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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bei der Anwendung des sog. vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 200 ff. Bewertungsgesetz – BewG) Aufwendungen in Form von Zollabgaben samt darauf angefallener Zinsaufwendungen, über die im Rahmen eines Rechtsstreits mit einem Staat im europäischen Ausland entschieden wurde, als außerordentliche Aufwendungen den Ausgangswerten hinzuzurechnen sind.
3Die Klägerin ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu 100% ein Tochterunternehmen der mit Beschluss vom 02.11.2023 beigeladenen D GmbH.
4Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die (Zoll-)Spedition zwischen West- und Osteuropa. Von 19xx bis zum Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) in 2004 war die Klägerin in mehreren eigenen Büros an der deutsch-polnischen Grenze tätig und erstellte in dieser Funktion unter anderem Versanddokumente (Zollversandscheine) für Importeure.
5In diesem Rahmen erstellte sie im Jahr 1992 Dokumente für Lieferungen nach E im europäischen Ausland. Diese Dokumente sollten an das Bestimmungszollamt E übermittelt werden. Aus ungeklärten Umständen wurden in fünf Fällen die Zolldokumente durch professionelle Personen mit betrügerischen Absichten nicht nach E übermittelt bzw. wurden zuvor von unbekannten Personen abgefangen. Teilweise verschwanden auch die Lieferungen vollständig und konnten nicht zurückverfolgt werden. Der ausländische Staat nahm die Klägerin als Schuldnerin der Zollabgaben in Anspruch. Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor den ausländischen Gerichten wurde die Klägerin hinsichtlich dieser fünf Vorgänge zuletzt am xx.xx.2012 von dem ausländischen Gericht [...] zur Zahlung von Zollabgaben i. H. v. 3.932.080 der ausländischen Währung zuzüglich Verzugszinsen verurteilt. Ein Rechtsmittel wurde letztinstanzlich durch das dortige oberste Gericht am xx.xx.2015 abschlägig beschieden [...]. Die Zollschulden und Nebenkosten (ohne Zinsen) i. H. v. insgesamt 103.763 EUR zahlte die Klägerin in zwei Raten in den Jahren 2015 und 2016. Aufgrund eines Vergleichsvertrags vom xx.xx.2016 erstattete die Versicherung der Klägerin für die Inanspruchnahme einen Betrag von 96.000,- EUR. Die Verzugszinsen zur Hauptschuld wurden zu Lasten der Klägerin mit 142.770 EUR festgesetzt. Die Klägerin traf mit den ausländischen Behörden hinsichtlich der Verzugszinsen eine Vereinbarung über Ratenzahlungen bis zum Februar 2022.
6In anderen Fällen, in denen es zur Inanspruchnahme als Abgaben- und Haftungsschuldnerin kam, konnte die Klägerin regelmäßig ihre Ansprüche gegenüber den Importeuren oder der eigens dafür abgeschlossenen Haftpflichtversicherung durchsetzen. Zu einer häufigen Inanspruchnahme kam es in dem Zeitraum von 1991 bis zum xx.xx.1994. Dort wurde die Klägerin als Spediteurin in nahezu 100 Fällen für Eingangsabgaben durch die jeweiligen Hauptzollämter in Anspruch genommen. In diesem Zuge verauslagte die Klägerin insgesamt Gebühren und Nebenleistungen i. H. v. 121.757 DM gegenüber den deutschen Hauptzollämtern. Diese Schadensfälle rechnete die Klägerin mit der Haftpflichtversicherung ab. Die direkte Inanspruchnahme der Klägerin durch die den deutschen Hauptzollämtern nachgeordneten örtlichen Zollämter in über 1000 Fällen wurde mit den jeweiligen Kunden ohne Einschaltung der Haftpflichtversicherung abgewickelt. Diese Vorfälle entstanden größtenteils aufgrund des Beitritts der DDR zur EU im Rahmen der Wiedervereinigung. Vielen Spediteuren und Lieferanten waren damals die Formalitäten der Zollabfertigung nicht bekannt, weshalb die Spediteure als Haftungsschuldner für Zollabgaben in Anspruch genommen wurden.
7Weitere höhere Inanspruchnahmen im Betrachtungszeitraum von 2014 bis 2016, als auch in den Jahren 2004 bis 2014, erklärte die Klägerin nicht. Es sind keine weiteren Gerichtsverfahren vergleichbar zu dem Verfahren in dem ausländischen Staat anhängig.
8Zum xx.xx.2017 schenkte der mit Beschluss vom 02.11.2023 beigeladene Herr B seine Anteile (...%) an der D GmbH dem ebenfalls mit Beschluss vom 02.11.2023 beigeladenen Herrn C.
9Aufgrund einer internen Anforderung an den Zentralbearbeiter gesonderte Feststellung des Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften, Betriebsvermögen sowie sonstigen Vermögensgegenständen und Schulden (ZAB) stellte der Beklagte gegenüber der D GmbH und den Beigeladenen mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG für Zwecke der Schenkungsteuer auf den 01.01.2017 vom 10.05.2019 den Wert des erworbenen Anteils am Betriebsvermögen der D GmbH auf 427.502 EUR unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Von dieser Feststellung waren auch die von der D GmbH gehaltenen Anteile an der hiesigen Klägerin umfasst. Am 06.07.2020 beantragte die beigeladene D GmbH die Änderung des Feststellungsbescheides dahingehend, dass die bisherige Bilanz der Klägerin zum 31.12.2016 unter Berücksichtigung der Zinsverbindlichkeit gegenüber dem ausländischen Staat i. H. v. 142.770 EUR angepasst werde und die Zinsaufwendungen bei der Anteilsbewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren berücksichtigt werden. Eine Bewertung mit dem Substanzwert von 31.170 EUR sei angebracht. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2020 ab. Bei der Wertermittlung der Anteile der Klägerin seien die Gewinne aus den für das vereinfachte Ertragswertverfahren maßgeblichen Jahren 2014 bis 2016 um außerordentliche Aufwendungen und Erträge zu korrigieren, § 202 Abs. 1 BewG. Als solche außerordentlichen Erträge und Aufwendungen erfasste der Beklagte die Zahlung der Zollschuld sowie die Erstattung der Versicherung. Auch die dazugehörige Zinsschuld sei ein außerordentlicher Aufwand, welcher einheitlich mit der Hauptschuld zu behandeln sei und keinen Einfluss auf den zukünftig nachhaltig zu erzielenden Jahresertrag habe.
10Die beigeladene D GmbH legte am 16.10.2020 Einspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass es sich bei den Zinsen um gewöhnliche Aufwendungen aus der regelmäßigen Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens (der Klägerin) handle. Allein die Zusammenballung der Zinsaufwendungen sei keine Außergewöhnlichkeit. Auch sei die den Zinsen zugrundeliegende Inanspruchnahme für Zollabgaben kein außergewöhnlicher Vorgang bei Zollspeditionen.
11Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.2021 als unbegründet zurück und führte aus, § 202 Abs. 1 S. 2 BewG korrigiere solche Vermögensminderungen und Vermögensmehrungen, die einmalig seien und als Sondereinflüsse die nachhaltige Ertragskraft des Unternehmens nicht berühren. Das vereinfachte Ertragswertverfahren solle den Wert des Unternehmens anhand des Zukunftsertrags abbilden. Aufwendungen wie die Vorliegenden seien aber nicht repräsentativ und würden sich zukünftig voraussichtlich nicht wiederholen, seien also atypisch. Das begründe eine Außerordentlichkeit. Im Gesamtbild sei die Zinszahlung in der vorliegenden Höhe als einmaliges Ereignis anzusehen. Dieses Ereignis resultiere aus einem langjährigen Rechtsstreit betreffend das Jahr 1992, welcher sich aus fünf Vorgängen zusammensetze und damit auch aufgrund der Zusammenballung keinen gewöhnlich geplanten Ablauf darstelle.
12Gegen den Ablehnungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung erhob die beigeladene D GmbH am 07.10.2021 vor dem hiesigen Senat des Finanzgerichts Münster unter dem Aktenzeichen [...] Klage. Zur Begründung führte die Beigeladene an, es habe für die handelsrechtliche Rechnungslegung in § 277 Abs. 4 HGB bis zur Änderung durch das BILRUG ab 2016 eine Legaldefinition für außerordentliche Aufwendungen und außerordentliche Erträge gegeben. Danach handele es sich dabei um Erträge und Aufwendungen, die außerhalb der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit einer Kapitalgesellschaft anfallen. Ungewöhnlich in diesem Zusammenhang seien Aufwendungen und Erträge nur dann, wenn sie keinen eindeutigen Bezug zur gewöhnlichen Geschäftstätigkeit von Unternehmen haben. Die Inanspruchnahme für Eingangsabgaben wie Zoll und Einfuhrumsatzsteuer sei eine Folge der regulären Geschäftstätigkeit einer Zollspedition. Es sei üblich, dass eine Zollspedition für Leistungsstörungen in Anspruch genommen werde.
13Deshalb seien auch die Zahlungen der Zollabgaben inklusive Nebenleistungen und Zinsen keine außerordentlichen Aufwendungen i. S. v. § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG. Die Höhe der Zinsen sei lediglich deshalb so ungewöhnlich hoch, da diese über einen langen Zeitraum angelaufen seien, weshalb sie die Hauptschuld überstiegen. Die ratierliche Zahlung der Zinsverbindlichkeit gegenüber dem ausländischen Staat habe den regelmäßigen Geschäftsbetrieb der Klägerin in den Folgejahren belastet und Mittel zur Ausschüttung bis mindestens zum Geschäftsjahr 2022 aufgezehrt. Damit sei auch eine Auswirkung auf zukünftige Jahre eingetreten. Eine Insolvenz habe nur wegen der Ratenzahlungsvereinbarung abgewendet werden können. Deshalb sei hier der Mindestwert, § 11 Abs. 2 S. 3 BewG, zur Bewertung der Anteile heranzuziehen.
14Am 02.05.2023 forderte der Beklagte intern die Bedarfswertfeststellung hinsichtlich der Anteile an der Kapitalgesellschaft bei dem zuständigen Sachbearbeiter (ZAB) an. Die Klägerin reichte die Feststellungserklärung am 16.06.2023 ein. Im Rahmen der Feststellungserklärung übte die Klägerin ihr Wahlrecht für die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahren aus (Anlage Betriebsvermögen für Anteile an Kapitalgesellschaften, S. 2 Zeile 32). Gleichzeitig reichte sie die Anlage zur Ermittlung des Substanzwerts ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 03.08.2023 einen erstmaligen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft für die Klägerin. Den Wert des Anteils stellte der Beklagte in diesem Bescheid auf 486.775 EUR fest.
15Aufgrund des für die Klägerin ergangenen Feststellungsbescheides erklärten die beigeladene D GmbH und der Beklagte den Rechtsstreit unter dem Az. [...] übereinstimmend für erledigt.
16Gegen den Feststellungsbescheid vom 03.08.2023 hat die Klägerin am 01.09.2023 Sprungklage erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin auf das unter dem Az. [...] geführte Verfahren verwiesen.
17Die Klägerin beantragt,
18den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils am Betriebsvermögen (§ 97 BewG) nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BewG für Zwecke der Schenkungsteuer auf den 01.01.17 vom 03.08.2023 dahingehend zu ändern, dass der Wert des Anteils am Betriebsvermögen auf 31.170 EUR herabgesetzt wird,
19hilfsweise, für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen,
22hilfsweise, für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
23Der Beklagte hat die Zustimmung zur Sprungklage am 14.09.2023 erteilt. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung verweist er auf das Senatsurteil zum Az. [...].
24Die Gerichtsakten des Finanzgerichts Münster [...] sind ebenso wie die Verwaltungsakte zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der beigeladenen D GmbH beigezogen worden. Der Senat hat am 05.12.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist zulässig (II.), jedoch unbegründet (III.).
27I. Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass beantragt wird, den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Bewertungsgesetzes (BewG) für Zwecke der Schenkungsteuer auf den 01.01.17 vom 03.08.2023 dahingehend zu ändern, dass der Wert des Anteils an einer Kapitalgesellschaft auf 31.170 EUR herabgesetzt wird.
28Anträge sind entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auszulegen. Der in der Erklärung verkörperte Wille ist anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Der Antrag ist so auszulegen, dass das Ergebnis dem Willen eines verständigen Klägers entspricht. Dies gilt insbesondere, wenn sich aus der Klagebegründung der wahre Wille ergibt (vgl. BFH, Urteil vom 27.10.1992, VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569, Rn. 47).
29Vorliegend sind sowohl der Kläger als auch der Beklagte von einer gesonderten und einheitlichen Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BewG ausgegangen.
30II. Die als Sprungklage gem. § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhobene Anfechtungsklage ist zulässig. Gemäß § 45 Abs. 1 FGO ist die Klage ohne Vorverfahren zulässig, wenn die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hätte, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Der Beklagte hat im Klageerwiderungsschriftsatz vom 14.09.2023 der am 01.09.2023 erhobenen Sprungklage die Zustimmung erteilt.
31III. Die Klage ist unbegründet.
321. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an der Klägerin nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BewG für Zwecke der Schenkungsteuer auf den 01.01.2017 vom 03.08.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO. Der Beklagte hat die Aufwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit den vom ausländischen Staat festgesetzten Zollabgaben samt Nebenleistungen und Verzugszinsen zutreffend nach § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG dem Ausgangswert für die Jahre 2014 – 2016 hinzugerechnet. Die Leistung der Versicherung war nach § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) BewG abzuziehen.
33Gemäß § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BewG ist der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften gesondert festzustellen (§ 179 Abgabenordnung), wenn dieser für die Erbschaftsteuer von Bedeutung ist.
34Nach § 157 Abs. 4 BewG wird der Anteilswert unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse und der Wertverhältnisse zum Bewertungsstichtag festgestellt und ist unter Anwendung des § 11 Abs. 2 BewG zu ermitteln. Anteile an Kapitalgesellschaften, die – wie im Streitfall - nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen, sind gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln. Dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde. Gemäß § 11 Abs. 2 S. 4 BewG kann anstelle eines individuellen Ertragswertverfahrens auch das vereinfachte Ertragswertverfahren nach §§ 199 bis 203 BewG angewendet werden.
35Nach § 199 Abs. 2 BewG kann das vereinfachte Ertragswertverfahren im Sinne des § 200 BewG angewendet werden, wenn der gemeine Wert des Anteils am Betriebsvermögen nach § 11 Abs. 2 S. 2 BewG unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu ermitteln ist und wenn das Verfahren nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Dabei ist nach § 200 Abs. 1 BewG zur Ermittlung des Ertragswerts grundsätzlich der zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag im Sinne der §§ 201 und 202 BewG mit dem Kapitalisierungsfaktor nach § 203 BewG zu multiplizieren.
36Für die Ermittlung des zukünftig nachhaltig zu erzielenden Jahresertrags bietet nach § 201 Abs. 1 BewG der in der Vergangenheit tatsächlich erzielte Durchschnittsertrag eine Beurteilungsgrundlage. Dieser Durchschnittsertrag ist nach § 201 Abs. 2 S. 1 BewG regelmäßig aus den Betriebsergebnissen im Sinne des § 202 BewG der letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre herzuleiten. Die durch drei zu dividierende Summe der drei Betriebsergebnisse stellt den Durchschnittsertrag bzw. Jahresertrag dar (§ 201 Abs. 2 S. 3 und 4 BewG).
37Nach § 202 Abs. 1 S. 1 BewG ist zur Ermittlung des Betriebsergebnisses von dem steuerlichen Gewinn im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 EStG auszugehen (sog. Ausgangswert. Dieser Ausgangswert unterliegt nach § 202 Abs. 1 S. 2 BewG noch verschiedenen Korrekturen. Unter anderem sind dem Ausgangswert nach § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG „einmalige Veräußerungsverluste sowie außerordentliche Aufwendungen“ hinzuzurechnen.
382. Der Beklagte ist zutreffend von der Anwendbarkeit des vereinfachten Ertragswertverfahrens ausgegangen, nachdem die Klägerin das allein ihr zustehende Wahlrecht (vgl. BFH, Urteil vom 02.12.2020, II R 5/19, BFHE 272, 377) zur Anwendung dieser Methode in der Feststellungserklärung entsprechend ausgeübt hat.
39Die im Zusammenhang mit den Zollabgaben samt Nebenleistungen und Verzugszinsen stehenden Aufwendungen der Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 für die Hauptschuld i. H. v. 103.763 EUR und 142.770 EUR hinsichtlich der Zinsschuld sind den Ausgangswerten dieser Jahre im Sinne des § 202 Abs. 1 S. 1 BewG als außerordentliche Aufwendungen im Sinne des § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG hinzuzurechnen. Die erhaltene Versicherungsleistung i. H. v. 96.000 EUR ist entsprechend gem. § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) als außerordentlicher Ertrag abzuziehen.
40a) Grundlage der zukunftsbezogenen Ermittlung des Werts eines Unternehmens nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ist der voraussichtlich zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag. Dieser muss ohne entsprechende Finanzplandaten anhand des in der Vergangenheit erzielten Durchschnittsertrags geschätzt werden (BT-Drs. 16/11107, Seite 23). Die dazu in der Regel zu betrachtenden Betriebsergebnisse der letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre (vgl. § 201 Abs. 1 S. 1 BewG) sind hinsichtlich solcher Vermögensminderungen oder Vermögensmehrungen zu korrigieren, die entweder einmalig sind oder jedenfalls den künftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrag nicht beeinflussen (BT-Drs. 16/11107, Seite 23).
41Weder der Gesetzestext noch die Gesetzesbegründung enthalten eine Definition oder Konkretisierung dessen, was als außerordentliche Aufwendungen im Sinne des § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG anzusehen ist. Der Bedeutungsgehalt des Begriffs ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.
42Die Auslegung erfolgt unter Berücksichtigung der aus der Gesetzesbegründung ersichtlichen Intention ausgehend von der Bewertungssystematik des vereinfachten Ertragswertverfahrens. Diese ist dadurch gekennzeichnet, eine möglichst realistische Prognose des künftig nachhaltig erzielbaren Ertrags durch eine zeitlich begrenzte Rückschau zu treffen. Solche Sondereffekte sind auszublenden, die im Rückbetrachtungszeitraum aufgetreten sind, bei denen aber nicht damit gerechnet werden kann, dass sie in absehbarer Zeit nach dem maßgeblichen Bewertungsstichtag erneut anfallen und den nachhaltig erzielbaren Ertrag beeinflussen werden (vgl. Riedel in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG/BewG, 4. Aufl. 2023, § 202 BewG, Rn. 7). Dabei ist hinsichtlich der außerordentlichen Aufwendungen im Sinne des § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG nicht zwingend erforderlich, dass diese nur einmalig anfallen können; ausreichend ist auch, dass die Aufwendungen nach Art und Höhe nur in sehr großen Zeitabständen anfallen (Schnitter in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, 124. Ergänzungslieferung, April 2023, § 202 BewG, Rn. 30.1). Entscheidend ist, ob zum Bewertungszeitpunkt Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die fraglichen, in der Vergangenheit angefallenen Aufwendungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch zukünftig in vergleichbarem Umfang anfallen werden und den nach dem Bewertungszeitpunkt zu erzielenden Gewinn des zu bewertenden Unternehmens, den ein potentieller Käufer zur Bemessung des Kaufpreises betrachten würde, mindern könnten (so bereits FG Münster, Urteil vom 24.05 2023, 3 K 383/21 F, Rn. 37 ff., EFG 2023, 1291 mit Anm. Dallmann).
43Soweit die Klägerin für ihre Auslegung systematisch an handelsrechtliche Begrifflichkeiten in § 277 Abs. 4 HGB a. F. anknüpft, folgt dem der Senat nicht, da es sich insoweit um Rechnungslegungsvorschriften zur Regelung von Kaufleuten obliegenden Informationspflichten handelt, die jedoch nicht in erster Linie einer Unternehmensbewertung dienen.
44b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Aufwendungen der Klägerin im Zusammenhang mit den Zollabgaben samt Nebenleistungen und Zinsen als außerordentliche Aufwendungen im Sinne des § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG einzustufen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass in einem absehbaren Zeitraum nach dem Bewertungsstichtag, den auch ein potentieller Käufer zur Bemessung des Kaufpreises im Rahmen einer ertragswertbasierten Ermittlungsmethode zugrunde legen würde, erneut Aufwendungen der Klägerin für eine Inanspruchnahme im Zusammenhang mit einem weiteren Haftungsfall für Zollabgaben zu erwarten wären. Zur Ermittlung eines künftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrags der Klägerin sind daher diese Aufwendungen, die allein aufgrund der Verfahrensdauer des Rechtsstreits mit dem ausländischen Staat im Betrachtungszeitraum zur Ermittlung des maßgeblichen Durchschnittsertrags der drei vor dem Bewertungsstichtag abgeschlossenen Wirtschaftsjahre kumuliert angefallen sind, hinzuzurechnen.
45Eine Hinzurechnung der Zollabgaben samt Zinsen hat nach Auffassung des Senats auch nicht deshalb zu unterbleiben, weil die Klägerin in der Zeit bis zum Beitritt Polens zur EU in einer Vielzahl von Fällen für die Zollabgaben in Anspruch genommen wurde. Mit dem Beitritt Polens zur EU im Jahre 2004 ist das Land Teil der europäischen Zollunion geworden, sodass Ein- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten nach Artikel 28 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verboten sind. Auch wenn Aufwendungen ähnlicher Art für den Zeitraum von 1991 – 1994 zu dem regulären Geschäftsbetrieb gezählt haben sollen, können diese vergangenen Umstände nicht auf die gegenwärtige Bewertung des Unternehmens fortwirken. Dies ist Ausfluss der in die Zukunft gerichteten Beurteilung der Außerordentlichkeit der Aufwendungen. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass sie auch während des maßgeblichen Betrachtungszeitraums noch für Zollabgaben in vergleichbarer Größe in Anspruch genommen wird, oder ob dies in Zukunft aufgrund des regulären Geschäftsbetriebs noch der Fall sein wird.
46Ihrer Entstehung nach sind die Aufwendungen aus diesem konkreten Rechtsstreit mit dem ausländischen Staat als außergewöhnlich anzusehen. Der Vorfall besteht zwar aus fünf einzelnen Vorgängen, die jedoch aufgrund ihrer Gleichartigkeit zusammenzufassen waren und hinsichtlich derer auch ein einheitlicher Rechtsstreit vor den ausländischen Gerichten geführt wurde. Dieser zusammengefasste Vorgang war maßgeblich durch die betrügerischen Tätigkeiten Dritter geprägt. Die üblichen Inanspruchnahmen für Zollabgaben, die in über 1000 Fällen von der Klägerin abgewickelt wurden, waren nicht durch betrügerische Vorgänge gekennzeichnet. In Relation zu den über 1000 Inanspruchnahmen durch die örtlichen Zollämter und nahezu 100 Inanspruchnahmen durch die Hauptzollämter sind die hier zusammengefassten fünf Vorgänge aufgrund betrügerischer Aktivitäten Dritter in der Sache außerordentlich und stechen aus der Summe der Inanspruchnahmen allein aufgrund des zugrundeliegenden Sachverhalts mit strafrechtlichen Bezügen heraus.
47Das Gleiche gilt hinsichtlich der Inanspruchnahme für Verzugszinsen. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls, in dem ein langjähriger Rechtsstreit mit dem ausländischen Staat geführt wurde, kumulierten sich die Zinsaufwendungen einmalig zu einem sehr hohen Betrag. Eine solche Nachforderung von Zinsen ist ihrer Art und Höhe nach zukünftig nicht zu erwarten. Weder hat die Klägerin substantiiert vorgetragen, noch bestehen andere Anhaltspunkte, dass weitere vergleichbare Rechtsstreitigkeit derzeit anhängig sind oder in absehbarer Zeit drohen.
48Gleichzeitig ergibt sich die Außergewöhnlichkeit aufgrund der Höhe der Aufwendungen. Zwar fallen auch im regulären Geschäftsbetrieb regelmäßig Zinsaufwendungen oder Abgabeverpflichtungen an, diese kumulieren sich jedoch nicht einmalig auf einen außergewöhnlich hohen Betrag. Zinsen aus dem regulären Geschäftsbetrieb werden jährlich (p.a.) als Aufwendungen erfasst und bilanziell berücksichtigt, was zu einer Verteilung der Aufwendungen über den Gesamtzeitraum der Verbindlichkeit führt. Auch in Relation zu der Inanspruchnahme in etwa 100 Fällen i. H. v. 97.721 DM und 24.035 DM ist die Inanspruchnahme aus fünf Vorfällen i. H. v. 103.763 EUR zuzüglich der Verzugszinsen i. H. v. 142.770 EUR untypisch hoch.
49Ein potentieller Käufer würde mangels ersichtlicher latenter Verbindlichkeiten wegen etwaiger Rechtsstreitigkeiten den Wert des Unternehmens nicht mindern, sondern würde die Zahlungen und Erstattungen als sog. „Einmaleffekte“ unberücksichtigt lassen.
50Auch der Umstand, dass die vereinbarte Ratenzahlung mit dem ausländischen Staat die Finanzmittel des Unternehmens derart binden könnte, dass bis zum Abschluss der Ratenzahlung kein ausschüttbarer Gewinn verbleibt, vermag das gefundene Ergebnis zu den außerordentlichen Aufwendungen nicht in Zweifel zu ziehen. Der maßgebliche Ausgangswert des vereinfachten Ertragswertverfahrens ist der steuerliche Gewinn i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 EStG. Im Vergleich zu anderen Verfahren zur Unternehmensbewertung (z. B. dem Discounted-Cash-Flow Modell, das auch im Rahmen des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Standard 1 zur Unternehmensbewertung, IDW S1, herangezogen werden kann und von § 11 Abs.2 BewG umfasst wird, vgl Mannek in: von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz 2. Auflage 2020, 1. § 11, Rn. 61) kommt es nicht auf die prognostizierten Zahlungsströme, und damit nicht auf für Ausschüttungen verfügbares freies Kapital an, sondern auf die Größe des steuerlichen Gewinns. Dies ist Ausfluss der typisierenden Entscheidung des Gesetzgebers, im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens auf diese rein steuerliche Größe abzustellen. Damit ist auch eine etwaig abgewendete Insolvenz der Klägerin für die Bewertung in dem beantragten Verfahren nicht erheblich.
51Spiegelbildlich zu § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c) BewG sind auch die Leistungen der Versicherung als außerordentliche Erträge gem. § 202 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) BewG abzuziehen. Die Versicherungsleistung resultieren aus dem nämlichen außergewöhnlichen Sachverhalt und sind damit gleichfalls bei der Ermittlung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu korrigieren.
523. Die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens und die damit einhergehenden Korrekturen führen auch nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, § 199 Abs. 1 und 2 BewG. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das von der Klägerin selbst gewählte Verfahren zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen würde. Allein ein niedriger Substanzwert als Mindestwert oder die fehlende Möglichkeit, kurzfristig Gewinne auszuschütten, begründen keine offensichtliche Unrichtigkeit des Ergebnisses des vereinfachten Ertragswertverfahrens.
53IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. § 139 Abs. 4 FGO.
54V. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
55... ... ...