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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten anlässlich der Nachforderung von Lohnsteuer für Januar 2017 über die Besteuerung einer Abfindungszahlung, die an den Ende 2016 nach Großbritannien verzogenen Kläger gezahlt wurde.
3Der Kläger war bei der Fa. C H-Stadt GmbH (C GmbH) im Bereich Standortservice Fuhrpark beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber wurde mit am 31.3.2016 unterzeichneten Vertrag mit Wirkung zum 30.9.2016 einvernehmlich aufgehoben. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes beabsichtigte die C GmbH aufgrund eines ausgehandelten Sozialplans, dem Antragsteller eine Abfindung zu zahlen. Ausweislich der am 31.3.2016 geschlossenen Aufhebungsvereinbarung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, sollte der Antragsteller entsprechend dem zu dieser Zeit gültigen Sozialplan vom 8.12.2014 eine Abfindung i. H. von xxxxxx € (brutto) vorbehaltlich einer finalen Überprüfung erhalten. Mit Schreiben vom 24.8.2016 bestätigte die C GmbH dem Kläger unter Bezugnahme auf zuvor geführte Gespräche, dass die Auszahlung der Abfindungszahlung entgegen § 4 Ziff. 3 des vorgenannten Sozialplans erst zum 31.1.2017 erfolgen werde.
4Am 17.10.2016 meldete der Kläger mit Wirkung vom 21.10.2016 seine bisherige (alleinige) Wohnung in der Bundesrepublik Deutschland bei der Meldebehörde der H-Stadt ab. Am 15.12.2016 beglaubigte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in London eine Fotokopie aus dem seitens der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reisepass des Klägers, der gemäß der Kläger nicht mehr in H-Stadt sondern in Q-Stadt (Großbritannien) wohnhaft sei. Dem Kläger wurde schließlich am 30.1.2017 eine Abfindung i. H. von yyyyyy € ausgezahlt.
5Bereits mit Schreiben vom 2.8.2016 beantragte der Kläger eine Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer, in der er angab, ab dem 31.10.2016 in Q-Stadt (Großbritannien) wohnen zu wollen. Im Begleitschreiben des Antrags führte er aus, dass er bei Auszahlung der Abfindung nur noch beschränkt steuerpflichtig i. S. des § 49 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. mit § 19 EStG sei. Unter Berücksichtigung von Art. 15 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-UK 2010) und dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.6.2015 I R 79/13 (Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 250, 110, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2016, 326) liege das Besteuerungsrecht für die Abfindung in Großbritannien; die Abfindung sei von der Besteuerung in Deutschland auszunehmen.
6Mit Bescheid vom 13.1.2017 erteilte der Beklagte der C GmbH eine Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer, der gemäß der inländische Arbeitslohn des Klägers in Form von Abfindungszahlungen aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum 01.01.2017 – 31.01.2017 nicht dem Steuerabzug unterliege. Mit Bescheid vom 13.3.2018 hob der Beklagte die am 13.1.2017 erteilte Freistellungsbescheinigung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auf, da sie durch die Einführung des ab dem 1.1.2017 wirkenden § 50d Abs. 12 EStG rechtswidrig ergangen sei.
7Mit Bescheid vom 8.5.2018 setzte der Beklagte nachzufordernde Lohnsteuer i. H. von zzzzz € und Solidaritätszuschlag i. H. von sz € gegenüber dem Kläger fest.
8Mit Schreiben vom 16.5.2018 legte der Kläger hiergegen Einspruch ein und führte im Wesentlichen aus, dass der Lohnsteuernachforderungsbescheid vom 8.5.2018 rechtswidrig sei, da die Nachforderung der Lohnsteuer auf der Grundlage von § 50d Abs. 12 EStG eine steuerrechtlich unzulässige Rückwirkung darstelle.
9Mit Einspruchsentscheidung vom 12.2.2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass nach § 50d Abs. 12 EStG das Besteuerungsrecht für die Abfindung bei der Bundesrepublik Deutschland liege und die allenfalls vorliegende unechte Rückwirkung die zulässigen Grenzen des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nicht überschreite.
10Am 14.3.2019 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die steuerliche Erfassung der bereits im Jahr 2016 vereinbarten und erst im Jahr 2017 zur Auszahlung gelangten Abfindung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Er habe sich unter Berücksichtigung der zur damaligen Zeit maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung und seiner gesundheitlichen Lage für die Abfindung entschieden. In diese Disposition habe der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 50d Abs. 12 EStG mit Wirkung vom 1.1.2017 durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und ‑verlagerungen vom 23.12.2016 eingegriffen und sein schützenswertes Vertrauen entwertet. Der Beklagte verhalte sich zudem widersprüchlich, wenn er zunächst eine Freistellungsbescheinigung erteile, sodann aber die Rechtsansicht vertrete, die Abfindung sei nicht steuerfrei. Eine vorschriftswidrig nicht abgeführte Lohnsteuer liege damit ebenso wenig vor, da zum Zeitpunkt der Durchführung des Lohnsteuerabzugs eine Freistellungsbescheinigung vorgelegen habe.
11Der Kläger beantragt,
12den Bescheid über die Nachforderung von Lohnsteuer für Januar 2017 vom 8.5.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.2.2019 aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er meint, der Nachforderungsbescheid sei rechtmäßig ergangen. Die Lohnsteuer sei nachzuerheben, weil die Lohnsteuer vom Arbeitgeber auf Grund der falschen Eintragung eines Lohnsteuerabzugsmerkmals nicht einbehalten worden sei. Ein schützenswertes Vertrauen, dass durch die Einfügung des § 50d Abs. 12 EStG mit Wirkung vom 1.1.2017 entwertet worden sei, habe angesichts der streitigen Rechtslage betreffend die abkommensrechtliche Behandlung von Abfindungszahlungen nicht entstehen können. Ebenso sei zu berücksichtigen, dass die Vorschrift der Verhinderung weißer Einkünfte diene und in Einklang mit der Musterkommentierung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das Besteuerungsrecht Deutschland zuweise.
16Am 14.1.2022 hat vor dem Berichterstatter ein Erörterungstermin stattgefunden. Der Senat hat in der Sache am 23.8.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschriften wird verwiesen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den übersandten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage hat keinen Erfolg.
20I. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid über die Nachforderung von Lohnsteuer für Januar 2017 vom 8.5.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.2.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Nachforderungsbescheid vom 8.5.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.2.2019 findet seine Rechtsgrundlage in § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG.
21Nach § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG hat der Beklagte zu wenig erhobene Lohnsteuer von einem unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer nachzufordern, wenn der nachzufordernde Betrag 10 € übersteigt. "Zu wenig" Lohnsteuer wird nach § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG zunächst erhoben, wenn der Arbeitgeber von der Berechtigung des § 41c Abs. 1 Satz 1 EStG zum nachträglichen Einbehalt der Lohnsteuer im Fall des Abrufs elektronisch bereitgestellter Lohnsteuerabzugsmerkmale mit rückwirkenden Eintragungen oder der Vorlage einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug mit entsprechenden Eintragungen (Nr. 1) oder im Fall eines nicht vorschriftsmäßigen Einbehalts (Nr. 2) keinen Gebrauch macht. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber in den in § 41c Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Fällen die Lohnsteuer deshalb nicht nachträglich einbehalten kann, weil der Arbeitnehmer keinen Arbeitslohn vom Arbeitgeber mehr bezieht oder der Arbeitgeber nach Ablauf des Kalenderjahres bereits die Lohnsteuerbescheinigung übermittelt oder ausgeschrieben hat.
22Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Eine Nacherhebung einer zu gering erhobenen Lohnsteuer durch die Arbeitgeberin kam beim Kläger bereits deshalb nicht mehr in Betracht, weil der Kläger keinen Arbeitslohn mehr von seiner vormaligen Arbeitgeberin bezieht. Die im Streitfall zulässige rückwirkende Aufhebung der ursprünglich erteilten Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug beinhaltet eine rückwirkende Eintragung im Sinne des § 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (nachfolgend unter 1.). Die Zahlung der Abfindung führte zudem zu dem Lohnsteuerabzug unterliegenden beschränkt steuerpflichtigen Einkünften des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland (2.) und war nicht nach Abkommensrecht von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auszunehmen (3.). Unabhängig hiervon stand einer abkommensrechtlichen Einschränkung des Besteuerungszugriffs der Bundesrepublik Deutschland die Regelung des § 50d Abs. 12 EStG entgegen, an dessen zeitlicher Anwendung der erkennende Senat im hier zu betrachtenden Zusammenhang keine verfassungsrechtlichen Zweifel hegt (4.).
231. Mit der Aufhebung der ursprünglich erteilten Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug vom 13.1.2017 mit Bescheid vom 13.3.2018 war die Vorlage einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug mit rückwirkenden Eintragungen im Sinne des § 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verbunden (vgl. hierzu und dem folgenden bereits im Zusammenhang mit der Rechtslage vor Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 10.5.2017 – I R 82/15, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2018, 33, Rz. 11 ff.). Die Vorschrift soll nämlich nach ihrem Sinn und Zweck umfassend die nachträgliche, rückwirkende Korrektur der Lohnsteuerabzugsmerkmale und damit verbunden des Lohnsteuerabzugs ermöglichen. Erforderlich ist insoweit lediglich, dass der Beklagte – wie im Streitfall – die Rechtswirkungen der ursprünglich erteilten Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug mit Wirkung für die Vergangenheit beseitigen konnte. Diese Möglichkeit bestand im Streitfall deshalb, weil mit der ursprünglich erteilten Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug vom 13.1.2017 das hier fragliche Lohnsteuerabzugsmerkmal des § 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG – die Mitteilung, dass der von einem Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freizustellen ist, wenn der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber dies beantragt – im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 4 EStG gebildet wurde. Dem liegt zugrunde, dass es in den Fällen wie dem vorliegenden mangels eines inländischen Wohnsitzes an einer mit Meldedaten hinterlegten Identifikationsnummer fehlt, sodass eine elektronische Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale ausscheidet und gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung eine auf Antrag des Arbeitnehmers vom Betriebsstättenfinanzamt erteilte Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug an die Stelle der elektronischen Bildung tritt (siehe auch Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 7.8.2013, IV C 5-S 2363/13/1003, 2013/0755076, BStBl I 2013, 951, Tz. 86 f.). Die erteilte Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug beinhaltete damit nach § 39 Abs. 1 Satz 4 EStG eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand und in der Folge nach § 164 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden konnte.
24Soweit der Kläger vorträgt, er habe auf den Bestand der Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug vertraut, vermag er hiermit bereits deshalb nicht durchzudringen, weil die Möglichkeit, die Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug nach § 164 Abs. 2 AO jederzeit zu ändern, der Entwicklung schützenswerten Vertrauens im Hinblick auf den Bestand der Bescheinigung entgegensteht.
252. Die an den Kläger gezahlte Abfindungszahlung führt bei diesem zu beschränkt steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach §§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 Nr. 4 lit. d) EStG, die dem Lohnsteuerabzug nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unterliegen.
26Nach § 1 Abs. 4 EStG sind natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, vorbehaltlich der §§ 1 Abs. 2 und 3, 1a EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben. Zu den inländischen Einkünften zählen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 lit. d) EStG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG, die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Für derartige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben, soweit der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter im Sinne der §§ 8 bis 13 der Abgabenordnung hat (inländischer Arbeitgeber).
27Diese Voraussetzungen sind im Streitfall – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – erfüllt. Der Kläger verfügte nach Aufgabe seines – soweit ersichtlich – einzigen inländischen Wohnsitzes in H-Stadt im Jahr 2016 im Streitzeitraum über keinen inländischen Wohnsitz mehr. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger im Streitzeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hätte. Die dem Kläger am 30.1.2017 von seiner vormaligen inländischen Arbeitgeberin, der C GmbH, gezahlte Abfindung ist dem Kläger als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung des zuvor bestehenden Arbeitsverhältnisses gezahlt worden. Die seitens des Klägers zuvor während des laufenden Arbeitsverhältnisses erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unterlagen auch der inländischen Besteuerung, weil der Kläger vor Aufgabe seines bisherigen Wohnsitzes in H-Stadt der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG unterfiel. Dass die hierdurch begründete, die Einkünfte aus dem Arbeitsverhältnis umfassende Steuerpflicht zeitlich oder der Höhe nach eingeschränkt gewesen wäre, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
283. Die Abfindung ist nicht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 DBA-UK 2010 von der Besteuerung in Deutschland auszunehmen. Denn der Kläger ist keine unter das Abkommen fallende Person im Sinne des Art. 1 DBA-UK 2010; damit ist der persönliche Anwendungsbereich des Abkommens nicht eröffnet.
29a) Die Frage, ob eine Person in einem oder in beiden Vertragsstaaten ansässig ist, ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-UK 2010 dem nationalen Recht der Staaten überantwortet. Maßgebend ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-UK 2010, ob die Person nach dem Recht eines Vertragsstaates in diesem Vertragsstaat aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Ortes ihrer Gründung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist.
30b) Im Streitzeitraum war der Kläger – soweit ersichtlich – nicht in der Bundesrepublik Deutschland ansässig. Nach Aufgabe seines Wohnsitzes in H-Stadt unterfiel der Kläger im Veranlagungszeitraum 2017 nicht der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG (dazu auch bereits unter 2.).
31c) Der erkennende Senat vermag auch nicht zur Überzeugungsgewissheit festzustellen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Zahlung der Abfindung am 30.1.2017 in Großbritannien ansässig war.
32aa) Nach dem insoweit maßgeblichen und im gerichtlichen Verfahren als Tatsache festzustellenden britischem Recht werden von der örtlich zuständigen britischen Steuerbehörde für jedes Steuerjahr schriftliche Bestätigungen darüber erteilt, ob eine Person im jeweiligen Steuerjahr in Großbritannien ansässig ist (vgl. Beckmann in Wassermeyer, Art. 4 DBA Großbritannien, Rz. 10). Dies wird auch vom Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt. Der Kläger hat jedoch trotz Aufforderung durch den Berichterstatter im Erörterungstermin vom 14.1.2022 und nachfolgender Erinnerungen die von ihm behauptete Ansässigkeit in Großbritannien nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch Vorlage einer solchen Ansässigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Dass der Kläger im Streitfall an der Vorlage einer solchen Bescheinigung trotz Bestehen einer Ansässigkeit in Großbritannien aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen gehindert wäre, ist weder ersichtlich noch substantiiert behauptet. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass er versucht hätte, eine solche Bescheinigung von den britischen Steuerbehörden zu erlangen.
33bb) Der erkennende Senat vermag auch nicht unabhängig von der Vorlage einer Ansässigkeitsbescheinigung festzustellen, dass der Kläger im maßgeblichen britischen Steuerjahr 2016/2017 in Großbritannien ansässig gewesen ist.
34(1) Der Kläger substantiiert die von ihm behauptete Ansässigkeit in Großbritannien im Steuerjahr 2016/2017 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung allein durch die Bezeichnung einer Adresse in Großbritannien (T-Straße, Q-Stadt (Großbritannien)) und die Vorlage einer beglaubigten Abschrift der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in London aus dem von der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reisepass des Klägers, der gemäß der Kläger in Q-Stadt (Großbritannien) wohnhaft sei, sowie einer Abmeldebestätigung der Stadt H-Stadt vom 17.10.2016, der gemäß der Kläger mit Wirkung vom 21.10.2016 seine bisherige Wohnung in H-Stadt aufgebe und ins Ausland verziehe. Zwar gelingt es dem Kläger damit zur Überzeugungsgewissheit des erkennenden Senats darzulegen, dass er mit Wirkung vom 21.10.2016 seine bisherige Wohnung in H-Stadt aufgegeben und – in Ermangelung entsprechender Anhaltspunkte – ins Ausland verzogen ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Kläger in diesem Zuge eine Ansässigkeit in Großbritannien an der von ihm bezeichneten Anschrift begründet hätte. Denn insoweit bleibt der Kläger jenseits der Bezeichnung dieser Anschrift eine tragfähige Substantiierung der vermeintlichen Ansässigkeit insbesondere im Hinblick auf einen tatsächlichen Aufenthalt an dieser Anschrift schuldig. Insbesondere hat es der Kläger trotz Aufforderung durch den Berichterstatter im Erörterungstermin vom 14.1.2022 und nachfolgender Erinnerungen versäumt, die Umstände seines Umzugs zu dieser Anschrift im Oktober 2016 näher zu substantiieren und nachzuweisen, sodass der Senat nicht feststellen kann, dass der Kläger tatsächlich unter dieser Anschrift in Q-Stadt (Großbritannien) einen Wohnsitz begründet hat, geschweige denn, wann genau der Kläger diesen Wohnsitz begründet und sich unter dieser Anschrift überhaupt aufgehalten haben will. Der erkennende Senat vermag einen solchen tatsächlichen Aufenthalt auch nicht allein der vorgelegten beglaubigten Abschrift über die handschriftliche Eintragung „Q-STADT (GROßBRITANNIEN)“ unter Punkt 11 „Wohnort“ nebst Stempel der Deutschen Botschaft in London im Reisepass des Klägers zu entnehmen, der gemäß er in Q-Stadt (Großbritannien) wohnhaft sei, da völlig offen ist, wann und auf welcher tatsächlichen Grundlage diese Eintragung vorgenommen wurde. Auch im Rahmen der Fertigung der vorgelegten beglaubigten Abschrift durch die Deutsche Botschaft in London ist ausweislich des Vermerks der Deutschen Botschaft in London lediglich eine Überprüfung der Identität des vorgelegten Originals mit der Kopie erfolgt; eine Überprüfung der Richtigkeit der Eintragung wird hierdurch jedoch nicht bestätigt.
35Soweit der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung vorträgt, er sei – ausdrücklich entgegen dem bisherigen Vortrag im Schriftsatz vom 21.6.2019 – bereits im April 2016 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Großbritannien verzogen, handelt es sich um eine gänzlich unsubstantiierte Behauptung. Weder legt der Kläger irgendwelche weiteren Umstände dieses vermeintlichen Umzugs bereits im April 2016 dar noch bietet er für diesen Umstand Beweis an. Ebenso wenig setzt sich der Kläger mit seinem bisherigen anderslautenden Vortrag auseinander. Soweit dem Verwaltungsvorgang ein Schreiben des Klägers vom „12/04/2016“ zu entnehmen ist, in der der Kläger im Zusammenhang mit der Frage, ob er Aufsichts- oder Verwaltungsrat oder einem ähnlichen Gremium tätig gewesen ist, angibt, in Q-Stadt (Großbritannien) wohnhaft zu sein, spricht auch dies aus Sicht des Senats nicht für die Richtigkeit dieses Vortrags. Denn es ist davon auszugehen, dass die Datumsangabe dahin zu verstehen ist, dass das Schreiben im Dezember 2016 entstanden ist. Das Finanzamt forderte nämlich eine entsprechende Bescheinigung sowie eine Anmeldebescheinigung für Großbritannien am 7.11.2016 an, woraufhin der Kläger das Schreiben mit der beglaubigten Abschrift aus seinem Reisepass vom 15.12.2016 mit anwaltlichem Schreiben vom 21.12.2016 vorlegen ließ.
36(2) Der erkennende Senat vermag nach keinem denkbaren Kriterium des britischen Steuerrechts festzustellen, dass allein das Innehaben einer Anschrift ohne das Hinzutreten weiterer Merkmale wie eines tatsächlichen Aufenthalts eine Ansässigkeit in Großbritannien begründet.
37Nach dem britischen Steuerrecht (vgl. zu dem folgenden ausführlich Beckmann in Wassermeyer, Anhang Überblick über das Steuerrecht Großbritanniens, Rz. 3, 17 ff.) richtet sich die Ansässigkeit einer natürlichen Person in einem Steuerjahr, das vom 6.4. eines Kalenderjahres bis zum 5.4. des Folgejahres und damit in dem im Streitfall maßgeblichen Zeitraum vom 6.4.2016 bis zum 5.4.2017 andauert, nach dem sog. Statutory Residence Test (Gesetzlicher Ansässigkeitstest). Nach diesem dreigliedrigen Test ist von einer Ansässigkeit in Großbritannien auszugehen, wenn der sog. Automatic Overseas Test (Umstände zwingender Nichtansässigkeit) nicht erfüllt ist und entweder die Voraussetzungen des sog. Automatic UK Test (Umstände zwingender Ansässigkeit) oder des sog. Sufficient Ties Test (Ansässigkeit auf Grund hinreichender Anknüpfungspunkte) erfüllt sind. Sowohl der Automatic UK Test als auch der Sufficient Ties Test setzen voraus, dass zu dem Innehaben einer Anschrift in Großbritannien weitere Merkmale hinzutreten. Maßgebend sind in beiden Fällen die näheren Umstände eines tatsächlichen Aufenthalts in Großbritannien, das Vorliegen und die näheren Umstände einer Beschäftigung in Großbritannien und das Vorhandensein von Familienangehörigen in Großbritannien. Dergleichen ist im Streitfall im hier zu betrachtenden Steuerjahr vom Kläger nicht ansatzweise substantiiert dargelegt geschweige denn nachgewiesen worden. Angesichts dessen war auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur weiteren Aufklärung der Voraussetzungen des britischen Steuerrechts für die Feststellung einer Ansässigkeit in Großbritannien entbehrlich.
384. Unterstellt der Kläger ist – entgegen der vorstehend ausgeführten Überzeugung des Senats – in Großbritannien abkommensrechtlich ansässig gewesen, so führt auch dies nicht dazu, dass die an den Kläger gezahlte Abfindungszahlung von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auszunehmen ist. Denn Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 und Satz 2 DBA-UK 2010 in Verbindung mit dem gemäß Art. 19 Abs. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und –verlagerungen (BEPS-UmsG), § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des BEPS-UmsG ab dem 1.1.2017 anzuwendenden § 50d Abs. 12 EStG schränkt das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland für die am 30.1.2017 gezahlte Abfindung – wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – nicht ein (dazu unter a). Verfassungsrechtliche Bedenken begegnet die zeitliche Anwendung dieser Bestimmung im vorliegenden Zusammenhang entgegen der Rechtsansicht des Klägers aus Sicht des erkennenden Senats nicht (dazu unter b).
39a) Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-UK 2010 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, vorbehaltlich der Art. 15, 17, 18 und 19 DBA-UK 2010 nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden. Gemäß § 50d Abs. 12 Sätze 1 und 2 EStG gelten Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt, soweit nicht das Abkommen in einer gesonderten, ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Vorschrift eine abweichende Regelung trifft.
40Hiernach wird der Besteuerungszugriff der Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Zusammenhang abkommensrechtlich nicht eingeschränkt. Der Kläger hat seine nichtselbständige Tätigkeit im Rahmen seines früheren Arbeitsverhältnisses zu der C GmbH nämlich in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt. Die dem Kläger gezahlte Abfindung gilt im vorliegenden Zusammenhang nach § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG – entgegen der früheren ständigen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 10.6.2015 – I R 79/13, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 250, 110, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2016, 326, mit weiteren Nachweisen) – auch als für diese Arbeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Dem Kläger ist die Abfindung anlässlich der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der C GmbH zur Kompensation der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile gezahlt worden. Eine gesonderte, derartige Abfindungen betreffenden Vorschrift lässt das DBA-UK 2010 nicht erkennen.
41b) Jedenfalls im Hinblick auf die im vorliegenden Zusammenhang zu betrachtenden tatsächlichen Verhältnisse (siehe zu diesen eingangs unter 4.) begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln, dass § 50d Abs. 12 EStG auf sämtliche nach dem 1.1.2017 zugeflossene Abfindungen unabhängig davon Anwendung findet, zu welchem Zeitpunkt der Rechtsgrund für die Abfindungszahlung geschaffen wurde. Jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang vermag der Senat hierin keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung zulasten des Klägers erkennen.
42aa) Im Steuerrecht beruht das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip, vor allem auf den hierin verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (siehe hierzu und dem folgenden umfassend Bundesverfassungsgericht – BVerfG – Beschluss vom 25.3.2021 – 2 BvL 1/11, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 157, 177; Urteil vom 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217; Nichtannahmebeschluss vom 29.9.2015 – 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310; Beschlüsse vom 1.4.2014 – 2 BvL 2/09, BVerfGE 136, 127; vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302; vom 4.11.2010 – 1 BvR 1981/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2011, 209; vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1; vom 7.7.2010 – 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61; vom 7.7.2010 – 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31; BFH-Urteil vom 24.2.2022 – III R 9/20, BFH/NV 2022, 2060; Beschluss vom 26.3.2021 – IX B 45/20, BFH/NV 2021, 767; Urteil vom 15.9.2010 – X R 55/03, BFH/NV 2011, 231). Jedenfalls durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG wird auf diesem Wege ein Schutz vor unzulässig rückwirkenden und in die grundrechtliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingreifenden Steuergesetzen vermittelt. Geschützt wird insoweit auch das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage bereits erworbenen Rechte. Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens und damit bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalts nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung.
43Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine – im vorliegenden Zusammenhang allein in Betracht kommende – unechte Rückwirkung vor. Eine solche tatbestandliche Rückanknüpfung belastender Rechtsfolgen kann zunächst eintreten, wenn Rechtsnormen für den laufenden Veranlagungszeitraum geändert werden. Denn nach § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach § 25 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Kalenderjahres und damit zeitlich nachdem die Sachverhalte verwirklicht wurden. Ebenso kann eine tatbestandliche Rückanknüpfung vorliegen, wenn Rechtsnormen für einen künftigen Veranlagungszeitraum geändert werden, insoweit aber an einen Sachverhalt anknüpfen, der bereits zuvor ins Werk gesetzt wurde.
44Der Erlass unecht rückwirkender Gesetze ist jedoch nicht grundsätzlich unzulässig. Die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde ansonsten den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zulasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz reicht jedoch nicht so weit, dass der Steuerpflichtige vor jeder Enttäuschung seiner Erwartung in den Fortbestand des geltenden Rechts geschützt wäre. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Dies gilt auch dann, wenn der Sachverhalt, der zur Besteuerung führt, bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung ins Werk gesetzt worden ist.
45Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an bereits ins Werk gesetzte Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.
46bb) Im vorliegenden Zusammenhang fehlt es an einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte des Klägers durch die zeitliche Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG ab dem 1.1.2017. Unterstellt der Kläger ist entgegen der unter 3.c) ausgeführten Überzeugung des Senats in Großbritannien abkommensrechtlich ansässig gewesen, erweist sich die mit der tatbestandlichen Rückanknüpfung der zeitlichen Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG verbundene Enttäuschung des Vertrauens des Klägers auf den Fortbestand der bis zum 1.1.2017 geltenden Rechtslage (dazu unter (1)) im Hinblick auf die mit der Neuregelung verfolgten Allgemeininteressen als verhältnismäßig (dazu unter (2)).
47(1) Mit der zeitlichen Anwendung des § 50d Abs. 12 EStG wurde zwar das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der bis zum 1.1.2017 geltenden Rechtslage enttäuscht. Denn nach der vor dem 1.1.2017 geltenden Rechtslage fehlte es an einer § 50d Abs. 12 EStG entsprechenden Regelung. In der Folge konnten im Anwendungsbereich des DBA-UK 2010 beschränkt Steuerpflichtige, denen eine Abfindung anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt wurde, diese steuerfrei vereinnahmen, weil das Besteuerungsrecht für die Abfindung auch dann nicht bei der Bundesrepublik Deutschland lag, wenn die Arbeit im Inland ausgeübt wurde. Denn nach der einschlägigen Rechtsprechung des BFH wurde eine solche Abfindung nicht im abkommensrechtlichen Sinne für die im Inland ausgeübte Arbeit sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt. Es handelte sich in der Folge nicht – wie es seit dem 1.1.2017 durch § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG als Nichtanwendungsgesetz abweichend von dieser Rechtsprechung fingiert wird – um ein für die im Inland ausgeübte Arbeit gezahltes zusätzliches Entgelt aus der früheren Tätigkeit.
48(2) Die Enttäuschung der Erwartung des Klägers, die Abfindung am 30.1.2017 ohne Bestehen einer Steuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt zu erhalten, erweist sich im vorliegenden Zusammenhang jedoch als verhältnismäßig. Aus Sicht des erkennenden Senats erweist sich das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der vor dem 1.1.2017 geltenden Rechtslage angesichts der Besonderheiten der im vorliegenden Zusammenhang zu würdigenden tatsächlichen Umstände (siehe zu diesen eingangs unter 4.) als weniger schutzwürdig, weil der Kläger ab dem 12.10.2016 mit einer Veränderung der geltenden Rechtslage rechnen musste. Angesichts dessen genügen jedenfalls vorliegend die legitimen Änderungsinteressen des Gesetzgebers, um die Enttäuschung des Vertrauens des Klägers in den Fortbestand der geltenden Rechtslage als zumutbar erscheinen zu lassen.
49Zwar enthielten der dem Bundesrat am 12.8.2016 durch die Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG zugeleitete Entwurf des BEPS-UmsG (Drucksache des Bundesrates – BR-Drs. – 406/16), mit dem § 50d Abs. 12 EStG letztlich eingeführt wurde, und der am 5.9.2016 durch die Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 1, Abs. 2 Satz 4 GG in den Bundestag eingebrachte Entwurf (Drucksache des Bundestages – BT-Drs. – 18/9536) noch keine § 50d Abs. 12 EStG entsprechende Vorschrift. Allerdings regte der Bundesrat im Rahmen seiner Stellungnahme vom 23.9.2016 nach Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift unter Vorlage eines ausformulierten Entwurfstextes an (BR-Drs. 406/16 (Beschluss), S. 26). Dieser Stellungnahme stimmte die Bundesregierung als nach Art. 76 Abs. 1 GG im Rahmen der Gesetzgebung initiativberechtigtes Verfassungsorgan im Zuge einer Unterrichtung des Bundestages nach § 75 Abs. 1 lit. e) der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) am 12.10.2016 (BT-Drs. 18/9956, S. 23) zu. Der Zustimmung der Bundesregierung als ein nach dem Grundgesetz initiativberechtigtes Verfassungsorgan zu einer Stellungnahme des Bundesrates im Rahmen eines von der Bundesregierung initiierten förmlichen Gesetzgebungsverfahrens, in deren Folge ein ausformulierter Gesetzesentwurf mit Billigung des Initiativorgans dem Bundestag als Verhandlungsgegenstand zugeleitet wird, kommt aus Sicht des erkennenden Senats im Hinblick auf die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers in den Fortbestand der Rechtslage die gleiche Bedeutung zu wie die Einbringung eines ausformulierten Gesetzentwurfs als Beschlussvorlage nach Art. 76 Abs. 1 GG oder die Zuleitung eines solchen Entwurfs zur Stellungnahme an den Bundesrat nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. zu dieser Schutzwürdigkeit aus den unter aa) genannten Entscheidungen des BVerfG insbesondere das Urteil vom 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 und die Beschlüsse vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61 und 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31). In all diesen Fällen hat sich ein nach dem Grundgesetz initiativberechtigtes Verfassungsorgan mit einem ausformulierten Entwurfstext befasst und entschlossen, diesen Entwurf dem Gesetzgebungsverfahren zu überantworten. Mit der Veröffentlichung der Zustimmung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates und ihrer Zuleitung an den Bundestag haben die von den hierin zugestimmten Entwurfstexten betroffenen Steuerpflichtigen die Möglichkeit, sich in ihrem Verhalten auf die etwaige Gesetzesänderung einzustellen. Es ist ihnen zumutbar, bei ihren wirtschaftlichen Dispositionen auf die näher konkretisierte Möglichkeit einer bestimmten Veränderung der geltenden Rechtslage Bedacht zu nehmen.
50Der zu diesem Zeitpunkt durchgängig steuerrechtlich beratene Kläger konnte daher ab dem 12.10.2016 nicht mehr in dem gleichen Maße wie zuvor damit rechnen, dass er nach der – im vorliegenden Zusammenhang zu unterstellenden (siehe eingangs unter 4.) – Verlagerung seines Wohnsitzes nach Großbritannien die Abfindung ohne eine Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland wird erhalten können. Zwar war der Kläger mit der Aufhebungsvereinbarung vom 31.3.2016 und der Vereinbarung über die Fälligkeit der Abfindungszahlung vom 24.8.2016 zu diesem Zeitpunkt bereits eine Disposition dahingehend eingegangen, dass er sich mit einer Abfindung in einer bestimmten Höhe im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung einverstanden erklärte. Dabei ist auch davon auszugehen, dass die vom Kläger angestrebte Höhe der Abfindung auch von dem Umfang der zu erfolgenden Besteuerung abhängig war. Gleichwohl ist die Schutzwürdigkeit des Klägers dadurch gemindert, dass der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt der unbeschränkten Steuerpflicht unterfiel und er erst nach diesem Zeitpunkt die bereits beabsichtigte (unterstellte) Verlagerung seines Wohnsitzes nach Großbritannien vollzogen hat. Angesichts dieser zeitlichen Abläufe der Ereignisse begehrt der Kläger mithin nicht den Schutz eines Vertrauens auf den Fortbestand derjenigen Rechtslage, die auf einen von ihm bereits bis zum 12.10.2016 vollständig und bindend in allen Teilakten abgeschlossenen Sachverhalt anzuwenden gewesen wäre. Ebenso wenig begehrt der Kläger einen Vertrauensschutz betreffend diejenigen steuerlichen Folgen, die durch die zum 12.10.2016 verwirklichten Teilakte zunächst angelegt waren. Denn bis zu der Aufgabe des inländischen Wohnsitzes wäre die mit Aufhebungsvertrag vom 31.3.2016 vereinbarte und auf Grund gesonderter, nachgelagerter Vereinbarung erst zum 30.1.2017 auszuzahlende Abfindung unbeschränkt steuerpflichtig gewesen. Vielmehr zielt der vom Kläger begehrte Vertrauensschutz weitergehend und insoweit die Schutzwürdigkeit herabsetzend auf den Schutz derjenigen Erwartung ab, dass auch der letzte Teilakt eines mehraktig angelegten Sachverhalts – der erst mit der nach dem 12.10.2016 (unterstellt) erfolgten Wohnsitzverlagerung nach Großbritannien eine abschließende Grundlegung erfahren hat – die von ihm von Beginn an beabsichtigten steuerlichen Folgen im Hinblick auf die vereinbarte Abfindung zeitigen würde. Die Schutzwürdigkeit ist aus Sicht des erkennenden Senats insoweit nicht anders zu beurteilen als in dem Fall, in dem der Kläger erst nach dem 12.10.2016 die Aufhebungsvereinbarung abgeschlossen oder die Fälligkeit der Abfindungszahlung einvernehmlich in das Streitjahr 2017 verschoben hätte. Es kann nämlich keinen Unterschied machen, ob der Steuerpflichtige zunächst die Aufhebungsvereinbarung abschließt und einen Fälligkeitszeitpunkt für die Abfindungszahlung vereinbart und anschließend den Wohnsitz verlegt oder er erst seinen Wohnsitz verlegt und dann zu einem späteren Zeitpunkt nach erfolgter Wohnsitzverlegung die Aufhebungsvereinbarung abschließt oder die Fälligkeit der Abfindungszahlung in das Streitjahr 2017 verschiebt.
51Angesichts der vorstehenden Erwägungen erweist sich die Enttäuschung des Vertrauens des Klägers in den Fortbestand der bis zum 1.1.2017 geltenden Rechtslage als zumutbar. Im vorliegenden Zusammenhang genügt insoweit das allgemeine Änderungsinteresse des Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Enttäuschung des allgemeinen, nicht in besonderem Maß schutzwürdigen Vertrauens des Klägers in den Fortbestand der bis zum 1.1.2017 geltenden Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.3.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177, Rz. 93 f.; Urteil vom 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, Rz. 151; Beschluss vom 7.7.2010 – 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31, Rz. 87; BFH-Urteil vom 24.2.2022 – III R 9/20, BFH/NV 2022, 2060, Rz. 45; Beschluss vom 26.3.2021 – IX B 45/20, BFH/NV 2021, 767; Urteil vom 15.9.2010 – X R 55/03, BFH/NV 2011, 231, Rz. 35).
52II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war im Hinblick darauf, dass der Senat davon ausgeht, dass keine tatsächliche Ansässigkeit in Großbritannien gegeben ist, nicht nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.