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Der Körperschaftsteuerbescheid für 2012 vom 5.2.2018 und der Gewerbesteuermessbescheid für 2012 vom 3.4.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.1.2020, werden in der Weise geändert, dass die einkommenserhöhende verdeckte Gewinnausschüttung i.H.v. 230.000 € und die einkommensmindernde verdeckte Einlage i.H.v. 210.346 € unberücksichtigt bleiben. Der Beklagte hat die festzusetzenden Beträge zu errechnen und mitzuteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten darüber, ob aus dem Verzicht auf eine Pensionszusage im Streitjahr 2012 eine verdeckte Gewinnausschüttung – vGA – und eine verdeckte Einlage – vE – abzuleiten sind.
3Die Klägerin ist eine mit Gesellschaftsvertrag vom … gegründete und im Handelsregister des Amtsgerichts C-Stadt unter HRB … eingetragene GmbH. Unternehmensgegenstand ist der Handel …. Geschäftsführer waren im Streitjahr Herr S. T. (geboren am xx.xx.1952 - im Folgenden „S. T.“) und Herr L. L. (geboren am xx.xx.1952 - im Folgenden „L. L.“). Diese waren im Streitjahr zugleich je hälftig Inhaber des … € betragenden Stammkapitals der Klägerin.
4Bereits mit Verträgen vom xx.xx.1993 hatten die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin jeweils eine Pensionszusage erhalten, wonach sie beim Ausscheiden aus den Diensten der Klägerin nach vollendetem 65. Lebensjahr eine lebenslängliche Altersrente von monatlich 4.000 DM erhalten sollten. Auf Seite 3 des von der Klägerin mit KK geschlossenen Vertrages über die Pensionszusage war in den Absätzen 2 … vereinbart:
5„Bei Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles und vor Eintritt der im ‚Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung‘ (BetrAVG) geregelten Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften besteht kein Anspruch aus dieser Zusage. […]“
6Darüber hinausgehende Regelungen für eine vorzeitige Ablösung der Pensionszusage enthielt der Vertrag nicht.
7Mit notariellem Vertrag vom xx.xx.2012 (UR-Nr. […] des Notars I. in H-Stadt) veräußerte L. L. seine Geschäftsanteile an der Klägerin an den Sohn des S. T., Herrn Q. T. (im Folgenden: „Q. T.“), mit Wirkung zum 31.12.2012 zum Kaufpreis von … €. Ausweislich des Teils II. der notariellen Urkunde vom xx.xx.2012 hielten die Gesellschafter der Klägerin eine Gesellschafterversammlung ab und beschlossen u.a.:
8„6) Der Erschienene zu 1. (L. L.) verzichtet gegenüber der Gesellschaft auf die zu seinen Gunsten im Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31.12.2011 ausgewiesenen Pensionsrückstellungen und zwar auflösend bedingt gegen Abfindung in Höhe des Wertes der Pensionsrückstellung zum 31.12.2012 durch Auszahlung eines Betrages i.H.v. 230.000,00 €. Die Gesellschaft, vertreten durch den Geschäftsführer, nimmt diesen Verzicht bereits jetzt an. […]“
9Wegen der Einzelheiten wird auf die Verträge verwiesen. Die unter Teil II.6. der notariellen Urkunde vom xx.xx.2012 bezeichnete Zahlung erfolgte erst im Jahr 2013. Am 2.1.2013 wurde L. L. als Geschäftsführer aus dem Handelsregister aus- und Q. T. als Geschäftsführer eingetragen.
10Die Klägerin ermittelte ihren Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG – i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes – EStG –. Sie gab Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen ab und erklärte einen Jahresüberschuss für das Streitjahr i.H.v. … € sowie ein zu versteuerndes Einkommen und einen Gewerbeertrag i.H.v. … €. In ihrer auf den 31.12.2012 aufgestellten Handelsbilanz war auf der Passivseite unter Teil B.1. u.a. eine Rückstellung für Pensionsverpflichtungen i.H.v. 476.700,80 € (238.350,40 € je Gesellschafter) enthalten. Diese setzte sich aus dem Wert der Pensionsrückstellung zum 31.12.2011 i.H.v. 439.609,48 € (je 219.804,74 € pro Gesellschafter) zuzüglich einer Zuführung zur Pensionsrückstellung im Jahr 2012 i.H.v. 37.091,32 € (je 18.545,66 € pro Gesellschafter) zusammen. Unter Teil C. der Passivseite der Handelsbilanz waren Verbindlichkeiten i.H.v. insgesamt … € ausgewiesen, die sich u.a. auf Lieferungen und Leistungen (… €), Lohn und Gehalt (… €) sowie Steuern und Abgaben (… €) bezogen. Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern waren nicht vorhanden. In der Gewinn- und Verlustrechnung zum 31.12.2012 war unter Personalaufwand (Löhne und Gehälter) u.a. eine Zuführung zu Pensionsrückstellungen i.H.v. 37.091,32 € ausgewiesen. Die Abfindung der Pensionsrückstellung war nicht verbucht. Die Steuerbilanz der Klägerin enthielt keine von den vorstehenden handelsrechtlichen Ausweisen abweichenden Buchungen. Der Beklagte veranlagte die Klägerin für das Streitjahr erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO –.
11In der Buchführung für das Jahr 2013 erfasste die Klägerin per 1.1.2013 einen Abgang der Pensionsrückstellung i.H.v. 238.350,40 € für den Gesellschafter L. L.. In der zum 31.12.2013 aufgestellten Handelsbilanz betrug die Pensionsrückstellung noch 278.874,83 €. In der Gewinn- und Verlustrechnung zum 31.12.2013 war unter Personalaufwand (Löhne und Gehälter) u.a. eine Abfindung der Pensionsrückstellung i.H.v. 230.000 € und ein Ertrag aus der Herabsetzung der Pensionsrückstellung i.H.v. 238.350,40 € ausgewiesen.
12Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 durch. In seinem Prüfungsbericht vom 22.12.2017 führte der Prüfer unter Tz. 2.3.2 aus, der Gesellschafterbeschluss vom xx.xx.2012, mit dem die Pensionszusage des Gesellschafters L. L. abgefunden worden sei, stelle eine Spontanabfindung dar und sei als vGA anzusehen entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (Urteil vom 11.9.2013 I R 28/13). Denn in der ursprünglichen Pensionszusage sei eine Abfindungsmöglichkeit außer für den Liquidationsfall nicht geregelt worden. Um eine Spontanabfindung handele es sich, weil diese sehr zeitnah beschlossen und umgesetzt worden sei, weil der Gesellschafterbeschluss keine Voraussetzungen für die Abfindung und deren Umsetzung enthalte und weil die Ermittlung des Abfindungswertes nicht konkret vorgegeben worden sei (etwa Teilwert gemäß § 6a EStG, Barwert oder Handelsbilanzwert). Angesichts des Umstands, dass L. L. als Gesellschafter-Geschäftsführer einen beherrschenden Einfluss gehabt habe, fehle es zudem an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung. Überdies sei die Vorgehensweise unter Fremdvergleichsgesichtspunkten problembehaftet. Entsprechend der BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 23.10.2013 I R 60/12, I R 89/12; vom 14.3.2006 I R 38/05 und Beschluss vom 9.6.1997 GrS 1/94) sei von einer vGA hinsichtlich der Abfindungszahlung und von einer vE hinsichtlich des Verzichts auf den Pensionsanspruch auszugehen. Die vGA bemesse sich nach der tatsächlichen Zahlung i.H.v. 230.000 €, die vE nach dem Übertragungswert des werthaltigen Teils der Anwartschaft i.H.v. 210.346 €.
13Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Prüfer an. Mit Änderungsbescheid vom 5.2.2018 setzte er die Körperschaftsteuer für 2012 auf … € fest. Zudem setzte er mit Bescheid vom 3.4.2018 den Gewerbesteuermessbetrag für 2012 fest. Bei den Besteuerungsgrundlagen berücksichtigte er eine vGA i.H.v. 231.800 €. Hierin war auch ein von der Betriebsprüfung festgestellter und zwischen den Beteiligten unstreitiger Sachbezug aus der Privatnutzung eines betrieblichen Pkw i.H.v. 1.800 € enthalten. Mindernd berücksichtigte der Beklagte in den Besteuerungsgrundlagen die vE i.H.v. 210.646 € und erläuterte, es handle sich um Einlagen, die erfolgswirksam gebucht und bis zum Ende des Wirtschaftsjahres geleistet worden seien. Zudem erfasste der Beklagte die vE in einem Bescheid zum 31.12.2012 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.
14Gegen den Körperschaftsteuerbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 21.2.2018, gegen den Gewerbesteuermessbescheid mit Schreiben vom 6.4.2018 Einsprüche ein.
15Mit Einspruchsentscheidung vom 6.1.2020 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, bei L. L. handele es sich trotz seiner Beteiligung von nur 50 % um einen beherrschenden Gesellschafter, da er mit dem Gesellschafter S. T. gleichgerichtete Interessen verfolge. Denn der Sohn des S. T. (also Q. T.) habe von L. L. dessen Anteile erworben, so dass sowohl L. L. als auch S. T. an der Anteilsübertragung an Q. T. interessiert gewesen seien. Für beherrschende Gesellschafter gälten aber besondere Anforderungen hinsichtlich des formellen Fremdvergleichs, nämlich eine im Voraus getroffene, zivilrechtlich wirksame und tatsächlich durchgeführte Vereinbarung. Diese Anforderungen seien vorliegend nicht beachtet worden, so dass die Abfindung der Pensionszusage eine vGA darstelle (BFH-Urteil vom 23.10.2013 I R 89/12, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 244, 262, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2014, 729).
16Die Klägerin hat daraufhin am 10.2.2020 Klage erhoben. Sie wendet sich gegen den Körperschaftsteuer- und den Gewerbesteuermessbescheid für 2012 und begehrt, dass die vGA i.H.v. 230.000 € und die vE i.H.v. 210.346 € nicht berücksichtigt werden.
17Ihre Klage begründet sie damit, eine vGA liege im Streitfall bereits deshalb nicht vor, weil der fragliche Sachverhalt keine Auswirkung auf die Höhe des Unterschiedsbetrages nach § 4 Abs. 1 EStG im Streitjahr gehabt habe. Eine solche Auswirkung sei erst im Jahr 2013 eingetreten.
18Darüber hinaus sei die Abfindung der Pensionszusage nicht gesellschaftlich veranlasst gewesen. Q. T. habe den Gesellschaftsanteil des L. L. nur dann erwerben wollen, wenn die an L. L. gegebene Pensionszusage zuvor abgefunden würde, um die Übernahme zukünftiger Belastungen zu vermeiden. Diese Vorgehensweise sei fremdüblich. Es fehle auch nicht an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung. Denn eine solche Vereinbarung müsse im Fall der Abfindung einer Pensionszusage nicht bereits in der ursprünglichen Pensionszusage enthalten gewesen sein, wie das FG Münster bereits entschieden habe (Urteil vom 23.3.2009 9 K 319/02, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2009, 1779). Die Abfindung stelle lediglich eine Änderung der Auszahlungsmodalitäten dar. Eine Abfindungsvereinbarung könne auch später geschlossen werden, wenn die Abfindung nicht nur auf einem Wunsch des beherrschenden Gesellschafters beruhe, sondern auf dem Umstand, dass die Gesellschaftsanteile veräußert würden und der Erwerber die Anteile nur unter Befreiung von den Pensionslasten übernehmen wolle. Dieser Fall habe dem Vertrag vom xx.xx.2012 zugrunde gelegen, sodass dieser Vertrag auch als entsprechende Abfindungsvereinbarung anzusehen sei. Auch der BFH habe entschieden (Urteil vom 28.4.2010 I R 78/08, BFHE 229, 234, BStBl II 2013, 41), dass die Abfindung einer Pensionszusage jedenfalls dann nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sei, wenn hierdurch der Verkauf der Gesellschaftsanteile ermöglicht und die Leistungen im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses eines nicht beherrschenden Gesellschafters stehen würden. Im Übrigen sei L. L. mit seiner nur 50 %-igen Beteiligung entgegen der Auffassung des Beklagten nicht als beherrschender Gesellschafter anzusehen, sodass es keines formellen Fremdvergleichs bedürfe.
19Eine vGA sei auch nicht deshalb anzunehmen, weil es sich bei der an L. L. zugesagten Pensionszusage nicht um eine unverfallbare Pensionszusage gehandelt habe. Vielmehr sei die Pensionszusage unverfallbar gewesen. Die Formulierung auf Seite 3 im Vertrag über die Pensionszusage vom xx.xx.1993 sei so auszulegen, dass die Regelung der Unverfallbarkeit nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung – BetrAVG – auf die erteilte zugrunde liegende Pensionszusage Anwendung finden solle, sodass es nicht auf die Voraussetzungen des § 17 BetrAVG und die konkrete Arbeitnehmereigenschaft des L. L. ankomme. Die Regelungen zur Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG hätten für L. L. auf die Pensionszusage unabhängig von der weiteren Geltung des BetrAVG analog Anwendung finden sollen. Dies ergebe sich auch aus den Absätzen 3 und 4 der Seite 3 des Vertrags vom xx.xx.1993. In diesen Absätzen seien Regelungen für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles, aber nach Eintritt der Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft enthalten. Wenn aber die Pensionszusage bis zum Eintritt des Versorgungsfalls stets verfallbar gewesen wäre, hätte es dieser Absätze 3 und 4 der Seite 3 nicht bedurft. Dafür spreche auch, dass die Pensionszusage im Fall ihrer Verfallbarkeit kein echter Gehaltsbestandteil des L. L. gewesen wäre, sodass er ein höheres Grundgehalt hätte verlangen müssen.
20Die Klägerin beantragt sinngemäß,
21den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 vom 5.2.2018 und den Gewerbesteuermessbescheid für 2012 vom 3.4.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.1.2020 in der Weise zu ändern, dass die einkommenserhöhende vGA i.H.v. 230.000 € und die einkommensmindernde vE i.H.v. 210.346 € unberücksichtigt bleiben,
22hilfsweise,
23die Revision zuzulassen.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, die vGA sei mit dem Streitjahr im richtigen Jahr erfasst worden, da der Anteilsübertragungsvertrag auf den xx.xx.2012 datiere.
27Im Übrigen liege eine vGA deshalb vor, weil die an L. L. gegebene Pensionszusage nicht unverfallbar gewesen sei. Dies ergebe sich aus Absatz 2 der Seite 3 des Vertrags vom xx.xx.1993. L. L. sei nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 17 BetrAVG anzusehen, sodass die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit nach dem BetrAVG nicht vorlägen. Die Pensionszusage vom xx.xx.1993 enthalte auch sonst keine Regelung über eine Abfindungsmöglichkeit, außer für den Fall der Liquidation der Gesellschaft.
28Der Berichterstatter des Senats hat am 23.3.2022 einen Erörterungstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll verwiesen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet….
29E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
30Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
31I. Die zulässige Klage ist begründet.
32Der Körperschaftsteuerbescheid für 2012 vom 5.2.2018 und der Gewerbesteuermessbescheid für 2012 vom 3.4.2018, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.1.2020, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat die von ihm angenommene vGA im falschen Veranlagungszeitraum erfasst.
331. Unter einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der I. Senat des BFH die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte. Außerdem muss der Vorgang geeignet sein, bei dem begünstigten Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen (BFH-Urteile vom 7.8.2002 I R 2/02, BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131; vom 8.9.2010 I R 6/09, BFHE 231, 75, BStBl II 2013, 186; vom 27.7.2016 I R 8/15, BFHE 255, 32, BStBl II 2017, 214). Ist der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender, so kann eine vGA ferner dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn oder an eine ihm nahe stehende Person erbringt, für die es an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung fehlt (sog. formeller Fremdvergleich, z.B. BFH-Urteile vom 17.1.2018 I R 74/15, BFH/NV 2018, 836; vom 17.12.1997 I R 70/97, BFHE 185, 224, BStBl II 1998, 545, jeweils m.w.N.).
342. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im Streitjahr 2012 keine vGA vor.
35Im Streitjahr ist es nicht zu einer Vermögensminderung gekommen. Eine Auswirkung auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG liegt im Streitjahr nicht vor.
36a) Eine für eine vGA ausreichende Vermögensminderung setzt einen Vorgang voraus, der zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft führt (BFH-Urteil vom 15.12.2004 I R 6/04, BFHE 209, 57, BStBl II 2009, 197, Rz. 10). Denn nur unter dieser Voraussetzung wird der Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 EStG berührt. Daraus folgt, dass eine Vermögensminderung im Sinne der Definition der vGA nicht vorliegen kann, wenn der zu beurteilende Vorgang sich nach den für die Kapitalgesellschaft geltenden Bilanzierungsgrundsätzen in der Steuerbilanz der Gesellschaft nicht auswirkt (BFH-Urteile vom 15.12.2004 I R 6/04, BFHE 209, 57, BStBl II 2009, 197, Rz. 10; vom 31.3.2004 I R 65/03,BFHE 206, 32, BStBl II 2005, 664, Rz. 8; vom 31.3.2004 I R 70/03, BFHE 206, 37, BStBl II 2004, 937, Rz. 8).
37b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im Streitfall im Jahr 2012 keine Vermögensminderung vor. Es ist nicht zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der Klägerin gekommen.
38aa) In der von der Klägerin tatsächlich aufgestellten Handelsbilanz zum 31.12.2012 ist es nicht zu einer Verminderung des Betriebsvermögens gekommen. Dasselbe gilt für die Steuerbilanz der Klägerin, da es insoweit nicht zu einer Abweichung von der Handelsbilanz gekommen ist.
39Denn im Streitjahr 2012 war die mit notariellem Vertrag vom xx.xx.2012 (UR-Nr. […] des Notars I.) unter Teil II.6. der Urkunde vereinbarte Abfindung der Pensionsrückstellungen durch Auszahlung eines Betrages von 230.000 € weder tatsächlich durchgeführt noch in der Handels- und der Steuerbilanz verbucht.
40Die unter Teil II.6. der notariellen Urkunde vom xx.xx.2012 bezeichnete Zahlung erfolgte erst im Jahr 2013. In der auf den 31.12.2012 von der Klägerin aufgestellten Handelsbilanz war die zugunsten des L. L. gebildete Pensionsrückstellung auch nicht aufgelöst. Denn auf der Passivseite war unter Teil B.1. u.a. eine Rückstellung für Pensionsverpflichtungen i.H.v. 476.700,80 € (238.350,40 € je Gesellschafter) enthalten. Diese setzte sich aus dem Wert der Pensionsrückstellung zum 31.12.2011 i.H.v. 439.609,48 € (je 219.804,74 € pro Gesellschafter) zuzüglich einer Zuführung zur Pensionsrückstellung im Jahr 2012 i.H.v. 37.091,32 € (je 18.545,66 € pro Gesellschafter) zusammen. Die Pensionsrückstellung war zum 31.12.2012 also nicht gemindert. Auch eine Zahlung der Klägerin an L. L. war nicht verbucht. Denn in der Gewinn- und Verlustrechnung zum 31.12.2012 war unter Personalaufwand (Löhne und Gehälter) u.a. eine Zuführung zu Pensionsrückstellungen i.H.v. 37.091,32 € ausgewiesen. Eine Abfindung der Pensionsrückstellung war hingegen nicht verbucht.
41Die Klägerin hat die Abfindung gemäß dem notariellen Vertrag vom xx.xx.2012 im Streitjahr 2012 auch nicht in der Weise erfasst, dass eine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber L. L. aufwandswirksam erfasst worden wäre, was eine Vermögensminderung dargestellt und sich auf den Unterschiedsbetrag gemäß § 4 Abs. 1 EStG ausgewirkt hätte. Denn unter Teil C. der Passivseite der Handelsbilanz waren lediglich Verbindlichkeiten i.H.v. insgesamt … € ausgewiesen, die sich u.a. auf Lieferungen und Leistungen (… €), Lohn und Gehalt (… €) sowie Steuern und Abgaben (… €) bezogen. Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern waren nicht vorhanden.
42bb) Eine im Streitjahr zu erfassende Vermögensminderung liegt entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht deshalb vor, weil der Anteilsübertragungsvertrag bereits im Jahr 2012 abgeschlossen worden ist und entgegen der Buchführung der Klägerin bereits in der auf den 31.12.2012 aufgestellten Bilanz eine aufwandswirksame Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber L. L. hätte erfasst werden müssen.
43Denn nach dem Wortlaut des notariellen Vertrages vom xx.xx.2012 ergab sich eine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber L. L. nicht im Streitjahr 2012. Ebenso bestand im Streitjahr keine Forderung des L. L..
44Der Wortlaut eines Vertrages und der zugrunde liegenden Willenserklärungen ist nach der Rechtsprechung des BFH auszulegen nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17.6.2020 I R 56/17, BFH/NV 2021, 121).
45Nach dem Wortlaut des Vertrags vom xx.xx.2012 sprach L. L. seinen Verzicht gegenüber der Klägerin auf die Pensionsrückstellungen „auflösend bedingt gegen Abfindung in Höhe des Wertes der Pensionsrückstellung zum 31.12.2012 durch Auszahlung eines Betrages i.H.v. 230.000,00 €“ aus. Auslegungsbedürftig sind bei dieser Formulierung die Worte „auflösend bedingt“. Würde es sich tatsächlich um eine auflösende Bedingung handeln, so würde der Verzicht auf die Pensionsrückstellung mit der Geldzahlung enden. Wird nämlich ein Rechtsgeschäft unter einer auflösenden Bedingung vorgenommen, so endigt gemäß § 158 Abs. 2 BGB mit dem Eintritt der Bedingung die Wirkung des Rechtsgeschäfts; mit diesem Zeitpunkt tritt der frühere Rechtszustand wieder ein. Wäre also die „auflösende“ Bedingung aus dem Vertrag vom xx.xx.2012 in diesem Sinne zu verstehen, so würde nach der Auszahlung des Betrages von 230.000 € der frühere Rechtszustand wieder eintreten und die Pensionsrückstellung fortbestehen. Dies war zwischen den Vertragsparteien offensichtlich nicht beabsichtigt.
46Vielmehr sollte durch die Zahlung des genannten Betrages die Pensionsrückstellung entfallen. Die Worte „auflösend bedingt“ sind daher im Sinne von „aufschiebend bedingt“ zu verstehen. Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt gemäß § 158 Abs. 1 BGB die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung ein. So war es im Streitfall. Die Pensionsrückstellung sollte mit der Zahlung des Betrags von 230.000 € entfallen. Mit dem Wort „auflösend“ war demnach die Auflösung der Pensionsrückstellung gemeint.
47Unter Berücksichtigung dieser Auslegung des Vertrags vom xx.xx.2012 war das Rechtsgeschäft bei Abschluss des Vertrags noch nicht wirksam. Die rechtlichen Wirkungen traten aufgrund der aufschiebenden Bedingung vielmehr erst bei Zahlung des Betrages von 230.000 € ein. Dies war erst im Jahr 2013 der Fall. Dementsprechend war bei Abschluss des Vertrags noch keine bilanziell zu erfassende Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber L. L. entstanden.
483. Die Frage, ob die Abfindung der vGA eine im Jahr 2013 zu erfassende vGA darstellt, kann vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen dahinstehen. Das Jahr 2013 ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
49II. Die Entscheidung, dass der Beklagte die festzusetzenden Beträge zu errechnen und mitzuteilen hat, beruht auf § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
51Die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO. Der Senat hat die gefestigte Rechtsprechung des BFH auf den Einzelfall angewendet.