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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Streitig ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 Umsatzsteuergesetz (UStG).
3Der Kläger ist ein eingetragener Verein mit im Streitjahr 2018 rund … Mitgliedern (Ferkelerzeuger/-produzenten, Ferkelaufzüchter und Mäster). Ausweislich § 2 seiner Satzung aus November 2014 ist er ein freiwilliger Zusammenschluss von Landwirten mit dem Zweck, die „…“. Die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks sind:
4- Durchführung von Informationsveranstaltungen, Versammlungen, Vortragstagungen, Mitgliederrundschreiben mit aktuellen Informationen, Zusammenarbeit mit Zentralverbänden der Landwirtschaft;
5- Produktionstechnische Beratung der Mitgliedsbetriebe im Hinblick einer auf den Markt ausgerichteten Veredelungswirtschaft in allen Fragen der Fütterung und Haltung einschließlich Gesundheitsüberwachung und Feststellung der Zucht- und Mastleistungen;
6- Auswertung und Berechnung der Aufzucht- und Mastergebnisse, um die Rentabilität zu ermitteln;
7- Anschluss an den Tiergesundheitsdienst der Landwirtschaftskammer.
8Für die aufzubringenden Mitgliedsbeiträge stellte der Kläger keine Umsatzsteuer in Rechnung.
9Mit 19 % Umsatzsteuer stellte der Kläger seinen Mitgliedern eine Jahressystemgebühr „P“ sowie erbrachte Leistungen in Form der Gruppenberatung und Stallklimaanalyse in Rechnung. Auch auf erhaltene Provisionen der V (Vertriebsorganisation der W, Verkauf von Jungsauen und Eber) führte der Kläger 19 % Umsatzsteuer ab.
10Streitbefangen sind folgende, gegenüber den ferkelproduzierenden Betrieben erbrachten Umsätze, die der Kläger ursprünglich dem ermäßigten Steuersatz unterwarf:
11- Grundgebühren pro Quartal (Abrechnung pro Quartal für aktive Landwirte);
12- Führung der Sauenpläne (Abrechnung nach Konfiguration des Plans und dem Sauenbestand);
13- Betriebszweigauswertungen (Abrechnung nach Sauenbestand, gestaffelt nach Anzahl der Schweine);
14- Intensivberatungen (Abrechnung nach Zeitaufwand);
15- Trächtigkeitsberatungen (Abrechnung nach der Anzahl der Betriebsbesuche).
16Der Sauenplaner ist ein Datenbanksystem für ferkelproduzierende Betriebe, in dem Daten bzw. Informationen über den Bestand der Schweineherde einschließlich der Herkunft und Genetik jeder einzelnen Zuchtsau gesammelt werden. Der Sauenplan dient der Feststellung der Produktivität sowie der Ermittlung der entstandenen Umrausch- und Leertage jeder einzelnen Zuchtsau. Aus den Ergebnissen ermittelt der Kläger sodann Daten, die dem Landwirt Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität der einzelnen Zuchtsau, z.B. durch Optimierung der Leertage und Steigerung der Qualität der für die Mast bestimmten Ferkel, oder aber einen anzuratenden Austausch der jeweiligen Zuchtsau aufzeigen können. Der Landwirt ist zur Führung eines Sauenplans nicht verpflichtet. Die Zuchtsauen sind auch nicht in einem Zuchtbuch eingetragen.
17Je nach gewähltem Datenbanksystem gibt entweder der Landwirt oder der Kläger die zu erfassenden Daten ein. Wenn der Kläger die Datenerfassung für den jeweiligen Landwirt vornimmt, verlangt er für den Sauenplan ein über die Grundgebühr hinausgehendes gesondertes Entgelt.
18Im Rahmen der Betriebszweigauswertung erfolgt eine Umwandlung der mittels des Sauenplans gesammelten Daten in betriebswirtschaftliche Kennzahlen, um diese vergleichbar zu machen. Anhand dieser Kennzahlen kann dann z.B. die Futtereffizienz und Futterverwertung der Sauen sowie die Wirtschaftlichkeit der Produktion verglichen werden.
19Zur Intensivberatung fährt der Kläger in die Betriebe vor Ort, um individuell bestehende Problematiken zu erkennen und den Landwirt sodann individuell zu beraten. Auch die Intensivberatung zielt auf eine Steigerung der Effizienz und Produktivität in den Mitgliedsbetrieben sowie auf die Verbesserung der Produktionsbedingungen ab.
20Die Trächtigkeitsberatung ist Bestandteil der Führung des Sauenplans, damit festgestellt werden kann, ob die einzelne Sau tragend ist. Ziel ist es auch hier, unnötige Leertage bei der Ferkelproduktion zu vermeiden. Der Kläger fährt in die Betriebe, um dort entsprechende Ultraschallkontrollen oder auch Rückenspeckfettmessungen vorzunehmen. Mit letzterem kann das gleichmäßige Wachstum der Jungsauen überprüft werden, damit die Erstbelegung nicht verfrüht stattfindet.
21Die vom Kläger erhobene Grundgebühr ist historisch begründet und deckt bereits in geringem Umfang auch das Leistungsspektrum des Klägers mit ab.
22Zur Ausführung seiner Leistungen bedient sich der Kläger leistungsfähiger mobiler Computer mit Programmen, die beim Erzeuger zur laufenden Kontrolle und Optimierung aller betrieblichen Abläufe eingesetzt wurden. Durch Brunstsynchronisation und Besamungseinsatz wurde ein Managementsystem entwickelt, mit dem auch größere Bestände geführt werden können.
23Im Rahmen einer beim Kläger im Jahr 1996 stattgefundenen Umsatzsteuersonderprüfung stellte der damalige Prüfer in seinem Bericht vom 00.04.1996 u.a. fest, dass vom Kläger „in den einzelnen Betrieben erbrachte Beratungs- und Kontrollleistungen“ dem ermäßigten Steuersatz von 7% (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG) unterliegen, soweit diese nicht Verkauf und Beratung Hard- und Software zur Führung eines Sauenplaners und sonstige Hilfsgeschäfte betreffen.
24Ab dem 30.08.2018 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N (GKBP) beim Kläger eine Außenprüfung durch, deren Gegenstand u.a. die Umsatzsteuer 2014-2016 war. Der Prüfer stellte in Tz. 2.2.2 seines Prüfungsberichts vom 28.11.2018 fest, dass die bisher mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % versteuerten Umsätze tatsächlich mit dem Regelsteuersatz von 19 % zu versteuern seien, da die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG nicht erfüllt seien. Die Leistungen würden die Tierzucht bzw. die Leistungs-/Qualitätsprüfung in der Tierzucht nicht unmittelbar, sondern allenfalls mittelbar fördern. Satzungsmäßig würde es sich um Leistungen handeln, die im Ergebnis die Vermehrung und Optimierung der Bestände, aber eben nicht die Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotentials der Schweine in den Vordergrund stelle.
25In Tz. 2.2.2.3 („Vertrauensschutz“) und 2.2.3 („Ergebnisse der Prüfung“) des Prüfungsberichts verwies der Prüfer unter Bezugnahme auf die damalige Beurteilung der Umsatzsteuersonderprüfung aus 1996 zwar auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung, wonach eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgegeben werden müsse. Da der Kläger jedoch vorgetragen hatte, ein besonderes Vertrauen in die Aussage der damaligen Umsatzsteuersonderprüfung gesetzt zu haben, wurden die streitigen, vom Kläger ursprünglich zu 7% Umsatzsteuer erklärten Umsätze im Rahmen einer „Gesamtfallerledigung“ für die Jahre 2014-2016 einvernehmlich jeweils nur in einem Umfang von 15% dem Regelsteuersatz und im Übrigen dem ermäßigten Steuersatz unterworfen.
26In einem „Ausblick“ unter Tz. 2.2.4 des Prüfungsberichts führte der Prüfer schließlich aus, dass es die Betriebsprüfung in Anlehnung an die Feststellungen für ermessensgerecht halte, eine Aufteilung der Umsätze im genannten Verhältnis noch bis einschließlich September 2018 vorzunehmen. Ab Oktober 2018 seien die individuellen Beratungsleistungen dann einheitlich mit 19 % zu erfassen.
27Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht der GKBP vom 28.11.2018 Bezug genommen.
28In seiner am 11.02.2019 übermittelten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2018 meldete der Kläger eine Umsatzsteuer von 34.555,02 € an. Hierbei berücksichtigte er regelbesteuerte Umsätze i.H.v. 190.389 € und keine Umsätze zum ermäßigten Steuersatz. Zwei Tage später übermittelte der Kläger eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 2018, mit der er eine festzusetzende Umsatzsteuer i.H.v. 6.449,95 € erklärte. Hierbei berücksichtigte er regelbesteuerte Umsätze in Höhe von nur noch 42.468 € und weiterhin keine Umsätze zum ermäßigten Steuersatz.
29Am 25.02.2019, noch vor einer Änderungsfestsetzung entsprechend der berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung, erhob der Kläger Sprungklage wegen Umsatzsteuervoranmeldung Dezember 2018, mit der er die Herabsetzung der Umsatzsteuer um 3.988,03 € begehrte. Die Klage wurde beim Finanzgericht Münster unter dem Aktenzeichen 5 K 552/19 U geführt.
30Ausweislich eines Aktenvermerks des Sachbearbeiters des Beklagten vom 05.03.2019 (Hefter in Prüferhandakte GKBP) über eine Erörterung des Streitfalls am 01.03.2019 mit dem Prüfer der GKBP hatte letzterer berichtet, dass der Kläger im Rahmen der mit dem Prüfer geführten Einigungsgespräche geäußert hatte, eine grundsätzliche Klärung herbeiführen zu wollen. Hierzu habe der Prüfer die Zustimmung für eine Sprungklage in Aussicht gestellt.
31Der Beklagte stimmte der Sprungklage mit Schreiben vom 19.03.2019 dennoch nicht zu. Daraufhin wurde gemäß § 45 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) das Einspruchsverfahren beim Beklagten durchgeführt.
32Gegenüber dem Kläger führte der Beklagte im sodann durchgeführten Einspruchsverfahren aus, dass die vorangemeldeten Umsätze für Dezember 2018 – insbesondere die Differenzen zwischen den beiden eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen – nicht nachvollzogen werden könnten. Hierauf erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass in der am 11.02.2019 übermittelten Voranmeldung versehentlich sämtliche Umsätze des Jahres 2018 angemeldet worden seien; dies sei mit der berichtigten Umsatzsteuervoranmeldung vom 13.02.2019 korrigiert worden. Die Umsätze des Klägers seien, der Auffassung der Betriebsprüfung folgend, insgesamt dem Regelsteuersatz unterworfen worden.
33Zur materiell-rechtlichen Begründung des Einspruchs führte der Kläger aus, dass es sich bei einem weiblichen Hausschwein um ein Zuchttier im Sinne von § 12 UStG handle und unter dem Begriff der Tierzucht das „Züchten von Tieren besonders unter wirtschaftlichem Aspekt“ zu verstehen sei.
34Am 25.11.2019 übermittelte der Kläger seine Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 an den Beklagten, die gemäß § 168 Satz 1 Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand. Hierin meldete er Bruttoumsätze i.H.v. insgesamt 256.848 € (Umsätze zu 7% Umsatzsteuer i.H.v. 142.054 € brutto (132.761,59 € netto) und Umsätze zu 19% Umsatzsteuer i.H.v. 114.794 € brutto (96.466,74 € netto), vgl. hierzu die im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichte Übersicht 2, und eine festzusetzende Umsatzsteuer i.H.v. 21.608,74 € an. Er meldete die Umsätze somit entsprechend Tz. 2.2.4 des Betriebsprüfungsberichts vom 28.11.2018 an, nämlich dergestalt, dass die streitigen individuellen Beratungsleistungen bis einschließlich September 2018 nur zu einem Umfang von 15% dem Regelsteuersatz von 19% und ansonsten mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % und ab Oktober 2018 vollumfänglich dem Regelsteuersatz unterfallen. Diese Jahressteuerfestsetzung wurde gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
35Mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2020 wies der Beklagte den Einspruch wegen nunmehr Umsatzsteuer 2018 als unbegründet zurück. Er beließ die Festsetzung weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG scheitere bereits an der fehlenden Unmittelbarkeit der vom Kläger erbrachten Leistungen. Für die geforderte Unmittelbarkeit einer Leistung sei es erforderlich, dass ein unmittelbarer Bezug zum begünstigten Zweck bestehe und die ergriffene Maßnahme selbst dazu geeignet sei, diesen Zweck zu fördern. Die vom Kläger erbrachten Individualleistungen hätten gemein, dass zunächst Daten gesammelt und analysiert würden und der Landwirt im Anschluss entsprechend der gewonnenen Erkenntnisse beraten würde. Konkrete Maßnahmen, die gegebenenfalls den begünstigten Zweck (hier die Tierzucht) fördern, würden anschließend von dem beratenen Landwirt ergriffen. Die vom Kläger erbrachten Leistungen seien daher nicht selbst dazu geeignet, den begünstigten Zweck zu erreichen. Sie würden vielmehr eine darauf gerichtete Leistung erst vorbereiten oder lediglich begünstigen. Die Tierzucht sei hierdurch allenfalls mittelbar betroffen.
36Selbst wenn man zu dem Ergebnis gelange, dass die Beratungsleistungen einen Zweck unmittelbar fördern könnten, seien die vom Kläger erbrachten Leistungen nicht auf den begünstigten Zweck der Tierzucht ausgerichtet. Die Leistungen des Klägers hätten die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit des beratenen Mitgliedsbetriebs fördern sollen. Die Tierzucht im Sinne des UStG umfasse aber nicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
37Keine der vom Kläger erbrachten Beratungsleistungen fördere unmittelbar die Tierzucht. Vielmehr handele es sich satzungsmäßig um Leistungen, die im Ergebnis der Vermehrung und Optimierung der Bestände, aber eben nicht der Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials der Schweine in den Vordergrund stelle. Die Vermehrung in den Betrieben der Mitglieder diene vordergründig der Zuführung in die Mastbetriebe, und zwar aus Beständen, deren Genetik sich am Markt sowohl körperlich, als auch rechtlich bereits etabliert habe. Zu den vom Kläger erbrachten Leistungen im Einzelnen sei auszuführen:
38- Bei der Sauenplanführung stehe in erster Linie die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Mitgliedsbetriebs im Vordergrund. Ein unmittelbarer Bezug zum begünstigten Zweck der „Tierzucht“ bestehe daher nicht. Darüber hinaus handle es sich hier um eine vorbereitende Maßnahme für eine anschließende Beratung des Landwirts. Vorbereitungsleistungen würden jedoch nicht die Voraussetzungen der unmittelbaren Förderung erfüllen.
39- Die bei der Betriebszweigauswertung ausgewerteten Daten dienten zwar dem landwirtschaftlichen Betrieb als Grundlage für betriebswirtschaftliche Entscheidungen des Landwirts, die Tierzucht als solche sei aber nur mittelbar betroffen. Der spezifische Bezug zur Feststellung und Herausbildung des Leistungspotenzials der Tiere fehle insoweit.
40- Auch wenn der Kläger die „Verbesserung der Zuchtbedingungen“ nicht näher erläutert habe, könne die Intensivberatung nicht dazu geeignet sein, die Tierzucht im Sinne des UStG zu fördern. Durch die Verbesserung der Zuchtbedingungen würden nur die äußeren Rahmenbedingungen für die Tierhaltung angepasst. Ein spezifischer Bezug auf die Feststellung und Herausbildung des Leistungspotenzials der Tiere sei nicht gegeben.
41- Sollte es sich bei der Erstellung des Sauenplans und der Trächtigkeitsberatung um eine einheitliche Leistung handeln, scheide der ermäßigte Steuersatz für die Trächtigkeitsberatung bereits aus, weil die Sauenplanführung nicht dem ermäßigten Steuersatz unterfalle. Aber auch wenn die Trächtigkeitsberatung als eigenständige Hauptleistung zu betrachten sei, scheide die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG aus. Auch bei der Trächtigkeitsberatung stehe zu Beginn die Sammlung und Analyse von Daten. Die anschließende Beratung bereite unmittelbare Maßnahmen des Betriebsinhabers lediglich vor und diene somit dem verfolgten Zweck allenfalls mittelbar. Bei dem verfolgten Zweck handle es sich auch nicht um die Tierzucht im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, weil mit der Trächtigkeitsberatung lediglich die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit des beratenen Mitgliedsbetriebs verbessert werden solle. Zudem würden Trächtigkeitsuntersuchungen bei Zuchttieren gemäß Abschn. 12.3 Abs. 1 Satz 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) ausdrücklich nicht unmittelbar der Tierzucht dienen. Entsprechend könne auch eine Beratung in diesem Bereich nicht unmittelbar der Tierzucht dienen.
42Hierauf hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er wie folgt ausführt:
43Unstreitig sei, dass zwischen dem Kläger und seinen Mitgliedern jeweils steuerbare Leistungsaustauschverhältnisse vorgelegen hätten, da zwischen den Leistungen des Klägers und den von den Mitgliedern gezahlten Gebühren ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe. Die Mitglieder hätten sich dem Kläger angeschlossen, um von diesem gegen Zahlung von Beiträgen konkrete Beratungsleistungen zu erhalten.
44Die streitigen Leistungen würden sämtlich unmittelbar der Tierzucht dienen. Die Sauen der landwirtschaftlichen Mitgliedsbetriebe seien Zuchttiere i.S.d. § 12 Abs. 2 UStG i.V.m. lfd. Nr. 1 Buchst. d der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 UStG. Nach enger Auslegung der Begünstigungsvorschrift würden unter Tierzucht nur Maßnahmen verstanden, die der Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials der landwirtschaftlichen Nutztiere, u.a. der Schweine, dienen (FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05, Sächsisches FG, Urteil vom 10.05.2005, 3 K 2406/03). Nach Auffassung des Klägers bezwecke Tierzucht aber entsprechend § 1 Abs. 3 Tierzuchtgesetz (TierZG) die Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere unter Berücksichtigung der Vitalität und die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der tierischen Erzeugung, die Überprüfung der qualitativen Anforderungen der von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse und der Erhaltung einer genetischen Vielfalt (Birkenfeld/Wäger, § 143, Rz. 26; Frye in Rau/Dürrwächter, § 12 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 33). Der Begriff der Tierzucht umfasse daher in Anlehnung an das TierZG mehr als ausschließlich die Maßnahmen zur Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials der landwirtschaftlichen Nutztiere.
45Die streitigen Beratungsleistungen des Klägers beträfen die kontrollierte Fortpflanzung der Sauen. In der Gesamtschau würden sie unmittelbar zur Verbesserung der Reproduktionsleistung der Sauen führen, sodass die vom Kläger abgerechneten Beratungspakete unmittelbar der Tierzucht dienen würden.
46Der begünstigte Zweck werde durch die vorliegenden Leistungen selbst gefördert oder verwirklicht. Es handle sich nicht nur um vorbereitende Maßnahmen zur Tierzucht, sondern sie würden unmittelbar auf die Tierzucht einwirken. Es werde in diesem Zusammenhang auch Bezug genommen auf die Verfügung der OFD Hannover vom 17.03.1970. Entgegen der engen Verwaltungsauffassung in Abschn. 12.3 Abs. 1 Satz 3 UStAE diene auch die Trächtigkeitsuntersuchung unmittelbar der Förderung der Tierzucht (so auch Frye in Rau/Dürrwächter, § 12 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 47). In Abgrenzung hierzu würden Beratungs- und Betreuungsleistungen von Selbsthilfeeinrichtungen der Schweineproduzenten gegenüber Mästern nicht unmittelbar der Tierzucht dienen (FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05).
47Der Hinweis des Beklagten auf die damals mit heute nicht vergleichbaren technischen Möglichkeiten sei nicht zielführend, denn es könne nicht darauf ankommen, mit welchen Hilfsmitteln der Kläger seine Beratungsleistungen erbringe.
48Die streitigen Umsätze hätten sich im Streitjahr 2018 auf folgende Nettowerte belaufen:
49Menge |
Betrag |
|
Gebühren |
||
Grundgebühr |
570 |
51.300,00 |
Sauenplaner (SP) 01 |
21.656 |
9.745,20 |
Sauenplaner (SP) 02 |
9.512 |
9.036,40 |
Betriebszweigauswertung (BZA) 01 |
23.005 |
21.854,75 |
Betriebszweigauswertung (BZA) 02 |
10.339 |
6.203,40 |
Intensivberatung 1 |
155 |
5.355,00 |
Intensivberatung 2 |
287 |
36.270,00 |
Intensivberatung 3 |
71 |
17.040,00 |
Summe Gebühren |
156.804,75 |
|
Trächtigkeitsberatung |
1.796 |
44.900,00 |
2.352,71 |
||
Summen insgesamt |
204.057,46 |
Die mit der Umsatzsteuererklärung vom 25.11.2019 entsprechend Tz. 2.2.4 des Betriebsprüfungsberichts vom 28.11.2018 angemeldeten Bruttoumsätze seien dahingehend zu korrigieren, dass die vorliegend streitigen Umsätze des gesamten Jahres 2018 vollumfänglich dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen seien. Daher seien die Bruttoumsätze zu 7% Umsatzsteuer um 76.290 € zu erhöhen – bei gleichzeitig entsprechender Verminderung der Bruttoumsätze zu 19% Umsatzsteuer. Hiernach müssten sich die Bruttoumsätze i.H.v. insgesamt 256.848 € aus Bruttoumsätzen zu 7% Umsatzsteuer i.H.v. 218.344 € (netto 204.057,46 €, vgl. hierzu die im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichte Übersicht 1) und Bruttoumsätzen zu 19% Umsatzsteuer i.H.v. 38.504 € zusammensetzen. Die hierdurch eintretende Umsatzsteuerminderung betrage 7.189,50 € und errechne sich aus der Differenz von 19% Umsatzsteuer aus brutto 76.290 € (= 12.180,76 €) und von 7% Umsatzsteuer aus brutto 76.290 € (= 4.990,93 €).
51Der Kläger beantragt,
52die Umsatzsteuerfestsetzung für 2018 durch Umsatzsteuerjahreserklärung vom 25.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 7.189,50 € herabgesetzt wird,
53hilfsweise, die Revision zuzulassen.
54Der Beklagte beantragt,
55die Klage abzuweisen,
56hilfsweise,die Revision zuzulassen.
57Er führt im Hinblick auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung aus, dass er den Begriff der Tierzucht weiterhin insbesondere unter Berücksichtigung der Finanzgerichtsrechtsprechung (FG München vom 16.04.2013, 2 K 990/10 und FG Münster vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U) abweichend vom Kläger definiere.
58Soweit nach einer Verfügung der OFD Hannover vom 17.03.1970, UR 1970, 222, Kontroll- und Beratungsringe nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG begünstigte Leistungen erbringen würden, sei diese Beurteilung nicht auf den Streitfall anzuwenden. In derselben Verfügung der OFD Hannover habe diese ebenfalls festgestellt, dass sich die gesamte Tätigkeit der Vereinigungen als Summe individueller Leistungen an ihre Mitglieder darstelle. Demnach seien auch hier die erbrachten Individualleistungen gesondert zu beurteilen. Hinzu komme, dass die OFD Hannover ihre Aussage auf einen Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 10.04.1969 gestützt habe, welcher bereits seit 1985 nicht mehr auf Umsätze anzuwenden sei (BdF vom 21.01.1985, IV A 3 – S 7015-1/85) und mit Schreiben vom 07.06.2005 (BMF, IV C 6 – O1000-86/05) endgültig aufgehoben worden sei. Unabhängig hiervon dürften sich die im Jahre 1970 erbrachten Leistungen eines Beratungsrings schon im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten deutlich von den heutigen Leistungen eines entsprechenden Vereins unterscheiden.
59Die Sache ist am 23.05.2022 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Es wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
60Entscheidungsgründe
61I. Die Klage ist unbegründet.
62Die Umsatzsteuerfestsetzung für 2018 durch Umsatzsteuerjahreserklärung vom 25.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
631. Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG steuerbaren und auch steuerpflichtigen Leistungen sind nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ermäßigt zu besteuern. Sie unterliegen dem Regelsteuersatz von 19%, wie es in der einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich stehenden Umsatzsteuererklärung vom 25.11.2019 für die streitbefangenen Monate Oktober bis Dezember 2018 auch berücksichtigt ist.
64Ermäßigt zu besteuern sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG die Leistungen, die unmittelbar der Vatertierhaltung, der Förderung der Tierzucht, der künstlichen Tierbesamung oder der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft dienen. Unionsrechtlich beruht § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG auf Art. 98 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) in Verbindung mit Anhang III Nr. 11 zu dieser Richtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die „Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden“ anwenden.
65a. Die streitigen Leistungen dienen nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 2 UStG).
66(1) Die Leistungsempfänger der streitigen Leistungen sind Landwirte, die Tierzucht betreiben.
67§ 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG bedarf der Auslegung, was dort unter „Tierzucht“ zu verstehen ist. Es findet sich keine Legaldefinition im UStG. Es gibt auch weder im Unionsrecht noch im nationalen Recht Anhaltspunkte für einen eigenständigen umsatzsteuerrechtlichen Tierzuchtbegriff (Pflaum in: Wäger, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 4 Förderung der Tierzucht usw., Rn. 8).
68Der in § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG enthaltene Begriff der Tierzucht betrifft im systematischen Vergleich zu § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht sämtliche Tiere, sondern nur Tiere, die einer für landwirtschaftliche Zwecke dienenden Tierzucht zu dienen bestimmt sind (so auch Frye in: Rau/Dürrwächter, UStG (Dokumentstand 03/2018), § 12 Abs. 2 Nr. 4, Rz. 30). Nach § 2 Nr. 11 TierZG in der Fassung bis 24.01.2019 ist ein Zuchttier ein Tier, das in einem Zuchtbuch eingetragen ist (eingetragenes Zuchttier), ein Tier, das selbst in der Hauptabteilung eines Zuchtbuches eingetragen ist oder vermerkt ist und dort eingetragen werden kann (reinrassiges Zuchttier), oder ein Tier, das in einem Zuchtregister eingetragen ist (registriertes Zuchttier). Unter einer Tierzucht i.S.v. § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG versteht der erkennende Senat aber auch einen Bestand an Tieren, die zur Vermehrung bestimmt sind (so auch Abschn. 12.3 Abs. 3 Satz 2 UStAE). Die formale Einstufung des einzelnen Tiers als Zuchttier – worauf offenbar der XI. BFH-Senat in seinem Urteil vom 18.12.1996, XI R 19/96, BStBl II 1997, 334, Rn. 17 hat abstellen wollen – sieht der erkennende Senat nicht als Voraussetzung an, da zwischen einer Tierzucht und einem Zuchttier zu differenzieren ist.
69Abgesehen davon, dass § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG keine Einschränkung dahingehend enthält, dass der Leistungsempfänger ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb sein muss (Huschens in: Schwarz/Widmann/Radeisen, Stand August 2018, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG Rz. 4), erbringt der Kläger die streitigen Beratungsleistungen an seine Mitglieder, wobei gemäß § 3 der Satzung des Klägers aus November 2014 Mitglied jeder Landwirt werden kann, der Schweineproduktion betreibt. Der erkennende Senat hat keine Zweifel, dass das hier betroffene Hausschwein, das auch in lfd. Nr. 1 Buchst. d der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1, 2, 12, 13 und 14 UStG aufgeführt ist, grundsätzlich unter den Tierbegriff des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG zu fassen ist und die hier betroffenen Mitglieder des Klägers die Schweine-/Ferkelproduktion im Rahmen einer Tierzucht im aufgeführten Sinne betreiben.
70(2) Die streitigen Beratungsleistungen des Klägers fördern die Tierzucht jedoch nicht unmittelbar.
71(aa) Weder das nationale Umsatzsteuerrecht noch das Unionsrecht definieren, was eine „Förderung“ der Tierzucht ausmacht. In Rechtsprechung und Literatur werden verschiedene Tatbestandsauslegungen vorgenommen. Bei einer engen Auslegung werden unter „Förderung der Tierzucht“ Maßnahmen verstanden, die der Feststellung und Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials der landwirtschaftlichen Nutztiere – u.a. Schweinen – dienen (vgl. FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272; Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 10.05.2005, 3 K 2406/03, EFG 2005, 1978; Waza in: Offerhaus/Söhn/Lange UStG § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG Rz. 19). Im Rahmen dieser engen Auslegung soll für den Begriff der Tierzucht im Rahmen des UStG darüber hinaus nicht auf den Anwendungsbereich des TierZG zurückgegriffen werden können (FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272, Rz. 27). Der Zweck des TierZG sei für eine Übertragung auf das UStG zu weit gefasst. So wolle das TierZG nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 die Erzeugung der Tiere auch fördern, damit die Wirtschaftlichkeit, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der tierischen Erzeugung verbessert werde. Eine solche Förderung auch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wäre für die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG indes zu weit gefasst, da sie bereits alle Einzeltatbestände der Vorschrift (z.B. die Vatertierhaltung, die künstliche Tierbesamung und die Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft) mit umfassen würde, so dass deren einzelne Nennung durch den Gesetzgeber bei einer solch weiten Auslegung nicht erforderlich gewesen wäre. Aufgrund dessen hat das FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272, die auf den Betrieb jeweiliger Mäster abgestimmte Produktions- und Wirtschaftlichkeitsberatungen als nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG unterliegend beurteilt (ebenso für die Untersuchung von Futterproben und die Beratung zu Qualität und Futter das Sächsische FG, Urteil vom 10.05.2005, 3 K 2406/03, EFG 2005, 1978).
72Im Urteil des FG Münster vom 16.12.2010, 5 K 3133/08 U (EFG 2011, 1107, Rz. 29) konnte es das Gericht dahingestellt lassen, ob für den Begriff der Tierzucht im Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG auf den Anwendungsbereich des TierZG zurückgegriffen werden kann, da es im dort entschiedenen Fall – bei der Lieferung von Rinderembryonen – allein um die Verbesserung der Erbsubstanz mit der Ermöglichung einer schnelleren Fortentwicklung der Zucht beim einzelnen Landwirt und damit um die Steigerung des erblich bedingten Leistungspotenzials der landwirtschaftlichen Nutztiere ging.
73Eine enge Auslegung folgt dem Grundsatz der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), wonach die Richtlinienvorschriften über Steuerermäßigungen als Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind (vgl. EuGH, Urteile vom 06.05.2010, C-94/09, Kommission/Frankreich, Slg. 2010, I-4261-4280; vom 09.03.2017, C-573/15, Oxycure, UR 2017, 276).
74Gegen eine weite Auslegung durch Rückgriff auf das TierZG, welches den Begriff der „Förderung der Tierzucht“ oder auch nur der „Tierzucht“ ebenfalls nicht legaldefiniert, sondern in § 1 TierZG nur den Zweck des Gesetzes umschreibt, spricht, dass es der Gesetzgeber damals wie heute unterlassen hat, in § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ausdrücklich auf § 1 TierZG zu verweisen. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG besteht vom Wortlaut her unverändert seit dem 01.01.1980 (damals noch Buchst. a des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG). Der Gesetzgeber hat es unterlassen, eine dynamisch wirkende Verweisung auf das damals geltende TierZG vom 20.04.1976 (BGBl. I 1976, 1045) vorzunehmen, welches in § 1 als Zweck des Gesetzes damals auswies, dass im züchterischen Bereich die tierische Erzeugung so gefördert werden soll, dass die Leistungsfähigkeit der Tiere erhalten und verbessert wird, die Wirtschaftlichkeit der tierischen Erzeugung erhöht wird und die von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse den an sie gestellten qualitativen Anforderungen entsprechen. Es gibt im UStG zahlreiche Querverweise auf andere gesetzliche Vorschriften, wie in den Steuerbefreiungsvorschriften insbesondere auf verschiedene Vorschriften der Sozialgesetzbücher, aber auch beispielsweise auf das Energiesteuergesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch, das Hochschulrahmengesetz oder auch das Adoptivvermittlungsgesetz. Auch nehmen § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b und Nr. 14 UStG beispielsweise Bezug auf das Jugendschutzgesetz. Eine solche Bezugnahme hat der Gesetzgeber aber für § 12 Abs. 2 Nr. 4 (Buchst. a) UStG nicht vorgesehen.
75Gerade weil der Gesetzgeber einen möglichen Querverweis auf das TierZG unterlassen hat, stellt sich die Frage, ob ein Rückgriff auf § 1 TierZG zur Gesetzesauslegung des Tatbestands des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG überhaupt dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Dann unterläge die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes je nach Änderung der TierZG einem ggf. laufenden Wandel. So lautete § 1 Abs. 2 TierZG in der bis zum 31.12.1989 gültigen Fassung dahingehend, dass das TierZG bezwecke, im züchterischen Bereich die tierische Erzeugung so zu fördern, dass die Leistungsfähigkeit der Tiere erhalten und verbessert wird, die Wirtschaftlichkeit der tierischen Erzeugung erhöht wird und die von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse den an sie gestellten qualitativen Anforderungen entsprechen. Ausweislich der Gesetzesfassung vom 22.03.1994 (BGBl I 1994, 601) bezweckt die Tierzucht die Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Tiere unter Berücksichtigung der Vitalität, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der tierischen Erzeugung, die Überprüfung der qualitativen Anforderungen der von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse und die Erhaltung einer genetischen Vielfalt (vgl. dazu auch die Begründung zu § 1 TierZG, BTDrucks 11/4868, S.13). § 1 Abs. 3 TierZG in der Fassung vom 18.01.2019 sieht nunmehr vor, dass die Zucht der Tiere auch durch Bereitstellung öffentlicher Mittel so zu fördern ist, dass die Leistungsfähigkeit, die Tiergesundheit sowie die Robustheit der Tiere erhalten und verbessert werden mit dem Ziel einer nachhaltigen Tierzucht hinsichtlich einer verbesserten Ressourceneffizienz und einer besseren Widerstandsfähigkeit, weiter die Wirtschaftlichkeit, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit, der tierischen Erzeugung verbessert wird, die von den Tieren gewonnenen Erzeugnisse den an sie gestellten qualitativen Anforderungen entsprechen und eine genetische Vielfalt und das Kulturerbe der einheimischen Rassen erhalten werden.
76Letztlich sind die Steuerermäßigungen aber auch nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen (EuGH, Urteil vom 11.07.2002, C-62/00, Marks & Spencer, UR 2002, 436, Rz. 24; BFH, Beschluss vom 10.07.2012, XI R 22/10, BStBl II 2013, 291, Rz. 36); die Auslegung der verwendeten Begriffe muss mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Steuerermäßigungen verfolgt werden (EuGH, Urteil vom 13.07.2006, C-89/05, United Utilities, UR 2006, 521, Rz. 22). Dient § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG der Umsetzung von Art. 98 Abs. 1 und 2 i.V.m. Anhang III MwStSystRL, wonach die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz anwenden können auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden, und nach Anhang VII MwStSystRL unter die Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung nach Nr. 2 Buchst. a auch die Viehzucht und -haltung fallen, dürfte § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG unionsrechtskonform dahin auszulegen sein, dass mit der „Förderung der Tierzucht“ nur solche Leistungen erfasst werden, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind (so auch Frye in: Rau/Dürrwächter, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 17). Auch soll die Begünstigungsvorschrift auf der Ausgangsseite vergleichbare Wettbewerbsbedingungen herstellen bzw. Wettbewerbsnachteile für die regelversteuernden Land- und Forstwirte verhindern und auf der Eingangsseite die pauschalierenden Landwirte bei der Vorsteuerbelastung als Kostenfaktor entlasten (Frye in: Rau/Dürrwächter, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 3 f.). Hiernach dürfte entgegen FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272, die Förderung auch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Tierzucht von der Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG mitumfasst sein. Denn zum einen kommt es ebenfalls der landwirtschaftlichen Erzeugung zugute, wenn der Tierzüchter effizienter tätig ist. Zum anderen werden bei den Tierzüchtern vergleichbare Wettbewerbsbedingungen hergestellt bzw. die pauschalierenden Landwirte in ihrer Belastung mit Vorsteuer entlastet. Unter die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG dürften danni auch Betriebe fallen, die ihren Schwerpunkt – wie im Streitfall wohl auch die Ferkelproduzenten – in der Massenproduktion von Jungtieren haben.
77Des Weiteren unterliegt die Tierzucht von jeher auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen – wie es grundsätzlich bei jedem anderen Unternehmen auch der Fall ist. Eine Abgrenzung, ob die Wirtschaftlichkeitsaspekte allein die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Produkte des Züchters oder auch die Herstellung von Zuchtbedingungen betreffen, unter denen der Züchter überhaupt erst bzw. dauerhaft in die Lage versetzt wird, die Tierzucht (wirtschaftlich) betreiben zu können, wird selten trennscharf vorgenommen werden können. Ohne die Herstellung laufend angepasster wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im eigenen Betrieb wird es einem Schweineproduzenten kaum möglich sein, die Tierzucht auf Dauer zu betreiben.
78(bb) Auch wenn man unter Zugrundelegung der zuletzt dargestellten weiten Auslegung des Begriffs der „Förderung der Tierzucht“ zu dem Ergebnis kommen könnte, dass auch konkret auf den Betrieb des einzelnen Tierzüchters bezogene betriebswirtschaftlich ausgerichtete Beratungsleistungen grundsätzlich als zur Förderung der Tierzucht geeignet anzusehen sind, kann der Senat dies im Streitfall letztlich dahingestellt lassen, denn die streitigen Leistungen des Klägers fördern die Tierzucht jedenfalls nicht unmittelbar, wie es § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG weiter voraussetzt.
79Die in § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG weiter genannte Voraussetzung "unmittelbar ... dienen" bezieht sich auf alle Tatbestände dieser Vorschrift. Die Unmittelbarkeit setzt dabei voraus, dass die von der Vorschrift begünstigten Zwecke durch die jeweilige Leistung selbst gefördert oder begünstigt werden. Leistungen, die demgegenüber nicht selbst den begünstigten Zweck erreichen, sondern eine hierauf gerichtete Leistung erst vorbereiten oder lediglich begünstigen, reichen nicht aus, da sie nicht zwingend zur Erfüllung des begünstigten Zwecks erforderlich sind und den begünstigten Zweck nur indirekt und mittelbar fördern. Nicht begünstigt sind Leistungen, die zwar dem Förderungszweck zugutekommen, aber der Förderungszweck gleichwohl nicht im Vordergrund steht (vgl. BFH, Urteile vom vom 18.12.1996, XI R 19/96 BStBl II 1997, 334; vom 16.01.2014, V R 26/13, BStBl II 2014, 350, Rn. 10 – 13; vom 18.12.1996, XI R 19/96, BStBl II 1997, 334; FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272, Rz. 26; FG München, Urteil vom 16.12.2010, 5 K 3133/08 U, EFG 2011, 1107).
80Die streitigen Leistungen des Klägers (Sauenplanführung, Trächtigkeitsberatung, Betriebszweigauswertung und Intensivberatung) erfolgen zwar konkret bezogen auf den Betrieb des jeweiligen Ferkelproduzenten, doch wird durch sie nicht selbst der begünstigte Zweck – die Förderung der Tierzucht – erreicht bzw. gefördert. Die erbrachten Leistungen ermöglichen dem einzelnen Ferkelproduzenten lediglich, selbst entsprechende Maßnahmen im Betrieb konkret zu ergreifen bzw. umzusetzen. Für das betriebswirtschaftlich ausgerichtete Handeln des Ferkelproduzenten mögen die Leistungen des Klägers eine wertvolle Grundlage darstellen, doch wird allein durch die konkret betriebsbezogenen Beratungen und die Sammlung und Darstellung des Betriebs in Zahlen mit entsprechender Auswertung und Handlungsempfehlung die Tierzucht des Ferkelproduzenten noch nicht gefördert. Es kann sich damit nur um eine bloß mittelbare Förderung der Tierzucht handeln. Es sind nicht die Leistungen des Klägers, die bereits die Förderung der Tierzucht bewirken, hierzu führt erst der konkrete Umsetzungsakt des Ferkelproduzenten bzw. des hierzu von diesem beauftragten Unternehmens (vgl. auch Sächsisches FG, Urteil vom 10.05.2005, 3 K 2406/03, EFG 2005, 1978).
81Zudem stellen die Eintragungen in den Sauenplan keine Eintragungen in Zuchtbücher, Herdenbücher o.ä. dar, welche von der Finanzverwaltung als unmittelbar die Tierzucht fördernd angesehen wird (Abschn. 12.3. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStAE). Zwar werden im Sauenplan auch Daten bzw. Informationen über Herkunft und Genetik jeder einzelnen Zuchtsau gesammelt. Der Sauenplan dient aber insgesamt lediglich dem Ferkelproduzenten zur Feststellung der Produktivität seiner Herde bzw. seiner einzelnen Zuchtsauen und stellt kein „Zuchtbuch“ im begünstigten Sinne dar. Dementsprechend ist der Landwirt zur Führung eines Sauenplans auch nicht verpflichtet. Soweit die Trächtigkeitsberatung eine zunächst durchgeführte Trächtigkeitsuntersuchung umfasst, kann eine solche neben dem hier verfolgten Zweck der Verringerung der Leertage einer Zuchtsau allenfalls als allgemeine Gesundheitsmaßnahme anzusehen sein, welche aber ebenfalls nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht dienen würde (Abschn. 12.3. Abs. 1 UStAE; vgl. zur Klauenpflege BFH, Urteil vom 16.01.2014, V R 26/13, BStBl II 2014, 350, Rz. 15).
82b. Die Beratungsleistungen des Klägers dienen auch nicht unmittelbar der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 4 UStG).
83Auch hier definiert weder das nationale Umsatzsteuerrecht noch das Unionsrecht den Begriff der „Leistungs- und Qualitätsprüfung“ in der Tierzucht. Nach § 2 Nr. 7 TierZG stellt die Leistungsprüfung ein Verfahren zur Ermittlung der Leistungen von Tieren dar, wobei die Leistung auch erblich bedingte Eigenschaften von Tieren und ihren Erzeugnissen umfasst; im Falle eines Kreuzungszuchtprogramms umfasst die Leistungsprüfung auch die Bewertung der Verkaufserzeugnisse (Stichprobentest). Eine Qualitätsprüfung in der Tierzucht ist in erster Linie eine Prüfung der Qualität der in der Tierzucht hervorgebrachten Erzeugnisse, also der erzeugten Tiere (Frye in: Rau/Dürrwächter, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, Dokumentstand 03/2018, Rz. 61) Durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 TierZG wird das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über Personal sowie über Einrichtungen und Ausrüstungen des Zuchtverbandes oder des Zuchtunternehmens und die von dem Zuchtverband oder Zuchtunternehmen mit der Durchführung der Leistungsprüfungen und Zuchtwertschätzung Beauftragten. Gemäß § 9 Abs. 2 TierZG werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die Leistungsprüfungen von den zuständigen Behörden durchgeführt werden, wobei in der Rechtsverordnung zugleich bestimmt werden kann, dass die Durchführung der Leistungsprüfungen an Dritte übertragen wird oder Dritte beauftragt werden können, an der Durchführung von Leistungsprüfungen mitzuwirken, soweit diese die Gewähr für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe bieten. Für Nordrhein-Westfalen regelt § 4 Abs. 1 Nr. 9 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen für Bereiche der Agrarwirtschaft (ZustVOAgrar NRW), dass der Direktor der Landwirtschaftskammer als Landesbeauftragter die gemäß § 28 Abs. 1 TierZG für die Durchführung der Leistungsprüfung und der Zuchtwertfeststellung nach § 4 Abs. 2 und 3 TierZG zuständige Behörde ist. Hiernach dienen die streitigen, gegenüber den Ferkelproduzenten erbrachten Beratungsleistungen des Klägers nicht unmittelbar der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht. Denn es fehlt bereits an der Zuständigkeit des Klägers für Leistungs- und Qualitätsprüfungen i.S.v. § 2 Nr. 7 TierZG, so dass die vom Kläger durchgeführten Maßnahmen nicht als solche Leistungs- und Qualitätsprüfungen anzusehen sind.
84Soweit etwaige Prüfungen des Klägers denen einer Leistungsprüfung des Direktors der Landwirtschaftskammer entsprochen haben sollten oder aber man die Definition des § 2 Nr. 7 TierZG mit der entsprechenden Zuständigkeitsverordnung als für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 4 UStG unmaßgeblich ansehen sollte, genügen die vorliegenden Beratungsleistungen des Klägers nach Ansicht des Senats auch dann nicht den Voraussetzungen der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG (vgl. auch FG Münster, Urteil vom 06.10.2009, 15 K 1318/05 U, EFG 2010, 272, Rn. 29). Insbesondere der Sauenplan und auch die vorgenommenen Trächtigkeitsuntersuchungen per Ultraschall sowie die Rückenspeckfettmessungen stellen keine Leistungs- oder Qualitätsprüfungen in Sinne der Begünstigungsvorschrift dar, auch wenn hier u.a. die Zuchtleistungen jeder einzelnen Zuchtsau abgebildet werden. Denn bei den Beratungsleistungen des Klägers steht – wie bereits ausgeführt – die auf den Betrieb des jeweiligen Ferkelproduzenten abgestimmte konkrete Produktions- und Wirtschaftlichkeitsberatung im Vordergrund. So dienen beispielsweise die Führung der Sauenplaner und die hierauf beruhenden Beratungen im Kern der Vermeidung von Leertagen der Sauen und damit der Quantität der Ferkelproduktion und nicht der Qualitätskontrolle. Ferner folgt aus den Beratungsleistungen des Klägers eine zukunftsbezogene (wirtschaftliche) Handlungsempfehlung für den Ferkelproduzenten, wohingegen es bei der Leistungs- und Qualitätsprüfung um die nachgelagerte Kontrolle des bereits erzeugten Produkts im Interesse der Allgemeinheit – beispielsweise auf schädliche Keime oder Medikamentenrückstände – geht. Damit haben die Leistungen des Klägers eine andere Ausrichtung als es Sinn und Zweck des § 12 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 4 UStG vorgeben. Zugleich fehlt es damit auch an der erforderlichen Unmittelbarkeit, denn die Beratungsleistungen des Klägers bedürfen der Umsetzung durch den Ferkelproduzenden (siehe hierzu bereits unter I.1.a)(2)(bb)).
85c. Es kann damit vorliegend auch dahingestellt bleiben, ob es sich bei den streitigen Leistungen um selbständige Hauptleistungen oder aber nur um unselbständige Leistungsbestandteile eines Leistungsbündels handelt, da keine der Leistungen des Klägers dem ermäßigten Steuersatz unterfallen. Sämtliche steuerbaren Leistungen des Klägers unterliegen ausschließlich dem Regelsteuersatz.
862. Der Kläger kann sich für die streitigen Umsätze auch nicht unmittelbar auf Art. 98 Abs. 1 und 2 i.V.m. Anhang III Nr. 11 MwStSystRL berufen. Der nationale Gesetzgeber hat von der durch Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL eingeräumten Möglichkeit, die in Anhang III Nr. 11 MwStSystRL genannten Dienstleistungen ermäßigt zu besteuern, im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des ermäßigten Steuersatzes nur selektiv Gebrauch gemacht, indem er die Steuerermäßigung auf bestimmte Teile dieser Kategorie von Dienstleistungen beschränkt hat und in den Tatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG nur die vier präzise genannten Leistungen - also die unmittelbar (1.) der Vatertierhaltung, (2.) der Förderung der Tierzucht, (3.) der künstlichen Tierbesamung und (4.) der Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft dienenden Leistungen - aufgenommen hat, die für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, und dabei den Kreis der begünstigten Leistungen nach eindeutigen Kriterien umschrieben (BFH, Urteil vom 16.01.2014, V R 26/13, BStBl II 2014, 350, Rz. 22; Frye in: Rau/Dürrwächter, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 20), sodass beispielsweise die reine Klauenpflege nicht unter den Ermäßigungstatbestand weder des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG noch des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG fällt (BFH, Urteil vom 16.01.2014, V R 26/13, BStBl II 2014, 350, Rz. 9, 22).
87Hat der nationale Gesetzgeber, wie im Fall des § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, von der ihm eingeräumten Möglichkeit, eine in Anhang III MwStSystRL genannte Kategorie ermäßigt zu besteuern, zulässigerweise nur für bestimmte Teilaspekte der Kategorie Gebrauch gemacht, kann sich der Steuerpflichtige nicht mit Erfolg auf eine weitergehende Begünstigungsmöglichkeit der MwStSystRL berufen (Frye in: Rau/Dürrwächter, § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG (Dokumentstand 03/2018), Rz. 21 mit Verweis auf BFH, Urteil vom 11.02.2011, V B 64/09, BFH/NV 2011, 868, zur Steuerermäßigung für Heilbäder gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG).
883. Dass im Rahmen einer früheren Umsatzsteuersonderprüfung die vom Kläger angenommene Steuerbegünstigung nicht beanstandet wurde, begründet jedenfalls für die Umsätze der Monate ab Oktober 2018 keinen nach Treu und Glauben zu beachtenden Vertrauenstatbestand. Denn nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung ergibt sich allein aus der früheren, auch aufgrund einer Außenprüfung vorgenommenen Beurteilung keine Bindung des Finanzamts für die Zukunft (vgl. BFH, Urteil vom 07.10.2010, V R 17/09, Rn. 24) und der Beklagte hat mit Schreiben vom 04.09.2018 deutlich gemacht, an seiner früheren Rechtsauffassung nicht mehr festhalten zu wollen. Im Übrigen berücksichtigt die streitige Umsatzsteuerfestsetzung die einvernehmlich getroffene Vereinbarung, die streitbefangenen Umsätze der Monate Januar bis September 2018 nur im Umfang von 15% als dem Regelsteuersatz unterfallend zu berücksichtigen.
894. Die Anwendung des Regelsteuersatzes auf die vorliegend streitigen Umsätze auch der Monate Januar bis September 2018 würde zwar der materiell-rechtlichen Rechtslage entsprechen, doch darf hier eine solche Korrektur – unabhängig von Vertrauensschutzgesichtspunkten – im Hinblick auf das Verbot der Schlechterstellung im Finanzgerichtsverfahren nicht erfolgen. Das Gericht darf durch seine Entscheidung die Rechtsposition des Klägers im Vergleich zum Zustand vor Klageerhebung nicht verschlechtern (BFH, Urteil vom 26.11.1997 X R 146/94, BFH/NV 1998, 961).
90II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
91Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).