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Der Haftungsbescheid vom 29.05.2018 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 01.06.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 08.10.2018 wird aufgehoben, soweit sich die Haftungsbeträge auf die Jahre 2013, 2014, 2016 und 2017 beziehen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Streitig sind die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheides und dabei die Bewertung von Unterkünften, welche die Klägerin Saisonarbeitern zur Verfügung gestellt hat.
3Die Klägerin betreibt einen […] in T. Sie beschäftigt Saisonarbeiter und stellte diesen in den Streitjahren 2013 bis 2017 insgesamt 20 Wohncontainer und 10 Wohnwagen zur Verfügung. Die Wohncontainer haben eine Wohnfläche von ca. 6 qm und verfügen über keinen Vorflur oder Windfang (vgl. Protokoll zum Besichtigungstermin am 19.09.2018). Sie sind mit einer mobilen Kochplatte, einem Kühlschrank sowie mobilen strombetriebenen Heizkörpern (vgl. Bilder in dem Rechtsbehelfsvorgang) ausgestattet. Die Wohnwagen haben eine Wohnfläche von ca. 7,5 qm und sind mit einer Küchenzeile samt Wasseranschluss und teilweise mit einem Vorzelt ausgestattet. Sie waren grundsätzlich von zwei Personen – meist Ehegatten – belegt (vgl. Schriftsatz der Klägerseite vom 06.11.2018, Bl. 8 der Gerichtsakte).
4Die sanitären Anlagen waren in vier Sanitärcontainern untergebracht und von den Wohncontainern und Wohnwagen nur über den Außenbereich zu erreichen. Die Sanitärcontainer waren mit Toiletten, Duschen und Waschmaschinen bzw. Waschrinnen ausgestattet. Die Gesamtfläche der vier Sanitärcontainer betrug rund 63 qm. Die Wäsche wurde in der Regel auf Wäscheständern im Freien getrocknet.
5Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.10.2011 kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass für die Berechnung des geldwerten Vorteils aus der unentgeltlichen Unterkunftsüberlassung „neben den besonderen Umständen auf dem Betriebsgelände, auch die zum Teil sehr einfache Unterbringung auf geringer Wohnfläche, die Mehrfachbelegungen und die gemeinschaftlichen Sanitäreinrichtungen zu berücksichtigen“ seien. Bisher sei von einem monatlichen Wert von 51 EUR ausgegangen worden. Zukünftig sei – im Einvernehmen mit der Klägerin – ein Wert von 71,40 EUR anzusetzen (vgl. Prüfungsbericht vom 13.01.2012, Bl. 43 ff. der Gerichtsakte).
6In den Streitjahren überließ die Klägerin ihren Mitarbeitern die Unterkünfte zunächst unentgeltlich. Ab dem Jahr 2016 erfolgte die Überlassung teilweise gegen Zahlung eines Mietzinses in Höhe von monatlich 100 EUR und teilweise unentgeltlich.
7Im Rahmen der Lohnsteueranmeldung für die Jahre 2013 und 2014 setzte die Klägerin monatliche geldwerte Vorteile für jeden Mitarbeiter in Höhe von 71,40 EUR sowie teilweise in anderer Höhe, beispielsweise in Höhe von 15 EUR (z.B. für J C für April 2013 bis September 2013), 75 EUR (z.B. für C U für Januar und Februar 2013) und 100 EUR (z.B. für H R für Januar 2013 bis Dezember 2013), an. Ab dem Jahr 2015 erklärte sie monatliche geldwerte Vorteile in Höhe von 100 EUR (z.B. für B B für April 2016 bis September 2016), 150 EUR (z.B. für S L für Januar 2016 bis Dezember 2016), 50 EUR (z.B. für D M für Mai 2017 bis Oktober 2017) und 15 EUR (z.B. L N für Januar 2017 bis Oktober 2017). Für Monate, in denen der jeweilige Mitarbeiter die Unterkunft nur teilweise bewohnt hatte, berücksichtigte sie den geldwerten Vorteil zeitanteilig. In den Jahren 2013 bis 2015 rechnete sie den Nettobetrag auf einen Bruttobetrag hoch und setzte den Bruttobetrag als geldwerten Vorteil an. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 1 zum Prüfungsbericht vom 29.05.2018 Bezug genommen.
8Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.10.2017 durch. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass die Klägerin ihren Arbeitnehmern Wohnraum verbilligt überlassen habe und dass insoweit ein geldwerter Vorteil zu erfassen sei. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes – EStG – seien die Sachbezugswerte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 der Sozialversicherungsentgeltverordnung – SvEV – anzusetzen. Da dieser Ansatz für das Steuerrecht zwingend sei, könne die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV keine Anwendung finden. Die Prüferin ging von folgenden Werten aus:
9Jahr |
Sachbezugswert (in EUR) |
|
Einzelbelegung |
Doppelbelegung |
|
2013 |
216 |
129,60 |
2014 |
221 |
132,60 |
2015 |
223 |
133,80 |
2016 |
223 |
133,80 |
2017 |
223 |
133,80 |
Die Prüferin errechnete die Differenz zwischen diesen Werten und den von der Klägerin angemeldeten Werten. Dabei berücksichtigte sie nur Monate, in denen sich der jeweilige Mitarbeiter den gesamten Monat in der Unterkunft aufgehalten hatte, und nahm teilweise eine Einzel- und teilweise eine Doppelbelegung an. Monate, für die die Klägerin geldwerte Vorteile in Höhe von 15 EUR angemeldet hatte, blieben unberücksichtigt. Auch in Bezug auf die vermieteten Unterkünfte ging die Prüferin teilweise von einer Einzel- und teilweise von einer Doppelbelegung aus und errechnete auf dieser Grundlage die Differenz zu dem Mietzins von 100 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 1 zum Prüfungsbericht vom 29.05.2018 Bezug genommen.
11In Summe ergaben sich folgende Wertdifferenzen:
12Jahr |
Art der Überlassung |
Differenz (in EUR) |
2013 |
Unentgeltlich |
15.014,94 |
2014 |
Unentgeltlich |
16.189,64 |
2015 |
Unentgeltlich |
-40.971,22 |
2016 |
Unentgeltlich |
3.326,60 |
Vermietung |
23.163,20 |
|
2017 |
Unentgeltlich |
2.647,14 |
Vermietung |
19.666,80 |
|
Summe |
39.037,10 |
Die Prüferin kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in Haftung zu nehmen und dabei von einem Nettosteuersatz in Höhe von 16,3 % auszugehen sei, da die Arbeitnehmer ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hätten und damit wegen § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG eine Veranlagung ausscheide. Es müsse im Ausland vollstreckt werden und die Arbeitnehmer seien inzwischen aus dem Betrieb ausgeschieden. Die Inanspruchnahme der Klägerin diene der Vereinfachung, da gleiche oder ähnliche Fehler bei einer größeren Zahl von Arbeitnehmern gemacht worden seien.
14Der Beklagte nahm die Klägerin in Höhe von insgesamt 6.363,05 EUR (Lohnsteuer), 349,96 EUR (Solidaritätszuschlag), 286,33 EUR (evangelische Kirchensteuer) und 1.306,33 EUR (römisch-katholische Kirchensteuer) in Haftung und führte an, dass die Klägerin in Haftung genommen werde, da ein Haftungsausschluss nicht vorliege und die Haftung des Arbeitgebers der Vereinfachung diene, weil gleiche oder ähnliche Fehler bei einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern gemacht worden seien, und eine Haftung nicht unbillig erscheine (Haftungsbescheid, Nachforderungsbescheid und Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 29.05.2018).
15Nachdem die Klägerin auf einen Übertragungsfehler hingewiesen hatte, setzte der Beklagten den Haftungsbetrag für die römisch-katholische Kirchensteuer auf 286,33 EUR herab (Haftungsbescheid, Nachforderungsbescheid und Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 01.06.2018).
16Im Rahmen des Einspruchsverfahrens machte die Klägerin geltend, dass die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV auch im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG anwendbar sei. Die vom Beklagten nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV angesetzten Werte seien unbillig, da die Container lediglich über eine Wohnfläche von 6 qm verfügten und die vom Beklagten angesetzten Werte zu einem – an Wucher grenzenden – Quadratmeterpreis von 36,00 EUR bis 37,17 EUR führten.
17Am 19.09.2018 fand ein Ortstermin auf dem Gelände der Klägerin statt. Auf den dazu gefertigten Vermerk sowie die Fotos wird Bezug genommen (vgl. Rechtsbehelfsvorgang).
18Der Beklagte wies den Einspruch gegen den „Haftungs- und Nachforderungsbescheid“ mit Einspruchsentscheidung vom 08.10.2018 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV sei nicht anwendbar, da nach § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG die durch die SvEV „bestimmten“ Werte maßgeblich seien. Für Unterkünfte seien lediglich die in § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SvEV genannten Werte „bestimmt“. Auch seien die angesetzten Werte nicht unbillig, da die Container und Wohnwagen die üblichen Ausstattungsmerkmale einer Unterkunft besäßen und sich eine Unbilligkeit nicht aus dem Vergleich der Quadratmeterpreise ergeben könne (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.12.2016 L 5 R 3187/15, juris).
19Mit der dagegen gerichteten Klage macht die Klägerin ergänzend geltend, dass nach § 17 Abs. 1 Satz 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – SGB IV – eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den steuerrechtlichen Regelungen sicherzustellen sei. Die SvEV habe zum Ziel, den Wert der Sachbezüge möglichst nach dem tatsächlichen Verkehrswert zu bestimmen. Dieses Ziel können nur erreicht werden, wenn die Billigkeitsregelung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV auch im Steuerrecht Anwendung finde. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 23.08.2007 VI R 74/04, BStBl II 2007, 948 ergebe sich nichts anderes, da das Urteil zur alten Rechtslage vor Einfügung der Billigkeitsregelung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV ergangen sei.
20Soweit der Beklagte davon ausgehe, dass mit dem Begriff der „bestimmten Werte“ nur „feste Beträge“ nach der SvEV gemeint seien, so sei dieses Wortlautverständnis zu eng. Auch der Gesetzeszweck gebiete keine restriktive Auslegung. Es treffe zwar zu, dass § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG der Vereinfachung diene. Die Vereinfachung ergebe sich aber bereits aus der Übereinstimmung der lohnsteuerlichen Werte mit den sozialversicherungsrechtlichen Entgelten. Die Lohnsteuerprüfung könne sich an den Erkenntnissen einer Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung orientieren. In letzter Konsequenz bestreite der Beklagte, dass die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV durch die Ermächtigung des § 17 Abs. 1 SGB IV gedeckt sei. Sollte dies hingegen nicht bestritten werden, müsse akzeptiert werden, dass über die Normenkette (§ 8 Abs. 2 Satz 6 EStG, § 17 Abs. 1 SGB IV) auch die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV im Steuerrecht anzuwenden sei.
21Die Bewertung der Unterkünfte nach § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 SvEV sei unbillig, da die Ausstattung der Wohncontainer und Wohnwagen vom üblichen Standard einer Arbeitnehmerunterkunft nach der Arbeitsstättenverordnung abweiche. In den Containern nehme die Kochgelegenheit einen nicht unerheblichen Teil ein. Außerhalb der Container und Wohnwagen hätten die Arbeitnehmer keine Möglichkeit der Essenszubereitung. Eine anderweitige Verpflegungsmöglichkeit (z.B. Kantine) stünde nicht zur Verfügung. Der überwiegende Teil der Unterkünfte verfüge über keine Frischwasserversorgung und keine Brauchwasserentsorgung. Auf dem Weg zwischen Unterkunft und Sanitäreinrichtung seien die Arbeitnehmer sämtlichen Witterungseinflüssen ausgesetzt. Trotz fehlender Wärmedämmung seien etliche Unterkünfte auch im Winter belegt. Die Besuchertoiletten auf dem Gelände stünden ausschließlich den Besuchern des Parks zur Verfügung. Das bedeute, dass die Toiletten in den Sanitärcontainern während der Parköffnungszeiten von allen Mitarbeitern – also auch von solchen Mitarbeitern, die nicht im Park wohnten – genutzt würden. Lediglich die in der Verwaltung eingesetzten Mitarbeiter könnten die Toiletten im Bürotrakt nutzen.
22Soweit die Prüferin davon ausgehe, dass jedem Mitarbeiter von den Gemeinschaftseinrichtungen eine anteilige Fläche von ca. 2 qm zuzurechnen sei, so könne diese Berechnung nicht nachvollzogen werden. Die Gesamtfläche der vier Sanitärcontainer von rund 63 qm werde zur Hochsaison von nahezu fünfzig Bewohnern genutzt. Weitere rund 80 Mitarbeiter nutzten die dortigen Toiletten während der Parköffnungszeiten. Auch dem Grunde nach scheide eine Zurechnung der Gemeinschaftsflächen aus, da sich die sanitären Einrichtungen nicht innerhalb der Unterkünfte befänden. Dass sich ein Bewohner bei Wind und Wetter durch das Freie zur Toilette begeben müsse, entspreche nicht dem Leitbild eines Untermieters eines Zimmers.
23Ebenfalls zur Herabsetzung des Wohnstandards trage die geringe Größe des Wohn- und Schlafbereichs, welcher durch den Kochbereich flächenmäßig auf deutlich unter 6 qm verkleinert werde, bei. Dabei sei teilweise noch eine Doppelbelegung zu berücksichtigen. Zu beachten sei auch, dass in einer TV-Sendung („…“) kritisch über den Standard der Unterkünfte berichtet worden sei und dass auch der Prüfer in der vorausgegangenen Betriebsprüfung eine „sehr einfache Unterbringung“ angenommen habe.
24Soweit der Beklagte als Vergleichsmaßstab die Übernachtungsgebühren auf einem Campingplatz für Kurzzeiturlauber heranziehe, so sei dieser Vergleich ungeeignet. Vielmehr sei zu beachten, dass ausweislich der Homepage des Campingplatzes „…" in T der Jahresmietpreis für einen Stellplatz mit Vorzeit für zwei Personen einschließlich Trink-, Schmutzwasser- und Stromanschluss lediglich 696 EUR betrage. Dies ergebe einen Monatsbetrag pro Person von 29 EUR und zwar in ruhiger Lage und schönem Landschaftsgrün. In Alter und Qualität vergleichbare Wohnwagen seien für einen Preis von bis zu 1.500 EUR zu erwerben. Auf einem festen Stellplatz ohne ständigen Ortswechsel seien solche Wohnwagen viele Jahre nutzbar. Bei Nutzung durch zwei Personen ergebe sich hieraus ein Wert von deutlich weniger als 15 EUR pro Person und Monat.
25Die Klägerin hat die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, soweit sich der angefochtene Haftungsbescheid auf das Jahr 2015 bezieht.
26Die Klägerin beantragt,
27den Haftungsbescheid vom 29.05.2018 in Gestalt des Haftungsbescheides vom 01.06.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 08.10.2018, soweit er nicht das Jahr 2015 betrifft, aufzuheben,
28hilfsweise, die Revision zuzulassen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen,
31hilfsweise, die Revision zuzulassen.
32Er hält an seiner Auffassung fest, dass im Steuerrecht keine Billigkeitsprüfung nach § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV durchzuführen sei, da insoweit keine Werte „bestimmt“ worden seien. Der Ansatz fester Werte diene der Vereinfachung und solle eine Einzelbewertung durch das Finanzamt entbehrlich machen. Dies ergebe sich auch aus den Lohnsteuerrichtlinien, nach denen für die Bewertung einer Unterkunft der amtliche Sachbezugswert nach der SvEV maßgeblich sei, soweit nicht zulässigerweise § 8 Abs. 3 EStG angewendet werde. Dabei sei der amtliche Sachbezugswert grundsätzlich auch dann anzusetzen, wenn der Arbeitgeber die Unterkunft gemietet und ggf. mit Einrichtungsgegenständen ausgestaltet habe (vgl. R 8.1 Abs. 5 LStR).
33Die nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SvEV anzusetzenden Werte seien auch nicht unbillig. Der von der Prüferin für eine Doppelbelegung angesetzte Wert von 132,80 EUR entspreche einem Wert von 4,43 EUR pro Tag. Die reine Übernachtungsgebühr auf einem Campingplatz in T betrage 4,50 EUR pro Person zuzüglich der Gebühren für einen Stellplatz oder für einen zur Verfügung gestellten Wohnwagen.
34Der Berichterstatter hat die Klägerin nach § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, unter Vorlage von entsprechenden Nachweisen anzugeben, warum im Rahmen der Lohnsteueranmeldungen bei den verschiedenen Arbeitnehmern teilweise unterschiedliche Sachbezugswerte innerhalb eines Jahres angesetzt worden sind (Bl. 184 f. der Gerichtsakte). Die Klägerin hat mitgeteilt, dass das Zustandekommen der unterschiedlich angesetzten Sachbezugswerte nicht mehr aufgeklärt werden könne. Es liege auf der Hand, dass die unterschiedlichen Werte mit der Art der Belegung sowie Art und Qualität der Unterkunft zusammenhingen.
35Die Aufforderung des Berichterstatters an den Beklagten nach § 79b Abs. 2 FGO, unter Vorlage von entsprechenden Nachweisen anzugeben, warum die Prüferin bei den korrigierten Sachbezugswerten teilweise von einer Einzel- und teilweise von einer Doppelbelegung ausgegangen sei (Bl. 191 f. der Gerichtsakte), ist unbeantwortet geblieben.
36Am 14.01.2022 hat ein Erörterungstermin stattgefunden und der Senat hat die Sache am 25.05.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe
38Die Klage ist zulässig und begründet. Der Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit sich die Haftungsbeträge auf die Jahre 2013, 2014, 2016 und 2017 beziehen (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die vom Beklagten angesetzten Werte sind nach der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV, welche auch im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG Anwendung findet, unbillig. Die nach § 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 2, Abs. 4 Satz 2 SvEV anzusetzenden Werte liegen unter den von der Klägerin erklärten Sachbezugswerten.
39I. Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat.
401. Die Beteiligten gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Gestellung der Wohncontainer und Wohnwagen einen geldwerten Vorteil darstellt.
41a) Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis für das Zurverfügungstellen seiner individuellen Arbeitskraft zufließen. Zu diesen Einnahmen zählen auch Sachbezüge (BFH-Urteil vom 14.11.2012 VI R 56/11, BStBl II 2013, 382).
42Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss (BFH-Urteil vom 01.10.2020 VI R 12/18, BStBl II 2021, 356). Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen, sind dagegen nicht als Arbeitslohn anzusehen. Vorteile besitzen keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden (BFH-Urteil vom 01.10.2020 VI R 12/18, BStBl II 2021, 356).
43In der unentgeltlichen Zuwendung von Mahlzeiten durch den Arbeitgeber ist in der Regel typisierend Arbeitslohn anzunehmen. Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn die Verpflegung anlässlich und während eines außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes aus durch den Arbeitseinsatz bedingten Gründen unentgeltlich überlassen wird und das arbeitsablaufbedingte und betriebsfunktionale Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers an der Vorteilserlangung bei weitem überwiegt (BFH-Urteil vom 05.05.1994 VI R 55/92, VI R 56/92, BStBl II 1994, 771). Auch die Versorgung mit einer Unterkunft ist grundsätzlich als Arbeitslohn zu qualifizieren, da das Vorhandensein einer Unterkunft einem existentiellen menschlichen Grundbedürfnis entspricht und daher mit einem erheblichen Eigeninteresse des Arbeitnehmers verbunden ist. Etwas anderes kann etwa dann geltend, wenn dem Arbeitnehmer eine Übernachtungsmöglichkeit in einem gemieteten Zimmer bei Einsatz an einer weit von seinem Tätigkeitsort entfernten Tätigkeitsstelle zur Verfügung gestellt wird zu (FG Köln, Urteil vom 27.11.2019 13 K 927/16, DStRE 2020, 1521; BFH-Urteil vom 21.07.1994 V R 21/92, BStBl II 1994, 881 zur Umsatzsteuer).
44b) Nach diesen Grundsätzen ist in der Gestellung der Wohncontainer und Wohnwagen ein geldwerter Vorteil zu sehen.
45Ein ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse des Klägers, welches das Interesse der Saisonarbeitskräfte an der Erlangung des Vorteils der Unterkunftsgestellung gänzlich in den Hintergrund treten ließe, ist bei Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände nicht erkennbar. Insbesondere werden die Unterkünfte nicht lediglich für die Zeit einer Dienstreise oder eines Einsatzes außerhalb der ersten Tätigkeitsstätte zur Verfügung gestellt. Da das Vorliegen eines geldwerten Vorteils zwischen den Beteiligten unstreitig ist, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.
462. Die vom Beklagten angesetzten Werte sind nach der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV, welche auch im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG Anwendung findet, unbillig. Die nach § 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 2, Abs. 4 Satz 2 SvEV anzusetzenden Werte liegen unter den von der Klägerin erklärten Sachbezugswerten.
47a) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG sind die Sachbezüge grundsätzlich mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Bei Arbeitnehmern, für deren Sachbezüge durch Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV Werte bestimmt worden sind, sind diese Werte maßgebend. Diese Werte sind auch bei Steuerpflichtigen anzusetzen, die nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen (§ 8 Abs. 2 Satz 6 und 7 EStG).
48Durch § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus für jedes Kalenderjahr zu bestimmen. Auf dieser Grundlage wurde die SvEV erlassen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV wird der Wert einer als Sachbezug zur Verfügung gestellten Unterkunft für das Jahr 2013 auf monatlich 216 EUR (2014: 221 EUR; 2015: 223 EUR; 2016: 223 EUR; 2017: 223 EUR) festgesetzt. Für bestimmte Konstellationen (Gemeinschaftsunterkunft, Unterkünfte für Jugendliche und Auszubildende, Mehrfachbelegung) sieht § 2 Abs. 3 Satz 2 SvEV eine prozentuale Verringerung dieses Wertes vor.
49Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 1 SvEV kann die Unterkunft mit dem ortsüblichen Mietpreis bewertet werden, wenn es nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist, den Wert einer Unterkunft nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV zu bestimmen. Ist im Einzelfall die Feststellung des ortsüblichen Mietpreises mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden, kann die Unterkunft mit den in § 2 Abs. 4 Satz 2 SvEV genannten Quadratmeterpreisen bewertet werden (§ 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 2 SvEV).
50Wird eine Unterkunft verbilligt zur Verfügung gestellt, ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem vereinbarten Preis und dem Wert, der sich bei freiem Bezug nach § 2 Abs. 3 SvEV ergeben würde, dem Arbeitsentgelt zuzurechnen (§ 2 Abs. 5 SvEV).
51Unterkünfte sind alle Räumlichkeiten, die nicht den Begriff der Wohnung erfüllen (Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 EStG Rn. 129). Eine Wohnung ist eine in sich geschlossene Einheit von Räumen, in denen ein selbständiger Haushalt geführt werden kann. Wesentlich ist, dass eine Wasserversorgung und -entsorgung, zumindest eine einer Küche vergleichbare Kochgelegenheit sowie eine Toilette vorhanden sind. Danach stellt z. B. ein Einzimmerappartement mit Küchenzeile und WC als Nebenraum eine Wohnung dar, dagegen ist ein Wohnraum bei Mitbenutzung von Bad, Toilette und Küche eine Unterkunft (R 8.1 Abs. 6 Satz 2 bis 4 LStR). Zu den Unterkünften zählen auch Baracken, Wohncontainer, Wohnwagen und andere Raumzellen (vgl. Technische Regeln für Arbeitsstätten, Unterkünfte, ASR A4.4, Abschnitt 3.1).
52b) Demnach stellen die streitbefangenen Wohncontainer und Wohnwagen Unterkünfte i.S.d. § 2 Abs. 3 SvEV dar. Eine Wohnung ist nicht anzunehmen, da die Wohncontainer und Wohnwagen über kein eigenes Bad und keine eigene Toilette verfügen. Zudem verfügen die Wohncontainer über keine Frischwasserversorgung und über keine Brauchwasserentsorgung.
53c) Die Klägerin hat jedenfalls keine zu niedrigen Sachbezugswerte angesetzt. Denn es ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten der streitbefangenen Unterkünfte unbillig, den Wert nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV zu bestimmen. Da sich ein ortsüblicher Mietpreis nicht ermitteln lässt, sind die Unterkünfte mit den in § 2 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2, Abs. 4 Satz 2 SvEV bestimmten Quadratmeterpreisen zu bewerten. Die sich auf dieser Grundlage ergebenden Werte liegen unter den von der Klägerin angesetzten Sachbezugswerten.
54aa) Nach Auffassung des Senats findet die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV auch im Rahmen des § 8 Abs. 2 Satz 6 und 7 EStG Anwendung (so auch FG Köln Urteil vom 27.11.2019 13 K 927/16, DStRE 2020, 1521; Bode, HFR 2007, 1189; Ettlich in Brandis/Heuermann, § 8 EStG Rn. 146; Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 EStG Rn. 129; Krüger in Schmidt, EStG, § 8 Rn. 61).
55(1) Für die Anwendbarkeit spricht bereits der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG. Danach sind bei Arbeitnehmern, für deren Sachbezüge durch Rechtsverordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV Werte „bestimmt“ worden sind, diese Werte maßgebend. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung den Wert der Sachbezüge nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus für jedes Kalenderjahr „zu bestimmen“.
56Demnach ist davon auszugehen, dass der in § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG verwendete Begriff des „Bestimmens“ aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV übernommen worden ist. Da auch die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB IV erlassen wurde, ist davon auszugehen, dass auch die sich aus der Billigkeitsregelung ergebenden Werte „bestimmte Werte“ sind. Andernfalls gäbe es für § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV keine Rechtsgrundlage. Vor diesem Hintergrund kann – entgegen der Auffassung des Beklagten – aus dem Begriff des „Bestimmens“ nicht geschlossen werden, dass § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG lediglich auf die in § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SvEV genannten festen Beträge verweist.
57(2) Eine teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Mit der SvEV soll der Beitragseinzug vereinfacht werden. Der Wert der Sachbezüge soll nicht in jedem Einzelfall mit erheblichem Verwaltungsaufwand ermittelt und nachgeprüft werden, sondern aus durchschnittlichen, pauschalierenden und typisierenden Regelungen entnommen werden. Dabei hat sich die Bewertung allerdings an dem tatsächlichen Verkehrswert zu orientieren (BFH-Urteil vom 06.02.1987 VI R 24/84, BStBl II 1987, 355). Mit dem durch § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG angeordneten Verweis auf die sozialversicherungsrechtlichen Bewertungsvorschriften wird dieser Vereinfachungszweck für das Steuerrecht übernommen. Zugleich führt der Verweis zur Vereinheitlichung der steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrundlage (Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 EStG Rn. 122). Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen.
58Die vom Gesetzgeber angestrebte Vereinheitlichung der sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Bemessungsgrundlage wird nur dann erreicht, wenn nicht nur die in § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SvEV genannten Beträge, sondern auch sich aus § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV ergebenden Werte für das Steuerrecht maßgeblich sind. Diese Vereinheitlichung führt zugleich zu einer Vereinfachung in der Rechtsanwendung. Es trifft zwar zu, dass die Anwendung der Billigkeitsregelung im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen kann. Der Gesamtaufwand wäre aber noch größer, wenn die Finanzämter die Werte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 SvEV (mit möglichen Abgrenzungsfragen zu den pauschalen Wertabschlägen) und die Sozialversicherungsträger die Werte nach § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV bestimmen müssten. Auch die Arbeitgeber müssten bei der Anmeldung der Lohnsteuer und bei der Anmeldung des sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelts unterschiedliche Bewertungsvorschriften anwenden.
59Zudem wäre es mit der Vorgabe, sich an den tatsächlichen Verkehrswerten zu orientieren, kaum vereinbar, wenn die Billigkeitsregelung, welche gerade zu diesem Zweck geschaffen wurde, nur im Sozialversicherungsrecht anwendbar wäre.
60(3) Auch die Gesetzeshistorie spricht für die Anwendbarkeit der Billigkeitsregelung.
61Der Verweis auf die sozialversicherungsrechtlichen Bewertungsvorschriften in § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG geht zurück auf das Steueränderungsgesetz 1977 (BGBl I 1977, 1586), wodurch die steuerrechtlichen Regelungen an die neu geschaffene Sachbezugsverordnung (BGBl I 1977, 3156) angepasst wurden. Die Bewertungsvorschriften für Unterkünfte, welche durch die Sachbezugsverordnung 1995 (BGBl I 1994, 3849) eingefügt wurden, sahen zunächst keine Billigkeitsregelung vor. Die Billigkeitsregelung wurde erst durch § 3 Abs. 3 SachBezV in der am 01.01.2004 in Kraft getretenen Fassung geschaffen (BGBl I 2003, 2103). In der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 628/03, Seite 5) heißt es hierzu: „Um auch bei Unterkünften – wie bei Wohnungen – den in Einzelfällen sehr unterschiedlichen Ausstattungsqualitäten Rechnung tragen zu können, soll wesentlichen Abweichungen vom Durchschnittsstandard einer Unterkunft durch Rückgriff auf den ortsüblichen Mietpreis entsprochen werden können.“
62Demnach wurde die in § 8 Abs. 2 Satz 6 EStG verwendete Formulierung („Werte bestimmt worden sind“) zu einem Zeitpunkt in das EStG eingefügt, als es die Billigkeitsregelung im Sozialversicherungsrecht noch nicht gab. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung die Anwendbarkeit der Billigkeitsregelung im Steuerrecht ausschließen wollte. Hätte der Gesetzgeber der Formulierung nachträglich eine derartige Bedeutung beimessen wollen, so wäre ein entsprechender Hinweis in der Gesetzesbegründung zu erwarten gewesen. Hieran fehlt es.
63(4) Die Anwendbarkeit der Billigkeitsregelung ergibt sich auch aus dem BFH-Urteil vom 23.08.2007 VI R 74/04, BStBl. II 2007, 948. Denn die dortigen Ausführungen, wonach Billigkeitserwägungen im Festsetzungsverfahren außer Betracht zu lassen sind, sind zu den Streitjahren 1993 bis 1997 ergangen und die – zunächst in § 3 Abs. 3 SachBezV enthaltene – Billigkeitsregelung ist erst am 01.01.2004 in Kraft getreten. Hierauf weist der BFH ausdrücklich hin und führt in diesem Zusammenhang aus, dass nach der Regelung in § 3 Abs. 3 SachBezV „ausnahmsweise bereits im Festsetzungsverfahren Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden“ könnten (vgl. hierzu Rz. 12 des vorgenannten Urteils).
64(5) Die Nichtanwendbarkeit des § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV folgt schließlich nicht daraus, dass in §§ 163, 227 der Abgabenordnung – AO – allgemeine verfahrensrechtliche Billigkeitsregelungen vorgehen sind. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass Billigkeitserwägungen lediglich im Rahmen der §§ 163, 227 AO berücksichtigt werden dürfen. Vielmehr geht auch der BFH – wie bereits ausgeführt – davon aus, dass durch § 3 Abs. 3 SachBezV (nunmehr § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV) die Möglichkeit geschaffen wurde, „ausnahmsweise bereits im Festsetzungsverfahren Billigkeitsgesichtspunkte“ zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 23.08.2007 VI R 74/04, BStBl. II 2007, 948, Rz. 12).
65bb) Es ist nach Lage des Falles unbillig, den Wert für die Unterkünfte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV zu bestimmen.
66(1) Die Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV wurde geschaffen, um wesentlichen Abweichungen vom Durchschnittsstandard einer Unterkunft durch Rückgriff auf den ortsüblichen Mietpreis entsprechen zu können (BR-Drucks 628/03, Seite 5). Dabei liegt den in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV genannten Beträgen der Preis für das Zimmer eines Untermieters zugrunde (BR-Drucks 968/94, Seite 8; Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 EStG Rn. 129). Die Werte umfassen auch Energie, Wasser und sonstige Nebenkosten (Ettlich in Brandis/Heuermann, § 8 EStG Rn. 146).
67§ 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV setzt voraus, dass die Sachbezugswerte nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV wegen anderer als der in § 2 Abs. 3 Satz 2 SvEV festgelegten Eigenschaften unbillig ist. Der Eigenschaftsvergleich muss erheblich ins Gewicht fallende Unterschiede insoweit ergeben, als die Bewertung der jeweiligen Unterkunft mit dem Sachbezugswert des § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV für gewöhnliche Unterkünfte offenbar unzutreffend ist. Das betrifft vor allem besonders gut ausgestattete Unterkünfte („Luxusunterkünfte“), kommt aber auch für besonders schlecht ausgestattete Unterkünfte in Betracht (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2016 L 5 R 3187/15, juris). Nicht einheitlich beurteilt wird, ob sich eine Unbilligkeit auch aus einem Vergleich mit dem ortsüblichen Mietpreis ergeben kann (dafür FG Köln, Urteil vom 27.11.2019 13 K 927/16, juris; dagegen Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.12.2016 L 5 R 3187/15, juris).
68(2) Im Streitfall weichen die Wohncontainer und Wohnwagen wesentlich vom Durchschnittsstandard einer Unterkunft ab. Eine wesentliche Abweichung ergibt sich insbesondere daraus, dass die Ausstattung nicht den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV – und den hierzu erlassenen Technischen Regeln für Arbeitsstätten, Unterkünfte, ASR A4.4 („ASR A4.4“) entspricht.
69Nach dem Anhang „Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättV“ müssen Unterkünfte mit einem Wohn- und Schlafbereich, einem Essbereich und Sanitäreinrichtungen ausgestattet sein (dort Abschnitt 4.4). Nach der ASR A4.4 sind Unterkünfte so zu bemessen, dass für jeden Bewohner mindestens acht Quadratmeter Nutzfläche vorhanden sind. Darin enthalten sind anteilig die Nutzflächen aller den Bewohnern zur Verfügung stehenden Bereich und Räume der Unterkunft, z.B. Wohnbereich und Sanitäreinrichtungen (Abschnitt 5.2 Abs. 1). Zudem müssen Fußböden, Wände und Decken gegen Wärme und Kälte gedämmt sein (Abschnitt 5.3 Abs. 1), der Eingangsbereich soll mit einem Windfang ausgerüstet sein (Abschnitt 5.3 Abs. 3 Satz 2) und, falls keine anderweitige Verpflegungsmöglichkeit vorhanden ist (z.B. Kantine oder Lieferung von Fertigessen), sind in einem besonderen Raum mit Trinkwasserzapfstelle ausreichend Zubereitungs-, Aufbewahrungs-, Kühl- und Spülgelegenheiten zu schaffen (Abschnitt 5.4 Abs. 8).
70Im Streitfall steht den Arbeitnehmern weder eine anderweitige Verpflegungsmöglichkeit noch ein besonderen Raum für die Essenszubereitung zur Verfügung. Die Wohncontainer und Wohnwagen bestehen vielmehr nur aus einem Raum, in welchem die Arbeitnehmer schlafen, sich aufhalten, ihre Lebensmittel aufbewahren sowie ihr Essen zubereiten und zu sich nehmen. Die streitbefangenen Wohncontainer und Wohnwagen weisen – nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin – keine hinreichende Dämmung auf. Die Wohncontainer sind nicht mit einem Windfang ausgestattet.
71Zudem erfüllen die Unterkünfte nicht die erforderliche Mindestgröße von 8 qm je Mitarbeiter. Der Senat geht im Schätzungswege davon aus, dass Arbeitnehmern, welche einen Wohncontainer bewohnt haben, eine Wohnfläche von höchstens 7 qm (6 qm Wohncontainer zzgl. 1 qm Gemeinschaftsfläche) und Arbeitnehmern, welche einen Wohnwagen bewohnt haben, eine Wohnfläche von höchstens 7,75 qm (3,75 qm Wohnwagen zzgl. 3 qm Vorzelt zzgl. 1 qm Gemeinschaftsfläche) zur Verfügung standen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die streitbefangenen Wohncontainer haben eine Wohnfläche von 6 qm. Bei den Wohnwagen entfällt bei der grundsätzlich gegebenen Doppelbelegung eine Wohnfläche von 3,75 qm (7,5 / 2) auf den einzelnen Mitarbeiter. Ungeachtet der Frage, ob das Vorzelt überhaupt als weitere Wohnfläche berücksichtigt werden kann, schätzt das Gericht, dass das bei den Wohnwagen teilweise vorhandene Vorzelt eine Fläche von höchstens 6 qm hat. Bei einer Doppelbelegung entfällt damit auf jeden Arbeitnehmer eine Fläche von höchstens 3 qm. Da die Sanitärcontainer mit einer Gesamtgröße von 63 qm von bis zu 130 Mitarbeitern genutzt werden (0,42 qm pro Mitarbeiter), geht der Senat im Schätzungswege – vor dem Hintergrund, dass sich nicht mehr aufklären lässt, in welchem Zeitraum die Sanitärcontainer von wie vielen Mitarbeitern genutzt wurden – davon aus, dass auf jeden Mitarbeiter höchstens eine anteilige Fläche von 1 qm entfällt.
72Für eine wesentliche Abweichung vom Durchschnittsstandard einer Unterkunft spricht schließlich auch, dass die sanitären Anlagen – auch bei schlechtem Wetter – nur über den Außenbereich zu erreichen und von bis zu 130 Mitarbeitern genutzt werden und dass die Wäsche überwiegend im Außenbereich getrocknet werden muss.
73cc) Die Unterkünfte sind mit den in § 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 2, Abs. 4 Satz 2 SvEV genannten Quadratmeterpreisen zu bewerten, da die Feststellung eines ortsüblichen Mietpreises mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Ein Markt für die dauerhafte Anmietung von Wohncontainern und Wohnwagen existiert nicht.
74dd) Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 HS. 2, Abs. 4 Satz 2 SvEV ergibt sich für jeden Mitarbeiter ein monatlicher Sachbezugswert von unter 50 EUR. Damit steht fest, dass die Klägerin jedenfalls keine zu niedrigen Werte angemeldet hat, da der niedrigste von ihr angesetzte und von dem Beklagten korrigierte Wert 50 EUR betrug.
75Der Senat geht von folgender Berechnung aus:
76(1) Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 SvEV sind der Bewertung folgende Quadratmeterpreise (in EUR) zugrunde zu legen:
77Normale Ausstattung |
Einfache Ausstattung (ohne Sammelheizung oder ohne Bad oder Dusche) |
|
2013 |
3,80 |
3,10 |
2014 |
3,88 |
3,17 |
2015 |
3,92 |
3,20 |
2016 |
3,92 |
3,20 |
2017 |
3,92 |
3,20 |
Die streitbefangenen Unterkünfte haben eine einfache Ausstattung, da sie über keine Sammelheizung, sondern über mobile strombetriebene Heizkörper verfügt.
79(2) Neben den vorgenannten Werten sind die Nebenkosten zu berücksichtigen.
80Denn auch zur ortsüblichen Miete gehören neben der ortsüblichen Kaltmiete die umlagefähigen Kosten (BFH-Urteil vom 11.05.2011 VI R 65/09, BStBl II 2011, 946). Auch § 2 Abs. 4 Satz 5 SvEV geht davon aus, dass die Nebenkosten – mit ihrem üblichen Preis am Abgabeort – anzusetzen sind.
81Ausweislich der von dem Deutschen Mieterbund veröffentlichten Betriebskostenspiegel für NRW ergaben sich für die Streitjahre folgende durchschnittliche Betriebskosten pro Quadratmeter und Monat:
82Durchschnittlich gezahlte Betriebskosten (in EUR) |
Summe aller denkbaren Betriebskostenarten (in EUR) |
|
2013 |
2,16 |
3,35 |
2014 |
2,00 |
3,19 |
2015 |
2,44 |
2,94 |
2016 |
2,44 |
2,98 |
2017 |
2,19 |
2,94 |
(3) Wie bereits ausgeführt, geht der Senat im Schätzungswege davon aus, dass Arbeitnehmern, welche einen Wohncontainer bewohnt haben, eine Wohnfläche von höchstens 7 qm (6 qm Wohncontainer zzgl. 1 qm Gemeinschaftsfläche) und Arbeitnehmern, welche einen Wohnwagen bewohnt haben, eine Wohnfläche von höchstens 7,75 qm (3,75 qm Wohnwagen zzgl. 3 qm Vorzelt zzgl. 1 qm Gemeinschaftsfläche) zur Verfügung standen.
84(4) Ausgehend von den vorgenannten Zahlen ergibt sich für jeden Mitarbeiter ein monatlicher Sachbezugswert von jedenfalls unter 50 EUR und damit unter sämtlichen von der Klägerin angesetzten und von dem Beklagten korrigierten Werten:
85Quadratmeterpreis in EUR (Kaltmiete + Betriebskosten) |
Sachbezugswert für Wohncontainer in EUR (höchstens 7 qm) |
Sachbezugswert für Wohnwagen in EUR (höchstens 7,75 qm) |
|
2013 |
6,45 (3,10 + 3,35) |
45,15 |
49,99 |
2014 |
6,36 (3,17 + 3,19) |
44,52 |
49,29 |
2015 |
6,14 (3,20 + 2,94) |
42,98 |
47,59 |
2016 |
6,18 (3,20 + 2,98) |
43,26 |
47,90 |
2017 |
6,14 (3,20 + 2,94) |
42,98 |
47,59 |
(5) Die von der Klägerin angesetzten Sachbezugswerte in Höhe von lediglich 15 EUR sind nicht Gegenstand des Haftungsbescheides, da sie für andere Arbeitnehmer angesetzt wurden und damit eigenständige Steuerschulden betroffen sind. Auch hat der Beklagte insoweit keine Anpassung vorgenommen.
87II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
88Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
89Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig (vgl. BFH-Beschluss vom 08.10.2010 VII B 102/10, BFH/NV 2011, 740), da nach Auffassung des Senats zweifelsfrei von der Anwendbarkeit der Billigkeitsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SvEV im Steuerrecht auszugehen ist. Soweit ersichtlich, werden abweichende Auffassungen weder in gerichtlichen Entscheidungen noch in der Fachliteratur vertreten.