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Der Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 05.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.03.2020 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer auf 133.372,48 € festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 16 % und der Beklagte zu 84 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob die Klägerin für in 2004 geleistete Abschlagszahlungen als Leistungsempfängerin von Bauleistungen im Streitjahr 2006 nach § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG) die Umsatzsteuer (USt) schuldet.
3Bei der Klägerin handelt es sich um eine 199x gegründete GmbH. Alleiniger Gesellschafter war bis zu seinem Versterben Herr JN. Dieser war ab Gründung zunächst auch alleiniger Geschäftsführer. Später wurde zudem Frau KN zur Geschäftsführerin bestellt, welche seit dem Tod des Herrn JN sowohl alleinige Geschäftsführerin als auch alleinige Gesellschafterin der Klägerin ist (vgl. Bl. 17 der Gerichtsakte).
4Die Klägerin verpflichtete sich mit Vertrag vom 00.05.2003, als Generalunternehmerin einen Hotelkomplex zu erstellen. Die Klägerin beauftragte vor diesem Hintergrund mit einem Vertrag vom 00.12.2003 die … GmbH (später … GmbH; im Folgenden: B GmbH) mit der Durchführung der Bauarbeiten. Das Bauvorhaben umfasste sechs bauliche Leistungsbereiche: […]. Für diese Bereiche war die B GmbH jeweils mit der Errichtung des Rohbaus einschließlich der Haustechnik beauftragt. Die Arbeiten sollten bis zum 30.04.2006 abgeschlossen sein (vgl. § 2 des Vertrages). Für die vertraglich geschuldeten Leistungen der B GmbH war ein Pauschalpreis i.H.v. xx.000.000 € zzgl. Umsatzsteuer vereinbart (vgl. § 2 der Vertrages). Dieser Betrag war von der Klägerin in monatlichen Abschlagszahlungen jeweils netto i.H.v. x Mio. € (Dezember 2003), x bis x Mio. € (Januar 2004 bis März 2005), i.H.v. x Mio. € (April 2005 bis Februar 2006) und i.H.v. x Mio. € (März 2006) zu bezahlen (vgl. § 16 des Vertrages). Vertraglich war ferner eine förmliche Abnahme i.S.d. § 12 Nr. 4 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B (VOB/B) auf Anforderung des Auftragnehmers (B GmbH) innerhalb von 24 Werktagen nach Fertigstellung vereinbart (§ 12 des Vertrages). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 00.12.2003 Bezug genommen (Bl. 55 ff. der Gerichtsakte).
5Die erste Abschlagsrechnung vom 02.01.2004 (Re-Nr. x30) über 500.000,00 € zzgl. USt 80.000 € wurde von der Klägerin am 26.02.2004 bezahlt. Die zweite Abschlagsrechnung vom 31.01.2004 (Re-Nr. x31) über 4.100.000 € zzgl. USt 656.000,00 € wurde von der Klägerin in zwei Teilen am 11.03.2004 (brutto 1.000.000 €) und am 14.04.2004 (brutto 3.756.000 €) bezahlt. Die dritte Abschlagsrechnung vom 27.02.2004 (Re-Nr. x33) über 4.100.000,00 € zzgl. USt 656.000,00 € wurde am 27.05.2004 bezahlt. Die Summe der ersten drei Abschlagsrechnungen belief sich auf insgesamt 8.700.000 € zzgl. USt 1.392.000 €. Die in den drei Abschlagsrechnungen offen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde von der B GmbH gegenüber dem für sie zuständigen Finanzamt erklärt bzw. angemeldet. Die Klägerin zog die in den ersten drei Abschlagsrechnungen jeweils ausgewiesene Umsatzsteuer im Besteuerungszeitraum 2004 als Vorsteuern von der eigenen Umsatzsteuerschuld ab.
6Die B GmbH hat weitere Abschlagsrechnungen ebenfalls mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt, welche jedoch später noch vor Zahlung der Klägerin storniert und unter Hinweis auf § 13b UStG ohne ausgewiesene Umsatzsteuer erstellt wurden.
7Zwischen der Klägerin und der B GmbH kam es während der Bauphase zu Differenzen über die Frage, inwieweit die B GmbH ihre Leistungen mangelfrei erbracht habe sowie über Nachträge. Die Klägerin nahm in 2005 und 2006 mehrere einzelne Arbeiten der B GmbH ab (vgl. Protokolle, Bl. 66 ff. der Gerichtsakte), eine Gesamtabnahme wurde jedoch nicht durchgeführt. Erst im späteren zivilgerichtlichen Prozessvergleich einigten sich die Klägerin und die C GmbH, mit der die B GmbH verschmolzen worden ist, darauf, „dass das streitgegenständliche Bauvorhaben mit Ablauf des 27.03.2006 als abgenommen gilt“ (vgl. Bl. 46 der Gerichtsakte).
8Mit Schlussrechnung vom 30.08.2006 rechnete die B GmbH ihre Leistungen ab und setzte dabei u.a. die ersten drei Abschlagszahlungen der Klägerin i.H.v. netto 8.700.000 € ab. Die in den ersten drei Abschlagsrechnungen offen ausgewiesenen Umsatzsteuern i.H.v. 1.320.000 €, die von der Klägerin ebenfalls bezahlt worden waren, wurden in der Schlussrechnung nicht mitaufgeführt. In der Schlussrechnung wird darauf hingewiesen, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schlussrechnung Bezug genommen (Bl. 23 der Gerichtsakte). Die Schlussrechnung wurde von der Klägerin nicht bezahlt. Es folgte eine zivilrechtliche und -gerichtliche Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und der B GmbH/C GmbH.
9Mit Schreiben vom 04.06.2010 beantragte die B GmbH beim für sie zuständigen Finanzamt X die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2006 gem. § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO). Sie meinte, ihre steuerpflichtigen Umsätze seien um 8.700.000 € zu mindern, weil sie ihre ersten drei Abschlagsrechnungen über insgesamt 8.700.000 € zzgl. USt 1.392.000 € mit der Schlussrechnung vom 30.08.2006 storniert habe.
10Mit Schreiben an die Klägerin vom 08.11.2010 (Bl. 24 der Gerichtsakte) teilte die B GmbH mit, dass die ersten drei Abschlagsrechnungen fehlerhaft gewesen seien und sie die darin ausgewiesene und von der Klägerin gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 1.392.000 € gegenüber der Klägerin schulden würde. Gleichzeitig erklärte die B GmbH die Aufrechnung mit noch offenen Werklohnforderungen gegen die Forderung der Klägerin auf Rückzahlung der Umsatzsteuer.
11Die Klägerin meldete die Umsatzsteuer 2006 am 04.03.2008 mit einem (zu erstattenden) „Rotbetrag“ i.H.v. 84.558,55 € an und der Beklagte stimmte der eingereichten Umsatzsteuererklärung am 28.07.2008 zu (vgl. Bl. 15 der Umsatzsteuerakte „Extra-Band“ 2006). Nachdem jedoch die für 2006 festgesetzte Umsatzsteuer der B GmbH vom Finanzamt X antragsgemäß geändert worden ist, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 05.04.2011 die Umsatzsteuer 2006 für die Klägerin. Er erhöhte die steuerpflichtigen Umsätze gemäß § 13b UStG um netto 8.700.000 € und setzte die Umsatzsteuer 2006 auf insgesamt 1.307.441,33 € fest. Dagegen legte die Klägerin am 09.05.2011 (Montag) Einspruch ein und beantragte hinsichtlich des angefochtenen Bescheides die Aussetzung der Vollziehung. Nachdem der Beklagte im laufenden Einspruchsverfahren die begehrte Aussetzung der Vollziehung nur unter der aufschiebenden Bedingung einer Sicherheitsleistung gewährt hatte, stellte die Klägerin einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung, den sie wie folgt begründete: Sie meinte, die ersten drei Abschlagsrechnungen hätten nicht korrigiert werden dürfen, denn die Beteiligten des Werksvertrags hätten insoweit von der Übergangsregelung nach den Tz. 26 f. im BMF-Schreiben vom 31.03.2004 (BStBl I 2004, 453) Gebrauch gemacht. Die Abschlagsrechnungen seien durch die Schlussrechnung vom 30.08.2006 auch nicht korrigiert worden. Aus der Schlussrechnung sei nicht erkennbar, ob und welche Abschlussrechnungen korrigiert werden sollten. Die angeblich zu korrigierenden Abschlagsrechnungen seien weder mit Datum noch mit Rechnungsnummer noch anders konkretisiert worden. Das in den Steuerakten befindliche weitere Blatt „Aufstellung Abschlagszahlungen […]“ sei nur eine interne Unterlage der B GmbH. Die Schlussrechnung nehme auf diese Anlage nicht Bezug. Der B GmbH habe im Zeitpunkt der Schlussrechnung der Berichtigungswille gefehlt, denn ansonsten wäre der Umsatz der B GmbH im zeitlichen Zusammenhang mit der Schlussrechnung berichtigt worden. Es hätten auch nicht die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Abschlagsrechnungen vorgelegen, denn diese seien nicht falsch gewesen. Eine Rechnungsberichtigung verstoße außerdem gegen Treu und Glauben, weil die Vertragsparteien die Anwendung der o.g. Übergangsregelung vereinbart hätten. Eine Rechnungsberichtigung, die trotz eines Anspruchs des Rechnungsempfängers auf Rechnungsstellung mit offenem Umsatzsteuerausweis erfolge, sei unbeachtlich. Letztlich habe die B GmbH den Umsatzsteuerbetrag auch nicht an die Klägerin zurückgezahlt, sondern mit einer von der Klägerin bestrittenen Verbindlichkeit aufgerechnet.
12Der Aussetzungsantrag der Klägerin wurde mit Beschluss des erkennenden Senates vom 15.09.2011 (5 V 2035/11) abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen (rote Akte "Gerichtsakte AdV-Verfahren", Bl. 150 ff.).
13Im Anschluss ließ der Beklagte das Einspruchsverfahren zunächst nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO mit Zustimmung der Klägerin ruhen. Es sollte die Entscheidung des Landgerichts P über eine zivilrechtliche Klage der Klägerin gegen die B GmbH/C GmbH abgewartet werden. Mit dieser begehrte die Klägerin von der B GmbH Mängelbeseitigung, Schadensersatz und Rückgewähr von geleisteten Überzahlungen. Für den Fall eines Klageerfolgs habe die Klägerin angekündigt, die festgesetzte Umsatzsteuer zu bezahlen und den Einspruch zurückzunehmen. Der Beklagte setzte zudem im Hinblick auf den noch offenen Umsatzsteuerbetrag den Bescheid für 2006 ohne Sicherheitsleistung von der Vollziehung aus, um die Liquidität der Klägerin und die Erfolgsaussichten der zivilrechtlichen Klage nicht zu gefährden. Ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit der festgesetzten Umsatzsteuer hätten hingegen nicht bestanden.
14Nachdem das zivilrechtliche Klageverfahren mit einem Prozessvergleich beendet worden ist, setzte der Beklagte das Einspruchsverfahren fort und forderte die Klägerin zur Zahlung des noch offenen Umsatzsteuerbetrages 2006 und zur Rücknahme des Einspruchs auf. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach und bat den Beklagten um Erlass einer Einspruchsentscheidung.
15Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 30.03.2020 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin schulde nach § 13b UStG die mit Änderungsbescheid vom 05.04.2011 um 1.392.000 € erhöhte Umsatzsteuer. Sie könne sich nicht auf die Tz. 26 f. im BMF-Schreiben vom 31.03.2004 (BStBl I 2004, 453) berufen, da sich die Klägerin als Leistungsempfängerin und Steuerschuldnerin und die B GmbH als leistende Unternehmerin nicht einig gewesen seien, die B GmbH weiterhin (in materiell-rechtlicher Hinsicht unzutreffend) als Steuerschuldnerin zu behandeln. Allein der Umstand, dass der Änderungsantrag der B GmbH schon früher hätte gestellt werden können, sei kein hinreichendes Indiz für einen fehlenden Willen der B GmbH, die zunächst mit offenem Umsatzsteuerausweis ausgestellten Abschlagsrechnungen zu korrigieren. Die Steuer sei auch zutreffend erst für 2006 festgesetzt worden, da in den Abschlagsrechnungen der nach § 14a Abs. 5 UStG vorgesehene Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfänger gefehlt habe. Die von der Klägerin geschuldete Umsatzsteuer sei daher erst mit Leistungserbringung, also mit Fertigstellung des beauftragten Werkes in 2006 entstanden. Bei der Festsetzung für 2006 sei auch nicht der Vorsteuerabzug rechtswidrig versagt worden, da die Klägerin diesen bereits bei Leistung der Anzahlungen im Jahr 2004 in Anspruch genommen habe. Die Finanzverwaltung habe sich auch nicht von der B GmbH „vor den Karren spannen lassen“, sondern die gesetzlichen Vorgaben angewendet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen (Bl. 7 ff. der Gerichtsakte).
16Mit ihrer am 28.04.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
17Sie trägt vor, dass es zunächst unrichtig sei, dass sie für den Fall eines Erfolgs der zivilrechtlichen Klage gegen die B GmbH gegenüber dem Beklagten in Aussicht gestellt habe, den Einspruch zurückzunehmen.
18Die Umsatzsteuerfestsetzung 2006 sei weiterhin in Höhe der in den ersten drei Abschlagsrechnungen offen ausgewiesenen Umsatzsteuer von 1.392.000 € aus den folgenden Gründen rechtswidrig:
19Die ohne Umsatzsteuerausweis erteilte Schlussrechnung der B GmbH vom 30.08.2006 (Bl. 23 der Gerichtsakte) entspreche nicht den formellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnungsberichtigung und sei daher unwirksam. Daran ändere auch das an die Klägerin gerichtete Schreiben der B GmbH vom 08.11.2010 nichts (Bl. 24 der Gerichtsakte). In diesem erkläre die B GmbH die Aufrechnung gegen eine der Klägerin zustehenden Forderung auf Rückgewähr der von der Klägerin an die B GmbH gezahlten Umsatzsteuern. Die in dem Schreiben benannte Anlage zur erteilten Schlussrechnung sei der Klägerin entgegen der Behauptung der B GmbH nie zugegangen. Schließlich erfordere nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 16.05.2018, XI R 28/16) eine wirksame Rechnungsberichtigung, dass der berichtigende Rechnungsaussteller den mit der Gegenleistung vereinnahmten Umsatzsteuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahle. Diese Voraussetzung liege nicht vor, da die B GmbH den gegenüber der Klägerin geschuldeten Umsatzsteuerbetrag nicht zurückgezahlt habe. Die Aufrechnung der B GmbH mit einer bestrittenen Werklohnforderung sei auch nicht einer Zahlung gleichzusetzen. Zudem sei die Aufrechnung wie auch eine mögliche Rückzahlung im Zusammenhang mit dem erzielten Vergleich im zivilrechtlichen Verfahren erst nach dem Streitjahr erfolgt und daher für die Frage der streitgegenständlichen Umsatzsteuerfestsetzung irrelevant.
20Die B GmbH habe die Leistungen, für welche die Klägerin die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde, nicht im Streitjahr, sondern entweder in 2005 oder in 2019 erbracht. So sei das Hotel bereits in 2005 in Betrieb genommen worden und damit der Klägerin zwangsläufig bereits zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsmacht daran verschafft worden. Soweit auf die Gesamtabnahme abgestellt werde, sei diese erst im Rahmen des in 2019 geschlossenen Prozessvergleichs erfolgt. Auf den vergleichsweise bestimmten Abnahmezeitpunkt am 27.03.2006 könne hingegen nicht abgestellt werden, da es sich insoweit nur um ein Kompromissergebnis handeln würde. Die Ausstellung der Schlussrechnung sei ebenfalls nicht zur Bestimmung des Leistungszeitpunktes geeignet. Letztendlich könne aber der Zeitpunkt der Leistungserbringung aus den vorgenannten und nachfolgenden Gründen dahinstehen.
21Der Festsetzung der Umsatzsteuer gegen die Klägerin im Hinblick auf die zunächst mit offenen Umsatzsteuerausweis abgerechneten Abschlagszahlungen stehe die im BMF-Schreiben vom 31.03.2004 vorgesehene Regelung entgegen. Nach dieser Regelung sei es nicht zu beanstanden, wenn der leistende Unternehmer und der Leistungsempfänger einvernehmlich § 13b UStG nicht anwenden, sondern stattdessen den leistenden Unternehmer als Schuldner der Umsatzsteuer behandeln würden. Dieses Einvernehmen habe zwischen der B GmbH und der Klägerin zumindest im Hinblick auf die ersten drei Abschlagszahlungen fortbestanden. Denn andernfalls hätte die B GmbH in ihrer Schlussrechnung nicht nur den Nettobetrag von 8.700.000 €, sondern den Bruttobetrag von 10.092.000 € als Anzahlung behandeln müssen. Daher spreche die Schlussrechnung, obwohl sie ohne Umsatzsteuerausweis ausgestellt und der Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG aufgenommen worden sei, nicht gegen ein Einvernehmen im Hinblick auf die Behandlung der B GmbH als Steuerschuldnerin für die Umsatzsteuer nach den ersten drei Abschlagsrechnungen. Ferner könne allein aus einer widersprüchlichen Schlussrechnung keine Umkehr der Steuerschuldnerschaft gefolgert werden. Die Behandlung der B GmbH als Steuerschuldnerin stehe auch im Einklang mit dem BMF-Schreiben vom 31.03.2004. Schließlich folge aus dem Umstand, dass die B GmbH erst in 2010 und damit vier Jahre nach Erstellung der Schlussrechnung die Anwendung des § 13b UStG auf die ersten drei Abschlagsrechnungen beantragt habe, dass die B GmbH zum Zeitpunkt der Schlussrechnung noch mit ihrer bisherigen Behandlung als Steuerschuldnerin für die ersten drei Abschlagsrechnungen einverstanden gewesen sei. So zeige auch das Schreiben der B GmbH vom 08.11.2010, dass sich die B GmbH erst zu diesem Zeitpunkt über die Anwendung des § 13b UStG auf die ersten drei Abschlagsrechnungen Gedanken gemacht habe. Soweit in dem Schreiben vom 8.11.2010 eine Korrektur der Schlussrechnung vom 30.08.2006 gesehen werde sollte, wäre dann erst in 2010 die Regelung des § 13b UStG auf die ersten drei Abschlagszahlungen anzuwenden und nicht bereits im Streitjahr.
22Nach den Regelungen im BMF-Schreiben vom 31.03.2004 sei es auch nicht möglich, ein einmal getroffenes Einvernehmen einseitig aufzukündigen. Mit der einseitigen Aufkündigung des bisher gelebten Einvernehmens durch die B GmbH sei die Klägerin natürlich auch nicht einverstanden gewesen.
23Die von der B GmbH als leistende Unternehmerin geschuldete Umsatzsteuer auf die Anzahlungen sei wegen der Regelungen im BMF-Schreiben vom 31.03.2004 bei Zahlung durch die Klägerin nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 4 UStG im Jahr 2004 entstanden. Wegen dieses abschließenden Tatbestandes der Steuerentstehung könne es nicht später zu einer Umkehr der Steuerschuldnerschaft kommen. Ferner müssten Vorsteuer und Umsatzsteuer gleichzeitig entstehen.
24Darüber hinaus seien unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 18.05.2018 bzw. der damit getroffenen Regelung in Abschnitt 13b.12 Abs. 3 Sätze 3 und 4 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) sowie des dieser Regelung zugrundeliegenden BFH-Urteils die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinnahmung einer Anzahlung für die umsatzsteuerliche Beurteilung maßgeblich. Zum Zeitpunkt der ersten drei Abschlagszahlungen habe jedoch zwischen der Klägerin und der B GmbH, wie das BMF-Schreiben vom 31.03.2004 es voraussetze, dahingehend Einigkeit bestanden, dass die B GmbH als leistende Unternehmerin Schuldnerin der Umsatzsteuer sei.
25Schließlich stünde eine Steuerschuld der Klägerin im Widerspruch zur gebotenen Neutralität der Umsatzsteuer. Denn danach sei, wie der BFH in seinem Urteil vom 16.05.2018 (XI R 28/16) auch entschieden habe, Voraussetzung, dass die Klägerin die mit dem in Rechnung gestellten Bruttopreis an die B GmbH gezahlte Umsatzsteuer von der B GmbH zurückerhalte. Zwar habe die B GmbH die Forderung der Klägerin auf Rückzahlung anerkannt, gegen diese Forderung jedoch mit einer eigenen Forderung, welche von der Klägerin bestritten worden sei, aufgerechnet. Daher sei die Aufrechnung durch die B GmbH nicht mit einer Zahlung gleichzusetzen. Wäre die B GmbH insolvent geworden, so wäre die Forderung ausgefallen. Damit sei der Klägerin auch im zivilrechtlichen Klageverfahren gedroht worden, wodurch möglicherweise die Klägerin ein schlechteres Ergebnis in den Verhandlungen um einen Vergleich mit der B GmbH erzielt habe als in einer Situation möglich gewesen wäre, wenn nicht eine noch offene, unstreitige Forderung gegen die B GmbH i.H.v. 1.392.000 € bestanden hätte. Dies ließe sich aber nicht nachweisen.
26Die Klägerin beantragt,
27den Bescheid für 2006 über Umsatzsteuer vom 05.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.03.2020 dahingehend abzuändern, dass die Bauleistungen eines im Inland ansässigen Unternehmers (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG) um 8.700.000 € reduziert werden,
28hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Er nimmt Bezug auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Klägerin bereits in einem Gespräch vom 06.06.2012 mitgeteilt habe, dass es bei einem zivilrechtlichen Klageerfolg gegen die B GmbH möglich wäre, die Umsatzsteuer 2006 zu bezahlen und den Einspruch zurückzunehmen.
32Die Sache ist am 17.06.2021 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen. Die Gerichtsakte zum Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (5 V 2035/11 U) ist beigezogen worden.
33E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
34I. Die Klage hat überwiegend Erfolg.
35Der Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 05.04.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.03.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Die Klägerin schuldet im Streitjahr nur im Hinblick auf die vor dem 01.04.2004, und zwar am 26.02.2004 und am 11.03.2004 geleisteten streitgegenständlichen Abschlagszahlungen i.H.v. insgesamt 1.580.000 € (brutto) die Umsatzsteuer für die von der B GmbH ausgeführten Leistungen. Im Hinblick auf die nach dem 01.04.2004, und zwar am 14.04.2004 und am 27.05.2004 geleisteten Abschlagszahlungen i.H.v. 8.512.000 € (brutto), schuldet die Klägerin zwar ebenfalls als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer. Der maßgebliche Besteuerungszeitraum ist jedoch nicht das Streitjahr, sondern das Jahr 2004.
361. Die Klägerin schuldet für die von der B GmbH ausgeführten Leistungen grundsätzlich als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer gemäß § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung.
37a) § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG trat mit Wirkung zum 01.04.2004 in Kraft (vgl. Art. 14 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom 29.12.2003, BGBl I 3076, 3086; BMF-Schreiben vom 31.03.2004, IV D 1-S 7279-107/04, BStBl I 2004, 453; hierzu Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Langer, § 13b Rn. 5 f.). Danach entsteht für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen, die Steuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats. Nach § 13b Abs. 2 UStG schuldet grundsätzlich der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, wenn er Unternehmer ist. Die vorgenannten Regelungen sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG auf Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 UStG anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden.
38b) Danach schuldet die Klägerin für die von der B GmbH bezogene Leistung als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer. Bei den im Vertrag vom 00.12.2003 vereinbarten Leistungen handelt es sich um die Herstellung eines Bauwerks, da die Klägerin die B GmbH mit der Errichtung des Rohbaus inklusive Haustechnik für einen Hotelkomplex beauftragt hat, zu deren Fertigstellung sich die Klägerin wiederum selbst gegenüber einem anderen Auftraggeber verpflichtet hatte.
39Die B GmbH hat ihre Leistungen auch erst nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung des § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG ausgeführt. Zwar hat die B GmbH bereits vor dem 01.04.2004 mit den werkvertraglich geschuldeten Arbeiten begonnen, diese aber nicht bis zu diesem Zeitpunkt ausgeführt. Es besteht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit, dass die B GmbH ihre vertraglich geschuldete Leistung zumindest erst nach dem 01.04.2004 ausgeführt hat, so dass insoweit von weiteren Ausführungen abgesehen wird.
402. Die von der Klägerin nach § 13b UStG für die von ihr am 14.04.2004 und am 27.05.2004 geleisteten Abschlagszahlungen i.H.v. insgesamt 8.512.000 € (brutto) geschuldete Umsatzsteuer ist nach § 13b Abs. 1 Satz 3 UStG bereits im Jahr 2004 entstanden. Eine spätere Berichtigung nach § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG im Zeitpunkt der Leistungsausführung ist hingegen nicht vorzunehmen.
41a) Für Bauleistungen i.S.d. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 UStG entsteht die vom Leistungsempfänger geschuldete Umsatzsteuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats. Davon abweichend (vgl. Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rn. 21) entsteht nach § 13b Abs. 1 Satz 3 UStG bei der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts in den in den § 13b Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG genannten Fällen die Steuer bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
42Die Umsatzsteuern für die von der Klägerin am 14.04.2004 und am 27.05.2004 geleisteten Zahlungen sind danach mit Ablauf der Voranmeldungszeiträume April 2004 und Mai 2005 entstanden (vgl. zum Abstellen auf den Zahlungszeitpunkt zur Bestimmung des Vereinnahmungszeitpunktes Abschn. 13b.12 Abs. 3 Satz 2 UStAE). Auf das Vorliegen einer (Abschlags‑)Rechnung kommt es danach für die Entstehung der Umsatzsteuer nicht an.
43b) Die Umsatzsteuer ist nicht bereits nach § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG mit Ausstellung der ersten drei Abschlagsrechnungen vom 02.01.2004 (Re-Nr. x30), vom 31.01.2004 (Re-Nr. x31) und vom 27.02.2004 entstanden, denn zu diesem Zeitpunkt war § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG noch nicht in Kraft getreten. Zudem enthielten die Abschlagsrechnungen (zum Ausstellungszeitpunkt richtigerweise) keinen Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers und die Umsatzsteuer war offen ausgewiesen, so dass es sich dabei nicht um eine die Steuerschuld des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 1 UStG auslösende Rechnung handelt (vgl. insoweit auch FG Münster, Beschluss vom 15.09.2011, 5 V 2035/11, S. 7).
44c) Änderungen des Umsatzsteuergesetzes sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG auf Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 UStG anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden. Das gilt für Lieferungen und sonstige Leistungen auch insoweit, als die Steuer dafür nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4, Buchst. b UStG vor dem Inkrafttreten der Änderungsvorschrift entstanden ist. Die Berechnung dieser Steuer ist für den Voranmeldungszeitraum zu berichtigen, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt wird. Diese Regelung betrifft die Fälle, in denen das Entgelt, die Anzahlungen oder Vorauszahlungen vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung gezahlt wurden, der Umsatz (Lieferung, sonstige Leistung, innergemeinschaftlicher Erwerb) aber erst nach dem Wirksamwerden der Gesetzesänderung ausgeführt wird (BFH, Urteil vom 05.09.2019, V R 38/17, BFH/NV 2020, 168; Heuermann in: Sölch/Ringleb, UStG § 27 Rn. 1).
45Die Berichtigungsregelung des § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG findet danach auf die am 14.04.2004 und am 27.05.2004 geleisteten Abschlagszahlungen keine Anwendung, da es sich dabei nicht um Anzahlungen vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung handelt. Zum Zeitpunkt der beiden Zahlungen war die Regelung zur Steuerschuld des Leistungsempfängers bei Bauleistungen nach § 13b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UStG bereits in Kraft getreten.
463. Die von der Klägerin nach § 13b UStG für die von ihr am 26.02.2004 und am 11.03.2004 geleisteten Abschlagszahlungen i.H.v. 1.580.000 € (brutto) geschuldete Umsatzsteuer ist unter Berücksichtigung der oben unter 2. genannten Grundsätze nach § 13b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3 UStG im Streitjahr festzusetzen.
47a) Die Umsatzsteuer ist hinsichtlich dieser Anzahlungen nicht bereits nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 UStG in 2004 entstanden. Denn zum Zeitpunkt der beiden Zahlungen war diese gesetzliche Regelung noch nicht in Kraft getreten.
48b) Die Steuerschuld der Klägerin ist jedoch nach § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3 UStG im Streitjahr entstanden, da in dem Jahr die B GmbH ihre nach dem Werkvertrag vom 00.12.2003 geschuldete Leistung ausgeführt hat.
49aa) Hat der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen und verwendet er hierbei Stoffe, die er selbst beschafft, so ist nach § 3 Abs. 4 UStG die Leistung als Lieferung anzusehen (Werklieferung), wenn es sich bei den Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt.
50Im Regelfall ist eine Leistung ausgeführt, wenn die vertraglich geschuldete Leistung erbracht ist. Bei der Lieferung bzw. Werklieferung ist dies der Zeitpunkt, zu dem am (fertigen) Liefergegenstand dem Leistungsempfänger die Verfügungsmacht verschafft worden ist (BFH, Urteil vom 26.02.1976, V R 132/73, BStBl II 1976, 309). Wird jedoch (aus der Sicht des ursprünglichen Vertrages) das Werk nicht fertiggestellt und ist eine Vollendung des Werkes durch den Werkunternehmer nicht mehr vorgesehen, muss sich der Eintritt der Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG) nach dem neu bestimmten Leistungsgegenstand richten (BFH, Urteil vom 28.02.1980, V R 90/75, BStBl II 1980, 535-538, Rn. 19).
51bb) Die B GmbH erbrachte an die Klägerin eine Werklieferung, denn die Errichtung des Rohbaus einschließlich der Elektroinstallation erfolgte mit von der B GmbH selbst beschafften Materialien. Mit Stellung der Schlussrechnung hat die B GmbH ihre vertraglich geschuldete Leistung als erfüllt und das von ihr zu errichtende Werk als fertiggestellt angesehen.
52Die B GmbH hat entgegen der Ansicht der Klägerin ihre werkvertraglich geschuldete Leistung nicht bereits in 2005 erbracht. Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die Klägerin bereits in 2005 einen Teil der von der B GmbH errichteten Werke für sich verwenden konnte oder nicht. Nach dem Werkvertrag schuldete die B GmbH die Gesamtheit der darin beschriebenen Leistungen bis zum 30.04.2006 (§ 2 des Vertrages). Teilleistungen waren hingegen nicht vereinbart worden. Für alle Leistungen war ein einheitlicher Pauschalpreis vereinbart worden, welcher nicht nach konkretem Baufortschritt oder zwischenzeitlichen Abnahmen, sondern nach Zeitablauf anteilig monatlich zu zahlen war. Anhand der von der Klägerin vorgelegten Abnahmeprotokolle und den darin aufgeführten und von der B GmbH zu behebenden Mängeln aus den Jahren 2005 und 2006 (vgl. Bl. 66 ff. der Gerichtsakte) ist auch ersichtlich, dass die Klägerin selbst die von der B GmbH vertraglich geschuldete Leistung im Jahr 2005 noch nicht als vollständig erfüllt angesehen hat.
53Für eine Leistungserbringung im Streitjahr spricht auch die im zivilgerichtlichen Verfahren erzielte Einigung mit der B GmbH/C GmbH dahingehend, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben mit Ablauf des 27.03.2006 als abgenommen gilt.
54c) Ein späterer Entstehungszeitpunkt als das Streitjahr kommt wegen der am 30.08.2006 erstellten Schlussrechnung unter Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG nicht in Betracht. Zwar stellt § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG für die Berichtigung der nach alter Rechtslage geltenden Steuerschuld der B GmbH für die vor dem 01.04.2004 erhaltenen Abschlagszahlungen darauf ab, dass die entsprechende Leistung nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung (hier § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG) ausgeführt worden ist. Da aber § 13b Abs. 1 UStG für die Entstehung der Umsatzsteuer alternativ auch auf die Rechnungstellung abstellt, führt aus Sicht des erkennenden Senates die Erstellung der Rechnung ebenso wie die Ausführung der Leistung zu einer Berichtigung nach § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG.
554. Die Einwände der Klägerin stehen der sich nach den vorgenannten Ausführungen unter Anwendung der gesetzlichen Vorgaben für das Streitjahr ergebenden Steuerschuld im Hinblick auf die vor dem 01.04.2004 geleisteten Abschlagszahlungen nicht entgegen.
56a) Die Berichtigung der vor der Gesetzesänderung zum 01.04.2004 maßgeblichen steuerlichen Behandlung einer Anzahlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3 UStG setzt weder bestimmte formelle Voraussetzungen für eine berichtigte Rechnung noch eine Rückzahlung des zuvor vereinnahmten Umsatzsteuerbetrages voraus. Die von der Klägerin insoweit zitierte BFH-Rechtsprechung betrifft die Voraussetzungen einer Rechnungsberichtigung für den Rechnungsaussteller nach § 14c UStG. Solche Voraussetzungen sind zudem nicht in dem BMF-Schreiben vom 31.03.2004 genannt.
57b) Der Beklagte war auch nicht durch die verwaltungsinternen Vorgaben des BMF-Schreibens vom 31.03.2004 an einer Berichtigung der Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr gehindert.
58Nach dem von der Klägerin zitierten BMF-Schreiben war grundsätzlich nur im Fall des Einvernehmens zwischen leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger über eine von den gesetzlichen Vorgaben nach § 13b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UStG abweichende (Weiter-)Behandlung des leistenden Unternehmers als Steuerschuldner davon abzusehen, den Leistungsempfänger als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen.
59Ein solches Einvernehmen bestand nicht, da die B GmbH bei dem für sie zuständigen Finanzamt beantragt hat, die bisherige gesetzeswidrige Inanspruchnahme als Steuerschuldnerin zu beseitigen. Dementsprechend hatte die B GmbH bereits zuvor am 30.08.2006 den gesamten Pauschalpreis von xx.000.000 € ohne Ausweis von Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Hätte die B GmbH im Hinblick auf die vor dem 01.04.2004 getätigten Anzahlungen an ihrer bisherigen Behandlung als Steuerschuldnerin festhalten wollen, hätte es nahegelegen, die entsprechende Umsatzsteuer auch in der Schlussrechnung auszuweisen.
60c) Das BMF-Schreiben vom 31.03.2004 setzte auch nicht voraus, dass der Leistungsempfänger der berichtigenden Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben nach § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG zugestimmt hat. Das in dem BMF-Schreiben vorausgesetzte Einverständnis fehlt bereits dann, wenn entweder der leistende Unternehmer oder der Leistungsempfänger mit der bisherigen Behandlung des leistenden Unternehmers als Steuerschuldner, welche nicht mit den gesetzlichen Vorgaben zum Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungsausführung übereinstimmt, nicht einverstanden ist. Insbesondere ist eine verwaltungsinterne Regelung nicht geeignet, die gesetzmäßige umsatzsteuerliche Behandlung des leistenden Unternehmers von der Zustimmung des Leistungsempfängers abhängig zu machen.
61d) Die Umsatzsteuer für die am 26.02.2004 und am 11.03.2004 geleisteten Abschlagszahlungen ist auch nicht nach § 13a Abs. 1 Satz 4 UStG i.V.m. dem BMF-Schreiben vom 31.03.2004 unveränderlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Vereinnahmung durch den leistenden Unternehmer entstanden. Für den Fall, dass es zeitlich nach einer geleisteten Anzahlung zu einer Änderung des Umsatzsteuergesetzes kommt, welche die spätere Leistung betrifft, auf welche sich die Anzahlung bezieht, sieht die Regelung des § 27 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG als Rechtsfolge vor, dass die ursprüngliche umsatzsteuerliche Behandlung der Anzahlung entsprechend der geänderten Rechtslage berichtigt wird. Diese spezielle Regelung zugunsten eines Geltungsvorrangs des geänderten Gesetzes kann nicht durch ein BMF-Schreiben mit gesetzesgleicher Wirkung geändert werden. Es widerspräche bereits dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wenn ein BMF-Schreiben eine von der Gesetzeslage abweichende Entstehung der Umsatzsteuer (materiell-rechtlich) bewirken könnte.
62e) Die Entstehung der Steuerschuld im Streitjahr im Hinblick auf die bereits vor dem 01.04.2004 geleisteten Abschlagszahlungen verstößt nicht, wie die Klägerin meint, gegen das Neutralitätsprinzip.
63Das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder gezahlt wurde, ist ein fundamentaler Grundsatz des durch die Rechtsvorschriften der Europäischen Union geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das unionsrechtlich harmonisierte Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (EuGH, Urteil vom 14.6.2017, C-38/16, Compass Contract Services, UR 2017, 602, Rn. 33 ff. m.w.N.).
64Die Klägerin konnte die Umsatzsteuer, welche sie wegen der Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG im Streitjahr für die vor dem 01.04.2004 geleisteten Anzahlungen schuldet, von ihrer eigenen Umsatzsteuerschuld für das Besteuerungsjahr 2004 abziehen. Die nach § 13b Abs. 1 UStG vorgesehene Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers lässt dessen Berechtigung zum Vorsteuerabzug unberührt. Eine Berichtigung nach § 27 Abs. 1 UStG dahingehend, dass der Vorsteuerabzug der Klägerin für 2004 nachträglich versagt und erst in 2006 im Zeitpunkt der Leistungsausführung wiederum gewährt wird, ist insoweit nicht erforderlich und widerspräche dem Grundsatz des Sofortabzugs der Vorsteuer (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 08.06.2000, C-396/98, Schloßstraße, BStBl II 2003, 446, Rn. 36 f.; Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 Rn. 38 ff.). Im Übrigen ist in § 15 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 UStG geregelt, dass der Vorsteuerabzug in Fällen der Zahlung vor Leistungsausführung für das Zahlungsjahr zu berücksichtigen ist.
65Die Klägerin ist auch nicht dadurch belastet worden, dass sie mit den bereits vor dem 01.04.2004 geleisteten Abschlägen an die B GmbH Umsatzsteuer bezahlt hat. Denn der zivilrechtliche Rückforderungsanspruch wurde von der B GmbH anerkannt und im Rahmen der gerichtlichen Einigung ungekürzt berücksichtigt. Eine verbleibende wirtschaftliche Belastung ist von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Sie hat lediglich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sich wegen der Forderung auf Rückzahlung der geleisteten Umsatzsteuer ihre Verhandlungsposition im zivilrechtlichen Gerichtsverfahren verschlechtert haben könnte. Nachweisen konnte sie dies jedoch nicht. Darüber hinaus wäre der Einwand, dass die Klägerin ihren zivilrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung von zuvor zu Unrecht an den leistenden Unternehmer gezahlter Umsatzsteuer nicht habe durchsetzen können, nach der Rechtsprechung des BFH in einem Billigkeitsverfahren gegenüber dem Beklagten geltend zu machen (BFH, Urt. v. 30.06.2015, VII R 30/14, BFH/NV 2015, 1611, Rz. 20 ff.; Urt. v. 22.08.2019, V R 50/16, BFH/NV 2020, 71, Rn. 16).
66II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
67Die Revision war mangels eines vorliegenden Grundes i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.
68Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.