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Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Beklagten vom 27.07.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.08.2020 wird der Beklagte verpflichtet, für Herrn M. eine Einkommensteuerveranlagung für den Veranlagungszeitraum 2019 durchzuführen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Beklagte die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung des Insolvenzschuldners für das Jahr der Insolvenzeröffnung bei einer sich voraussichtlich ergebenden Lohnsteuererstattung zu Recht abgelehnt hat, da die Einkommensteuererklärung nur durch den einreichenden Insolvenzverwalter unterschrieben worden war.
3Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde mit Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt vom xx.10.2019 wegen Zahlungsunfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt O zum Insolvenzverwalter bestellt (Az. xx IK xx/19).
4Der Insolvenzverwalter reichte am 17.07.2020 beim Beklagten für den einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagenden Insolvenzschuldner eine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2019 ein. In Anlage N zur Einkommensteuererklärung 2019 wurde ein Bruttoarbeitslohn i.H.v. xxxx €, vorausgezahlte Lohnsteuer i. H. v. xxx € sowie Solidaritätszuschlag i.H.v. xx € erklärt. Das Arbeitseinkommen wurde vom Insolvenzschuldner in den Monaten Juli bis Dezember 2019 erzielt. Des Weiteren wurden mit Anlage Vorsorgeaufwendungen im Wesentlichen die Arbeitnehmeranteile zu den gesetzlichen Sozialabgaben erklärt. Im Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung teilte der Insolvenzverwalter mit, dass der Insolvenzschuldner ihm gegenüber keine Angaben dazu gemacht habe, wovon er seinen Lebensunterhalt vor Insolvenzeröffnung in der Zeit vom 05.02.2019 bis zum 07.07.2019 bestritten habe. Er regte an, etwaige ihm unbekannten Einkünfte von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Einkommensteuererklärung war auf dem Mantelbogen allein vom Insolvenzverwalter unterschrieben worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuererklärung 2019 verwiesen (Bl. 10 ff., 48 ff. der Gerichtsakte).
5Mit als „Ablehnungsbescheid zur Einkommensteuer 2019“ überschriebenem Bescheid vom 27.07.2020 (Bl. 20 f. der Gerichtsakte) teilte der Beklagte mit, dass die ausschließlich vom Insolvenzverwalter unterzeichnete Einkommensteuererklärung keine wirksame Steuererklärung sei und daher eine Nichtabgabe gleichstehe. Der Erklärungseingang sei daher gelöscht worden. Zur weiteren Begründung verwies der Beklagte darauf, dass stets auch die eigenhändige Unterschrift des Insolvenzschuldners erforderlich sei. Im vorliegenden Fall sei denkbar, dass im insolvenzfreien Bereich steuerlich relevante Sachverhalte verwirklicht worden seien, die sich bei der Ermittlung der einheitlichen Einkommensteuerschuld auswirken könnten. Insoweit sei eine Erklärung auch des Insolvenzschuldners notwendig. Der Beklagte nahm auf das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 28.08.2014 Az. 8 K 3677/13 E Bezug. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27.07.2020 verwiesen (Bl. 20 und 21 der Gerichtsakte).
6Mit dem dagegen gerichteten Einspruch (Bl. 22 f. der Gerichtsakte) machte der Insolvenzverwalter unter Verweis auf § 80 InsO geltend, dass die Einkommensteuererklärung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich durch ihn als allein Verwaltungs- und Verfügungsberechtigtem zu unterzeichnen sei.
7Mit Einspruchsentscheidung vom 28.08.2020 (Bl. 24 ff. der Gerichtsakte) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er begründete dies damit, dass es einer einheitlichen Erklärung über das insolvenzbehaftete und insolvenzfreie Vermögen bedürfe, um eine einheitliche Veranlagung durchführen zu können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28.08.2020 (Bl. 24 bis 28 der Gerichtsakte) verwiesen.
8Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgt der vertretene Kläger sein auf Durchführung der Einkommensteuerveranlagung gerichtetes Begehren weiter. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen darauf, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über das insolvenzbehaftete Vermögen auf ihn übergegangen sei. Steuererklärungen seien daher ausschließlich von ihm als Insolvenzverwalter zu unterzeichnen und einzureichen. Dies ergebe sich auch aus dem vom Beklagten in Bezug genommenen Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 28.08.2014 (Az. 8 K 3677/13 E). Das Finanzgericht Düsseldorf habe in seinem Urteil die Rechtsauffassung vertreten, dass der Insolvenzverwalter allein antragsberechtigt und nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sei, eine Steuererklärung für den Schuldner abzugeben. Im Übrigen ergebe sich aus dem Insolvenzbericht, dass der Insolvenzschuldner mitgewirkt habe. Der Insolvenzschuldner habe keine weiteren Einnahmen erzielt und dem Insolvenzverwalter seien keine den Angaben des Insolvenzschuldners entgegen stehenden Anhaltspunkte bekannt gewesen. Grundsätzlich müsse der Insolvenzverwalter allein dazu berechtigt sein, eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG anzustoßen. Nur für den Fall, dass dem Insolvenzverwalter oder der Finanzverwaltung ein „insolvenzfreier Bereich“ positiv bekannt sei, könne etwas anderes gelten.
9Der klagende Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt O., verstarb am xx.06.2021. Mit Beschluss vom xx.07.2021 wurde durch das Insolvenzgericht festgestellt, dass das Amt des bisherigen Insolvenzverwalters durch dessen Tod beendet wurde. An seiner Stelle wurde zum neuen Insolvenzverwalter der jetzige Kläger, Herr Rechtsanwalt N., bestellt. Der Prozessbevollmächtigte teilte mit, dass dieser den Rechtsstreit nach § 239 Abs. 1 ZPO aufnehme (Bl. 68 f. der Gerichtsakte).
10Der Kläger beantragt,
111. den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27.07.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28.08.2020 aufzuheben,
2. hilfsweise im Falle des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
14Der Beklagte beantragt,
151. die Klage abzuweisen und
2. hilfsweise im Falle des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
18Zur Begründung führt er aus, dass der damalige Insolvenzverwalter bei Einreichung der Steuererklärung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass der Insolvenzschuldner nicht mitgewirkt habe. Dies verdeutliche die Erforderlichkeit der Unterschrift auch des Insolvenzschuldners für die Durchführung der Veranlagung. Da der Insolvenzverwalter keine Kenntnis darüber gehabt habe, wovon der Schuldner seinen Lebensunterhalt in der Zeit vom 05.02.2019 bis zum 07.07.2019 bestritten habe, sei unklar, ob in dem Veranlagungszeitraum neben den erklärten Einkünfte noch weitere Einkünfte anzusetzen seien. Erst mit der Unterschrift des Schuldners könne die Vollständigkeit der vom Insolvenzverwalter eingereichten Erklärung angenommen werden.
19Der Berichterstatter hat die Sache mit den Beteiligten am 04.02.2022 erörtert. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 105 f. der Gerichtsakte) wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe
21I. Das Klageverfahren war nicht zwischenzeitlich durch den Tod des erstbestellten Insolvenzverwalters unterbrochen (zu II.). Die Klage ist begründet, da der Kläger als Insolvenzverwalter allein antragsbefugt war (zu III.).
II. Das Klageverfahren war nicht durch den Tod des erstbestellten Insolvenzverwalters kraft Gesetzes zeitweise unterbrochen. Durch den Tod des erstbestellten Insolvenzverwalters wird ein Klageverfahren zwar analog § 241 ZPO i. V. m. § 155 FGO grundsätzlich unterbrochen und erst in dem Zeitpunkt fortgesetzt, in dem der neue Insolvenzverwalter seine Bestellung gegenüber dem Finanzgericht anzeigt. Dies gilt allerdings nach § 246 Abs. 1 ZPO nicht in Fällen, in denen der Insolvenzverwalter, der im Klageverfahren als Partei kraft Amtes handelt, - wie im Streitfall - durch einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigen vertreten wird. In diesen Fällen tritt eine Unterbrechung weder automatisch nach § 239 ZPO (Tod der Partei) noch analog § 241 ZPO (Verlust der Prozessfähigkeit) ein, sondern ein Klageverfahren wäre (nur) auf Antrag entweder des Bevollmächtigten oder im Anwendungsbereich des § 239 ZPO des Gegners auszusetzen gewesen. Da ein derartiger Antrag i. S. v. § 246 Abs. 1 ZPO nicht gestellt wurde, kam es zu keiner Unterbrechung des Verfahrens; auch war das Verfahren nicht zeitweise auszusetzen.
III. Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat die Durchführung einer Veranlagung des Insolvenzschuldners zur Einkommensteuer 2019 zu Unrecht unter Hinweis auf das Fehlen einer Unterschrift auch des Insolvenzschuldners abgelehnt. Im Streitfall war allein der Insolvenzverwalter antragsbefugt i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, da sich als Ergebnis der Veranlagung eine Erstattung ergeben wird.
1. Die Durchführung einer im Streitfall allein in Betracht kommenden (dazu unter 2.) Antragsveranlagung wurde durch den erstbestellten Insolvenzverwalter formgerecht i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG beantragt (dazu unter 3.). Das auf Veranlagung gerichtete Begehren ist zudem für den gesamten Veranlagungszeitraum – vor und nach Insolvenzeröffnung – begründet (dazu unter 4.). Die Beendigung der Bestellung des erstbestellten Insolvenzverwalters aufgrund Todes führt auch nicht zu einem Antragsverbrauch, sondern der neu bestellte Insolvenzverwalter übernimmt das Insolvenzverfahren insgesamt in dem Stand zum Zeitpunkt des Todes seines Amtsvorgängers (dazu unter 5.).
2. Im Streitfall kommt unstreitig allein eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in Betracht, da das Einkommen des Insolvenzschuldners im Streitjahr 2019 ausschließlich aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht und die Voraussetzungen der § 46 Abs. 2 Nr. 1 - 7 EStG für 2019 nicht vorliegen. Da dies zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig ist, kann auf weitere Ausführungen hierzu verzichtet werden.
3. Der Insolvenzverwalter hat durch Einreichung des von ihm unterschriebenen Mantelbogens mit Anlage N unter Angabe des in 2019 erzielten Bruttoarbeitslohnes einen formwirksamen Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gestellt.
Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG ist der Antrag auf Veranlagung durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Der Gesetzgeber hat den Antrag und die Abgabe der Einkommensteuererklärung verfahrensrechtlich zu einer Rechtshandlung zusammengefasst, so dass der Antrag ausschließlich durch Abgabe einer wirksamen Einkommensteuererklärung gestellt werden kann. Nach der für die Abgabe einer Einkommensteuererklärung maßgeblichen Grundnorm des § 25 Abs. 3 EStG hat der Steuerpflichtige die Einkommensteuererklärung eigenhändig zu unterschreiben (vgl. dazu u. a. BFH, Urteil vom 18. August 1998 – VII R 114/97 –, BFHE 187, 1, BStBl II 1999, 84, Rn. 19). Durch das Unterschriftserfordernis übernimmt der Steuerpflichtigen die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Steuererklärung (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 8. Juni 1971 VII R 75/68, BFHE 103, 18, BStBl II 1971, 726, und vom 10. Oktober 1986 VI R 208/83, BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77). § 150 Abs. 2 AO erlegt dem Erklärenden dabei die Verpflichtung auf, seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen zu machen und dies, wenn der amtlich vorgeschriebene Vordruck solches vorsieht, schriftlich zu versichern (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Entscheidungen vom 8. Juli 1983 VI R 80/81, BFHE 139, 158, BStBl II 1984, 13; in BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203, unter II.2.b; vom 26. März 1999 X B 196/98, BFH/NV 1999, 1309, unter 2.; vom 10. November 2004 II R 1/03, BFHE 208, 33, BStBl II 2005, 244, unter II.1.b für die Erbschaftsteuererklärung). Die Einkommensteuererklärung wird insoweit auch als Wissenserklärung bezeichnet. Eine wirksame Erklärung setzt nach der Rechtsprechung des BFH insbesondere eine vorbehaltlose Unterschrift voraus, welche die Versicherung nach § 150 Abs. 2 AO umfasst (vgl. BFH, Urteil vom 11. April 2018 X R 39/16, BFH/NV 2018, 1075).
34Der Antrag ist in der Praxis nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck zu stellen. Er muss allerdings für § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur so erschöpfend ausgefüllt sein, dass das Veranlagungsverfahren in Gang gesetzt werden kann. Nicht zwingend für einen formell wirksamen Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist, dass der Vordruck vollständig und richtig ausgefüllt wurde, so dass auf dessen Grundlage eine das Veranlagungsverfahren abschließende Festsetzung erfolgen kann. Insoweit ist die Frage der formellen Wirksamkeit des Antrags von der Frage der vollständigen Erfüllung von steuerlichen Mitwirkungspflichten des Erklärenden und den sich aus einer Pflichtverletzung ggf. ergebenden Rechtsfolgen (z. B. verlängerte Festsetzungsfrist, Schätzungsbefugnis) abzugrenzen.
35Zu den erforderlichen Mindestangaben für einen wirksamen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zählen die Personalangaben sowie die Angabe des Bruttoarbeitslohns (vgl. Tillmann in H/H/R, § 46 Rn. 62 m. w. N.; Schmieszek in: Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 46 Veranlagung bei Bezug von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, Rn. 92).
36In Abgrenzung dazu stellt die Abgabe nur eines unterschriebenen Mantelbogens ohne Anlage N allerdings keinen formwirksamen Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG dar (vgl. u. a. auch Tillmann, in H/H/R, § 46 Anm. 62 m. w. N.).
37Nach diesen Grundsätzen hat der Insolvenzverwalter eine Einkommensteuererklärung mit den erforderlichen Mindestangaben für einen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG abgegeben, da der Mantelbogen die erforderlichen personenbezogenen Angaben zum Steuerpflichtigen (Name, Anschrift, Geburtsdatum, Steuernummer) enthielt und die Anlage N die Angaben zum Bruttoarbeitslohn und darüber hinaus sogar auch – was nicht zwingend für die Formwirksamkeit erforderlich gewesen wäre - zur vorausbezahlten Lohnsteuer und den weiteren Annexabgaben.
38Der Beklagte durfte nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen die Durchführung einer Veranlagung nicht aufgrund der theoretischen Möglichkeit ablehnen, dass der Insolvenzschuldner im Jahr 2019 Arbeitseinkünfte erzielt hat, die dem Insolvenzverwalter unbekannt waren und mit der eingereichten Anlage N nicht erklärt wurden.
39Zunächst bestehen im Streitfall nach dem Ergebnis des Gerichtsverfahrens keine konkreten Anhaltspunkte für nicht erklärte (insolvenzfreie) Arbeitseinkünfte vor oder nach Insolvenzeröffnung. Zudem wäre eine Veranlagung aufgrund des Antrags des Klägers selbst dann durchzuführen gewesen, wenn der Beklagte begründete Zweifel insoweit gehabt hätte oder sich derartige Zweifel hätte aufdrängen müssen. Vielmehr wären Unklarheiten durch das Finanzamt im Rahmen der Veranlagung durch Rückfrage beim Insolvenzschuldner auszuräumen gewesen. Der Insolvenzschuldner verliert durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht seine Stellung als Steuerpflichtiger i. S. v. § 33 AO (vgl. dazu Drüen in Tipke/Kruse, § 33 AO Rz. 42; BFH v. 10.7.2019, X R 31/16, BFH/NV 2020, 152), so dass er weiterhin zur Mitwirkung im steuerlichen Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren verpflichtet bleibt. Die damit verbundene Ermittlungsarbeit des Finanzamtes im Veranlagungsverfahren ist für sich genommen kein Argument für die Ablehnung des Antrages des Insolvenzverwalters nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Ein formwirksamer Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG setzt gerade keine Vollständigkeit der Einkommensteuererklärung in dem Sinne voraus, dass es der Veranlagungsstelle ermöglicht werden muss, das Veranlagungsverfahren gleichsam „in einem Zug“ durch Festsetzung abzuschließen.
40Ein wirksamer Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG setzte im Streitfall auch nur die Unterschrift des Insolvenzverwalters voraus. Eine Mitunterzeichnung derselben Erklärung durch den Insolvenzschuldner war für das Ingangsetzen der Veranlagung nicht notwendig. Dies bereits deshalb, weil im Streitfall allein der Insolvenzverwalter erklärungsbefugt war (dazu unter a)). Zudem wäre, wenn man auch den Insolvenzschuldner als erklärungsbefugt hinsichtlich der insolvenzfreien Besteuerungsgrundlagen ansehen wollte, der Antrag als zulässige Teil-Einkommensteuererklärung für die Insolvenzmasse anzusehen (dazu unter b)).
41a. Nach der Insolvenzeröffnung kann der Insolvenzschuldner grundsätzlich weder Einkommensteuererklärungen noch Anträge i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG selbst unterzeichnen und einreichen (vgl. Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 150 Form und Inhalt der Steuererklärungen, Rn. 17), soweit die Insolvenzmasse betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – IX ZB 197/07 –, Rn. 8, juris; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 155 Rn. 81). Besteuerungsgrundlagen, die in den insolvenzfreien Bereich fallen, sind dagegen grundsätzlich allein vom Insolvenzschuldner zu erklären. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter gemäß § 34 Abs. 1 und 3 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners nur insoweit zu erfüllen, als seine Verwaltung reicht. Besteht die Verpflichtung nur für Teilbereiche oder Teilvermögen, beschränken sich die Pflichten hierauf (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 34 AO Rn. 46).
Im Erstattungsfall steht die Erklärungsbefugnis allein dem Insolvenzverwalter zu, da die Forderung auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer in vollem Umfang in die Insolvenzmasse fällt.
44Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Grundsätzlich gehört auch Neuvermögen, welches nach Insolvenzeröffnung bezogen wird, zur Insolvenzmasse und damit auch Lohn- und Gehaltseinkünfte, die während des laufenden Insolvenzverfahrens bezogen werden (vgl. Beck, NZI 2012, 991).
45Für Arbeitseinkommen gelten auch in der Insolvenz die Pfändungsgrenzen der ZPO (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 850c ZPO). Werden die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO nicht überschritten, ist das gesamte Arbeitseinkommen pfändungs- und damit insolvenzbeschlagfrei. Nur der Teil des Arbeitseinkommens, der pfändbar ist, fließt zur Masse (vgl. dazu u. a. Beck, NZI 2012, 991). Das Arbeitseinkommen ist bei Überschreiten der Pfändungsfreigrenze damit ggf. in einen teilweise pfändungs- und damit insolvenzfreien Teil und einen pfändbaren und damit insolvenzbefangenen Teil aufzuteilen.
46Ungeachtet des Umstandes, dass der die Pfändungsgrenzen übersteigende Teil des Arbeitseinkommens in die Insolvenzmasse fällt, stellt die auf das Arbeitseinkommen entfallende Einkommensteuerverbindlichkeit (Nachzahlung) insgesamt keine Masseschuld dar, sondern ist in vollem Umfang dem insolvenzfreien Bereich zuzuordnen. Die Einkommensteuerschuld stellt keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 InsO dar, da sie nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet wird (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2011 VI R 21/10, BStBl II 2011, 520). Die Arbeitskraft des Steuer-/Insolvenzschuldners als Grundlage des Arbeitseinkommens kann nicht der Insolvenzmasse zugeordnet werden (vgl. auch Beck, NZI 2012, 991, 992 m. w. N.).
47Der nach § 46 Abs. 1 AO pfändbare Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch gehört allerdings in vollem Umfang zur Insolvenzmasse; dies unabhängig davon, ob er auf die Zeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt. Hinsichtlich der Zugehörigkeit von Ansprüchen zur Insolvenzmasse kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Vollrechtsentstehung an, sondern auf den Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Der Rechtsgrund für einen Lohnsteuer-Erstattungsanspruch wird bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt. Der Steuerpflichtige erlangt bereits in diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erstattung der Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist, als die Summe der Vorauszahlungen (vgl. BFH, Urteil vom 06.02.1996 VII R 116/94, BFHE 179, 547, BStBl II 1996, 557; Beschluss vom 07.06.2006 VII B 329/05, BFHE 212, 436, BStBl II 2006, 641; sowie Urteil vom 28.02.2012 VII R 36/11, BFHE 236, 202, BStBl II 2012, 451, Rn. 10). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch stellt kein Arbeitseinkommen dar, auch wenn er seinen Ursprung in der Arbeitstätigkeit und darauf entfallenen Lohnzahlung hat (vgl. BGH-Urteil vom 21.07.2005 IX ZR 115/04, NJW 2005, 2988; BFH vom 09.01.2007 VII B 45/06, BFH/NV 2007, 855; vom 29.01.2010 VII B 188/09, BFH/NV 2010, 1243; vom 15.03.2017 III R 12/16, BStBl. II. 2018, 789).
48Insoweit ist jedenfalls in Erstattungsfällen – wie dem vorliegenden Streitfall - der Insolvenzverwalter allein antragsbefugt (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 28.08.2014 8 K 3677/13 E, ZInsO 2015, 323).
49Der Umstand, dass im Arbeitnehmerfall stets auch insolvenzfreie Besteuerungsgrundlagen, nämlich das pfändungsfreie Arbeitseinkommen, zu erklären sind, und dass auch die auf das während der Insolvenz erzielte Arbeitseinkommen entfallende Einkommensteuer keine Masseverbindlichkeit darstellen kann, begründet keine Erklärungsbefugnis des Insolvenzschuldners. Entscheidend für die Begründung der alleinige Erklärungsbefugnis des Insolvenzverwalters ist insoweit, dass das Veranlagungsverfahren durch Erlass eines Erstattungsbescheids abgeschlossen werden wird und dass die sich ergebende Erstattungsforderung in vollem Umfang allein in den Verantwortungsbereich des Insolvenzverwalter fällt. Im Streitfall bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass der Insolvenzschuldner weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt hat.
50Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners (Steuerpflichtigen), das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Dieser hat als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO auch die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht (BFH-Urteil vom 10. Februar 2015 IX R 23/14, BFHE 249, 202, BStBl II 2017, 367, Rz 39). Der Insolvenzschuldner verliert durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar – wie bereits ausgeführt wurde - grundsätzlich nicht seine Stellung als Steuerpflichtiger, allerdings verliert er seine steuerliche Handlungsfähigkeit (§ 79 AO), die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht, soweit die Insolvenzmasse betroffen ist. Die Pflicht des Insolvenzverwalters umfasst dabei grundsätzlich auch Veranlagungszeiträume vor Insolvenzeröffnung (BFH v. 12.11.1992 - IV B 83/91, BStBl. II 1993, 265; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 Vollstreckbare Verwaltungsakte, Rn. 38 m. w. N.). Durch den Umstand, dass die Erstattungsforderung in die Insolvenzmasse fällt, wird die Erklärungsbefugnis des Insolvenzschuldners für die insolvenzfreien Besteuerungsgrundlagen, durch die Erklärungsbefugnis des Insolvenzverwalters verdrängt, auch wenn die Steuerfestsetzung als Ausgangsgröße für die Anrechnung und das Ergebnis einer Erstattung auf den insolvenzfreien Besteuerungsgrundlagen beruht.
51Dieser Wertung entspricht, wenn der BFH für die Frage der Zulässigkeit der Festsetzung eines positiven Einkommensteuerbetrags durch Steuerbescheid nach Insolvenzeröffnung ebenfalls auf das Ergebnis einer Anrechnung abstellt und die Festsetzung im Falle eines Erstattungsbescheids bejaht (vgl. BFH-Urteil vom 05.04.2022 IX R 27/18, BFHE 276, 318, BStBl. II. 2022, 703).
52Der Umstand, dass bei Arbeitseinkommen stets ein pfändungsfreier und damit insolvenzfreier Anteil vorhanden ist (vgl. insoweit u. a. BFH-Urteil vom 24.02.2011 VI R 21/10, BFHE 232, 318, BStBl. II. 2011, 520; Beck, NZI 2012, 911), steht der alleinigen Erklärungsbefugnis des Insolvenzverwalters im Erstattungsfall danach nicht entgegen.
53b. Eine Veranlagung wäre im Streitfall zudem selbst dann auf Antrag des Klägers anzustoßen gewesen, wenn man – entgegen der vom Senat vertretenen Ansicht – auch den Insolvenzschuldner als ebenfalls erklärungsberechtigt ansehen würde.
Für diesen Fall wäre die Einkommensteuererklärung des Insolvenzverwalters als zulässige Teil-Einkommensteuererklärung anzusehen, die ebenfalls einen formell wirksamen Antrag auf Veranlagung i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG darstellen würde.
56Grundsätzlich wird für Fälle nebeneinander bestehender Erklärungspflichten von Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner in der Literatur (Uhländer, in Waza/Uhländer, Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn.498 m. w. N.; Bodden, in Korn, EStG Rn, 820 m. w. N.; Geurts in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 25 EStG C. 97; Welzel, DStZ 1999, 559; vgl. auch FG München, Urteil vom 24.09.2021, 8 K 1118/19, EFG 2022, 381) vorgeschlagen, dass Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner für ihren Verantwortungsbereich jeweils Teil-Einkommensteuererklärungen abgeben und dass das Finanzamt, die erklärten Besteuerungsgrundlagen im Rahmen des Veranlagungsverfahren zusammen zu führen habe, um das zu versteuernden Einkommen zu ermitteln und – als letztem Akt des Veranlagungsverfahrens - die Einkommensteuer festzusetzen. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass eine Veranlagung nicht zwingend auf der Grundlage einer äußerlich in einem Dokument zusammengefassten Steuererklärung des Insolvenzverwalters und des Insolvenzschuldners zu erfolgen habe, sondern dass auch zwei getrennte Erklärungen rechtlich zulässig sind.
57Dem ist bei Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG grundsätzlich zuzustimmen. Eine äußerlich zusammengefasste und von beiden unterschriebene Einkommensteuererklärung ist für einen formell wirksamen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben.
58Der Umstand, dass eine zusammengefasste Erklärung das Veranlagungsgeschäft des Finanzamtes naturgemäß erleichtert, ist aus den vorstehenden Ausführungen, wonach für § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG keine vollständige Einkommensteuererklärung zu fordern ist, kein zwingender Rechtsgrund. Insbesondere würden damit auch die Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters in der Praxis überspannt, der dann ggf. dafür verantwortlich wäre, bei einem nicht mitwirkenden Insolvenzschuldner auch dessen Unterschrift einzufordern.
59Im Übrigen setzt ein formell wirksamer Antrag – wie ausgeführt wurde – nicht voraus, dass die Veranlagung sogleich durch Festsetzung zum Abschluss gebracht werden kann. Die idealtypische vollständige Einkommensteuererklärung, die keine Nachfrage seitens des Finanzamtes notwendig macht, ist nicht Voraussetzung für einen wirksamen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG.
60Auch kann die Erklärungssituation von Insolvenzschuldner und Insolvenzverwalter nicht mit der zusammenveranlagter Ehegatten i. S. v. § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG gleichgesetzt werden. § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG enthält keinen übertragbaren Rechtsgrundsatz. Insoweit zwingt auch der Umstand, dass es bei der Insolvenz eines Arbeitnehmers um die Erklärung von Besteuerungsgrundlagen nur eines Steuerpflichtigen, des Insolvenzschuldners, geht, die in jedem Fall teilweise insolvenzfrei sind (pfändungsfreier Anteil des Arbeitseinkommens), nicht zur Erstellung einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung durch den Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner. Vor diesem Hintergrund bestehen – wie ausgeführt wurde – verschiedene, abgrenzbare Pflichtenkreise, die getrennte Teil-Erklärungen praktikabel erscheinen lassen. Auch die Pflicht zur wahrheitsgemäßen (vollständigen) Erklärung i. S. v. § 150 Abs. 2 AO kann insoweit nur auf den jeweiligen Pflichtenkreis bezogen werden.
61Nach den vorstehenden Ausführungen stellt auch der durch den einreichenden Insolvenzverwalter im Begleitschreiben zur Einkommensteuererklärung gemachte Vorbehalt, dass ihm nicht positiv bekannt sei, wie der Insolvenzschuldner seinen Lebensunterhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Zeit von Februar bis Anfang Juli 2019 bestritten habe, kein formelles Hindernis i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG dar. Insoweit war die Einkommensteuererklärung bereits nicht unvollständig, da gar keine konkreten Anhaltspunkte für nicht erklärtes Arbeitseinkommen bestanden und auch im hiesigen Verfahren nicht erkennbar wurden. Der Vorbehalt war mit Blick auf § 150 Abs. 2 AO auch nur als vorsorgliche Klarstellung zu verstehen, dass der Insolvenzverwalter insoweit keine Gewähr für die Vollständigkeit der Erklärung übernehmen konnte und wollte; nach den vorstehenden Ausführungen musste er dies auch nicht für einen formwirksamen Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG.
62c. Im Streitfall ergibt sich auf Grundlage der erklärten Besteuerungsgrundlagen voraussichtlich ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) unterhalb des Grundfreibetrags i. S. v. § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2019 (zvE. i. H. v. xxxxx EUR; Grundfreibetrag 2019 i. H. v. 9.168 EUR), so dass ein Erstattungsfall vorliegt. Auch werden keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt, die die Höhe von zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen.
d. Liegt eine ordnungsgemäße Einkommensteuererklärung im vorgenannten Sinne vor, ist die Finanzbehörde verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagung in Gang zu setzen (§ 25 Abs. 1 EStG, § 155 Abs. 1 AO 1977, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG).
e. Die Klage ist auch für den gesamten Veranlagungszeitraum 2019 – vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens - begründet. Selbst wenn man für einen begründeten Antrag i. S. v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG voraussetzt, dass eine Steuerfestsetzung für den gesamten Veranlagungszeitraum zulässig ist, ist dies im Streitfall auch für die Monate vor Insolvenzeröffnung der Fall. So sind im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits begründete Steueransprüche zwar grundsätzlich zur Insolvenztabelle anzumelden. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist grundsätzlich unwirksam (vgl. u. a. BFH, Urteil vom 5. April 2022 – IX R 27/18 –, BFHE 276, 318, BStBl II 2022, 703, Rn. 16 m. w. N.). Nach Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren sind, sind dagegen gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.07.2015 - III R 32/13, BFHE 251, 102, BStBl II 2016, 251, Rz 19). Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei (vgl. BFH, Urteil vom 10. Juli 2019 – X R 31/16 –, BFHE 265, 300, BStBl II 2022, 488, Rn. 34). Steuerbescheide, mit denen zwar eine positive Steuer festgesetzt wird, können allerdings ausnahmsweise – so auch im Streitfall - auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind (BFH, Urteil vom 5. April 2022 – IX R 27/18 –, BFHE 276, 318, BStBl II 2022, 703). Der Streitfall ist – wie zuvor ausgeführt wurde - ein solcher Ausnahmefall. Auch werden keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt, die die Höhe von zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen.
4. Die Antragstellung des zwischenzeitlich verstorbenen Insolvenzverwalters wirkte als Verfahrenshandlung insbesondere auch über dessen Tod hinaus fort und musste vom Kläger als Amtsnachfolger nicht wiederholt werden.
Das Amt des Insolvenzverwalters endet durch Entlassung, Beendigung des Verfahrens oder dessen Einstellung mangels Masse, Eintritt der Geschäftsunfähigkeit oder den Tod des Verwalters oder durch Bestellung eines neuen Verwalters (Lüke in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 56 Bestellung des Insolvenzverwalters, Rn. 66). Beim Tod des Insolvenzverwalters geht dessen Rechte- und Pflichtenstellung im Insolvenzverfahren aufgrund der Höchstpersönlichkeit des Amtes nicht auf dessen Erben über. Vielmehr endet das Amt des verstorbenen Insolvenzverwalters. Das Amt des neu bestellten Insolvenzverwalters beginnt mit dessen Bestellung durch das Insolvenzgericht und Annahme des Amtes. Dabei übernimmt der neu bestellte Insolvenzverwalter das Insolvenzverfahren in dem Verfahrensstand zum Zeitpunkt des Todes seines Amtsvorgängers. In Rechtsprechung und Literatur wird der Fall des Verwalterwechsels im Todesfall – soweit ersichtlich – zwar nicht näher behandelt. Für den Fall der Abwahl des bestellten und Wahl eines neuen Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung nach § 57 InsO geht die herrschende Meinung allerdings davon aus, dass die Rechtshandlungen des bisherigen Verwalters wirksam bleiben (vgl. (Riedel in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 10. Aufl. 2020, § 57 Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, Rn. 15; Gerhardt in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2007, § 57 Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, Rn. 16). Dies muss erst recht für den Fall der Neubestellung im Todesfall des bisherigen Verwalters gelten. Dem neuen Insolvenzverwalter sind etwaige Verfahrenshandlungen seines Amtsvorgängers daher wie eigene, aufgrund des Todes des Amtsvorgängers nicht verbrauchte Verfahrenshandlungen zuzurechnen.
71Für die Praxis wäre es letztlich auch nicht handhabbar und zumutbar, wenn sämtliche (steuerliche wie nichtsteuerliche) Verfahrenshandlungen des Amtsvorgängers als verbraucht qualifiziert würden, so dass der Amtsnachfolger diese ggf. erneut vornehmen müsste. Dies würde im Todesfall sonst einen Neustart des Insolvenzverfahrens erforderlich machen.
72IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
V. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage der alleinigen Antragsbefugnis des Insolvenzverwalters im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG hat grundsätzliche Bedeutung.