Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Bescheid für 2018 über Körperschaftsteuer vom 4.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 wird dahingehend geändert, dass die Körperschaftsteuer ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von ./. 269.364 € neu festgesetzt wird.
Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlust-vortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 vom 4.6.2020 wird dahingehend geändert, dass der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12.2018 mit 843.454 € festgestellt wird.
Der Bescheid für 2018 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 4.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 wird dahingehend geändert, dass der Gewerbesteuermessbetrag ausgehend von einem Gewerbeertrag von ./. 269.289 € neu festgesetzt wird.
Der Bescheid auf den 31.12.2018 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes vom 16.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 wird dahingehend geändert, dass der vortragsfähige Gewerbeverlust mit 843.379 € festgestellt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist zwischen den Beteiligten das Vorliegen eines schädlichen Beteiligungserwerbs i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 in der (rückwirkend anzuwendenden) Fassung vom 11.12.2018 (KStG 2002 n.F.).
3Die Klägerin wurde am 21.12.2009 mit Sitz in B gegründet und firmierte zunächst als CDE GmbH (CDE GmbH). Das Stammkapital betrug 25.000 €. Gesellschafter waren die CD & F mbH (C GmbH) mit 50,2 % sowie Frau G E mit einem Geschäftsanteil von 49,8 %.
4Mit Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 18.6.2015 erwarb die C GmbH die Anteile von Frau E, so dass sie nunmehr zu 100 % an der Klägerin beteiligt war.
5Bereits am 23.6.2015 teilte die C GmbH ihren ursprünglichen Geschäftsanteil in drei Anteile mit Nennwerten zu 2.550 €, 5.000 € (entspricht 20 %) und 5.000 € (entspricht 20 %) auf. Die beiden Geschäftsanteile zu 20 % veräußerte die C GmbH an die Herren H und J. Die C GmbH selbst blieb zu 60 % an der Klägerin beteiligt.
6Am selben Tag fassten die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag neu und verlagerten den Sitz der Klägerin, die in diesem Zusammenhang ihre heutige Firma erhielt, nach K. Die Klägerin ist seit dem 27.7.2015 im Handelsregister des Amtsgerichts L (HRB 111111) eingetragen.
7Mit Schenkungs- und Abtretungsvertrag vom 21.11.2017 teilte Herr J seinen Geschäftsanteil in drei einzelne Geschäftsanteile mit den Nennwerten 1.275 €, 625 € und 3.100 €. Mit derselben Urkunde übertrug er die drei Geschäftsanteile schenkungsweise an die M mbH. Die Anteilsverhältnisse stellten sich dadurch wie folgt dar:
8C GmbH 60 % (= 15.000 €)
9H 20 % (= 5.000 €)
10M mbH 20 % (= 5.000 €)
11Die M veräußerte ihre drei Anteile mit Geschäftsanteilsübertragungsvertrag vom 19.12.2017 an drei Erwerber:
12--- C GmbH 12,4 % (= 3.100 €)
13--- N mbH 5,1 % (= 1.275 €)
14--- O-GbR 2,5 % (= 625 €)
15Danach stellten sich die Beteiligungsverhältnisse an der Klägerin wie folgt dar:
16--- C GmbH 72,4 %
17--- H 20,0 %
18--- N mbH 5,1 %
19--- O-GbR 2,5 %
20Zum 31.12.2017 stellte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) einen verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und den vortragsfähigen Gewerbeverlust in Höhe von jeweils 574.090 € fest.
21Mit Urkunde vom 11.7.2018 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin eine Stammkapitalerhöhung von bislang 25.000 € um 9.470 € auf nunmehr 34.470 €. Diese wurde disquotal allein durch die C GmbH übernommen. Verbunden war die Stammkapitalerhöhung mit einem Aufgeld in Höhe von 240.538 €, die an die Klägerin zum Zwecke der Einstellung in die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 des Handelsgesetzbuches zu leisten war. Danach stellten sich die Beteiligungsverhältnisse an der Klägerin wie folgt dar:
22--- C GmbH rd. 79,98 %
23--- H rd. 14,50 %
24--- N mbH rd. 3,70 %
25--- O-GbR rd. 1,81 %
26In der am 20.2.2020 bei dem FA eingegangenen Körperschaftsteuererklärung für 2018 erklärte die Klägerin einen verbleibenden Verlustvortrag 574.090 € sowie einen zu berücksichtigenden Verlust für 2018 in Höhe von 269.819 €. Der erklärte verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 betrug 843.909 €. In der zeitgleich abgegebenen Gewerbesteuererklärung bezifferte die Klägerin den Verlust aus Gewerbebetrieb ebenfalls mit 269.819 € und machte daneben Angaben zu Hinzurechnungen gem. § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes 2002 (GewStG 2002).
27Das FA meinte indes, dass aufgrund des § 8c KStG 2002 n.F. nicht der gesamte Verlust berücksichtigungsfähig sei. Die Kapitalerhöhung am 11.7.2018 habe zu einem Überschreiten der 50 %-Grenze geführt. Dementsprechend gehe der Verlust der Klägerin wie folgt unter:
28Verlust bis zum 31.12.2017 594.090 €
29Zzgl. bis zum 11.7.2018 erzielter Verlust 141.693 €
30Untergang des Verlustes insgesamt 715.783 €
31Am 4.6.2020 ergingen Bescheide für 2018 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag, über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 sowie auf den 31.12.2018 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002. In dem Körperschaftsteuerbescheid berücksichtigte das FA den erklärten steuerlichen Fehlbetrag in Höhe von 273.575 €. Nach Abzug der nicht abziehbaren Aufwendungen i.S. des § 10 KStG 2002 in Höhe von (unstreitig) 4.211 € verblieb eine Summe der Einkünfte in Höhe von minus 269.364 €. Diesen Betrag minderte das FA um den seiner Ansicht nach gemäß § 8c KStG 2002 n.F. nicht berücksichtigungsfähigen Verlust des laufenden Veranlagungszeitraums in Höhe von 141.693 € (192/365 von 269.364 €). Aufgrund dessen ging das FA von einem zu versteuernden Einkommen von minus 127.671 € aus. Den verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2018 stellte das FA dementsprechend mit 127.671 € fest.
32In dem Gewerbesteuermessbescheid 2018 ging das FA unter Berücksichtigung einer unstreitigen Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 1 GewStG 2002 i.H.v. 75 € und der streitigen Kürzung gemäß § 8c KStG 2002 n.F. i.V.m. § 10a Satz 10 GewStG 2002 von einem Gewerbeertrag von ./. 127.596 € aus.
33Unter dem 16.6.2020 folgte der Bescheid auf den 31.12.2018 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts. In diesem stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag ebenfalls mit 127.596 € fest. Den zum 31.12.2017 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust lies es unter Hinweis auf § 8c KStG 2002 n.F. i.V.m. § 10a Satz 10 GewStG 2002 unberücksichtigt.
34Die Klägerin legte gegen die Bescheide Einspruch ein und wandte sich bereits im Einspruchsschreiben ausschließlich gegen die Behandlung der Kapitalerhöhung als schädlichen Beteiligungserwerb i.S. des § 8c KStG 2002 n.F. Hierbei benannte sie aber --was zwischen den Beteiligten inzwischen unstreitig ist-- versehentlich nicht die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018, sondern die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002.
35Mit Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 wies das FA den Einspruch (auch unter Bezeichnung des Feststellungsbescheides gem. §§ 27,29 KStG, aber ohne Benennung der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2008 auf der ersten Seite) als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FA aus, der am 18.6.2015 stattgefundene Erwerb in Höhe von 49,8 % sei nicht als Durchgangserwerb zu qualifizieren; die Haltedauer des Erwerbers spiele keine Rolle. Voraussetzung sei allein die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums. Die Erwerbe vom 18.6.2015 und 11.7.2018 ergäben zusammengerechnet mehr als 50 %. Der Anteilserwerb am 16.1.2018 bleibe unberücksichtigt, da es sich um nämliche Anteile i.S. der Rz. 22 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28.11.2017 (BStBl I 2017, 1645) handele. Veräußerungen fänden nach Verwaltungsauffassung keine Berücksichtigung. Soweit das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 13.9.2012 – 6 K 51/10 i.S. eines change-of-control-Konzepts auch Veräußerungen berücksichtigt habe, sei dem nicht zu folgen.
36Bei den durch die Kapitalerhöhung gewonnenen Anteilen handele es sich auch nicht um nämliche Anteile. Sie seien nicht vorhanden gewesen, als die C GmbH alleiniger Anteilseigner der Klägerin gewesen sei. Aus Rz. 23 des BMF-Schreibens vom 28.11.2017 könne nicht hergeleitet werden, dass bei Wiedererlangung einer Mehrheitsbeteiligung bezüglich der hinzuerworbenen Anteile stets eine Nämlichkeitsfiktion greife und der Hinzuerwerb (hier im Zuge der Kapitalerhöhung am 11.7.2018) nicht mitzurechnen sei. Voraussetzung sei vielmehr, dass es sich bei dem zunächst veräußerten und anschließend wieder zurückerworbenen Anteil tatsächlich um denselben Anteil handele. Insofern stelle Rz. 23 nur klar, dass die Nämlichkeitsbetrachtung auch bei zwischenzeitlicher Veräußerung der nämlichen Anteile gelte. Nämliche Anteile lägen bei den durch die Kapitalerhöhung gewonnenen Anteilen jedoch nicht vor.
37Es bestehe auch kein Raum für eine teleologische Reduktion.
38Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Auch hier hat sie --was ebenfalls inzwischen unstreitig ist-- versehentlich (und entsprechend den Bescheidbezeichnungen auf der ersten Seite der Einspruchsentscheidung) zunächst anstelle der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags die gesonderte Feststellung nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 als angefochtenen Bescheid bezeichnet.
39Sie trägt vor, es sei nicht zu einem change of control bei ihr gekommen. Durchweg sei die C GmbH zu mehr als 50 % an ihr beteiligt gewesen. Nach der Gesetzesbegründung sei maßgebend gewesen, ob ein neuer Anteilseigner entscheidenden Einfluss auf die Kapitalgesellschaft erlange und in der Lage sei, diese zu steuern (Hinweis auf BT-Drucks. 16/4841 vom 27.3.2007, 34 f.). Das sei hier aber nicht der Fall; denn stets habe die C GmbH die Kontrolle in der Klägerin ausgeübt. Mehr als eine Kontrolle von „> 50,00“ sei denklogisch nicht möglich. Erlange der neue Anteilseigner zu keinem Zeitpunkt mehr als 50 % der Anteile, trete ein Verlust der wirtschaftlichen Identität nicht ein.
40§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. sei außerdem teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass er nicht zur Anwendung gelange, wenn es sich nachweislich nur um einen kurzfristigen Durchgangserwerb handele. Denn bei einem solchen Fall könne es nicht zu einem notwendigen change of control kommen. Ein Durchgangserwerber stehe nicht im Verdacht, die Verluste der Körperschaft für sein eigenes wirtschaftliches Engagement ausnutzen zu wollen. So sei es auch im vorliegenden Fall im Hinblick auf den Erwerb vom 18.6.2015 gewesen. Die Weiterübertragungen seitens der Herren J und H seien von vornherein beabsichtigt gewesen. Zwischen dem Tag des Erwerbs und dem Tag der Weiterveräußerung (23.6.2015) hätten nur zwei volle Werktage gelegen, an denen die C GmbH keinen Einfluss auf die Klägerin genommen habe. Es seien weder satzungsändernde Beschlüsse gefasst worden noch sei auf den Charakter des Geschäftsbetriebs eingewirkt worden.
41Zwischen den Beteiligten bestehe Einigkeit darüber, dass das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen übergehen müsse. Handele es sich aber --wie hier-- um einen Durchgangserwerb, gehe das wirtschaftliche Eigentum nicht über. Das sei bei der Übertragung am 18.6.2015 auch nicht gewollt gewesen.
42Zum gleichen Ergebnis führe es, wenn man mit dem Niedersächsischen Finanzgericht (Urteil vom 13.9.2012 – 6 K 51/10, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 2311, rkr.) § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 dahingehend interpretiere, dass er nur dann anwendbar sei, wenn im fünfjährigen Beobachtungszeitraum insgesamt mehr Anteile erworben worden seien, als es die schädliche Beteiligungsgrenze erlaube. Maßgebend sei seinerzeit auch für das Niedersächsische Finanzgericht die Erwägung gewesen, dass es darauf ankomme, dass ein neuer Anteilseigner maßgebend auf die Geschicke der Gesellschaft Einfluss nehmen könne.
43Hilfsweise sei davon auszugehen, dass auch § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 14 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig sei. Komme es hierauf an, werde angeregt, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vorlage des Finanzgerichts Hamburg (2 BvL 19/17) auszusetzen.
44Die Klägerin beantragt,
451. den Bescheid für 2018 über Körperschaftsteuer vom 4.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 dahingehend zu ändern, dass die Körperschaftsteuer ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von ./. 269.364 € neu festgesetzt wird,
2. den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 vom 4.6.2020 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12.2018 mit 843.454 € festgestellt wird,
3. den Bescheid für 2018 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 4.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag ausgehend von einem Gewerbeertrag von ./. 269.289 € neu festgesetzt wird,
4. den Bescheid auf den 31.12.2018 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes vom 16.6.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.7.2021 dahingehend zu ändern, dass der vortragsfähige Gewerbeverlust mit 843.379 € festgestellt wird,
5. hilfsweise, wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BFH zuzulassen.
Das FA beantragt,
52die Klage abzuweisen,
53hilfsweise, die Revision zuzulassen.
54Das FA meint, das Gesetz lasse für den Verlustuntergang einen mehr als 50 %-igen Beteiligungserwerb ausreichen. Die Frage, ob der Erwerber die Körperschaft beherrsche oder auch nur beherrschen könne, seien nach dem Gesetz nicht entscheidend. Maßgebend sei allein der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen. Allein mit dem Erwerb der Stimmrechte könne der Einfluss ausgeübt werden, was ausreichend sei.
55Im vorliegenden Fall seien die Anteile nicht bloß treuhänderisch übertragen worden. Mit dem Übergang des zivilrechtlichen sei dementsprechend auch das wirtschaftliche Eigentum übergegangen.
56Auf die Frage, ob ein Durchgangserwerb vorliege, komme es für die Anwendbarkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. nicht an. Es sei unerheblich, wie lange die erworbenen Anteile gehalten würden.
57Den Grundsätzen des Niedersächsischen Finanzgerichts sei ausgehend von Rz. 16 des BMF-Schreibens vom 28.11.2017 nicht zu folgen. Die Anteilsveräußerungen in Höhe von 40 % vom 23.6.2015 seien dem Anteilserwerb von 49,80 % vom 18.6.2015 daher nicht gegenzurechnen.
58Der Sach- und Streitstand ist am 13.3.2023 mit den Beteiligten erörtert worden. In dem Erörterungstermin haben beide Beteiligten Übereinstimmung dahingehend erklärt, dass mit der gesonderten Feststellung nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 in Wahrheit die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2018 gemeint gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Erörterungstermins wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.
59Am 23.8.2023 hat der Senat mit den Beteiligten mündlich verhandelt. Auch hinsichtlich der weiteren Details der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
60Entscheidungsgründe
61A. Der Senat legt die Kläger dahingehend aus, dass die Klägerin mit der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2018 gemäß § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2018 gemeint hat. Es handelt sich insoweit um eine falsa demonstratio, wovon inzwischen auch beide Beteiligten ausgehen. Die Klägerin hat durch ihre Einspruchs- und Klagebegründung deutlich gemacht, dass es ihr um die Möglichkeit geht, den vollständigen vortragsfähigen Verlust weiterhin nutzen zu können, was nur durch Anfechtung auch der Verlustfeststellung auf den 31.12.2018 denkbar ist. Ihr Einspruchs- und Klagebegehren lässt demgegenüber einen Bezug zum steuerlichen Einlagenkonto nicht erkennen.
62B. Die Klage ist zulässig. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Verlusts auf den 31.12.2018. Da insoweit eine falsa demonstratio vorliegt, ist von einer Einspruchseinlegung gegen den vorgenannten Bescheid auszugehen. Entweder hat die Einspruchsentsscheidung sich sinngemäß auch auf diesen Bescheid bezogen (mangels jedweder Ausführungen in den Gründen zum steuerlichen Einlagekonto), mit der Folge, dass ein erfolgloses Vorverfahrens i.S. des § 44 FGO vorläge, oder die Klage wäre nach über drei Jahren seit der Einspruchseinlegung jedenfalls als Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO zulässig.
63C. Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Das FA ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass aufgrund eines unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerbs i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. die auf den 31.12.2017 festgestellten vortragsfähigen Verluste zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer in Höhe von jeweils 574.090 € vollständig und der anteilige körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Verlust des Jahres 2018 bis zum 11.7.2018 in Höhe von jeweils 141.693 € untergegangen sind.
64I. Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar (§ 8c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 6 Satz 1 KStG 2002 n.F.).
65II. Dem Wortlaut nach ist solch ein schädlicher Beteiligungserwerb gegeben. Jedenfalls durch den Erwerbsvorgang vom 18.6.2015 und die Kapitalerhöhung vom 11.7.2018 sind Anteile von mehr als 50 % übertragen worden. Am 18.6.2015 erwarb die C GmbH sämtliche Anteile in Höhe von 49,8 % von der Gesellschafterin Frau E. Spätestens durch die Kapitalerhöhung am 11.7.2018 ist die 50 %-Grenze überschritten worden, indem das Kapital um 9.470 € erhöht worden und die Kapitalerhöhung disquotal durch die C GmbH getragen worden ist. Gemäß § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. steht eine Kapitalerhöhung der Übertragung des gezeichneten Kapitals gleich, soweit sie --wie hier-- zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Körperschaft führt. Hierdurch sind innerhalb von fünf Jahren 57,39 % der Anteile übertragen worden.
66III. Gleichwohl ist es hierdurch nicht zu einer Verlustvernichtung gekommen, weil § 8c Abs. 1 KStG 2002 n.F insoweit teleologisch und verfassungskonform zu reduzieren ist, als es durch die Anteilsübertragungen und Kapitalerhöhungen wie im vorliegenden Fall nicht zu einem change of control gekommen ist. Die C GmbH war stets zu mehr als 50 % an der Klägerin beteiligt; daran haben weder die Übertragungsvorgänge noch die Kapitalerhöhung etwas geändert.
671. § 8c KStG 2002 liegt seit seiner Einführung im Jahr 2007 typisierend der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft durch das neue Engagement eines qualifiziert beteiligten Anteilseigners verändert (BTDrucks. 16/4841, 76; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 Rz. 129). Der Norm liegt damit der Grundgedanke eines change of control zugrunde, der durch die Anteilsübertragungen eintreten muss (in diesem Sinne Brandis in Brandis/Heuermann, § 8c KStG Rz. 22; Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 2. Aufl. 2023, § 8c Rz. 12 f.). Dieser Grundgedanke ist bei der Auslegung des § 8c KStG 2002 im Rahmen der Wortlautgrenze zu berücksichtigen (so hinsichtlich anderweitiger Auslegungsfragen des § 8c KStG 2002 BFH-Urteile vom 30.11.2011 I R 14/11, BFHE 236, 82, BStBl II 2012, 360, und vom 22.11.2016 I R 30/15, BFHE 257, 219, BStBl II 2017, 921).
68Es ist aber auch keineswegs so, dass sich der change-of-control-Gedanke im Tatbestand des § 8c Abs. 1 KStG 2002 gar nicht niedergeschlagen hat, wie es das FA meint. § 8c Abs. 1 KStG 2002 n.F. und ebenso bereits § 8c Satz 1, 2 KStG 2002 in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.8.2007 (BGBl I 2007, 1912, nachfolgend mit identischem Wortlaut § 8c Abs. 1 Sätze 1, 2 KStG 2002 --KStG 2002 a.F.--) stellen auf die Übertragung einer bestimmten Beteiligungsquote „an einen Erwerber oder diesem nahestehende Personen“ ab. Nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 n.F. (zuvor Satz 3 a.F.) kann die Anteilsübertragung auf eine Gruppe von Erwerbern allerdings zu einem schädlichen Beteiligungserwerb führen, wenn diese gleichgerichtete Interessen verfolgen. Damit lässt der Gesetzgeber erkennen, dass allein eine mehrheitliche Anteilsübertragung nicht ausreichend ist, wenn die Anteile an verschiedene Personen veräußert werden. Nur wenn die Erwerber gleichgerichtete Interessen verfolgen und daher wiederum von einem change of control ausgegangen werden muss, sollen die Anteilsübertragungen schädlich sein (hierzu BFH-Urteil in BFHE 257, 219, BStBl II 2017, 921).
692. Ein solcher Fall eines change of control und damit eine veränderte wirtschaftliche Identität der Klägerin ist im vorliegenden Fall nicht eingetreten, da die C GmbH stets die Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin geblieben ist. Damit war sie zu jedem Zeitpunkt in der Lage beherrschenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft auszuüben.
703. Aus Sicht des erkennenden Senats ist weiter zu berücksichtigen, dass das BVerfG (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 106) § 8c Satz 1 KStG 2002 in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, nach dem bereits die Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft zum quotalen Verlustübergang führen sollte, für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und weder unter dem Gedanken einer typisierenden Missbrauchsabwehr noch dem Gedanken des Verlusts der wirtschaftlichen Identität für rechtfertigungsfähig angesehen hat. Weder könne eine solche Übertragung einen Missbrauchsfall indizieren noch habe der Gesetzgeber bei der Typisierung des Verlusts die wirtschaftlichen Grenzen seine Typisierungsbefugnis eingehalten. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum sich eine Kapitalgesellschaft bei einer bloßen Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Anteile, also einer bloßen Sperrminorität, nicht nur zu einer --wirtschaftlich betrachtet-- „anderen“ Kapitalgesellschaft entwickeln könne als vor der Anteilsübertragung, sondern im Regelfall von einer solchen Identitätsänderung auszugehen sei. Dieser Gedanke ist auch bei der verfassungskonformen Auslegung von Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu berücksichtigen. Ausgehend von den rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen ist der vorliegende Fall mit den Fällen des § 8c Satz 1 KStG 2002 in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vergleichbar, da der ursprüngliche Mehrheitsgesellschafter seine beherrschende Stellung niemals verloren hat und die Erwerber --wie in den dortigen Fällen-- niemals die Kontrolle über die Klägerin erlangen konnten. War daher in den dortigen Fällen eine (anteilige) Verlustvernichtung verfassungsrechtlich schon nicht begründbar, muss dies für eine vollständige Verlustvernichtung --wie hier-- erst recht gelten.
71IV. Ob möglicherweise § 8c KStG 2002 n.F. verfassungswidrig sein könnte, kann aufgrund der vorstehenden Ausführungen dahinstehen. Eine Aussetzung nach § 74 FGO ist angesichts dessen nicht geboten.
72D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
73E. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.