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Der Haftungsbescheid vom 25.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2020 wird dahingehend geändert, dass der Haftungsbetrag um 5.342,70 € auf 37.179,87 € herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 86% und der Beklagte zu 14%.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht als Abtretungsempfängerin nach § 13c Umsatzsteuergesetz (UStG) für nicht geleistete Umsatzsteuer-Vorauszahlungen (USt-VZ) des Herrn O in Haftung genommen hat.
2Die Klägerin betreibt ein Kreditunternehmen in der Rechtsform einer Genossenschaftsbank. Ihr Unternehmensgegenstand ist insbesondere die Vergabe von Krediten sowie die Führung von Giro- und Kontokorrentkonten.
3Die Klägerin unterhielt bis 2014 eine laufende Geschäftsbeziehung zu Herrn O, der ebenfalls unternehmerisch tätig war. Gegenstand seines Unternehmens war ein Handwerksbetrieb für … in S. O trat als Sicherheitsleistung im Rahmen eines Vertrages vom 00./00.05.2008 über eine sog. Globalzession alle seine bestehenden und zukünftigen Forderungen aus seiner Geschäftstätigkeit an die Klägerin ab. Die Einziehung sollte weiterhin durch O erfolgen. Die Klägerin und O schlossen u.a. am 00.03.2011 einen Kreditvertrag über 700.000 €. Die Klägerin stellte O den Kreditbetrag zur Verfügung. Es war vereinbart, dass O einen Teilbetrag i.H.v. 450.000 € bereits bis zum 15.04.2011 zurückzuzahlen hatte. Den Restbetrag von 250.000 € stellte die Klägerin O von vornherein unbefristet zur Verfügung.
4O reichte bis einschließlich für den Monat Februar 2014 monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen (USt-VA) ein. Die danach für den Monat Dezember 2013 festgesetzte USt-VZ wurde von O i.H.v. 10.875 € nicht bezahlt. Die für die Monate Januar und Februar 2014 festgesetzten USt-VZ blieben i.H.v. 30.073,06 € (01/2014) und i.H.v. 36.610,03 € (02/2014) unbezahlt.
5Am 00.02.2014 stellte O einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im vorläufigen Insolvenzverfahren über das Vermögen des O wurde Herr Rechtsanwalt X zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2, Var. 2 der Insolvenzordnung (InsO) bestellt. Nach dem Beschluss des Amtsgerichts N vom 00.02.2014 (Az. 00 IN 000/00) war es den Schuldnern des Schuldners (Drittschuldner) verboten, an den Schuldner zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung der Anordnung des Amtsgerichts N zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 2 InsO). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die öffentliche Bekanntmachung des Amtsgerichts N vom 00.02.2014 Bezug genommen.
6Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens führte die Klägerin für O folgende Konten:
7Kontonr. |
Bezeichnung |
Saldo |
Kreditlinie |
000 0000 600 |
Geschäftsgirokonto |
- 80.901,56 € |
120.000 € |
000 0000 602 |
Geschäftsgirokonto |
- 929.724,46 € |
1.000.000 € |
000 0000 636 |
Darlehenskonto |
- 153.194,07 € |
|
000 0000 637 |
Darlehenskonto |
- 69.329,00 € |
Der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X kündigte noch am 26.02.2014 die Kontoverbindungen zu der Klägerin. Die Klägerin kündigte ebenfalls am 26.02.2014 gegenüber O die bestehenden Kreditvereinbarungen, stellte die ausstehenden Beträge fällig und widerrief die im Rahmen der Globalzession erteilte Einzugsermächtigung. Die Klägerin vereinbarte jedoch mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X, dass dieser die an die Klägerin im Wege der Globalzession abgetretenen, aber bisher von O noch nicht eingezogenen Forderungen bei den Forderungsschuldnern einzieht und dafür eine Gebühr von insgesamt 9% des Einziehungsbetrags erhält (vgl. S. 3 der Abrechnung vom 12.08.2014 unter II., Gerichtsakte Bl. 285).
9O stellte seine betriebliche Tätigkeit zum 01.04.2014 ein.
10Der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X erstellte im Auftrag des Insolvenzgerichts, das Amtsgericht N , auf den 00.04.2014 ein Sachverständigengutachten im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des O. In diesem traf er u.a. folgende Feststellungen: Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 00.02.2014 habe der Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 393.000 € betragen. Bis zur Erstellung des Sachverständigengutachtens seien Forderungen i.H.v. insgesamt 95.000 € beglichen worden. Hinsichtlich des danach weiterhin bestehenden Forderungsbestandes von 298.000 € sei davon auszugehen, dass ca. 20% der Forderungen noch beigetrieben werden könnten. Wegen der vereinbarten Globalzession seien sowohl die bereits vereinnahmten als auch die noch zu vereinnahmenden Forderungsbeträge, bis auf wenige Ausnahmefälle, bei denen ein vorrangiger verlängerter Eigentumsvorbehalt Anwendung finde, unter Einbehalt eines Kostenbeitrags von 9% zzgl. darauf entfallender Umsatzsteuer an die Klägerin auszukehren. Seit Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien zudem durch die Fortführung der Geschäftstätigkeit Forderungen i.H.v. 63.000 € generiert worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sachverständigengutachten vom 00.04.2014 Bezug genommen.
11Am 00.05.2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des O eröffnet und Herr Rechtsanwalt X zum Insolvenzverwalter ernannt.
12Der Beklagte berechnete nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Schätzung nach § 162 Abgabenordnung (AO) die Umsatzsteuer 2013 mit Datum vom 09.07.2014 auf 132.000,16 €. Die berechnete Jahresumsatzsteuer 2013 blieb unter Anrechnung der zuvor festgesetzten USt-VZ i.H.v. 18.244,18 € unbezahlt.
13Der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X rechnete die seit Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung vom 00.02.2014 beglichenen Forderungen (Alt-Debitoren-Fälle), die im Wege der Globalzession zuvor bereits von O an die Klägerin abgetreten worden waren, gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 12.08.2014 wie folgt ab:
14Es seien insgesamt Forderungen i.H.v. 255.542,63 € eingezogen worden. Davon seien 141.288,73 € auf das von O bei der Klägerin geführte Geschäftsgirokonto (0000000600) eingegangen. Hiervon wiederum seien insgesamt 140.821,08 € in der Zeit zwischen Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 00.02.2014 und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 00.05.2014 auf das Geschäftskonto 0000000600 eingezahlt worden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei nur noch ein Betrag von insgesamt 467,65 € auf das Geschäftsgirokonto 0000000600 eingezahlt worden. Von den eingezahlten Beträgen stehe zum einen jeweils ein Feststellungsbeitrag von 4% sowie ein Verwertungskostenbeitrag von 5% zzgl. Umsatzsteuer der Insolvenzmasse zu (14.011,69 € für den Forderungseinzug vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie 42,53 € für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens). Zum anderen sei er, der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X, verpflichtet, bei den Forderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingezogen worden seien, den darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrag i.H.v. 74,67 € (467,65 € / 1,19 x 19%) als Masseverbindlichkeit an die Finanzbehörde abzuführen. Danach stehe der Klägerin aus dem Einzug der an sie im Wege der Globalzession abgetretenen Forderungen aus der Geschäftstätigkeit des O, soweit diese zur Begleichung auf das Geschäftsgirokonto 0000000600 eingezahlt worden seien, ein verbleibender Betrag von 127.159,84 € zu (141.288,73 € abzgl. Kostenbeiträge (14.011,69 € + 42,53 €) und Umsatzsteuer (74,67 €)).
15Neben den Einzahlungen auf das Geschäftsgirokonto 0000000600 seien Forderungen, die im Wege der Globalzession von O an die Klägerin abgetreten worden seien, nach Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 00.02.2014 auf ein Anderkonto, in bar (Kasse) oder auf das alte Geschäftskonto bei dem Kreditinstitut Y i.H.v. insgesamt 114.253,90 € gezahlt worden. Davon würden 82.709,91 € auf die Zeit vor Insolvenzeröffnung und 31.543,99 € auf die Zeit ab Insolvenzeröffnung entfallen. Wegen der Einziehung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X seien zum einen von den eingezogenen Forderungsbeträgen ein Feststellungsbeitrag von 4% sowie ein Verwertungskostenbeitrag von 5 % zzgl. Umsatzsteuer einzubehalten und nicht an die Klägerin, sondern an die Insolvenzmasse auszukehren (8.229,65 € für den Forderungseinzug vor Insolvenzeröffnung, 3.138,63 € für den Forderungseinzug nach der Insolvenzeröffnung). Zum anderen sei der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X verpflichtet, bei den Forderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingezogen worden seien, den darin enthaltenen Umsatzsteuerbetrag i.H.v. 5.036,44 € (31.543,99 € / 1,19 x 19%) als Masseverbindlichkeit an die Finanzbehörde abzuführen. Danach betrage der aus dem Einzug der an die Klägerin im Wege der Globalzession abgetretenen Forderungen aus der Geschäftstätigkeit des O, soweit diese auf ein Anderkonto, in bar (Kasse) oder auf das alte Geschäftskonto bei dem Kreditinstitut Y gezahlt worden seien, 98.849,18 €. Dieser Betrag sei grundsätzlich an die Klägerin auszukehren.
16Der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X teilte der Klägerin darüber hinaus nachrichtlich mit, dass ihr aus dem Einzug der Forderungen wegen bestehender und gegenüber der Globalzession vorrangiger verlängerter Eigentumsvorbehalte ein Betrag i.H.v. insgesamt 11.228,64 € nicht zustünde.
17Da die Klägerin bereits über die auf dem Geschäftskonto 0000000600 eingegangenen Forderungsbeträge verfügen könne, bestehe ein Auskehranspruch der Klägerin gegen die Insolvenzmasse nur hinsichtlich der auf ein Anderkonto, in bar (Kasse) oder auf das alte Geschäftskonto bei dem Kreditinstitut Y gezahlten Forderungsbeträge (114.253,90 €) abzüglich der Kostenbeiträge (8.229,65 € + 3.138,65 €) und der Umsatzsteuer (5.036,44). Der Anspruch auf Auskehrung von 98.849,18 € sei weiter zu mindern wegen vorrangiger verlängerter Eigentumsvorbehalte (11.228,64 €) sowie um die Kostenbeiträge (14.011,69 € + 42,53 €) und die Umsatzsteuer (74,67 €) für die eingezogenen Forderungen, die auf das bei der Klägerin geführte Geschäftskonto 0000000600 eingezahlt worden seien und danach nicht der Auskehrung aus der Insolvenzmasse bedürften.
18Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt X vom 12.08.2014 Bezug genommen.
19Eine weitere Abrechnung über eingezogene Forderungen erfolgte mit Schreiben des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt X vom 20.07.2015. Danach seien in der Zeit vom 01.08.2014 bis zum 20.07.2015 Forderungen i.H.v. 10.402,12 € vereinnahmt worden. Die darin enthaltene Umsatzsteuer i.H.v. 1.660,84 € sei an die Finanzbehörde abzuführen, da es sich um Masseverbindlichkeiten handele. Weiterhin seien die Kostenbeiträge einschließlich der auf den Verwertungskostenbeitrag entfallenden Umsatzsteuer einzubehalten. Es sei danach ein Betrag i.H.v. 7.706,27 € auszukehren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Insolvenzverwalters Rechtsanwalt X vom 20.07.2015 Bezug genommen.
20Der Beklagte erließ mit Datum vom 13.12.2018 gegen die Klägerin einen auf § 13c UStG gestützten Haftungsbescheid. Für den Haftungszeitraum des Jahres 2013 setzte der Beklagte einen Haftungsbetrag i.H.v. 29.119,42 € und für den Haftungszeitraum des Jahres 2014 einen Haftungsbetrag i.H.v. 40.941,61 € fest. Der Beklagte begründete die Festsetzung der Haftungsbeträge dahingehend, dass die Klägerin aufgrund der mit O vereinbarten Globalzession als Abtretungsempfängerin grundsätzlich für die Umsatzsteuern 2013 und 2014 hafte, welche zwar gegen O festgesetzt und auch fällig, von diesem aber i.H.v. 29.119,42 € (2013) und i.H.v. 77.024,10 (2014) nicht gezahlt worden seien, soweit die Klägerin die abgetretenen Forderungsbeträge einschließlich der darin enthaltenen, aber von O nicht entrichteten Umsatzsteuern vereinnahmt habe. Die Klägerin und nicht O sei als Verfügungsberechtigte anzusehen, soweit in den Jahren 2013 und 2014 Gutschriften auf dem bei der Klägerin geführten Geschäftsgirokonto 0000000600 des O eingegangen seien. Das Geschäftsgirokonto habe in den Jahren 2013 und 2014 durchgehend einen negativen Saldo ausgewiesen. Aufgrund der Buchungsvorgänge auf diesem Konto, insb. wegen durchgeführter Stornobuchungen und Rücklastschriften, sei ferner davon auszugehen, dass die Klägerin O. die ursprüngliche Kreditlinie von 120.000 € für die Jahre 2013 und 2014 nicht mehr eingeräumt habe. Danach habe die Klägerin in 2013 einen Betrag von 311.515,48 € vereinnahmt, in dem ein Umsatzsteuerbetrag von 49.737,77 € enthalten gewesen sei. In 2014 habe die Klägerin noch einen Betrag i.H.v. 256.423,75 € vereinnahmt, der eine Umsatzsteuer i.H.v. 40.941,61 € enthalten habe. Die auf dem Geschäftsgirokonto eingegangen Gutschriften würden sich dabei aus den von der Klägerin vorgelegten Kontoauszügen für die Jahre 2013 und 2014 ergeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Haftungsbescheides vom 13.12.2018 Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 78 ff.).
21Die Klägerin legte am 21.12.2018 gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein. Sie begründete diesen zum einen dahingehend, dass für vereinnahmte Forderungsbeträge nach Antragstellung des O auf Eröffnung des Insolvenzvorverfahrens mit Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters am 00.02.2014 eine Haftung nach § 13c UStG nicht in Betracht komme, da es sich bei der mit den Forderungen vereinnahmten Umsatzsteuer nach § 55 Abs. 4 InsO um Masseverbindlichkeiten handele, für welche vorrangig der Insolvenzverwalter verantwortlich sei. Zum anderen habe der Beklagte nicht nachgewiesen, dass die Umsatzsteuer, für welche sie in Anspruch genommen werde, von O nicht entrichtet worden sei. Eine Haftung käme nur insoweit in Betracht, als dass von ihr Forderungen für in den Haftungsmonaten ausgeführte Leistungen vereinnahmt worden seien. Des Weiteren sei die Anwendung der sog. 115 %-Regelung nach Abschn. 13c.1 Abs. 24 und Abs. 25 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) zu beachten. Ferner käme eine Haftung nur insoweit in Betracht, als dass sie Forderungsbeträge auch tatsächlich vereinnahmt habe. Wie der Insolvenzverwalter ihr gegenüber am 12.08.2014 abgerechnet habe, habe sie nur 73.491,65 € tatsächlich erhalten. Dieser Betrag sei zudem noch danach aufzuteilen, ob darin enthaltene Forderungen vor oder nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt worden seien. Denn für nach dem Eröffnungsantrag vereinnahmte Beträge handele es sich bei der Umsatzsteuer, wie oben schon ausgeführt, gem. § 55 Abs. 4 InsO um eine Masseverbindlichkeit, für die vorrangig der Insolvenzverwalter die Verantwortung trage. Schließlich gehe der Beklagte zu Unrecht davon aus, dass die Kreditlinie von 120.000 € in den Jahren 2013 und 2014 nicht eingeräumt worden sei. Richtigerweise habe die Kreditlinie bis zum 18.03.2014 gegolten und sei erst ab dem 19.03.2014 auf 90.000 € herabgesetzt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsbegründung vom 22.02.2019 Bezug genommen.
22Im weiteren Einspruchsverfahren minderte auf der einen Seite der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2019 die Haftungssumme für 2013 auf 6.790,06 € und für 2014 auf 35.732,52 €. Die Klägerin habe nachgewiesen, dass sie O für das Kontokorrentkonto, auf welches die Forderungsbeträge eingezahlt worden seien, eine Kreditlinie i.H.v. 120.000 € eingeräumt habe. Insoweit seien die bisher festgesetzten Haftungsbeträge unter zusätzlicher Beachtung der sog. 115%-Regelung nach Abschn. 13c.1 Abs. 25 und Abs. 26 UStAE korrigiert worden. Hinsichtlich der Ermittlung der Haftungsbeträge sei davon ausgegangen worden, dass O die Rechnungen für seine Leistungen nicht im Monat der Leistungserbringung, sondern erst später erstellt habe. Ferner werde davon ausgegangen, dass O seine Leistungen erst im Monat der Rechnungstellung verbucht und über das Buchführungsprogramm die entsprechenden Umsätze auch erst für diesen Monat mit der entsprechenden USt-VA angemeldet habe. Vor diesem Hintergrund sei anhand der Kontoauszüge des Geschäftsgirokontos 0000000600 eine Liste mit Rechnungsnummern und deren dazugehörigen Rechnungsdaten erstellt worden. So sei z.B. festgestellt worden, dass die Rechnungsnummer 2871 zu einer Rechnung vom 29.11.2013 gehöre und die Rechnungsnummer 3165 zu einer Rechnung vom 31.12.2013. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass die Rechnungen mit Rechnungsnummern ab 2872 bis 3165 im Monat Dezember 2013 erstellt, in der Buchführung erfasst und entsprechend mit der USt-VA für Dezember 2013 angemeldet worden seien. Für die beiden anderen Haftungsmonate Januar und Februar 2014 sei ebenfalls so vorgegangen worden. Auf den Bescheid und die Darstellung der Ermittlung des Haftungsbetrages wird Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 31 ff.).
23Auf der anderen Seite beschränkte die Klägerin ihr Einspruchsbegehren dahingehend, dass sie nicht die vollständige Aufhebung des Haftungsbescheides, sondern nur eine Minderung des Haftungsbetrags für den Haftungszeitraum 2013 auf 3.429,30 € und für den Haftungszeitraum 2014 auf 380,84 € beantragte.
24Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftverkehrs zwischen den Beteiligten Bezug genommen (Schreiben der Klägerin vom 22.09.2019 (Gerichtsakte Bl. 26 ff.), vom 20.11.2019 (Gerichtsakte Bl. 23 ff.) und vom 11.05.2020 (Gerichtsakte Bl. 17 f.); Haftungsbescheid des Beklagten vom 25.10.2019 (Gerichtsakte Bl. 31 ff.) und Schreiben des Beklagten vom 06.05.2020 (Gerichtsakte Bl. 19 ff.)).
25Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 04.09.2020 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Haftungsbescheid über Umsatzsteuer in der Fassung vom 25.10.2019 sei rechtmäßig. Die Haftungsvoraussetzungen des § 13c UStG lägen vor. Insbesondere seien bei der Ermittlung des Haftungsbetrages nur solche von O im Rahmen der Globalzession an die Klägerin abgetretenen Forderungen berücksichtigt worden, bei denen die darin enthaltenen Umsatzsteuern in den Monaten Dezember 2013 bis Februar 2014 festgesetzt worden seien. Der Haftungsschuld der Klägerin stünde die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO nicht entgegen. Es treffe nicht zu, dass in den Forderungen, welche der vorläufige Insolvenzverwalter in der Zeit des Insolvenzeröffnungsverfahrens gegenüber der Klägerin abgerechnet habe, keine Umsatzsteuer enthalten gewesen sei. Zwar gelte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Regelung des § 55 Abs. 4 UStG auch für das Insolvenzeröffnungsverfahren, so dass es sich bei der in dieser Zeit entstandenen Umsatzsteuerschuld um eine Masseverbindlichkeit handele, die gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen sei. Steuersubjekt im Hinblick auf die Verwirklichung der steuerbaren Umsätze sei jedoch weiterhin der Insolvenzschuldner, im vorliegenden Verfahren der O. Die Umsatzsteuerbarkeit der von O vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführten Umsätze würde nicht aufgrund der Regelung des § 55 Abs. 4 UStG rückwirkend entfallen. Die Klägerin habe die abgetretenen Forderungen auch vereinnahmt. Die bestehende Kreditlinie für das Kontokorrentkonto, das der Insolvenzschuldner O bei der Klägerin geführt habe, sei überwiegend ausgeschöpft gewesen. Dies sei auch für den Fall jeder einzelnen vereinnahmten Forderung geprüft worden. Daher hätten die Einzahlungen auf das Geschäftskonto zu einer Vereinnahmung durch die Klägerin geführt. Die ursprüngliche und damit haftungsbegründende Festsetzung der USt-VZ entfalle nicht rückwirkend dadurch, dass die Umsatzsteuer für einen ausgeführten Umsatz im Fall der Vereinnahmung ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzeröffnungsverfahrens, also ab Antragstellung, nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeit zu behandeln sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung (Gerichtsakte Bl. 10) Bezug genommen.
26Mit ihrer am 07.10.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
27Die Klägerin trägt vor, dass für Forderungen, die sie in der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 00.02.2014 bis zum 00.04.2014 vereinnahmt habe, eine Haftung nach § 13c UStG auch aus folgenden Gründen nicht in Betracht komme:
28Die Umsatzsteuer auf Umsätze, deren Entgelte nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens vereinnahmt worden seien, seien nach § 55 Abs. 4 InsO unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen BFH-Rechtsprechung, insbesondere des Urteils vom 24.09.2014 (V R 48/13), als Masseverbindlichkeiten zu behandeln. Dies würde die gleichzeitige Begründung einer Haftung nach § 13c UStG ausschließen. Der Beklagte rechtfertige die Inanspruchnahme zu Unrecht mit einem Hinweis darauf, dass ihre Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin zu einem wirtschaftlich stimmigen Ergebnis führe. Vorrangig sei die Inanspruchnahme des Steuerschuldners geboten, im vorliegenden Verfahren hinsichtlich der während des vorläufigen Insolvenzverfahrens vereinnahmten Forderungen der Insolvenzverwalter. Die in ihren BMF-Schreiben geäußerte Auffassung der Finanzverwaltung über die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO komme mangels einer bindenden Wirkung ihr, der Klägerin, gegenüber oder gegenüber dem Gericht keine Bedeutung zu.
29Die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheides ergebe sich des Weiteren daraus, dass der Beklagte die offenen Umsatzsteuerschulden des O aus den für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 festgesetzten USt-VZ, soweit die Forderungen nach Antragstellung vereinnahmt worden seien, vorrangig beim Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO hätte beitreiben müssen. Der Beklagte hätte zwar nicht das nach § 191 AO grundsätzlich vorgesehene Entschließungsermessen, wohl aber das für Haftungsbescheide ebenfalls vorgesehene Auswahlermessen ausüben müssen. Die Anwendung der Ermessensvorschrift des § 191 AO in den Fällen des § 13c UStG werde so auch von der Finanzverwaltung in Abschn. 13c 1. Abs. 33 UStAE vertreten. Sie, die Klägerin, könne sich gegenüber dem Beklagten auch auf eine steuerliche Behandlung nach dieser Erlasslage wegen des in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung berufen. Des Weiteren werde die Regelung des § 219 Satz 1 AO durch die Spezialvorschrift des § 13c UStG nicht suspendiert. Die subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners gegenüber der Inanspruchnahme des Steuerschuldners gelte daher auch zugunsten desjenigen, der nach § 13c UStG hafte. Die Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters sei jedoch vom Beklagten nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Insoweit liege ein Fall des sog. Ermessens-Nichtgebrauchs vor. Für ihre Haftungsschuld dürfe die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter zu hohe Beträge aus den abgetretenen Forderungen an sie, die Klägerin, gezahlt habe, keine Bedeutung zukommen, da es sich dabei um rein privatrechtliche Fragestellungen handele. Es könne nicht sein, dass die Regelung des § 13c UStG es in das Belieben der Finanzbehörde bzw. im vorliegenden Verfahren in das Belieben des Beklagten stelle, ob er den Insolvenzverwalter als Steuerschuldner oder sie, die Klägerin, als Haftungsschuldnerin zur Tilgung der Steuerschuld heranziehe.
30Unabhängig von der Frage, ob der Beklagte ermessensfehlerhaft gehandelt habe, verstoße ihre Inanspruchnahme durch den Beklagten, ohne dass zuvor der Beklagte sich an den Rechtsanwalt X gewendet habe, gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 3 GG. Ihre vorrangige Inanspruchnahme sei wegen der Möglichkeit, gegen den Insolvenzverwalter vorzugehen, weder erforderlich noch angemessen gewesen.
31Die Klägerin beantragt,
32den Haftungsbescheid vom 25.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2020 dahingehend zu ändern, dass der Haftungsbetrag auf insgesamt 3.810,13 € herabgesetzt wird,
33hilfsweise, die Revision zuzulassen.
34Der Beklagte beantragt,
35den Haftungsbescheid vom 25.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2020 dahingehend zu ändern, dass der Haftungsbetrag auf 37.179,87 € herabgesetzt und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
36Der Beklagte nimmt Bezug auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass O seine Umsätze erst mit Rechnungstellung in seiner Buchführung und damit auch automatisch bei den entsprechenden monatlichen USt-VA berücksichtigt habe. Die jeweilige Leistung sei jedoch regelmäßig im Monat vor der Rechnungsstellung ausgeführt worden. So seien z.B. im November ausgeführte Leistungen erst im Dezember bei Rechnungstellung buchhalterisch erfasst und im Rahmen der USt-VA für Dezember angemeldet worden. Vor diesem Hintergrund sei er bei der Ermittlung des Haftungsbetrages so vorgegangen, dass er – wie bereits ausgeführt – anhand der Kontoauszüge des Kontokorrentkontos des O eine Liste über die Rechnungsnummern zu den zugehörigen Zahlungseingängen auf dem Geschäftsgirokonto erstellt habe. Da diese fortlaufend geführt worden seien, seien z.B. für den Monat Dezember 2013 nur Rechnungsnummern berücksichtigt worden, die Rechnungsnummern zwischen 2871 (letzte Rechnung aus November, und zwar vom 29.11.2013) und 3165 (letzte Rechnungsnummer aus Dezember, und zwar vom 31.12.2013) aufweisen würden. Die gleiche Vorgehensweise sei für die Monate Januar und Februar 2014 angewendet worden. Damit sei sichergestellt worden, dass nur vereinnahmte Forderungen berücksichtigt worden seien, die auch den Festsetzungen für die jeweiligen Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 zugrunde gelegen hätten. Im Nachgang zum durchgeführten Erörterungstermin vom 12.12.2022 habe er, der Beklagte, ein Auskunftsersuchen an O und dessen damaligen steuerlichen Berater, das Steuerbüro G in …, gestellt. Herr T vom Steuerbüro des O habe fernmündlich bestätigt, dass O nach dem Erstellungszeitpunkt der Rechnung und nicht nach Maßgabe des Zeitpunkts der vorherigen Leistungserbringung gebucht und entsprechend auch seine Umsätze im Rahmen seiner USt-VA erklärt habe. Die Richtigkeit der erteilten Auskunft ergebe sich auch aus den im Rahmen des Auskunftsersuchens vorgelegten Unterlagen des O. bzw. des Steuerbüros G, z.B. aus den Rechnungsausgangsbüchern für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014.
37Für die Haftung der Klägerin nach § 13c UStG komme es weder auf § 55 Abs. 4 InsO noch auf das hierzu ergangene Urteil des BFH vom 24.09.2014 (V R 48/13) an. Selbst die Berichtigung einer ursprünglich rechtmäßig festgesetzten Umsatzsteuerschuld nach § 17 UStG stünde der Haftung nach § 13c UStG nicht entgegen. Für ihn, den Beklagten, sei für den Erlass des Haftungsbescheides auch nicht maßgeblich gewesen, dass es hierdurch zu einem zutreffenden wirtschaftlichen Ergebnis käme. Entscheidend sei allein gewesen, dass die Voraussetzungen des § 13c UStG erfüllt gewesen seien. Ausführungen zum wirtschaftlichen Ergebnis seien während des Einspruchsverfahrens hätten nur der Veranschaulichung gedient.
38Entgegen der Auffassung der Klägerin sei er, der Beklagte, auch nicht verpflichtet gewesen, die offenen Umsatzsteuerbeträge aus den für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 festgesetzten USt-VZ vorrangig als Masseverbindlichkeiten beim Insolvenzverwalter beizutreiben. Auf die Erfolglosigkeit solcher Beitreibungsmaßnahmen komme es für die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach § 13c UStG nicht an.
39In der Sache hat am 12.12.2022 ein Erörterungstermin stattgefunden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
40Die Beteiligten haben einer vom Gericht vorgeschlagenen tatsächlichen Verständigung, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Gerichtsakte Bl. 289 f.) und die zu einer Minderung des Haftungsbetrages um 5.342,70 € führt, zugestimmt.
41Die Sache ist am 15.06.2023 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
Die Klage hat teilweise Erfolg.
43Der Haftungsbescheid vom 25.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2020 ist i.H.v. 5.342,70 € rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Im Übrigen sind der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
441. Die Klägerin haftet für Steuerschulden des O i.H.v. insgesamt 37.179,87 € (davon entfallend auf offene USt-VZ Dezember 2013: 6.622,57 €; offene USt-VZ Januar 2014: 1.436,97 €; offene USt-VZ Februar 2014: 29.120,33 €).
45Der Beklagte hat im Klageverfahren zugesagt, den Haftungsbetrag i.H.v. 42.522,58 € auf 37.179,87 €, d.h. um 5.342,70 €, zu mindern, da insoweit die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung der Klägerin gemäß § 13c UStG nach Maßgabe der geschlossenen tatsächlichen Verständigung nicht vorlägen. Er begehrt nur die Klageabweisung im Übrigen. Von einer weitergehenden Begründung hinsichtlich der Herabsetzung des bisher festgesetzten Haftungsbetrages um 5.342,70 € wird daher abgesehen.
46Die Klägerin hat ihrerseits beantragt, nicht den Haftungsbescheid insgesamt aufzuheben, sondern den Haftungsbetrag auf 3.810,14 € (entfallend auf offene USt-VZ Dezember 2013: 3.429,30 €; offene USt-VZ Februar 2014: 380,84 €) herabzusetzen. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klägerin für den Betrag in Höhe von 3.810,14 €, der vor dem 00.02.2014 – dem vorläufigen Insolvenzverfahren – eingezogene Forderungen betrifft, gemäß § 13c UStG haftet.
47Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen aber auch für den weiterhin streitigen Teilbetrag von 33.369,73 € (davon entfallend auf offene USt-VZ für Dezember 2013: 3.193,27 €; offene USt-VZ Januar 2014: 1.436,97 €; offene USt-VZ Februar 2014: 28.739,49 €) die Voraussetzungen des § 13c UStG vor.
48a) Soweit der leistende Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei deren Berechnung dieser Umsatz berücksichtigt worden ist, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 UStG für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist (§ 13c Abs. 1 Satz 1 UStG). Die Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG umfasst alle Formen der Abtretung von Forderungen des Abtretenden aus Umsätzen, auch die sog. Globalzession (BFH, Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107). Soweit der Abtretungsempfänger die Forderung an einen Dritten abgetreten hat, gilt sie in voller Höhe als vereinnahmt (§ 13c Abs. 1 Satz 3 UStG).
49Eine Grundlage für die Haftung des Abtretungsempfängers besteht im Unionsrecht nur insoweit, als Art. 205 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) die Mitgliedstaaten berechtigt, in den in den Art. 193 bis 200 sowie 202, 203 und 204 MwStSystRL genannten Fällen zu bestimmen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. § 13c UStG ist unionsrechtskonform (BFH, Urteil vom 22.06.2021 V R 16/20, BFHE 272, 563).
50b) Nach den vorgenannten Voraussetzungen haftet die Klägerin für den Betrag in Höhe von insgesamt 33.369,74 €.
51aa) O hat aufgrund einer mit der Klägerin vereinbarten Globalzession seine Ansprüche auf Gegenleistungen (Forderungen) für die von ihm im Rahmen seines in S ansässigen Handwerksbetriebs für Heizung-Lüftung-Sanitär erbrachten Leistungen an die Klägerin als Sicherheit abgetreten. Sowohl O als auch die Klägerin waren aufgrund ihrer damaligen gewerblichen Tätigkeiten Unternehmer i.S.d. § 2 UStG.
52Die den abgetretenen Forderungen zugrundeliegenden Umsätze hat O im jeweiligen Monat der Rechnungsstellung in seinen monatlichen USt-VA erklärt. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des damaligen steuerlichen Beraters des O. Die für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 erklärten und festgesetzten USt-VZ hat O i.H.v. 10.875 € (Dezember 2013), 30.073,06 € (Januar 2014) und i.H.v. 36.610,03 € (Februar 2014) nicht bezahlt.
53Die vorgenannten Umstände sind zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
54Einer Haftung der Klägerin nach § 13c Abs. 1 UStG für die (teilweise) nicht bezahlten festgesetzten USt-VZ Dezember 2013 bis Februar 2014 steht nicht entgegen, dass O seine Umsätze (erst) für den monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum erklärt hat, in dem er über die von ihm erbrachten Leistungen eine Rechnung ausgestellt hat. Zwar entsteht die Umsatzsteuer grundsätzlich gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG im Voranmeldungs-Zeitraum der Leistungserbringung und ist gem. § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG für diesen Zeitraum zu erklären. Für die Haftung nach § 13c UStG kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Festsetzung der fälligen, aber vom leistenden Unternehmer nicht bezahlten Umsatzsteuer und damit auch die zeitliche Zuordnung der ausgeführten Umsätze rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist (Sternberg in Wäger, UStG², § 13c Rz. 25). Der Gesetzeswortlaut stellt allein auf die Festsetzung ab und knüpft gerade nicht daran an, ob und inwieweit es sich bei der festgesetzten Umsatzsteuer auch um die vom leistenden Unternehmer gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer handelt.
55bb) Die Klägerin hat die streitgegenständlichen Forderungen i.H.v. insgesamt 209.000 €, deren zugrundeliegenden Umsätze von O als leistender Unternehmer bei der Berechnung der erklärten und festgesetzten, aber von O (teilweise) nicht bezahlten USt-VZ für Dezember 2013 bis Februar 2014 berücksichtigt wurden (vgl. zwischen den Beteiligten abgeschlossene tatsächliche Verständigung), einschließlich der darin enthaltenen Umsatzsteuer vereinnahmt.
56(a) Der BFH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung den Begriff der Vereinnahmung i.S. von § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG nach den Kriterien ausgelegt, die für die Vereinnahmung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 und Buchst. b UStG gelten (BFH, Urteil vom 22.06.2021 V R 16/20, BFHE 272, 563). Entsprechend der Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 und Buchst. b UStG ist auch für die Vereinnahmung i.S. von § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG maßgeblich, dass über die Gegenleistung (als den zu vereinnahmenden Betrag) wirtschaftlich verfügt werden kann (BFH, Urteil vom 22.06.2021 V R 16/20, BFHE 272, 563). Danach muss der Abtretungsempfänger eine Zahlung aus der abgetretenen Forderung erhalten, was auch im Rahmen einer sog. stillen Zession durch Gutschrift auf einem Konto erfolgen kann, das der Zedent beim Zessionar unterhält (BFH-Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107). Die Regelung des § 13c UStG setzt jedoch nicht voraus, dass der Abtretungsempfänger selbst die Forderung einzieht (BFH-Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107).
57Der Abtretungsempfänger haftet nach § 13c UStG für die im vereinnahmten und an ihn weitergeleiteten Forderungsbetrag enthaltene Umsatzsteuer, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter eine zur Sicherheit abgetretene Forderung eingezogen und den Erlös an den Abtretungsempfänger weitergeleitet hat (BFH-Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107; FG Münster, Urteil vom 16.04.2015 5 K 815/12, juris, rkr.). Dies gilt ebenfalls, wenn über das Vermögen des leistenden Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet wird und der Insolvenzverwalter die abgetretene Forderung einzieht oder verwertet (§ 166 Abs. 2 InsO; Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13c Rn. 38). In diesem Fall vereinnahmt der Abtretungsempfänger den vom Insolvenzverwalter eingezogenen Geldbetrag aufgrund seines durch die Abtretung begründeten Absonderungsrechts (Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13c Rn. 38; vgl. auch Abschn. 13c.1 Abs. 21 UStAE).
58(b) Die Klägerin hat nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze die vom vorläufigen Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X in der Zeit vom 00.02.2014 – 00.04.2014 eingezogenen und gegenüber der Klägerin am 12.08.2014 abgerechneten Forderungen vereinnahmt.
59(1) Der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X hat bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 00.05.2014 Forderungen der Klägerin eingezogen, welche O in folgender Höhe bei der Berechnung der festgesetzten, aber nicht (vollständig) bezahlten USt-VZ für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 berücksichtigt hat:
60Dezember 2013: 20.000 € (brutto; enthaltene USt: 3.193,27 €)
Januar 2014: 9.000 € (brutto; enthaltene USt: 1.436,97 €)
Februar 2014: 180.000 € (brutto; USt: 28.739,49 €)
Die vorgenannten Umstände und Beträge sind zwischen den Beteiligten unstreitig und die Beträge beruhen auf der zwischen den Beteiligten geschlossenen tatsächlichen Verständigung (Gerichtsakte Bl. 289).
65(2) Der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X hat die von ihm eingezogenen Forderungsbeträge einschließlich der darin enthaltenen Umsatzsteuer auch, soweit erforderlich, an die Klägerin weitergeleitet.
66Hinsichtlich der eingezogenen Forderungsbeträge, die von den Drittschuldnern unmittelbar auf das bei der Klägerin geführte Geschäftsgirokonto des O eingezahlt wurden, war eine tatsächliche Weiterleitung bzw. Auskehr an die Klägerin nicht erforderlich. Die Klägerin konnte bereits wirtschaftlich über die eingezahlten Beträge verfügen, da sich der negative Saldo des von O bei der Klägerin geführten Geschäftsgirokontos (Konto 0000000600) durch die Einzahlungen jeweils minderte (vgl. BFH-Urteil vom 22.06.2021 V R 16/20, BFH/NV 2021, 1622; Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13c Rn. 34). Wegen der vom Beklagten im Einzelnen geprüften und festgestellten Überziehung des gewährten Kreditrahmens sowie wegen des allgemeinen Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO konnte O auch nicht selbst über die auf seinem Konto eingezahlten Beträge verfügen. Der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X ging in seiner Abrechnung vom 12.08.2014 ebenfalls davon aus, dass es hinsichtlich der Zahlungen der Drittschuldner auf das bei der Klägerin geführte Geschäftsgirokonto 0000000600 keiner Auskehrung aus der Insolvenzmasse mehr bedürfte, da die Klägerin bereits über das Geld verfüge.
67Die eingezogenen Forderungsbeträge, welche Drittschuldner auf das Anderkonto, in bar oder auf das Geschäftskonto des O bei dem Kreditinstitut Y einzahlten, hat der Rechtsanwalt X im Wege der Auskehr an die Klägerin weitergeleitet. Den Hauptteil der eingezogenen Beträge hat Herr Rechtsanwalt X auf das Konto der Klägerin (IBAN: DE 0000000000 00000 00000) überwiesen, welche mit Gutschrift des Betrages auf ihrem Konto darüber verfügen konnte (BFH-Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107; Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13c Rn. 34a). Gegen den anderen Teil des grundsätzlich an die Klägerin auszukehrenden Betrages aus den eingezogenen Forderungen hat der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X mit Forderungen gegen die Klägerin im Rahmen der Abrechnung vom 12.08.2014 aufgerechnet. Das Erlöschen der eigenen Verbindlichkeit im Wege der Aufrechnung führte dabei ebenfalls zu einer Vereinnahmung bei der Klägerin (vgl. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB; Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13 Rn. 19; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG § 13 Rn. 105 „Aufrechnung“).
68Die danach vom vorläufigen Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 00.05.2014 eingezogenen und, soweit erforderlich, später weitergeleiteten Forderungsbeträge enthielten auch jeweils die Umsatzsteuer. Es handelte sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht um Nettobeträge. Die Umsatzsteuer ist zivilrechtlich ein unselbständiger Teil des abgetretenen Forderungsbetrags und jeder Teil der abgetretenen Forderung und des vereinnahmten Betrags enthält i.S. des § 13c UStG einen durch die Höhe des Steuersatzes bestimmten Umsatzsteueranteil (BFH, Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107 m.w.N.). Der (vorläufige) Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X hat den Umsatzsteueranteil für die in der Zeit vom 00.02.2014 bis zum 00.04.2014 eingezogenen Forderungen auch nicht einbehalten. Vielmehr hat er in seiner Abrechnung vom 12.08.2014 im Hinblick auf die Frage, ob eine eingezogene Forderung als Netto- oder als Bruttobetrag an die Klägerin auszukehren ist, gerade nach dem Zeitpunkt der Einziehung der Forderung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.05.2014 differenziert. Nur für die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingezogenen Forderungen behielt er den Umsatzsteueranteil unter Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO ein. Für die Zeit des Insolvenzeröffnungsverfahrens ging der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X hingegen von der Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO aus. Dies entsprach zu dem Zeitpunkt, also am 12.08.2014, auch der bisherigen Rechtsprechung (vgl. z.B. noch BFH-Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107) und der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF-Schreiben) vom 17.01.2012, IV A 3-S 0550/10/10020-05, BStBl I 2012, 120). Erst mit dem Urteil vom 24.09.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506), das am 03.12.2014 auf der Homepage des BFH veröffentlicht wurde, hat der BFH entschieden, dass für die Begründung von umsatzsteuerlichen Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO auch auf die Entgeltvereinnahmung durch einen vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter abzustellen ist.
69Die Klägerin hat den mit der Weiterleitung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X vereinnahmten Umsatzsteueranteil der Forderungen auch nicht zur Masse zurückgezahlt. Auch für den Rechtsanwalt X bestand keine Veranlassung, die Rückzahlung des bereits ausgekehrten Umsatzsteueranteils von der Klägerin zu fordern. Denn für das Insolvenzverfahren des O. ging die Finanzverwaltung weiterhin nicht davon aus, dass im Insolvenzeröffnungsverfahren vom vorläufigen Insolvenzverwalter vereinnahmte Entgelte eine umsatzsteuerliche Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO begründeten, da das Urteil des BFH vom 24.09.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506) von der Finanzverwaltung erstmalig auf Besteuerungstatbestände in Steuerfällen angewendet worden ist, bei denen die Sicherungsmaßnahmen vom Insolvenzgericht nach dem 31.12.2014 angeordnet worden sind (BMF-Schreiben vom 18.11.2015, IV A 3-S 0550/10/10020-05, BStBl I 2015, 886). Im Fall des O hatte das Amtsgericht N die Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Insolvenzverfahren aber bereits am 26.02.2014 beschlossen.
702. Der Erlass des Haftungsbescheides vom 25.10.2019 durch den Beklagten ist nicht zu beanstanden.
71a) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner) – wie der Abtretungsempfänger einer Forderung unter den Voraussetzungen des § 13c UStG –, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (BFH, Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107; FG Münster, Urteil vom 23.04.2020 5 K 2400/17, EFG 2020, 946).
72Der Abtretungsempfänger ist nach § 13c Abs. 2 Satz 1 UStG ab dem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, in dem die festgesetzte Steuer fällig wird, frühestens ab dem Zeitpunkt der Vereinnahmung der abgetretenen Forderung. Bei der Inanspruchnahme besteht abweichend von § 191 AO kein Ermessen (§ 13c Abs. 2 Satz 2 UStG). Im Fall der Haftung nach § 13c UStG handelt es sich danach bei einem nach § 191 AO erlassenen Haftungsbescheid um eine gebundene Entscheidung, für dessen Rechtsmäßigkeit es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt (Brandl in Bunjes, 21. Aufl. 2022, UStG § 13c Rn. 44; Leipold in Sölch/Ringleb, UStG § 13c Rn. 63; Haunhorst in Reiß/Krauesel/Langer, UStG § 13c Rn. 45; a.A. zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verhältnisse hingegen die Finanzverwaltung in Abschn. 13c.1 Abs. 40 UStAE).
73Die Haftung ist der Höhe nach begrenzt auf die im Zeitpunkt der Fälligkeit nicht entrichtete Steuer (§ 13c Abs. 2 Satz 3 UStG). Soweit der Abtretungsempfänger auf die nach § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG festgesetzte Steuer Zahlungen i.S. des § 48 AO geleistet hat, haftet er nicht (§ 13c Abs. 2 Satz 4 UStG; vgl. auch BFH, Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107).
74b) Der Beklagte durfte danach die Klägerin durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen, da diese – wie oben ausgeführt – für die festgesetzten, aber (teilweise) nicht gezahlten USt-VZ Dezember 2013 bis Februar 2014 nach § 13c UStG haftet. Die Haftungsbeträge übersteigen auch nicht die für die Monate Dezember 2013 bis Februar 2014 jeweils festgesetzten, aber noch nicht gezahlten USt-VZ.
75c) Die Inanspruchnahme der Klägerin als haftende Abtretungsempfängerin i.S.d. § 13c UStG ist weder ermessensfehlerhaft noch verstößt sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
76aa) Die Regelung des § 191 AO räumt der Finanzbehörde zwar grundsätzlich ein Ermessen ein, welches die Finanzgerichte im Rahmen der Grenzen des § 102 FGO dahingehend zu prüfen haben, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Im Fall der Inanspruchnahme des nach § 13c UStG haftenden Abtretungsempfängers – wie im vorliegenden Fall die Klägerin – steht der Erlass des Haftungsbescheides jedoch nach dem Gesetzeswortlaut des § 13 Abs. 2 Satz 2 UStG abweichend von § 191 AO nicht im Ermessen der Finanzbehörde (so auch entgegen der Ausführungen der Klägerin die Auffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 13c.1 Abs. 33 UStAE). Eine Prüfung, ob der Beklagte ein ihm zustehendes Ermessen rechtswidrig ausgeübt bzw. nicht ausgeübt hat, ist danach nicht vorzunehmen.
77Soweit die Klägerin anführt, dass sie ermessenswidrig vorrangig gegenüber dem Steuerschuldner in Anspruch genommen worden sei, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass bereits die Regelung des § 13c UStG eine nachrangige Inanspruchnahme des Abtretungsempfängers gegenüber dem Steuerschuldner darstellt. Denn eine Haftung kommt nach § 13c Abs. 1 UStG nur in Betracht, wenn die Steuerschuld festgesetzt und nicht bezahlt worden ist. Dementsprechend ist auch die Klägerin vom Beklagten nachrangig in Anspruch genommen worden. Der Beklagte hat sich zunächst an den leistenden Unternehmer O gewandt. Erst nachdem feststand, dass dieser die von ihm selbst angemeldete und daraufhin festgesetzte Umsatzsteuer trotz Fälligkeit nicht gezahlt hat – und wegen des anschließend eröffneten Insolvenzverfahrens auch nicht mehr zahlen wird – hat sich der Beklagte an die Klägerin gewendet.
78bb) Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin verstößt auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
79(a) Der Grundsatz von Treu und Glauben verlangt, dass im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (vgl. hier nur BFH, Urteil vom 10.06.2010 IV R 19/07, BFH/NV 2011, 209; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 139 m.w.N.).
80Für einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte. Es fehlt bereits an einem schützenswerten Vertrauenstatbestand. Die Klägerin durfte nicht darauf vertrauen, hinsichtlich der von Herrn Rechtsanwalt X eingezogenen und von ihr letztlich vereinnahmten Forderungsbeträge vom Beklagten nicht nach § 13c UStG in Anspruch genommen zu werden.
81(1) Der Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt nach außen hin gegenüber der Klägerin zum Ausdruck gebracht, von einer Inanspruchnahme als Haftungsschuldnerin gemäß § 13c UStG abzusehen. Vielmehr musste die Klägerin von Anfang mit der Möglichkeit einer Haftung als Abtretungsempfängerin nach § 13c UStG rechnen, da sie – wie oben ausgeführt – die im Insolvenzeröffnungsverfahren eingezogenen Forderungen auch jeweils mit dem Bruttobetrag, also einschließlich der Umsatzsteuer, vereinnahmt hat.
82(2) Die Klägerin konnte auch nicht aufgrund des BFH-Urteils vom 24.09.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506), nach dem die Entgeltvereinnahmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter umsatzsteuerliche Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO begründe, wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug bestellt, davon ausgehen, nicht als Abtretungsempfängerin nach § 13c UStG in Anspruch genommen zu werden.
83Es bestand zum einen für die Klägerin kein Anlass, davon auszugehen, dass es sich bei den an sie ausgekehrten Forderungsbeträgen um Nettobeträge handele und der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X den in den eingezogenen Forderungen enthaltenen Umsatzsteueranteil als umsatzsteuerliche Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO einbehalten und an den Beklagten abgeführt habe. So hat der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt X in seiner Abrechnung vom 12.08.2014 die Klägerin – wie bereits ausgeführt – explizit darauf hingewiesen, dass es sich bei sämtlichen in dem ausgekehrten Betrag enthaltenen Zahlungen von Altdebitoren, welche vor Insolvenzeröffnung eingegangen sind, um Bruttobeträge handele. Nur bei Zahlungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingezogen worden seien, handele es sich um Nettobeträge, da die Umsatzsteuer bereits von ihm, Herrn Rechtsanwalt X, an die Finanzbehörde abgeführt worden sei (vgl. Seite 7 der Abrechnung vom 12.08.2014). Diese Vorgehensweise entsprach auch zum Zeitpunkt der Auskehr der eingezogenen Forderungsbeträge der insoweit übereinstimmenden BFH-Rechtsprechung (vgl. z.B. noch BFH, Urteil vom 20.03.2013 XI R 11/12, BStBl II 2016, 107) und der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 17.01.2012, IV A 3-S 0550/10/10020-05, BStBl I 2012, 120), wonach die Vereinnahmung von Entgelten durch den vorläufigen Insolvenzverwalter keine umsatzsteuerlichen Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO begründete.
84Zum anderen konnte die Klägerin aufgrund des Verhaltens des Beklagten nicht davon ausgehen, dass er die in den eingezogenen Forderungen enthaltene Umsatzsteuer nachträglich als umsatzsteuerliche Masseverbindlichkeiten behandeln und Herrn Rechtsanwalt X als Insolvenzverwalter dafür in Anspruch nehmen werde. Zwar hat die Finanzverwaltung zwischenzeitlich die Anwendung des BFH-Urteils vom 24.09.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506) zunächst auf alle nach dem 01.01.2011 eröffneten Insolvenzverfahren vorgesehen (vgl. BMF-Schreiben vom 20.05.2015, IV A 3-S 0550/10/10020-05, BStBl I 2015, 476). Aber bereits mit nachfolgendem BMF-Schreiben vom 18.11.2015 hat die Finanzverwaltung die erweiterte Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO auf das Insolvenzeröffnungsverfahren auf solche Steuerfälle beschränkt, bei denen die Sicherungsmaßnahmen, welche die konkreten Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters begründen, vom Insolvenzgericht nach dem 31.12.2014 angeordnet wurden (BMF vom 18.11.2015, IV A 3-S 0550/10/10020-05, BStBl I 2015, 886). Danach fiel das Insolvenzverfahren des O nicht darunter, da das Amtsgericht N bereits mit Beschluss vom 26.02.2014 die Sicherungsmaßnahmen für das Insolvenzeröffnungsverfahren getroffen hatte. Aus diesem Grund ist die Klägerin auch keinem Rückforderungsanspruch des Insolvenzverwalters ausgesetzt, obwohl der Rechtsgrund für das „Behaltendürfen“ des Umsatzsteueranteils nicht mehr bestehen dürfte.
85(b) Die unterbliebene Geltendmachung der in den eingezogenen Forderungen enthaltenen und von der Klägerin vereinnahmten Umsatzsteuer als umsatzsteuerliche Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO steht auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Haftung nach § 13c UStG nicht entgegen. Die Regelung des § 13c UStG ist mit höherrangigem Recht sowie allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbar (BFH vom 20.03.2013 XI R 11/12, BFHE 241, 89). Die Voraussetzungen des Haftungstatbestandes nach § 13c UStG sind – wie oben ausgeführt – erfüllt. Es liegt auch kein atypischer Fall vor. Vielmehr war der Steuerausfall in den Fällen, in denen der leistende Unternehmer in Insolvenz gerät und dieser die Umsatzsteuer wegen der vorherigen Sicherungsabtretung der Entgeltforderungen nicht mehr bezahlen kann, Anlass für die Einführung der Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG (Brandl in Bunjes, 21. Auflage 2022, UStG § 13c Rz. 1 ff.). Die Inanspruchnahme der Klägerin entspricht damit dem mit der Regelung des § 13c UStG verfolgten Zweck. Sie ist insoweit auch erforderlich und angemessen.
863. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
874. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
885. Die Revision ist nicht zuzulassen. Es liegen keine Revisionsgründe i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO vor. Es war nach Maßgabe der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Haftung nach § 13c UStG vorliegen und der Erlass eines darauf gestützten Haftungsbescheides i.S.d. § 191 AO im konkreten Fall der Klägerin ermessensfehlerhaft war oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.
89… … …