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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Streitig ist die Wahrung der Klagefrist.
4Die Klägerin wurde im Streitzeitraum mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommen-steuer veranlagt.
5Im Jahr 2019 führte der Beklagte bei der Klägerin für die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2016 eine Betriebsprüfung durch. Die Prüfungsanordnung vom 22.02.2019 wurde an Herrn Steuerberater L 1 als Empfangsbevollmächtigten der Klägerin übersandt. Mit Schreiben vom 05.03.2019 übersandte der Beklagte Herrn Steuerberater L 1 eine Zusammenstellung der Besprechungspunkte über die Betriebsprüfung bei der Klägerin. Mit Schreiben vom 14.05.2019 nahmen Herr Steuerberater L 1 sowie Herr Steuerfachwirt L 2 zu den Prüfungsfeststellungen Stellung. Die Betriebsprüfung endete mit Betriebsprüfungsbericht vom 01.10.2019. Ausweislich des Prüfungsberichts vom 01.10.2019 fungierte als steuerlicher Berater der Klägerin Herr L. Im Rahmen des Berichts traf der Betriebsprüfer die Feststellung, dass der Haltung von Pensionspferden die ertragsteuerliche Anerkennung als Erwerbsbetrieb zu versagen sei. Soweit die Steuerbescheide der Vergangenheit (2008 und 2009) vorläufig ergangen seien, seien die Verluste zu korrigieren. In Folge dieser Außenprüfung ergingen am 25.03.2020 geänderte Bescheide zur Einkommensteuer 2007 bis 2017, zur Umsatzsteuer 2014 bis 2016 sowie zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Verlusts zur Einkommensteuer zum 31.12.2008 bis 31.12.2017.
6Ausweislich eines in den Verwaltungsakten enthaltenen Vermerks vom 12.03.2020 legte der in den Grunddaten des Beklagten gespeicherte Steuerberater L 1 seine Kanzlei mit der Kanzlei O & A zusammen. Der Beklagte speicherte als Empfangsbevollmächtigte die O & A GmbH & Co.KG.
7Entsprechend wurden die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 2007 bis 2017, zur Umsatzsteuer 2014 bis 2016 sowie zur gesonderten Feststellung des vortragsfähi-gen Verlusts zur Einkommensteuer zum 31.12.2008 bis 31.12.2017 an die O & A GmbH & Co. KG als Empfangsbevollmächtigte der Klägerin übersandt.
8Mit Schreiben vom 30.04.2020 legten Herr A sowie Herr L 2 unter Verwendung eines Briefbogens der „O & A Wirtschaftsprüfer, Steuerberater“ namens und im Auftrag der Klägerin Einsprüche gegen die oben benannten Bescheide ein. Namens und im Auftrag des Ehemannes legten sie Einsprüche gegen die Einkommensteuer- und Verlustfeststellungsbescheide ein. Der Beklagte erinnerte mit Schreiben vom 05.05.2020 und 09.07.2020 an die Begründung der Einsprüche. Die Schreiben wurden an die O & A GmbH & Co.KG als Empfangsbevollmächtigte der Klägerin adressiert. Ausweislich eines in den Akten des Beklagten enthaltenen Telefonvermerks wurde telefonisch Fristverlängerung zunächst bis zum 28.08.2020 und sodann bis zum 11.09.2020 beantragt. Eine Begründung der Einsprüche erfolgte auch nach Fristablauf nicht.
9Mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom 30.09.2020 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin sowie des Ehemannes als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen wurden an die „O und A GmbH & Co.KG“ als Bevollmächtigte der Klägerin, bzw. als Bevollmächtigte des Ehemannes übersandt. Ausweislich der in den Verwaltungsakten vorhandenen Absendeverfügung erfolgte die Aufgabe zur Post am Mittwoch, den 30.09.2020. Mit Schreiben vom Freitag, dem 02.10.2020 teilte Herr Wirtschaftsprüfer und Steuerberater A mit, dass die Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen zugunsten der Klägerin sowie ihres Ehemannes erloschen sei. Die Einspruchsentscheidungen vom 30.09.2020 lagen dem Schreiben bei. Ausweislich der in den Akten vorhandenen Absendeverfügung gab der Beklagte eine an die Klägerin persönlich adressierte Ausfertigung der Einspruchsentscheidung am 08.10.2020 zur Post. Gleiches galt für eine an den Ehemann persönlich adressierte Ausfertigung der Einspruchsentscheidung.
10Am 05.11.2020 erteilte die Klägerin eine Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen zugunsten der Prozessbevollmächtigten.
11Mit E-Mail vom 03.12.2020 bat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten darum, ihm die Einspruchsentscheidung zukommen zu lassen. Die bisherigen Steuerberater O & A hätten bereits im Frühjahr das Mandat beendet. Es sei lediglich Einspruch eingelegt worden, dieser sei aber nicht begründet worden. Mit Schreiben vom 04.12.2020 übersandte der Beklagte die die Klägerin betreffende Ein-spruchsentscheidung vom 30.09.2020 an den Prozessbevollmächtigten.
12Mit ihrer am 04.01.2021 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin nunmehr gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2017, die Umsatzsteuerbescheide 2014 bis 2016 sowie gegen die Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Verlusts zur Einkommensteuer zum 31.12.2008 bis zum 31.12.2017 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020. Zur Begründung trägt die Klägerin in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor, die streitgegenständliche Einspruchsentscheidung persönlich nicht erhalten zu haben. Mitte 2019 sei es zur Mandatskündigung durch die Steuerberatergesellschaft O & A gekommen. Die Einspruchsentscheidungen seien erstmals gegenüber dem Prozessbevollmächtigten durch Zusendung am 07.12.2021 bekanntgegeben worden.
13Die Klägerin beantragt,
14Verluste in Höhe von X € für das Jahr 2008 sowie Verluste in Höhe von X € für das Jahr 2009 zu berücksichtigen sowie den Verlust des Jahres 2008 in das Jahr 2007 gem. § 10d Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zurückzutragen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung beruft er sich auf den Ablauf der Klagefrist. Die Einspruchsentschei-dung sei zunächst an die O & A GmbH & Co.KG und am 08.10.2020 an die Klägerin persönlich übersandt worden.
18II.
191. Die Klage ist unzulässig. Die am 04.01.2021 erhobene Klage wahrt die Klagefrist des § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht.
20a. Die Frist zur Klageerhebung beträgt gem. § 47 Abs. 1 FGO einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
21Gem. § 122 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Der Verwaltungsakt kann auch gegenüber dem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO). Ob gegenüber dem Bevollmächtigten bekannt-gegeben wird, entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (Seer, in Tipke/Kruse, AO, § 122 Rn. 41).
22aa. Vorliegend erfolgte die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 an die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft O & A. Die Bekanntgabe wirksam auch, da die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft O & A bevollmächtigt war, die Vollmacht nicht wirksam widerrufen wurde und die Entscheidung, an den Bevollmächtigten zuzustellen, sich im Rahmen einer sachgerechten Ermessensausübung hält.
23(a) Die Bevollmächtigung der Steuerberatergesellschaft O & A folgt aus§ 80 Abs. 1 AO i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 AO.
24Gem. § 80 Abs. 1 AO kann sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. EinWiderruf der Vollmacht wird der Finanzbehörde gegenüber erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Bei Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3 und 4 Nummer 11 des Steuerberatungsgesetzes, die für den Steuerpflichtigen handeln, wird eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung vermutet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 AO).
25Hier ist die Steuerberatungsgesellschaft O & A ausdrücklich für die Klägerin aufgetreten. Insbesondere haben Herr A sowie Herr L 2 mit Schreiben vom 30.04.2020 unter Verwendung eines Briefbogens der „O & A Wirtschaftsprüfer, Steuerberater“ namens und im Auftrag der Klägerin umfangreiche Einsprüche eingelegt und insoweit für die Klägerin gehandelt. Da es sich bei der O und A GmbH & Co.KG um eine Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatergesellschaft i. S. des § 3 Nr. 3 des Steuerberatungsgesetzes handelt, greift die Vermutung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO.
26Zweifel an der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung der Steuerberater und Wirt-schaftsprüfer O & A musste der Beklagte nicht haben. Dies gilt insbesondere, da ausweislich des in den Steuerakten befindlichen Vermerks dem Beklagten bekannt geworden war, dass der zuvor umfangreich für die Klägerin auftretende Steuerberater L 1 seine Kanzlei mit der O & A GmbH & Co.KG zusammengelegt hatte. Dies wurde durch den Umstand bestätig, dass das Einspruchsschreiben vom 30.04.2020 auch von Herrn L 2, welcher zuvor zusammen mit Herrn Steuerberater L 1 für die Klägerin tätig geworden war, unterzeichnet wurde.
27(b) Die Bevollmächtigung der Steuerberater O & A war im Zeitpunkt der Übersendung der Einspruchsentscheidung nicht wirksam widerrufen. Gem. § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird ein Widerruf der Vollmacht gegenüber der Finanzbehörde erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Ein entsprechender, vor Übersendung der Einspruchsentscheidung zugegangener Widerruf findet sich nicht in den Verwaltungsakten und wurde auch auf Aufforderung der Berichterstatterin von der Klägerin nicht vorgelegt.
28(c) Bei der Entscheidung des Beklagten, die Einspruchsentscheidung gegenüber dem Bevollmächtigten bekanntzugeben, sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde hinsichtlich der Bekanntgabe des Verwaltungsakts gegenüber dem Bevollmächtigten Ermessen ein. Das Gericht hat hinsichtlich der getroffenen Ermessensentscheidung jedoch nur das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind (§ 102 FGO). Dabei hat es lediglich festzustellen, ob die beklagte Behörde zu der von ihr gewählten Entscheidung kommen durfte, nicht aber, ob sie die gewählte Entscheidung treffen musste und ob eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 03.02.2004 - VII R 30/02, BFHE 204, 403; BStBl II 2004, 439, m.w.N.).
29Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die vom Beklagten getroffene Entscheidung nicht zu bemängeln. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Einspruch vorliegend durch den Bevollmächtigten eingelegt wurde. Denn die beklagte Behörde handelt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie die Einspruchsentscheidung an den Bevollmächtigten bekannt gibt, der den Einspruch eingelegt hat (vgl. BFH-Urteil vom 05.03.2014 - VIII R 51/12, BFH/NV 2014, 1010). Darüber hinaus beantragten die Steuerberater O & A zugunsten der Klägerin mehrfach telefonisch Fristverlängerung zur Begründung der Einsprüche, ohne auf eine etwaige Mandatsniederlegung hinzuweisen. Eine persönliche Vorsprache der Klägerin gegenüber dem Beklagten wurde weder vorgetragen noch ist eine solche im Rahmen des Einspruchsverfahrens ersichtlich. Der Beklagte konnte daher ohne Ermessensfehler von einem Fortbestand der Vollmacht ausgehen und damit wirksam dem Bevollmächtigten gegenüber bekanntgegeben. Dagegen wäre eine Entscheidung des Beklagten dahingehend, ohne weiteres von einem Erlöschen der Vollmacht auszugehen und trotz vorheriger Korrespondenz mit dem Bevollmächtigen an die Klägerin persönlich zuzustellen, nicht ermessensgerecht gewesen (vgl. BFH-Urteil vom 05.10.2000 - VII R 96/99, BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86).
30bb. Durch die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die Steuerberatungsgesellschaft O & A ist die Klagefrist am 06.10.2020 in Gang gesetzt worden und am 05.11.2020, vor Klageerhebung am 04.01.2021, abgelaufen.
31(a) Gem. § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).
32Ausweislich der in der Verwaltungsakte vorhandenen Absendeverfügung erfolgte die Aufgabe zur Post am 30.09.2020, sodass die Einspruchsentscheidung gem. § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am 05.10.2020 als bekanntgegeben gilt.
33(b) Der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die Steuerberatungs-gesellschaft O & A steht vorliegend nicht entgegen, dass der Beklagte nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post von dem Widerruf der Vollmacht zugunsten der O & A GmbH & Co.KG Kenntnis erlangt hat.
34Ausweislich der Rechtsprechung des BFH sind Verfahrenshandlungen der Finanz-behörde bis zum Zugang des Widerrufs bei der Finanzbehörde gegenüber dem bishe-rigen Bevollmächtigten wirksam (vgl. BFH-Urteil vom 14.11.2012 – II R 14/11, BFH/NV 2013, 693). Entsprechend kommt der Mitteilung des Widerrufs keine Rückwirkung zu. Die Mitteilung des Widerrufs nach Übersendung der Einspruchsentscheidung lässt die Rechtswirkungen der Bekanntgabe und damit auch den Lauf der Klagefrist vielmehr unberührt. Bei Zustellung eines Verwaltungsakts an den ehemaligen Bevollmächtigten hat dieser sicherzustellen, dass Rechtsbehelfsfristen von seinem früheren Mandanten gewahrt werden können. Hierzu muss er den Mandanten benachrichtigen. Die Rücksendung des Verwaltungsakts an das Finanzamt --unter Hinweis auf den Widerruf der Vollmacht-- ist insoweit nicht ausreichend (so auch Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 07.10.1993 - II 13/93, juris).
35Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass der Widerruf der Voll-macht innerhalb der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO beim Beklagten ein-gegangen ist.
36Die Regelung des § 122 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthält zugunsten sowie zuungunsten des Empfängers eines Verwaltungsaktes eine gesetzliche Fiktion dahingehend, dass der Verwaltungsakt erst am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Mit der Bekanntgabe wird der Verwaltungsakt wirksam (§ 124 AO). Die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes tritt mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ein. Bei vollziehbaren Verwaltungsakten löst die Bekanntgabe ihre Vollziehbarkeit aus (Müller-Franken, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 124 Rn. 19). Geht der Verwaltungsakt dem Adressaten nachweislich früher zu, können sich aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO Rechtwirkungen dennoch erst mit Ablauf der Frist ergeben (vgl. zum Lauf der Zinsen i. S. des § 233a AO, BFH-Urteil vom 13.12.2000 - X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274).
37Umgekehrt ist es dem Adressaten eines Verwaltungsaktes jedoch möglich, bereits vor Ablauf der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO Einspruch gegen den Verwaltungsakt einzulegen, sofern ihm der Verwaltungsakt nachweislich innerhalb der Drei-Tages-Fiktion zugegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.2002 - XI R 85/00, BFH/NV 2003, 585; Siegers, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 355 Rn. 19; Werth, in Gosch, AO, § 355 Rn. 14).
38Letztlich ist zu berücksichtigen, dass die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO für den Fall des späteren Zugangs des Verwaltungsaktes widerlegbar ist.
39Hieraus ergibt sich in der Gesamtschau, dass die Drei-Tages-Fiktion zwar maßgeblich für den Beginn der Einspruchsfrist ist und ein früherer Beginn der Einspruchsfrist auch dann ausscheidet, wenn der Verwaltungsakt vor Ablauf der Drei-Tages-Fiktion zugegangen ist. Voraussetzung für das Eingreifen der Drei-Tages-Fiktion ist dabei der Zugang des Verwaltungsaktes innerhalb der Drei-Tages-Fiktion. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Verwaltungsakt, sofern er innerhalb der Drei-Tages-Fiktion einmal so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser von ihm Kenntnis nehmen konnte, am Tag der fingierten Bekanntgabe, also am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, dem Adressaten tatsächlich vorliegt. Die Klagefrist beginnt vielmehr auch dann mit Ablauf des dritten Tages nach Aufgabe zur Post, wenn dem Empfänger der Verwaltungsakt innerhalb der Drei-Tages-Frist (nachweislich) zugegangen ist, er diesen aber noch innerhalb der Frist wieder aus seinem Machtbereich entfernt hat – sei es durch Rückübersendung an das Finanzamt oder schlicht durch Entsorgung. Der Empfänger kann sich insoweit nicht auf den Verlust des Verwaltungsaktes berufen, um den Lauf der Klagefrist zu verhindern. Der tatsächliche Zugang des Verwaltungsaktes und das Ende der Drei-Tages-Fiktion müssen nicht kumuliert zusammenfallen. Vielmehr genügt es, dass der Verwaltungsakt innerhalb der Drei-Tages-Fiktion so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser hiervon Kenntnis nehmen kann. Der Zugang des Verwaltungsaktes innerhalb der Drei-Tages-Fiktion löst sodann deren Wirkung aus. Wäre eine solche Trennung zwischen tatsächlichem Zugang und Eintritt der Fiktionswirkung nicht möglich, bestünde auch nicht die Option, bereits vor Ablauf der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wirksam Einspruch einzulegen zu können (so aber im BFH-Urteil vom 06.11.2002 - XI R 85/00, BFH/NV 2003, 585 geschehen).
40Darüber hinaus würde jede andere Auslegung dazu führen, dass der Steuerpflichtige die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes und damit auch den Lauf der Klagefrist beeinflussen könnte, indem er innerhalb der Drei-Tages-Fiktion zugegangene Verwaltungsakte an das Finanzamt zurück übersendet, in den Briefkasten des Finanzamtes wirft oder schlicht entsorgt. Dies kann von der Regelung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, die schlicht dazu dient, das Verwaltungsverfahren zu vereinfachen (Müller-Franken, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 122 Rn. 322), nicht gedeckt sein.
41Überträgt man diesen Gedanken auf den Fall der widerrufenen Vollmacht, kann hier nichts anderes gelten. Auch insofern kann es nicht in der Hand des Steuerpflichtigen liegen, den Lauf der Drei-Tages-Fiktion im Falle des einmal wirksam zugegangenen Verwaltungsaktes durch Rückübersendung des Verwaltungsaktes zu unterbrechen. Vielmehr muss darauf abgestellt werden, ob innerhalb der Drei-Tages-Fiktion ein wirksamer Zugang bei dem bis zum Zugang wirksam Bevollmächtigen erfolgt ist. Ist dies der Fall, beginnt die Klagefrist mit Ablauf der Drei-Tages-Fiktion (vgl. FG Brandenburg, Urteil vom 30.08.2000 – 2 K 779/97, EFG 2001, 154).
42Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO (vgl. Hoffmann, EFG 2001, 154). Gem. § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird ein Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Die Regelung dient der Rechtssicherheit (vgl. amtliche Begründung zum wortgleichen § 101 EAO 1974, BT-Drucks. VI/1982, 131). Die Behörde soll sich insoweit auf die erteilte Vollmacht verlassen können bis ihr der Widerruf der Vollmacht zugeht. Maßgeblich kann dabei nur der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung sein, hier also der Zeitpunkt der Aufgabe des Verwaltungsaktes zur Post. Liegt in diesem Zeitpunkt eine wirksame Vollmacht vor und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch zu, kann der Beginn der Klagefrist (mit Ablauf der Drei-Tages-Fiktion) nicht durch Widerruf der Vollmacht verhindert werden.
43b. Auf die Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Klägerin persönlich kommt es insofern nicht mehr an.
442. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
453. Die Revision wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und der Fortbildung des Rechts dient (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO). Soweit ersichtlich, ist die Frage, welche Wirkung dem Widerruf der Vollmacht innerhalb der Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO für den Lauf der Klagefrist zukommt, bisher nicht abschließend geklärt.