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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Beteiligten streiten hinsichtlich der Einkommensteuer 2019 und 2020 (Streitjahre) über das Vorliegen einer Doppelbesteuerung von Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf die vom Bundesfinanzhof (BFH) entwickelte Berechnungsmethode.
2Die verheirateten Kläger (gemeinsam die Kläger) wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der am xx.xx.1944 geborene Kläger erzielte während seiner gesamten Erwerbstätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit; währenddessen wandte der Kläger nach seiner eigenen Ermittlung Altersvorsorgebeiträge i.H.v. 195.536€ auf. Der Kläger bezog seit dem 01.12.2007 eine Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zu Rentenbeginn betrugen die jährliche Rente 19.397€ und die Lebenserwartung des Klägers 17,97 Jahre ausweislich der am 19.10.2006 veröffentlichten Sterbetafel 2003/2005 des Statistischen Bundesamtes.
3Am 08.11.2021 erließ der Beklagte die Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020; die Steuerfestsetzung erfolgte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) vorläufig im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm der Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) Einkommensteuergesetz (EStG). Dabei legte der Beklagte hinsichtlich der Leibrente folgende Beträge erklärungsgemäß zugrunde:
42019 |
2020 |
|
Jahresbetrag der Rente |
23.894€ |
24.687€ |
Darin enthaltender Anpassungsbetrag |
4.497€ |
5.290€ |
Steuerfreier Teil der Rente |
- 8.923€ |
- 8.923€ |
Steuerpflichtiger Teil der Rente |
21.640€ |
22.358€. |
Hiergegen legten die Kläger am 07.12.2021 Einspruch ein. Für die Begründung wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 30.12.2021 Bezug genommen.
6Mit Schreiben vom 11.01.2022 beantragten die Kläger hinsichtlich des Einspruches gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2020.
7Mit Einspruchsentscheidung vom 10.02.2022 wies der Beklagte den Einspruch insgesamt als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, eine Doppelbesteuerung der Rente sei nicht gegeben. Eine doppelte Besteuerung liege vor, wenn die dem Kläger voraussichtlich steuerunbelastet zufließenden Rententeilbeträge geringer seien als die von ihm aus versteuertem Einkommen bezahlten Altersvorsorgeaufwendungen (BFH, Urteil vom 21.06.2016 X R 44/14, juris). Bereits nach seiner eigenen Berechnung komme der Kläger zu dem Ergebnis, dass nach den vom BFH aufgestellten Grundsätzen keine Doppelbesteuerung vorliege. Die Berechnung des Klägers sei zu korrigieren. Die Beiträge zur Rentenversicherung seien grundsätzlich auf der Grundlage des Bruttoarbeitslohnes zu berechnen, höchstens jedoch in Höhe der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. Bei der Berechnung stünden dem steuerfreien Rentenanteil von 160.614€ Rentenversicherungsbeiträge i.H.v. 77.021€ gegenüber. Hierbei sei der mögliche steuerfreie Teil einer Hinterbliebenenrente ebenso wenig berücksichtigt wie die weitere steuerliche Entlastung während der Erwerbsphase durch den Sonderausgabenabzug. Die von dem Kläger konstruierte Berechnungsmethode zur Feststellung einer Doppelbesteuerung sei nicht nachvollziehbar.
8Gegen die Einspruchsentscheidung haben die Kläger am 01.03.2022 Klage erhoben.
9Die Kläger sind im Wesentlichen der Auffassung, die Einkünfte des Klägers aus der Leibrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung seien nicht der Besteuerung zu unterwerfen. Die Berechnung der sonstigen Einkünfte nach der Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG führe zu einer Doppelbesteuerung. Mangels anderweitiger Rechtsnorm dürfte die Rente überhaupt nicht besteuert werden.
10Dabei richte sich die Klage nicht gegen die typisierten Besteuerungsanteile und auch nicht gegen die Anwendung des Nominalwertprinzips, sondern gegen die derzeitig verwendete Ausgestaltung der Vergleichs- und Prognoserechnung, da diese dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspreche. Die Rechtsprechung des BFH beruhe auf der unzutreffenden Annahme, dass durch den Systemwechsel die gleichheitswidrige Ertragsanteilsbesteuerung nicht fortgeführt werde und bereits in der Übergangsphase der Rentenzufluss der Besteuerung unterliege. Das sei aber unzutreffend. Die Zuflüsse würden vom Gesetzgeber in der Übergangsphase gerade nicht als steuerbares Einkommen angesehen. Der Gesetzgeber habe die Konzeption der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen nicht übernommen, sondern eine andere (kombinierte Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung) zu Grunde gelegt, wie aus dem Abschlussbericht der Sachverständigenkommission vom 11.03.2002, dem Gesetzentwurf zum AltEinkG vom 09.12.2013, BT-Drs. 15/2150, der Regierungsbegründung zum AltEinkG vom 26.02.2004, BT-Drs. 15/2663, und dem Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG folge; diesen Umstand habe die Rechtsprechung bisher nicht berücksichtigt.
11Im Streitfall seien von den gesamten Altersvorsorgebeiträgen i.H.v. 195.536€ lediglich 96.471€ (49,3%) steuerbelastet und 99.064€ (50,7 %) steuerbegünstigt gewesen. Es werde eingeräumt, dass nach der Berechnungsmethode des BFH keine Doppelbesteuerung vorliege, da der steuerfreie Zufluss absolut (160.607€) höher sei als die steuerbelasteten Altersvorsorgebeiträge (96.471€). Diese Berechnungsmethode bedürfe aber einer Neubefassung. Entgegen der Berechnungsmethode des BFH seien (angebliche) Steuervorteile in der Einzahlungsphase auf Grund der Abziehbarkeit von Altersvorsorgebeiträgen als Sonderausgaben im Rahmen der Höchstbeträge nicht zu berücksichtigen. Vor allem komme es nicht auf die absoluten Zahlen an, sondern auf einen Vergleich des relativen Besteuerungsanteils gem. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG mit dem höchstzulässigen kombinierten Voll- und Ertragsanteilssteuersatz.
12Die Rechtsprechung habe sich bisher nicht mit der Entstehungsgeschichte des AltEinkG und dem Wortlaut des § 22 Nr. 1 EStG sowie der korrespondierenden Regelungen zu den altersspezifischen Vergünstigungen auseinandergesetzt. Aus Entstehungsgeschichte und Wortlaut ergebe sich der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers zu einer kombinierten Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung in der Übergangsphase.
13Die sachgerechte Auslegung des Begriffs der Doppelbesteuerung erfordere eine Eliminierung der nicht steuerbaren Rentenzuflüsse. Rechnerisch sei dies leicht und einfach möglich. Es müsse nicht mit absoluten Zahlen gerechnet werden, sondern lediglich der prozentuale Anteil der steuerwirksamen Altersvorsorgebeiträge festgestellt werden. Dieser stelle nach dem Korrespondenzprinzip den möglichen Besteuerungsanteil dar (vorliegend 50,3% zuzüglich der Ertragsanteilsbesteuerung i.H.v. 20% für einen 64jährigen Neurentner aus 49,7% (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe bb) EStG), also 9,9%. Insgesamt ergebe sich eine kombinierte Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung i.H.v. 60,2% für die Leibrente des Klägers. Dieser Prozentsatz stelle den Schwellenwert dar, bei dessen Überschreiten eine Doppelbesteuerung vorliege. Laut dem Einkommensteuerbescheid 2019 seien von der Rente des Klägers jedoch 62,7% (14.971€ / 23.894€) der Besteuerung unterworfen. In 2020 seien es 63,9% gewesen (15.764€ / 24.687€). Diese Anteile lägen über dem genannten Schwellenwert von 60,2%. Somit liege eine Doppelbesteuerung vor.
14Der steuerbegünstigte Anteil der Altersvorsorgebeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung während der Berufstätigkeit des Klägers sei auf die Arbeitgeberbeiträge beschränkt gewesen. Eigene Beiträge durch den Kläger seien dagegen in dieser Zeit vollumfänglich steuerbelastet gewesen. Der durch § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) EStG ermöglichte Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen sei auf einen Höchstbetrag gemäß § 10 Abs. 3 EStG beschränkt gewesen, der stets vollständig durch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge des Klägers ausgeschöpft worden sei, sodass die Beiträge zur Altersvorsorge nicht berücksichtigt werden konnten. Entgegen der Rechtsprechung des BFH fielen die Beiträge zur Kranken- bzw. Pflegeversicherung und zur Rentenversicherung nicht gleichrangig in den Höchstbeitrag des Sonderausgabenabzugs. Aus verfassungsrechtlichen Wertungen sei zu folgern, dass die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung denen zur Altersvorsorge vorgingen und im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG vorrangig berücksichtigt werden müssten. Die vom BFH vorgenommene gleichrangige Berücksichtigung aus Gründen der größten Plausibilität könne im Rahmen der historischen Entwicklung des § 10 Abs. 3 EStG nur für die Zeit bis 1991 gelten, verliere aber zumindest ab der Änderung der Vorschrift im Jahr 1992 ihre Grundlage. Es sei eine Neubefassung der Rechtsprechung hinsichtlich der Zuordnungsentscheidung erforderlich.
15Auch sei die Rechtsprechung des BFH zweifelhaft, nach der eine statistisch zu erwartende Hinterbliebenenrente mit ihrem steuerfreien Anteil als steuerfreier Zufluss in die Vergleichsrechnung zur Ermittlung einer etwaigen Doppelbesteuerung einzubeziehen sei. Für Renteneinkünfte gelte das Zuflussprinzip; bloße Anwartschaften könnten nicht als zu erwartendes Einkommen angesetzt werden, auch nicht im Rahmen einer Vergleichsrechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung, sondern nur der voraussichtliche tatsächliche Zufluss.
16Für den Fall, dass eine vorrangige Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge im Rahmen der Höchstbeträge nicht anzunehmen sei, sei die Berechnungsmethode des BFH jedenfalls um die bis zum 31.12.2004 entstandenen Wertsteigerungen der Altersvorsorgebeiträge zu korrigieren. Diese Wertsteigerungen würden Bestandsschutz genießen. Das bedeute, dass sie in der Vergleichsrechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung faktisch (rechnerisch) als aus versteuertem Einkommen geleistete Beträge zu berücksichtigen seien. Damit könnten nur die Rentenanpassungsbeträge der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG unterliegen.
17Die Ausführungen des Senats in dessen Beschluss vom 26.07.2022, 2 V 153/22, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren seien nicht überzeugend.
18Mit Beschluss vom 08.11.2022 ist das Verfahren wegen des Ruhens des Verfahrens für den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2019, nachdem die Kläger insoweit die Klage zurückgenommen hatten, abgetrennt und eingestellt worden.
19Die Kläger beantragen wörtlich,
20die Leibrente des Klägers aus der Basisversorgung 2019 und 2020 insgesamt nicht der Besteuerung zu unterwerfen und deshalb die festgesetzte Einkommen-steuer 2019 von 2.341€ und 2020 von 2.124€ jeweils auf 0€ zu reduzieren.
21Der Beklagte beantragt
22die Klage abzuweisen.
23Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, in den Streitjahren liege keine Doppelbesteuerung der Renteneinkünfte des Klägers vor. Der BFH habe in seinen beiden Grundsatzurteilen vom 19.05.2021, X R 20/19 und X R 33/19, konkrete Berechnungsparameter für die Prüfung einer etwaigen doppelten Besteuerung von Renten festgelegt; ferner halte der BFH ausdrücklich am Nominalwertprinzip fest. Diese Vorgaben seien im Streitfall eingehalten worden. Der steuerfreie Gesamtrentenbezug von 160.614€, bzw. 180.396 € unter Einbeziehung einer voraussichtlichen Witwenrente, übersteige deutlich die gezahlten Rentenversicherungsbeiträge i.H.v. 100.361€.
24Die Argumentation der Kläger hinsichtlich der Einbeziehung der Witwenrente überzeuge vor dem Hintergrund der o.g. BFH-Entscheidungen nicht.
25Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge und die beigezogene Gerichtsakte in dem Verfahren 2 V 153/22 Bezug genommen.
26Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärt.
Die Klage, über die aufgrund der jeweiligen Einverständnisse der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte, hat keinen Erfolg.
28I. Der Senat konnte entscheiden, ohne, entgegen der klägerischen Auffassung, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Voraussetzungen des Art. 100 Grundgesetz (GG) und des § 74 FGO liegen nicht vor. Der erkennende Senat hält unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH, insbesondere in den Urteilen vom 19.05.2021, X R 20/19 und X R 33/19, hinsichtlich des im Streitfall relevanten Regelungsregimes, kein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig; auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger führt aus, dass „das AltEinkG als solches (…) unbestritten verfassungskonform“ ist. Ebenso wenig hält der Senat eine Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 1140/21 (gegen BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 33/19, juris) und 2 BvR 1143/21 (gegen BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 20/19, juris) für geboten. Die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre sind gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm betreffend die Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG vorläufig erfolgt.
29II. Die Einkommensteuerbescheide 2019, 2020 jeweils vom 08.11.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.02.2022 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Altersrente des Klägers ist in den Streitjahren 2019 und 2020 keiner unzulässigen doppelten Besteuerung ausgesetzt.
301. Die Besteuerung der von dem Kläger bezogenen Altersrente entspricht einfachgesetzlich den Vorgaben des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG. Insbesondere ist der Beklagte zutreffend von einem Besteuerungsanteil von 54 % ausgegangen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, sodass der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
312. Anhaltspunkte für eine verfassungsrechtlich unzulässige doppelte Besteuerung der Altersrente bestehen unter Beachtung der hierzu ergangenen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätze, denen sich der Senat anschließt, sowie des von den Klägern erklärten Zahlenwerks nicht.
32a. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) muss die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen „in jedem Fall“ so aufeinander abgestimmt werden, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird (BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 2 BvL 17/99, juris).
33Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Vorliegen einer verfassungsrechtlich unzulässigen doppelten Besteuerung nach folgenden Grundsätzen zu prüfen (BFH, Urteile vom 19.05.2021 X R 33/19, juris; vom 19.05.2021 X R 20/19, juris; erneut bestätigt durch BFH, Beschlüsse vom 24.08.2021 X B 53/21 (AdV), juris, und vom 22.09.2021 X S 15/21, juris):
34Eine unzulässige Doppelbesteuerung ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Dabei ist die erforderliche Vergleichs- und Prognoserechnung auf der Grundlage des Nominalwertprinzips vorzunehmen.
35Von dieser Annahme geht auch das BVerfG aus (BVerfG, Beschlüsse vom 29.09.2015, 2 BvR 2683/11, juris; vom 30.09.2015, 2 BvR 1961/10, juris).
36Kann der Steuerpflichtige nachweisen, dass es in seinem konkreten Einzelfall zu einer doppelten Besteuerung kommt, steht ihm aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus den aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Geboten der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der folgerichtigen Ausgestaltung der Besteuerung und des Verbots einer Übermaßbesteuerung, ein Anspruch auf Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zu (BFH, Urteil vom 21.06.2016 X R 44/14, juris).
37aa. Die Summe der steuerunbelastet zufließenden – voraussichtlichen – Rentenbezüge ist dergestalt zu berechnen, dass der nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) Satz 4 EStG ermittelte steuerfreie Teil der Rente mit der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung des Steuerpflichtigen nach der im Zeitpunkt des Renteneintritts letztverfügbaren Sterbetafel multipliziert wird. Bei der Berechnung des voraussichtlich steuerfreien Teils der Rente sind künftige, zum Prognosezeitpunkt noch nicht absehbare, regelmäßige Rentenanpassungen außen vor zu lassen.
38Als steuerfrei bleibende Rentenzuflüsse sind die Rentenfreibeträge (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) Satz 4 EStG) für die Rente des Steuerpflichtigen sowie für eine etwaige Hinterbliebenenrente seines statistisch voraussichtlich länger lebenden Ehegatten anzusetzen. Weitere Beträge, die im Rahmen der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden (z.B. Grundfreibetrag, Sonderausgabenabzug für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, Beitragsanteile des Rentenversicherungsträgers zur Krankenversicherung der Rentner, Werbungskosten-Pauschbetrag, Sonderausgaben-Pauschbetrag) sind nicht einzubeziehen.
39bb. Für die Ermittlung der Höhe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Altersvorsorgeaufwendungen ist zeitlich wie folgt zu differenzieren:
40Für die Ermittlung der Höhe der in Veranlagungszeiträumen bis 2004 aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Altersvorsorgeaufwendungen sind, für jeden Veranlagungszeitraum der Einzahlungsphase, wertende Zuordnungsentscheidungen erforderlich, da nach damaliger Rechtslage gemeinsame Höchstbeträge für sämtliche Arten von, einkommensteuerrechtlich dem Grunde nach abziehbaren, Vorsorgeaufwendungen vorgesehen waren. Dabei sind die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherung (einschließlich der ihnen gleichgestellten Teile der Vorsorgeaufwendungen nicht gesetzlich Versicherter) gleichrangig zu berücksichtigen. Alle anderen nach damaliger Rechtslage dem Grunde nach abziehbaren Vorsorgeaufwendungen werden im Rahmen der retrospektiv vorzunehmenden Prüfung, in welchem Umfang Altersvorsorgeaufwendungen in früheren Veranlagungszeiträumen als aus versteuertem Einkommen geleistet gelten, lediglich nachrangig berücksichtigt. In Fällen der Zusammenveranlagung von Eheleuten, die jeweils eigene Vorsorgeaufwendungen getragen haben, werden die gemeinsamen Sonderausgaben-Höchstbeträge im Verhältnis der vorrangig zu berücksichtigenden Vorsorgeaufwendungen beider Eheleute aufgeteilt. Eine Kürzung um Beitragsanteile, die nach der Finanzierungs- und Ausgabenstruktur der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung kalkulatorisch nicht auf die Leistung von Alters- oder Hinterbliebenenrenten entfallen, ist nicht vorzunehmen.
41Für die in Veranlagungszeiträumen ab 2005 geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen ist davon auszugehen, dass diejenigen Teile der Altersvorsorgeaufwendungen aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, die den, seitdem ausschließlich für Altersvorsorgeaufwendungen geltenden, Höchstbetrag nach § 10 Abs. 3 EStG in den ab 2005 geltenden Fassungen überschritten haben. Bei zusammenveranlagten Eheleuten ist der gemeinsame Höchstbetrag im Verhältnis der von beiden Eheleuten selbst getragenen Altersvorsorgeaufwendungen aufzuteilen.
42cc. Die Feststellungslast für das Vorliegen einer etwaigen verfassungswidrigen doppelten Besteuerung im Einzelfall liegt beim Steuerpflichtigen, wobei allerdings gewisse Darlegungserleichterungen gelten können und auch ergänzende Schätzungen nicht ausgeschlossen sind (BFH, Urteil vom 21.06.2016 X R 44/14, juris).
43b. Nach diesen Grundsätzen liegt keine unzulässige Doppelbesteuerung vor.
44Nach der Berechnung der Kläger ist die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (160.607€) höher als die Summe der aus versteuertem Einkommen erbrachten Altersvorsorgeaufwendungen (96.471€).
45Der Senat kommt zu keinem anderen Ergebnis. Nach seiner Berechnung betragen die steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse insgesamt 160.339,48€. Denn nach der am 19.10.2006 veröffentlichten Sterbetafel 2003/2005 des Statistischen Bundesamtes, der bei Renteneintritt des Klägers im Dezember 2007 letztverfügbaren Sterbetafel, hatte ein Mann mit einem vollendeten Lebensalter von 63 Jahren eine durchschnittliche Lebenserwartung von 17,97 Jahren. Ausgehend von einer jährlichen Rente i.H.v. 19.397€ betragen die steuerfreien Zuflüsse beim Kläger 160.339,48€ (19.397€ * 0,46 * 17,97).
463. Die rechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die der ständigen BFH-Rechtsprechung zugrunde liegende Berechnungsmethode führen zu keinem anderen Ergebnis.
47a. Die von den Klägern vorgebrachten Argumente richten sich im Kern gegen die vom BFH vorgegebene Anwendung des (intertemporalen) Korrespondenzprinzips auf der Grundlage von absoluten Zahlen. Die Kläger sprechen sich vielmehr für eine prozentuale Betrachtung aus. Dabei berücksichtigen sie nicht hinreichend, dass sich der BFH mit den unterschiedlichen Berechnungsmethoden sowie den gegen das Nominalwertprinzip erhobenen Einwendungen wiederholt und eingehend auseinandergesetzt hat. Dabei hat er die grundlegende Bedeutung des Nominalwertprinzips im Einkommensteuerrecht herausgestellt (BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 33/19, juris). Auch hat das BVerfG bereits entschieden, dass das Nominalwertprinzip der Vergleichs- und Prognoserechnung zugrunde gelegt werden darf (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2015 2 BvR 2683/11, juris). Aus Gründen der Klarheit und Handhabbarkeit des Rechts wie auch aus währungspolitischen Gründen ist es nicht zu beanstanden, dass das Einkommensteuerrecht vom Nominalwertprinzip ausgeht, das ein tragendes Ordnungsprinzip der geltenden Währungsordnung und Wirtschaftspolitik darstellt. Die Heranziehung des Nominalwertprinzips für die Ermittlung einer Doppelbesteuerung von Rentenbezügen ist in der Systematik des Einkommensteuergesetzes, das der Besteuerung stets Nominalwerte ohne Ausgleich von Veränderungen des Geldwerts oder der Kaufkraft zugrunde legt, folgerichtig.
48Zudem hat der BFH ausgeführt, dass es im Hinblick auf die durch das AltEinkG eingeführte nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, reale oder nominelle Wertsteigerungen der Rentenbeiträge erstmals steuerlich zu erfassen und dass dies nicht nur für die endgültige Ausgestaltung der nachgelagerten Besteuerung, sondern auch für die Übergangsregelung gilt. Ein verfassungsrechtliches Verbot, „Wertsteigerungen aus nicht begünstigter Substanz“ einkommensteuerrechtlich zu erfassen, gibt es nicht (vgl. BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 33/19, juris, und BFH, Beschluss vom 24.08.2021 X B 53/21, juris). Der BFH hat ausführlich begründet, warum ein Vergleich des relativen Anteils von aus versteuerten Beiträgen erdienten Renten-Entgeltpunkten und dem gesetzlichen Steuerfreistellungsanteil der Rente nicht maßgeblich ist. Dabei hat er unter anderem darauf abgestellt, dass der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) EStG nur an die Beiträge des Steuerpflichtigen, nicht aber an den Umrechnungswert gemäß § 63 Abs. 2 SGB VI anknüpft und dass eine rein statische Verhältnisrechnung keine prognostische Aussage dazu treffen könne, ob die laufzeitabhängige Höhe der steuerfreien Rentenzuflüsse die steuerbelasteten Beiträge zumindest kompensieren kann (vgl. BFH, Beschluss vom 24.08.2021 X B 53/21, juris).
49Vielmehr ist die streitentscheidende Rechtsfrage als durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt anzusehen.
50Auch aus den von den Klägern vorgebrachten Argumenten ergeben sich keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere steht die von ihnen wiederholt geäußerte These, der Besteuerungsanteil sei ein Mischsatz aus Voll- und Ertragsanteilsbesteuerung, nicht im Einklang mit der geltenden Rechtslage. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber im Übergangszeitraum bis 2040 für eine nachgelagerte Besteuerung mit einem festen steuerfreien Betrag, zur typisierenden Vermeidung einer Doppelbesteuerung, entschieden, nicht aber zu einer Fortführung der vom BVerfG als gleichheitswidrig erkannten Ertragsanteilsbesteuerung (BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 33/19, juris). Auch das BVerfG geht davon aus, dass der Gesetzgeber sich zum 01.01.2005 von dem früheren steuersystematischen Ansatz der Ertragsanteilsbesteuerung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise gelöst hat (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.09.2015 2 BvR 1066/10, juris).
51b. Soweit die Kläger darauf abstellen, dass die gleichrangige Berücksichtigung von Altersvorsorgeaufwendungen nach der vom BVerfG ausgesprochenen Fortgeltungsanordnung nur bis zum 31.12.2009 gelte und daher im Streitjahr 2019 nicht mehr zu berücksichtigen sei, verkennen sie, dass für die Frage, in welchem Umfang Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen aufgebracht worden sind, die gesetzlichen Regelungen der Veranlagungszeiträume maßgeblich sind, in denen die Beiträge erbracht worden sind.
52c. Soweit die Kläger geltend machen, dass der BFH für Rentenbeiträge bis zum 31.12.2004 einen Bestandsschutz bejaht habe und daher die vorher eingetretenen Wertsteigerungen nicht der Besteuerung zu unterwerfen seien, beachten sie nicht hinreichend, dass der BFH den steuerlichen Bestandsschutz nicht auf „Rentenbeiträge“, sondern auf „Rentenbeträge“ bezogen hat. Zudem hat der BFH mit dem Hinweis auf den steuerlichen Bestandsschutz keine Aussage zur Berechnungsmethode zur Bestimmung einer unzulässigen Doppelbesteuerung, sondern allein dazu getroffen, dass regelmäßige Rentenanpassungen nach den Neuregelungen in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG nicht zu einer Erhöhung des steuerfreien Teils der Rente führen.
53Der Einwand der Kläger, der BFH habe sich nicht mit der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut der Vorschrift auseinandergesetzt, ist unzutreffend. Der BFH und das BVerfG haben das Nominalwertprinzip wiederholt und mit ausführlicher Begründung bestätigt (BFH, Urteile vom 26.11.2008 X R 15/07, juris; vom 19.01.2010 X R 53/08, juris; vom 19.05.2021 X R 33/19, juris, und vom 19.05.2021 X R 20/19, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2015 2 BvR 2683/11, juris). Dabei hat sich der BFH auch mit der Entstehungsgeschichte (BFH, Urteil vom 26.11.2008 X R 15/07, juris) und mit dem – auch von den Klägern erhobenen – Einwand, dass „die zwischenzeitlich eingetretenen Wertveränderungen der Beitragszahlungen berücksichtigt werden“ müssten (BFH, Urteil vom 19.01.2010 X R 53/08, juris), befasst. Demnach ist die Berechnungsmethode sowohl mit dem Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) EStG als auch mit der Gesetzeshistorie vereinbar. Auch aus der Gesetzeshistorie des AltEinkG ergeben sich keine Anhaltspunkte, die gegen das Berechnungskonzept des BFH und die Ermittlung einer Doppelbesteuerung in absoluten Zahlen sprechen. Sowohl die Gesetzesbegründung als auch der zugrundeliegende Abschlussbericht der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen vom 11.03.2003 (Kommissionsbericht) stellen für die Frage einer unzulässigen Doppelbesteuerung auf einen Vergleich in absoluten Zahlen der aus steuerbelastetem Einkommen getätigten Altersvorsorgeaufwendungen und den voraussichtlich gesamten steuerfreien Rentenzuflüssen ab (vgl. Kommissionsbericht S. 57; BT-Drucksache 15/2150 S. 23). Auch die hiernach vorgenommenen Berechnungen zur Ermittlung, ob eine Doppelbesteuerung vorliegt, decken sich im Wesentlichen mit der vom BFH aufgestellten Berechnungsmethode. Insbesondere wird auch hierbei auf das Nominalwertprinzip zurückgegriffen (Kommissionsbericht S. 58; BT-Drucksache 15/2150 S. 23).
54Soweit die Kläger „die Frage nach dem Umfang des Vertrauensschutzes für die Besteuerung von Wertsteigerungen bis zum 31.12.2004“ aufwerfen, bleibt unberücksichtigt, dass die damit zusammenhängenden Fragen bereits höchstrichterlich geklärt sind. So ist es nach Rechtsprechung des BVerfG mit dem Gleichheitsgebot einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vereinbar, dass bei der Berechnung einer Doppelbesteuerung die zwischenzeitliche Geldentwertung unberücksichtigt bleibt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2015 2 BvR 2683/11, juris). Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein verfassungsrechtliches Verbot, „Wertsteigerungen aus nicht begünstigter Substanz“ einkommensteuerrechtlich zu erfassen, nicht ersichtlich (BFH, Urteil vom 19.05.2021 X R 33/19, juris).
55III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
56IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Entscheidung ist auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangen.
57… … …