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Der Aufhebungsbescheid vom 04.01.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
2Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn S. Kl. (geb. am xx.xx.2002) ab Februar 2022 zusteht.
3S. erwarb nach dem Besuch der Realschule den mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) und nach dem anschließenden Besuch der Höheren Handelsschule die Fachhochschulreife (Bl. 168 ff. der Gerichtsakte). Nach dem Abschluss der Schulausbildung absolvierte er von August 2020 bis Juli 2021 den Bundesfreiwilligendienst (Bl. 24 ff., 44 und 76 der Kindergeldakte).
4Nachdem die Klägerin eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit H-Stadt vom 30.06.2021, nach welcher S. dort seit dem 03.05.2021 bis auf weiteres als ausbildungssuchend geführt wird (Bl. 57 der Kindergeldakte), vorgelegt hatte, setzte die Beklagte Kindergeld ab August 2021 fest (Bescheid vom 16.07.2021, Bl. 65 der Kindergeldakte).
5Vom 18.10.2021 bis 21.01.2022 absolvierte S. eine Ausbildung zum Rettungssanitäter bei dem Kreis T-Stadt (Bl. 111 ff. der Kindergeldakte). Nach dem Ausbildungsvertrag vom 14.09.2021 gliederte sich die Ausbildung wie folgt (Bl. 111 der Kindergeldakte):
618.10.2021 – 12.11.2021 Einführungslehrgang
715.11.2021 – 10.12.2021 Praktikum im Krankenhaus
813.12.2021 – 14.01.2022 Praktikum in der Rettungswache
917.01.2022 – 21.01.2022 Prüfungswoche am Studieninstitut
10Nach § 2 des Ausbildungsvertrages bestimmt sich das Ausbildungsverhältnis nach den Vorschriften der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter sowie Rettungshelferinnen und Rettungshelfer des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.11.1992 in seiner jeweiligen Fassung. S. stand ein Taschengeld in Höhe von monatlich 250 EUR zu (§ 4 des Ausbildungsvertrages).
11Am xx.01.2022 bestand S. die Prüfung für Rettungssanitäter vor dem staatlichen Prüfungsausschuss an der Rettungsdienstschule am Studieninstitut mit der Gesamtnote xxx (Prüfungszeugnis vom xx.01.2022, Bl. 58 der Gerichtsakte).
12Ab dem xx.01.2022 nahm er bei dem Kreis T-Stadt eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter nach der Entgeltgruppe 4 TVöD-V mit einem monatlichen Bruttolohn von 2.413 EUR auf (Bl. 114 der Kindergeldakte, Bl. 59 ff. der Gerichtsakte).
13Ab Dezember 2021 bewarb sich S. bei mehreren Ausbildungsbetrieben im gesamten Bundesgebiet für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter (Bl. 25 ff. der Gerichtsakte). Die Bewerbungen blieben bisher ohne Erfolg (vgl. Absageschreiben aus den Monaten Januar 2022, Februar 2022, April 2022, Juni 2022, Juli 2022, September 2022, vgl. Bl. 27 ff. und Bl. 161 ff. der Gerichtsakte). Einige Ausbildungsbetriebe begründeten ihre Absage mit der großen Bewerberanzahl (z.B. 350 bzw. 430 Bewerbungen, Bl. 30 und 164 der Gerichtsakte). Teilweise wiesen die Betriebe darauf hin, dass S. den Fitnesstest nicht bestanden habe (E-Mails vom 26.09.2022, Bl. 161). Teilweise nahm S. nach bestandenem „Sport- und Kurztest“ an einem Vorstellungsgespräch teil (Bl. 38 der Gerichtsakte). Zuletzt wurde er von der Stadt H-Stadt zu einem Auswahlverfahren am 19.10.2022 eingeladen (E-Mail vom 04.10.2022, Bl. 176 der Gerichtsakte).
14Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2022 auf (Aufhebungsbescheid vom 04.01.2022).
15Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass es sich bei der Ausbildung zum Rettungssanitäter nicht um einen anerkannten Ausbildungsberuf, sondern lediglich um eine Qualifizierung/Weiterbildung im Rahmen eines dreimonatigen Lehrgangs handele. Ihr Sohn strebe eine Ausbildung zum Notfallsanitäter an. Ab dem 22.01.2022 gehe er einer Erwerbstätigkeit mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden nach (Bl. 107 f. der Kindergeldakte).
16Die Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und führte an, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter als erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – anzusehen sei. Nichts anderes ergebe sich aus der angestrebten Ausbildung zum Notfallsanitäter. Zwar liege insofern ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten vor. Auch setze die Ausbildung zum Notfallsanitäter keine berufspraktische Tätigkeit voraus (Bl. 116 der Kindergeldakte). Ein Kindergeldanspruch scheitere aber aufgrund einer Ermessensentscheidung daran, dass die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehe. Insbesondere nutze S. die durch die Ausbildung zum Rettungssanitäter erlangte Qualifikation. Zudem arbeite er in Vollzeit, wohingegen die weitergehenden Ausbildungsmaßnahmen noch nicht durchgeführt werden (Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022).
17Mit der Klage macht die Klägerin ergänzend geltend, dass die Beklagte nach dem Schreiben des Bundeszentralamts für Steuern vom 26.02.2020, Abschnitt V, BStBl I 2020, 251 in Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. b und c EStG eine Prognoseentscheidung zu treffen habe. Dies sei nicht erfolgt. Insbesondere habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass S. seiner Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nur bis zum Beginn der angestrebten Ausbildung zum Notfallsanitäter nachgehen werde. Neben der in Vollzeit und im Schichtdienst ausgeübten Ausbildung zum Notfallsanitäter könne eine solche Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt werden.
18Die Klägerin beantragt,
19den Aufhebungsbescheid vom 04.01.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 aufzuheben.
20Die Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie geht davon aus, dass der Sohn der Klägerin eine Ausbildung zum Notfallsanitäter anstrebe. Ein Kindergeldanspruch scheitere aber daran, dass die Erwerbstätigkeit im Streitzeitraum im Vordergrund stehe.
23In der Sache hat am 30.09.2022 ein Erörterungstermin stattgefunden, in dem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen (Bl. 131 ff. der Gerichtsakte).
24Entscheidungsgründe
25A. Der Senat kann im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO).
26B. Die Klage ist begründet. Der Aufhebungsbescheid vom 04.01.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ihr steht ein Kindergeldanspruch für ihren Sohn S. für den Monat Februar 2022 zu. Ihr Sohn ist nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen (dazu I.) und der Kindergeldanspruch ist nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ausgeschlossen (dazu II.).
27I. Der Sohn der Klägerin ist nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen.
281. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Das Kind muss sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühen. Dabei ist das Bemühen um einen Ausbildungsplatz glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen, es habe sich ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht oder sei stets bei der Agentur für Arbeit als ausbildungsuchend gemeldet gewesen, reichen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegen zu wirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben (BFH-Urteil vom 18.06.2015 VI R 10/14, BFHE 250, 145, BStBl II 2015, 940).
29Grundsätzlich ist jeder Ausbildungswunsch des Kindes zu berücksichtigen; seine Verwirklichung darf jedoch nicht an den persönlichen Verhältnissen des Kindes scheitern (BFH-Urteil vom 15.07.2003 VIII R 71/99, BFH/NV 2004, 473). Ein Kindergeldanspruch scheidet aus, wenn das Kind den Ausbildungsplatz ohnehin nicht antreten könnte, weil es die objektiven Anforderungen dafür nicht erfüllt oder es aus anderen Gründen am Antritt gehindert wäre (BFH-Urteile vom 07.04.2011 III R 24/08, BFHE 233, 44, BStBl II 2012, 210 und vom 18.02.2021 III R 35/19, BFH/NV 2021, 938).
30Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen. Ein Kindergeldanspruch kann auch dann bestehen, wenn das Kind etwa nach dem Abitur auf einen Studienplatz wartet und die Wartezeit mit einer in Vollzeit ausgeübten Erwerbstätigkeit überbrückt. Entsprechendes gilt, wenn das Kind sich aus einer mehrjährigen Berufstätigkeit heraus um eine weitere Berufsausbildung bemüht, diese Ausbildung aus studienorganisatorischen Gründen aber nicht sogleich antreten kann und bis dahin im Beruf weiterarbeitet (BFH-Urteile vom 28.02.2013 III R 9/12, BFH/NV 2013, 1079 und vom 17.06.2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982). Eine typische Unterhaltssituation ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der einzelnen Berücksichtigungstatbestände (BFH-Urteil vom 27.09.2012 III R 70/11, BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544).
312. Nach diesen Grundsätzen hat sich der Sohn der Klägerin ernsthaft um einen Ausbildungsplatz als Notfallsanitäter bemüht.
32a) Die Klägerin hat die Bewerbungsbemühungen durch die Vorlage von zahlreichen Ablehnungsschreiben der Ausbildungsbetriebe nachgewiesen. Da dies zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab.
33b) Die Verwirklichung der angestrebten Ausbildung scheitert nicht an den persönlichen Verhältnissen des Sohnes. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er die objektiven Anforderungen an die Ausbildung zum Notfallsanitäter nicht erfüllt.
34Nach § 8 des Notfallsanitätergesetzes setzt die Ausbildung die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs (Nr. 1) und im Falle einer Ausbildung an einer staatlichen Schule den mittleren Schulabschluss (oder eine andere gleichwertige, abgeschlossene Schulbildung) oder eine nach einem Hauptschulabschluss oder einer gleichwertigen Schulbildung erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung von mindestens zweijähriger Dauer voraus (Nr. 2 Buchst. a).
35Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass S. die gesundheitliche Eignung nicht aufweist. Zwar ergibt sich aus einigen Ablehnungsschreiben, dass er den Fitnesstest nicht bestanden hat. Anderen Ablehnungsschreiben kann aber entnommen werden, dass er den Sporttest bestanden hat und anschließend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist. Ferner besitzt S. den mittleren Schulabschluss sowie die Fachhochschulreife.
36c) Auch steht die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter dem Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen. Nach den dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen ist allein entscheidend, dass sich S. neben seiner Erwerbstätigkeit ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht. Auch hat die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass ihr Sohn die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter beendet wird, sobald er eine Ausbildung zum Notfallsanitäter antreten kann. Hierfür spricht, dass neben der der in Vollzeit und im Schichtdienst ausgeübten Ausbildung zum Notfallsanitäter eine Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nicht möglich sein wird.
37II. Der Kindergeldanspruch ist nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ausgeschlossen.
38Nach diesen Regelungen wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich.
391. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Begriff der erstmaligen Berufsausbildung wie folgt auszulegen:
40a) Eine Erstausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang voraus. Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt. Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen (BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BStBl II 2020, 562). Danach soll der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Begriff der Berufsausbildung sicherstellen, dass nicht bereits jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zum Verbrauch der Erstausbildung führt. Voraussetzung soll danach zum einen sein, dass das Kind durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, weshalb insbesondere der Besuch einer allgemein bildendenden Schule keine erstmalige Berufsausbildung vermitteln soll. Zum anderen muss der Beruf nach der Gesetzesbegründung durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt werden und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen werden, weshalb beispielsweise ein bloßer Computerkurs nicht für eine Erstausbildung ausreichen soll (BFH-Urteil vom 03.07.2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152 unter Bezugnahme auf BR-Drucks 54/11, S. 55 f.). Die Qualifizierung zum Rettungshelfer stellt keine erstmalige Berufsausbildung dar, weil die Qualifizierung jedenfalls in Hessen ohne Abschlussprüfung erfolgt (FG Hessen, Urteil vom 21.05.2015 2 K 155/13, EFG 2015, 1613). Nach A 20.2.1 Abs. 2 Nr. 3 DA-KG sollen zur Berufsausbildung auch die Ausbildung auf Grund der bundes- oder landesrechtlichen Ausbildungsregelungen für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen gehören.
41Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Werbungskostenabzug von Berufsausbildungsaufwendungen stellt die Ausbildung zum Rettungssanitäter eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 12 Nr. 5 EStG a.F. dar (BFH-Urteil vom 27.10.2011 VI R 52/10, BStBl II 2012, 825). Dagegen stellt die Ausbildung zum Rettungshelfer im Rahmen des Zivildienstes, die weder landes- noch bundesrechtlich einheitlich geregelt ist noch mit einer Prüfung abschließt, keine Erstausbildung i.S.d. § 9 Abs. 6 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG dar (FG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2020 14 K 3796/13 E,F, EFG 2021, 194, Rev. anhängig unter VI R 14/20).
42b) Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil vom 19.02.2020 III R 28/19, BFHE 268, 308, BStBl II 2020, 562).
43Am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang fehlt es, wenn das Kind nach Erlangung eines ersten – objektiv berufsqualifizierenden – Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt, obwohl es diesen früher hätte beginnen können (BFH-Urteil vom 11.04.2018 III R 18/17, BFHE 261, 151, BStBl II 2018, 548). Auch führt die vor dem Beginn des zweiten Ausbildungsabschnitts erforderliche Berufstätigkeit zu einem Einschnitt (Zäsur), der den notwendigen engen Zusammenhang entfallen lässt. Das Gleiche gilt, wenn das Kind eine weitere Ausbildung erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginnt, die nicht der zeitlichen Überbrückung dient, weil es mit der weiterführenden Ausbildung früher hätte beginnen können. Wird somit eine Berufstätigkeit zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten aufgenommen, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, können die einzelnen Ausbildungsabschnitte regelmäßig nicht mehr integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung sein (BFH-Urteil vom 04.02.2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615).
44Der Bundesfinanzhof hat diese Rechtsprechungsgrundsätze für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, fortentwickelt. Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten (BFH-Urteil vom 11.12.2018 III R 26/18, BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765). Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob das Arbeitsverhältnis unbefristet oder auf mehr als 26 Wochenstunden befristet ist, ob sie dem abgelegten Abschluss entspricht oder ob die weitere Ausbildung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild neben der Berufstätigkeit absolviert wird (BFH-Urteil vom 17.01.2019 III R 8/18, BFH/NV 2019, 815 zu den einzelnen Kriterien).
45In Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG gilt das Ergebnis der vorgenannten Gesamtabwägung auch für die vor Beginn des weitergehenden Ausbildungsabschnitts liegende Übergangs- oder Wartezeit, sofern nicht besondere Umstände ersichtlich werden, die eine abweichende Beurteilung der Übergangszeit und des zweiten Ausbildungsabschnitts rechtfertigen (BFH-Urteile vom 21.03.2019 III R 12/18, BFH/NV 2019, 1082 und vom 21.03.2019 III R 56/18, BFH/NV 2019, 918; vgl. auch A 20.2.4 DA-KG 2022).
462. Demnach ist der Kindergeldanspruch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ausgeschlossen.
47a) Es kann dahinstehen, ob die Ausbildung zum Rettungssanitäter für sich gesehen eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist. Insbesondere braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach die Ausbildung zum Rettungssanitäter eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 12 Nr. 5 EStG a.F. darstellt (BFH-Urteil vom 27.10.2011 VI R 52/10, BStBl II 2012, 825), auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übertragbar ist und welche Konsequenzen sich aus der ab Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Neuregelung in § 9 Abs.6 Satz 2 EStG (Mindestdauer der Erstausbildung von zwölf Monaten) für die Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ergeben.
48b) Denn jedenfalls stellen die Ausbildung zum Rettungssanitäter und die von dem Sohn angestrebte Ausbildung zum Notfallsanitäter eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar.
49Ein enger sachlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass beide Berufsgruppen im Bereich der notfallmedizinischen Versorgung und des Transports von Patienten tätig werden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sich der Sohn der Klägerin bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss an diese Ausbildung ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat. Auch führt die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur, da die Ausbildung zum Notfallsanitäter keine derartige berufspraktische Tätigkeit voraussetzt und der Senat davon überzeugt ist, dass der Sohn die Erwerbstätigkeit aufgeben wird, sobald er eine Ausbildungsstelle zum Notfallsanitäter gefunden hat. Wie bereits ausgeführt, spricht hierfür, dass neben der der in Vollzeit und im Schichtdienst ausgeübten Ausbildung zum Notfallsanitäter eine Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nicht möglich sein wird. Damit diente die Erwerbstätigkeit – im streitbefangenen Monat Februar 2022 – lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt.
50Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dem Kindergeldanspruch nicht entgegengehalten werden, dass die Berufstätigkeit des Sohnes im Vordergrund steht. Es trifft zwar zu, dass S. einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in seinem Ausbildungsberuf (Rettungssanitäter) nachgeht. Die vom Bundesfinanzhof aufgestellten Kriterien können aber nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die Erwerbstätigkeit neben dem weitergehenden Ausbildungsabschnitt ausgeübt wird. Für die davor liegende Übergangs- oder Wartezeit i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG hat dies zur Konsequenz, dass ein Kindergeldanspruch nur dann besteht, wenn die angestrebte Ausbildungsmaßnahme zukünftig neben der Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehen wird. Da insofern ein in der Zukunft liegender Sachverhalt zu beurteilen ist, hat die Familienkasse und ggf. das Gericht eine Prognosentscheidung zu treffen. Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung liegen – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht vor.
51Vorliegend ergibt die Prognose, dass die Erwerbstätigkeit des Sohnes nicht im Vordergrund stehen wird und damit auch in der Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG einem Kindergeldanspruch nicht entgegensteht. Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass ihr Sohn seine Erwerbstätigkeit mit dem Beginn des weitergehenden Ausbildungsabschnitts beenden wird. Wie bereits ausgeführt, spricht hierfür, dass neben der der in Vollzeit und im Schichtdienst ausgeübten Ausbildung zum Notfallsanitäter eine Erwerbstätigkeit als Rettungssanitäter nicht möglich sein wird. Da die Tätigkeit als Notfallsanitäter besser vergütet wird als die Tätigkeit als Rettungssanitäter, besteht zudem ein finanzieller Anreiz des Sohnes, die Ausbildung zum Notfallsanitäter zeitnah abzuschließen.
52III. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Die Entscheidung ist auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangen.
53Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.