Prostituierte zugegen sind und zur Auswahl sowie zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs zur Verfügung stehen.
67Der Kläger bzw. die Organgesellschaften begünstigten den reibungslosen Ablauf innerhalb des jeweiligen Bordells und die damit verbundene Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr ferner dadurch, dass sie sowohl die Reinigung der Wäsche als auch der Räumlichkeiten durch bei ihnen beschäftigte Reinigungskräfte gewährleisteten. Dies war dem Kunden erkennbar, weil ihm bewusst sein muss, dass auch andere Gäste die Zimmer nutzen, und dass seine potenzielle Geschlechtspartnerin, die er im Thekenraum kennenlernt und sich mit ihr über eine sexuelle Dienstleistung verständigt, nicht zeitgleich die Zimmer reinigen kann.
68Zudem erfolgte die Verwaltung und Vergabe der Zimmer durch die beim Kläger bzw. den Organgesellschaften beschäftigten Servicekräfte, indem diese den Prostituierten den Schlüssel für eines der zum jeweiligen Zeitpunkt freien Zimmer aushändigte. Dies war für die Kunden zur Überzeugung des Senats angesichts des einheitlichen Etablissements erkennbar. Die Zimmer wurden den Prostituierten nur für das einzelne Arrangement mit einem Kunden überlassen, nicht jedoch unabhängig davon für einen gewissen Zeitraum, z.B. eine ganze Nacht.
69Indem der Kläger bzw. die Organgesellschaften konkrete Öffnungszeiten vorgaben, schafften sie für den Ablauf innerhalb des Bordells ebenfalls eine Struktur. Zwar durften die in den Bordellen tätigen Frauen ihre Arbeitszeit frei aussuchen. Doch Kunden waren überwiegend zu den Öffnungszeiten zu erwarten. Der Zeitrahmen der Ausübung der Tätigkeit der Prostituierten war daher durch den Kläger bzw. die Organgesellschaften in zeitlicher Hinsicht jedenfalls teilweise vorgegeben. Auch dies ist für den Kunden anhand der Öffnungszeiten ersichtlich.
70Soweit die Prostituierten ihre Dienstleistungen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Bordelle in den dortigen Räumlichkeiten erbrachten, ändert dies den Eindruck eines einheitlichen Unternehmens nicht. Zwar mag die Terminabsprache insofern nach dem Vortrag des Klägers zumindest in der Regel über die Handys der Prostituierten erfolgt sein. Abgesehen davon jedoch, dass der Kunde nicht wissen wird, ob es sich dabei um ein privates oder ein dienstliches Handy handelt, überwiegt jedenfalls der Eindruck der Räumlichkeit, die auf den Kläger bzw. die Organgesellschaften hinweisen. Soweit der Kläger geltend macht, dass in diesen Fällen separate Eingänge benutzt würden, ist zudem fraglich, ob die ausgehängten Hinweise auf die Selbständigkeit der Prostituierten, die etwa beim Eingang, auf der Getränkekarte und in den Barräumen sichtbar waren, auch bei Nutzung des Seiteneingangs sichtbar waren.
71Eine weitere die Ausübung des gewerbsmäßigen Geschlechtsverkehrs fördernde Maßnahme des Klägers bzw. der Organgesellschaften bestand darin, dass sie die im Bordell Club X tätigen Prostituierten im Rahmen des sog. Düsseldorfer Verfahrens beim Finanzamt anmeldeten.
72Für ein Auftreten des Klägers als Leistungserbringer hinsichtlich der Verschaffung der Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr spricht auch, dass in den Bordellen – nach Angaben des Klägers zum Schutz der Prostituierten – jedenfalls intern Richtpreise kommuniziert worden sind. Denn auch im Falle von Richtpreisen, bei denen der letztverbindliche Preis für die gewünschten sexuellen Dienstleistungen Verhandlungssache zwischen den Kunden und der jeweiligen Prostituierten gewesen ist, dürften die vom Kläger bzw. von den Organgesellschaften genannten Preise hierfür eine regulierende Wirkung entfaltet haben. Während diese Richtpreise für den Kunden eine Erwartungshaltung hervorrufen, dass der Geschlechtsverkehr zu den genannten Preisen möglich sei, schaffen die Richtpreise für die dort tätigen Prostituierten einen Erwartungsdruck, ausgehend von den dort genannten Preisen ihre Dienste anzubieten. Zwar macht der Kläger geltend, dass die Richtpreise den Kunden nicht bekannt seien. Dann wäre jedoch fraglich, wie die Richtpreise die nach Klägerangaben gewünschte Schutzwirkung zu Gunsten der Prostituierten erzielen können. Jedenfalls dürften sich die Preise im üblichen Rahmen bewegen, und der Kunde kann, wenn er mehrere Prostituierte im Club befragt, leicht den Eindruck bekommen, dass er die gewünschte Dienstleistung für weniger als … Euro nicht erhält.
73b) Neben den baulichen und organisatorischen Strukturen sind der Kläger bzw. die Organgesellschaften im Rahmen ihrer Werbung als Erbringer sämtlicher von Kunden erwarteten Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung der Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr aufgetreten. Beide Bordelle wurden sowohl auf der eigenen als auch auf anderen Internetseiten unter Nennung von Name und Adresse als Ort beworben, wo den Besuchern die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr verschafft wird.
74Dabei kann der Senat offenlassen, ob in den Streitjahren auf der Website der Bordelle noch die Formulierung „…“ genutzt worden ist, und ob der Kläger bzw. die Organgesellschaften Werbung etwa auf der Seite … beauftragt haben, was der Kläger ausdrücklich bestreitet. Denn auch der übrige Inhalt der eigenen Websites der Bordelle lässt keinen Zweifel daran, dass in dem jeweiligen Bordell die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr verschafft wird und dass dies prägendes Element des Geschäftsmodells ist.
75So war auf der Startseite der Website des Club X (…) ausweislich der Betriebsprüfungsakte noch am 6.5.2019 Folgendes zu lesen:
76„[…]“
77Gleiches gilt für den Club Y. Im offiziellen Internetauftritt der Y GmbH vom 13.7.2016 waren nach den Feststellungen der Betriebsprüfung auch noch Fotos von neun Damen mit Künstlernamen zu sehen.
78Durch diese sprachliche und visuelle Verbindung der Räumlichkeiten mit der Begegnung mit den Prostituierten wird der Eindruck einer einheitlichen Organisation vermittelt.
79c) Dieser Beurteilung durch den Senat steht nicht entgegen, dass die Besucher der Bordelle durch Aushänge darauf hingewiesen worden sind, dass die dort tätigen Prostituierten sowohl selbständig als auch im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig seien, und dass die Prostituierten ihre Preisverhandlungen selbst führten.
80aa) Die Frage, ob die Prostituierten ihre Tätigkeit im jeweiligen Bordell selbständig oder unselbständig ausgeübt haben, entfaltet für die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Zurechnung der Prostitutionsumsätze keine Relevanz. Denn umsatzsteuerlicher Leistungserbringer kann sowohl derjenige sein, der eine Lieferung oder sonstige Leistung im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst ausführt, als auch derjenige, der diese Leistung durch einen Beauftragten ausführt (BFH, Beschluss vom 2.1.2018, XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457).
81bb) Die Hinweise darauf, dass die Prostituierten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig seien, treten im Rahmen der Gesamtwürdigung zurück und vermögen die aus den vorgenannten Gründen gewonnene Überzeugung des Senats, dass der Kläger bzw. die Organgesellschaften auch hinsichtlich der in ihren Bordellen ausgeführten Prostitutionsumsätze als Leistungserbringer nach außen aufgetreten sind, nicht in Zweifel ziehen. Trotz dieser Hinweise überwiegen diejenigen äußeren Gegebenheiten, die die Annahme stützen, dass der Besucher der Bordelle im Fall der Inanspruchnahme der Leistungen der Prostituierten den Bordellbetreiber und damit den Kläger bzw. die Organgesellschaften als Leistungserbringer des mithilfe der in ihren Bordellen tätigen Prostituierten ausgeführten Prostitutionsumsatzes angesehen hat. Dies gilt sowohl für Besucher, die sich zuvor über das Internet über das jeweilige Bordell informiert haben als auch für diejenigen, die dies nicht gemacht haben. Denn die zuvor genannten Umstände, die die Annahme eines einheitlichen Unternehmens nahelegen, sind in ihrer Wirkmacht und beim Gesamtbild für den Durchschnittskunden prägender, als die entsprechenden Hinweise. Es ist bereits fraglich, ob der jeweilige Leistungsempfänger diese Hinweise überhaupt bewusst wahrgenommen bzw. ihn dieser Inhalt interessiert und zu weiteren Schlüssen veranlasst hat. Jedenfalls geht der Senat davon aus, dass sie den aus baulichen und organisatorischen Gegebenheiten gewonnen Gesamteindruck eines zusammenhängenden Unternehmens nicht erschüttern konnten.
82cc) Auch die Umstände, dass der finale Preis mit der jeweiligen Prostituierten ausgehandelt und an diese bar bezahlt wurde, steht dem Eindruck des Leistungsempfängers, der Borbellbetreiber und damit der Kläger bzw. die Organgesellschaften hätten ihm die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr verschafft, nicht entgegen. Denn vor dem Hintergrund der auch im Internet beworbenen vielfältigen sexuellen Praktiken und dass sich der Preis nach den konkreten Wünschen des Kunden richtet, erscheint ein Aushandeln des Preises mit der Prostituierten naheliegend und praktikabel. Das gilt auch für die Entgegennahme des Bargeldes durch die Prostituierte. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kunde sich im Nachhinein noch Gedanken darüber gemacht hat, ob nicht wegen dieses Umstandes und entgegen des bisherigen Eindrucks die Prostituierte ihm im eigenen Namen und auf eigene Rechnung unter Anmietung des Zimmers die Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr verschafft habe. Vielmehr ist die Prostituierte in der Situation auf dem Zimmer seine einzige Ansprechpartnerin – gegenüber ihr ist aus Sicht des Kunden deshalb der Preis zu entrichten.
83Dass die Abrechnung der Dienstleistungen der Prostituierten im Vergleich zu früheren Zeiträumen in den Streitjahren nicht mehr bargeldlos über Vorrichtungen des Klägers bzw. der Organgesellschaften erfolgt ist, veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Würdigung. Vielmehr dürfte die Barzahlung in einem Etablissement, das etwa in Bezug auf die Parkplatzsituation und den Eingangsbereich mit Diskretion wirbt, üblich sein. Dieser Umstand ist deshalb nicht geeignet, den Gesamteindruck des Kunden zu prägen.
84dd) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 5.5.2022 (1 StR 475/21, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2022, 794) führt ebenfalls nicht zu einer anderen Würdigung. Rechtlich legt der BGH in den Randnummer 12 und 13 – wie auch der Senat – diejenigen Kriterien zugrunde, die auch der BFH seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde legt. Auf dieser Basis kommt er im dortigen Sachverhalt lediglich zu einem anderen Schluss (BFH, Beschlüsse vom 10.1.2024 XI B 117/22, BFH N/V 2024, 200; vom 16.7.2024 XI B 43/23, BFH/NV 2024, 1181 und vom 17.7.2024 XI S 19/23 (AdV), BFH/NV 2024, 1183; dazu Nieskens, UR 2023, 741).
85d) Der Zurechnung der Prostitutionsumsätze steht abweichend von der Auffassung des Klägers auch nicht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entgegen. Ein Verstoß gegen die danach geforderte Widerspruchsfreiheit ist in den Streitjahren bereits deshalb nicht erkennbar, weil das ProstSchG erst zum 1.7.2017 in Kraft getreten ist (Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen).
863. Gegen die Schätzung der dem Kläger als Einzelunternehmer bzw. Organträger zuzurechnenden Prostitutionsumsätze des Beklagten bestehen weder dem Grunde noch der Höhe nach Bedenken.
87a) Der Beklagte war befugt, die bar vereinnahmten Prostitutionsumsätze zu schätzen. Nach § 162 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Das gilt insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Kläger ist seiner Aufzeichnungspflicht nach § 22 UStG nicht nachgekommen. Nach § 22 Abs. 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG müssen die vereinbarten Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen aus den Aufzeichnungen zu ersehen sein. Entsprechende Aufzeichnungen über die bar vereinnahmten Entgelte für die ausgeführten Prostitutionsumsätze hat der Kläger nicht vorlegen können. Entgegen der Auffassung des Klägers konnte er nicht zuletzt aufgrund des Urteils des FG Münster vom 28.3.2019 (5 K 956/16 U) auch damit rechnen, aufzeichnungspflichtig zu sein.
88b) Die Höhe der Schätzung liegt im zulässigen Schätzungsrahmen.
89aa) Schätzungen müssen der Höhe nach insgesamt in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH, Urteile vom 18.12.1984 VIII R 195/82, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 142, 558, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1986, 226, und vom 19.1.1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594). Das Finanzgericht ist nicht auf eine Überprüfung der vom Finanzamt vorgenommenen Schätzungen beschränkt; vielmehr steht ihm gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene Schätzungsbefugnis zu (BFH, Urteil vom 12.8.1999 XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537).
90bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Schätzung des Beklagten der Höhe nach nicht zu beanstanden.
91(1) Der Beklagte hat sich an den Umsätzen aus der Vorprüfung für die Jahre 2007 bis 2010 orientiert. Dort hatte man – in einer Branche die auch bezüglich des Zahlungsmittels auf Diskretion angewiesen ist – zur Ermittlung der Barumsätze einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent auf die den Prostitutionsdienstleistungen zuzuordnenden Kreditkartenumsätze vorgenommen und sich damit im unteren Schätzungsrahmen bewegt. Zwar gab es ab dem 1.3.2014 keine Kreditkartenumsätze mehr, gleichwohl geben die Getränkeumsätze an die Kunden sowie die Zimmervermietungsumsätze an die Prostituierten, die aufgezeichnet worden sind, einen Anhaltspunkt über die Publikumsfrequenz. So ergeben sich aus dem Kontennachweis zur Gewinn- und Verlustrechnung der X GmbH für das Jahr 2014, in dem diese ihre Tätigkeit erst ab März aufgenommen hat, Erlöse allein aus Getränken in Höhe von … Euro (2015: … Euro, 2016: … Euro) und Erlöse aus der Vermietung von Zimmern an die Prostituierten in Höhe von … Euro (2015: … Euro, 2016: … Euro). Sowohl bei den Erlösen aus Getränken als auch bei den Erlösen aus der Zimmervermietung ist eine – aus Sicht des Klägers – positive Entwicklung festzustellen. Der Senat geht davon aus, dass höhere Getränkeumsätze und steigende Mieteinnahmen (bei bis einschließlich August 2016 gleichbleibenden Preisen) auf einen Zuwachs der Anzahl der Kunden und eine höhere Auslastung bei der Vermietung der Zimmer an Prostituierte schließen lassen. Gleichsam ist der Senat überzeugt, dass mit dieser Entwicklung auch eine positive Entwicklung der Prostitutionsumsätze einhergeht, die den Kern des Angebots eines Bordells und regelmäßig den Grund für den Bordellbesuch darstellen.
92Legt man die mittlere Mieteinnahme in Höhe von … Euro im Jahr 2015 zugrunde, ergibt sich daraus bei einer Zimmermiete von … Euro (… Euro Zimmermiete plus … Euro für Privaträume und Verpflegung), dass im Jahr 2015 täglich durchschnittlich elf Prostituierte in dem Bordell tätig waren (… Euro / … Euro / 365 Tage). Dies erscheint auch angesichts von nur acht Zimmern möglich, weil nicht jede Prostituierte den ganzen Tag vor Ort gewesen sein wird oder die Zimmer ggf. doppelt vermietet wurden, weil nicht jede Prostituierte jederzeit ausgelastet war. Unterstellt man trotzdem zugunsten des Klägers, dass pro Tag nur eine Prostituierte pro Zimmer anwesend war und dass jede dieser acht Prostituierten täglich nur eine Dienstleistung zum Richtpreis in Höhe von … Euro erbracht hat, ergibt dies bereits einen Umsatz in Höhe von (8 * … Euro * 365 Tage =) … Euro und damit nur für die X GmbH fast den Betrag, den der Beklagte für beide Organgesellschaften zusammen hinzugeschätzt hat.
93(2) Darüber hinaus war der Kläger gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 UStG verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Dem steht entgegen der Auffassung des Klägers nicht entgegen, dass er sich selbst nicht für den Leistenden der Prostitutionsleistungen sah. Grundlage für die Aufzeichnungspflicht ist allein die objektive Verwirklichung des Tatbestandes. Abgesehen davon musste der Kläger aufgrund der Bescheide des Finanzamtes U, das am 8.2.2013 geänderte Umsatzsteuerbescheide unter Berücksichtigung der Prostitutionsumsätze für die Jahre 2007 bis 2010 erlassen hatte, auch subjektiv davon ausgehen, dass er bezüglich der Prostitutionsumsätze aufzeichnungspflichtig sei.
94Mangels Aufzeichnungen musste der Beklagte die Umsätze vollständig schätzen. Vor diesem Hintergrund ist es entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu beanstanden, dass der Beklagte keine Einzelermittlungen zur Umsatzhöhe angestellt hat, sondern griffweise unter Verwendung eines groben Schätzungsrahmens geschätzt hat, der sich nach Auffassung des Senates am untersten Ende befand.
95c) Die Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht bei der Höhe der Schätzung zu berücksichtigen. Zwar mag dieses Verfahren möglicherweise – je nach konkreter Ausgestaltung im Einzelfall – auch für die Umsatzsteuerschuld der einzelnen Prostituierten, sofern diese als Subunternehmerinnen tätig geworden sind, relevant sein. Zu berücksichtigen wären Zahlungen nach diesem Verfahren jedoch lediglich als Vorauszahlungen auf die individuelle Steuerschuld der Prostituierten, also auf der Ebene ihrer Steuererhebung; auf die Höhe der festzusetzenden Umsatzsteuer beim Kläger hat die Teilnahme am Düsseldorfer Verfahren hingegen keinen Einfluss.
96d) Zusätzliche Vorsteuern waren entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu schätzen. Der Steuerpflichtige kann sein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nur dann ausüben, wenn er eine Rechnung besitzt (BFH, Beschluss vom 16.5.2019 XI B 13/19, BFHE 264, 521, BStBl II 2021, 950). Der Kläger hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Rechnungen der Prostituierten vorgelegt für von ihnen an den Kläger erbrachte (Subunternehmer-) Leistungen.
97II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
98III. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.