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Der Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 20.11.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.04.2021 wird dahingehend geändert, dass die Einkünfte des Klägers um 1.000 € gemindert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu ¾ und der Beklagte zu ¼.
Die Revision wird zugelassen.
Zu entscheiden ist, ob der Kläger aus seiner Tätigkeit […] in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) steuerbare Einkünfte erzielt und wenn dies der Fall ist, ob diese zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit gehören und deshalb ein Pauschbetrag für Werbungskosten i.H.v. 1.000 € gemäß § 9a S. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzen ist.
2Der Kläger wird im Streitjahr 2019 allein zur Einkommensteuer veranlagt. Er befindet sich – nach der Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe – seit 2013 als „Untergebrachter“ in Sicherungsverwahrung in der JVA X-Stadt. Er arbeitet dort regelmäßig in der anstaltseigenen Schreinerei und erhält hierfür eine Vergütung gemäß § 32 des Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen – im Streitjahr in der Fassung vom 07.04.2017 (SVVollzG NRW).
3Im Rahmen einer Kontrollmitteilung teilte die JVA X-Stadt dem Beklagten mit Schreiben vom 02.03.2020 mit, dass der Kläger im Jahr 2019 Zahlungen aus „Gefangenenvergütung, Taschengeld und Ausgleichsentschädigungszahlungen“ in Höhe von insgesamt („Bruttoverdienst“) 14.179,11 € („Nettoverdienst“: 14.001,85 €) erhalten habe.
4Der Beklagte forderte den Kläger daraufhin im September 2020 auf, eine Einkommensteuererklärung für 2019 einzureichen.
5Am 27.10.2020 übersandte die Prozessbevollmächtigte für den Kläger per Elster eine Einkommensteuererklärung für 2019 an den Beklagten. Im Begleitschreiben wies die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass es dem Kläger nicht möglich sei, selbst eine Steuererklärung einzureichen. Er befinde sich in Sicherungsverwahrung und habe keinen Internetzugang. Die kostenpflichtige Beauftragung eines Dritten mit der Erstellung der Steuererklärung sei ihm nicht zuzumuten.
6In der Einkommensteuererklärung erklärte die Prozessbevollmächtigte für den Kläger einen Bruttoarbeitslohn aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 14.179,11 €. Seine erste Tätigkeitsstätte in der JVA X-Stadt habe er im Jahr 2019 an 230 Tagen aufgesucht. Im Rahmen der Vorsorgeaufwendungen erklärte sie Arbeitnehmerbeiträge zur Arbeitslosenversicherung i.H.v. 178 €. Ferner erklärte sie Unterhaltszahlungen i.H.v. 3.610 € des Klägers an seinen […] Sohn. Für diesen habe niemand im Streitjahr Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einkommensteuererklärung Bezug genommen.
7Mit Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 20.11.2020 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 897 € fest. Hierbei berücksichtigte der Beklagte die Einkünfte des Klägers aus der Schreinerei der JVA X-Stadt i.H.v. 14.179 € als sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Die Unterhaltszahlungen an den Sohn des Klägers blieben unberücksichtigt.
8Gegen den Bescheid legte der Kläger (vertreten durch die Prozessbevollmächtigte) am 21.12.2020 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass ein Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 1.000 € anzusetzen sei. Seine Tätigkeit in der Schreinerei der JVA X-Stadt sei mit einer abhängigen Beschäftigung vergleichbar. Er arbeite vollschichtig etwa 40 Stunden in der Woche in der anstaltsinternen Schreinerei. Es würden auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt. Zu beachten sei auch, dass er keine Freiheitsstrafe verbüße, sondern sich als Untergebrachter in Sicherungsverwahrung befinde. Anders als für Strafgefangene bestehe für Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung keine Arbeitspflicht. Er habe sich auf die Arbeit beworben und sei angenommen worden. Für Untergebrachte sei die Angleichung der Lebensverhältnisse in Freiheit zu gewährleisten. Überdies seien die Unterhaltszahlungen an seinen Sohn einkommensteuermindernd zu berücksichtigen. Dieser sei fremd untergebracht. Er, der Kläger, habe keinen Anspruch auf Kindergeld, denn den Kindergeldanspruch habe er auf den Jugendhilfeträger übertragen, der das Kindergeld vereinnahmt habe.
9Nach Erörterung mit Schreiben vom 22.12.2020 wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.04.2021 als unbegründet zurück. Bei den Einnahmen des Klägers aus der Tätigkeit in der JVA X-Stadt handele es sich um sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG und nicht um Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 EStG. Es liege kein Dienstverhältnis vor. Es bestehe auch kein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auf bezahlten Urlaub. Dabei könnten nicht nur gelegentliche oder einmalige Tätigkeiten sonstige Einkünfte im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG darstellen, sondern auch nachhaltige Tätigkeiten. Die Unterhaltszahlungen könnten nicht einkommensteuermindernd berücksichtigt werden. Eine Steuerermäßigung nach § 33a EStG könne nur gewährt werden, wenn die unterhaltene Person gegenüber dem Steuerpflichtigen unterhaltsberechtigt ist und weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld habe. Der Kläger sei seinem Sohn gegenüber zwar zum Unterhalt verpflichtet. Dem Kläger stehe aber ein Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG zu und der Sohn erhalte über den Jugendhilfeträger Kindergeld. Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erfolgte mit einfachem Brief.
10Der Kläger hat mit einem am 10.05.2021 (Montag) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 03.05.2021 Klage erhoben.
11Zur Begründung führte er zunächst aus, dass seine Einnahmen aus der Schreinerei der JVA X-Stadt um den Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a EStG i.H.v. 1.000 € zu mindern seien, da seine dortige Beschäftigung als nichtselbständige Arbeit im Sinne von § 19 EStG einzuordnen sei. Er arbeite in einem besonderen Beschäftigungsverhältnis seit einigen Jahren in der Schreinerei der JVA X-Stadt in der Abteilung für Oberflächentechnik. Seine wöchentliche Arbeitszeit betrage regelmäßig 39 Stunden. Er sei weisungsgebunden. Für seine Arbeit erhalte er nur eine gesetzlich festgelegte geringe (Stunden-)Vergütung, welche deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn aber über dem Lohn der Strafgefangenen liege. Die monatliche Vergütung sei abhängig von den geleisteten Arbeitsstunden. Er besitze zwar keinen klassischen Arbeitsvertrag, sei aber – anders als Strafgefangene – nicht zur Arbeit verpflichtet und könne über die geleisteten Arbeitsstunden Einfluss auf die Höhe seiner Vergütung nehmen. Von seiner Bruttovergütung würden zudem Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (im Jahr 2019 insgesamt 178 €) einbehalten.
12Dass er als Sicherungsverwahrter – anders als Strafgefangene – nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sei, ergebe sich aus § 31 SVVollzG NRW. Der Gesetzgeber sei bei der Einordnung der Vergütung von Untergebrachten offenbar davon ausgegangen, dass die Vergütung unterhalb der Grenze des Grundfreibetrages bleibe. Dabei sei der Verdienst der Untergebrachten gemäß § 32 SVVollzG NRW aber höher als derjenige von Gefangenen. Ergänzend werde auf eine vorgelegte Stellungnahme des Justizministers des Landes NRW vom 24.03.2021 Bezug genommen. Dort werde davon ausgegangen, dass bei Gefangenen und Untergebrachten im Regelfall keine Einkommensteuer festzusetzen sei. Aus der Stellungnahme werde deutlich, dass die vorliegende Konstellation nicht hinreichend in die Überlegungen zur Besteuerung von Gefangenen und Untergebrachten eingegangen sei. Im Ergebnis sei die Beschäftigung der Untergebrachten in Anlehnung an ein Arbeitsverhältnis ausgestaltet, sodass der Werbungskostenpauschbetrag für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit anzusetzen sei.
13Im weiteren Verlauf macht der Kläger überdies geltend, dass seine Vergütung aus der Schreinerei der JVA X-Stadt nicht steuerbar sei. Bei der Beschäftigung von Gefangenen und Untergebrachten in Betrieben der JVA stehe – auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 01.07.1998 (2 BvR 441/90) – die Resozialisierung und nicht die Einnahmeerzielung im Vordergrund. Seine, des Klägers, Tätigkeit sei daher mit einem „normalen“ Arbeitsverhältnis nicht vergleichbar. Gemäß § 31 SVVollzG NRW sei Ziel der Beschäftigung von Untergebrachten, zu vermitteln, dass die finanzielle Lebensgrundlage durch Arbeit zu erwirtschaften sei. Dieses Ziel werde nicht erreicht, wenn der sehr geringe Verdienst höher besteuert werde als bei sonstigen Beschäftigungsverhältnissen. Die Vergütung falle deshalb nicht in den Regelungsbereich des Einkommensteuergesetzes und sei weder nach § 19 EStG noch nach § 22 EStG zu besteuern. Deshalb werde auch keine Lohnsteuer einbehalten. Gegen eine Steuerbarkeit der Vergütung von Untergebrachten spreche auch die Antwort der Landesregierung Niedersachsen vom 09.05.2001 auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Körtner vom 06.04.2001 zur Steuerpflicht von Gefangenen. Die Landesregierung Niedersachsen habe geantwortet, dass das Arbeitsentgelt aus der dem Gefangenen zugewiesenen Tätigkeit nicht steuerpflichtig sei, da es unter keine der sieben Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes falle.
14Anders sei dies nur, wenn Gefangene oder Untergebrachte außerhalb der JVA einer Tätigkeit nachgingen. Diese sei dann als nichtselbstständige Tätigkeit steuerbar und steuerpflichtig.
15Auffällig sei auch, dass von den über 40 Beschäftigten – davon elf Untergebrachte – in der Schreinerei nur drei Insassen wegen einer Besteuerung ihrer Einkünfte angeschrieben worden seien.
16Das zunächst ebenfalls weiterverfolgte Begehren, die an seinen Sohn gezahlten 3.610 € als Unterhalt einkommensteuermindernd zu berücksichtigen, hat der Kläger nach einem richterlichen Hinweis mit Schreiben vom 29.08.2023 zurückgenommen.
17Der Kläger beantragt,
18den Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 20.11.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.04.2021 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen,
21hilfsweise,
22die Revision zuzulassen.
23Der Kläger habe, so der Beklagte, mit seiner Tätigkeit in der Schreinerei der JVA X-Stadt sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG erzielt.
24Zur Begründung führt der Beklagte (zunächst) aus, dass (Straf-)Gefangene nicht in einem öffentlichen oder privaten Dienstverhältnis zur Justizverwaltung stünden, sondern ihnen zugewiesene Tätigkeiten verrichteten (§ 41 Strafvollzugsgesetz – StVollzG –). Die Einnahmen unterlägen nicht der Lohnsteuer (vgl. Schönfeld/Plenker/Schaffhausen, Lexikon für das Lohnbüro, 63. Auflage 2021, Anl. 4, Arbeitsentgelt ein Strafgefangene). Es sei allgemein anerkannt, dass die Arbeit im Strafvollzug öffentlich-rechtlicher Natur sei, die Gefangene nicht Arbeitnehmer seien und zwischen den Gefangenen und der Anstalt kein Arbeitsvertrag geschlossen werde (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 05.07.2015, 3 Ws 59/15). Der Gefangene sei zudem nur in die Unfall- und Arbeitslosenversicherung, nicht aber wie „klassische“ Arbeitnehmer in die Kranken- und Rentenversicherung einbezogen. Damit folge die steuerliche Behandlung auch den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen. Für Gefangene gelte eine Arbeitspflicht (vgl. § 41 StVollzG). Für die Sicherungsverwahrung seien die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe grundsätzlich entsprechend anzuwenden (vgl. § 130 StVollzG). § 130 StVollzG verweise dabei auch auf § 41 StVollzG, sodass die Vorschriften über die Arbeitspflicht für Gefangene auch für Untergebrachte entsprechend anwendbar seien. Daher seien für Untergebrachte auch steuerlich die gleichen Maßstäbe wie für Gefangene anzulegen.
25Diese Auffassung werde auch durch das vom Kläger vorgelegte Schreiben des Justizministeriums des Landes NRW bestätigt. Dort werde ausgeführt, dass es sich bei der Vergütung für geleistete Arbeit an Gefangene oder Untergebrachte nicht um Arbeitslohn im Sinne von § 19 EStG, sondern um sonstige Einkünfte nach § 22 EStG handele. Entgegen den Ausführungen des Klägers habe das Justizministerium dabei auch durchaus angenommen, dass es im Einzelfall auch zu einer Festsetzung von Einkommensteuer kommen könne. Das Justizministerium habe auch bestätigt, dass der Gefangene bzw. Untergebrachte nicht in einem öffentlichen oder privaten Dienstverhältnis zur Justizverwaltung stehe. Ein Untergebrachter, der eine ihm angebotene Arbeit ausübe, stehe steuerlich einem Gefangenen gleich.
26Der Abzug eines Werbungskostenpauschbetrags nach § 9a EStG sei bei sonstigen Einkünften nicht vorgesehen. Tatsächlich angefallene Werbungskosten seien weder dargelegt noch nachgewiesen worden. Etwaige dargelegte Lebenshaltungskosten seien keine Werbungskosten, sondern nach § 12 EStG nicht abzugsfähig.
27Mit Schriftsatz vom 18.10.2022 führt der Beklagte aus, dass der Kläger kein Gefangener, sondern Untergebrachter sei. Er unterläge deshalb teilweise anderen Regelungen als Gefangene. So habe der Kläger – anders als ein Gefangener – das Recht, eine Arbeit abzulehnen (vgl. § 31 Abs. 1 SVVollzG NRW). Dies ändere aber nichts daran, dass der Kläger seine Vergütung als (steuerbare) sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine Leistung im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein könne und das eine Gegenleistung auslöse (vgl. BFH, Urteile vom 21.09.2004, IX R 13/02, BStBl II 2005, 44 und vom 08.05.2008, VI R 50/05, BStBl II 2008, 868). Dabei komme es entscheidend darauf an, ob die Gegenleistung (das Entgelt) durch das Verhalten des Steuerpflichtigen veranlasst sei. Dies sei der Fall, wenn der Steuerpflichtige für seine Leistung ein Entgelt erhalte und die Gegenleistung für die erbrachte Tätigkeit als solche angenommen habe. Vorliegend erhalte der Kläger für seine Tätigkeit im Schreinereibetrieb der JVA X-Stadt eine Vergütung nach § 32 SVVollzG NRW.
28Die Vergütung sei auch steuerbar. Die Vergütung sei dem Grunde und der Höhe nach durch die Tätigkeit des Klägers veranlasst, sodass die Leistung der Erwerbssphäre zuordnen sei. Dabei trete in den Hintergrund, dass die Tätigkeit gemäß § 31 SVVollzG NRW darauf ausgelegt sei, die „Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach der Entlassung zu vermitteln, zu fördern und zu erhalten“. Es komme vielmehr darauf an, dass die Tätigkeit das Ergebnis einer Erwerbstätigkeit oder Vermögensnutzung sei (vgl. BFH, Urteil vom 14.09.1999, IX R 88/95, BStBl II 1999, 776).
29Soweit der Kläger der Ansicht sei, dass eine Tätigkeit von Untergebrachten nur dann steuerbar und steuerpflichtig sei, wenn diese außerhalb der JVA bei einem „regulären Arbeitgeber“ ausgeübt werde, sei dem nicht zu folgen. Schließlich folge auch aus der fehlenden Lohnsteuerpflicht keine Steuerfreiheit der Einnahmen. § 22 Nr. 3 EStG begründe vielmehr einen eigenen, hier einschlägigen, Besteuerungstatbestand.
30Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
31Der Senat hat am 20.09.2023 in der Sache mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
33Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 20.11.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.04.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –), soweit der Beklagte die Einkünfte des Klägers nicht den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugeordnet und deshalb keinen Werbungskostenpauschbetrag gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG einkommensteuermindernd berücksichtigt hat.
34Im Übrigen – hinsichtlich der Steuerbarkeit der Einkünfte – ist die Klage unbegründet.
351. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG in Verbindung mit § 19 EStG.
36Der Begriff der „Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit“ erfährt in der maßgeblichen Zuordnungsvorschrift des § 19 EStG keine konkrete Definition. Vielmehr wird dort beispielhaft aufgezählt, welche Bezüge, Zuwendungen und Aufwendungen zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit zählen (vgl. auch Pflüger in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 318. Lieferung 05.2023, § 19 EStG, Rn. 1). Eine Zuordnung von Einnahmen zur Einkunftsart des § 19 EStG erfolgt im Wege einer Qualifikation, ob die zu beurteilenden Einnahmen der beispielhaften Aufzählung des § 19 EStG zuzuordnen sind und durch die Betätigung einer Person als Arbeitnehmer veranlasst sind. Da die Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG) nach der ständigen Rechtsprechung des BFH den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegt, sind deren Grundsätze bei der Qualifikation, ob ein Arbeitnehmerverhältnis vorliegt, heranzuziehen (BFH, Urteil vom 18.06.2015, VI R 77/12, BFHE 250, 132, BStBl II 2015, 903; FG München, Urteil vom 02.12.2021, 13 K 1971/20, EFG 2022, 316).
37§ 1 Abs. 1 LStDV sieht dabei solche Personen als „Arbeitnehmer“ an, die im öffentlichen oder privaten Dienst angestellt oder beschäftigt sind oder waren und die aus diesem oder einem früheren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen. Ein „Dienstverhältnis“ in diesem Sinne liegt vor, wenn die betroffene Person dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 2 LStDV; BFH, Urteil vom 22.02.2012, X R 14/10, BFHE 236, 464, BStBl II 2012, 511; FG München, Urteil vom 02.12.2021, 13 K 1971/20, EFG 2022, 316).
38Ob eine steuerpflichtige Person mit einer bestimmten Betätigung Arbeitnehmer ist, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse (BFH, Urteil vom 14.06.1985, VI R 152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661). Beim Begriff des „Arbeitnehmers“ als nichtselbständig Tätigem handelt es sich um einen offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann (BFH, Urteil vom 14.06.2007, VI R 5/06, BFHE 218, 233, BStBl II 2009, 931, unter II.1.). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung insbesondere die folgenden Merkmale von Bedeutung, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen können (vgl. die Aufzählungen in den BFH-Urteilen vom 14.06.1985, VI R 152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661 und vom 30.05.1996, V R 2/95, BFHE 180, 213, BStBl II 1996, 493, unter II.1.): - persönliche Abhängigkeit,- Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, - feste Arbeitszeiten, - Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, - feste Bezüge,- Urlaubsanspruch, - Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, -Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, - Überstundenvergütung, - zeitlicher Umfang der Dienstleistungen,- Unselbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit, - fehlendes Unternehmerrisiko, - fehlende Unternehmerinitiative, - kein Kapitaleinsatz, - keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln, - Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, - Eingliederung in den Betrieb, -geschuldet wird die Arbeitskraft, nicht aber ein Arbeitserfolg, - Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist (BFH, Urteil vom 22.02.2012, X R 14/10, BFHE 236, 464, BStBl II 2012, 511, Rn. 31; FG München, Urteil vom 02.12.2021, 13 K 1971/20, EFG 2022, 316).
39Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Ein Vorteil wird für eine Beschäftigung gewährt, wenn er durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst worden ist. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist gegeben, wenn sich die Einnahmen im weitesten Sinn als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft der arbeitenden Person erweisen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 22.03.1985, VI R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529; vom 22.03.1985, VI R 26/82, BFHE 143, 539, BStBl II 1985, 641; vom 25.05.1992, VI R 18/90, BFHE 169, 22, BStBl II 1993, 45; vom 30.05.2001, VI R 159/99, BFHE 195, 364, BStBl II 2001, 815; BFH, vom 14.04.2005, VI R 134/01, BFHE 209, 361, BStBl II 2005, 569; FG München, Urteil vom 02.12.2021, 13 K 1971/20, EFG 2022, 316).
40In Anwendung dieser Kriterien ist der Senat im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse davon überzeugt, dass der Kläger als Arbeitnehmer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einem Dienstverhältnis erzielt. Hierfür sprechen folgende Kriterien:
41Der Kläger ist als Untergebrachter – anders als Strafgefangene – nicht zur Arbeit verpflichtet. So regelte § 31 Abs. 1 Satz 1 SVVollzG NRW in der im Streitjahr und bis zum 27.04.2022 geltenden Fassung noch ausdrücklich: „Die Untergebrachten sind zur Arbeit nicht verpflichtet.“ Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SVVollzG NRW soll den Untergebrachten Arbeit angeboten werden. Nehmen die Untergebrachten eine Beschäftigung an, darf diese nicht zur Unzeit niedergelegt werden (§ 31 Abs. 1 Satz 3 SVVollzG NRW). Der Kläger arbeitet danach in der Schreinerei der JVA X-Stadt aufgrund seines freien Entschlusses. Dabei ist er in die Arbeitsorganisation in der Schreinerei – in der über vierzig weitere Insassen der JVA X-Stadt beschäftigt sind – eingebunden. Er ist nach eigenen und unbestrittenen Angaben weisungsgebunden hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit. Er hat sich grundsätzlich an feste – von der JVA X-Stadt vorgegebene – Arbeitszeiten zu halten. Die Ausübung der Tätigkeit erfolgt gleichbleibend an einem bestimmten Ort, der Schreinerei in der JVA X-Stadt. Bezogen auf die geleisteten Stunden erhält der Kläger eine feste Vergütung, die aufgrund des Abstandsgebots zu Gefangenen über der Vergütung von Gefangenen liegt (vgl. § 32 SVVollzG NRW). Er hat zwar keinen Urlaubsanspruch, aber gemäß § 33 SVVollzG NRW Anspruch auf bezahlte Freistellung, denn gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SVVollzG NRW haben Untergebrachte, wenn sie ein halbes Jahr lang gearbeitet haben, Anspruch auf zehn Tage der Freistellung von der Arbeit. Für die Zeit der Freistellung erhalten sie gemäß § 33 Abs. 3 SVVollzG NRW ein Arbeitsentgelt in Höhe des Durchschnitts der in den letzten drei Monaten vor der Freistellung gutgeschriebenen Bezüge. Der Kläger zahlt in die Arbeitslosenversicherung ein. Nehmen Untergebrachte während der Zeit der Beschäftigung an bestimmten (z. B. psychiatrischen) Behandlungsmaßnahmen teil, erhalten sie gemäß § 34 SVVollzG NRW eine nach dem entgangenen Arbeitsentgelt bemessene Ausfallentschädigung. „Überstunden“ werden insofern vergütet, als dass alle erbrachten Arbeitsstunden bezahlt werden. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers arbeitet er regelmäßig 39 Stunden in der Woche, was einer üblichen Vollzeitstelle eines Arbeitnehmers entspricht. Er ist unselbständig in der Organisation und Durchführung seiner Tätigkeit. Er trägt kein Unternehmerrisiko und muss keine Unternehmerinitiative entfalten. Er erbringt keinen Kapitaleinsatz und muss seine Arbeitsmittel nicht selbst beschaffen. Er ist in den Betrieb der Schreinerei der JVA X-Stadt eingegliedert und muss dort mit anderen Mitarbeitern zusammenarbeiten. Er schuldet seine Arbeitskraft und keinen Arbeitserfolg. Die Ausübung der Tätigkeit dürfte, zumal der Kläger in diesem Bereich keine Ausbildung absolviert hat, einfacherer Art sein.
42Dass der Kläger nur in die Arbeitslosenversicherung und nicht in die weiteren Sozialversicherungen einzahlt, spricht bei einer Gesamtbetrachtung nicht entscheidend gegen eine (steuerliche) Arbeitnehmereigenschaft.
43Auch die – im Übrigen nicht seltene – in § 32 SVVollzG NRW gesetzlich festgelegte Höhe der Vergütung spricht nicht entscheidungserheblich gegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
44Der Kläger erzielt die Einkünfte auch aus einem Dienstverhältnis. Soweit teilweise die Ansicht vertreten wird, dass ein Dienstverhältnis nur bei freiwilliger Begründung angenommen werden könne und Strafgefangene wegen der Regelungen zur Arbeitspflicht in §§ 41 und 43 StrVG nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses tätig würden (vgl. Plüger in: in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 318. Lieferung 05.2023, § 19 EStG, Rn. 72; a. A. Eisgruber in: Kirchhof/Seer, EStG, Rz. 54; Krüger in: Schmidt, EStG, 42. Auflage 2023, § 19 Rn. 12; Geserich in: Brandis/Heuermann, 167. EL Mai 2023, EStG, § 19 Nr. 59), kann dies hier dahingestellt bleiben, da der Kläger als Untergebrachter – wie ausgeführt – gemäß § 31 Abs. 1 SVVollzG NRW nicht zur Arbeit verpflichtet ist, sondern das Arbeitsangebot freiwillig angenommen hat. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 04.05.2011 (2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10 und 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128, 326) entschieden, dass die Unterbringung von Sicherungsverwahrten in deutlichem Abstand zum Strafvollzug auszugestalten ist (sog. Abstandsgebot“). Eine Gleichbehandlung von Untergebrachten mit Gefangenen ist daher gerade nicht geboten.
452. Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass seine Bezüge für die Tätigkeit in der Schreinerei der JVA X-Stadt nicht steuerbar seien, weil sie zu keiner der sieben Einkunftsarten nach dem Einkommensteuergesetz gehörten, ist die Klage unbegründet.
46Die Bezüge gehören – wie ausgeführt – zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Dass den Untergebrachten gemäß § 31 Abs. 1 SVVollzG NRW die Arbeit – neben arbeitstherapeutischen Maßnahmen, schulischer und beruflicher Bildung sowie sonstigen Tätigkeiten – zur Beschäftigung angeboten wird und dass die Beschäftigung gemäß § 31 Abs. 2 SVVollzG NRW insbesondere dazu dienen soll, die Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts nach der Entlassung zu vermitteln, zu fördern und zu erhalten, steht dem nicht entgegen. Ein besonderes Motiv des Arbeitgebers für die Beschäftigung von Arbeitnehmern (und die Zuwendung von Arbeitslohn) oder des Arbeitnehmers für das Eingehen des Dienstverhältnisses – beispielsweise zur Integration von Menschen mit Behinderung oder zu Ausbildungszwecken – lässt den Veranlassungszusammenhang zum Dienstverhältnis und die Steuerbarkeit der Einkünfte nicht entfallen, zumal der Kläger selbst dargelegt hat, dass er die Tätigkeit auch zur Einkünfteerzielung – beispielsweise für Unterhaltszahlungen – aufgenommen hat. Damit ist die Tätigkeit – zumindest auch – auf die Einkommensmehrung durch Leistungsaustausch gerichtet (vgl. BFH, Urteil vom 14.09.1999, IX R 88/95, BFHE 189, 424, BStBl II 1999, 776).
473. Ob sich die Tätigkeit des Klägers auch unter die Voraussetzungen von sonstigen Einkünften im Sinne von § 22 Nr. 3 EStG subsumieren lässt, kann vor dem Hintergrund der Subsidiaritätsklausel in § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG dahingestellt bleiben.
484. Da der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt, ist gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG in der damaligen Fassung ein Arbeitnehmerpauschbetrag von 1.000 € bei der Einkommensteuerveranlagung für 2019 einkommensteuermindernd zu berücksichtigen.
495. Dem Beklagten wird die Neuberechnung der festzusetzenden Einkommensteuer nach Maßgabe der Entscheidungsgründe gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
506. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 FGO.
517. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 1 FGO zur Fortbildung des Rechts und wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.