Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 21.4.2017 und der als Umsatzsteuerfestsetzung wirkenden Umsatzsteueranmeldung für 2016 vom 8.10.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2017 wird die Umsatzsteuer für 2014 um 9.627,43 € auf 5.703,19 €, die Umsatzsteuer für 2015 um 9.627,66 € auf 4.965,05 € und die Umsatzsteuer 2016 um 9.627,68 € auf 4.967,91 € festgesetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob zwischen dem Kläger als Organträger und der H KG als Organgesellschaft in den Jahren 2014 bis 2016 eine umsatzsteuerliche Organschaft mit der Folge der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze bestand.
3Der Kläger ist Landwirt und verfügt über Grundbesitz. Gegenstand seines Unternehmens ist die Feldbestellung und Futtermittelproduktion sowie der Betrieb einer Photovoltaikanlage. Er ist am Kapital der H KG als Komplementär zu 97 % beteiligt. Gegenstand der Gesellschaft ist die Bullenmast im Rahmen einer Tierhaltungskooperation i. S. des § 51a des Bewertungsgesetztes (BewG). Die H KG erzielte in den Streitjahren ausschließlich Umsätze, die der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG) unterlagen. Der Kläger erhielt für die Nutzungsüberlassung von Vieheinheiten, für die Überlassung seiner Ställe und Betriebs- und Geschäftsausstattungen sowie für seine Arbeitskraft einen Vorabgewinn gemäß § 9 des Gesellschaftsvertrags.
4In dem Gesellschaftsvertrag der H KG, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, vereinbarten die Gesellschafter u.a. Folgendes:
5„Gesellschaftsvertrag über die Gründung einer Kommanditgesellschaft (KG)
6X H , …
7- Gesellschafter zu 1) -
8und
9B T , …
10- Gesellschafter zu 2) -
11errichten hiermit eine Kommanditgesellschaft.
12[…]
13§ 2
14Gegenstand des Unternehmens
15Gegenstand des Unternehmens ist die Bullenmast im Rahmen einer Tierhaltungskooperation (§ 51 BewG).
16[…]
17§ 4
18Gesellschafter
19Der Gesellschafter zu 1), ist als persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) an der H KG mit 97 % beteiligt. Der Gesellschafter zu 2), ist als Kommanditist mit 3 % an der H KG beteiligt.
20[…]
21§ 6
22Einlagen der Gesellschafter
23der Gesellschafter zu 1) überlässt der Gesellschaft:
24a) zur Nutzung 400 Vieheinheiten gemäß § 51a BewG
25b) seine Arbeitskraft, soweit sie zur Betriebsführung erforderlich ist,
26c) die zur Bullenmast erforderlichen Ställe und Betriebs- und Geschäftsausstattung zur Nutzung
27Der Gesellschafter zu 2) überlässt der Gesellschaft:
28a) zur Nutzung 125 Vieheinheiten gemäß § 51a BewG
29b) eine Bareinlage von 3.000,00 €,
30[…]
31§ 7
32Geschäftsführung und Vertretung
33Zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft sind ausschließlich die persönlich haftenden Gesellschafter (Komplementäre) allein berechtigt und verpflichtet. Die übrigen Gesellschafter (Kommanditisten) sind von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Den Kommanditisten steht jedoch das Widerspruchsrecht nach § 164 HGB uneingeschränkt zu.
34Die Komplementäre sind von den Beschränkungen des §§ 181 BGB befreit. Sie haben bei der Ausübung ihrer Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis die im Verkehr übliche Sorgfalt zu beachten.
35Der geschäftsführende Gesellschafter bedarf zu allen Handlungen, welche über den gewöhnlichen Umfang des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft hinausgehen, der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung aufgrund eines mit einfacher Mehrheit gefassten Beschlusses. Hierzu gehören außerhalb der notwendigen Gründungsgeschäfte insbesondere:
36a) Investitionen und Veräußerungen, die den Gesamtwert von 150.0000,00 € übersteigen,
37b) Kreditaufnahmen und Wechselbegehungen in Höhe von mehr als 50.000,00 €,
38c) Ankauf von Wertpapieren und Abschluss mehrjähriger Absatz- und Bezugsverträge
39d) der Erwerb, die Belastung, die Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten,
40e) Gründung, Übernahme und Veräußerung von Beteiligungen einschließlich Mitgliedschaften,
41f) Die Gewährung von Sicherheiten aller Art, insbesondere die Übernahme von Bürgschaften und ähnlichen Verpflichtungen,
42g) die Erteilung von Prokura, Generalvollmacht und Handlungsvollmachten,
43h) Produktionsumstellungen
44i) Aufnahme eines Gesellschafters
45j) Die Abtretung oder Übertragung der Beteiligung des Gewinnanspruchs
46Macht ein Kommanditist von seinem Widerspruchsrecht nach § 164 HGB Gebrauch, so entscheiden auf Antrag des Komplementärs die Gesellschafter durch Beschluss über die Vornahme der Handlung.
47§ 9
48Gewinn- und Verlustverteilung
49Die Gewinnverteilung erfolgt exakt in der nachfolgend unter Ziffer 1-5 festgelegten Reihenfolge. Für den Fall, dass ein Verlust vorhanden ist, wird dieser im Verhältnis der Kapitalanteile verteilt.
501. Jeder Gesellschafter erhält für die Nutzungsüberlassung seiner im jeweiligen Wirtschaftsjahr überlassenen Vieheinheiten einen Vorabgewinn i.H.v. 12,00 € pro Vieheinheit.
512. Sodann erhält der Gesellschafter zu 1.), welcher seine Ställe und seine Betriebs-und Geschäftsausstattung überlässt, einen Vorabgewinn i.H.v. 35.000 €.
523. Sodann erhält der Gesellschafter zu 1.), welcher seine Arbeitskraft überlässt, einen Vorabgewinn i.H.v. 45.000,00 €.
534. Sodann erhält jeder Gesellschafter vorab eine Verzinsung seiner Kapitalkonten (feste und variable Kapitalkonten) nach dem Stand zu Beginn des Wirtschaftsjahres i.H.v. 3 %.
545. Der dann noch verbleibende Gewinn steht den Gesellschaftern wie folgt zu:
55Komplementär 97 %
56Kommanditist 3 %
57Soweit der Kommanditist seine Einlage noch nicht in voller Höhe geleistet hat, ist der ihm als Kommanditist zukommende Gewinn seinem Kapitalkonto zunächst bis zur Höhe der vertraglich vereinbarten Einlage gutzuschreiben.
58Solange ein Verlustvortrag besteht, ist er durch spätere Gewinne auszugleichen.
59§ 12
60Gesellschafterversammlung
611. Der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung bedürfen:
62a) die Feststellung des Jahresabschlusses,
63b) die Entscheidung über die Gewinnverwendung einschließlich Rücklagenbildung,
64c) die Entlastung der Geschäftsführung,
65d) Änderungen des Gesellschaftsvertrags,
66e) Aufnahme eines Gesellschafters,
67f) die Auflösung der Gesellschaft.
68[…]
69§ 13
70Gesellschafterbeschlüsse
711. Die Gesellschafterversammlung fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit.
722. Für die Änderung des Gesellschaftsvertrages und die Auflösung der Gesellschaft bedarf es der Einstimmigkeit. Gleiches gilt für den Ausschluss eines Gesellschafters und der Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels.
733. Über Gesellschafterbeschlüsse, gleichgültig, ob sie in oder außerhalb einer Gesellschafterversammlung gefasst worden sind, ist ein Protokoll anzufertigen, das von dem Geschäftsführer zu unterzeichnen ist. Der Inhalt des Protokolls und die gefassten Beschlüsse gelten als anerkannt, wenn nicht innerhalb einer Frist von zehn Tagen nach Vorliegen des Protokolls, schriftlich Einwendungen erhoben werden bzw. die Anfechtung erklärt wird.
74[…]“
75Beginnend im März 2017 führte der Beklagte beim Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Der Prüfer traf ausweislich des Berichts über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 7.4.2017, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen: Zwischen dem Kläger und der H KG liege ein Leistungsaustausch vor, sodass die Vorabgewinne gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG umsatzsteuerbar seien. Zudem würden die steuerbaren Vorabgewinne nicht der Durchschnittssatzbesteuerung gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegen, obwohl der Kläger einen landwirtschaftlichen Betrieb i. S. des § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG führe. Auf seine Umsätze mit der H KG sei der Regelsteuersatz anzuwenden. Es handele sich nicht um nichtsteuerbare Gesellschafterbeiträge.
76In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2016 erklärte der Kläger lediglich umsatzsteuerbare und -pflichtige Umsätze aus der Veräußerung von durch seine Photovoltaikanlage erzeugtem Strom. Mit Bescheiden vom 20.4.2017 und 21.4.2017 änderte der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2014 und 2015 sowie die Umsatzsteuervorauszahlungen für das zweite Quartal 2016 und setzte entsprechend den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Umsatzsteuer für 2014 um 9.627,43 € auf 15.330,62 € und die Umsatzsteuer für 2015 um 9.627,66 € auf 14.592,71 € höher fest. Die Umsatzsteuervorauszahlung für das 2. Kalendervierteljahr 2016 setzte der Beklagte um 9.627,68 € herauf. Hiergegen legte der Kläger jeweils Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13.12.2017 als unbegründet zurückwies.
77Dagegen hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er unter Verweis auf die Rechtsprechung des 5. Senats des Finanzgerichts (FG) Münster (Urteil vom 27.3.2018 5 K 3718/17 U, Mehrwertsteuerrecht – MwStR – 2018, 721) aus, dass die von ihm erbrachten Leistungen als nichtsteuerbare Gesellschafterbeiträge erbracht worden seien. Auf den ausführlichen Vortrag im Erörterungstermin (vgl. die Anlage zum Protokoll des Erörterungstermins) und die Schriftsätze vom 12.11.2021 und 23.11.2021 wird Bezug genommen. Zuletzt trägt er vor, dass die fraglichen Umsätze aufgrund bestehender umsatzsteuerlicher Organschaft insgesamt nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien.
78Datierend auf den 8.10.2018 reichte der Kläger eine – den Vorgaben der Betriebsprüfung entsprechende – und eine Abschlusszahlung ausweisende Umsatzsteuererklärung für 2016 mit einem Umsatzsteuerbetrag von 14.595,66 € ein. Am 12.11.2021 reichte der Kläger eine berichtigte – eine Umsatzsteuererstattung ausweisende – Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2016 mit einem Umsatzsteuerbetrag von 6.496,56 € ein, die seiner zunächst im Klageverfahren vertretenen Rechtsauffassung entspricht, dass die Vergütung der Arbeitskraft i. H. von 37.815,12 € (netto) unter die Durchschnittssatzbesteuerung falle und Teile der Vergütung für die Betriebs- und Geschäftsüberlassung steuerfrei seien. Der berichtigten Umsatzsteuererklärung stimmte der Beklagte nicht zu.
79Der Kläger beantragt,
80unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 21.4.2017 und der als Umsatzsteuerfestsetzung wirkenden Umsatzsteueranmeldung für 2016 vom 8.10.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2017 die Umsatzsteuer für 2014 um 9.627,43 € auf 5.703,19 €, die Umsatzsteuer für 2015 um 9.627,66 € auf 4.965,05 € und die Umsatzsteuer 2016 um 9.627,68 € auf 4.967,91 € festzusetzen,
81hilfsweise, die Revision zuzulassen.
82Der Beklagte beantragt,
83die Klage abzuweisen,
84hilfsweise, die Revision zuzulassen.
85Zur Begründung führt er aus, dass gemäß Abschn. 2.8 Abs. 5a des Umsatzsteueranwendungserlasses (UStAE) die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft voraussetze, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sein könnten, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert seien, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei der stets möglichen Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet sei. Da an der H KG neben dem Kläger ein weiterer Gesellschafter als Kommanditist mit 3 % bzw. einer Einlage von 3.000 € beteiligt sei, liege keine Organschaft zwischen dem Kläger und der H KG vor.
86Zudem bedürfe der Kläger als geschäftsführender Gesellschafter gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags zu allen Handlungen, die über den gewöhnlichen Umfang des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft hinausgehen würden, der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung aufgrund eines mit einfacher Mehrheit gefassten Beschlusses.
87Ihre Gesellschafterbeschlüsse fasse die H KG gemäß § 13 des Gesellschaftsvertrags grundsätzlich mit einfacher Mehrheit. Für die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Auflösung der Gesellschaft, den Ausschluss eines Gesellschafters und die Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels bedürfe es jedoch der Einstimmigkeit.
88Im Gesellschaftsvertrag sei teilweise von dem nach § 119 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) geltenden Einstimmigkeitsprinzip abgewichen worden. Der Gesellschaftsvertrag enthalte keine Regelung dazu, wie die Stimmenberechnung erfolge. Da laut § 119 Abs. 2 HGB die Mehrheit der Stimmen im Zweifel nach der Zahl der Gesellschafter (also nach Köpfen) zu berechnen sei, habe der Kläger bei der H KG nicht die für das Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft erforderliche Durchgriffsmöglichkeit. Da er im Zweifel seinen Willen bei der Organgesellschaft nicht durchsetzen könne, sei die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung nicht erfüllt.
89Mit Beschluss vom 7.11.2019 ruhte das Verfahren bis zum Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem Verfahren V R 22/19. Nach Ergehen der Entscheidung ist das Verfahren wieder aufgenommen worden.
90Der Senat hat am 26.4.2022 mündlich verhandelt. Auf das darüber gefertigte Protokoll wird Bezug genommen.
91Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
92Entscheidungsgründe:
93I. Die Klage ist begründet.
94Die Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 21.4.2017 und die als Umsatzsteuerfestsetzung wirkende Umsatzsteueranmeldung für 2016 vom 8.10.2018, die gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden ist, sowie die Einspruchsentscheidung vom 13.12.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zwischen dem Kläger und der H KG besteht eine umsatzsteuerliche Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG), sodass sämtliche durch den Kläger an die Gesellschaft bewirkten Leistungen, wie die Nutzungsüberlassung von Vieheinheiten, die Überlassung seiner Ställe und Betriebs- und Geschäftsausstattungen sowie die Erbringung seiner Arbeitsleistungen als innerorganschaftliche Umsätze nicht steuerbar sind.
951. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung als Umsatz gegen Entgelt (Leistungsaustausch) setzt neben dem Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus, dass es in umsatzsteuerlicher Hinsicht zwei Beteiligte gibt, zwischen denen Leistung und Gegenleistung ausgetauscht werden. Hieran mangelt es, wenn zwar zwei zivilrechtlich voneinander unabhängige Rechtsträger vorliegen, die aber umsatzsteuerlich – wie im Streitfall – eine Organschaft bilden. Denn aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG folgt, dass die Unternehmensteile einer Organschaft mit der Folge der Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze als ein Unternehmen zu behandeln sind.
962. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).
97Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nichtselbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft).
98§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung beruht auf Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach jeder Mitgliedstaat, nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer, in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln kann (sog. Mehrwertsteuergruppe).
99Nach diesen Vorgaben ist für die Annahme einer Organschaft i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG erforderlich, dass der unternehmerisch tätige Organträger (a)) bei der abhängigen juristischen Person finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt (b)), die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann (c)) und wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist (d)) (vgl. statt vieler Urteil des BFH vom 12.10.2016 XI R 30/14, Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 255, 467, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2017, 597 m. w. N.).
100Diese Voraussetzungen sind vorliegend für die H KG erfüllt.
101a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, gehört die Unternehmereigenschaft des Organträgers zu den Voraussetzungen der Organschaft (vgl. BFH-Urteil vom 2.12.2015 V R 67/14, BFHE 251, 547, BStBl II 2017, 560 m. w. N.). Der Kläger war – zwischen den Beteiligten unstrittig – in den Streitjahren als Landwirt und Betreiber einer Photovoltaikanlage Unternehmer und damit tauglicher Organträger.
102b) Die H KG war in den Streitjahren auch taugliche Organgesellschaft und finanziell in das Unternehmen des Klägers eingegliedert. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG können juristische Personen Organgesellschaft sein. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der Begriff „juristische Person“ auch Personengesellschaften umfassen kann (vgl. BFH-Urteile vom 1.6.2016 XI R 17/11, BFHE 254, 164, BStBl II 2017, 581 und vom 2.12.2015 V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547). Die bislang praktizierte Einschränkung des V. Senats des BFH und der Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE), dass eine Personengesellschaft nur dann unter den Begriff der juristischen Person fällt, wenn an der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen beteiligt sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 15.4.2021 (C-868/19, Finanzamt für Körperschaften Berlin, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2021, 726) zurückgewiesen. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass unabhängig von der Art der Personengesellschaft und dem Gesellschafterkreis eine umsatzsteuerliche Organschaft möglich ist, sofern die finanzielle Eingliederung dieser Gesellschaft in den Organträger nachgewiesen ist.
103Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger war als Komplementär zu 97 % an der H KG beteiligt (§ 4 des Gesellschaftsvertrages) und verfügte über entsprechende Stimmrechte. Da die Gesellschafterversammlung nach § 13 Nr. 1 des Gesellschaftervertrags die Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fasst, liegt eine finanzielle Eingliederung vor.
104Dass Einstimmigkeit für besondere Beschlüsse vorgesehen ist, ist unschädlich. Auch in dem der EuGH-Entscheidung (Urteil vom 15.4.2021 C-868/19, Finanzamt für Körperschaften Berlin, HFR 2021, 726) zugrundeliegenden Sachverhalt galt das Einstimmigkeitsprinzip für einige wenige ausgewählte Gesellschafterbeschlüsse. Dies hinderte die finanzielle Eingliederung nicht. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Geltung des Einstimmigkeitsprinzip dann unschädlich, wenn die Beschlüsse, bei denen Einstimmigkeit erzielt werden muss, keinen Einfluss darauf haben, dass der Organträger die Aufgabe des „Steuereinnehmers“ für die Organgesellschaft zu erfüllen hat (vgl. hierzu bereits BFH-Urteil vom 8.8.2013 V R 18/13, BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543, Rn. 28). Nach ständiger höchstrichterlicher Zivilrechtsprechung (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 22.10.1992 IX ZR 244/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1993, 672, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1993, 585 und zum Umsatzsteuerausgleich BGH-Urteil vom 19.1.2012 IX ZR 2/11, HFR 2012, 550, Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen – BGHZ – 192, 221, Rn. 28) haben Organgesellschaft und Organträger im Innenverhältnis zueinander gemäß § 426 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die durch ihre eigene Geschäftstätigkeit ausgelöste Umsatzsteuer zu tragen. Wenn die Einstimmigkeit also Beschlüsse betrifft, die den Organträger hindern könnten, die durch die Organgesellschaft verursachte Umsatzsteuer einzuziehen und an das Finanzamt weiterzuleiten, würde dies eine finanzielle Eingliederung ausschließen. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da das Einstimmigkeitsprinzip nur für die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die Auflösung der Gesellschaft, den Ausschluss eines Gesellschafters und die Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels gilt. Keiner dieser Beschlüsse ist geeignet, Zahlungen der Organgesellschaft an den Organträger zu verhindern, damit dieser die Steuer für die Umsätze aus der Tätigkeit der Organgesellschaft als Steuerschuldner und damit als „Steuereinnehmer“ entrichten kann.
105Eine andere Auslegung des Gesellschaftsvertrags, nach der der Kläger über keine Stimmrechtsmehrheit verfügt, wie sie der Beklagte favorisiert, ist nicht angezeigt. Die Vertragsparteien haben im Gesellschaftsvertrag zwischen Mehrheits- und Einstimmigkeitsentscheidungen unterschieden. Wenn die Stimmen ausschließlich nach Köpfen – und nicht nach dem Umfang der Beteiligung am Kapital – gezählt würden, gäbe es bei zwei Gesellschaftern nur Entscheidungen, die einstimmig getroffen werden könnten. Eine Differenzierung zwischen Mehrheits- und Einstimmigkeitsentscheidungen wäre dann sinnlos. Diese Vertragsauslegung korrespondiert mit der Äußerung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er mit seiner 97 %-igen Beteiligung am Kapital in allen Beschlüssen, die mit einfacher Mehrheit zu fassen waren, selbst entscheiden konnte. Der erkennende Senat geht daher davon aus, dass die Parteien des Gesellschaftsvertrags Stimmen entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital verteilen wollten. Der Beklagte hat zudem weder vorgetragen noch nachgewiesen noch ist dem Senat dies sonst bekannt, dass die Gesellschafter der H KG eine Vertragsauslegung praktiziert hätten, nach der stets einstimmige Entscheidungen notwendig wären.
106c) Die H KG war im Streitzeitraum außerdem organisatorisch in das Unternehmen des Klägers eingegliedert.
107Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. BFH-Urteil vom 15.12.2016 V R 14/16, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2017, 709). Eine organisatorische Eingliederung i.S. einer engen Verflechtung mit Über- und Unterordnung liegt regelmäßig vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft besteht (BFH-Urteil vom 12.10.2016 XI R 30/14, BFHE 255, 467, BStBl II 2017, 597 m. w. N.).
108Der einzelunternehmerische Kläger als Organträger war gleichzeitig als alleiniger Komplementär auch alleiniger Geschäftsführer der H KG. Damit besteht Personenidentität zwischen dem „Leitungsgremium“ von Organträger und Organgesellschaft.
109e) Die H KG war im Streitzeitraum auch wirtschaftlich in das Unternehmen des Klägers eingegliedert.
110Für eine wirtschaftliche Eingliederung i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ist es charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint. Hierfür kommt es nicht auf eine wirtschaftliche Zweckabhängigkeit der Organgesellschaft an. Vielmehr kann eine das Unternehmen der Untergesellschaft fördernde Tätigkeit der Obergesellschaft ausreichen. Es genügt z. B. die Vermietung eines Betriebsgrundstücks, wenn dieses für die Organgesellschaft von nicht nur geringer Bedeutung ist, da es die räumliche und funktionale Grundlage der Unternehmenstätigkeit der Organgesellschaft bildet. Entscheidend sind für die wirtschaftliche Eingliederung somit die Art und der Umfang der zwischen den Unternehmensbereichen von Organträger und Organgesellschaft bestehenden Verflechtungen. Daher liegt keine wirtschaftliche Eingliederung vor, wenn den entgeltlichen Leistungen des Gesellschafters für die Unternehmenstätigkeit der Untergesellschaft nur unwesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863 m. w. N.).
111Vorliegend sind neben den Vieheinheiten auch die für den Betrieb der Organgesellschaft notwendigen Ställe, die Geschäfts- und Betriebsausstattung sowie die Arbeitskraft des Klägers gegen Entgelt überlassen worden. Durch diesen nicht nur unerheblichen Leistungsaustausch zwischen Kläger und H KG liegt eine wirtschaftliche Eingliederung vor.
1123. Als Rechtsfolge entfällt daher einerseits die Umsatzsteuerbarkeit der gegen Entgelt ausgetauschten Leistungen. Andererseits sind die Umsatzsteuern und Vorsteuern der H KG im Unternehmen des Klägers zu konsolidieren. Aufgrund dieser weiteren Rechtsfolge ändert sich in betragsmäßiger Hinsicht beim Kläger aber nichts. Die durch die H KG ausgeführten Umsätze unterfallen nach § 24 UStG der Durchschnittssatzbesteuerung, wodurch sich die Umsatzsteuer auf ausgeführte Leistungen sowie die abziehbaren Vorsteuerbeträge (§ 24 Abs. 1 Satz 3 UStG) ausgleichen. Die Umsätze erfahren durch die Konsolidierung beim Kläger auch keine Umqualifizierung, da der Kläger – zwischen den Beteiligten unstrittig – selbst die Voraussetzungen der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG erfüllt und nur hinsichtlich der Umsätze aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage der Regelbesteuerung unterliegt. Die Umsatzsteuer des Klägers ist daher betragsmäßig ausschließlich um die Umsatzsteuer auf die Innenumsätze zu reduzieren, die der Beklagte für 2014 auf 9.627,43 € für 2015 auf 9.627,66 € und für 2016 auf 9.627,68 € bemessen und entsprechend festgesetzt hatte.
113II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
114III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
115IV. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Hinsichtlich der für die Beurteilung dieses Rechtsstreits entscheidungserheblichen Rechtsfrage, in welchem Umfang bei Personengesellschaften als Organgesellschaften Beschlüsse einstimmig gefasst werden dürfen, ohne dass dadurch die finanzielle Eingliederung ausgeschlossen wird, besteht ein Interesse an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts.