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Die Umsatzsteuerbescheide für 2020 und 2021 vom 9.1.2023 in der Fassung der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 25.1.2023 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen 2020 und 2021 strittig.
3Der Beklagte setzte mit Schätzungsbescheiden vom 9.12.2020, 12.2.2021, 11.3.2021 und 9.4.2021 gegenüber der Klägerin die Umsatzsteuervorauszahlungen für die Monate Oktober 2020 auf 2.280 €, Dezember 2020 auf 2.392 €, Januar 2021 auf 3.041 € und Februar 2021 auf 3.060 € fest. Die Bescheide waren an die „Q Grdstsges. … A-Str. 26, 28“ unter der Anschrift „… [Italien]“ gerichtet. Dagegen legte die Klägerin vertreten durch I Q jeweils Einsprüche ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass die Wohnungen bzw. Ladenlokale umsatzsteuerfrei vermietet würden. Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte jeweils datierend auf den 9.1.2023 Jahressteuerbescheide für den Besteuerungszeitraum 2020 mit einer Umsatzsteuer i. H. von 20.633 € und für 2021 mit einer Umsatzsteuer von 12.097 €, die Gegenstand der Einspruchsverfahren wurden.
4Das Amtsgericht E hatte bereits mit Beschluss vom 00.00.2008 die Zwangsverwaltung für das Grundstück A-Str. 26, 28 in E angeordnet und mit Beschluss vom 00.00.2017 wieder aufgehoben.
5Datierend auf den 13.6.2018 erstattete der Zwangsverwalter Rechtsanwalt U L „in dem Zwangsverwaltungsverfahren betreffend die im Grundbuch von E Blatt xxxx, eingetragenen Grundstücke, Gemarkung N, Flur x, Flurstück xxxx und xxxx, Gebäude- und Freifläche, Gewerbe, A-Str. 26, 28, 00000 E Eigentümer: I Q , B Q, M Q und C Q
6[…]
7folgenden Schlussbericht mit Schlussrechnung gemäß § 14 Abs. 3 ZVwV für den Zeitraum 12.06.2016 bis einschließlich 04.10.2017.“ Hieraus ergibt sich unter „4. Miet- bzw. Pachtverhältnisse“ Folgendes:
8„A-Str. 26
9a) Erdgeschoss links
10Mieter: Q M
11Anschrift: B-Str. 29, 00000 E
12Art der Nutzung: Lotto Toto, Geschenkartikel, Leder- und Schreibwaren
13Inklusivmiete: € 700,00
14[…]
15b) Ladenlokal Erdgeschoss links
16Mieter: J P
17Art der Nutzung: Handyzubehörgeschäft
18Grundmiete: € 260,00
19Nebenkostenvorauszahlung: € 50,00
20Heizkostenvorauszahlung: € 50,00
21MwSt: € 68,40
22Gesamt: € 428,40
23[…]
24c) Erdgeschoss Mitte
25Mieter: F G
26Anschrift: C-Str. 131, 00000 H
27Art der Nutzung: Imbiss …
28Grundmiete: € 1.000,00
29Nebenkostenvorauszahlung: € 100,00
30Heizkostenvorauszahlung: € 60,00
31Gesamtbruttomiete monatlich: € 1.160,00
32[…]
33d) Ladenlokal Erdgeschoss Mitte rechts
34Mieter: E GmbH
35Anschrift: D-Str. 75, 00000 K
36Art der Nutzung: Spielodrom
37Gesamtbruttomiete monatlich: € 1.666,00
38Grundmiete: € 1.100,00
39Neben- und Heizkosten: € 300,00
40Umsatzsteuer 19%: € 266,00
41[…]
42e) Erdgeschoss ganz rechts:
43Mieter: D GmbH
44Anschrift: E-Str. 38, 00000 L
45Art der Nutzung: Friseurgeschäft
46Grundmiete: € 650,00
47Nebenkostenvorauszahlung: € 150,00 ab 01/17 € 200,00
48Heizkostenvorauszahlung: € 150,00 ab 01/17 € 200,00
49MwSt: € 180,50 ab 01/17 €199,50
50Gesamt: € 1.130,50 ab 01/17 € 1.249,50“
51Der Beklagte forderte die Klägerin mehrfach auf, Kopien der abgeschlossenen Mietverträge einzureichen. Einen Eingang der Mietverträge konnte der Beklagte jedoch nicht verzeichnen.
52Zur Verwaltungsakte gelangte über den Zwangsverwalter ein „Gewerbe-Mietvertrag“, in dem es heißt:
53„Gewerbe-Mietvertrag
54zwischen
55I Q , B Q , M Q und C Q ,
56vertreten durch Rechtsanwalt U L als Zwangsverwalter, F-Str. 20, 00000 E
57– nachfolgend Vermieter genannt –
58und
59N H , G-Str.. 148, 00000 E
60– nachfolgend Mieter genannt –
611. Mietgegenstand
62Vermieter vermietet an Mieter die auf dem Grundstück A-Str. 26, 28 in 00000 E im Erdgeschoss (Eckfläche) befindlichen Räume.
63[…]
644. Mietzeit
65Das Mietverhältnis beginnt am 01.06.2009
66[…]
676. Miete
681. die Miete beträgt 650,00 € monatlich zuzüglich der jeweiligen gesetzlichen Mehrwertsteuer (derzeit 19 %).
69[…]
703. Insgesamt sind mithin vom Mieter zu zahlen 952,00 EUR (Grundmiete 650,00 €; 75,00 € Betriebskostenvorauszahlung; 75,00 € Heiz-und Warmwasserkostenvorauszahlung, 152,00 € MWSt).
71[…]
727. dementsprechend ist der Gesamtmietzins jeweils an 03. Werktag auf folgendes Konto zu überweisen:
73Kontoinhaber: U L
74Kontonummer: …
75BLZ: …
76… Bank
777. Umsatzsteueroption
78(1) Hat der Vermieter bei Vertragsschluss auf die Umsatzsteuer optiert, ist er berechtigt auf die Miete (§ 3), Betriebskosten (§ 4) und sonstige umsatzsteuerpflichtige Zahlungen Umsatzsteuer in jeweils gesetzlich geltender Höhe zu erheben.
79(2) Optiert der Vermieter erst nach Vertragsabschluss auf die Umsatzsteuer, ist er berechtigt, in gleicherweise wie zu Ziff. 1 Umsatzsteuer zu verlangen.“
80Mit Einspruchsentscheidungen vom 25.1.2023 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Für das Vermietungsobjekt „A-Str 26, 28“ sei mit Beschluss vom 28.5.2008 die Zwangsverwaltung angeordnet und als Zwangsverwalter Rechtsanwalt U L bestellt worden. Während der Zwangsverwaltung habe der Zwangsverwalter Mietverträge abgeschlossen. Dabei sei auf die Umsatzsteuerbefreiung verzichtet und zur Umsatzsteuer gemäß § 9 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG) optiert worden. Die Kopie eines Mietvertrags sei mit Schreiben vom 24.6.2020 zur Stellungnahme übersandt worden. Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung sei die Klägerin an die vom Zwangsverwalter abgeschlossenen Mietverträge gebunden gewesen, sofern nicht neue Mietverträge mit den jeweiligen Mietern abgeschlossen worden seien. Soweit er, der Beklagte, die Besteuerungsgrundlagen nicht habe ermitteln können, sei er zur Schätzung befugt gewesen.
81Dagegen hat die Klägerin, vertreten durch I Q, Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass sich das betroffene Objekt bis zum 25.9.2017 in Zwangsverwaltung befunden habe. Sie, die Klägerin, sei nicht im Besitz der Mietverträge, die der Zwangsverwalter in der Zeit der Zwangsverwaltung abgeschlossen habe. Diese seien angefordert worden. Der Zwangsverwalter habe sich indes geweigert, die notwendigen Unterlagen herauszugeben. Er habe sie an den Beklagten verwiesen. Ohne Kenntnis dieser Mietverträge lasse sich die vom Beklagten aufgeworfene Frage der Umsatzsteueroption nicht überprüfen.
82Mit Schriftsatz vom 28.10.2024 hat die Klägerin ihren Vortrag dahingehend ergänzt, dass sie sich nach wie vor und vergeblich bemüht habe, die Mietverträge vom Zwangsverwalter zu erhalten. Unabhängig von Allem müsse spätestens seit ihrem Schreiben vom 21.2.2020 die Umsatzsteueroption für die Zukunft widerrufen worden sein, sodass eine Umsatzsteuerpflicht in den streitgegenständlichen Besteuerungszeiträumen nicht gegeben sei. Wenn überhaupt könne Umsatzsteuer nur i. H. von 533,90 € im Monat entstanden sein, also höchstens 6.406,80 € jährlich.
83Die Klägerin beantragt,
84die Umsatzsteuerbescheide für 2020 und 2021 jeweils vom 9.1.2023 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen jeweils vom 25.1.2023 aufzuheben.
85Der Beklagte beantragt,
86die Klage abzuweisen,
87hilfsweise, die Revision zuzulassen.
88Während der Zwangsverwaltung habe der Zwangsverwalter unter Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung Mietverträge abgeschlossen. Eine Kopie eines Mietvertrages für die Mieterin N H belege dies. Auch habe der damalige Zwangsverwalter in seiner Feststellungserklärung für 2017 sowie in seinem Bericht über die Zwangsverwaltung die Mieteinnahmen aufgeschlüsselt, woraus erkennbar sei, dass er auf die Umsatzsteuerfreiheit verzichtet habe. Nach Aktenlage sei daher davon auszugehen, dass die Klägerin die abgeschlossenen Mietverträge übernommen habe. Der Aufforderung zur Vorlage dieser Mietverträge sei die Klägerin nicht nachgekommen.
89Das Objekt „A-Str. 26, 28, E“ sei ab dem 00.00.2021 erneut unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Zur Zwangsverwalterin sei Frau O, H-Str. 28, 00000 E bestellt worden. Die durchgeführte Schätzung der Umsatzsteuer 2021 vom 9.1.2023 umfasse daher nur den Zeitraum vom 1.1.- 9.5.2021. Die Umsätze ab dem 10.5.2021 seien unter der Steuernummer der Zwangsverwaltung xxx/xxxx/xxxx erfasst worden. Für den in diesem Verfahren anhängigen Zeitraum würden sich nach Aktenlage umsatzsteuerpflichtige Mieteinnahmen von netto 14.050 € zzgl. 2.669,50 € Umsatzsteuer ergeben.
90Auf richterlichen Hinweis vom 4.6.2024 ergänzte der Beklagte seine Auffassung dahingehend, dass kein unzutreffender Inhaltsadressat im Bescheid ausgewiesen sei. Nach außen hin trete die Klägerin als „Q Grundstücksgemeinschaft … A-Str. 26, 28“ auf. Dies lasse sich dem geführten Schriftverkehr mit ihm, dem Beklagten, entnehmen. In dem einzig vorliegenden „Gewerbe-Mietvertrag“ seien als Vertragspartner zwar nur die Beteiligten I Q , B Q , M Q und C Q aufgeführt, aber diese Personen seien die Beteiligten der „Q Grundstücksgemeinschaft …“. Warum der damalige Zwangsverwalter U L den Mietvertrag so aufgesetzt habe, erschließe sich ihm, dem Beklagten, nicht. Die Schlussfolgerung, dass sämtliche Verträge nach diesem Muster aufgesetzt worden seien, sei nur eine Vermutung. Die Hinzuziehung des damaligen Zwangsverwalters wäre nach seiner Auffassung eventuell hilfreich. Fakt sei jedenfalls, dass während der Zwangsverwaltung die Umsatzsteuer-Voranmeldungen, Erklärungen und Zahlungen durch den Zwangsverwalter fristgerecht beim Finanzamt eingegangen seien. Hingegen habe die Klägerin trotz mehrfacher Aufforderung die entsprechenden Mietverträge bis zum heutigen Tage nicht vorgelegt und damit ihre Mitwirkungspflicht verletzt.
91Zudem sei zwar das EuGH-Urteil vom 3.6.2021 C-931/19, Titanium für die im Ausland ansässige Grundstücksgemeinschaft grundsätzlich anwendbar, es entstehe dann jedoch für die im Mietvertrag ausgewiesene Umsatzsteuer eine Steuerschuld gemäß § 14c UStG.
92Der Senat hat – wie den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 29.10.2024 mitgeteilt – das Grundbuch (Amtsgericht E Blatt xxxx) für das verfahrensrelevante Grundstück eingesehen, aus dem sich unter Eigentümer seit dem 24.5.2000 die Angabe ergibt: a) I Q b) B Q c) M Q d) C Q in Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Auf Grund Berichtigungsbewilligung vom 14.12.2017 eingetragen am 23.1.2018 ist die „Grundstücksgesellschaft Q GbR“ als Eigentümer ausgewiesen worden.
93Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
94Entscheidungsgründe
95I. Die Klage ist begründet.
961. Die Umsatzsteuerbescheide für 2020 und 2021 vom 9.1.2023 in der Fassung der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 25.1.2023 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klägerin ist hinsichtlich der aus den streitgegenständlichen Vermietungsumsätzen resultierenden Umsatzsteuer nicht Steuerschuldnerin geworden. Die Umsatzsteuer kann der Klägerin weder gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UStG als leistende Unternehmerin (2.) noch gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 bzw. Nr. 4 UStG als Ausstellerin einer unrichtigen Rechnung i. S. des § 14c UStG (3.) zugerechnet werden.
972. Schuldner der Umsatzsteuer ist nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer. Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist jeder selbständig tätige Rechtsträger, der nachhaltig Leistungen gegen Entgelt i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erbringt (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 9.12.1993 V R 108/91, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 173, 458, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1994, 483). Dabei kommt es für die Fähigkeit Unternehmer zu sein, entscheidend darauf an, dass das jeweilige Gebilde „als solches“ nach außen hin auftritt (BFH-Urteil vom 22.5.1969 V R 28/66, BFHE 96, 149, BStBl II 1969, 603 zur fehlenden Unternehmereigenschaft einer stillen Gesellschaft). Maßgeblich ist danach bezogen auf den Streitfall, wer nach zivilrechtlichen Maßstäben Partei der – die Unternehmereigenschaft begründenden – Verträge geworden ist, also aus den Mietverträgen berechtigt und verpflichtet wurde (BFH-Urteil vom 22.11.2018 V R 65/17, BFHE 263, 90, Rn.19). Dem Gericht liegt ein „Gewerbe-Mietvertrag“ vor, den der Rechtsanwalt U L als Zwangsverwalter im Namen von I Q, B Q, M Q und C Q abgeschlossen hat. Zivilrechtlicher Vertragspartner dieses Vertrags sind jeweils I Q, B Q, M Q und C Q geworden und keine von diesen Personen verschiedene Gesellschaft. Mag sich die „Grundstücksgemeinschaft“ auch im Verhältnis zum Beklagten als Unternehmerin geriert haben. Allein die Einzelpersonen I Q, B Q, M Q und C Q können nach dem Mietvertrag als leistende Unternehmer angesehen werden. Das Gericht geht davon aus, dass der Zwangsverwalter entsprechend dem exemplarisch vorliegenden Vertrag sämtliche Mietverträge abgeschlossen hat. Allein dies entspricht der gesetzlichen Verpflichtung des Zwangsverwalters, der das Grundstück gem. § 152 Abs. 1 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) für die Eigentümer des beschlagnahmten Grundstücks zu verwalten hat. Allein die natürlichen Personen sind bis zur Beendigung der Zwangsverwaltung Eigentümer des fraglichen Grundstücks gewesen und nicht die von diesen Personen verschiedene Klägerin dieses Verfahrens. Nur Erstere waren zum Zeitpunkt der Zwangsverwaltung als Eigentümer im Grundbuch ausgewiesen. Letztere wurde erst durch Berichtigungsbewilligung vom 14.12.2017 zum 23.1.2018 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Zudem treten die Eigentümer nach Aufhebung der Zwangsverwaltung in die durch den Zwangsverwalter abgeschlossenen Mietverträge gemäß § 57 ZVG i.V.m. § 566 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – ein (vgl. Emmerich in: Staudinger, (2018) BGB § 566, Rn. 18a). Der insoweit feststellungsbelastete Beklagte hat davon abgesehen, den Zwangsverwalter zur Vorlage sämtlicher Mietverträge anzuhalten, um dadurch nachzuweisen, dass Verträge abweichend von der gesetzlichen Verpflichtung des Zwangsverwalters im Namen der Klägerin abgeschlossen wurden. Der Beklagte hat zudem keine Umstände und Tatsachen vorgetragen, dass und inwieweit die Mietverträge nach Beendigung der Zwangsverwaltung von den einzelnen Eigentümern auf die Klägerin übergegangen sind. Das Gericht konnte nach den Angaben der Beteiligten – anders als beim gesetzlichen Übergang bei Beendigung der Zwangsverwaltung – jedenfalls keine positive Feststellung dazu treffen, dass ein weiterer Übergang der Mietverträge gemäß § 566 BGB auf die Klägerin stattgefunden hat. Das Gericht geht davon aus, dass sämtliche Mietverträge durch den Zwangsverwalter nach vorstehendem Muster abgeschlossen wurden, sodass in den Bescheiden betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer 2020 und 2021 der unzutreffende Steuerschuldner angegeben wurde und damit ein Bescheid an einen unzutreffenden Inhaltsadressaten ergangen ist.
98Zudem führt das Innehaben von Bruchteilseigentum jedenfalls in den Streitjahren 2020 und 2021 nicht dazu, dass eine von den Bruchsteilseigentümern verschiedene Bruchteilsgemeinschaft als umsatzsteuerlicher Unternehmer anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2018 V R 65/17, BFHE 263, 90). Ob sich die rechtliche Beurteilung für die Zeit ab dem 1.1.2023 durch die Einführung von § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 UStG geändert hat, bedarf in diesem die Besteuerungszeiträume 2020 und 2021 betreffenden Verfahren keiner Entscheidung.
99b) Selbst unterstellt die Klägerin wäre in den Streitjahren als leistende Unternehmerin aus den in diesem Verfahren fraglichen Mietverträgen anzusehen – wovon der erkennende Senat, wie vorstehend unter I. 2. a) ausgeführt, nicht ausgeht –, so wäre nicht die in Italien ansässige Klägerin, sondern vielmehr die jeweiligen inländischen Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 UStG i. V. mit § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG geworden.
100aa) Gemäß § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG schuldet der Leistungsempfänger in den in § 13b Absatz 1 und 2 Nr. 1 bis 3 UStG genannten Fällen die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person ist. Nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG gehören hierzu Werklieferungen und nicht unter § 13b Abs. 1 UStG fallende sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers. Unter § 13b Abs. 1 UStG fallen die nach § 3a Abs. 2 UStG im Inland steuerpflichtigen sonstigen Leistungen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers. Da es im Streitfall um die Vermietung von Räumlichkeiten in einer Immobilie an verschiedene Unternehmer geht, beruht die Steuerbarkeit im Inland auf § 3a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a) UStG – und damit nicht auf § 3a Abs. 2 UStG. Da strittig auch allein die steuerpflichtigen Vermietungsumsätze sind, die gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 UStG allein gegenüber Unternehmern ausgeführt werden können, da ansonsten die Option zur Steuerpflicht nicht greift, handelt es sich bei den Leistungsempfängern jeweils auch um Unternehmer.
101bb) Nach § 13b Abs. 7 Satz 1 UStG ist ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG ein Unternehmer, der im Inland, auf der Insel Helgoland und in einem der in § 1 Absatz 3 bezeichneten Gebiete weder einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte hat, von der aus er die Leistung erbringt. Die Klägerin hat ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung unter der Anschrift … in Italien und ist nur dort ansässig.
102cc) Die Klägerin erbringt die Vermietungsleistung – sollte sie als Leistende angesehen werden – auch nicht über eine im Inland befindliche Betriebsstätte.
103Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), die vom erkennenden Senat geteilt wird, stellt eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie keine feste Niederlassung i.S. des Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) sowie der Art. 44 und 45 MwStSystRL in der in den Streitjahren anzuwendenden Fassung dar, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt (EuGH-Urteil vom 3.6.2021 C-931/19, Höchstrichterlicher Finanzrechtsprechung – HFR – 2021, 945). Eine Immobilie, bei der keinerlei personelle Ausstattung vorhanden ist, die zu autonomem Handeln befähigt, kann nicht als feste Niederlassung eingestuft werden (EuGH-Urteil vom 3.6.2021 C-931/19, HFR 2021, 945; vgl. u.a. auch Hundt-Eßwein in: Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, 361. Lieferung, 10/2024, § 13b UStG, Rn. 222).
104§ 13b Abs. 7 Satz 1 UStG ist, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 13b Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE), richtlinienkonform auszulegen. Mangels feststellbarem im Inland tätigen Personals – wie beide Beteiligte in der mündlichen Verhandlung bestätigten – kann die vermietete Immobilie nicht als feste Niederlassung bzw. Betriebstätte i. S. des § 13b Abs. 7 Satz 1 UStG angesehen werden, sodass die Vermietung – unterstellt die Klägerin wäre als leistende Unternehmerin anzusehen – unmittelbar aus dem Ausland ohne Beteiligung einer im Inland gelegenen Betriebsstätte erfolgt ist. Auch unter der Annahme die Klägerin wäre nach Übergang der Mietverträge auf sie leistende Unternehmerin im Streitzeitraum, wäre diese daher nicht Steuerschuldnerin der Umsatzsteuer aus den fraglichen Vermietungsumsätzen geworden.
105c) In der Folge ist nicht von Bedeutung, ob sich die Klägerin den durch den Zwangsverwalter ausgeübten Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG zurechnen lassen muss und diesen ggf. widerrufen hat.
1063. Eine Steuerschuldnerschaft aufgrund in einer Rechnung offen ausgewiesener Umsatzsteuer gem. § 13a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 i. V. mit § 14c Abs. 1 UStG kommt ebenfalls nicht in Betracht.
107a) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er gemäß § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG auch den Mehrbetrag. Nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG gilt zudem, dass derjenige, der in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), den ausgewiesenen Betrag schuldet.
108b) Unionsrechtliche Grundlage von § 14c UStG ist Art. 203 MwStSystRL. Nach dieser Bestimmung schuldet „jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist“, diese Steuer.
109c) Auf dieser normativen Grundlage kann die in einer Urkunde als Aussteller bezeichnete Person dann in Anspruch genommen werden, wenn sie in irgendeiner Weise an der Erstellung der Urkunde mitgewirkt hat oder wenn ihr die Ausstellung zuzurechnen ist. Für Rechnungen sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Regelungen entsprechend anwendbar. Aussteller einer Rechnung ist daher nicht nur, wer die betreffende Rechnung eigenhändig erstellt hat. Vielmehr sind insoweit auch die zum Recht der Stellvertretung entwickelten Grundsätze zu beachten (FG Münster, Urteil vom 12.9.2017 15 K 1089/15 U, EFG 2017, 1767 m. w. N.).
110d) Die Inanspruchnahme der Klägerin scheitert daran, dass als leistende Unternehmer in der etwaigen Rechnung (hier: dem Mietvertrag) lediglich I Q, B Q, M Q und C Q und nicht die „Q Grdstsges. … A-Str. 26, 28“ ausgewiesen wurde. Letzterer kann daher kein unrichtiger Steuerausweis zugerechnet werden. Die Klägerin hat auch an der tatsächlichen Ausstellung der Rechnung, d.h. dem Abschluss des Mietvertrags, nicht mitgewirkt, da dieser vom Zwangsverwalter im Namen von I Q, B Q, M Q und C Q abgeschlossen wurde. Die Feststellung, dass die Klägerin in eben diese Mietverträge nach § 566 BGB für einen der Zwangsverwaltung nachfolgenden Zeitpunkt eingetreten ist, und sie diese Verträge gegen sich als Rechnungen möglicherweise geltend lassen muss (vgl. insoweit Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.4.2022 7 K 7031/19, EFG 2022, 1789; Revision beim BFH anhängig unter Az.: V R 16/22) konnte der Senat – wie vorstehend unter I. 2. a) ausgeführt – gerade nicht treffen. Die Zurechnung des Mietvertrags als etwaige § 14c UStG-Rechnung kommt daher nicht in Betracht.
111e) Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung über die weiteren Fragestellungen, ob der Vertrag für sich genommen eine § 14c UStG-Rechnung darstellt, insbesondere ob eine § 14c UStG-Rechnung erst in Verbindung mit einer Teil-Gutschrift des die Leistung empfangenden Unternehmers vorliegt, in denen dieser den Abrechnungszeitraum konkretisiert und ob die Klägerin dieser Teil-Gutschriftserstellung auch zugestimmt hat (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG).
1124. Mangels Steuerschuldnerschaft der Klägerin für inländische Umsätze waren die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2020 und 2021 ihr gegenüber aufzuheben. Bei der Klägerin handelt es sich allenfalls um einen im Ausland ansässigen Unternehmer, der im Inland nicht dem Regelbesteuerungsverfahren nach den §§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 1 UStG unterliegt, sodass die Bescheide nicht nur auf 0,00 € festzusetzen, sondern aufzuheben waren.
113II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
114III. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe im Sinne des § 115
115Abs. 2 FGO vorliegen.
116IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155
117FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.