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Der Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 6.1.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2022 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2018 auf ./. 5.224,85 EUR festgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des voll-streckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob eine im Jahr 2017 als nicht umsatzsteuerbar behandelte Geschäftsveräußerung im Ganzen aufgrund eines Teilrücktritts vom Kaufvertrag im Streitjahr 2018 nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (UStG) als nunmehr umsatzsteuerbar und -pflichtig zu behandeln ist.
2Die Klägerin betrieb das Busunternehmen C . Sie erbrachte überwiegend Beförderungsleistungen im Linienverkehr; teilweise übernahm sie auch Fahrten im Gelegenheitsverkehr (zum Beispiel Tagesausflüge von Schulen). Dazu unterhielt sie zuletzt 14 Linienbusse. Die Wartung und Instandhaltung der Linienbusse sowie die Verwaltung des Unternehmens erfolgten auf dem im Eigentum der Klägerin befindlichen Betriebsgrundstück A-Str. 38, 00000 D, das bei einer Größe von 9.607 Quadratmetern unter anderem mit einer Werkstatthalle, einer Waschstraße und einem Büroteil bebaut war. Es wurden keinerlei Werkstattleistungen für Dritte erbracht.
3Unter dem 11. Juli 2017 schloss die Klägerin mit G F (Käufer), der ebenfalls ein Busunternehmen betrieb, einen notariellen „Kaufvertrag über Anlagevermögen und Betriebsgrundstück“ des von der Klägerin bislang betriebenen Busunternehmens C. Der Kaufvertrag beinhaltete neben 14 Linienbussen samt Ausstattung auch das Betriebsgrundstück sowie Werkstatt-, Betriebs- und Büroausstattung. Zudem wurde der Käufer berechtigt, die Bezeichnung „C“, die Website und Domain sowie die Telefon- und Faxnummern der Klägerin einschließlich des gesamten Anschlusses der Telekom zu übernehmen. Das Geschäft sollte in zwei Schritten vollzogen werden. Mit Ablauf des 31. Juli 2017 sollte dem Käufer der Besitz am beweglichen Anlagevermögen – also insbesondere an den Linienbussen – und mit Ablauf des 30. September 2017 der Besitz am Betriebsgrundstück, jeweils vorbehaltlich vollständiger Kaufpreiszahlung, übergeben werden; zum gleichen Zeitpunkt sollten öffentliche und private Lasten, Haftung und Verkehrssicherungspflichten auf den Käufer übergehen. Die Parteien des Kaufvertrages vereinbarten einen Netto-Kaufpreis (ohne Umsatzsteuer) von 1.637.100 Euro, wovon 450.000 Euro auf die Linienbusse entfallen sollten. Die Parteien gingen übereinstimmend davon aus, dass es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung handelte. Unbeschadet dieser Würdigung vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin zur Vermeidung jedweder Risiken unwiderruflich zur Umsatzsteuer optiert.
4Es gingen keinerlei Konzessionen oder Genehmigungen für den Linien- oder Gelegenheitsverkehr auf den Käufer über. Gleiches gilt für Kundenverträge, weil diese alle mit dem Verkauf des Unternehmens ausgelaufen waren. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Kaufvertrags Bezug genommen.
5Der Kaufvertrag wurde im Hinblick auf den ersten Schritt – die Veräußerung der Linienbusse gegen Zahlung der hierfür vereinbarten 450.000 Euro – vereinbarungsgemäß abgewickelt. Der Käufer erhielt darüber hinaus unmittelbaren Besitz an den übrigen Kaufgegenständen – insbesondere an dem Betriebsgrundstück – zweiter kaufvertraglich vereinbarter Schritt – zahlte den verbleibenden Anteil des Kaufpreises jedoch in der Folgezeit nicht. Er betrieb das Unternehmen und bediente dabei die gleichen Kunden, die auch die Klägerin zuvor bedient hatte.
6Am 21. Januar 2018 bat der Käufer die Klägerin um Teilrücktritt vom Kaufvertrag. Er hatte keine Finanzierungszusage für den ausstehenden Kaufpreis erhalten. Unter dem 27. März 2018 erklärte die Klägerin gegenüber dem Käufer den Teilrücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Käufer zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks samt Inventar auf. Dieser Aufforderung entsprach der Käufer erst nach zivilgerichtlicher Entscheidung.
7Die Klägerin hat gegen den Käufer infolge des Urteils des Landgerichts Q vom 10. September 2018 (Aktenzeichen: x O xxx/18) einen Titel unter anderem auf Zahlung der Umsatzsteuer in Höhe von 85.500 Euro, auf Zahlung von Nutzungsersatz für das Grundstück in Höhe von 20.000 Euro sowie von Strom-, Gas- und Telefonkosten in Höhe von insgesamt 4.262,39 Euro erstritten. Eine Rechnung über den Verkauf der Linienbusse hat die Klägerin gegenüber dem Käufer bislang nicht ausgestellt.
8Am 1. April 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Käufers eröffnet.
9Der Umsatzsteuererklärung für 2018, die einen Vorsteuerüberschuss in Höhe von 5.224,85 Euro auswies, stimmte der Beklagte zunächst zu.
10Anlässlich einer Betriebsprüfung bei der Klägerin, die unter anderem die Umsatzsteuer des Streitjahres umfasste, kam die Prüferin zu dem Ergebnis, dass infolge des Teilrücktritts keine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung vorliege. Stattdessen sei die Veräußerung der Linienbusse als Einzelveräußerung umsatzsteuerbar und -pflichtig, und zwar seit dem Zeitpunkt des Teilrücktritts am 27. März 2018. Da sich die Vertragsparteien auf einen Nettokaufpreis für die Busse von 450.000 Euro verständigt hätten, seien die steuerpflichtigen Umsätze um diesen Betrag zu erhöhen. Aufgrund der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Erwerbers in 2019 sei eine Korrektur des Umsatzsteuerbetrages nach § 17 UStG erst in 2019 dergestalt vorzunehmen, dass nunmehr nur von einer Gegenleistung von 450.000 Euro auszugehen sei, aus der die Umsatzsteuer herauszurechnen sei und sich in 2019 ein Korrekturbetrag zu Gunsten der Klägerin von 13.652,26 Euro ergebe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 1. Oktober 2021 Bezug genommen.
11Mit Umsatzsteueränderungsbescheid für 2018 vom 6. Januar 2022 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer entsprechend der Feststellungen der Prüferin auf 80.143,07 Euro fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2022 als unbegründet zurück.
12Am 25. November 2022 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Veräußerung der Linienbusse sei eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung. Maßgeblich sei, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bildeten, um dem Erwerber die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit zu ermöglichen. Es stünden nicht mehr die wesentlichen Betriebsteile im Vordergrund. Der Teilrücktritt sei deshalb unschädlich.
13Der Käufer habe unter anderem die 14 Linienbusse als wichtigste Geschäftsgrundlage erworben und im Personenverkehr eingesetzt; dies allein reiche zur Fortführung des Unternehmens aus. Das Betriebsgelände sei miterworben worden, aber für das Unternehmen nicht erforderlich. Einer Werkstatt bedürfe es nicht; sie lohne sich erst ab einer gewissen Anzahl an Bussen. Man könne sonstige Werkstätten und auch Waschanlagen und Bustankstellen in Anspruch nehmen. Diese seien in unmittelbarer Nähe des Betriebsgrundstücks vorhanden. Aufgrund der schlechten Auftragslage habe sich der Betrieb einer eigenen Werkstatt seit dem Jahr 2016 nicht mehr gelohnt. Das Parken der Linienbusse sei im öffentlichen Verkehrsraum möglich. In Gewerbegebieten gebe es ausreichend Stellflächen. Zum Teil hätten die Angestellten die Linienbusse auch bei sich zu Hause geparkt. Der Käufer habe das Betriebsgelände ab dem Zeitpunkt des Kaufvertrags tatsächlich genutzt, was zeige, dass er im Zeitpunkt des Kaufvertrags gewillt gewesen sei, das Unternehmen fortzuführen. Nach Räumung des Grundstücks habe der Käufer das Unternehmen bis Mai 2018 weiterbetrieben, indem er Linienbusse eingesetzt und diese nach Einsatz auf der Straße vor dem Betriebsgelände geparkt habe. Dies verdeutliche, dass das Betriebsgrundstück nicht für die Fortführung des Unternehmens erforderlich gewesen sei. Er habe das Geschäft nicht mangels Betriebsgrundstücks, sondern wegen der Insolvenz eingestellt. Kundenverträge oder Genehmigungen seien nicht auf den Käufer übertragen worden, weil dies rechtlich nicht möglich gewesen sei.
14Jedenfalls habe – wenn man eine Geschäftsveräußerung verneinte – der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr der Veräußerung der Linienbusse (2017) geändert werden müssen und nicht für das Streitjahr 2018.
15Die Klägerin beantragt,
16unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 14. November 2022 den Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 6. Januar 2022 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer erklärungsgemäß auf ./. 5.224,85 € herabgesetzt wird;
17hilfsweise, die Revision zuzulassen.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen;
20hilfsweise, die Revision zuzulassen.
21Er ist der Auffassung, dass zur Beurteilung des Geschäfts auf die Lage nach dem Teilrücktritt abzustellen sei. In diesem Zeitpunkt lägen 14 steuerbare Lieferungen von Linienbussen vor. Zwar müssten nach neuerer Rechtsprechung nicht mehr alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übergehen. Doch seien die Linienbusse kein hinreichendes Ganzes zur Fortführung des Unternehmens und auch kein selbständiger, abgeschlossener Unternehmensteil gewesen. Das Unternehmen der Klägerin habe aus Linienverkehr inklusive Wartung und Instandhaltung der Linienbusse sowie Verwaltung bestanden. All dies sei wesentlich für den Bestand des Unternehmens gewesen. Das Betriebsgrundstück sei nicht nur in quantitativer, sondern auch in funktionaler Hinsicht wesentlich für das Unternehmen und seine Betriebsabläufe. Ein Busunternehmen mit mehreren Bussen könne – vergleichbar mit einem Speditionsunternehmen oder mit Pflegedienstleistern – nicht ohne ein Betriebsgelände mit Abstellplätzen betrieben werden. Auch ein Abstellen der Linienbusse auf einem etwaigen Dienstgelände des Käufers komme aufgrund der Entfernung zwischen dem Sitz des klägerischen Unternehmens in D und demjenigen des Käufers in I nicht in Betracht. Am Sitz des klägerischen Unternehmens gebe es zudem weder eine Waschanlage noch eine Tankstelle oder eine Werkstatt für Busse, sodass ein Unternehmen wie das der Klägerin dies selbst vorhalten müsse. Manche Reparaturen müssten zudem „just in time“ umgesetzt werden, was ohne eigene Werkstatt nicht realisierbar sei. Dementsprechend habe der Käufer das Unternehmen zunächst fortgeführt, die Unternehmenstätigkeit in C aber nach Teilrücktritt mit der Räumung des Betriebsgrundstücks eingestellt. Grundstücke gehörten überdies nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs regelmäßig zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen.
22Die tatsächliche Nutzung des Betriebsgeländes durch den Erwerber vom Abschluss des Vertrags bis zum Rücktritt habe keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Geschäftsveräußerung. Die Nutzung der nicht übertragenen Wirtschaftsgüter aus einer eigenen Rechtsposition des Käufers sei nicht vereinbart worden.
23Zur Frage der zeitlichen Entstehung der Steuer führt der Beklagte aus, dass ein Rücktritt ex nunc wirke, sodass ihm keine Rückwirkung zukomme. Auch stelle der Rücktritt kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) dar, weil das materielle Recht mit dem entsprechend anzuwendenden § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG eine Berichtigung für den Besteuerungszeitraum vorsehe, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten sei.
24Auf gerichtliche Nachfrage hat die zuständige Bezirksregierung E mitgeteilt, dass die Klägerin im Besitz einer Genehmigung vom 11. September 2012 für den Gelegenheitsverkehr nach §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 46 ff. PBefG des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) gewesen sei. Diese sei wegen zeitlicher Befristung zum 30. September 2022 ausgelaufen. Darüber hinaus seien diesbezüglich keine Vorgänge aktenkundig.
25Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten.
I. Die Klage ist begründet. Der Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 6. Januar 2022 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. November 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Der Beklagte hat die in 2017 erfolgte Veräußerung der 14 Linienbusse zu Unrecht im Streitjahr 2018 der Umsatzsteuer unterworfen, da die in 2017 erfolgte einheitliche Lieferung (1.) eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellt (2.), die keiner Berichtigung nach § 17 UStG unterliegt (3.).
271. Der Umsatzsteuer unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 UStG unter anderem Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Gegenstand der auf dem Kaufvertrag vom 11. Juli 2017 beruhenden einheitlichen Lieferung waren nicht lediglich die 14 Linienbusse, für die der Käufer auch den Kaufpreis bezahlt hat, sondern vielmehr auch das Betriebsgrundstück mitsamt den Gebäuden, Einrichtungen und übrigen dort befindlichen und kaufvertraglich geschuldeten Wirtschaftsgütern.
28a) Lieferungen eines Unternehmers sind gemäß § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Diese Vorschrift setzt Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um. Danach gilt als „Lieferung von Gegenständen" die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Der unionsrechtliche Begriff „Lieferung von Gegenständen" umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer. Der Begriff bezieht sich nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 8. Februar 1990 C-320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, EU:C:1990:61, Rn 7 f.; vom 6. Februar 2003 C-185/01, Auto Lease Holland, EU:C:2003:73, Rn 32 und vom 2. Juli 2015 C-209/14, NLB Leasing, EU:C:2015:440, Rn 29, m.w.N.). Der Bundesfinanzhof (BFH) umschreibt diesen Vorgang ebenfalls in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag, ohne damit inhaltlich von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen (BFH, Urteile vom 25. Februar 2015 XI R 15/14, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 249, 343, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2023, 514, Rn 66, m.w.N. und vom 11. März 2020 XI R 18/18, BFHE 268, 364, BStBl II 2023, 525, Rn 31). Eine Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann danach z.B. sowohl in der Eigentumsübertragung auf den Erwerber als auch in der freiwilligen Übergabe durch den Eigentümer an den Erwerber zu sehen sein (BFH, Urteil vom 25. Februar 2015 XI R 15/14, BFHE 249, 343, BStBl II 2023, 514, Rn 66 m.w.N.).
29b) Ob die Verfügungsmacht übertragen worden ist, ist unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu bestimmen, das heißt unter Berücksichtigung der konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlichen Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten (BFH, Beschluss vom 22. November 2023 XI R 1/20, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2024, 745, BStBl II 2024, 530, Rn. 36 - 37 m.w.N.).
30c) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin einheitlich sämtliche kaufvertraglich geschuldeten Wirtschaftsgüter an den Erwerber geliefert.
31aa) Dies gilt – und davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus – zunächst für die Linienbusse. Denn hier hat der Käufer neben der faktischen Verfügungsmacht auch zivilrechtliches Eigentum erworben (§ 929 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB).
32bb) Dies gilt aber auch für die sonstigen kaufvertraglich geschuldeten Wirtschaftsgüter, insbesondere das Betriebsgrundstück. Auch diesbezüglich liegt eine Lieferung vor. Der Käufer konnte faktisch über dieses Wirtschaftsgut wie ein Eigentümer verfügen. Substanz, Wert und Ertrag des Grundstücks sind auf den Käufer übertragen worden. Entsprechendes gilt bezüglich der sonstigen kaufvertraglich geschuldeten Wirtschaftsgüter.
33Zwar war die Übergabe des Besitzes an dem Betriebsgrundstück gemäß § 6 Abs. 1 des notariellen Kaufvertrages vom 11. Juli 2017 vorbehaltlich vollständiger Kaufpreiszahlung erst mit Ablauf des 30. September 2017 vereinbart worden. Auch sollte der Eigentumsübergang Zug um Zug gegen Zahlung des Gesamt-Kaufpreises erfolgen (§ 1 Ziff. 3 des Kaufvertrags), hat also mangels vollständiger Kaufpreiszahlung nicht stattgefunden. Nach den Feststellungen der Prüferin und dem – durch den Beklagten unbestrittenen – Vortrag der Klägerin ging der Besitz an dem Betriebsgrundstück und aller vertraglich zugehörigen Gegenstände jedoch entgegen der vertraglichen Vereinbarungen bereits am 1. August 2017 tatsächlich auf den Käufer über. Er hatte damit Substanz und Ertrag des Betriebsgrundstücks ab diesem Zeitpunkt inne. Er nutzte diese Wirtschaftsgüter auch tatsächlich zum Betrieb seines Busunternehmens. Nach dem Teilrücktritt bedurfte es einer gerichtlichen Entscheidung, damit der Käufer der Klägerin, die nach wie vor zivilrechtlich Eigentümerin war, das Betriebsgrundstücks herausgab. Der Käufer wurde nach den unbestrittenen Feststellungen der Prüferin – das Urteil des Landgerichts Q liegt dem Senat nicht vor – verurteilt, neben Nutzungsersatz für die Nutzung des Betriebsgrundstücks unter anderem auch die dortigen Kosten für Strom und Gas an die Klägerin zu zahlen, was ebenfalls Beleg für die tatsächliche Nutzung des Betriebsgrundstücks durch den Käufer ist. Die umsatzsteuerrechtliche Verschaffung der Verfügungsmacht weicht in diesem Fall von der zivilrechtlichen Eigentumsübertragung ab. Es handelt sich im Ergebnis um einen Verkauf unter Eigentumsvorbehalt, bei dem umsatzsteuerlich bereits eine Lieferung vorliegt (BFH, Urteil vom 16. April 1997 XI R 87/96, BFHE 182, 444, BStBl II 1997, 585, vgl. auch Abschn. 3.1 Abs. 3 Satz 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses – UStAE). Dies entspricht auch der Interessenlage der Parteien des Kaufvertrags: Während die Klägerin ihr Unternehmen vollständig veräußern und ihre Tätigkeit aufgeben wollte, mithin keinen Bedarf für die Wirtschaftsgüter hatte, wollte der Käufer dieses gerade nutzen, um damit das erworbene Unternehmen fortzuführen.
34cc) Unerheblich ist entgegen der Auffassung des Beklagten, dass für die Nutzung der Wirtschaftsgüter, für die der Käufer den Kaufpreis nicht entrichtet hat, nicht eigens ein Nutzungsentgelt vertraglich vereinbart worden ist. Umsatzsteuerrechtlich ist insoweit das tatsächliche Geschehen maßgeblich.
352. Dieser Umsatz, in dessen Rahmen die vorstehend festgestellte einheitliche Lieferung erbracht wurde, unterliegt jedoch als Geschäftsveräußerung im Ganzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG nicht der Umsatzsteuer. Er ist nicht steuerbar.
36a) Eine Geschäftsveräußerung liegt gemäß § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.
37aa) § 1 Abs. 1a UStG ist entsprechend Art. 19 MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten „die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln können, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen" können, richtlinienkonform auszulegen. Die Regelung verfolgt den Zweck, Übertragungen von Unternehmen zu erleichtern. Neben übermäßigem Verwaltungsaufwand soll insbesondere vermieden werden, dass die Mittel des Erwerbers mit einer erheblichen Ausgabe belastet werden, zumal er diese Belastung später durch einen Vorsteuerabzug wiedererlangen würde (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteile vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, EU:C:2003:644, Rn 39; vom 10. November 2011 C-444/10, Schriever, EU:C:2011:724, Rn 23 und vom 19. Dezember 2018 C-17/18, Mailat, ECLI:EU:C:2018:1038, Rn 13 – dabei kann auch die Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Richtlinie 77/388/EWG – herangezogen werden, BFH, Urteil vom 4. Februar 2015 XI R 42/13, BFHE 248, 472, BStBl II – 2015, 616, Rn 25; für die nationale Umsetzung: Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 12/5630, 84; Nieskens in: Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz Kommentar, 210. Lieferung, 6/2024, § 1 Rn. 1206.1).
38bb) Der Tatbestand der Geschäftsveräußerung erfasst die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann.
39cc) Übertragen werden muss ein Gesamt- oder Teilvermögen, wobei es sich bei Letzterem in unionsrechtskonformer Auslegung um eine Kombination von Bestandteilen eines Unternehmens handeln muss, die aus Erwerbersicht zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausreicht, auch wenn diese Tätigkeit nur Teil eines größeren Unternehmens ist, von dem sie abgespalten wurde.
40dd) Der Erwerber muss außerdem beabsichtigen, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben; nicht begünstigt ist die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit (EuGH, Urteil vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, EU:C:2003:644, Rn 44). Der Erwerber darf aber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z.B. aus betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren.
41ee) Ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht, und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Dabei ist der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Fortführung geplant ist, besondere Bedeutung zuzumessen. Dass der Begünstigte vor der Übertragung eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausgeübt hat, ist nicht erforderlich, aber auch nicht schädlich (zu alledem siehe BFH, Urteil vom 24. Februar 2021 XI R 8/19, BFHE 272, 536, BStBl II 2022, 34, Rn 18-27 jeweils m.w.N.).
42b) Im Rahmen der nach diesen Grundsätzen gebotenen Gesamtwürdigung kommt der Senat zu der Überzeugung, dass es sich bei der Übertragung der Wirtschaftsgüter im Jahr 2017 um eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung handelt. Mit der Lieferung der kaufvertraglich geschuldeten Wirtschaftsgüter hat die Klägerin gemäß § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG als Unternehmerin dem Käufer, der ebenfalls Unternehmer war, einen Geschäftsbetrieb übertragen, der als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen bildet, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit (dazu aa)) fortgeführt werden konnte (dazu bb)) und fortgeführt worden ist (dazu cc)).
43aa) Die selbständige wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin bestand in der Erbringung von Personenbeförderungsdienstleistungen mittels Bussen im Linienverkehr als Subunternehmer und im Gelegenheitsverkehr. Diese war die das Unternehmen prägende und nach außen zutage tretende Tätigkeit. Dieser Tätigkeit dienend erfolgten die Wartung, Reinigung und Reparatur der Linienbusse sowie die Verwaltung des Unternehmens auf dem Betriebsgrundstück durch Personal der Klägerin. Das Betriebsgrundstück diente ferner dem Parken der Linienbusse. Da die Klägerin im Linienverkehr als Subunternehmerin tätig war, führte sie diese Tätigkeit ohne Genehmigung aus (vgl. § 2 Abs. 1a PBefG mit Ausnahmen von dem Genehmigungserfordernis in dortigem Satz 2). Eine Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr lag vor.
44bb) Der Käufer konnte mit den 14 Linienbussen sowie den sonstigen kaufvertraglich geschuldeten und tatsächlich übergegangenen Wirtschaftsgütern eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortführen. Die Übertragung umfasste alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen für die Erbringung von Personenbeförderungsdienstleistungen. Der Käufer konnte mit den Linienbussen Personenbeförderungsdienstleistungen im Linienverkehr und im Gelegenheitsverkehr und damit eine im Vergleich zur Tätigkeit der Klägerin hinreichend ähnliche Tätigkeit durchführen. Dieser Tätigkeit dienend konnte er nach wie vor das Betriebsgrundstück und dessen Einrichtungen nutzen.
45Dem steht nicht entgegen, dass keinerlei Genehmigungen oder Kundenverträge auf den Käufer übergegangen sind. Sie sind keine das Unternehmen der Klägerin prägenden Elemente. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse reichten die übergegangenen Wirtschaftsgüter für die Fortführung der Tätigkeit aus. Die Kundenverträge liefen zeitlich im Zeitraum des Unternehmensverkaufs aus. Sie mussten also neu – durch den Erwerber – abgeschlossen werden. Genehmigungen hätten zwar entgegen des Vortrags der Klägerin – nach Genehmigung der Genehmigungsübertragung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 PBefG) – auf den Käufer übergehen können. Doch hatte die Klägerin den Linienverkehr als ihr Kerngeschäft bislang ohne Genehmigung bedient. Inwiefern der Käufer eine neue Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr beantragt hat, kann der Senat vor diesem Hintergrund offenlassen.
46Unschädlich ist auch, dass nach der kaufvertraglichen Vereinbarung keinerlei Arbeitsverträge übergegangen sind, zumal der Käufer nach Angaben der Klägerin teilweise ehemalige Angestellte der Klägerin beschäftigt hat.
47cc) Der Käufer beabsichtigte nicht nur, den übertragenen Geschäftsbetrieb der Klägerin fortzuführen, er führte ihn auch tatsächlich fort, und zwar jedenfalls im Zeitraum von August 2017 (Besitzübergang an den Wirtschaftsgütern) bis zur Herausgabe des Betriebsgrundstücks, die nicht vor dem 27. März 2018 (Teilrücktrittserklärung) und erst nach gerichtlicher Entscheidung erfolgte.
48(1) Nach der Rechtsprechung von EuGH und BFH ist die sofortige Abwicklung des übergegangenen Unternehmens angesichts des Vereinfachungszwecks der nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung nicht begünstigt (EuGH, Urteil vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, EU:C:2003:644, Rn 44; BFH, Urteile vom 18. September 2008 V R 21/07, BFHE 222, 170, BStBl II 2009, 254, Rn 20 und vom 26. Juni 2019 XI R 3/17, BFHE 265, 549, BStBl II 2021, 953, Rn 53). Insoweit erfordert die Annahme einer Geschäftsveräußerung ein Zeitmoment um festzustellen, ob die zur Annahme einer Geschäftsveräußerung erforderliche Fortführungsabsicht des Erwerbers gegeben ist. Normative Anknüpfung findet dieses Zeitmoment in der Ermächtigung des Art. 19 Abs. 2 Satz 2 MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen können, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen, die bei sofortiger Veräußerung der im Rahmen einer Geschäftsveräußerung übergegangenen Wirtschaftsgüter auftreten würden, vorzubeugen. Nur im Falle eines über gewisse Zeit fortgeführten Betriebs bzw. zumindest der Absicht der Betriebsfortführung über gewisse Zeit ist die Begünstigung (Liquiditätsschonung, Vereinfachung) zu rechtfertigen. Das Zeitmoment dient damit vornehmlich der Feststellung der subjektiven Tatsache der Fortführungsabsicht. Ein sehr langer Zeitraum der Fortführung mag die Fortführungsabsicht indizieren. Eine nur kurze Fortführung mag unter Umständen die fehlende Fortführungsabsicht des Erwerbers indizieren, wenn nicht andere Umstände hinzutreten, die gewichtig für die Fortführungsabsicht streiten.
49(2) Im Streitfall ist der Zeitraum der Betriebsfortführung von mindestens knapp acht Monaten zur Überzeugung des Senats ausreichend, um unabhängig von späteren Ereignissen von einer Geschäftsveräußerung im Sinne des § 1 Abs. 1a UStG auszugehen. Der Käufer hat nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin in diesem Zeitraum die gleiche Tätigkeit wie zuvor die Klägerin im Wesentlichen gegenüber den vormaligen Kunden der Klägerin erbracht. Die spätere Geschäftsaufgabe erfolgte zur Überzeugung des Senats angesichts der Insolvenz des Käufers allein aus finanziellen Gründen. Der Senat hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerber die Fortführung des Betriebs nicht beabsichtigt haben könnte.
503. Diese aufgrund einheitlicher Lieferung des gesamten Unternehmens im Jahr 2017 festgestellte nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen unterliegt entgegen der Auffassung des Beklagten keiner Berichtigung gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 3 i. V. mit Abs. 1 Sätze 1 und 8 UStG im Streitzeitraum 2018.
51a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG hat der Unternehmer, der einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt hat, für den sich die Bemessungsgrundlage geändert hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen, und zwar gemäß Satz 8 der Vorschrift für den Besteuerungszeitraum, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG sinngemäß, wenn eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb rückgängig gemacht worden ist.
52b) Diese Vorschrift findet hier jedoch keine Anwendung, und zwar weder direkt (dazu aa)) noch in richtlinienkonformer Auslegung (dazu bb)). Die Vorschrift ist zudem nicht im Wege der Rechtsfortbildung analog auf derartige Fallgestaltungen anzuwenden (dazu cc)).
53aa) Sie ist – das meint auch der Beklagte – tatbestandlich nicht direkt anwendbar, weil sie die Änderung der Bemessungsgrundlage einer steuerpflichtigen Leistung voraussetzt, während hier eine Leistung vorliegt, die als Geschäftsveräußerung im Ganzen bereits nicht steuerbar ist.
54bb) Die Vorschrift findet aber auch bei richtlinienkonformer Auslegung keine Anwendung. Gemäß Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL, der die unionsrechtliche Grundlage für § 17 UStG bildet, wird die Steuerbemessungsgrundlage im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
55Damit sieht auch das Unionsrecht auf Rechtsfolgenseite stets nur eine Änderung der Steuerbemessungsgrundlage vor, während die Umqualifizierung eines nichtsteuerbaren Umsatzes in einen steuerbaren Umsatz in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL nicht vorgesehen ist. Auch das Unionsrecht gebietet daher keine abweichende bzw. extensive Interpretation des Tatbestands von § 17 UStG.
56cc) Schließlich ist § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG auch nicht analog anwendbar.
57(1) Die analoge Anwendung des § 17 UStG begegnet hier bereits Zweifeln im Hinblick darauf, dass nicht nur ein Tatbestandsmerkmal (steuerpflichtiger Umsatz), sondern auch die Rechtsfolgenanordnung (Umqualifizierung von nichtsteuerbaren in steuerbare Umsätze statt lediglich Änderung der Bemessungsgrundlage eines steuerpflichtigen Umsatzes) modifiziert werden müsste. Mit anderen Worten soll für einen in der Norm nicht geregelten Fall eine nicht geregelte Rechtsfolge eintreten. Dies wäre keine zulässige Rechtsfortbildung im Wege der Analogie, sondern Rechtssetzung, die der rechtsprechenden Gewalt nicht zusteht.
58(2) Darüber hinaus setzt eine Analogie eine planwidrige Regelungslücke voraus. Eine solche Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig, ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH, Urteil vom 18. Januar 2012 II R 31/10, BFHE 237, 251, BStBl II 2012, 519, Rn 13).
59Diese Voraussetzungen liegen hier ebenfalls nicht vor.
60§ 17 UStG dient der Anpassung der Umsatzbesteuerung und des Vorsteuerabzugs an die letztlich tatsächlich aufgewendete Gegenleistung (BFH, Urteil vom 19. November 2009 V R 41/08, BFHE 227, 521, Rn 27). Er fungiert damit als Korrektiv zur Soll-Besteuerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG und sichert die periodengerechte Besteuerung.
61Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 17 UStG nicht insofern unvollständig, als dass nichtsteuerbare Vorgänge wie die Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Änderungen der zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgänge (insbesondere Rückgängigmachung der Leistung, § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG) erfasst werden müssten. Besteht nämlich aufgrund objektiv nachprüfbarer Umstände im Zeitpunkt der Lieferung – wie hier – kein Zweifel an der Fortführungsabsicht des Erwerbers und liegen die Voraussetzungen der Geschäftsveräußerung im Übrigen vor, gibt es keinen Grund, eine Geschäftsveräußerung im Falle späterer Ereignisse mit Auswirkung auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis (hier insbesondere der Teilrücktritt) zu negieren. Vielmehr deckt § 1 Abs. 1a UStG diesen Fall ab, weil er über die objektiv zu bestimmende Fortführungsabsicht ein zeitliches Moment enthält. Die spätere Umqualifizierung einer einmal tatsächlich manifestierten Geschäftsveräußerung ist damit verwehrt. Nur bei nicht ausreichend langer Fortführung des Unternehmens kann – was hier nicht der Fall ist – die Geschäftsveräußerung im Ganzen von vornherein auszuschließen sein.
62Diese Beurteilung trägt auch dem Vereinfachungscharakter des § 1 Abs. 1a UStG Rechnung. Sie gewährt die durch die Annahme der Nichtsteuerbarkeit der Geschäftsveräußerung vorgesehenen Vereinfachungen und vermeidet angesichts etwa der Vorschriften des § 1 Abs. 1a Satz 3 und des § 15a Abs. 10 UStG unnötige Komplikationen bei der erstmaligen Besteuerung einer vormals als Geschäftsveräußerung behandelten Übertragung, ohne den Neutralitätsgrundsatz zu verletzen.
63(3) Im Zeitpunkt des Teilrücktritts am 27. März 2018 war neben den sonstigen Voraussetzungen der Geschäftsveräußerung insbesondere die Fortführungsabsicht des Käufers in einer Weise manifestiert, dass infolge des Teilrücktritts vom Kaufvertrag hinsichtlich des Betriebsgrundstückes es nicht nachträglich zu einer Umqualifizierung der nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung in steuerpflichtige Lieferungen einzelner Wirtschaftsgüter kommt.
64(4) Aus den vorstehenden Gründen wirkt sich auch die spätere Aufgabe des Betriebs infolge der Insolvenz des Käufers nicht auf die Beurteilung der Geschäftsveräußerung aus. Von einer für die Annahme einer Geschäftsveräußerung schädlichen sofortigen Abwicklung (EuGH, Urteil vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, EU:C:2003:644, Rn 44) kann keine Rede sein.
65II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
66III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
67IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.