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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter T., geb. am 14.10.2001, für den Zeitraum von August bis Oktober 2020 (Streitzeitraum) hat.
2T. beendete ihre Schulausbildung im Juli 2020. In der Zeit von April bis Oktober 2020 war sie auf Projektsuche für ein freiwilliges soziales Jahr. Seit dem 20.11.2020 war T. bei der Agentur für Arbeit als ausbildungsplatzsuchend geführt. Ab Januar 2021 absolvierte T. einen Freiwilligendienst im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps. Zum 01.10.2021 nahm sie ein duales Studium zum Bachelor, Fachrichtung Marketingmanagement, auf.
3Mit Bescheid vom 28.08.2020 lehnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab August 2020 ab. Die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für volljährige Kinder lägen nicht vor. T. leiste keinen berücksichtigungsfähigen Freiwilligendienst ab.
4Dem hiergegen gerichteten Einspruch half die Beklagte unter dem 16.02.2021 dergestalt ab, dass sie für T. ab dem Monat November 2020 Kindergeld festsetzte.
5Im Übrigen wies die Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 als unbegründet zurück. T. habe ihre schulische Ausbildung im Juli 2020 beendet und erst im Januar 2021 die kindergeldrechtlich berücksichtigungsfähige Freiwilligenaktivität im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps aufgenommen. Zwischen den Ausbildungsabschnitten lägen demzufolge fünf Monte, sodass eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht möglich sei. Das Bewerbungsverfahren für die Aufnahme der Freiwilligenaktivität führe nicht zu einer Berücksichtigungsfähigkeit des Kindes. Andere Bewerbungsbemühungen, die eine Berücksichtigungsfähigkeit begründeten, lägen nicht vor. Pandemiebedingte Sonder- bzw. Ausnahmeregeln sehe das EStG nicht vor.
6Die Klägerin hat daraufhin Klage erhoben.
7Die Aufnahme des freiwilligen Dienstes sei ausschließlich pandemiebedingt nicht möglich gewesen. T. habe sich bereits im April 2020 für ein Projekt beworben. Von Mai bis einschließlich Oktober 2020 habe sie sich auf Projektsuche befunden, was pandemiebedingt mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen sei. Im Oktober 2020 habe sie eine Zusage von einer Projektstelle in Irland erhalten.
8Zwar lehne der Bundesfinanzhof (BFH) eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG ab. Im Hinblick auf die COVID 19-Pandemie sei aber eine für die analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG erforderliche „planwidrige“ Regelungslücke entstanden. Bei Abfassung des Gesetzes sei der Gesetzgeber von normalen Umständen ausgegangen, nämlich davon, dass es jedem Bewerber möglich sei, innerhalb von vier Monaten ein Projekt für ein freiwilliges soziales Jahr zu finden. Dies sei aber in Pandemiezeiten nicht der Fall. Die erheblichen Einschränkungen im Zusammenhang mit Praktika und freiwilligen sozialen Diensten aufgrund der Coronapandemie habe der Gesetzgeber nicht berücksichtigen können. Insoweit müsse zwingend eine Anpassung erfolgen.
9Es könne nicht richtig sein, dass nach dem Willen der Bundesregierung einerseits ein Kinderbonus für das Jahr 2020 und für das Jahr 2021 ausgezahlt werde, um die Belastungen der Coronapandemie abzufedern und Familien finanziellen Handlungsspielraum zu geben, andererseits dann aber eine weiterhin enge Auslegung der Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG erfolge und eine analoge Anwendung nicht zugelassen werde.
10Die Klägerin beantragt sinngemäß,
11unter Änderung des Bescheides vom 16.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 die Beklagte zu verpflichten, für das Kind T. Kindergeld für die Monate August, September und Oktober 2020 festzusetzen;
12hilfsweise,
13die Revision zuzulassen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Zur Begründung verweist sie auf die Verwaltungsakte und die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus vertritt sie die Ansicht, dass Bewerbungen für den Freiwilligendienst nicht vom Gesetzgeber erfasst würden. Lediglich Eigenbemühungen für einen Ausbildungsplatz seien gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG zu berücksichtigen.
17Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.04.2021, die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.03.2022 auf mündliche Verhandlung verzichtet.
I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
II. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung für das Kind T. mit Bescheid vom 16.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO).
22Die Klägerin hat für den Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld für T. gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG. T. war in diesem Zeitraum kein berücksichtigungsfähiges Kind im Sinne der §§ 63 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 4 EStG.
231. Eine Berücksichtigungsfähigkeit ergibt sich insbesondere nicht aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG. T. befand sich nicht in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten.
Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, u.a. berücksichtigt, wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 d) EStG liegt. Bei einem Überschreiten der Übergangszeit entfällt nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift eine Begünstigung vollständig (vgl. BFH-Urteil vom 22.12.2011 III R 41/07, BStBl II 2012, 681). Eine Verlängerung der Übergangszeit kommt nach der Rechtsprechung des BFH auch dann nicht in Betracht, wenn nicht absehbar ist, ob diese überschritten werden wird; dies gilt umso mehr, wenn für den fraglichen Zeitraum neben § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG auch andere Berücksichtigungstatbestände – wie vorliegend etwa § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 c) EStG – in Betracht gekommen wären (vgl. BFH-Urteile vom 22.12.2011 a.a.O.; vom 24.05.2012 III R 59/10, BFH/NV 2012, 1951).
26T. beendete ihre Schulausbildung im Juli 2020 und nahm ihren Freiwilligendienst im Januar 2021 auf. Der Zeitraum zwischen diesen beiden Ausbildungsabschnitten beträgt demnach fünf Monate.
272. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG vorliegend nicht analog anzuwenden. Es fehlt an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.
Eine solche ist nur dort gegeben, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer gesetzlich gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (vgl. BFH-Urteil vom 14.09.1994 I R 136/93, BStBl II 1995, 382).
30Danach steht der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG die im Gesetz eindeutig normierte Viermonatsfrist entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 22.12.2011 III R 5/07, BStBl II 2012, 678). Zwar führt die Beschränkung der Begünstigung auf Übergangszeiten von höchstens vier Monaten zu einer Regelungslücke für darüber hinausgehende, längere Übergangszeiten, da diese nicht unter den Wortlaut der Norm subsumierbar sind. Diese Regelungslücke ist aber nicht planwidrig. Der Gesetzgeber hat mit dieser stark typisierenden Vorschrift, gegen die keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil vom 24.05.2012 III R 59/10, BFH/NV 2012, 1951), seinen anerkannten Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen ausgenutzt (vgl. BFH-Urteil vom 15.07.2003 VIII R 92/01, BFH/NV 2004, 173). Dabei hat er sich bewusst für die Beschränkung der Begünstigung auf Übergangszeiten von höchstens vier Monaten entschieden. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum Neunten Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 22.12.1981, mit dem der Gesetzgeber eine § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG vergleichbare Regelung - § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) – eingeführt hat. Darin spricht sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen die damalige, einen Zeitraum von vier Monaten überschreitende, großzügige Berücksichtigung von Warte- und Übergangszeiten durch das Bundessozialgericht aus und erachtet die eingeführte Höchstdauer von vier Monaten als abschließende Regelung. Denn ein Kind, welches Übergangs- und Wartezeiten von mehr als vier Monaten zu überbrücken habe, könne und müsse sich darauf einstellen, während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. BT-Drs. 9/842, S. 54).
31Vor diesem Hintergrund vermag die Argumentation der Klägerin, die Coronapandemie habe zu einer planwidrigen Regelungslücke geführt, da der Gesetzgeber die damit einhergehenden erheblichen Einschränkungen bei der Suche nach Projekten für ein freiwilliges soziales Jahr – nicht jedem Bewerber sei es möglich, innerhalb von vier Monaten ein Projekt zu finden – nicht hätte berücksichtigen können, nicht zu überzeugen. Die Klägerin verkennt dabei zudem, dass die Übergangszeit nicht primär dazu dient, ein Projekt bzw. einen Ausbildungsplatz zu finden. Vielmehr soll sie grundsätzlich die Berücksichtigungsfähigkeit für die Zeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten herbeiführen.
32Sofern die Klägerin vorträgt, es könne nicht richtig sein, dass nach dem Willen der Bundesregierung einerseits Kinderboni gezahlt würden, andererseits dann aber eine weiterhin enge Auslegung der Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG erfolge und eine analoge Anwendung nicht zugelassen werde, ist dem entgegen zu halten, dass rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern lediglich vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung nicht von den Gerichten geschlossen werden können. Sie zu schließen bleibt Aufgabe des Gesetzgebers (vgl. BFH-Urteil vom 22.12.2011 III R 5/07, BStBl II 2012, 678). Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber dieser Aufgabe vielfach (z.B. durch die Gewährung der Kinderboni) nachgekommen ist; der Umstand, dass die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG enthaltene Frist nicht verlängert worden ist, legt es daher nahe, dass der Gesetzgeber diesbezüglich keine Ergänzungsbedürftigkeit der Regelung gesehen hat.
333. Vorliegend kann T. trotz ihrer Suche nach einem Projekt für ein freiwilliges soziales Jahr auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG berücksichtigt werden.
Nach dieser Norm wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. In Berufsausbildung befindet sich derjenige, der sein Berufsziel nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (vgl. BFH-Urteil vom 09.06.1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701). Der Vorbereitung dienen hierbei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. BFH-Urteil vom 16.04.2002 VIII R 58/01, BStBl II 2002, 523).
36Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres ist grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn es dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (vgl. BFH-Urteil vom 15.07.2003 VIII R 78/99, BStBl II 2003, 841 unter Verweis auf § 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17.08.1964, BGBl I 1964, 640). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Ableistung eines solchen freiwilligen sozialen Jahres grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt (vgl. BT-Drs IV/2138, S. 2).
37Die vom Gesetzgeber in Betracht gezogene Ausnahme für den Fall, dass ein freiwilliger Dienst der Vorbereitung auf ein konkretes Berufsziel, z.B. den Beruf des Sozialarbeiters (vgl. BT-Drs. IV/2138, S. 2), dient, greift vorliegend nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass T. einen sozialen Beruf anstrebt. Vielmehr hat sie zum 01.10.2021 ein duales Studium zum Bachelor, Fachrichtung Marketingmanagement, aufgenommen.
384. Eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG auf Fälle, in denen ein freiwilliges soziales Jahr aufgrund der Coronapandemie nicht begonnen werden kann, ist nicht möglich. Es fehlt insoweit ebenfalls an der für eine analoge Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.
Die fehlende Planwidrigkeit ergibt sich bereits aus der Gesetzeshistorie. So sind zunächst mit dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17.08.1964 (BGBl. I 1964, 640) die Kinderfreibeträge auf Kinder, die ein freiwilliges soziales Jahr leisten, ausgedehnt worden. Erst mit dem Steueränderungsgesetz 1977 vom 16.08.1977 (BGBl. I 1977, 1586) wurde die Berücksichtigungsfähigkeit auf Kinder erweitert, die eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen können oder nicht erwerbstätig sind. Gleichwohl hat es der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit unterlassen, Kinder, die ein freiwilliges soziales Jahr mangels Projektplatz nicht beginnen oder fortsetzen können, in den damaligen § 32 Abs. 6 Nr. 1a EStG mit aufzunehmen.
41Darüber hinaus spricht die Begründung für die Aufnahme ausbildungsplatzsuchender Kinder in den Kanon des damaligen § 32 Abs. 6 EStG gegen eine planwidrige Regelungslücke. Ursächlich hierfür war nämlich die Annahme, dass die im allgemeinen volljährigen Jugendlichen, die aufgrund des Mangels an Ausbildungsplätzen und bei der Arbeitsmarktlage vielfach weder die beabsichtigte Ausbildung vorerst nicht durchführen konnten oder nach Abschluss der Ausbildung keinen Arbeitsplatz erhielten, in der Regel ihren Eltern wirtschaftlich so zur Last fallen, wie die in der Ausbildung stehenden Jugendlichen (vgl. BT-Drucks 7/5559, S. 3). Der Gesetzgeber verglich dabei Kinder, die für einen Beruf ausgebildet werden, mit Kindern, die mangels Ausbildungsplatz eine Berufsausbildung nicht beginnen können. Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres stellte nach Ansicht des Gesetzgebers dagegen grundsätzlich keine Berufsausbildung dar (vgl. BT-Drs. IV/2138, S. 2). Nach alledem kann nicht von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ausgegangen werden.
42III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Revision war nicht gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert.
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