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Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2009, jeweils vom 25.01.2012 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2020, werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuern in folgender Höhe festgesetzt werden:
Umsatzsteuer 2006 20.326,82 €
Umsatzsteuer 2007 11.667,89 €
Umsatzsteuer 2008 - 335.353,27 €
Umsatzsteuer 2009 - 493.525,97 €
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen aus dem Bezug von Leistungen für die Errichtung und teilweise Sanierung eines einheitlichen Gebäudekomplexes nach dem sog. Flächen- oder Umsatzschlüssel zu erfolgen hat.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des in N gelegenen Grundstückes A-Str. /B-Str., welches ursprünglich mit einem zweigeschossigen Gebäude nebst seitlichem Anbau und einem an der B-Str. gelegenen Gebäude bebaut war. Das an der B-Str. gelegene Gebäude stand und steht weiterhin unter Denkmalschutz. In 2006 begann die Klägerin mit einer umfassenden Neugestaltung des gesamten Grundstücks. Hierzu wurde das bisherige Gebäude nebst seitlichem Anbau, nicht jedoch das denkmalgeschützte Gebäude abgerissen. Auf dem hinteren Bereich des Grundstücks errichtete die Klägerin einen zweiteiligen Baukörper. Der Hauptkörper bestand aus einem fünfgeschossigen Wohn- und Geschäftshaus mit einem ausgebauten Dachgeschoss. An dem Hauptkörper schloss sich ein Zwischenbau an, der aus drei Vollgeschossen mit Flachdach und einem Untergeschoss bestand. Hauptkörper und Zwischenbau bildeten zusammen den Neubau des Gebäudekomplexes. Der Zwischenbau bildete die Verbindung (Verbindungsbau) zwischen dem neu errichteten Hauptkörper mit dem erhaltenden denkmalgeschützten Gebäude (Altbau). Die Raumhöhen im Neubau betrugen im Erdgeschoss (EG) 3,66 m, im 1. und 2. Obergeschoss (OG) 3,23 m, im 3. OG 2,73 m und im 4. OG 2,55 m. Die Stärke (Dicke) der errichteten Wände betrugen im EG und im 1. OG zwischen 50-81 cm, im 2. und 3. OG zwischen 11,5-50 cm und im 4. OG zwischen 25-30 cm. Abweichend von den anderen Etagen wurden im EG und im 1. OG keine Zwischenwände errichtet. Zur Aufrechterhaltung der Statik wurden im EG und im 1. OG Stützpfeiler eingebaut.
4Der denkmalgeschützte Altbau blieb in seiner bisherigen Bausubstanz erhalten und wurde saniert sowie zur Beherbergung eines Gastronomiebetriebes umgestaltet. Zu der erhaltenen Bausubstanz gehörte das Mauerwerk, das teilweise in Fachwerkbauweise errichtet worden war. Eine vorhandene Holzbalkendecke wurde aufgearbeitet und nach Maßgabe der hierfür geltenden Brandschutzauflagen neu hergerichtet. Hinsichtlich der bereits ursprünglich vorhandenen Holzgeländer im Treppenhaus, der Gauben- sowie der übrigen Holzfenster wurde ebenso verfahren. Der Altbau umfasste nach Fertigstellung drei Vollgeschosse mit einem aufstehenden Dachgeschoss sowie einem Untergeschoss.
5Die beiden Untergeschosse des Hauptgebäudes (Neubau) werden seit ihrer Fertigstellung als Tiefgarage, für die Haustechnik sowie als Fahrrad- und Kellerräume genutzt.
6Nach Abschluss der Baumaßnahmen wurden die Geschäfts- und Wohneinheiten im gesamten Gebäudekomplex A-Str. /B-Str. ab September 2009 mit einer Ausnahme vermietet. Allein das 1. OG im Neubau wurde zunächst bis Oktober 2010 nicht vermietet. Ab November 2010 wurde die Geschäftseinheit umsatzsteuerfrei an den Inhaber einer ärztlichen …praxis (…-Praxis) vermietet.
7Die Geschäfts- und Wohneinheiten wurden danach wie folgt vermietet:
8Etage |
Neubau |
Verbindungsbau |
Altbau |
EG |
Ladenlokal Einzelhandel (stpfl.) |
Gastronomie (stpfl.) |
|
1. |
…-Praxis (stfr.) |
Anwaltskanzlei (stpfl.) |
|
2. |
Büroräume: Fortbildungsunternehmen (stfr.)/ Unternehmensberatung (stpfl.) |
Arztpraxis (stfr.) |
|
3. |
Wohnung (stfr.) |
Wohnung (stfr.) |
|
4. |
Wohnung (stfr.) |
Wohnung (stf.) |
Für die Neuerrichtung und Sanierung des Gebäudekomplexes A-Str. /B.Str. wurden der Klägerin für die Bauleistungen insgesamt folgende Umsatzsteuerbeträge in Rechnung gestellt, von denen sie 68,8 % als abzugsfähige Vorsteuern behandelte. Den abzugsfähigen Anteil an Vorsteuern ermittelte sie dabei nach dem sog. Umsatzschlüssel:
10Jahr |
In Rechnung gestellte Umsatzsteuern |
abzugsfähiger Vorsteueranteil nach dem Umsatzschlüssel (68,8 %) |
2006 |
12.732,65 € |
8.760,06 € |
2007 |
19.323,81 € |
13.294,78 € |
2008 |
465.485,71 € |
320.254,17 € |
2009 |
757.970,99 € |
521.484,04 € |
Der Beklagte führte bei der Klägerin beginnend am 24.02.2010 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Zeitraum I.-IV. Quartal 2009 durch. Der Prüfer kam in dem Prüfungsbericht vom 22.07.2011 zu der Feststellung, dass die Klägerin zu Unrecht den abzugsfähigen Teil der Vorsteuern anhand des Umsatzschlüssels ermittelt habe. Maßgeblich sei vielmehr der sog. Flächenschlüssel. So seien ausgehend von einer Gesamtfläche von 3.378 m² eine Teilfläche von 1.300 m² (38,5 %) für umsatzsteuerpflichtige und eine Teilfläche von 2.078 m² für umsatzsteuerfreie Vermietungsumsätze verwendet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 22.07.2011 Bezug genommen.
12Im Rahmen einer bei der Klägerin u.a. für das Streitjahr 2009 durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N durchgeführten Außenprüfung kam der dortige Prüfer ebenfalls zu dem Ergebnis, dass zur Aufteilung der Vorsteuerbeträge für den Gebäudekomplex A-Str. /B-Str. der Flächenschlüssel anzuwenden sei.
13Aus den vorgenannten Prüfungsfeststellungen ergaben sich folgende Abweichungen von den von der Klägerin erklärten Werten:
14Jahr |
abzugsfähiger Vorsteueranteil nach dem Umsatzschlüssel (68,8 %) |
abzugsfähiger Vorsteueranteil nach dem Flächenschlüssel (38,5 %) |
Differenz |
2006 |
8.760,06 € |
4.902,07 € |
3.857,99 € |
2007 |
13.294,78 € |
7.439,67 € |
5.855,11 € |
2008 |
320.254,17 € |
179.212,00 € |
141.042,17 € |
2009 |
521.484,04 € |
291.818,83 € |
229.665,21 € |
Der Beklagte setzte auf dieser Grundlage die Umsatzsteuer 2009 mit Bescheid vom 09.08.2011 auf - 273.822,72 € fest. Wegen hier nicht streitgegenständlicher weiterer Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 25.01.2012 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid 2009 und setzte die Umsatzsteuer auf - 263.860,76 € fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf.
16Die Änderungen für die Jahre 2006 bis 2008, die sich aus den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Aufteilung der Vorsteuerbeträge ergaben, setzte der Beklagte ebenfalls mit jeweils nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 25.01.2012 um, in denen er die Umsatzsteuer auf 24.184,81 € (2006), 17.523,00 € (2007) und auf - 194.311,10 € (2008) festsetzte.
17Die Klägerin legte gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2009 jeweils Einspruch ein. Die Einspruchsverfahren wurden zunächst ausgesetzt im Hinblick auf beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Az. XI R 31/09 und beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unter dem Az. C-332/14 anhängige Verfahren, die die Frage betrafen, welche Methode bei der Ermittlung des abzugsfähigen Vorsteuerbetrags im Fall der gemischten Verwendung von Eingangsleistungen für umsatzsteuerpflichtige und umsatzsteuerfreie Ausgangsleistungen anzuwenden ist.
18Für die Folgejahre 2010 bis 2016 ermittelte die Klägerin hinsichtlich der für den Gebäudekomplex A-Str. /B-Str. bezogenen Aufwendungen den abzugsfähigen Vorsteuerbetrag anhand des Flächenschlüssels. Die Umsatzsteuerfestsetzungen 2010 bis 2016 unter Anwendung des Flächenschlüssels wurden bestandskräftig, da die Klägerin es versäumt hatte, hiergegen Einspruch einzulegen.
19Bei Anmeldung ihrer Umsatzsteuern für 2017 am 01.10.2018 erklärte die Klägerin eine festzusetzende Umsatzsteuer i.H.v. 68.492,52 €. Dabei ermittelte sie den abzugsfähigen Anteil an Vorsteuern für den Gebäudekomplex A-Str. /B-Str. nach dem Umsatzschlüssel. Der Beklagte erließ am 26.08.2019 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2017, mit dem er die Umsatzsteuer auf 72.091,55 € festsetzte. Den Anteil an abzugsfähigen Vorsteuern ermittelte der Beklagte dabei nach dem Flächenschlüssel.
20Bei Anmeldung ihrer Umsatzsteuer 2018 am 12.08.2018 erklärte die Klägerin wieder unter Anwendung des Umsatzschlüssels eine festzusetzende Umsatzsteuer i.H.v. 78.228,15 €. Demgegenüber wendete der Beklagte den Flächenschlüssel an und setzte die Umsatzsteuer 2018 mit Änderungsbescheid vom 04.09.2019 auf 81.143,34 € fest.
21Gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2017 und 2018 legte die Klägerin jeweils Einspruch ein.
22Nachdem die dem Ruhen der Einspruchsverfahren zugrundeliegenden BFH- und EuGH-Verfahren beendet waren, führte der Beklagte die Einspruchsverfahren fort.
23Im Rahmen der fortgeführten Einspruchsverfahren erklärte der Beklagte, dass er die Berücksichtigung eines abzugsfähigen Vorsteuerbetrages von 60,5 % unter Anwendung des Umsatzschlüssels für möglich erachte, jedoch noch zu klären sei, ob dieser Prozentsatz bereits ab 2009 oder erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen steuerfreien Vermietung des 1. OG (…-Praxis) anzuwenden sei. Die Klägerin vertrat hierzu die Auffassung, dass wegen ihrer ursprünglichen Absicht zur umsatzsteuerpflichtigen Vermietung des gesamten 1. OG bis zum Zeitpunkt der steuerfreien Vermietung der Geschäftseinheit im Neubau des 1. OG (November 2010) von einem abzugsfähigen Vorsteueranteil von 68,8 % auszugehen sei und erst im Anschluss – ab November 2010 – wegen der nunmehr umsatzsteuerfreien Vermietung an den Inhaber einer ärztlichen …-Praxis der abzugsfähige Anteil auf 60,5% herabzusetzen sei. Der Auffassung schloss sich der Beklagte jedoch nicht an und kündigte vielmehr die Beauftragung eines Bausachverständigen zur Erstellung einer innerdienstlichen baufachlichen Stellungnahme an (vgl. Schreiben des Beklagten vom 16.01.2019). Die Bausachverständige wurde vom Beklagten beauftragt, die Frage zu beantworten, ob im Streitfall der Flächenschlüssel für die Aufteilung der Vorsteuerbeträge sachgerecht sei. Dazu traf die Bausachverständige in ihrer Stellungnahme vom 23.04.2020 folgende Feststellungen:
24Maßgeblich zur Beantwortung der im Auftrag gestellten Frage sei, ob die steuerfrei vermieteten Wohn- und Nutzflächen mit den steuerpflichtig vermieteten Nutzflächen vergleichbar seien. Dies sei der Fall, wenn die Raumhöhe, die Wandstärke oder die Innenausstattung der umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten nicht erheblich von den umsatzsteuerfrei vermieteten Räumlichkeiten abweichen würden.
25Die lichte Raumhöhe variiere zwar in den einzelnen Stockwerken des Neubaus untereinander. Danach unterscheide sich insoweit die im EG und im 1. OG überwiegend umsatzsteuerpflichtig vermieteten Gewerberäume von den in den anderen Geschossen überwiegend steuerfrei zu Wohnzwecken vermieteten Räumlichkeiten. Allerdings sei nicht ersichtlich, dass die Baukosten in Bezug auf die Raumhöhe der umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten erheblich von den umsatzsteuerfrei vermieten Räumlichkeiten abweichen würden. Es sei dabei zu berücksichtigen, dass in den umsatzsteuerfrei vermieteten Räumlichkeiten, wie z.B. in den Wohnungen im Neubau, im Vergleich zu den Räumlichkeiten im umsatzsteuerpflichtig vermieteten EG sowie im teilweise umsatzsteuerpflichtig vermieteten 1. und 2. OG deutlich mehr Zwischenwände eingezogen worden seien.
26Die Innenwandstärken würden sich im Neubau je nach Etage unterscheiden, während die Deckenstärke zwischen den einzelnen Stockwerken jeweils 30 cm betrage. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass die Baukosten der umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten in Bezug auf die Dicke der Wände und Decken erheblich von denen der umsatzsteuerfrei vermieten Räumlichkeiten abwichen.
27Hinsichtlich des Sonderaufwands der Klägerin, der auf die umsatzsteuerpflichtig vermieteten Gewerberäumlichkeiten entfalle, stellte die Bausachverständige fest, dass nicht nachvollziehbar sei, wie jeweils der auf die Gewerberäumlichkeiten entfallende Kostenanteil ermittelt worden sei. Die Aufwendungen für die Aufzugsanlage, die Pkw-Aufzugsanlage, die Schließanlage, das Planungshonorar Architekt, das Planungshonorar Fachingenieur, die Projektsteuerung und die Vermarktung der Räumlichkeiten beträfen den Gebäudekomplex insgesamt. Die Ausstattung mit Sanitäranlagen sei in den für umsatzsteuerfrei und umsatzsteuerpflichtig verwendeten Räumlichkeiten vergleichbar. In den Gewerberäumen seien die Toilettenräume gefliest und mit einem WC und einem Waschtisch ausgestattet worden. In den Wohnräumen sei jeweils neben den WC-Anlagen auch ein Duschbereich geplant gewesen. Insgesamt seien insoweit keine erheblichen Unterschiede festzustellen. Die für den Gewerbebereich vorgenommenen Brandschutzmaßnahmen wie Brandmeldeanlage, Lüftungsanlage, Feuerlöscher und Treppenhaus(TRH)-Zugangstüren stünden im Zusammenhang mit dem Brandschutz und würden auch dem gesamten Objekt dienen. Zwar seien für die Gewerberäume weitere Sondermaßnahmen für den Brandschutz vorgenommen worden, z.B. in Gestalt von Markisen, Falltüranlagen, der Luftschleieranlage, Schiebetüranlagen, der Schaufenster mit Türanlagen, der Ganzglasschiebetür im Altbau (1. OG) sowie eines Wegeleitsystem, die auch mit höheren Kosten verbunden gewesen sein könnten. Diese Mehrkosten würden jedoch durch Mehrkosten für den Brandschutz für die Wohneinheiten kompensiert werden. Denn anders als die Gewerberäumlichkeiten seien die Wohnungen mit Innentüren und Wohnungsabschlusstüren ausgestattet worden. Zudem würden einzelne Wohnungen im Gegensatz zu den Gewerbeimmobilien über innenliegende Treppen und Dachterrassenbeläge verfügen.
28Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme der Bausachverständigen vom 23.04.2020 Bezug genommen.
29Der Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2020 eine Abschrift der innerdienstlichen baufachlichen Stellungnahme vom 23.04.2020. Die Bausachverständige habe nachweisbar festgestellt, dass die steuerpflichtig vermieteten Nutzflächen keine erheblichen Unterschiede (z.B. hinsichtlich der Höhe der Räume, der Dicke der Wände und Decken sowie der Ausstattungen) zu den steuerfrei vermieteten Nutzflächen aufweisen würden. Daher sei der Flächenschlüssel als Aufteilungsmaßstab maßgeblich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 06.05.2020 verwiesen.
30Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 08.06.2020 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Er begründete seine Entscheidung im Wesentlichen unter Bezugnahme auf seine vorangegangene Stellungnahme vom 06.05.2020. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 08.06.2020 Bezug genommen.
31Die Klägerin hat am 09.07.2020 Klage erhoben wegen der Umsatzsteuer für 2006 bis 2009 sowie für 2017 und 2018.
32Mit Schreiben vom 10.08.2022 nahm die Klägerin die Klage wegen Umsatzsteuer 2017 und 2018 zurück. Das Klageverfahren ist insoweit mit Beschluss vom 16.08.2022 abgetrennt und unter dem neuen Az. 5 K 1993/22 eingestellt worden.
33Die Klägerin trägt zur Begründung der Klage vor, dass der Umsatzschlüssel zur Ermittlung des abzugsfähigen Vorsteuerbetrages anzuwenden sei. Nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 10.08.2016, XI R 31/09) sei dies geboten, wenn der Flächenschlüssel nicht sachgerecht sei, was wiederum der Fall sei, wenn die Nutzflächen nicht miteinander vergleichbar seien. Davon sei auszugehen, wenn Räume, die unterschiedlichen Zwecken dienen, unterschiedlich ausgestattet seien, z.B. hinsichtlich der Höhe der Räume, der Dicke der Wände und Decken sowie der Innenausstattung. In diesen Fällen könne gerade nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Eingangsleistungen gleichmäßig auf die Flächen verteilen würden. Nach diesen Maßstäben seien hier die zu unterschiedlichen Zwecken verwendeten Flächen nicht vergleichbar. Dabei sei im Neubau zwischen den für umsatzsteuerpflichtige Vermietungsumsätze verwendeten EG und 1. OG, mit Ausnahme der …-Praxis, und den für umsatzsteuerfreie Vermietungsumsätze verwendeten Räumlichkeiten im 3. und 4. OG zu unterscheiden. Insoweit würden die Raumhöhe und die Dicke der Raumwände variieren.
34Der Altbau werde im EG und im 1.OG umsatzsteuerpflichtig und nur im 2. OG umsatzsteuerfrei vermietet. Zwar seien die Räumlichkeiten im Altbau der Größe nach vergleichbar, allerdings gäbe es im Vergleich zu den im Neubau umsatzsteuerfrei vermieteten Wohnungen insoweit Unterschiede, als nur der Altbau denkmalgeschützt gewesen sei und dies eine Erhaltung der Altbausubstanz erfordert habe sowie auch nur der Altbau teilweise im Fachwerkstil errichtet worden sei. Im Vergleich zum Neubau verfüge der Altbau über eine Holzbalkendecke, Gauben- und weitere Fensterrahmen aus Holz, ein Holzgeländer im Treppenhaus sowie eine historische Türanlage nebst Terrazzo-Stufenanlage. Der mit der Sanierung verbundene Aufwand sei zu ca. 2/3 auf die im Altbau umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten entfallen.
35Gegen die Anwendung des Flächenschlüssels sprächen auch die Unterschiede bei der Höhe der für die umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten jeweils vereinbarten Miete. So erziele die Klägerin mit diesen Räumlichkeiten rund 2/3 der Gesamtmiete, obwohl diese nur 1/3 der Gesamtfläche umfassten.
36Ferner bestünden weitere Unterschiede in der Ausstattung, die sich u.a. in dem vom Architekten festgestellten Sonderaufwand für die umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räumlichkeiten wiederspiegelten (z.B. für eine Lüftungsanlage, Aufzüge, Schaufenster).
37Weiter sei das Urteil des BFH vom 11.11.2020 – XI R 7/20 zu berücksichtigen. Mit diesem habe der BFH klargestellt, dass der Flächenschlüssel und der Umsatzschlüssel in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander stünden. Da der Flächenschlüssel die Ausnahme zur Anwendung des Umsatzschlüssels darstelle, trage die sich auf die Anwendung des Flächenschlüssels berufende Finanzverwaltung, im vorliegenden Fall der Beklagte, die Feststellungslast, dass es sich dabei um den präziseren Aufteilungsschlüssel handele. Diese Sichtweise entspreche den unionsrechtlichen Vorgaben nach Art. 173 ff. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach die Anwendung des Umsatzschlüssels grundsätzlich maßgeblich sei. Eine vorrangige wirtschaftliche Zuordnung gem. § 15 Abs. 4 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung in der Rs. BLC-Baumarkt (C-511/10) vom 08.11.2012 nur dann zulässig, wenn die danach herangezogene Methode eine präzisere Vorsteueraufteilung ermögliche.
38Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
39die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2009, jeweils vom 25.01.2012 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2020, dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2006 um 3.857,99 €, die Umsatzsteuer 2007 um 5.855,11 €, die Umsatzsteuer 2008 um 141.042,17 € und die Umsatzsteuer 2009 um 229.665,21 € gemindert wird.
40Der Beklagte beantragt,
41die Klage abzuweisen,
42hilfsweise, die Revision zuzulassen.
43Er nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes die Vorsteueraufteilung im Regelfall nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel vorzunehmen sei. Es bestünde auch bei der Anwendung eines Aufteilungsschlüssels kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Umsatzschlüssels. Vielmehr entspreche die Anwendung des Flächenschlüssels als Regelfall der ständigen EuGH- und BFH-Rechtsprechung. Dies habe der BFH in dem vom Kläger angeführten BFH-Urteil vom 11.11.2020 XI R 7/20 auch noch einmal bestätigt. Allein aufgrund des Umstandes, dass erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume festgestellt worden seien, sei der BFH in dem vorgenannten Urteilsfall zu dem Ergebnis gekommen, dass der objektbezogene Umsatzschlüssel anzuwenden sei. Ferner sei ein Urteil des FG Düsseldorf vom 20.07.2018 1 K 2798/16 zu beachten, der einen dem Streitfall ähnlich gelagerten Sachverhalt zum Gegenstand gehabt habe. In diesem Urteil habe das FG Düsseldorf nicht ermitteln und feststellen können, ob aufgrund der bestehenden Unterschiede von nicht mehr miteinander vergleichbaren Nutzflächen auszugehen sei, da die unterschiedlichen Ausstattungen teilweise zu höheren und teilweise zu niedrigeren anteiligen Herstellungskosten geführt hätten. Danach könne nicht allein aufgrund einer Vielzahl von baulichen Unterschieden auf das Vorliegen nicht mehr miteinander vergleichbarer Nutzflächen geschlossen werden. Da die Anwendung des Flächenschlüssels weiterhin als Regelfall und die Anwendung des Umsatzschlüssels als Ausnahme hierzu anzusehen sei, habe das FG Düsseldorf in dem vorgenannten Urteil auch zu Recht entschieden, dass grundsätzlich der sich auf die Anwendung des Umsatzschlüssels berufende Steuerpflichtige die Feststellungslast dafür trage, dass nicht mehr vergleichbare Nutzflächen vorlägen. Im Hinblick auf die Frage, ob im Streitfall von miteinander vergleichbaren oder nicht mehr miteinander vergleichbaren Nutzflächen auszugehen sei, ergebe sich aus der baufachlichen Stellungnahme, dass die Nutzflächen miteinander vergleichbar seien.
44Soweit entgegen seiner Auffassung im Hinblick auf die ab November 2010 vorsteuerschädlich verwendeten Räumlichkeiten im 1. OG des Neubaus (…-Praxis) davon auszugehen sein sollte, dass die Klägerin in den Jahren 2006 bis 2009 eine umsatzsteuerpflichtige (vorsteuerunschädliche) Vermietung angestrebt habe, weise er ergänzend darauf hin, dass sich in diesem Fall bei der Anwendung des Flächenschlüssels für die Jahre 2006 bis 2009 ein abzugsfähiger Vorsteueranteil von 55,36% ergebe. Diesem Wert habe die Klägerin für den Fall der Anwendung des Flächenschlüssels nicht widersprochen.
45Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte verwiesen.
46Am 28.03.2022 hat der Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
47E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
48Der Senat hält den Fall für geeignet, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).
49I. Die Klage ist begründet.
50Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2009, jeweils vom 25.01.2012 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2020, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
511. Die Klägerin ist bezogen auf Vorsteuerbeträge, soweit sie anteilig auf die Räumlichkeiten im 1. OG des Neubaus entfallen, für die Streitjahre 2006 bis 2009 dem Grunde nach gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt und nicht gem. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Der Beklagte hat insoweit zu Unrecht den Vorsteuerabzug für die Räumlichkeiten, die ab November 2010 für den Betrieb einer …-Praxis vermietet worden sind, versagt.
52a) Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung von steuerfreien Umsätzen verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG).
53aa) Die Vorschrift des § 15 UStG beruht auf Art. 168 MwStSystRL, wonach der Steuerpflichtige, der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt ist, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen.
54Die Vorschrift des § 15 UStG ist richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 03.07.2008, V R 51/06, BStBl II 2009, 213; vom 15.04.2015, V R 46/13, BStBl II 2015, 947, Rn. 21 f.). Danach wird für das Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG eine Leistung nur bezogen, wenn sie zur (beabsichtigten) Verwendung für Zwecke einer nachhaltigen und gegen Entgelt ausgeübten Tätigkeit bezogen wird, die im Übrigen steuerpflichtig sein muss, damit der Vorsteuerabzug nicht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist (BFH, Urteil vom 18.04.2012, XI R 14/10, BFH/NV 2012, 1828).
55bb) Die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge sind für den Besteuerungszeitraum abzusetzen, in den sie fallen (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UStG; vgl. BFH, Beschluss vom 10.02.2021, XI B 24/20, BFH/NV 2021, Rn. 6).
56Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gemäß Art. 167 MwStSystRL in dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch des Fiskus auf die abziehbare Steuer entsteht. Dies ist gemäß Art. 63 MwStSystRL der Zeitpunkt, in dem die Lieferung erfolgt oder die Dienstleistung bewirkt wird. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht danach, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer mit der Lieferung eines Gegenstands oder der Ausführung einer Dienstleistung entsteht (vgl. EuGH-Urteile vom 22.03.2012, C-153/11, Klub, UR 2012, 606, Rn. 36; vom 08.06.2000, C-400/98, Breitsohl, UR 2000, 329, Heidner, in Bunjes, § 15 Rn. 302). Danach muss sich der Unternehmer sofort entscheiden, für welche Ausgangsumsätze er die empfangenen Eingangsleistungen verwenden will (vgl. BFH, Urteil vom 13.01.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rn. 53). Ohne die Sofortentscheidung des Unternehmers über die beabsichtigten Verwendungsumsätze kann der Vorsteuerabzugsanspruch dem Grunde und der Höhe nach bei der Steuerfestsetzung für den maßgebenden Besteuerungszeitraum nicht beurteilt werden (BFH, Urteil vom 2.03.2006, V R 49/05, BStBl II 2006, 729, Rn. 13).
57Für Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug ist die objektiv belegbare Absicht des Unternehmers maßgebend, die bezogenen Leistungen für besteuerte Ausgangsumsätze zu verwenden, sofern sie tatsächlich erst in einem späteren Besteuerungszeitraum verwendet werden (vgl. BFH, Urteil vom 13.01.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61, Rn. 51). Wenn die Ausführung besteuerter Ausgangsumsätze von der Wirksamkeit eines Verzichts auf eine Steuerbefreiung des beabsichtigten Ausgangsumsatzes abhängen, muss die Absicht zum Verzicht auf die Steuerbefreiung ebenfalls objektiv nachweisbar sein (BFH, Urteil vom 06.06.2002, V R 27/00, BFH/NV, Rn. 16). Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht endgültig (BFH, Urteil vom 02.03.2006, V R 49/05, BStBl II 2006, 729, Rn. 13). Das Recht auf Vorsteuerabzug bleibt grundsätzlich u. a. selbst dann erhalten, wenn der Steuerpflichtige später die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwendet (EuGH, Urteil vom 12.11.2020, C-734/19, ITH, UR 2021, 275, Rn. 34).
58b) Die Klägerin hatte zur Überzeugung des Senates in den Streitjahren ursprünglich die Absicht, die Räumlichkeiten, die sie später an die …-Praxis steuerfrei vermietete, unter Verzicht auf die Steuerbefreiung für Vermietungsleistungen steuerpflichtig zu vermieten. Erst 2010 und damit außerhalb des Streitzeitraums des vorliegenden Verfahrens beabsichtigte die Klägerin, die Räumlichkeiten umsatzsteuerfrei für den Betrieb einer …-Praxis ab November 2010 zu vermieten.
59Die Umsätze durch Grundstücksvermietung sind nach § 4 Nr. 12 Buchst. a Satz 1 UStG grundsätzlich steuerfrei. Ein Unternehmer kann jedoch gem. § 9 Abs. 1 UStG einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis g, Nr. 9 Buchstabe a, Nr. 12, 13 oder 19 UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG ist bei der Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG), bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG) und bei den in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. b und c UStG bezeichneten Umsätzen allerdings nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.
60Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen hatte die Klägerin nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ursprünglich die Absicht, die Räumlichkeiten im 1. OG des Neubaus als Bürofläche steuerpflichtig zu vermieten, d.h. auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG gemäß § 9 UStG zu verzichten. Dies schließt der Senat unter anderem aus der von der Klägerin mit Schreiben vom 14.05.2008 beim Beklagten eingereichten Aufstellung über den Stand der abgeschlossenen Mietverträge. Danach standen für das EG und für das 2. OG Mietverträge kurz vor ihrem Abschluss. Hinsichtlich des EG als auch hinsichtlich der Hälfte des 2. OG (250 m²) sollte zur Umsatzsteuerpflicht optiert werden. In der mit „Optiert“ überschriebenen Spalte war das jeweilige Tabellenfeld jeweils mit einem „X“ gekennzeichnet. Demgegenüber war hinsichtlich der anderen Hälfte des 2. OG das Tabellenfeld mit „nein“ beschrieben worden. Für die hier streitgegenständlichen Räumlichkeiten im 1. OG des Neubaus war noch kein Mietvertrag avisiert. Gleichwohl war das entsprechende Tabellenfeld in der Spalte „Optiert“ ebenfalls mit einem „X“ gekennzeichnet, wonach also auch insoweit die Absicht bestand, die Räumlichkeiten als Bürofläche unter Ausübung des Verzichts auf die Steuerbefreiung umsatzsteuerpflichtig an einen gewerblichen Mieter zu vermieten.
61Die Klägerin gab ihre ursprüngliche Absicht zur umsatzsteuerpflichtigen Vermietung zur Überzeugung des Senates in zeitlicher Hinsicht auch erst nach den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Zeitraum auf. Dies ergibt sich unter anderem aus einem Exposé, mit welchem die von der Klägerin mit der Vermarktung beauftragte … Immobilien GmbH die noch freien Flächen im 1. OG des Gebäudekomplexes bewarb. Nach den Angaben in dem Exposé waren mit Ausnahme der Flächen im 1. OG alle anderen Flächen des Gebäudekomplexes bereits als Büro-, Praxis- oder Wohnflächen vermietet. Die noch nicht vermieteten Flächen im 1. OG wurden als Büroflächen angeboten. Die Miete für diese Flächen sollte 12 € pro m² zzgl. Umsatzsteuer betragen. Diese Mietpreisangabe spricht dafür, dass die Klägerin auch zum Zeitpunkt, als bereits alle anderen Flächen vermietet waren, für die Flächen im 1. OG weiterhin eine umsatzsteuerpflichtige Vermietung als Büroflächen beabsichtigte. Erst die spätere umsatzsteuerfreie Vermietung ab November 2010 lässt eine Aufgabe der ursprünglichen Absicht zur steuerpflichtigen Vermietung erkennen. Die Klägerinnenvertreter haben darüber hinaus im Erörterungstermin aus Sicht des Senates nachvollziehbar erläutert, dass beabsichtigt war, eine finanzielle Belastung durch nichtabziehbare Vorsteuern durch eine umsatzsteuerpflichtige Vermietung zu vermeiden. Erst als die fehlenden Mieteinnahmen für das 1. OG immer weiter stiegen, zog die Klägerin eine umsatzsteuerfreie Vermietung in Betracht, die sie dann mit der Vermietung als …-Praxis auch umsetzte.
622. Die Ermittlung des abziehbaren Teils der in den Streitjahren angefallenen Vorsteuerbeträge hat nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 UStG und dabei – entgegen der Auffassung des Beklagten – jeweils anhand des objektbezogenen Umsatzschlüssels zu erfolgen. Der Beklagte hat zu Unrecht den Flächenschlüssel angewandt.
63a) Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Der Unternehmer kann die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG). Es ist dabei zunächst Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt; Finanzbehörden und Finanzgerichte können aber nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 03.08.2017, V R 62/16, BStBl II 2021, 109, Rn. 28). Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 10).
64In Ansehung der unionsrechtlichen Grundlagen in Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL ist § 15 Abs. 4 UStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtlinienkonform auszulegen (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 12 m.w.N.). Zur Vorsteueraufteilung gemischt genutzter Gebäude ist seit dem EuGH-Urteil vom 09.06.2016 (C-332/14, Wolfgang und Dr. Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR, UR 2016, 545, Rn. 26 ff.) und dem nachfolgenden BFH-Urteil vom 10.08.2016 (XI R 31/09, BFHE 254, 461, Rn. 31 ff.) von folgenden Grundsätzen auszugehen (s. zu den folgenden Grundsätzen auch BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 13 – 17 mit jeweils weiteren Rechtsprechungsnachweisen):
65aa) In einer ersten Phase müssen die Mitgliedstaaten grundsätzlich vorsehen, dass die Steuerpflichtigen zur Bestimmung der Höhe ihres Rechts auf Vorsteuerabzug die auf der Eingangsstufe erworbenen Gegenstände und Dienstleistungen zunächst den verschiedenen Ausgangsumsätzen, zu deren Ausführung sie bestimmt waren, möglichst (direkt und unmittelbar) zuordnen (Phase der direkten und unmittelbaren Zuordnung).
66(1) Dies betrifft insbesondere die Eingangsleistungen für die Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung des gemischt genutzten Gebäudes, weil diese Zuordnung üblicherweise in der Praxis leicht durchführbar ist.
67(2) Im Fall der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes erweist sich indes eine Zuordnung der Eingangsleistungen zur Errichtung des Gebäudes zu den Umsätzen, für die sie verwendet werden, in der Praxis als zu komplex und somit schwer durchführbar. Dies gilt vor allem deshalb, weil die Zugehörigkeit eines gemischt genutzten Gebäudes zum Unternehmensvermögen bei nur anteiliger Zuordnung keine räumlich-gegenständliche, sondern eine prozentuale ist, so dass Nutzungsänderungen innerhalb der Nutzungsquote (z.B. beim Tausch von gleich großen Räumen) zu keiner Vorsteuerberichtigung führen. Diese Erkenntnis führt weiter dazu, dass auch in Bezug auf § 15 Abs. 4 UStG nicht ein bestimmter Gebäudeteil, sondern ein bestimmter Prozentsatz des Gebäudes für steuerpflichtige Umsätze bzw. steuerfreie Umsätze genutzt wird, weil wegen fehlender Möglichkeit zur Vorsteuerberichtigung beim Tausch von solchen Räumen o.Ä., die zu keiner prozentualen Änderung der Quote führt, auch insoweit keine räumlich-gegenständliche Zuordnung erfolgen kann.
68bb) In einer zweiten Phase (Aufteilung der in Phase 1 nicht direkt und unmittelbar zugeordneten Vorsteuerbeträge) ist bei der Errichtung eines gemischt genutzten Gebäudes im Regelfall grundsätzlich eine Vorsteueraufteilung nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel vorzunehmen. Bestehen aber erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume, soweit es um Flächen innerhalb eines Gebäudes und auf dessen Dach geht, oder wenn eine Aufteilung nach dem Flächenschlüssel aus sonstigen Gründen nicht präziser ist, sind die Vorsteuerbeträge nach einem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen. Bei zeitlich abwechselnder Nutzung derselben Flächen kann auch eine Aufteilung nach Nutzungszeiten erforderlich sein. Beides ist darauf zurückzuführen, dass die vom Mitgliedstaat angeordnete abweichende Methode eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs als die Umsatzmethode gewährleisten muss, aber nicht zwingend die genauestmögliche sein müsste.
69Wenn die Ausstattung der Räumlichkeiten, die verschiedenen Zwecken dienen, erhebliche Unterschiede aufweisen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Eingangsbezüge gleichmäßig auf die Fläche verteilen, sodass der Flächenschlüssel sich nicht als genauere Aufteilung erweist (BFH, Urteil vom 07.05.2014, V R 1/10, BFHE 245, 416, Rn. 32).
70b) Die vorgenannten Grundsätze zur Bestimmung des Umfangs des abzugsfähigen Teils der Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 4 UStG finden im vorliegenden Verfahren Anwendung, da die Eingangsleistungen, welche den streitgegenständlichen Vorsteuerbeträgen zugrunde liegen, ein in umsatzsteuerlicher Hinsicht einheitliches Gebäude betreffen, auf dessen Verwendung abzustellen ist.
71aa) Bei der Errichtung eines einzelnen Neubaus handelt es sich grundsätzlich um ein einheitliches Gebäude. Ein einheitliches Gebäude kann auch dann vorliegen, wenn mehrere Gebäude auf einem Grundstück derart miteinander verbunden (verschachtelt) sind, dass sie Teile eines Gesamtbauwerks und Wirtschaftsguts sind (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 21 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
72bb) Nach den vorgenannten Grundsätzen plante und errichtete die Klägerin auf dem Grundstück A.Str. /B-Str. – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – ein aus umsatzsteuerlicher Sicht einheitliches Gebäude. Der zusammenhängende Gebäudekomplex bestand aus einem jeweils neu errichteten Hauptgebäude und Verbindungsgebäude sowie einem umfassend sanierten denkmalgeschützten Altbau. Die einzelnen Gebäudeteile waren miteinander verbunden. Dies ergibt sich aus den Planungszeichnungen. Der gesamte Gebäudekomplex verfügt über ein neu errichtetes einheitliches Fassadenbild. Die unter dem Neubau (Hauptgebäude) errichtete Tiefgarage dient dem gesamten Gebäudekomplex, welcher mit seinen Räumlichkeiten zudem in seiner Gesamtheit vermarktet wurde. So verwies die Klägerin in ihrem Exposé für das 1. OG nicht nur auf die vermieteten Räumlichkeiten im errichteten Neubau, sondern gab weiter die Nutzung bzw. Art der Vermietung der Räumlichkeiten im Verbindungs- und im Altbau an.
73c) Die Aufteilung der auf das einheitliche Gebäude entfallenden Vorsteuerbeträge hat jedoch nicht – wie von dem Beklagten vorgenommen – nach dem objektbezogenen Flächenschlüssel zu erfolgen, da dieser nicht präziser ist als der von der Klägerin gewählte objektbezogene Umsatzschlüssel. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Eingangsleistungen gleichmäßig auf die Flächen verteilen, da in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume erhebliche Unterschiede bestehen.
74aa) Erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume, die einer Aufteilung nach dem Verhältnis der Flächen entgegenstehen, können sich z.B. aus den unterschiedlichen Höhen der Räume, der Dicke der Wände und Decken oder in Bezug auf die Innenausstattung ergeben (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 10.08.2016, XI R 31/09, BFHE 254, 461, Rn. 48; vom 07.05.2014, V R 1/10, BFHE 245, 416, Rn. 32). Eine besonders aufwendige Ausstattung der Wohnräume bei gleichzeitig einfacher Ausstattung der zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze genutzten Räume könnte bei der Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Flächenverhältnis zur Annahme eines unverhältnismäßig hohen Anteils des steuerpflichtig verwendeten Leistungsbezugs und damit zu einem zu hohen Vorsteuerabzug führen. Das gilt im umgekehrten Fall entsprechend (BFH, Urteil vom 10.08.2016, XI R 31/09, BFHE 254, 461, Rn. 49 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
75Erhebliche Ausstattungsunterschiede liegen z.B. vor, wenn ein steuerpflichtig vermieteter Supermarkt im EG und in den Geschossen darüber gelegene steuerfrei vermietete Wohnungen hinsichtlich der Höhe der Räume, der Fenster sowie der Innenausstattung unterschiedliche Ausstattungsmerkmale aufweisen (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 24 ff. mit Bezug auf die vorangegangenen Feststellungen des FG Nürnberg, Urteil vom 30.07.2019, 2 K 103/17, Rn. 34, juris; Fleckenstein-Weiland in: Wäger, UStG, 2. Auflage 2022, § 15 Rn. 295). Eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Flächen scheidet auch dann aus, wenn es z.B. um nicht zu einer Gesamtnutzfläche zu addierende Nutzflächen innerhalb eines Gebäudes und auf dessen Dach geht (BFH, Urteil vom 10.08.2016, XI R 31/09, BFHE 254, 461, Rn. 50 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
76bb) Bestehen danach erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume, ist nicht davon auszugehen, dass sich Eingangsleistungen gleichmäßig auf die Fläche verteilen würden. Dies gilt auch nicht ausnahmsweise für den Fall, dass der jeweilige Aufwand für die einzelnen unterschiedlichen Ausstattungen bei den steuerpflichtig vermieteten und bei den steuerfrei vermieteten Räumen vergleichbar ist (a.A. FG Nürnberg, Urteil vom 30.07.2019, 2 K 103/17, EFG 2020, 1728, Rn. 35; wohl auch FG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2018, 1 K 2798/16, juris). Der BFH hat in den o.g. Grundsätzen zur Vorsteueraufteilung gemischt genutzter Gebäude weder eine solche Vergleichsbetrachtung noch hierfür einen Ausnahmefall vorgesehen. Im Fall der Errichtung eines Gebäudes ist die Aufteilung des Gebäudes auf die Nutzung für steuerfreie und steuerpflichtige Zwecke prozentual und nicht räumlich-gegenständlich vorzunehmen. Dies verbietet die Betrachtung von konkreten Baukosten einzelner konkreter Teile des einheitlichen Gebäudes, weil keine Berichtigung vorzunehmen ist, wenn z.B. später Räume getauscht werden, ohne dass sich der prozentuale Anteil der steuerpflichtigen Nutzung ändert (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 27, nachgehend zum o.g. Urteil des FG Nürnberg vom 30.07.2019, 2 K 103/17, EFG 2020, 1728).
77cc) Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze handelt es sich zur Überzeugung des Senats bereits bei den von der Bausachverständigen des Beklagten festgestellten Unterschieden, denen die Klägerin insoweit auch nicht widersprochen hat, um erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume, aufgrund derer nicht davon auszugehen ist, dass sich die Eingangsleistungen zur Errichtung des Gebäudekomplexes gleichmäßig auf die Fläche verteilen.
78(1) Die lichte Raumhöhe in den einzelnen Stockwerken des Neubaus variiert. Sie beträgt im EG ca. 3,68 Meter (m), im 1. und 2. OG ca. 3,25 m, im 3. OG ca. 2,75 m und im 4. OG ca. 2,55 m. Daraus ergeben sich insoweit Unterschiede zwischen den im EG und im 1. OG überwiegend umsatzsteuerpflichtig vermieteten Gewerberäumen und den in den anderen Geschossen überwiegend steuerfrei zu Wohnzwecken vermieteten Räumlichkeiten.
79Die Innenwandstärken im Neubau unterscheiden sich je nach Etage. Im 2. OG besitzen sie eine Stärke von 40 cm, 20 cm oder 11,5 cm, während die Innenwände im 3. und 4. OG 24 cm, 12,5 cm oder 11,5 cm betragen. Im EG und im 1. OG sind hingegen keine Innenwände errichtet worden (vgl. auch Anlage 1 und 2 zur Stellungnahme des Bausachverständigen).
80Für den (steuerpflichtig vermieteten) Gewerbebereich wurden Brandschutzmaßnahmen wie Brandmeldeanlagen, Lüftungsanlagen, Feuerlöscher und Treppenhaus(TRH)-Zugangstüren durchgeführt. Als weitere Sondermaßnahmen für den Brandschutz wurden in den steuerpflichtig vermieteten Räumen z.B. Markisen, Falltüranlagen, Luftschleieranlage, Schiebetüranlagen, Schaufenster mit Türanlagen, die Ganzglasschiebetür im Altbau (1. Obergeschoss) sowie ein Wegeleitsystem eingebaut bzw. eingerichtet. Anders als für die Gewerberäumlichkeiten wurden die steuerfrei vermieteten Wohnungen insoweit „nur“ mit Innentüren und Wohnungsabschlusstüren ausgestattet, wobei es sich dabei nicht um alleinige oder überwiegende Maßnahmen zum Brandschutz handelt, da der Einbau von Türen in einer Wohnung vorrangig der Abschließbarkeit und damit der Nutzung als Wohnraum dient.
81Im Hinblick auf die Innenausstattung bestehen weiter Unterschiede dahingehend, dass in den Gewerberäumen die Toilettenräume gefliest und mit WC und einem Waschtisch ausgestattet worden sind, während in den Wohnräumen jeweils neben WC-Anlagen auch ein Duschbereich eingerichtet wurde. Zudem verfügen einzelne (steuerfrei vermietete) Wohnungen im Gegensatz zu den (steuerpflichtig vermieteten) Gewerberäumen über innenliegende Treppen und Dachterrassenbelege.
82(2) Soweit der Beklagte wie zuvor seine Bausachverständige die Nichterheblichkeit der festgestellten Unterschiede damit begründet, dass die konkreten Baukosten der umsatzsteuerpflichtig vermieteten und der umsatzsteuerfrei vermieteten Räumlichkeiten trotz der Unterschiede vergleichbar seien, da z.B. den höheren Baukosten für die umsatzsteuerpflichtig vermieteten Räume aufgrund der höheren Raumhöhe auch höhere Baukosten für die umsatzsteuerfrei vermieteten Räumlichkeiten gegenüberstünden, weil in letzteren Räumen mehr Zwischenwände vorhanden seien, steht dem entgegen, dass eine solche Vergleichsbetrachtung gerade nicht zulässig ist (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 27 sowie oben unter I. 2. c) bb)). Im Fall der Errichtung eines Gebäudes ist die Aufteilung des Gebäudes auf die Nutzung für steuerfreie und steuerpflichtige Zwecke prozentual und nicht räumlich-gegenständlich vorzunehmen. Danach kann z.B. auch nicht die Erheblichkeit der festgestellten Unterschiede hinsichtlich der durchgeführten Brandschutzmaßnahmen mit der Begründung verneint werden, dass den höheren Kosten wegen der durchgeführten Brandschutzmaßnahmen für die steuerpflichtig vermieteten Gewerberäumlichkeiten Mehrkosten für abweichende bauliche Vorrichtungen, die bei den steuerfrei vermieteten Wohneinheiten durchgeführt worden sind (z.B. Wohnungsabschlusstüren), kompensierend gegenüberstünden. Hinzu kommt, dass in diesem Fall die vom Beklagten angeführte Kompensation nur behauptet, nicht aber unter der konkreten Gegenüberstellung von Kosten zumindest plausibilisiert worden ist.
83dd) Auch wenn bereits die von der Bausachverständigen des Beklagten gemachten Feststellungen erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume begründen, bestehen darüber hinaus auch im Hinblick auf die verwendete Bausubstanz ebenfalls erhebliche Unterschiede. Für einen Teil des neu errichteten Gebäudekomplexes, dem sog. Neubau, wurde eine vollständig neue Bausubstanz verwendet bzw. geschaffen, während für einen anderen Teil, dem denkmalgeschützte Altbau, die vorhandene Substanz weitgehend erhalten werden musste. Abweichend vom Neubau verfügte der Altbau über eine Holzbalkendecke, Gauben- und weitere Fensterrahmen aus Holz, ein Holzgeländer im Treppenhaus sowie eine historische Türanlage nebst Terrazzo-Stufenanlage, die jeweils im Rahmen der Errichtung des gesamten Gebäudekomplexes saniert wurden. Wegen der damit verbundenen Unterschiede kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die zur Errichtung des Gebäudekomplexes verwendeten Eingangsleistungen gleichmäßig auf die gesamte Fläche verteilen.
84ee) Die Anwendung des objektbezogenen Flächenschlüssels ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin an diesen gebunden ist. Die Beteiligten gehen – wie im Erörterungstermin ausgeführt – im vorliegenden Verfahren selbst davon aus, dass die Klägerin zur Aufteilung der Vorsteuern für den Gebäudekomplex A-Str. /B-Str. in ihren Umsatzsteuerjahreserklärungen jeweils den Umsatzsteuerschlüssel angewandt hat, so dass aus diesem Grund eine Bindung an eine ursprüngliche Wahl des Flächenschlüssels schon nicht bestehen kann (BFH, Urteil vom 10.12.2009, V R 13/08, BFH/NV 2010, 960). Darüber hinaus wäre die Klägerin an die Wahl des objektbezogenen Flächenschlüssels nicht gebunden, da dieser nicht präziser als der objektbezogene Umsatzschlüssel und danach auch nicht sachgerecht ist (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 23).
85ff) Entgegen der Ansicht des Beklagten obliegt ihm und nicht der Klägerin die Feststellungslast, dass der Flächenschlüssel präziser ist als der objektbezogene Umsatzschlüssel (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 29; Fleckenstand-Weiland in: Wäger, UStG, 2. Auflage 2022, § 15 Rn. 295). Diesen Nachweis hat der Beklagte nicht hinreichend erbracht. Vielmehr ist der Senat – wie ausgeführt – auch vom Gegenteil überzeugt, dass aufgrund der festgestellten erheblichen Unterschiede der objektbezogene Flächenschlüssel nicht präziser ist als der objektbezogene Umsatzschlüssel.
86d) Der objektbezogene Umsatzschlüssel beträgt für die Streitjahre jeweils 68,8 %. Der Senat folgt der Ermittlung der Klägerin (§ 15 Abs. 4 Satz 2 UStG), welcher der Beklagte hinsichtlich der Höhe nicht entgegengetreten ist. Soweit der Beklagte im Einspruchsverfahren für seinen Einigungsvorschlag einen Umsatzschlüssel i.H.v. 60,5 % ermittelt hatte, erfolgte dies ohne Berücksichtigung der Räumlichkeiten im 1. OG für die spätere …-Praxis. In den Streitjahren hatte die Klägerin jedoch – wie oben unter I. 1. ausgeführt – die Absicht, diese Räumlichkeiten steuerpflichtig zu vermieten. Diese Absicht gab die Klägerin erst im Jahr 2010 und damit nach dem hier betroffenen Streitzeitraum auf.
87Die danach zu ändernden Umsatzsteuerfestsetzungen 2006 bis 2009 ermitteln sich wie folgt:
88II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
90III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
91IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine erneute Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO). Über die Unzulässigkeit einer Vergleichsbetrachtung sowie darüber, dass die Feststellungslast dafür, dass der Umsatzschlüssel präziser als der Flächenschlüssel ist, der Beklagte trägt, hat der BFH bereits mit Urteil vom 11.11.2020 (BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 7/20, BFHE 271, 273, Rn. 27 und 29) entschieden. Die Finanzverwaltung hat sich der BFH-Rechtsprechung zwischenzeitlich auch angeschlossen (BMF-Schreiben vom 20.10.2022, III C 2-S 7306/19/10001:003, Rz. 9).