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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob der Beklagte den Umsatzsteuerbescheid 2008 zu Ungunsten der Klägerin nach § 174 Abgabenordnung (AO) ändern durfte.
3Die Klägerin wurde in 2007 gegründet und betrieb in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) einen Handel für Kraftfahrzeuge, Ersatzteile und Waren verschiedener Art. Gesellschafter zu je 50% und Geschäftsführer waren die Herren H U und H S. Für das Streitjahr 2008 gab die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärung am 15.01.2010 ab und erklärte darin eine Umsatzsteuer i. H. v. 22.541,43 €. Die Erklärung wurde vom Beklagten erklärungsgemäß verarbeitet. Die Klägerin stellte in 2011 ihren Betrieb ein. Sie befindet sich in Liquidation. Ihr Liquidator ist Herr H U .
4Mit Beginn am 10.06.2013 führte der Beklagte für die Jahre 2008 bis 2010 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Dabei stellte die Prüferin für das Streitjahr aufgrund einer Bargeldverkehrsrechnung erhebliche Bargeldfehlbeträge fest. Die fehlenden Bargeldbeträge beträfen die Lebensführung der Gesellschafter der Klägerin i.H.v. 12.000 € bzw. 9.200 €, Bareinzahlungen i.H.v. 225.700 € auf das betriebliche Konto der Klägerin sowie i.H.v. 22.200 € auf das Girokonto des Gesellschafter-Geschäftsführers H U. Ferner hätten die beiden Gesellschafter der Klägerin im Streitjahr einen Bargeldbetrag i.H.v. insgesamt 70.000 € für die Erbringung von Stammeinlagen für die von ihnen gegründete H & H GmbH sowie für dieser Gesellschaft gewährte Darlehensbeträge aufgewendet. Diese Feststellungen würden eine Hinzuschätzung rechtfertigen. Sie, die Prüferin, habe sich mit der Klägerin auf einen Hinzuschätzungsbetrag i.H.v. 150.000 € (brutto) verständigt. Dieser Betrag sei gleichmäßig zu je 50.000 € auf die Jahre 2008, 2009 und 2010 zu verteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Betriebsprüfungsberichts vom 08.12.2014 (Bl. 9 ff. der Prüfungsakte) Bezug genommen.
5Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide. Die Umsatzsteuer 2008 und 2010 setzte der Beklagte jeweils mit Bescheid vom 20.01.2015 auf 26.636,88 € und 64.221,98 € fest. Die Umsatzsteuer 2009 setzte er mit Bescheid vom 28.01.2015 auf 10.991,92 € fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit den Änderungsbescheiden jeweils aufgehoben.
6Die Klägerin legte gegen die Änderungsbescheide am 12.02.2015 Einspruch ein (Bl. 18 der Rechtsbehelfsakte, Band I). Den Einspruch gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 nahm sie jedoch am 23.10.2015 wieder zurück (Bl. 6 der Rechtsbehelfsakte, Band I). Hinsichtlich der Änderungsbescheide für 2009 und 2010 trug sie zur Begründung vor (vgl. Schreiben vom 16.12.2015, Bl. 46 der Rechtsbehelfsakte, Band I), dass die Hinzuschätzungen von je 50.000 € (brutto) zu Unrecht erfolgt seien. Für das Streitjahr 2008 festgestellte Bargeldfehlbeträge könnten keine Hinzuschätzungen in den Folgejahren rechtfertigen. Der Beklagte stimmte der Einschätzung zu, wies jedoch darauf hin, dass eine antragsgemäße Minderung der Umsatzsteuern 2009 und 2010 im Einspruchsverfahren eine korrespondierende Erhöhung der Umsatzsteuer 2008 nach § 174 AO zur Folge hätte (Schreiben vom 14.03.2016, Bl. 62 f. der Rechtsbehelfsakte, Band I). Die Klägerin hielt gleichwohl an ihrem Einspruchsbegehren fest und der Beklagte erließ jeweils mit Datum vom 08.09.2016 antragsgemäß geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2009 und 2010. Mit gleichem Datum erließ er gestützt auf § 174 AO einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008, in dem er die Bemessungsrundlage hinsichtlich des bisher berücksichtigten Hinzuschätzungsbetrages von 50.000 € um weitere 100.000 € erhöhte und die Umsatzsteuer 2008 auf 30.468,80 € festsetzte.
7Die Klägerin legte u.a. gegen den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass die Änderung nicht auf § 174 AO gestützt werden könne. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt und zudem sei zum Zeitpunkt der Änderung bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen. Der Beklagte wies mit seiner Einspruchsentscheidung vom 20.03.2019 den Einspruch als unbegründet zurück. Die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2008 sei nach § 174 AO zulässig gewesen. Die Regelung umfasse auch Fallgestaltungen, in denen die Finanzbehörde aus einem bestimmten Sachverhalt die steuerrechtlichen Folgerungen ziehen wolle, sich dabei aber darüber irre, welchen Zeitraum diese Folgerungen betreffe. Die Prüferin habe sich dahingehend geirrt, dass der sich aus den festgestellten Bargelddifferenzen ergebende Hinzuschätzungsbetrag auf die drei Prüfungsjahre 2008 bis 2010 gleichmäßig verteilt werden könnte. Richtigerweise, wie die Klägerin in ihren Einsprüchen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2009 und 2010 auch zutreffend geltend gemacht habe, könne der Hinzuschätzungsbetrag nur im Jahr der festgestellten Bargeldfehlbeträge berücksichtigt werden. Bei dem Hinzuschätzungsbetrag handele es sich um einen bestimmten Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO. Es handele sich insbesondere nicht um eine nachträgliche Änderung der Schätzungsmethode. Der Änderung nach § 174 AO stünde auch keine Festsetzungsverjährung entgegen. Die Jahresfrist gem. § 174 Abs. 4 Satz 3 AO sei eingehalten worden. Der Umsatzsteuerbescheid 2008 sei gleichzeitig mit den Umsatzsteuerbescheiden 2009 und 2010 geändert worden. Ein Fall des § 174 Abs. 4 Satz 4 AO liege nicht vor, da die Festsetzungsfrist hinsichtlich der auf Antrag der Klägerin geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 zum Zeitpunkt ihres Erlasses am 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei wegen der vom 10.06.2013 bis 26.09.2014 durchgeführten Betriebsprüfung und der daraufhin geänderten Umsatzsteuerbescheide gehemmt gewesen.
8Mit ihrer am 12.04.2019 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
9Der Senat hat am 09.04.2021 über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 47 ff. der Gerichtsakte). Daraufhin hat die Klägerin am 27.04.2021 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
10Sie trägt zur Begründung, zuletzt mit Schreiben vom 27.04.2021, vor, dass die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2008 nicht auf § 174 AO gestützt werden könnte. Es fehle bereits an einer irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes. Der maßgebliche Sachverhalt seien die im Rahmen des Handelsunternehmens erzielten Umsätze, nicht die von der Prüferin geschätzten Umsätze. Insoweit habe die Prüferin nicht geirrt, sondern nur über eine Schätzung auf der Grundlage einer Geldverkehrsrechnung entschieden. Über die der Geldverkehrsrechnung zugrunde gelegten Umstände habe sich die Prüferin auch nicht geirrt. Der Beklagte habe sich auch nicht geirrt, sondern die getroffenen Feststellungen den geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 zugrunde gelegt. Dem Beklagten sei schlicht ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen. Ihre, der Klägerin, Rechtsauffassung werde auch durch das BFH-Urteil vom 26.02.2002 (X R 59/98, BStBl II 2002, 450) bestätigt. Wenn überhaupt, dann habe sich der Beklagte nur im Hinblick auf die Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 in einem Irrtum befunden, nicht aber bei Erlass des vom Beklagten mit dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid geänderten Umsatzsteuerbescheides 2008 vom 20.01.2015.
11Die Klägerin beantragt,
12den geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 08.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2019 aufzuheben,
13hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er nimmt zur Begründung Bezug auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung.
17Die Sache ist am 17.06.2021 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19I. Die Klage hat keinen Erfolg.
20Der Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 08.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat diesen Bescheid zu Recht gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert.
211. Nach § 174 Abs. 4 AO können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung dieses bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird.
22a) Sowohl den Umsatzsteuerbescheiden 2009 und 2010 als auch dem Umsatzsteuerbescheid 2008 lag derselbe bestimmte Sachverhalt im Sinne des § 174 Abs. 4 AO zugrunde.
23Ein bestimmter Sachverhalt in diesem Sinne ist jeder einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft (vgl. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 174 AO Rn. 5 m.w.N.; von Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rn. 15). Erfasst werden nicht nur einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern der einheitliche, für die Besteuerung maßgebliche Sachverhaltskomplex (vgl. BFH, Urteil vom 21.09.2016, V R 24/15, BStBl II 2017, 143, Rn. 23, m.w.N.). Der dem geänderten sowie der dem zu ändernden Steuerbescheid zugrunde liegende Sachverhalt muss übereinstimmen (vgl. BFH, a.a.O.). Eine vollständige Identität ist jedoch nicht erforderlich (vgl. BFH, Beschluss vom 19.11.2003, I R 41/02, BFH/NV 2004, 604, Rn. 15; Urteil vom 25.01.2017, X R 45/14, BFH/NV 2017, 1039, Rn. 34). Je nach den Erfordernissen des jeweiligen steuerlichen Tatbestandes kann eine teilweise Deckungsgleichheit genügen (vgl. BFH, Urteil vom 19.08.2015, X R 50/13, BStBl II 2017, 15, Rn. 21, m.w.N.).
24Grundlage der geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 war der sich auf der Grundlage der festgestellten Bargeldfehlbeträge ergebende Hinzuschätzungsbetrag. Im Wege der Hinzuschätzung wurden von der Klägerin erzielte, aber nicht erklärte steuerpflichtige (Bar-)Umsätze nachträglich berücksichtigt.
25b) Die vom Beklagten hinzugeschätzten Umsätze stellen einen Sachverhalt i.S.d. § 174 AO dar.
26Voraussetzung für eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO ist, dass der Gegenstand der irrigen Beurteilung ausschließlich der Seinswelt angehört, d.h. es muss sich um einen Zustand, einen Vorgang, eine Beziehung, bzw. eine Eigenschaft materieller oder immaterieller Art handeln, der seinerseits Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes ist (vgl. BFH, Urteil vom 26.02.2002, X R 59/98, BStBl II 2002, 450, Rn. 27). Es können danach auch Schätzungsbescheide unter § 174 AO fallen, wenn bei Schätzungen die ihnen zu Grunde gelegten Schätzungsgrundlagen den Sachverhaltsbegriff erfüllen, d.h. konkrete Einzelsachverhalte enthalten (FG Münster, Urteil vom 28.05.2019, 2 K 2271/17, Rn. 51, juris; von Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rn. 20).
27Bei den Umsatzsteuerbescheiden 2008 bis 2010 handelt es sich bereits nicht um Schätzungsbescheide. Die Hinzuschätzung bezieht sich auf die nicht mehr mit der nötigen Gewissheit (§ 162 Abs. 1 AO) zu ermittelnde Höhe der Umsätze, die die Klägerin erzielt hat, ohne sie gegenüber dem beklagten Finanzamt anzumelden bzw. zu erklären. Die hinzugeschätzten Umsätze betreffen konkrete Einzelsachverhalte, nämlich die jeweilige Erbringung einer entgeltlichen Leistung.
28c) Die Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 ergingen auch aufgrund einer irrigen Beurteilung der hinzugeschätzten Umsätze.
29Eine irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts liegt vor, wenn die Finanzbehörde aus einem bestimmten Sachverhalt steuerrechtliche Folgerungen gezogen hat, die sich nachträglich als unzutreffend erweisen (vgl. von Wedelstädt, in Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rn. 95). Ob der für die irrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen liegt, ob es sich um Rechts- oder Tatsachenfehler handelt oder ob eine mögliche Rechtsfolge übersehen wurde, ist unerheblich (FG Münster, Urteil vom 28.05.2019, 2 K 2271/17, Rn. 55, juris; von Wedelstädt, a.a.O.).
30Die Prüferin und ihm folgend der Beklagte gingen bei Erlass der Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 davon aus, dass zwei Drittel (100.000 €) der nicht erklärten und hinzuzuschätzenden Umsätze steuerlich je zur Hälfte (je 50.000 €) den Veranlagungszeiträumen 2009 und 2010 zuzurechnen seien. Allerdings betraf der Hinzuschätzungsbetrag ausschließlich Umsätze, die bereits in 2008 erzielt worden waren. Allein in diesem Jahr konnten entsprechende Bargeldfehlbeträge im Hinblick auf die von der Klägerin erzielten Umsätze festgestellt werden.
31Diese irrige zeitliche Zuordnung erzielter Umsätze in geschätzter Höhe war Grundlage für die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 vom 20.01.2015 bzw. 28.01.2015. Die irrige Beurteilung betraf hingegen nicht, wie die Klägerin meint, die Höhe der Schätzung der nicht erklärten Umsätze. Diese blieb mit einer Gesamthöhe aufgrund der festgestellten Bargeldfehlbeträge von 150.000 € unverändert.
32Der Vortrag des Gesellschafters und Liquidators der Klägerin, Herr H U, in der mündlichen Verhandlung führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Danach habe der an der Schlussbesprechung teilnehmende Sachgebietsleiter des Beklagten den Vorschlag gemacht, den von der Prüferin für 2008 festgestellten Betrag an nicht erklärten Umsätzen i.H.v. 150.000 € zur Minderung der Steuer- bzw. Zinsbelastung der Klägerin bzw. ihrer Gesellschafter dahingehend aufzuteilen, dass in den Jahren 2008 bis 2010 jeweils ein Betrag von 50.000 € umsatzerhöhend berücksichtigt wird. Der Irrtum, dem danach sowohl der Sachgebietsleiter, die Prüferin und der Beklagte gemeinsam unterlagen, war, wie oben ausgeführt, die Annahme, diese Aufteilung sei zulässig. Die tatsächlich unzulässige teilweise Verschiebung von nicht erklärten, im Besteuerungsjahr 2008 erzielten Umsätzen in die nachfolgenden Besteuerungsjahre 2009 und 2010 führte aber gerade zur Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 vom 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 und zur späteren Aufhebung infolge des von der Klägerin erhobenen Einspruchs. Der den Anwendungsbereich des § 174 AO eröffnende Irrtum bestand nicht darin, dass die Prüferin die Aufteilung unbewusst oder nur versehentlich vorgenommen hat. Vor diesem Hintergrund konnte der Klägervortrag als wahr unterstellt werden und es bedurfte keiner Vernehmung der von der Klägerin für die Richtigkeit des Vortrags benannten Zeugen.
33d) Die irrige Zuordnung von 2/3 der hinzugeschätzten Umsätze zu den Besteuerungszeiträumen 2009 und 2010 wurde im Hinblick auf den von der Klägerin gegen die nach der Betriebsprüfung erlassenen Umsatzsteuerbescheide vom 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 eingelegten Einspruch geändert. Die Klägerin begründete ihren Einspruch mit Hinweis auf die irrige Zuordnung, indem sie zutreffend meinte, dass die Hinzuschätzung von in 2008 nicht erklärten Bareinnahmen bzw. Barumsätzen nicht einfach anteilig in die Folgejahre 2009 und 2010 verschoben werden könne. Der Beklagte folgte dieser Argumentation und minderte jeweils die Bemessungsgrundlage um Bruttoumsätze von 50.000 € mit Änderungsbescheiden vom 08.09.2016.
34Anders als in dem von der Klägerin angeführten BFH-Urteil vom 26.02.2002 (X R 59/98, BStBl II 2002, 450) erfolgte die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 im Einspruchsverfahren nicht, weil der Beklagte seine Schätzungsmethode geändert hat. Grundlage der Schätzung der insgesamt nicht erklärten Umsätze waren weiterhin die in 2008 festgestellten Bargeldfehlbeträge. Nur die sich an die Schätzung anschließende Zuordnung zu den verschiedenen Besteuerungszeiträumen wurde wegen der zuvor irrigen Beurteilung geändert.
352. Zwar war bei Erlass des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides 2008 am 08.09.2016 für diesen die reguläre Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO von vier Jahren bereits abgelaufen.
36Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist jedoch nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Die Jahresfrist wurde vom Beklagten gewahrt, indem er am 08.09.2016 sowohl die fehlerhaften Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 als auch den Umsatzsteuerbescheid 2008 geändert hat.
373. Auf das Vorliegen der engeren Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO kommt es nicht an, denn im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide für 2009 und 2010 am 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 war die Festsetzungsfrist für den Umsatzsteuerbescheid 2008 noch nicht abgelaufen.
38§ 174 Abs. 3 Satz 1 AO ist nur dann abwendbar, wenn die Festsetzungsfrist für den Erlass oder die Änderung des Steuerbescheides (für 2008) bereits abgelaufen war, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid (für 2009 und 2010) erlassen wurde.
39Wie der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung zutreffend ausführt, war bei Erlass der später auf Antrag der Klägerin wieder geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 vom 20.01.2015 bzw. 28.01.2015 für die Umsatzsteuer 2008 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.
40Zwar endete die reguläre Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2014, da die Klägerin ihre Umsatzsteuerjahresanmeldung für 2008 im Kalenderjahr 2010 beim Beklagten eingereicht hatte (§ 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 18 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz – UStG). Jedoch war der Ablauf der Festsetzungsfrist wegen der u.a. für die Umsatzsteuer 2008 durchgeführten Betriebsprüfung nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so läuft danach die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
41Mit der Betriebsprüfung, die sich nach der Prüfungsankündigung vom 17.05.2013 (Bl. 98 Betriebsprüferhandakte, Band I) auch auf die Umsatzsteuer 2008 erstreckte, wurde vor Ablauf der Festsetzungsverjährung am 10.06.2013 begonnen. Auf Grund der Außenprüfung hat der Beklagte für die Umsatzsteuer 2008 am 20.01.2015 einen Änderungsbescheid erlassen, welcher zunächst von der Klägerin mit Einspruch vom 12.02.2015 angefochten wurde. Erst mit Rücknahme ihres Einspruchs am 23.10.2015 ist der Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 20.01.2015 unanfechtbar geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagte jedoch die später auf Antrag der Klägerin wieder geänderten Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 erlassen, und zwar am 20.01.2015 (2010) bzw. am 28.01.2015 (2009).
424. Soweit die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass die von der Prüferin ermittelten Mehrumsätze unrichtig seien, da sie, die Klägerin, einem Onkel ihres Gesellschafters ihr Bankkonto zur Verfügung gestellt habe und es sich bei den ungeklärten Zahlungseingängen um Umsätze des Onkels gehandelt habe, steht einer möglichen Minderung des Hinzuschätzungsbetrages die im Rahmen der Schlussbesprechung zwischen der steuerlich beratenen Klägerin und dem Beklagten getroffene tatsächlich Verständigung entgegen. Es bestand zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass in Ansehung eines von der Prüferin festgestellten Bargeldfehlbetrages von 339.100 € von nicht erklärten Umsätzen i.H.v. 150.000 € auszugehen sei (vgl. Prüfungsbericht vom 08.12.2014, Bl. 25 der Betriebsprüfungsakte). Der klägerseitige Vortrag in der mündlichen Verhandlung bestätigt ebenfalls, dass die Höhe der Umsätze Gegenstand der Schlussbesprechung gewesen sind.
43II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
44Die Revision war mangels eines vorliegenden Grundes i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.