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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Am 14.08.2022 (00:17 Uhr) erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt (im Folgenden Klägervertreter), per Telefax Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 sowie die Gewerbesteuermessbescheide 2014 und 2015 vom 04.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.07.2022. Die Klage ging zusätzlich/nochmal per Post am 15.08.2022 beim Finanzgericht ein. Beide Klagen waren eigenhändig unterschrieben.
3Mit Verfügung vom 15.08.2022, an den Klägervertreter per Telefax und per beA übermittelt, wies der Berichterstatter auf die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung nach § 52d Finanzgerichtsordnung (FGO) hin (Bl. 115 der Gerichtsakte).
4Mit Gerichtsbescheid vom 24.08.2022, dem Klägervertreter mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 27.08.2022 und zugleich per beA übermittelt, hat der Berichterstatter die Klage wegen der Nichteinhaltung der Formvoraussetzungen des § 52d i.V.m. § 52a FGO als unzulässig abgewiesen.
5Im Telefonat vom 02.09.2018 (10:18 Uhr) teilte der Klägervertreter der Geschäftsstelle des 9. Senates (...) mit, dass er Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid einlegen werde. Allerdings lasse sich das Rechtsmittel nicht per beA übersenden. Andere Schreiben könne er wohl per beA übersenden, dieses Schreiben speziell bleibe aber immer im Postausgang hängen. Er werde dem Gericht das Rechtsmittel nun per Post übersenden. Sollte etwas gegen die Vorgehensweise sprechen, bitte er um Mitteilung (Telefonvermerk vom 02.09.2022, Bl. 155 der Gerichtsakte).
6Der Berichterstatter erteilte dem Kläger daraufhin mit Verfügung vom 03.09.2022 schriftlich folgenden Hinweis (Bl. 156 der Gerichtsakte):
7„In dem o.g. Rechtsstreit weise ich - bezugnehmend auf Ihr Telefonat vom 02.09.2022 um 10:18 Uhr mit ... (Serviceeinheit des 9. Senats) - darauf hin, dass bei technischen Störungen des beA die Voraussetzungen des § 52d Satz 3 und Satz 4 FGO zu beachten sind. Die technischen Störungen sind glaubhaft zu machen. Sollte die Glaubhaftmachung gelingen, fordere ich Sie bereits jetzt auf, ein elektronisches Dokument jedenfalls nachzureichen § 52d Satz 4 2. Halbs. FGO. Bislang ist eine technische Störung nach Auffassung des Berichterstatters nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels ist aber noch längst nicht abgelaufen, so dass eine fristwahrende formgerechte Einlegung auch noch möglich ist.“
8Mit Schriftsatz vom 30.08.2022, per Briefpost eingegangen beim Finanzgericht am 05.09.2022, beantragt der Klägervertreter, die Klage zu „genehmigen“ bzw. „für zulässig zu erklären“. In der Zeit von Juni bis Ende August habe er technische Probleme bei der Einrichtung des elektronischen Postfachs gehabt. Trotz mehrerer Versuche und Hinzuziehung des entsprechenden IT-Fachpersonals seien diese Probleme bis vor ein paar Tagen nicht behoben worden. Während dieses Zeitraums sei es nicht möglich gewesen, die Klage mittels des besonderen Anwaltspostfachs (beA) zu übermitteln. Der Fehler habe bei Komplikationen im Zuge des Umtausches der Karten und des PIN-Codes der neuen Karte gelegen. Dies sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen. Somit sei er zur Einreichung der Klage auf die allgemeinen Vorschriften per Post und per Telefax im Sinne des § 52d FGO angewiesen gewesen. Die Klagefrist habe er auf diesem Wege auch ordnungsgemäß eingehalten. Hilfsweise beantragt er, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Seinem Schriftsatz fügte er sog. „Screenshots“ aus dem beA-Postfach bei, wonach es am 30.08.2022 (14:04 Uhr) und am 01.09.2022 (15:16 Uhr) zu fehlerhaften Übermittlungen unter dem Aktenzeichen „9 K 1967/22 E, G“ Betreff „E. L.“ an das Finanzgericht Münster gekommen war. Weiter fügte er eine schriftliche Erklärung des Herrn F. T. bei, dass es im Zeitraum von Juni bis Ende August eine Übermittlung mit dem elektronischen Anwaltspostfach in der Kanzlei nicht möglich gewesen sei. Versuche, diese Probleme mittels IT-Fachleuten und des technischen Hilfsdienstes der beA-Software zu lösen, seien bis Ende August erfolglos geblieben.
9Mit Verfügung vom 05.09.2022 teilte der Berichterstatter dem Klägervertreter mit, dass er das Schreiben des Klägervertreters vom 30.08.2022, eingegangen beim Finanzgericht per Briefpost am 05.09.2022, als Antrag auf mündliche Verhandlung auslege. Zugleich forderte der Berichterstatter den Klägervertreter unter Hinweis auf § 52d Satz 4 2. Halbs. FGO auf, einen elektronischen Antrag auf mündliche Verhandlung nachzureichen.
10Mit Verfügung vom 15.09.2022 wies der Berichterstatter die Beteiligten darauf hin, dass eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter in Betracht komme und gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis um 30.09.2022.
11Die Beteiligten haben hierzu keine Stellungnahme abgegeben.
12Am 19.09.2022 übermittelte der Klägervertreter das Empfangsbekenntnis hinsichtlich des Gerichtsbescheides vom 24.08.2022 per beA an das Finanzgericht.
13Mit Beschluss vom 17.10.2022 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
14Mit Schriftsatz vom 06.12.2022 übermittelte der Klägervertreter die Klageschrift per beA an das Finanzgericht und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er aus, dass das beA-System nicht funktioniert habe, weil sich die neue beA Karte bis Ende Oktober nicht habe einrichten lassen. Zum Beweis hierfür beantragt er die Zeugenvernehmung seines Mitarbeiters F. T.
15In der Sache hat am 07.12.2022 eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17I. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30.08.2022, beim Gericht eingegangen am 05.09.2022, einen form- und fristgerechten Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, so dass der Gerichtsbescheid gem. § 90a Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) als nicht ergangen gilt und nicht als Urteil wirkt. Der Antrag ist nicht formunwirksam gem. § 52a i.V.m. § 52d Satz 1 FGO, da der Klägervertreter die Voraussetzungen des § 52d Satz 3, 4 FGO im Hinblick auf den Antrag auf mündliche Verhandlung durch gleichzeitige Vorlage der „Screenshots“ aus dem beA bereits gleichzeitig mit dem Abtrag auf mündliche Verhandlung und damit unverzüglich glaubhaft gemacht hat.
18II. Der Einzelrichter konnte trotz des Nichterscheinens des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhandeln und erscheinen. Der Kläger ist ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und in der Ladung auf die Rechtsfolge des § 90 Abs. 2 FGO hingewiesen worden.
19III. Die Klage ist unzulässig.
201. Der Kläger hat die am 14.08.2022 per Telefax sowie am 15.08.2022 per Post übermittelte Klage nicht in der Form des § 52a FGO erhoben, so dass der Antrag als nicht vorgenommen gilt (BFH-Beschluss vom 23.08.2022 – VIII S 3/22, BFH/NV 2022, 1248).
21Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument – die Einzelheiten zur Übermittlung elektronischer Dokumente ergeben sich aus § 52a FGO – zu übermitteln (BFH-Beschluss vom 27.04.2022 – XI B 8/22, BB 2022 mit Anm. Wackerbeck).
22Ein Rechtsanwalt, der ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach, sog. "beA", zu unterhalten hat, ist nach § 52d Satz 1 FGO seit dem 01.01.2022 nutzungspflichtig, wenn er als vertretungsberechtigter Prozessbevollmächtigter im finanzgerichtlichen Verfahren ein bei Gericht eingereichtes Dokument in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt unterzeichnet. Ein solches Dokument darf daher nach dem 31.12.2021 nicht mehr schriftlich oder per Telefaxschreiben, sondern nur noch elektronisch bei Gericht eingereicht werden (BFH-Beschluss vom 27.04.2022 - XI B 8/22, BB 2022 mit Anm. Wackerbeck).
23Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 52d Satz 3 FGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§52d Satz 4 FGO).
24a) Diesen Anforderungen genügt die ausschließlich per Telefax und per Briefpost eingereichte Klageschrift vom 14.08.2022 bzw. 15.08.2022 nicht.
25b) Ausnahmegründe nach § 52d Satz 3 FGO hat der Kläger bzw. der Klägervertreter hinsichtlich der Klageerhebung – anders als im Schriftsatz vom 30.08.2022 bezüglich des Antrags auf mündliche Verhandlung – nicht gem. § 52d Satz 4 FGO unverzüglich glaubhaft gemacht. Sofern er sich in den Schriftsätzen vom 30.08.2022 und vom 06.12.2022 zusätzlich allgemein auf bereits seit Juni bestehende und bis August bzw. Oktober andauernde Probleme mit dem beA beruft, so kann dahinstehen, ob er diese Probleme auch bezüglich der Klageerhebung am 14.08.2022 bzw. 15.08.2022 hinreichend glaubhaft gemacht hat und ob sein Vortrag nicht in Widerspruch zur telefonischen Auskunft gegenüber der Serviceeinheit des 9. Senates am 02.09.2022 bzw. der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses per beA am 19.09.2022 steht. Denn eine unverzügliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit setzt eine Glaubhaftmachung ohne schuldhaftes Zögern (§ 294 ZPO) voraus (Schmieszek in Gosch, FGO, § 52d Rdn. 11). Dies kann angesichts des seit der Klageerhebung vergangenen Zeitraums von mehr als zwei Wochen ohne den Vortrag besonderer Umstände nicht angenommen werden.
262. Auch mit Schriftsätzen vom 30.08.2022 und vom 06.12.2022 hat der Kläger keine zulässige Klage erhoben.
27In seinem Schriftsatz vom 30.08.2022 verweist der Klägervertreter auf die bisherige Klageerhebung, beruft sich unter Vorlage der „Screenshots“ aus dem beA auf technische Probleme und beantragt, die bereits erhobene Klage „für zulässig zu erklären“ bzw. zu „genehmigen“. Legt man diesen Schriftsatz als formwirksame Klage aus, weil der Klägervertreter jedenfalls in Bezug auf diesen Schriftsatz die Voraussetzungen des § 52d Satz 3 und 4 FGO unverzüglich glaubhaft gemacht hat (siehe unter Ziff. I), so ist diese Klage jedoch nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist (§ 47 Abs. 1 FGO) erhoben worden und damit verfristet.
28Ebenfalls verfristet ist die am 06.12.2022 formgerecht per beA eingereichte Klage.
29Die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erfolgte gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO i.V.m. § 108 Abs. 1, 3 AO, da der dritte Tag nach deren Aufgabe zur Post ein Samstag (16.07.2022) war, am 18.07.2022 (Montag), so dass Fristbeginn gem. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB der 19.07.2022 um 0 Uhr und Fristende der 18.08.2022 (Donnerstag) um 24 Uhr war (§ 108 Abs. 1 AO, i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB).
30Der Schriftsatz des Klägers vom 30.08.2022 ist jedoch erst am 05.09.2022 - und damit deutlich nach Fristablauf - beim Finanzgericht eingegangen. Gleiches gilt für die per beA am 06.12.2022 übermittelte Klage.
313. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren.
32Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO).
33Zwar ist der Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.08.2022 nach Auffassung des Einzelrichters (auch) als Wiedereinsetzungsantrag anzusehen/auszulegen. Mit Schriftsatz vom 06.12.2022 hat der Klägervertreter ebenfalls einen (nunmehr ausdrücklichen) Widereinsetzungsantrag gestellt.
34Nach Auffassung des Einzelrichters scheitert eine Wiedereinsetzung jedoch (bereits) daran, dass die Versäumnis der Klagefrist schuldhaft war.
35Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger zuzurechnen (Bruns, in Gosch, FGO, § 56 Rdn. 13). Für das Verschulden gilt kein objektivierter, sondern ein subjektiver Verschuldensbegriff. Für den berufsmäßig Bevollmächtigen gelten daher im Allgemeinen strengere Anforderungen als für den Beteiligten. Die Fristversäumnis durch einen rechtskundigen Vertreter ist grundsätzlich nur entschuldigt, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können (BFH-Beschluss vom 10.12.2019 – VIII R 19/17, BFH/NV 2020, 375; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, § 56 Rdn. 268).
36Nach diesen Grundsätzen hat der Klägervertreter die Klagefrist schuldhaft versäumt. Denn hätte er die Voraussetzungen der §§ 52d Sätze 3 und 4 FGO zusammen mit oder unverzüglich nach der ursprünglichen Klageerhebung vom 14.08.2022 bzw. 15.08.2022 dargelegt und glaubhaft gemacht, so wäre die Klagefrist auch ohne Übermittlung als elektronisches Dokument gewahrt worden. Es hätte dann eine wirksame Ersatzeinreichung vorgelegen.
37Insoweit etwaig mangelnde Rechtskenntnis kann insbesondere bei Rechtsanwälten als berufsmäßigen Vertretern kein fehlendes Verschulden rechtfertigen. Im Streitfall kommt hinzu, dass der Berichterstatter den Klägervertreter bereits per Telefax und per beA mit Verfügung vom 15.08.2022 (ausgeführt von der Geschäftsstelle am 16.08.2022) auf die Formvorschrift des § 52d FGO hingewiesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war darüber hinaus – wie unter Ziff. II 2. a) dargestellt – auch die Klagefrist noch nicht abgelaufen, so dass eine wirksame (Ersatz-)einreichung der Klage möglich gewesen wäre.
38IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
39V. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Entscheidung folgt den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht im Übrigen auf den Umständen und Feststellungen des Einzelfalles.