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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zu entscheiden ist, ob die Tätigkeit der Klin., einer Gesellschaft., die tiefgekühlte Samen und Eizellen lagert, in den Streitjahren 2010 bis 2013 den Einkünften aus gewerblicher Tätigkeit im Sinne des § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) oder den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG zuzuordnen ist.
3Die Gesellschafter der Klin. sind Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Sie betrieben in den Streitjahren 2010 bis 2013 zugleich ein Kinderwunschzentrum.
4Nach § 1 Ziffer 1 des Gesellschaftsvertrages der Klin. bestand der Zweck der Klin. darin, mit Dritten Verträge über die fachgerechte tiefgekühlte Lagerung von Samen und Eizellen in entsprechenden Behältern abzuschließen und durchzuführen (so genannte Lagerung). Die im Zusammenhang mit der Kryokonservierung stehenden ärztlichen Leistungen gehörten nicht zum Gesellschaftszweck der Klin.. Der Gesellschaftszweck beschränkte sich vielmehr auf das tiefgekühlte Einlagern der Samen und Eizellen.
5Wurde im Rahmen der Kinderwunschbehandlung von den Patienten die Entscheidung über eine Kryokonservierung getroffen, so schlossen die Patienten mit dem Kinderwunschzentrum einen Vertrag über das Einfrieren von Eizellen im Vorkernstadium ab. Zudem schlossen die Patienten mit der Klin. einen Vertrag über die Lagerung der Eizellen/Embryonen ab.
6Der Vertrag mit dem Kinderwunschzentrum über das Einfrieren von Eizellen/Embryonen beinhaltete unter anderem die folgenden Regelungen:
7§ 1 Vertragsgegenstand
8Das Kinderwunschzentrum übernimmt das Einfrieren (= Kryokonservierung) von Eizellen im Vorkernstadium (Pronucleus-Phase; imprägnierte Eizellen) (im Folgenden: Konservierungsgut), die im Rahmen einer Maßnahme der medizinisch unterstützten Befruchtung aus Keimzellen der Auftraggeber entstanden sind. Die Kryokonservierung erfolgt durch einen Arzt oder unter der Aufsicht und nach fachlicher Weisung eines Arztes.
9§ 2 Einfrieren des Konservierungsguts
101. Die Auftraggeber stellen dem Kinderwunschzentrum Konservierungsgut zur Verfügung. Die vorausgehende ärztliche Behandlung im Rahmen von Maßnahmen der medizinisch unterstützten Befruchtung ist nicht Gegenstand dieses Vertrages.
112. Das Kinderwunschzentrum bereitet das Konservierungsgut für das Einfrieren vor. Im Anschluss daran führt es den Einfriervorgang durch. Die Gewinnung und medizinische Aufbereitung des Konservierungsguts sind nicht Gegenstand dieses Vertrages.
12….
13Der Vertrag mit der Klin. über die Lagerung von Eizellen/Embryonen beinhaltete unter anderem die folgenden Regelungen:
14§ 1 Vertragsgegenstand
15Die Klin. übernimmt die Lagerung von Eizellen im Vorkernstadium (Pronucleus-Phase; imprägnierte Eizellen) (im Folgenden: Konservierungsgut), die im Rahmen einer Maßnahme der medizinisch unterstützten Befruchtung aus Keimzellen der Auftraggeber entstanden sind. Die Lagerung erfolgt durch einen Arzt oder unter Aufsicht und nach fachlicher Weisung eines Arztes. Auf dieses Rechtsverhältnis finden die §§ 688 ff. BGB in der durch diesen Vertrag modifizierten Fassung Anwendung.
16§ 2 Lagerung
171. Die Klin. lagert das Konservierungsgut in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Celsius für die Dauer dieses Vertrages. Sie ist berechtigt, mit der Durchführung der Lagerung Dritte zu beauftragen und den Ort oder die technische Art und Weise der Lagerung zu ändern, sofern der Dritte die gesetzlichen Voraussetzungen zur Kryokonservierung erfüllt und den Auftraggebern hierdurch keine zusätzlichen Kosten entstehen.
18…
192. Sollte die Klin. ihre Tätigkeit einstellen, so ist sie zur Weitergabe des Konservierungsgutes …. berechtigt.
20…
21Für die Jahre 2010 bis 2012 reichte die Klin. Gewerbesteuererklärungen ein und erklärte im Rahmen ihrer Feststellungserklärungen jeweils Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Bekl. folgte der von der Klin. vorgenommenen Einordnung ihrer Einkünfte und veranlagte die Klin. mit nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Gewerbesteuermessbetragsbescheiden 2010 bis 2012 sowie unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2010 bis 31.12.2012.
22Am X.X.XX hob der Bekl. die Nachprüfungsvorbehalte in den Feststellungsbescheiden 2010 und 2011 auf. Die Nachprüfungsvorbehalte in den Gewerbesteuermessbetragsbescheiden 2010 und 2011 hob er am X.X.XX auf.
23Die Klin. legte sodann Einspruch gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in den Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010 und 2011 sowie in den Gewerbesteuermessbetragsbescheiden 2010 und 2011 ein. Darüber hinaus stellte die Klin. Änderungsanträge bezogen auf die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2012 sowie den Gewerbesteuermessbetrag 2012. Sie machte jeweils geltend, die von ihr erzielten Einkünfte seien als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG zu qualifizieren und verwies insoweit auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen (Az.) XI R 23/13 anhängige Verfahren zur Umsatzsteuerfreiheit der weiteren Lagerung von im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt (BFH-Urteil vom 29.07.2015 – XI R 23/13, Bundessteuerblatt -BStBl- 2017, 733).
24Mit Bescheiden vom X.X.XX (für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2010 bis 31.12.2012) und vom X.X.XX (für die Gewerbesteuermessbeträge 2010 bis 2012) nahm der Bekl. jeweils nach § 165 Abs. 1 AO einen Vorläufigkeitsvermerk auf und führte jeweils aus, „Dieser Bescheid ist vorläufig hinsichtlich der Einordnung der Einkünfte in gewerbliche Einkünfte. Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch/Antrag vom X.X.XX.“. Die Bescheide für das Streitjahr 2012 ergingen weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
25Auch für das Streitjahr 2013 erklärte die Klin. im Rahmen ihrer Feststellungserklärung gewerbliche Einkünfte und reichte zudem eine Gewerbesteuererklärung ein. Der Bekl. erließ am X.X.XX einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2013 und am X.X.XX einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2013. Beide Bescheide standen gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und waren gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig, wobei der Bekl. darauf hinwies, die Bescheide seien vorläufig hinsichtlich der Einordnung der Einkünfte in gewerbliche Einkünfte.
26Unter dem X.X.XX beantragte die Klin. die Änderung der Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2010 bis 31.12.2013 sowie die Aufhebung der Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2010 bis 2013. Bei den von ihr erbrachten Leistungen handele es sich um ärztliche Leistungen, die den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zuzuordnen seien. Über sie würden die im Kinderwunschzentrum erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit kryokonservierenden Maßnahmen erbracht und abgerechnet. Zwischen dem Kinderwunschzentrum und ihr bestehe Personalunion. An beiden Gesellschaften seien dieselben Ärzte im selben Umfang beteiligt. Für beide Gesellschaften seien dieselben Mitarbeiter tätig.
27Der Bekl. lehnte die Änderung der Feststellungsbescheide 2010 bis 2013 und die Aufhebung der Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2010 bis 2013 mit Bescheid vom X.X.XX ab. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Klin. gehörten die im Zusammenhang mit der Kryokonservierung stehenden ärztlichen Leistungen nicht zum Gesellschaftszweck der Klin.. Dieser beschränke sich auf das tiefgekühlte Einlagern von Samen und Eizellen. Die Konservierungsdienstleistungen seien demnach als eigenständige Leistungen zu betrachten. Im Übrigen sei fraglich, ob sich die Rechtsprechung des BFH zur Umsatzsteuerbefreiung der Kryokonservierung, d. h. der Einordnung der Kryokonservierung als Heilbehandlung, auf die ertragsteuerliche Qualifizierung der Einkünfte übertragen lasse.
28Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom X.X.XX).
29Mit ihrer Klage macht die Klin. geltend, die von ihr erzielten Einkünfte seien als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit zu qualifizieren.
30Die Klin. sei ausschließlich aus steuerlichen Motiven gegründet worden, um die Abfärbung der Einkünfte aus der Lagerung des Konservierungsgutes, die vom Bekl. als gewerblich eingestuft worden seien, auf die Einkünfte des Kinderwunschzentrums zu vermeiden.
31Die Klin. sei wirtschaftlich und organisatorisch in das Kinderwunschzentrum eingegliedert gewesen und habe ausschließlich Leistungen für das Kinderwunschzentrum erbracht, und zwar im Rahmen der ärztlichen Diagnosen und Behandlungen. Bei ihren Leistungen habe es sich um Heilbehandlungen gehandelt.
32Allein durch die vom Kinderwunschzentrum abgetrennte Abrechnung gehe der Charakter der Heilbehandlung bezogen auf die Lagerung des Konservierungsgutes nicht verloren, denn die Einlagerung finde nur aus medizinischem Anlass statt.
33Nach der Rechtsprechung des BFH gehöre die Kryokonservierung im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung zu den umsatzsteuerfreien Leistungen nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Sogar die Verlängerung des Lagerzeitraums, die sich auf über ein Jahr erstrecken könne, erfolge im Rahmen der Heilbehandlung.
34Für die Einordnung als Heilbehandlung mache es keinen Unterschied, ob die Lagerkosten zusammen mit den ärztlichen Leistungen oder gesondert – wie im Streitfall – abgerechnet würden; zumal die Leistungen wirtschaftlich einheitlich von der Ärztegemeinschaft erbracht würden.
35Die Klin. habe nicht über eigene Räumlichkeiten und eigenes Personal verfügt. Sie sei nach außen im allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht aufgetreten.
36Bereits aufgrund des Artzvorbehalts handele es sich um ärztliche Leistungen. In § 9 Nr. 4 des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz -ESchG-) sei geregelt, dass die Kryokonservierung eines menschlichen Embryos sowie einer menschlichen Eizelle, in die bereits eine menschliche Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden sei, nur von Ärzten vorgenommen werden darf.
37Alle Gesellschafter der Klin. seien Ärzte, so dass § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Tätigkeit der Klin. einschlägig sei.
38Das zu lagernde Konservierungsgut bestehe fast ausschließlich aus Embryos im Vorkernstadium und aus befruchteten Eizellen. Die Lagerung des Konservierungsgutes sei daher Bestandteil der gesamten Heilbehandlung und diene einem einheitlichen therapeutischen Zweck.
39Zwischen der Heilbehandlung und dem Einfrieren und dem Lagern des Konservierungsgutes bestehe immer ein enger Zusammenhang, weil die Eizellen anlässlich der Behandlung entnommen würden. Der zeitliche Zusammenhang sei biologisch vorgegeben, da die Eizellen ansonsten absterben würden. Bei dem Embryotransfer würden die Eizellen für die Folgebehandlung verwandt. Eine Herausgabe an Dritte sei gesetzlich verboten und nicht erfolgt.
40Selbst wenn sich die Patienten nach der erfolgten ersten Behandlung und dem Einfrieren und Lagern des Konservierungsgutes entschlössen, keine weiteren Versuche durchzuführen, ändere dies nichts daran, dass es sich bereits beim ersten Versuch um ärztliche Leistungen handele. Ein Nichttransfer könne nicht dazu führen, dass keine ärztlichen Leistungen gegeben seien.
41Fälle, in denen weder bei der Frau noch beim Mann eine Indikation vorgelegen habe, habe es bei der Klin. in den Streitjahren nicht gegeben. Es habe stets eine körperliche Fehlfunktion bestanden, die die Behandlungsabläufe medizinisch notwendig werden ließ. Die Lagerung des Konservierungsguts sei Teil der Behandlungsabläufe gewesen. Insoweit verweist die Klin. auf die ihrem Schriftsatz vom 04.03.2022 beigefügte Aufstellung.
42Die Klin. beantragt,
431. den Bekl. unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom X.X.XX in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom X.X.XX zu verpflichten, die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2010 bis 31.12.2013 vom X.X.XX (für die Jahre 2010 bis 2012) bzw. vom X.X.XX (für das Jahr 2013) dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte als Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG qualifiziert werden,
2. den Bekl. unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom X.X.XX in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom X.X.XX zu verpflichten, die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2010 bis 2013 vom X.X.XX (für die Jahre 2010 bis 2012) bzw. vom X.X.XX (für das Jahr 2013) aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
47die Klage abzuweisen.
48Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, der Internetauftritt der Klin. benenne das Lagern unbefruchteter Eizellen zur Fertilitätsreserve (so genanntes social freezing) als eine Anwendungsmöglichkeit der Kryokonservierung. Die Klin. habe zwar mitgeteilt, in ihrem Unternehmen fände kein sozial freezing, d. h. keine Einlagerung ohne medizinischen Anlass statt. Dies sei jedoch für jeden einzelnen Umsatz während des Streitzeitraums nachzuweisen.
49Der Senat hat die Verfahrensakte des unter dem Aktenzeichen 5 K 158/17 U geführten Klageverfahrens wegen Umsatzsteuer 2014 beigezogen und am 29.04.2022 in der Sache mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
50Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakten zu den Aktenzeichen 5 K 158/17 U und 12 K 168/17 G, F Bezug genommen.
51Entscheidungsgründe
52Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
53I. Die Klage ist zulässig.
54Die Rechtsverletzung der Klin. im Sinne des § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgt – in Bezug auf die Feststellungsbescheide 2010 bis 2013 – aus der von ihr geltend gemachten unzutreffenden Einkunftsart, denn die Feststellung der Einkunftsart bildet einen eigenständig anfechtbaren Teil des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen (Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 15.06.2005 – IV B 124/03, juris sowie BFH-Urteile vom 15.04.2004 – IV R 54/02, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2004, 868, vom 24.04.1991 – X R 84/88, BStBl II 1991, 713 und vom 24.01.1985 – IV R 249/82, BStBl II 1985, 676).
55Die Gewerbesteuermessbetragsbescheide sind Grundlagenbescheide für die Festsetzung der Gewerbesteuer und beschweren die Klin. daher ebenfalls (§ 40 Abs. 2 FGO).
56II. Die Klage ist unbegründet.
57Der Ablehnungsbescheid vom X.X.XX in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom X.X.XX ist rechtmäßig und verletzt die Klin. nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO). Die Klin. hat keinen Anspruch darauf, dass ihre Einkünfte in den Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auf den 31.12.2010 bis 31.12.2013 vom X.X.XX (für die Jahre 2010 bis 2012) und vom X.X.XX (für das Jahr 2013) als solche aus selbständiger Tätigkeit nach § 18 EStG festgestellt werden. Darüber hinaus hat die Klin. keinen Anspruch auf Aufhebung der Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2010 bis 2013 vom X.X.XX (für die Jahre 2010 bis 2012) und vom X.X.XX (für das Jahr 2013).
581. Der Bekl. hat die Einkünfte der Klin. zu Recht als gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 EStG behandelt und sie zudem zu Recht gemäß § 2 Abs. 1 GewStG der Gewerbesteuer unterworfen.
59Gemäß § 179 Abs. 1 in Verbindung mit § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO werden einkommen- und körperschaftsteuerliche Einkünfte gesondert und einheitlich festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Bei einem Gewerbebetrieb ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Personengesellschaft ein gewerbliches Unternehmen betreiben (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und als Mitunternehmer anzusehen sind (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
60Der Gewerbesteuer unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist unter einem Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen.
61Der Betrieb eines gewerblichen Unternehmens setzt nach § 15 Abs. 2 EStG eine selbständige nachhaltige Betätigung voraus, die mit der Absicht Gewinne zu erzielen unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes oder einer anderen selbständigen Tätigkeit anzusehen ist. Außerdem müssen durch die Tätigkeit die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten werden.
62Dies trifft in den Streitjahren 2010 bis 2013 auf das Unternehmen der Klin. zu.
63Entgegen der Auffassung der Klin. ist die von ihr durchgeführte Lagerung der kryokonservierten (eingefrorenen) Eizellen bzw. Embryonen weder als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG anzusehen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG).
64Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zur freiberuflichen Tätigkeit die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit sowie die selbständige Tätigkeit in einem der dort aufgezählten Berufe oder in einem diesen ähnlichen Beruf.
65a) Zwar üben sämtliche Gesellschafter der Klin. in den Streitjahren den Beruf des Arztes aus, der von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erfasst wird. Jedoch ist die konkrete von der Klin. ausgeübte Tätigkeit – das Lagern der bereits kryokonservierten (eingefrorenen) Eizellen bzw. Embryonen, d. h. des Konservierungsgutes, – nach Auffassung des Senats nicht mehr der ärztlichen Betätigung im weiteren Sinne zuzuordnen.
66Die Berufstätigkeit der Ärzte ist gesetzlich durch die Bundesärzteordnung (BÄO) geregelt. Ärzte dienen nach § 1 Abs. 1 BÄO der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes und der ärztliche Beruf ist seiner Natur nach ein freier Beruf und kein Gewerbe (§ 1 Abs. 2 BÄO).
67Was bei den Ärzten zu den berufstypischen und damit zu den von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG abgedeckten Leistungen gehört, wird weit ausgelegt. Umfasst sind nicht nur die unmittelbar gegenüber den Patienten erbrachten Leistungen, sondern auch labormedizinische Leistungen und therapeutische Gutachten oder Atteste (auch für Gerichte, Behörden, Versicherungsträger, Arbeitgeber, Arzneimittelunternehmen). Hierbei kann es sich um Diagnosen, Beseitigung von Leiden oder Krankheiten, Prophylaxe, um die Erforschung von Krankheiten oder pathologische Untersuchungen handeln (Korn in Korn, EStG, 1. Auflage 2000, 134. Lieferung, Stand 01.08.2018, § 18 Rz. 58; Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 308. Lieferung, Stand 12.2021, § 18 EStG Rz. 141 f.).
68Das durch die Klin. erfolgte reine Lagern der kryokonservierten (eingefrorenen) Eizellen bzw. Embryonen ist hiervon – auch bei einer weiten Auslegung des Arztbegriffes – nicht erfasst.
69b) Zutreffend weist die Klin. darauf hin, dass die Konservierung eines menschlichen Embryos sowie einer menschlichen Eizelle, in die bereits eine menschliche Samenzelle eingedrungen ist oder künstlich eingebracht worden ist, nach § 9 Nr. 4 ESchG nur von einem Arzt vorgenommen werden darf (so genannter Arztvorbehalt).
70Aus § 9 Nr. 4 ESchG ergibt sich hingegen nicht, dass eine sich anschließende Lagerung des kryokonservierten (eingefrorenen) Gutes, d. h. des Konservierungsgutes, ebenfalls dem Arztvorbehalt unterliegt, und dass die Lagerung der kyokonservierten Eizellen oder Embryonen dementsprechend als Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu qualifizieren ist.
71Vorliegend ist vielmehr hervorzuheben, dass nicht die Klin., sondern das Kinderwunschzentrum das Konservierungsgut für das Einfrieren vorbereitet und im Anschluss den Einfriervorgang durchführt (vgl. § 1 des Vertrags über die Kryokonservierung von Eizellen im Vorkernstadium und/oder Embryonen). Die Klin. übernimmt hingegen lediglich die Lagerung des Konservierungsgutes (vgl. § 1 und § 2 Ziff. 1 des Vertrags über die Lagerung von Eizellen im Vorkernstadium und/oder Embryonen).
72Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist das reine Lagern der bereits durch das Kinderwunschzentrum kryokonservierten (eingefrorenen) Eizellen bzw. Embryonen nicht der ärztlichen Tätigkeit zuzuordnen. Denn die Lagerung des Konservierungsgutes ist ein rein technischer Vorgang, der lediglich voraussetzt, dass das Konservierungsgut bei minus 196 Grad Celsius für die Dauer des Vertrages aufbewahrt wird (vgl. § 2 Ziff. 1 des Vertrages über die Lagerung von Eizellen/Embryonen). Die Überwachung und Kontrolle dieser technischen Bedingungen für eine vereinbarungsgemäße Lagerung bedarf keiner ärztlichen Fachkenntnis. Dementsprechend ist in Ziff. 2 des Vertrages über die Lagerung von Eizellen/Embryonen auch ausgeführt, dass die Klin. das Konservierungsgut an einen Dritten zur Einlagerung weitergeben darf, falls sie selbst ihre Tätigkeit einstellen sollte. Das für die ärztliche Tätigkeit typischerweise vorhandene Vertrauensverhältnis zwischen Patient/in und Arzt/Ärztin spielt also für die Lagerung des Konservierungsgutes keine Rolle. Demgegenüber könnte – worauf es im vorliegenden Fall aber nicht ankommt – die Vorbereitung des Konservierungsgutes und der Einfriervorgang als solches noch als vom Vertrauensverhältnis geprägte ärztliche Leistungen einzustufen sein und daher auch § 9 Nr. 4 ESchG unterliegen.
73Dass die Klin. in ihren Verträgen über die Lagerung des Konservierungsgutes geregelt hat, dass die Lagerung durch einen Arzt oder unter Aufsicht und nach fachlicher Weisung eines Arztes erfolgt und dass dies auch im Falle der Beauftragung eines Dritten gilt, ist unerheblich. Insoweit handelt es sich um eine zivilrechtliche Regelung zwischen der Klin. und ihren Patienten/innen, die die ertragsteuerliche Einordnung nicht berührt.
74Außerdem zeigen diese gesonderten Verträge, dass die Klin. nach außen, im allgemeinen Rechtsverkehr gegenüber Patienten und Patientinnen, aufgetreten ist, und es sich nicht um Binnenumsätze zwischen der Klin. und dem Kinderwunschzentrum handelt.
75c) Auf die Frage, ob in Einzelfällen zuvor ein sozial freezing erfolgt ist, kommt es im Streitfall nach dem Vorgenannten nicht an.
76d) Der Senat setzt sich mit seiner Entscheidung ferner nicht in Wiederspruch zu der Entscheidung des BFH vom 29.07.2015 – XI R 23/13, BStBl II 2017, 733, die zu § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergangen ist. Der BFH hat dort den Begriff der Heilbehandlung richtlinienkonform weit ausgelegt. Dies beruht auf dem gesetzgeberischen Ziel dieser Befreiungsvorschrift, Heilbehandlungskosten zu senken.
77Dieses Ziel verfolgt das Ertragssteuerrecht nicht. Vorliegend ist ertragsteuerlich vielmehr eine Abgrenzung zwischen einer selbständigen und einer gewerblichen Tätigkeit vorzunehmen, die auf anderen Grundlagen beruht.
782. Ob der Bekl. die Bescheide für die Jahre 2010 und 2011 nach § 165 AO ändern durfte, weil der Vorläufigkeitsvermerk in den Bescheiden 2010 und 2011 rechtswidrig sein könnten, kann ebenso dahinstehen, da der Senat eine klageabweisende Entscheidung getroffen hat.
793. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
804. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Soweit für den Senat ersichtlich, ist die Frage, welcher Einkunftsart die reine Lagerung von zuvor kryokonservierten (eingefrorenen) Eizellen/Embryonen zuzuordnen ist, höchstrichterlich bisher noch nicht geklärt.