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Die Vollziehung des Abrechnungsbescheides vom 14.12.2021 über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 wird in Höhe von 3.420 € bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch vom 21.12.2021 oder bis dessen anderweitiger Erledigung ausgesetzt.
Die Vollziehung der Abrechnungsbescheide vom 14.12.2021 über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2017 und 2018 werden jeweils in Höhe von 114 € bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch vom 21.12.2021 oder bis dessen anderweitiger Erledigung ausgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 38 % und der Antragsgegner zu 62 %.
I.
2Streitig ist, ob die in den angefochtenen Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge verfassungswidrig und/oder unionsrechtswidrig sind.
3Auf Antrag der Antragstellerin (Astin.) erließ der Antragsgegner (Ag.) am 14.12.2021 drei Abrechnungsbescheide, die zulasten der Astin. Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer wie folgt auswiesen:
4Säumniszuschläge |
Davon ab dem 01.01.2019 entstanden: |
|
Umsatzsteuer 2014 |
5.700,00 € |
3.420,00 € |
Umsatzsteuer 2017 |
114,00 € |
114,00 € |
Umsatzsteuer 2018 |
114,00 € |
114,00 € |
Der Ag. hatte am 13.12.2021 bereits fünf Abrechnungsbescheide erlassen, die zulasten der Astin. Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer auswiesen. Auf die Abrechnungsbescheide wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 5 ff.).
6Die Astin. legte gegen alle vorgenannten Abrechnungsbescheide am 21.12.2021 Einspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde, und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwies sie auf einen Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31.08.2021 (VII B 69/21 (AdV), Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 55 ff.). Die Astin. machte geltend, dass die in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge verfassungswidrig seien. Der Ag. lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 17.01.2022 ab (Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 39 f.).
7Mit ihrem am 25.01.2022 beim Finanzgericht Münster gestellten und unter dem Az. 4 V 195/22 geführten Aussetzungsantrag verfolgt die Astin. ihr Aussetzungsbegehren weiter. Der 4. Senat hat das Verfahren bezüglich der drei Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 mit Beschluss vom 03.03.2022 (Gerichtsakte Bl. 1) zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und an den geschäftsplanmäßig zuständigen 5. Senat abgegeben. Das abgetrennte Verfahren ist unter dem Az. 5 V 507/22 fortgeführt worden.
8Die Astin. trägt vor, dass die in den angefochtenen Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 sowohl verfassungswidrig also auch unionsrechtswidrig seien.
9Zur Verfassungswidrigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge trägt die Astin. vor, dass die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellte Verfassungswidrigkeit der Zinsen nach § 233a i.V.m. § 238 Abgabenordnung (AO) auf die Säumniszuschläge ausstrahle und deren Verfassungswidrigkeit ebenfalls begründe. Die abschließende Prüfung und Analyse der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge unter Berücksichtigung der vom BVerfG im Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) aufgestellten Rechtsgrundsätze sei jedoch dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten. So habe auch der BFH in seinem Beschluss vom 31.08.2021 (VII B 69/21 (AdV), Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 55 ff.) unter Berücksichtigung und Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) die Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen, die in den Jahren 2020 und 2021 entstanden seien, gewährt. Soweit der BFH in diesem sowie in weiteren Beschlüssen vom 25.06.2021 (VII B 13/21 (AdV)) und vom 10.06.2021 (VII B 54/21 (AdV)) die Aussetzung der Vollziehung auf die hälftige Höhe der entstandenen Säumniszuschläge beschränkt habe, sei dies allein dem Umstand geschuldet, dass der jeweilige Antragsteller nur in dieser (hälftigen) Höhe die Aussetzung der Vollziehung beantragt habe und der BFH an diesen Antrag gebunden gewesen sei. Die Aussetzung der Säumniszuschläge sei nicht auf ihren Zinsanteil zu beschränken, sondern in voller Höhe zu gewähren (BFH-Beschluss vom 04.07.2019, VIII B 128/18, zu Aussetzungszinsen). Die Astin. verweist zur weiteren Begründung der Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge insbesondere auf den BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), die BFH-Beschlüsse vom 25.06.2021 (VII B 13/21 (AdV)), vom 10.06.2021 (VII B 54/21 (AdV)) und vom 31.08.2021 (VII B 69/21 (AdV)) sowie auf die Beschlüsse des FG Münster vom 16.12.2021 (12 V 2684/21, juris) und vom 23.02.2022 (15 V 202/22, Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 62 ff.).
10Säumniszuschläge, die in den Jahren 2014 bis 2018, mithin vor dem 01.01.2019 entstanden seien, seien ebenfalls wegen ihrer Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Es könne nicht im Wege eines Erst-Recht-Schlusses aus den Beschlüssen des BVerfG geschlossen werden, dass sich die vom BVerfG angeordnete Fortgeltung des verfassungswidrigen Zustandes auf Säumniszuschläge übertragen lasse. Der vom BVerfG für die Fortgeltung angeführte Grund, dass es andernfalls zu einer hohen Belastung des staatlichen Haushaltes kommen würde, lasse sich, zumindest ohne weitere Angaben seitens der Finanzverwaltung, nicht ohne Weiteres auch für die Säumniszuschläge annehmen. Zudem träfen Säumniszuschläge typischerweise Steuerpflichtige mit einer schwachen Liquidität, so dass die Abwägung zwischen Grundrechtsschutz und öffentlicher Haushaltslage bei Säumniszuschlägen anders ausfallen könnte.
11Zur Unionsrechtswidrigkeit der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge trägt die Astin. vor, dass die §§ 238, 240 AO in einem unionsrechtlichen Kontext zu beurteilen seien. Es handele sich zwar um Regelungen des nationalen Verfahrensrechts, für das aus unionsrechtlicher Sicht grundsätzlich die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten gelte. Diese Autonomie werde jedoch, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) z.B. in seinen Urteilen vom 02.05.2018 (C-574/15), vom 28.07.2016 (C-332/15), vom 08.09.2015 (C-105/14), vom 12.05.2011 (C-107/10) und vom 08.05.2008 (C-95/07) hervorgehoben habe, durch die im Unionsprimärrecht verankerten Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität begrenzt. Ferner hätten die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Regelungen des Unionsrechts die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, wie auch der EuGH z.B. in seinen Urteilen vom 09.10.2014 (C-492/13), vom 14.09.2006 (C-181/04 u.a.) und vom 11.07.2002 (C-62/00) entschieden habe. In diesem Zusammenhang seien auch die Ausführungen des BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 08.06.2021 (VII R 44/19) ab Randnummer 27 zu beachten. Der BFH prüfe in dem Vorlagebeschluss ebenfalls eine rein national wirkende Verfahrensvorschrift anhand des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Ferner sei, da der Streitfall Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer betreffe, der mehrwertsteuerrechtliche Neutralitätsgrundsatz, bei dem es sich um einen Ausdruck des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes für den Bereich der Mehrwertsteuer handeln würde, zu beachten.
12Der Steuerpflichtige könne sich, wie z.B. der EuGH mit Urteilen vom 13.12.1989 (C-342/87) und vom 11.04.2013 (C-138/12) sowie der BFH mit Vorlagebeschluss vom 08.06.2021 (VII R 44/19) entschieden hätten, auf die vorgenannten Grundsätze unmittelbar berufen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätten bei Erlass und Anwendung von nationalen Regelungen zum Verfahrensrecht die Einhaltung dieser Grundsätze auch zu gewährleisten. Die nationalen Gerichte treffe insoweit die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Soweit sich im Rahmen der Auslegung keine unionsrechtskonforme Anwendung des nationalen Rechts herbeiführen lasse, hätten die nationalen Gericht sowie andere staatliche Stellen, wie z.B. Finanzbehörden, die unionsrechtswidrige Regelung unangewendet zu lassen (EuGH-Urteil vom 08.09.2015, C-105/14; Schlussantrag der Generalanwältin Kokott vom 13.12.2007, C-309/06). Dies gelte sowohl zugunsten wie auch zuungunsten des Steuerpflichtigen, auch für den Fall, dass eine nationale Regelung gegen die primärrechtlichen Grundsätze des Mehrwertsteuerrechts verstoße (EuGH-Urteil vom 08.09.2015, C-105/14).
13Maßnahmen, welche die unionsrechtlich harmonisierte Mehrwertsteuer betreffen würden, dürften gem. Art. 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nicht über das zur Erreichung der darin genannten Ziele Erforderliche hinausgehen und nicht die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen (EuGH-Urteil vom 15.09.2016, C-518/14). Diese unionsrechtlichen Vorgaben würden ausdrücklich auch dann gelten, wenn es sich um die mehrwertsteuerrechtliche Beurteilung von Sanktionen, wie beispielsweise Säumniszuschläge oder Zinsen, handeln würde. Dies ergebe sich z.B. aus den EuGH-Urteilen vom 08.05.2019 (C-712/17) und vom 26.04.2017 (C-564/15). Da es danach bereits gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieße, wenn eine Geldbuße in Höhe von 50% des Steuerbetrages verhängt werde, so seien die nationalen Säumniszuschläge erst recht unverhältnismäßig, da sie auch dann erhoben würden, wenn die Anforderungen der Steuer durch die Finanzbehörde überhaupt nicht berechtigt gewesen seien. Die Erhebung von unangemessen hohen steuerlichen Nebenleistungen, insbesondere von Säumniszuschlägen, sei weder erforderlich noch angemessen, um die gleichmäßige Erhebung der Umsatzsteuer sicherzustellen. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der in den Säumniszuschlägen enthaltene Zinsanteil wirtschaftlich überhöht sei, wie den Feststellungen des BVerfG zur Zinshöhe nach § 238 AO zu entnehmen sei. Ein verfassungswidrig zu hoher Zinsanteil könne jedoch nicht verhältnismäßig sein. Die Anwendbarkeit der sich aus seiner Rechtsprechung ergebenden Grundsätze (Verhältnismäßigkeit, Neutralitätsgrundsatz, Effektivität) auf Zinsen und andere Sanktionsmaßnahmen, zu denen auch Säumniszuschläge gehören würden, habe der EuGH in seinen Urteilen vom 06.02.2014 (C-424/12, Rn. 50) und vom 15.09.2016 (C‑518/14, s. auch den entsprechenden Schlussantrag des Generalanwalts Bot vom 17.02.2016) auch noch einmal bestätigt.
14Soweit der BFH noch mit Beschluss vom 11.05.2020 (V B 76/18) ausgeführt habe, dass Zinsen zur Umsatzsteuer keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter im Sinne des Art. 401 MwStSystRL hätten und daher der mehrwertsteuerrechtliche Neutralitätsgrundsatz keine Anwendung finde, sei diese Rechtsauffassung mit der sich aus den hier benannten und zitierten Urteilen ergebenden EuGH-Rechtsprechung nicht in Einklang zu bringen. Zudem habe der BFH sich in seinem Beschluss vom 11.05.2020 (V B 76/18) auch nur mit der Zinspflicht dem Grunde nach, nicht aber auch der Höhe nach auseinandergesetzt. Hinzu käme, dass der BFH als letztinstanzliches Gericht die von der Astin. aufgezeigten unionsrechtlichen Zusammenhänge dem EuGH vorlegen müsste. Die Unzulänglichkeiten des BFH-Beschlusses vom 11.05.2020 (V B 76/18) würden auch in Ansehung der sich aus dem Beschluss des BVerfG vom 04.03.2021 (2 BvR 1161/19) ergebenden Grundsätze deutlich. Der bloße Hinweis, Zinsen zur Umsatzsteuer hätten keinen umsatzsteuerähnlichen Charakter, so dass der Neutralitätsgrundsatz keine Anwendung finde, genüge nicht, erst recht nicht in Ansehung der zwischenzeitlich vom BVerfG in dem Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) festgestellten Verfassungswidrigkeit der Zinsregelung.
15Der Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) hätte sich mit den unionsrechtlichen Vorgaben für die Festsetzung von Zinsen und die dabei anzusetzende Zinshöhe nicht auseinandersetzen müssen. Vor diesem Hintergrund sei aus der angeordneten Fortgeltung der verfassungswidrigen Zinsregelungen für die Zeiträume 2014 bis 2018 nicht zu schlussfolgern, das die Festsetzung von Zinsen für die Jahre 2014 bis 2018 auch aus unionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sei.
16Die Astin. beantragt sinngemäß,
17die Vollziehung der Abrechnungsbescheide vom 14.12.2021 über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 bis einen Monat nach der Entscheidung über den Einspruch vom 21.12.2021 oder dessen anderweitiger Erledigung auszusetzen,
18hilfsweise für den Unterliegensfall, die Beschwerde zuzulassen.
19Der Ag. beantragt,
20den Antrag abzulehnen.
21Zur Begründung trägt er vor, es bestünden keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der den Säumniszuschlägen zugrunde liegenden Norm (§ 240 AO).
22Säumniszuschläge würden als Druckmittel wirken sowie der Abgeltung von Verwaltungsaufwand dienen und seien eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern. Vorrangiger Zweck sei dabei die Wirkung als Druckmittel.
23Aufgrund des Mischcharakters der Säumniszuschläge ließe sich dem Gesetz kein fester Zinsanteil entnehmen, welcher darauf überprüft werden könne, ob er nicht mehr realitätsgerecht und möglicherweise verfassungsrechtlich überhöht sei. Insbesondere könne auch nicht unter Wegfall des vorrangigen Zwecks des Druckmittels wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit von einem in Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil von 50 % ausgegangen werden. Es handele sich hierbei lediglich um einen im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme pauschalierten Erlass eines Teils der Säumniszuschläge.
24Es widerspreche der gesetzlichen Konzeption, hieraus einen festen Zinsanteil (in Höhe von 50 %) abzuleiten, welcher zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der Höhe der Säumniszuschläge anhand der Kriterien zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der Zinssatzhöhe des § 238 AO herangezogen werden könne. Vielmehr beruhe die 50 %ige Aufteilung bzw. Differenzierung auf höchstrichterlicher Rechtsprechung, die in Analogie den in § 238 Abs. 1 AO gesetzlich definierten Zinssatz von 0,5 % auf den 1 %igen Zuschlag des § 240 AO übertragen habe.
25Das BVerfG habe zudem in seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) eine Vergleichbarkeit zu anderen Verzinsungstatbeständen ausgeschlossen.
26Die Gerichtsakte zum Verfahren 4 V 195/22 ist beigezogen worden.
27II.
281. Der Antrag hat teilweise Erfolg.
29Die Abrechnungsbescheide vom 14.12.2021 über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 sind von der Vollziehung auszusetzen, soweit die ausgewiesenen Säumniszuschläge ab dem 01.01.2019 entstanden sind. Insoweit ist der erkennende Senat nach summarischer Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018 bestehen. Soweit die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 vor dem 01.01.2019 entstanden sind, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der verfassungsgemäßen und unionsrechtskonformen Erhebung der Säumniszuschläge.
30a) Gem. § 69 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
31Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Bei der notwendigen Abwägung im Einzelfall sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen (st. Rspr., vgl. hier nur Beschluss des BFH vom 23.08.2007, VI B 42/07, BStBl II 2007, 799). Die Aussetzung der Vollziehung setzt jedoch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie ein Misserfolg (BFH, ebenda). Dagegen begründet eine vage Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (BFH, Beschluss vom 11.06.1968, VI B 96/67, BStBl II 1968, 657). Im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beschränkt sich der Prozessstoff wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Behörde und andere präsente Beweismittel. Das Gericht muss den Sachverhalt in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht weiter aufklären (BFH, Beschluss vom 14.02.1989, IV B 33/88, BStBl II 1989, 516).
32Es obliegt den Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 294 Zivilprozessordnung), soweit ihre jeweilige Mitwirkungspflicht reicht (BFH, Beschluss vom 26.08.2004, V B 243/03, BFH/NV 2005, 255). Dabei gelten im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ebenfalls die Regeln über die Feststellungslast (BFH, Beschluss vom 24.05.1993, V B 33/93, BFH/NV 1994, 133).
33b) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, 2017 und 2018, soweit sie ab dem 01.01.2019 entstanden sind (Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014: 3.420,00 €; zur Umsatzsteuer 2017: 114,00 €; zur Umsatzsteuer 2018: 114,00 €).
34aa) Bei den drei angefochtenen Abrechnungsbescheiden vom 14.12.2021 handelt es sich jeweils um einen vollziehbaren Verwaltungsakt im Sinne von § 69 FGO, da darin die Säumniszuschläge erstmalig ausgewiesen werden (vgl. BFH, Urteil vom 15.06.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46; FG Münster, Beschlüsse vom 14.02.2022, 8 V 2789/21, juris; vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 218 AO Rz. 28 bis 30).
35bb) Es bestehen ernstliche Zweifel an der Feststellung des Ag., dass die ab dem 01.01.2019 entstandenen und in den Abrechnungsbescheiden aufgeführten Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO in Ansatz zu bringen sind. Dies beruht darauf, dass aus der Sicht des beschließenden Senats die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zweifelhaft erscheint. Der erkennende Senat schließt sich insoweit aus eigener Überzeugung den zu dieser Frage bereits ergangenen sowie veröffentlichten und/oder den Beteiligten bekannten Beschlüssen der anderen Senate des FG Münster an (vgl. z.B. FG Münster, Beschlüsse vom 16.12.2021 12, V 2684/21 AO, juris; vom 14.02.2022, 8 V 2789/21, juris; vom 23.02.2022 15 V 202/22, n.v.; vom 04.03.2022, 4 V 195/22, n.v.; vom 04.04.2022, 11 V 2680/21, juris).
36(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf eines Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).
37Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten soll, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen (BFH, Urteil vom 26.01.1988, VIII R 151/84, BFH/NV 1988, 695). Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH, Urteil vom 30.03.2006, V R 2/04, BStBl II 2006, 612; Beschluss vom 02.03.2017, II B 33/16, BStBl II 2017, 646; FG Münster, Beschlüsse vom 14.02.2022, 8 V 2789/21, juris; vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris).
38(2) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, DStR 2021, 1934) entschieden, dass § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt und daher verfassungswidrig ist, soweit er auf Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 zur Anwendung gelangt. Zugleich hat er entschieden, dass eine Fortgeltung der genannten Regelung für Verzinsungszeiträume vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2018 geboten ist, dass es aber für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 bei der Unanwendbarkeit als Regelfolge des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG bleibt.
39Im Weiteren hat das BVerfG in dem vorgenannten Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) darauf hingewiesen, dass andere Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürfen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände – anders als bei der Vollverzinsung – grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen.
40(3) Im Hinblick auf Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO hat der BFH bereits mehrfach Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe geäußert (BFH, Urteil vom 30.06.2020, VII R 63/18, BStBl II 2021, 191; Beschluss vom 14.04.2020, VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177; vom 31.08.2021, VII B 69/21, Gerichtsakte 4 V 195/22, Bl. 55 ff.). In der von der Astin. vorgelegten Entscheidung des BFH vom 31.08.2021 (VII B 69/21) führt dieser aus, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel aus seiner Sicht jedenfalls insoweit gelten, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion haben.
41Der erkennende Senat teilt insoweit die auch von anderen Senaten des FG Münster geäußerte Ansicht (Beschlüsse vom 16.12.2021, 12 V 2684/21 AO, juris; vom 14.02.2022, 8 V 2789/21, juris), dass diese einschränkende Äußerung des BFH darauf beruhen dürfte, dass sich das Aussetzungsbegehren im dortigen Verfahren auf den in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteil und damit auf die Hälfte der dortigen Säumniszuschläge beschränkt hat, so dass der BFH keine Entscheidung über eine darüber hinausgehende Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung zu treffen hatte.
42Zudem kann die einheitliche Regelung zur unteilbar gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein. Für eine Aussetzung der Vollziehung genügen dabei bereits die bestehenden und vom BFH aufgezeigten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm und die hieraus folgende unklare Rechtslage. Für das Eilverfahren muss die Verfassungswidrigkeit noch nicht abschließend festgestellt und vom BVerfG bestätigt worden sein (FG Münster, Beschluss vom 14.02.2022, 8 V 2789/21, juris; Beschluss vom 04.04.2022, 11 V 2680/21, juris).
43c) Es bestehen nach summarischer Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014, soweit sie vor dem 01.01.2019 entstanden sind (Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 insoweit: 2.280 €).
44aa) Der erkennende Senat hält den Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) nicht für geeignet, verfassungsrechtliche Zweifel an den vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschlägen zu begründen.
45Zwar sind die Regelungen zur Vollverzinsung gem. §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO unter Anwendung eines starren Zinssatzes für Zinszeiträume ab dem 01.01.2014 nicht mehr verhältnismäßig und verstoßen daher gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz (BVerfG vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14, DStR 2021, 1934, Rz. 147 ff.). Allerdings hat das BVerfG ausdrücklich die Fortgeltung der §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO für die Verzinsungszeiträume vor dem 01.01.2019 angeordnet. Diese Anordnung des BVerfG verdient auch Berücksichtigung im Hinblick auf die Säumniszuschläge. Diese besitzen neben einer Druckfunktion auch die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und damit insoweit eine zinsähnliche Funktion. Diese Vergleichbarkeit rechtfertigt auf der Grundlage des BVerfG-Beschlusses vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) zwar auf der einen Seite die Aussetzung der Säumniszuschläge wegen bestehender verfassungsrechtlicher Bedenken ab dem 01.01.2019, auf der anderen rechtfertigt diese Vergleichbarkeit es, dass die vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge trotz der bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der Fortgeltungsanordnung des BVerfG ebenfalls nicht ausgesetzt werden (im Ergebnis wie hier FG Münster, Beschluss vom 17.03.2022, 12 V 32/22, n.v.).
46bb) Die Feststellung des Ag., dass die im Abrechnungsbescheid vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 in Höhe von 2.280 € in Ansatz zu bringen sind, verstößt nicht gegen die von der Klägerin angeführten unionsrechtlichen primär- und sekundärrechtlichen (Rechtsprechungs-)Grundsätze. Für den Streitfall kann es daher dahinstehen, ob und inwieweit trotz der grundsätzlichen Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu Englisch in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rz. 4.41) unionsrechtliche Vorgaben auch im Hinblick auf die Regelung des § 240 AO zu berücksichtigen sind (vgl. zu dieser Frage hier nur Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233 AO, Rz. 25 f.).
47(1) Die im Abrechnungsbescheid in Ansatz gebrachten und vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 verstoßen nicht gegen das mehrwertsteuerrechtliche Neutralitätsprinzip.
48(a) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hat grundsätzlich die völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Aus diesem Grund muss der Unternehmer durch den Vorsteuerabzugsmechanismus vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden, wenn diese der Mehrwertsteuer unterliegt. Diese Forderung gilt z.B. auch für Nachzahlungszinsen, die auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind. Hierdurch wird eine wirtschaftliche Tätigkeit mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung belegt, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiert (EuGH, Urteil vom 15.09.2016, C-518/14, Senatex, UR 2016, 2211, Rn. 37).
49Allerdings wird auch die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen von den Bestimmungen des Unionsrechts im Bereich der Mehrwertsteuer anerkannt und gefördert. Die von den Mitgliedstaaten zur Erreichung der vorgenannten Ziele ergriffenen Maßnahmen dürfen jedoch nicht über ein hierfür erforderliches Maß hinausgehen. Sie dürfen daher z.B. nicht so eingesetzt werden, dass dadurch das Recht auf Mehrwertsteuererstattung und damit die Neutralität der Mehrwertsteuer systematisch in Frage gestellt würden (vgl. EuGH, Urteile vom 18.11.2020, C-371/19, Kommission/Deutschland, UR 2021, 111, Rn. 83; vom 21.03.2018, C-533/16, Volkswagen, UR 2018, 359, Rn. 48 m.w.N.).
50(b) Nach diesen Grundsätzen verstoßen die angesetzten und vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge nicht gegen den mehrwertsteuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatz. Entstandene Säumniszuschläge für eine festgesetzte und fällige Umsatzsteuerschuld bedeuten zwar für den Unternehmer (Steuerpflichtigen) hinsichtlich der von ihm ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit eine endgültige Belastung, da er die Säumniszuschläge nicht zusammen mit der Umsatzsteuer über den Preis auf den Leistungsempfänger abwälzen kann. Die mit den Säumniszuschlägen verfolgten Ziele dienen jedoch letztlich auch der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen im Bereich des harmonisierten Mehrwertsteuerrechts. Dies gilt zum einen für die Funktion als Druckmittel, mittels derer der Unternehmer (Steuerpflichtige) angehalten wird, die gegen ihn festgesetzte Steuerschuld zu zahlen. Dies gilt zum anderen auch für den zinsähnlichen Zweck, eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger (Umsatz-)Steuern zu erhalten. Insoweit mindert die Entstehung von Säumniszuschlägen die mit einer Nichtzahlung einer Umsatzsteuerschuld einhergehenden finanziellen (Liquiditäts-)Vorteile.
51Bei den vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschlägen handelt es sich auch nicht um Maßnahmen, die über das erforderliche Maß hinausgehen, um die Nichtzahlung von fälligen Umsatzsteuerschulden zu bekämpfen. Es bestehen keine ausdrücklichen unionsrechtlichen Vorgaben zur Erhebung einer gegen einen Unternehmer (Steuerpflichtigen) festgesetzten Umsatzsteuerschuld. Vielmehr gilt insoweit der Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie (vgl. hierzu Englisch in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rz. 4.41). Aus diesem Grund hat der erkennende Senat wegen der durch das BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) angeordneten Fortgeltung der für verfassungswidrig erachteten Zinsregelung in § 233a i.V.m. § 238 AO bei summarischer Prüfung keine Bedenken, die vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge auch der Höhe nach als erforderliche Maßnahme zur Bekämpfung der Nichtzahlung von Umsatzsteuerschulden anzusehen.
52(2) Die im Abrechnungsbescheid aufgeführten und vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 verstoßen nicht gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität und Äquivalenz.
53(a) Der Grundsatz der Effektivität verbietet den Mitgliedstaaten Verfahrensregelungen, welche die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, Littlewoods Retail u.a., UR 2012, 1018, Rz. 28 m.w.N.). Nach dem Grundsatz der Äquivalenz dürfen die nationalen Verfahrensregelungen nicht ungünstiger ausgestaltet sein als die Vorschriften, die für vergleichbare, aber nicht dem Anwendungsbereich des Unionsrechts unterfallende Sachverhalte gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, Littlewoods Retail u.a., UR 2012, 1018, Rz. 31; Englisch in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 4.42).
54(b) Die Entstehung von Säumniszuschlägen führt – soweit nach summarischer Prüfung erkennbar – nicht dazu, dem Unternehmer (Steuerpflichtigen) durch die Unionsrechtsordnung allgemein oder durch die unionsrechtlichen Regelungen zum harmonisierten Mehrwertsteuerrecht im Besonderen gewährte bzw. verliehene Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Die Säumniszuschläge knüpfen an eine fällige und nicht bezahlte Steuerschuld an und lassen die speziellen Regelungen des harmonisierten Mehrwertsteuersystems zur Entstehung und Erhebung der Steuerschuld unberührt. Die Astin. hat auch nicht weiter vorgetragen, in welchem ihrer von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte betreffend das harmonisierte Mehrwertsteuerrecht sie sich durch die vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge beschränkt fühlt. Ebenso ist nach summarischer Prüfung, auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Astin., nicht erkennbar, ob und welche nationale (Verfahrens-)Regelung für den Zeitraum vor dem 01.01.2019 mit der Regelung zu Säumniszuschlägen vergleichbar, aber günstiger ausgestaltet sein soll.
55(3) Die im Abrechnungsbescheid aufgeführten und vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2014 stehen auch nicht im Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben für Regelungen weiterer Erklärungs- und Aufzeichnungspflichten.
56(a) Nach Art. 273 MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Maßnahmen zu erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehungen zu vermeiden. Insbesondere können die Mitgliedstaaten mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften bei Nichtbeachtung der in der Unionsrechtsordnung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorgesehenen Voraussetzungen die Sanktionen wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen (EuGH, Urteil vom 08.05.2019, C-712/17, EN.SA., UR 2019, 469, Rn. 37 m.w.N.).
57Sie sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und seine Grundsätze, insbesondere die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer zu beachten. Die Sanktionen dürfen also nicht über das zur Erreichung der in Art. 273 MwStSystRL genannten Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen (EuGH, Urteil vom 08.05.2019, C-712/17, EN.SA., UR 2019, 469, Rn. 38 m.w.N.).
58(b) Bei den für die Zeiträume vor dem 01.01.2019 entstandenen Säumniszuschlägen handelt es sich nicht um eine unverhältnismäßige Maßnahme. Zum einen lassen sich die zu der Zinsregelung in den §§ 233a, 238 AO ergangenen Ausführungen in dem Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) nicht ohne Weiteres auf die Frage der Erforderlichkeit einer Maßnahme nach Art. 273 MwStSystRL übertragen, da das BVerfG die Vereinbarkeit der Zinshöhe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und nicht im Hinblick auf die in Art. 273 MwStSystRL genannten Ziele, der Sicherung der Steuerhebung und Vermeidung von Steuerhinterziehung, geprüft hat. Aber auch unter der Annahme, dass eine mit Art. 3 GG nicht vereinbare Maßnahme gleichzeitig eine nicht erforderliche Maßnahme i.S.d. Art. 273 MwStSystRL darstellen würde, wäre im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) zum anderen wiederum die Fortgeltungsanordnung des BVerfG für Zeiträume vor dem 01.01.2019 zu berücksichtigen. Diese Anordnung würde unterlaufen, wenn auf der einen Seite die (unionsrechtliche) Unverhältnismäßigkeit der Säumniszuschläge unter Hinweis auf den Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) begründet werden würde, auf der anderen Seite die Fortgeltungsanordnung dabei aber einseitig außer Acht gelassen werden würde.
592. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
60Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Bei dem BFH sind bereits mehrere Beschwerdeverfahren anhängig, die die gleiche Rechtsfrage zum Gegenstand haben (vgl. z.B. BFH II B 3/22 (AdV) zum Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 16.12.2021 12 V 2684/21 AO, EFG 2022, 179; BFH II B 4/22 (AdV) zum Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 11.01.2022 12 V 1805/21, EFG 2022, 297).