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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
I.
2Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung von Aussetzungszinsen zur Erbschaftsteuer. Er hegt verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Aussetzungszinsen.
3Der Antragsgegner setzte gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 24.03.2021 Aussetzungszinsen zur Erbschaftsteuer in Höhe von insgesamt 15.732 EUR fest. Der zu verzinsende Betrag belief sich auf 82.800 EUR. Er wurde mit 0,5 v. H. pro Monat über einen Zeitraum vom 20.12.2017 bis zum 18.02.2021 verzinst, wobei der Antragsgegner von einem Zinszeitraum von 38 vollen Monaten ausging. Der Antragsgegner erläuterte, der Einspruch gegen die Feststellung des Grundbesitzwertes habe nur teilweise Erfolg gehabt, der Erbschaftsteuerbescheid für den Antragsteller als Erwerber nach Frau S. O. sei geändert worden.
4Den gegen den Bescheid vom 24.03.2021 wegen der Höhe des Zinssatzes erhobenen Einspruch wies der Antragsgegner nach Ergehen der Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) mit Einspruchsentscheidung vom 02.09.2022 zurück. Die dagegen am 19.09.2022 erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen 3 K 2249/22 beim Finanzgericht Münster anhängig.
5Der Antragsteller beantragte Mitte September 2022 beim Antragsgegner, den angefochtenen Zinsfestsetzungsbescheid von der Vollziehung auszusetzen. Das lehnte der Antragsgegner am 11.10.2022 ab. Zur Begründung führte er aus, es seien keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ersichtlich. Da es um die Frage der Verfassungswidrigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes gehe, sei ein besonderes berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung erforderlich, für welches im Streitfall weder Gründe vorgetragen noch anderweitig ersichtlich seien. Überdies sei die Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 der Abgabenordnung – AO –) nicht verfassungswidrig. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) lediglich über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen entschieden und unter Rz. 242 jenes Beschlusses dargelegt, dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich u. a. auf Aussetzungszinsen, nicht in Betracht komme. Anders als bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen sei die Entstehung von Aussetzungszinsen grundsätzlich auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückzuführen, d. h., er habe die Wahl, ob er den Zinstatbestand verwirkliche und den monatlichen Zinssatz von 0,5 v. H. (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) hinnehmen wolle. Im Streitfall sei die Aussetzung der Vollziehung auf Antrag des Steuerpflichtigen und nicht von Amts wegen gewährt worden. Mit den Aussetzungszinsen sollten die Zinsnachteile des Steuergläubigers ausgeglichen werden, welcher den Abgabenbetrag nicht bereits bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung erhalte. Die vor dem Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) ergangene Rechtsprechung anderer Gerichte sei durch dessen Entscheidung überholt. Insbesondere betreffe das den BFH-Beschluss vom 03.09.2018 (VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279), dessen Begründung angesichts der im BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) aufgezeigten grundlegenden Unterschiede zwischen der Voll- und Teilverzinsung obsolet geworden sei. Der Beschluss des FG Münster vom 31.08.2018 (9 V 2360/18 E, EFG 2018, 1821) habe zwar diese Unterschiede berücksichtigt. Allerdings sei der 9. Senat des FG Münster bei seiner lediglich summarischen Prüfung in nicht nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass der normale Vollzug geltenden Rechts als Strafe oder Belohnung angesehen werden könne und die typisierte Abgeltung des Liquiditätsvorteils den Misserfolg eines Rechtsbehelfs zusätzlich „bestrafen“ bzw. den Erfolg eines Rechtsbehelfs „belohnen“ würde.
6Bei der Höhe der Aussetzungszinsen von monatlich 0,5 v. H. sei auch zu berücksichtigen, dass das außergerichtliche Verfahren kostenlos sei. Mangels Kostenrisikos könne nur die Pflicht zur Verzinsung ausgesetzter Steuerschulden ein Rechtsbehelfsverfahren ohne ernsthafte Erfolgschancen verhindern, denn § 361 Abs. 2 Satz 1 AO verlange für die Aussetzung der Vollziehung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Für das gerichtliche Verfahren sollten die Aussetzungszinsen verhindern, dass die Prozesskosten geringer seien als der Zinsvorteil, der dem letztlich unterliegenden Kläger infolge der Aussetzung der Vollziehung und der damit bedingten späteren Zahlung erwachse. Sie stellten schließlich den Gegenpart zu den Prozesszinsen (§ 236 AO) dar, welche sich zugunsten des obsiegenden Klägers ebenfalls auf 0,5 v. H. pro Monat belaufen würden.
7Mit seinem am 17.10.2022 bei Gericht eingegangenem Antrag verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.
8Er vertritt – auch unter Bezugnahme auf Stimmen in der steuerrechtlichen Literatur – die Auffassung, dass die Höhe der Aussetzungszinsen verfassungswidrig sei. Zur Begründung trägt er vor, dass der Zinssatz von jährlich 6 v. H., der deutlich über dem Marktniveau liege, den Effekt einer zusätzlichen Strafe bei einem erfolglos geführten Rechtsbehelfsverfahren habe. Auch nach dem Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) bleibe die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen für Zeiträume vor dem Jahr 2019 zu prüfen.
9Das bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der streitentscheidenden Norm erforderliche besondere Aussetzungsinteresse sei gegeben.
10Das BVerfG habe in der vorgenannten Entscheidung vom 08.07.2021 bereits eine ähnliche Vorschrift, § 233a AO (in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) für verfassungswidrig erklärt. In dieser Entscheidung habe das BVerfG für Aussetzungszinsen i. S. des § 237 AO bemerkt, dass diese einer gesonderten verfassungsgerichtlichen Würdigung bedürften. Die zu Säumniszuschlägen ergangene BFH-Entscheidung vom 20.09.2022 (II B 3/22, BB 2023, 101) sei nicht übertragbar auf die Regelungen des § 237 AO, weil die Aussetzungszinsen den Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO wesensmäßig näherständen als die Säumniszuschläge.
11Sein besonderes Aussetzungsinteresse ergebe sich auch daraus, dass er ausweislich des Einkommensteuerbescheides 2020 vom 30.08.2021 über einen jährlichen Gesamtbetrag der Einkünfte von 49.141 EUR verfüge. Abzüglich der anteiligen Einkommensteuer und der Krankenversicherungsbeiträge entspreche dies einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 2.750 EUR. Die Aussetzungszinsen von 15.732 EUR überstiegen diesen Betrag um fast das Sechsfache. Da er über keine signifikanten Spareinlagen verfüge, sondern sich bei Saldierung seiner Konten sogar ein Schuldposten gegenüber der Bank ergebe, erscheine die Zahlung der Aussetzungszinsen nicht möglich. Er habe außer dem Mehrfamilienhaus, aus welchem er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 36.819 EUR im Jahr 2020 und damit mehr als 70 v. H. seiner gesamten Einkünfte erzielt habe, nur verhältnismäßig geringe Barmittel geerbt, welche er in dieses Mietobjekt investiert habe. Eine Vollziehung würde bei ihm zu irreparablen Nachteilen führen, weil er die Mittel zur Begleichung der möglicherweise verfassungswidrigen Zinsen nicht aufbringen könne.
12Am 02.02.2023 ist ein geänderter Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen ergangen, mit welchem die Aussetzungszinsen auf der Grundlage eines Zinszeitraums von 37 vollen Monaten auf den Betrag von 15.318 EUR herabgesetzt worden sind.
13Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
14den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen vom 24.03.2021 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2022 und des Bescheides vom 02.02.2023 von der Vollziehung auszusetzen.
15Der Antragsgegner beantragt,
16den Antrag abzulehnen.
17Der Antragsteller vertritt die Ansicht, der BFH habe das Vorliegen eines besonderen Aussetzungsinteresses insbesondere dann bejaht, wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohten oder wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum läge. Beides sei im Streitfall nicht erkennbar. Die Summe der den Aussetzungszinsen zugrunde liegenden Erbschaftsteuer setze den Erwerb entsprechenden Vermögens voraus. Der Antragsteller habe keine Nachweise zu seiner Vermögenslage, wie z. B. Kontoauszüge, vorgelegt. Es sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller aus dem steuerpflichtigen Erwerb die Mittel zur Zahlung der geforderten Auszahlungszinsen zur Verfügung ständen.
18II.
19Der Antrag ist unbegründet.
201. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Steuerbescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 IX B 21/18, BFHE 260, 431; vom 20.05.1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, jeweils m. w. N.).
21Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm setzt die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt. Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 19.02.2018 II B 75/16, BFH/NV 2018, 706, m. w. N.).
22Der BFH hat in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm beruhen, in verschiedenen Fallgruppen dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt, und zwar dann, wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen, wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt, wenn das BVerfG eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte, wenn der BFH die vom Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hatte, wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des bisher zulässigen Abzugs von laufenden erwerbsbedingten Aufwendungen als Werbungskosten bestehen oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage oder um ausgelaufenes Recht geht (z.B. BFH-Beschlüsse vom 01.04.2010 II B 168/09, 149, BStBl. II 2010, 558; vom 20.09.2022 II B 3/22, BB 2023, 101; zuletzt offen gelassen, ob am Erfordernis eines besonderen Aufhebungsinteresses weiter festzuhalten ist, vgl. BFH-Beschluss vom 28.10.2022 VI B 48/22, BFH/NV 2023, 17, m. w. N.).
23a. Bei Anwendung dieser Grundsätze fehlt es im Streitfall selbst für den Fall, dass Zweifel bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der in § 237 i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegten Zinshöhe bestünden, an dem erforderlichen besonderen berechtigten Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides.
24Soweit der Antragsteller auf den Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) abstellt, hat das BVerfG darin keine der hier streitgegenständlichen Norm ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt. Der Beschluss des BVerfG befasst sich ausschließlich mit der Vollverzinsung gemäß § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 AO. Diese erklärt er für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG und ordnet eine Fortgeltung des bisherigen Rechts bis zum 31.12.2018 und eine Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 an. Das BVerfG hat in diesem Beschluss ausdrücklich dargelegt, dass sich die Unvereinbarkeitserklärung nicht auf die anderen Verzinsungstatbestände, insbesondere nicht auf die hier streitgegenständlichen Aussetzungszinsen nach § 237 AO erstrecke, weil deren Verwirklichung von einem Verhalten des Steuerpflichtigen abhänge.
25Daraus ergibt sich, dass sich ein einfacher Gleichlauf der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Höhe der Zinsen nach § 233a AO und § 237 AO verbietet. Soweit der BFH bzw. die Finanzgerichte in ihrer früheren Rechtsprechung zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2012 verneint haben (z. B. BFH-Beschlüsse vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279; vom 04.07.2019 VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060; FG Münster, Beschluss vom 31.08.2018 9 V 2360/18 E, EFG 2018, 1821), haben sie jedenfalls kein beim BVerfG anhängiges konkretes Normenkontrollverfahren in einem Hauptsacheverfahren initiiert.
26Es ist auch weder nach dem Vortrag des Antragstellers noch nach Aktenlage erkennbar, dass dem Antragsteller durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen würden. Zwar hat der Antragsteller dargelegt, er habe nur wenige Spareinlagen, und eine Kontenübersicht einer nicht näher bezeichneten Volksbank mit seinem Namen und dem Zusatz „sen.“ sowie der Nummer […] vorgelegt, die zu einem undatierten Stichtag einen Negativsaldo von ./. 1.756,30 EUR ausweist. Abgesehen davon, dass unklar geblieben ist, ob es sich dabei um die einzigen Konten des Antragstellers handelt, hat er nichts dazu vorgetragen, in welcher konkreten Höhe er liquide Mittel geerbt hat bzw. sie ihm monatlich, u. a. aus der aus dem Einkommensteuerbescheid 2020 ersichtlichen Altersrente zufließen, und ob ihm zumindest angesichts der erheblichen positiven Einkünfte aus dem geerbten Mehrfamilienhaus eine Kreditaufnahme möglich gewesen wäre.
27Soweit der Antragsteller sich darauf stützt, dass er die aufgelaufenen Aussetzungszinsen aus seinem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum aufbringen müsste, lässt sich daraus für die vorliegende Problemlage kein berechtigtes Interesse ableiten, das gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurücktreten müsste. Die vom BFH entwickelte Fallgruppe bezieht sich auf die Einkommensteuer und die hierfür geltende verfassungsrechtliche Prämisse, dass das Existenzminimum steuerfrei bleiben muss (vgl. BFH-Beschluss vom 25.07.1991 III B 555/90, BStBl. II 1991, 876). Im Streitfall geht es indes um die Erbschaftsteuer, die – einschließlich der steuerlichen Nebenleistungen wie etwaiger Aussetzungszinsen gemäß §§ 3 Abs. 4 Nr. 4, 237 AO – aus dem steuerpflichtigen Erwerb zu entrichten ist. Im Streitfall liegt es bei einer festgesetzten Erbschaftsteuer von mehr als 80 TEUR nahe, dass ein entsprechend werthaltiger Erwerb besteuert wird, der die absolute Höhe der Aussetzungszinsen von weniger als 20 TEUR (auch unter Einbeziehung der Erbschaftsteuerlast) deutlich überschreitet. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständlichen Aussetzungszinsen auf einen vom Steuerpflichtigen gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Erbschaftsteuer zurückgehen und er die monatlich gestiegene Zinslast durch Steuerzahlung – ggf. unter Einsatz der ererbten Barmittel oder durch Kreditaufnahme – grundsätzlich hätte abwenden können. Ein Vergleich zwischen der absoluten Höhe der festgesetzten Auszahlungszinsen von 15.318 EUR und einem monatlichen Nettoeinkommen des Antragstellers von ca. 2.750 EUR ist vor diesem Hintergrund nicht zielführend. Da sich der monatlich anfallende Zinsbetrag auf 0,5 v. H. der festgesetzten Steuer beläuft, hätte für den Antragsteller vielmehr Anlass bestanden, von seinem laufenden Einkommen monatlich etwas dafür zurückzulegen oder sich anderweitig auf die Zinszahlung vorzubereiten. Letztlich haben sich die aufgelaufenen Zinsen monatlich um lediglich 414 EUR erhöht. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Summe bei durchschnittlichen monatlichen Mieteinkünften von ca. 3.000 EUR nicht hätte in die Finanzplanung einbezogen werden können. Auch eine Gefährdung des Existenzminimums wäre dabei – anhand der präsenten Beweismittel und der Aktenlage – nicht zu befürchten gewesen.
28b. Überdies bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Aussetzungszinsen (§ 237 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO) von 0,5 v. H. im Monat. Ernstliche Zweifel ergeben sich nicht bereits deshalb, weil das BVerfG mit Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt hat, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5 v. H. pro Monat zugrunde gelegt wird.
29Die Regelung zur Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile abschöpfen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dementsprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung. Eine darüber hinaus gehende Lenkungsfunktion kommt der Zinsregelung nicht zu (vgl. BFH- Beschluss vom 28.10.2022 VI B 15/22, DStR 2022, 2437, m. w. N.). Die Kontrolle des Zinssatzes unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hat das BVerfG darauf beschränkt, ob der Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 AO evident unzureichend ist, den durch die Vollverzinsung auszugleichenden Vorteil realitätsgerecht abzubilden (BVerfG vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, Rz. 153), und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der zunächst aufgrund verfassungsgemäßer Erwägungen in § 238 Abs. 1 AO verankerte Zinssatz aufgrund der tatsächlichen veränderten Bedingungen spätestens im Jahr 2014 als evident realitätsfern erwiesen habe und damit verfassungswidrig geworden sei (BVerfG vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, Rz. 214).
30Allerdings hat das BVerfG es abgelehnt, die Unvereinbarkeitserklärung auf die weiteren Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung auszudehnen (BVerfG vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282, Rz. 242 f) und zur Begründung ausgeführt, dass die Teilverzinsungstatbestände lediglich bestimmte, konkret umschriebene Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen verzinsen, nämlich die zeitlich nach hinten verschobene Zahlung der festgesetzten und fälligen Steuer. Die Entstehung der Aussetzungszinsen ist grundsätzlich auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückzuführen bzw. er hat grundsätzlich die Wahl, ob er den Zinssatz von 0,5 v. H. pro Monat hinnehmen oder die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen möchte. Die Aussetzung der Vollziehung und die damit zusammenhängende Verzinsungspflicht kann der Steuerpflichtige jederzeit durch Zahlung des ausgesetzten Betrages beenden. Darüber hinaus haben Steuerpflichtige die Möglichkeit, im Wege des Rechtsbehelfs gegen eine ihnen gegen ihren Willen aufgedrängte Aussetzung der Vollziehung vorzugehen und so die nachteiligen Zinsfolgen zu vermeiden.
31Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen, denen sich der erkennende Senat in vollem Umfang anschließt, hält der Senat die Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 v. H. pro Monat für verfassungsgemäß. Weder ist von einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG von Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen zu leisten haben, im Vergleich mit denjenigen, die Aussetzungszinsen zu zahlen haben, auszugehen, noch schränkt die Zinsregelung die allgemeine Handlungsfreiheit der betroffenen Steuerpflichtigen i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG in verfassungswidriger Weise ein. Neben den bereits in Bezug genommenen Erwägungen des BVerfG ist dabei aus Sicht des Senats zusätzlich zu berücksichtigen, dass sich der Zweck der Aussetzungszinsen im Gegensatz zur Regelung der Vollverzinsung nicht in der Abschöpfung eines Vorteilsausgleichs erschöpft. Eingeführt als Pendant zu den Prozesszinsen sollen die Aussetzungszinsen auch zur Vermeidung unnötiger Prozesse beitragen. Wenn von Beginn der Rechtshängigkeit an Überzahlungen von Steuern verzinst werden, soll das Gleiche auch für Nachzahlungen gelten (vgl. BFH-Urteile vom 31.03.2010 II R 2/09, BFH/NV 2010, 1602; vom 01.07.2014 IX R 31/13, BStBl. II 2014, 925, m. w. N.). Bei der Entscheidung für oder gegen einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird deshalb der Steuerpflichtige nicht nur die Höhe eines gegebenenfalls günstigeren Zinssatzes auf dem Kapitalmarkt einbeziehen, sondern auch sein Prozessrisiko und etwaig ihm im Obsiegensfalle zukommende Prozesszinsen, die sich ebenfalls auf 0,5 v. H. pro Monat belaufen, berücksichtigen.
32Das gilt auch, soweit ab dem 01.01.2019 gemäß § 238 Abs. 1a AO für Nachzahlungszinsen und Erstattungszinsen lediglich ein Zinssatz von 0,15 v. H. pro Monat anfällt, während sich Aussetzungszinsen weiterhin gemäß § 238 Abs. 1 AO auf 0,5 v. H. pro Monat belaufen.
33c. Es bestehen auch keine anderweitigen, aus einfachgesetzlichem Recht bzw. aus Tatfragen herrührenden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Aussetzungszinsen zur Erbschaftsteuer. Insbesondere hat der Antragsgegner zwischenzeitlich die für den Zeitraum vom 20.12.2017 bis 18.02.2021 angefallenen Aussetzungszinsen zutreffend auf der Grundlage von 37 vollen Monaten festgesetzt.
34d. Eine Aussetzung der Vollziehung § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO wegen unbilliger Härte kommt nicht in Betracht. Weder hat der Antragsteller hierfür Anhaltspunkte vorgetragen noch ergeben sie sich aus den Akten.
352. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die im gerichtlichen Verfahren erfolgte Teilabhilfe im Umfang von 414 EUR führt nur zu einem geringen Unterliegen des Antragsgegners.
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