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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über einen Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre am ….11.2021 geborene Tochter A für die Zeit von November 2021 bis einschließlich Juni 2022 (Streitzeitraum).
3Die Klägerin ist tunesische Staatsangehörige. Ihr Ehemann und der Vater der gemeinsamen Tochter A ist Herr B, ebenfalls tunesischer Staatsangehöriger.
4Die Klägerin reiste am 12.05.2014 aufgrund eines für die Zeit vom 30.04.2014 bis zum 28.07.2014 geltenden Visums in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr wurde am 19.01.2017 für Zwecke ihres Promotionsstudiums in der Fachrichtung X an der C Universität D zunächst ein Aufenthaltstitel nach § 16 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der bis zum 29.02.2020 gültigen Fassung erteilt, der mehrfach, zuletzt bis zum 29.02.2020, verlängert wurde. Bis zum Abschluss ihrer Promotion im Jahr 2020 war die Klägerin sozialversicherungspflichtig als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität beschäftigt. Anschließend war sie nicht erwerbstätig und arbeitssuchend.
5Vom 08.02.2021 bis zum 06.01.2022 hatte die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der ab dem 01.03.2020 geltenden Fassung (AufenthG 2020), die ihr eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet erlaubte. Seitdem werden Fiktionsbescheinigungen auf der Grundlage von § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt, wonach der Aufenthaltstitel – den Streitzeitraum betreffend – bis zum 02.08.2022 fortbestehe.
6Während des Streitzeitraums war die Klägerin weiterhin nicht erwerbstätig und befand sich weder in Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) noch bezog sie laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Seit Juli 2022 ist sie bei ihrem Ehemann, Herrn B, geringfügig als Arbeitnehmerin beschäftigt.
7Im Februar 2022 stellte die Klägerin für ihre Tochter A bei der Beklagten einen Kindergeldantrag. Sie legte u.a. ihren auf der Grundlage von § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 erteilten Aufenthaltstitel vor und gab an, sie habe im Bereich der X-wissenschaften promoviert und sei, seitdem sie die Promotion abgeschlossen habe, arbeitssuchend. Arbeitslosengeld beziehe sie nicht, sie erhalte lediglich Elterngeld in Höhe von 300,- € monatlich.
8Mit Bescheid vom 13.05.2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab dem Monat November 2021 mit der Begründung, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht, ab.
9Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung verwies sie auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Vorlagebeschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts betreffend die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 62 EStG (2 BvL 9-14/14).
10Den Einspruch der Klägerin wies die Beklagte – nachdem das Verfahren zunächst geruht hatte – mit Einspruchsentscheidung vom 02.11.2022 mit der Begründung, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfülle, zurück. Nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG sei § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 EStG in der Fassung des Artikel 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2019, 2451) anzuwenden, da eine Kindergeldfestsetzung für einen Zeitraum betroffen sei, der nach dem 29.02.2020 begonnen habe. Die Klägerin sei im Streitzeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 gewesen und müsse demnach die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG erfüllen. Dies sei nicht der Fall, da die Klägerin nicht erwerbstätig gewesen sei und weder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) noch laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Anspruch genommen habe.
11Nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld vom 20.09.1991 (BGBl. II 1995, 642) in Kraft getreten am 01.08.1996 (BGBl. II 1996, 2522) – deutsch-tunesisches Kindergeld-Abkommen – bestehe ebenfalls kein Anspruch auf Kindergeld, weil die Klägerin weder als Arbeitnehmerin arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei noch nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen aus der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalte habe.
12Mit ihrer am 08.12.2022 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, sie habe ab November 2021 einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld für ihre Tochter A.
13Die Klägerin hält die im Streitfall zugrunde gelegte, einfach-rechtliche Regelungslage für verfassungswidrig. Im Übrigen habe das BVerfG die Vorlagen zu den im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Fragen als unzulässig verworfen (Beschlüsse vom 15.06.2023, 2 BvL 11/12 und 12/14). Die Frage sei demnach höchstrichterlich im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit des § 62 Abs. 2 EStG noch nicht entschieden worden und habe demnach grundsätzliche Bedeutung.
14Die Beklagte hat den angefochtenen Ablehnungsbescheid vom 13.05.2022 am 14.02.2023 geändert und der Klägerin – aufgrund der Aufnahme der Erwerbstätigkeit – Kindergeld für A für die Zeit von Juli 2022 bis November 2022 gewährt. Das diesbezügliche Verfahren wurde mit Beschluss vom 17.05.2023 zur gesonderten Entscheidung abgetrennt.
15Die Klägerin beantragt nunmehr,
16die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13.05.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.11.2022 sowie des Änderungsbescheides vom 14.02.2023 zu verpflichten, ihr Kindergeld für ihre am ….11.2021 geborene Tochter A für die Monate November 2021 bis Juni 2022 zu bewilligen,
17hilfsweise die Revision zuzulassen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Zur Begründung verweist sie hinsichtlich der streitbefangenen Zeit von November 2021 bis Juni 2022 auf die Einspruchsentscheidung.
21Am 04.11.2024 hat die Berichterstatterin die Sache mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
22Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe
24I. Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ist zulässig, aber unbegründet.
251. Die Klägerin hat im Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld, da sie die Vor-aussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht erfüllt.
26Nach § 52 Abs. 49a Satz 2 EStG ist im Falle der Klägerin § 62 EStG in der Fassung des Artikel 3 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) anzuwenden. Nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG in der maßgeblichen Fassung erhält die Klägerin als nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG 2020 erteilt wurde, nur dann Kindergeld, wenn sie erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 BEEG bzw. laufende Geldleistungen nach dem SGB III in Anspruch nimmt.
27Dies ist bei der Klägerin im Streitzeitraum nicht der Fall. Sie übt in den streitigen Monaten November 2021 bis Juni 2022 keine Erwerbstätigkeit aus, befindet sich nicht in Elternzeit nach § 15 BEEG und erhält auch keine Leistungen nach dem SGB III. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
282. Durchgreifende verfassungsrechtliche Zweifel an der Regelung in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b. EStG, die eine Überzeugung des Senats von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift begründen könnten (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes [GG]), bestehen, auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 28.06.2022 (Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14) zu § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG (in der Fassung vom 13.12.2006; kurz EStG 2006) sowie den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen Finanzgerichts (Az. 2 BvL 11/14 und 2 BvL 12/14), nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz.
29a. Der allgemeine Gleichheitssatz umfasst neben dem Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit das an den Gesetzgeber gerichtete Gebot der Rechtsetzungsgleichheit, bei dessen Umsetzung er jedenfalls bei der Ordnung von Massenerscheinungen durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht daran gehindert ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden. Für die Gesetzgebung im Steuerrecht folgen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz das Gebot der Belastungsgleichheit und (i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG) das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums für sämtliche Familienmitglieder. Dabei unterliegt die verfassungsrechtliche Prüfung auf der Ebene der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Bereich des im Wesentlichen verhaltensunabhängigen § 62 Abs. 2 EStG einer über die reine Willkürprüfung hinausgehenden Verhältnismäßigkeitskontrolle (vgl. i.E. BVerfG, Beschluss vom 28.06.2022 2 BvL 9/14).
30b. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass diese Grundsätze durch die vorliegend entscheidungserhebliche Rechtslage verletzt sind.
31aa. Das BVerfG kam in seiner Entscheidung vom 28.06.2022 zu dem Ergebnis, dass § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG 2006 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Soweit entsprechend der damaligen Gesetzeslage von den nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern, die einen humanitären Aufenthaltstitel nach den § 23 Abs. 1, § 23a, § 24 oder § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG besaßen und sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhielten, nur diejenigen Kindergeld erhielten, die zusätzlich entweder im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig waren oder es nur vor-übergehend nicht waren, weil sie laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen haben, lag eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.
32Zwar verfolge, so das BVerfG, der Gesetzgeber mit § 62 Abs. 2 EStG 2006 einen legitimen Zweck, indem er darauf abziele, Kindergeld nur solchen Personen zukommen zu lassen, die sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten werden. Bei den von § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG 2006 erfassten humanitären Aufenthaltstiteln des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG 2006 sei das gewählte Differenzierungskriterium der Integration in den Arbeitsmarkt jedoch ungeeignet, eine zuverlässige Prognose eines dauerhaften Aufenthalts zu begründen. Denn gerade bei humanitären Aufenthaltstiteln erscheine eine Korrelation zwischen einer Erwerbstätigkeit und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer weniger plausibel als etwa in Fällen einer gezielten Zuwanderung zum Zwecke der Ausbildung und nachfolgenden Erwerbstätigkeit, da die Aufenthaltsdauer bei den meisten humanitären Aufenthaltstiteln stärker von der Situation in den Herkunftsstaaten der Betroffenen als von deren eigener Lebensplanung abhänge (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.06.2022 2 BvL 9/14, Rn. 100).
33Das BVerfG kam weiter zu dem Ergebnis, dass sich die durch die Regelung bewirkte Benachteiligung auch nicht durch eine Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung rechtfertigen ließ. Aus diesem Grund hat es die Regelung in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG 2006 für nichtig erklärt.
34bb. Bei der der vorliegenden Entscheidung zugrundeliegenden Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG bestehen entsprechende durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art. 3 GG nicht, auch wenn der Senat durchaus gewisse Bedenken im Hinblick auf die innere Stringenz des § 62 Abs. 2 EStG hat.
35Die nach der neuen Rechtslage von § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG erfasste Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG 2020 sah vor, dass einem Ausländer nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums im Bundesgebiet im Rahmen eines Aufenthalts nach § 16b oder § 16c AufenthG 2020 zur Suche nach einem Arbeitsplatz, zu dessen Ausübung seine Qualifikation befähigt, eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu 18 Monate erteilt wird. Diese vor dem Jahr 2020 in § 16 Abs. 5 Satz 1 AufenthG geregelte Aufenthaltserlaubnis fiel nach alter Rechtslage unter § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 2006. Bei deren Vorliegen ging der Gesetzgeber trotz der Erwerbsberechtigung grundsätzlich von einem "erkennbar" begrenzten Aufenthalt in Deutschland aus (vgl. hierzu BT-Drucks 16/1368, S. 8) und machte die Gewährung von Kindergeld – anders als bei den in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG 2006 aufgezählten humanitären Aufenthaltserlaubnissen – gerade nicht davon abhängig, ob der Ausländer zusätzlich bereits in den Arbeitsmarkt integriert war. Bei den von vornherein nur für einen begrenzten Zeitraum erteilten Aufenthaltserlaubnissen – wie es bei der Erlaubnis nach § 20 Abs. 3 AufenthG 2020 der Fall war – sprechen vielmehr tragfähige Gründe dafür, dass deren Inhaber sich aller Voraussicht nach nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten werden und der Gesetzgeber aus diesem Grund den Anspruch auf Kindergeld ohne Überschreitung seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich verwehren kann.
36Dass nach der Neuregelung in den Fällen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG ausnahmsweise eine Anspruchsberechtigung angenommen wird, soweit der Anspruchssteller bereits in den Arbeitsmarkt integriert ist, wird von dem Gesetzgeber hingegen gerade nicht mit einer voraussichtlich längeren Aufenthaltsdauer, sondern damit begründet, die Fachkräftegewinnung zu erleichtern und einen Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu setzen (vgl. hierzu BT-Drucks. 19/13436 S. 123 f.). Die tragenden Erwägungen des BVerfG, dass die Integration in den Arbeitsmarkt bei § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG 2006 kein hinreichendes Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Bleibeperspektive ist, können folglich bereits deshalb nicht auf die Regelung in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG übertragen werden, weil es dem Gesetzgeber hierauf bei der Neuregelung nicht – jedenfalls nicht ausschließlich – ankam.
37Daran, dass die insoweit in der Norm angelegte Ungleichbehandlung durch die Zielsetzung der Fachkräftegewinnung und somit aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen gerechtfertigt sein kann (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 28.06.2022 2 BvL 9/14, Rn. 112), hat der Senat zwar gerade im Hinblick auf den vorliegenden Fall der Klägerin auch gewisse Bedenken. Denn der Aufenthaltstitel nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 wurde der Klägerin gerade zur Suche eines Arbeitsplatzes, zu dessen Ausübung ihre Qualifikation befähigt, erteilt. Durchgreifende verfassungsrechtliche Zweifel ergeben sich daraus aber nach Einschätzung des Senats aufgrund der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers nicht.
38cc. Solche durchgreifenden Zweifel ergeben sich für den Senat auch nicht aus den Vorlagebeschlüssen des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19.08.2013 (Az. 7 K 112/13), die das BVerfG am 15.06.2023 als unzulässig verworfen hat (Az. 2 BvL 11/14 und 2 BvL 12/14). Die Vorlagebeschlüsse befassen sich ebenfalls mit der vorherigen Regelung des § 62 Abs. 2 EStG 2006 und konnten damit nicht die gesetzgeberische Entscheidung für die Neuregelung berücksichtigen. Abgesehen davon weist auch das BVerfG in seiner Entscheidung vom 15.06.2023 im Hinblick auf § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 2006 darauf hin, dass die von dieser Regelung umfassten Aufenthaltserlaubnisse (darunter wäre nach alter Rechtslage auch die Erlaubnis der Klägerin nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 gefallen) erkennbar nur für einen begrenzten Zeitraum erteilt worden seien und dies in die Beurteilung einer etwaigen Bleibeperspektive einzubeziehen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.06.2023, 2 BvL 11/14, Rn. 42).
39Die in der Beschlussvorlage aufgestellte These, dass die Fortgeltung des bisherigen Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 AufenthG, bei der es keine Möglichkeit für den Ausländer gibt, im Einzelfall die Vermutung des voraussichtlich nicht dauerhaften Aufenthalts unter Einbeziehung der tatsächlichen Verhältnisse zu widerlegen, zu einer Ungleichbehandlung in solchen Fällen führen kann, in denen sich der Ausländer bereits vollständig in das deutsche Erwerbs- und Sozialversicherungssystem integriert habe, begründet für das vorliegende Verfahren ebenfalls keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Zwar ist davon auszugehen, dass sich die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG auf die vorherige Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020 bezog. Die Klägerin macht jedoch gerade nicht geltend, dass sich die Verhältnisse im Zeitraum der Geltung der Fiktionsbescheinigung geändert hätten. Hinzu kommt, dass bei den von § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG erfassten Aufenthaltstiteln eine entsprechende Integration in den Arbeitsmarkt ohnehin einen Anspruch auf Kindergeld begründen würden.
403. Auch ein Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-tunesischen Kindergeld-Abkommen besteht nicht. Nach Artikel 7 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens hat ein Arbeitnehmer, der nach Artikel 5 Abs. 1 während seiner Beschäftigung den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats unterliegt, auch Anspruch auf Kindergeld für Kinder, die sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats aufhalten, sofern er für diese unterhaltspflichtig ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift stehen einer Beschäftigung Zeiten gleich, in denen der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhält und sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des ersten Vertragsstaats aufhält.
41Die Klägerin war – wie bereits dargelegt – im Streitzeitraum nicht erwerbstätig und hat auch nicht Leistungen der Krankenversicherung wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder solche der Arbeitslosenversicherung erhalten.
42II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
43III. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.