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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten über den Erlass einer Rückforderung von Kindergeld für die Tochter N. für die Monate Oktober 2013 bis September 2014 in Höhe von 2.240,- Euro sowie von Hinterziehungszinsen in Höhe von 118,- Euro.
3Die Klägerin kam im Jahr 2001 als Spätaussiedlerin nach Deutschland und beantragte im August 2001 erstmals Kindergeld für ihre drei Kinder. Im Oktober 2001 wurde der Beklagten die Änderung der Bankverbindung mitgeteilt, wobei als Absender die Klägerin benannt war. Daraufhin meldete sich im April 2002 der damals bevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerin, der mitteilte, dass das Schreiben nicht von der Klägerin stamme, sondern vermutlich von dem Kindsvater, der mit der Klägerin im Streit stehe.
4Im Mai 2002 stellte die Klägerin erneut einen Kindergeldantrag, in dem sie u.a. erklärte, dass ihr bekannt sei, dass sie alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe. Ausweislich einer vom Frauenhaus in N-Stadt ausgestellten Bescheinigung lebte die Klägerin seit dem 15.05.2002 getrennt von ihrem Ehemann gemeinsam mit ihren drei Kindern in N-Stadt. Die Familienkasse teilte der Klägerin mit Schreiben vom 04.06.2002 mit, dass das Kindergeld an sie weitergezahlt werde und wies sie nochmals darauf hin, dass alle Veränderungen in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen sind. Das gelte insbesondere für die Veränderungen, die im Zusammenhang mit der Verlegung des Wohnsitzes, z.B. wenn eines der Kinder nicht mehr dem Haushalt angehört, eintreten (Bl. 46 der Kindergeldakte [KGA]).
5Im September 2005 wandte die Klägerin sich an die Familienkasse und teilte mit, dass ihr Sohn B. seit Juli 2005, nachdem er zwischenzeitlich zu seinem Vater gezogen sei, wieder bei ihr wohne, jedoch bis voraussichtlich Juli 2008 eine Schule in Russland besuche und während der Schulzeit bei ihrer Mutter lebe. Sie fügte einen Kindergeldantrag bei, in dem sie nochmals bestätigte, dass ihr bekannt sei, alle Änderungen mitteilen zu müssen und das Merkblatt zum Kindergeld bereits erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben (vgl. Bl. 68 KGA). Daraufhin forderte die Beklagte in mehreren Schreiben diverse Unterlagen an und bat die Klägerin darum, genaue Angaben dazu zu machen, wo der Sohn lebt, wie lange er sich voraussichtlich im Ausland aufhalten wird und wie oft und wie lange er jeweils zwischenzeitlich nach Deutschland zurückkehrt (vgl. u.a. Bl. 87 KGA). Anschließend setzte die Beklagte das Kindergeld zugunsten der Klägerin für ihren Sohn B. fest.
6In den folgenden Jahren erklärte die Klägerin noch mehrfach – allerdings bezogen auf die für ihren Sohn gestellten Anträge –, dass ihr bekannt sei, dass sie alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen habe (siehe hierzu Bl. 109, 120, 147, 158, 167 KGA).
7Für ihre am 02.10.1996 geborene Tochter N. bezog die Klägerin in den Monaten September 2013 bis Oktober 2014 Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.608,- Euro, das sie ihren eigenen Angaben zufolge überwiegend an ihre Tochter weiterleitete. In diesem Zeitraum bezog die Klägerin auch Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Jobcenter, auf welche das für ihre Tochter ausgezahlte Kindergeld zunächst in voller Höhe angerechnet wurde.
8Mit Schreiben vom 29.08.2014 beantragte die Klägerin, vertreten durch die damalige Prozessbevollmächtigte, für ihre Tochter N. Kindergeld und teilte mit, dass diese seit dem 01.09.2013 bis voraussichtlich Juni 2017 ein Studium der Krankenpflege in O-Stadt, Russland, absolviere und dort bei ihrer Großmutter wohne.
9Mit Bescheid vom 25.06.2015 hob die Familienkasse daraufhin die Kindergeldfestsetzung für die Monate September 2013 bis Oktober 2014 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte das bereits ausbezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.608,- Euro nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch der Klägerin wies die Beklagte mit unangefochtener Einspruchsentscheidung vom 28.10.2015 zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter habe, da diese wegen der langjährigen Ausbildung in Russland und der seltenen Anwesenheit in der Wohnung der Klägerin keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mehr in Deutschland habe.
10Mit Schreiben vom 29.03.2016 beantragte die Klägerin daraufhin bei der Beklagten den Erlass der Kindergeldrückforderung aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO. Sie begründete den Antrag mit der erfolgten Anrechnung des Kindergeldes auf die SGB II-Leistungen, die nicht mehr rückabgewickelt werden könne. Daraufhin gewährte die Agentur für Arbeit T-Stadt – Inkasso Service (Inkasso-Service) der Klägerin zunächst einen Zahlungsaufschub wegen des von der Klägerin beim Sozialgericht N-Stadt geführten Klageverfahrens betreffend die Gewährung von weiteren SGB II-Leistungen für den Zeitraum und wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens machte die Klägerin unter anderem geltend, dem Jobcenter bereits im September 2013 mitgeteilt zu haben, dass ihre Tochter plane, in Russland eine Ausbildung zu absolvieren und dem Jobcenter auch eine Bescheinigung des Kollegs vorgelegt zu haben, der sich entnehmen lässt, dass die Ausbildung voraussichtlich bis Juni 2017 dauern werde (vgl. Bl. 168 der Akte des Inkasso-Service). Am 25.07.2017 schloss die Klägerin mit dem Jobcenter vor dem Sozialgericht einen Vergleich, wonach der Klägerin für den Zeitraum September 2013 bis Oktober 2014 ein Anspruch in Höhe von 250,- Euro (25,- Euro pro Monat) zusteht.
11Am 21.08.2017 setzte die Beklagte des Weiteren Hinterziehungszinsen in Höhe von 118,- Euro fest.
12Mit Bescheid vom 26.09.2017 erließ der Inkasso-Service einen Teilbetrag des zurückgeforderten Kindergeldes in Höhe von 184,- Euro mit der Begründung, dass die Überzahlung für den ersten Monat, September 2013, auch bei rechtzeitiger Mitteilung nicht vermeidbar gewesen wäre. Bezüglich der weiteren Rückforderung sowie der Säumniszuschläge und der Hinterziehungszinsen (in dem Bescheid bezeichnet als „Stundungs-/Aussetzungszinsen“) lehnte der Inkasso-Service den Erlass unter Hinweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten der Klägerin ab.
13Den hiergegen gerichteten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass ihr seitens des Jobcenters nicht mitgeteilt worden sei, dass der Wegzug ihrer Tochter ins Ausland den Wegfall des Kindergeldanspruchs begründen könnte. Auch verwies sie auf die damals schwierige Situation, die sie veranlasst habe, ihre Tochter nach Russland schicken zu müssen und darauf, dass sie finanziell nicht dazu in der Lage sei, die Forderung zu begleichen. Am 09.07.2018 leistete die Klägerin eine Zahlung in Höhe von 250,- Euro an die Beklagte.
14Den Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11.04.2019 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe, die den Erlass der Forderungen rechtfertigen würden, vorlägen. Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen könne zwar grundsätzlich gerechtfertigt sein, wenn bei der Berechnung der SGB II-Leistungen Kindergeld angerechnet worden sei und dies nachträglich nicht mehr korrigiert werden könne. Eine sachliche Unbilligkeit liege aber nur dann vor, wenn die Rückforderung nicht auf ein Verhalten des Berechtigten zurückzuführen sei. Die Überzahlung des Kindergeldes resultiere im Falle der Klägerin jedoch gerade aus dem Umstand, dass sie den Umzug ihrer Tochter nach Russland der Familienkasse nicht unverzüglich mitgeteilt habe und sie mithin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass das Jobcenter von den Änderungen der Verhältnisse Kenntnis gehabt habe. Denn das Jobcenter sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht verpflichtet, der Familienkasse Änderungsmitteilungen zukommen zu lassen, da die Familienkasse kein Sozialleistungsträger sei. Der Umstand, dass die auf die SGB II-Leistungen erfolgte Anrechnung des Kindergeldes nicht wieder rückgängig gemacht werde, könne ein Grund für einen Billigkeitserlass sein, müsse es aber nicht.
15Auch ein Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit scheide aus, weil die Klägerin wegen ihrer Mitwirkungspflichtverletzung nicht erlasswürdig sei. Daneben sei sie auch nicht erlassbedürftig, weil sie wegen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II durch die Pfändungsfreigrenzen ausreichend geschützt sei.
16Hiergegen hat die Klägerin am 14.05.2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigt worden sei, dass sie, die Klägerin, einen Teilbetrag bereits erstattet habe. Zudem sei sie vom Jobcenter nicht darauf hingewiesen worden, dass sie nach dem Umzug ihrer Tochter nach Russland keinen Anspruch auf Kindergeld mehr habe und dass sie diese Änderung der Familienkasse mitteilen müsse. Dieses Fehlverhalten sei nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 15.03.2007, III R 54/05) zwingend im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Auch das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.12.2016 (13 K 91/16 Kg) bestätige, dass die fehlende Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden sowie der Umstand, dass ihr die Konsequenzen des Umzugs für den Anspruch auf Kindergeld nicht bewusst gewesen seien, zwingend bei der Entscheidung über den Erlass zu berücksichtigen seien.
17Darüber hinaus habe sie, die Klägerin, aufgrund des vorangegangenen Verhaltens der Beklagten darauf vertrauen dürfen, dass der Umzug ihrer Tochter nach Russland, um dort eine Ausbildung zu absolvieren, keinen Einfluss auf den Kindergeldanspruch habe. Denn bei ihrem Sohn B. habe der Umstand, dass dieser in den Jahren ab 2005 eine Ausbildung in Russland absolviert habe, ebenfalls keine Auswirkungen auf die Bewilligung des Kindergeldes gehabt, obwohl die Beklagte bereits im Jahr 2005 hierüber informiert und entsprechende Unterlagen hierzu vorgelegt wurden. Für sie sei nicht ersichtlich, warum dies im Falle ihrer Tochter anders zu beurteilen sei.
18Des Weiteren könne ihr auch nicht entgegengehalten werden, dass sie von der Beklagten über ihre Mitwirkungspflichten informiert worden sei. Als sie im Jahr 2001 nach Deutschland gekommen sei, sei der Antrag auf Kindergeld ohne ihre Mitwirkung gestellt worden. Auch sei der Beklagten bekannt, dass der Kindsvater ihre Unterschrift gefälscht habe.
19Zu berücksichtigen sei ferner, dass ihr, der Klägerin, nicht bewusst gewesen sei, dass es sich bei dem Jobcenter und der Familienkasse um unterschiedliche Behörden handele, da beide Behörden unter der Oberbezeichnung „Arbeitsamt“ aufträten. Aus diesem Grund sei sie nicht davon ausgegangen, dass sie – nach der Benachrichtigung des Jobcenters über den Auslandsaufenthalt der Tochter – zusätzlich auch die Familienkasse noch hätte informieren müssen.
20Die Klägerin ist ferner der Ansicht, dass es im Rahmen der Ermessensausübung an konkreten Ausführungen zu den besonderen Umständen des Streitfalls fehle.
21Das Klageverfahren betreffend den Monat Oktober 2014 und die Säumniszuschläge ist nach entsprechendem Teilerlass und übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten abgetrennt und eingestellt worden.
22Die Klägerin beantragt (nunmehr),
23die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.09.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2019 zu verpflichten, die Rückforderung des Kindergeldes für die Monate Oktober 2013 bis September 2014 in Höhe von 2.240,- Euro nebst Hinterziehungszinsen in Höhe von 118,- Euro zu erlassen.
24Die Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in ihrer Einspruchsentscheidung.
27Die Sache ist durch die vormalige Berichterstatterin mit den Beteiligten am 29.09.2021 erörtert worden. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird Bezug genommen.
28Der Senat hat in der Sache am 25.01.2022 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogenen weiteren Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
29Entscheidungsgründe
30I. Die Klage hat keinen Erfolg.
311. Sie ist zulässig. Insbesondere richtet sie sich zulässigerweise gegen die beklagte Familienkasse und war nicht gegen den Inkasso-Service zu erheben. Zwar hat der Inkasso-Service den Ausgangsbescheid erlassen. Allerdings ist nach entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO – die beklagte Familienkasse, die die Einspruchsentscheidung erlassen hat, die richtige Beklagte, abweichend von dem Grundsatz, dass die Klage gegen die Behörde zu richten ist, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO).
32Denn die Vorschrift des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wonach für den Fall, dass vor Erlass der Entscheidung über den Einspruch eine andere als die ursprünglich zuständige Behörde für den Steuerfall örtlich zuständig geworden ist, die Klage gegen die Behörde zu richten ist, die die Einspruchsentscheidung erlassen hat, ist auch dann entsprechend anzuwenden, wenn die Behörde, die den Ausgangsbescheid erlassen hat, bereits bei Erlass nicht zuständig war (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 28.01.2002 VII B 83/01, BFH/NV 2002, 934 und vom 27.08.2007 IV B 98/06, BFH/NV 2007, 2322).
33Dies ist vorliegend der Fall. Der Inkasso-Service war sachlich unzuständig für die Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Erlass der Rückforderung (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 25.02.2021 III R 36/19, BFHE 272, 19 und III R 28/20, BFH/NV 2021, 1100). Die beklagte Familienkasse hingegen war – auch ungeachtet des Umstandes, dass ihr die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen die Entscheidungen des Inkasso-Service ebenfalls nicht wirksam übertragen wurde (vgl. auch hierzu BFH-Urteile vom 25.02.2021 III R 36/19, BFHE 272, 19 und III R 28/20, BFH/NV 2021, 1100) – aufgrund des Wohnsitzes der Klägerin innerhalb ihres Bezirks sowohl sachlich als auch örtlich zuständig (§ 16 AO i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Sätze 1 und 2 des Finanzverwaltungsgesetzes, § 19 Abs. 1 Satz 1 AO).
342. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung des Antrags auf Erlass der Rückforderung durch den Bescheid vom 26.09.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
35a. Der streitgegenständliche Bescheid ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil der Inkasso-Service als sachlich unzuständige Behörde den Ausgangsbescheid erlassen hat. Denn der Fehler ist dadurch geheilt worden, dass die Beklagte als sachlich und örtlich zuständige Behörde im Rahmen des Einspruchsverfahrens die Sache in vollem Umfang nach der Maßgabe von § 367 Abs. 2 Satz 1 AO überprüft und die entsprechende Einspruchsentscheidung erlassen hat.
36Zwar ergibt sich die Heilungswirkung weder aus § 126 Abs. 2 AO, noch ist der Fehler nach § 127 AO unbeachtlich. Denn nach § 126 Abs. 2 AO kommt ausschließlich eine Heilung in den in Abs. 1 genannten Fällen, in denen eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften vorliegt, in Betracht. Vom Wortlaut erfasst sind demnach ausdrücklich nicht Fehler betreffend die Zuständigkeit. Auch § 127 AO sieht eine Unbeachtlichkeit von Fehlern ausschließlich in Fällen vor, in denen ein Verwaltungsakt unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche, nicht jedoch die sachliche Zuständigkeit zustande gekommen ist.
37Allerdings ist nach § 44 Abs. 2 FGO Gegenstand des Klageverfahrens nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat. Verfahrensrechtlich bilden der ursprüngliche Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung eine Verfahrenseinheit in der Weise, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt mit dem Inhalt zu beurteilen ist, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2014 VI R 80/13, BFHE 247, 111, BStBl II 2015, 115 m. w. N.) Dies gilt nicht nur für Anfechtungsklagen, sondern auch im Falle der Erhebung einer Verpflichtungsklage, wenn – wie im vorliegenden Fall – von dem Begehren, den Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts zu verpflichten, auch ein Anfechtungsbegehren bezogen auf die vorherige Ablehnung des Beklagten umfasst ist (vgl. u.a. von Beckerath in: Gosch, AO/FGO, 163. Lieferung, Stand 01.10.2017, § 44 FGO, Rn. 162; Krumm in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung, Stand 04.2021, § 44 FGO, Rn. 24.).
38Da im Rahmen des Einspruchsverfahrens nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO eine erneute Sachprüfung zu erfolgen hat, wird ein fehlerhafter Bescheid durch die Einspruchsentscheidung nicht nur geändert, sondern auch geheilt (vgl. hierzu Krumm in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 167. Lieferung, Stand 04.2021, § 44 FGO, Rn. 24). Insoweit ist beispielsweise anerkannt, dass auch erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens wegen des Gebots in § 367 Abs. 2 AO Ermessenserwägungen geändert, ergänzt oder auch erstmalig ausgeübt werden können (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 28.11.2006 VII B 97/06, BFH/NV 2007, 647). Gründe, wegen derer eine solche Heilung ausschließlich auf materielle Rechtsfehler beschränkt sein soll, sind nicht ersichtlich. Vielmehr spricht auch der Umstand, dass im Falle von Bekanntgabemängeln betreffend den Ausgangsbescheid nach der ständigen Rechtsprechung von einer Heilung ausgegangen wird, wenn eine Einspruchsentscheidung, mit der eine Entscheidung in der Sache getroffen wird, ergeht (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil vom 18.12.1991 XI R 42, 43/88, BFHE 167, 347, BStBl II 1992, 585 m. w. N.), dafür, dass auch formelle Fehler – wie eine fehlende sachliche Zuständigkeit der Behörde, die den Ausgangsbescheid erlassen hat – geheilt werden (so auch FG Brandenburg, Urteil vom 17.06.2020 7 K 14045/18, EFG 2020, 1284).
39Soweit im Rahmen des Einspruchsverfahrens nach § 367 Abs. 2 AO die Sache in vollem Umfang erneut geprüft wird und diese Überprüfung seitens der zuständigen Behörde erfolgt, wird demnach der Umstand, dass die sachlich unzuständige Ausgangsbehörde entschieden hat, geheilt (so auch FG Brandenburg, Urteil vom 17.06.2020 7 K 14045/18, EFG 2020, 1284; FG Münster, Urteil vom 03.12.2020 3 K 2344/20 AO, EFG 2021, 337; FG Düsseldorf, Urteile vom 22.01.2020 9 K 2688/19 KV, AO, vom 28.09.2021 9 K 465/21 AO und vom 14.06.2021 9 K 2976/20 AO; Steinke in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand 05.10.2021, § 16 Rn. 71; Wackerbeck in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand 06/2021, § 16 AO Rn. 55; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, Stand März 2019, § 16 AO Rn. 17).
40b. Die Ablehnung des Antrags auf Erlass der Rückforderung nach § 227 AO ist auch im Übrigen rechtmäßig, insbesondere in ermessensfehlerfreier Weise, erfolgt.
41(1) Nach § 227 AO kann die Finanzbehörde Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis in diesem Sinne zählt gemäß § 37 Abs. 1 AO auch der Steuervergütungsanspruch und somit auch ein Anspruch wegen Kindergeld, das gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt wird.
42Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO handelt es sich grundsätzlich um eine Ermessensentscheidung der Behörde, die nur der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 102 FGO unterliegt, wobei zunächst zu prüfen ist, ob die Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass eine Unbilligkeit im Einzelfall nicht vorliegt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BFHE 225, 482, BStBl II 2017, 393).
43(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Beklagte den Erlass der Kindergeldrückforderung und der Hinterziehungszinsen, soweit diese noch in Streit stehen, sowohl im Hinblick auf eine fehlende sachliche als auch persönliche Unbilligkeit ermessensfehlerfrei abgelehnt.
44(a) Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen im Sinne des § 227 AO ist anzunehmen, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist oder dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 13.09.2018 Ill R 19/17, BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187).
45In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das zurückgeforderte Kindergeld auf die von der Klägerin bezogenen SGB II-Leistungen angerechnet wurde und diese Anrechnung nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte in der Regel nicht rückabgewickelt werden kann, weil es allein auf den tatsächlichen Zufluss des Kindergeldes beim Hilfeempfänger ankommt und die nachträgliche Gewährung von Sozialleistungen ausgeschlossen ist. Der Umstand, dass eine gesetzliche Regelung der systemübergreifenden Rückabwicklung von zu Unrecht gewährtem Kindergeld, das auf Sozialleistungen angerechnet wurde, fehlt, ist bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Dieser Umstand ist für sich gesehen jedoch noch kein Grund, in einschlägigen Fällen einen Billigkeitserlass als zwingend anzusehen (vgl. BFH-Urteile vom 27.05.2020 III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283 und vom 20.02.2019 III R 28/18, BFH/NV 2019, 825).
46In die Entscheidung einzubeziehen ist darüber hinaus auch, ob der Kindergeldempfänger selbst seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist und inwieweit das Verhalten der Familienkasse Auswirkungen auf die Rückforderung hatte. Dabei hat gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Die Vorschrift des § 68 Abs. 1 EStG, auf die die Kindergeldberechtigten regelmäßig hingewiesen werden, soll gewährleisten, dass der Familienkasse alle notwendigen Informationen zur Verfügung stehen, um rechtzeitig die Rechtmäßigkeit der Auszahlung von Kindergeld beurteilen zu können und fehlerhafte Auszahlungen und damit zusammenhängende spätere Rückforderungen zu vermeiden. Die gesetzlich normierte besondere Mitwirkungspflicht führt auch dazu, dass sich die Familienkasse grundsätzlich darauf verlassen darf, dass jeder Kindergeldberechtigte unaufgefordert die seine persönliche Sphäre betreffenden Änderungsmitteilungen vornimmt. Zahlt die Familienkasse das Kindergeld zu Unrecht aus, weil der Kindergeldempfänger es unterlassen hat, die Familienkasse über tatsächliche Verhältnisse zu informieren, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sind, ist der Familienkasse aus diesem Grund kein Fehlverhalten vorzuwerfen. In diesem Fall liegt kein Gesetzesüberhang vor, der einen Billigkeitserlass gebietet (vgl. hierzu zuletzt BFH-Urteil vom 27.05.2020 III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283, m. w. N.).
47Nur unter besonderen Umständen kann hingegen ein Verhalten der Behörde einen sachlichen Billigkeitsgrund darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 17.06.2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505). Ein Erlass aus Billigkeitsgründen aufgrund des Verhaltens der Behörde ist dann in Betracht zu ziehen, wenn der Kindergeldberechtigte seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, der Rückforderungsanspruch aber durch ein überwiegendes Verschulden oder eine fehlerhafte Arbeitsweise der Behörde entstanden ist (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 08.11.2018 III R 31/17, BFH/NV 2019, 557, vom 13.09.2018 III R 48/17, BFHE 262, 488, BStBl II 2019, 189 und vom 13.09.2018 III R 19/17, BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187).
48Der Umstand, dass das Jobcenter die Familienkasse nicht über die ihm bekannten geänderten Verhältnisse informiert, muss hingegen bei der Entscheidung über den Billigkeitsantrag außer Betracht bleiben. Das Jobcenter ist zu einer derartigen Information nicht verpflichtet und auch nicht befugt. Die für die Festsetzung von Kindergeld nach § 62 ff. EStG zuständige Familienkasse ist kein Sozialleistungsträger i.S. des § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, so dass die für Sozialleistungsträger geltende Verpflichtung zur engen Zusammenarbeit nicht gilt. Die den Sozialbehörden gegenüber gemachten Angaben sind demnach durch das Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB II geschützt, so dass der Familienkasse relevante Sachverhalte nicht mitgeteilt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 13.09.2018 III R 19/17, BFHE 262, 483, BStBl II 2019, 187).
49(b) Die Beklagte hat unter Beachtung dieser Grundsätze im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens das Vorliegen einer Unbilligkeit aus sachlichen Gründen zu Recht abgelehnt. Sie hat in ihrer ablehnenden Ermessensentscheidung die Anrechnung des Kindergeldes auf die SGB II-Leistungen berücksichtigt und ebenso die Mitwirkungspflichtverletzung der Klägerin nach § 68 Abs. 1 EStG gewürdigt. Ermessensfehler liegen insoweit nicht vor.
50Die Beklagte hat in der Einspruchsentscheidung darauf abgestellt, dass die Rückforderung darauf zurückzuführen ist, dass die Klägerin ihr den Aufenthalt ihrer Tochter in Russland nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
51Die Klägerin ist auf diese Pflicht zur Mitwirkung – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – im Laufe des Verfahrens auch mehrfach hingewiesen worden. Sie wurde u.a. mit Schreiben vom 04.06.2002 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Veränderungen im Zusammenhang mit der Verlegung des Wohnsitzes und bei der Angehörigkeit eines ihrer Kinder zu ihrem Haushalt mitzuteilen sind. Dagegen kann die Klägerin auch nicht einwenden, dass sie, als sie im Jahr 2001 nach Deutschland gekommen ist, an der erstmaligen Antragstellung nicht mitgewirkt und der Kindsvater zwischenzeitlich ihre Unterschrift gefälscht habe. Denn jedenfalls ab Mai 2002 hat die Klägerin getrennt von dem Kindsvater gelebt und ausweislich der vorgelegten Kindergeldakten diverse weitere Anträge bei der Beklagten gestellt und mit dieser Schriftsätze ausgetauscht, ohne dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dies ohne ihr Wissen erfolgt ist.
52Die Klägerin kann dem des Weiteren nicht entgegenhalten, dass sie davon ausging, dass der Aufenthalt ihrer Tochter in Russland keine Auswirkungen auf ihren Anspruch hat. Seitens der Klägerin wird insoweit geltend gemacht, sie habe sich darauf verlassen, dass angesichts des Umstandes, dass auch für ihren Sohn B. trotz des Aufenthalts in Russland weiterhin Kindergeld gezahlt worden ist, auch der Anspruch für ihre Tochter weiterhin besteht. Demnach war sie sich also durchaus bewusst, dass dieser Umstand Einfluss auf den Anspruch haben kann. Dies wird auch dadurch belegt, dass sie bereits im Jahr 2005 im Rahmen der Beantragung des Kindergeldes für ihren Sohn B. seitens der Beklagten dazu aufgefordert wurde, konkrete Angaben zu der Dauer und dem Umfang des Aufenthalts im Ausland sowie der Ausbildung zu machen und Unterlagen vorzulegen. Ihr hätte damit bekannt sein müssen, dass es auf die individuellen Umstände des Auslandsaufenthaltes ankommt. Allein das Erkennen der Möglichkeit, dass diese Änderung Einfluss auf den Anspruch haben könnte, hätte sie jedoch dazu veranlassen müssen, die Beklagte hierüber zu informieren. Denn die Mitwirkungspflichten sollen gerade gewährleisten, dass der Kindergeldempfänger jede Änderung mitteilt und damit der Familienkasse die Prüfung ermöglicht, ob diese Einfluss auf den Anspruch haben. Von dieser Mitwirkung ist der Kindergeldempfänger auch dann nicht entbunden, wenn er selbst zu dem Ergebnis kommt, dass die Änderungen im Einzelfall nicht bewirken, dass der Anspruch entfällt. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Klägerin aus dem vorangegangenen Verfahren bekannt gewesen ist, dass seitens der Familienkasse eine individuelle Prüfung vorgenommen wird, für die die Vorlage von Unterlagen und konkrete Angaben benötigt werden und sich die Sachverhalte, wie es im vorliegenden Fall bereits aufgrund der unterschiedlichen Dauer des geplanten Auslandsaufenthalts von vier bzw. drei Jahren der Fall ist, voneinander unterscheiden.
53Dabei bedarf es insoweit keiner Entscheidung dazu, ob ein Erlass aus Billigkeitsgründen nur dann ausscheidet, wenn die Pflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt wurden (so FG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2020, 10 K 2769/19 AO, EFG 2021, 513, m. w N.). Denn aufgrund des aus den Kindergeldakten zu entnehmenden Verfahrensablaufs konnte die Beklagte, insbesondere mit Hinweis darauf, dass die Klägerin auf die Pflicht zur Mitteilung der Veränderung der Verhältnisse hingewiesen wurde, von einem mindestens grob fahrlässigen Verstoß ausgehen.
54Von einem behördlichen Mitverschulden ihrerseits ist die Beklagte hingegen zu Recht nicht ausgegangen. Sie verweist in der Einspruchsentscheidung insbesondere zutreffend darauf, dass das Jobcenter nicht verpflichtet war, sie über den Wegzug der Tochter der Klägerin nach Russland zu informieren. Eine andere Würdigung folgt auch nicht daraus, dass – wie die Klägerin vorträgt – ihr gegenüber seitens des Jobcenters kein Hinweis auf die bestehende Mitteilungspflicht erfolgt sei. Denn ungeachtet dessen, ob eine entsprechende Hinweispflicht des Jobcenters ihr gegenüber besteht, entbindet das Fehlen einer solchen Mitteilung die Klägerin nicht von den Mitwirkungspflichten gegenüber der Beklagten, auf die sie im Laufe des Verfahrens auch mehrfach hingewiesen wurde und derer sie sich, wie sich mit ihrer Unterschrift bestätigte, auch bewusst war.
55Dem steht auch nicht entgegen, dass sowohl das Jobcenter als auch die Familienkasse nach dem Vortrag der Klägerin jeweils unter der Oberbezeichnung „Arbeitsamt“ aufgetreten seien. Die an die Klägerin gerichteten Schreiben der Beklagten waren jeweils unter Angabe der Behörde „Familienkasse“ ergangen und die erteilten Hinweise zur Mitwirkungspflicht der Klägerin verwiesen ausdrücklich auf eine Mitteilungspflicht gegenüber der „Familienkasse“. Die Klägerin konnte daher nicht davon ausgehen, dass es sich bei dem Jobcenter und der Familienkasse um dieselbe Behörde handelte.
56Das von der Klägerseite ausdrücklich in Bezug genommene Urteil des FG Münster vom 12.12.2016 (13 K 91/16 Kg, juris) steht zu dieser Entscheidung nicht im Widerspruch. In dem Urteil wurde für den Fall ein Anspruch auf Erlass aus Billigkeitsgründen angenommen, dass ein Kläger seitens der Familienkasse nicht hinreichend darauf hingewiesen worden ist, dass mit Beendigung seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung der Anspruch auf Kindergeld entfällt, ihm die Konsequenzen aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Bezug auf den Wegfall des Kindergeldes nicht bewusst waren und außerdem die zuständigen Behörden (Arbeitsamt, Familienkasse und Sozialamt) nicht miteinander kommuniziert haben. Ein vergleichbarer Sachverhalt lag dem ebenfalls zur Begründung angeführten Urteil des BFH vom 15.03.2007 (III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298) zugrunde, wobei der BFH – ohne dass es für die Entscheidung darauf ankam – lediglich darauf hingewiesen hat, dass dieser Umstand ggf. einen Billigkeitserlass rechtfertigen kann. Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch um Änderungen der Verhältnisse betreffend die Tochter der Klägerin. Dass diese Änderungen Einfluss auf den Anspruch haben könnten, war der Klägerin zudem auch nach ihren eigenen Angaben durchaus bewusst. Auch der in dem Urteil des FG Münster vom 12.12.2016 zur Begründung aufgeführte Umstand, ob die allgemeinen Hinweise der Beklagten, dass jede Veränderung der Verhältnisse mitzuteilen ist, auch insoweit genügen, als damit die Beendigung der eigenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des Kindergeldberechtigten gemeint sein kann, und ob die Beklagte ihrer Hinweispflicht auf die Mitwirkungspflichten insoweit in ausreichendem Maße nachgekommen ist, stellt sich im vorliegenden Verfahren gerade nicht.
57Schließlich führt auch der Umstand nicht zu einem Ermessensfehler, dass die Familienkasse im Rahmen ihrer Erlassablehnung die Erstattung eines Teilbetrages der Kindergeldrückforderung durch die Klägerin nicht berücksichtigt hat. Dieser Umstand hat in erster Linie Auswirkungen auf das Leistungsgebot im Kindergeld-Rückforderungsbescheid, das gegebenenfalls um den entsprechenden Betrag zu reduzieren wäre. Da es sich bei dem geleisteten Betrag um die Erstattung des Jobcenters aufgrund des beim Sozialgericht geführten Verfahrens handelte, hätte sich eine Berücksichtigung dieses Umstandes zudem zu Lasten der Klägerin ausgewirkt, denn in dieser Höhe ist es letztlich nicht zu einer Anrechnung auf ihre für den Streitzeitraum erhaltenen SGB II-Leistungen gekommen.
58(c) Daneben hat die Beklagte auch unter dem Gesichtspunkt der fehlenden persönlichen Unbilligkeit den Erlassantrag der Klägerin ermessensfehlerfrei mit Hinweis auf die Mitwirkungspflichtverletzung der Klägerin abgelehnt.
59Der Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen erfordert die Erlassbedürftigkeit und die Erlasswürdigkeit des Antragstellers. Erlasswürdigkeit setzt ein Verhalten des Steuerpflichtigen voraus, das nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht. Ein Verstoß gegen die Interessen der Allgemeinheit liegt u.a. dann vor, wenn der Steuerpflichtige bei der Entstehung der Forderung seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt. Dies gilt auch für die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1 AO und § 68 Abs. 1 EStG (vgl. hierzu u.a. BFH-Urteil vom 17.07.2019 III R 64/18, BFH/NV 2020, 7 m. w. N.).
60Die Beklagte hat zu Recht unter Verweis auf die Verletzung der Mitwirkungspflichtverletzung der Klägerin eine Erlasswürdigkeit abgelehnt. Ob darüber hinaus auch wegen der weiteren Begründung, insbesondere wegen der wirtschaftlichen Situation der Klägerin, ein Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit abgelehnt werden durfte, bedarf keiner Entscheidung, weil schon die Verletzung der Mitwirkungspflichten die ermessensfehlerfreie Ablehnung des Erlasses rechtfertigt.
61II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
62III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).